Читайте только на ЛитРес

Книгу нельзя скачать файлом, но можно читать в нашем приложении или онлайн на сайте.

Читать книгу: «La San Felice Band 14», страница 4

Шрифт:

Fünftes Capitel.
Das Tribunal von Monte Oliveto

Hector Caraffa hatte sich nicht geirrt. Um neun Uhr Abends hörte man die Tritte eines bewaffneten Trupps auf der Treppe, welche nach dem Kerker der Gefangenen führte.

Die Thür öffnete sich und man sah in dem Halbschatten die Musketen der Soldaten glänzen.

Die Schließer traten ein, sie trugen Ketten, welche sie auf das Pflaster des Kerkers warfen und die niederfallend dumpf erklirrten.

Das Blut des edlen Grafen Ruvo empörte sich.

»Ketten! Ketten!« rief er; »dieselben sind doch nicht etwa für uns?«

»Nun, für wen sollen sie denn sonst sein?« fragte einer der Schließer in höhnischem Ton.

Hector machte eine drohende Geberde, sah sich nach einem Gegenstand um, dessen er sich als Waffe bedienen könnte, und wog, da er keinen fand, mit dem Blicke den Felsblock, welcher die Mündung des Brunnens bedeckte, und schickte, wie Ajax, sich an ihn aufzuheben.

Cirillo that ihm Einhalt.

»Freund,« sagte er, »die ehrenvollste Narbe nach der, welche das Eisen des Feindes auf dem Arme eines Helden zurückläßt, ist die, welche die Ketten eines Tyrannen auf dem Arme eines Patrioten zurücklassen. Hier ist mein Arm. Wo sind unsere Ketten?«

Und der edle Greis streckte seine beiden Arme aus.

Als die Thür sich öffnete, spielte Velasco seiner Gewohnheit gemäß Guitarre und sang, indem er sich begleitete, ein lustiges neapolitanisches Liedchen.

Die Schließer traten ein, warfen ihre Ketten auf den Fußboden, aber Velasco ließ sich nicht stören.

Hector sah bald Domenico Cirillo, bald den unerschütterlichen Sänger an.

»Ich schäme mich,« sagte er, »denn ich glaube in der That, daß es hier zwei Männer gibt, welche muthiger sind als ich.«

Und er streckte seinerseits die Arme aus.

Dann kam die Reihe an Manthonnet.

Hierauf näherte sich Salvato. Während man ihn fesselte, stützten Eleonore Pimentel und Michele, welche während der ganzen Zeit, wo sie beiseite mit ihrem Geliebten gesprochen, nicht aus den Augen gelassen hatten, die junge Frau, welche nahe daran war niederzusinken.

Als Salvato gefesselt war, stieß Michele einen Seufzer aus, der seinen Grund mehr in dem Kummer hatte, seine Schwester verlassen zu müssen, als in der Scham über die Behandlung, die er erdulden mußte, und er näherte sich dem Schließer.

Velasco fuhr fort zu singen, ohne daß in seiner Stimme die mindeste Veränderung wahrzunehmen gewesen wäre.

Ein Schließer kam auf ihn zu. Er gab zu verstehen, daß man ihn sein Liedchen aussingen lassen möge, und als er damit fertig war, zerschlug er die Guitarre auf dem Fußboden und streckte die Arme aus.

Die Frauen zu fesseln hielt man nicht für nöthig.

Ein Theil der Soldaten ging wieder die Treppe hinauf, um zwischen sich und ihren Cameraden einen Raum zu schaffen, den dann die Gefangenen einnahmen, denn man konnte die schmale Treppe nur zu Zweien hinter einander hinaufgehen. Dann folgte der übrige Theil der bewaffneten Macht und man gelangte in den Hof.

Hier formierten die Soldaten zwei Reihen, durch welche die Gefangenen eingeschlossen wurden.

Andere dahinter postierte Soldaten, welche Fackeln trugen, leuchteten dem traurigen Zuge.

So durchzog man unter dem Hohngeschrei der Lazzaroni die ganze Strada Medina, vor dem Hause der beiden Backer vorbei, wo die Hohnreden sich verdoppelten, denn man hatte die San Felice erkannt.

Dann bog man in die Strada Monte Oliveto ein, an deren Ende, auf dem Largo desselben Namens, das Thor des in ein Tribunal umgestalteten Klosters sich öffnete.

Die Richter, oder besser gesagt die Henker hielten ihre Sitzungen im zweiten Stockwerke.

Der große Saal, nämlich der des Refectoriums, war zu einem Gerichtshofe umgestaltet.

Schwarz ausgeschlagen, hatte er weiter keine Zierathen, als Fahnentrophäen mit den Wappen der Bourbons von Neapel und von Spanien und ein kolossales Crucifix über dem Kopfe des Präsidenten, das Symbol des Schmerzes, aber nicht der Milde, und welches blos hier zu sein schien, um zu beweisen, daß die menschliche Gerechtigkeit, sei es durch den Haß, sei es durch die Furcht, stets irregeleitet worden ist.

Man ließ die Gefangenen einen langen dunklen schmalen Gang längs des Prätoriums passieren. Sie konnten schon das Gebrüll der Menge hören, welche sie erwartete.

»Elendes Volk!«, murmelte Hector Caraffa. »Wie thöricht, sich dafür zu opfern!«

»Wir opfern uns,« antwortete Cirillo, »nicht blos für dieses Volk, sondern für die ganze Menschheit. Das Blut der Märtyrer ist ein furchtbares Auflösungsmittel für die Throne.«

Man öffnete die Thür, welche auf die für die Angeklagten hergerichtete Estrade führte. Eine Flut von Licht, ein warmer Luftzug, ein Sturm von Geschrei drang bis zu ihnen.

Hector Caraffa, welcher voranschritt, blieb stehen, als ob er ersticken müßte.

»Vorwärts wie in Andria!« sagte Cirillo.

Und der unerschrockene Anführer erschien zuerst auf der Estrade.

Jeder seiner Genossen ward ebenso wie er selbst mit Hohngeschrei und Schmähungen empfangen.

Bei dem An- blicke der Frauen verdoppelte sich das Geschrei.

Als Salvato sah, daß Luisa zusammenknickte wie ein schwaches Rohr, faßte er sie um den Leib und hielt sie aufrecht.

Dann ließ er einen Blick in dem ganzen Saale umherschweifen.

Im ersten Range der Zuschauer, auf das Geländer, welches das Publikum von den Richtern trennte, gestützt, saß ein Benedictinermönch.

In dem Augenblick, wo Salvato’s Augen sich auf ihn hefteten, hob er seine Capuze.

»Mein Vater!«, murmelte Salvato leise in Luisa’s Ohr.

Und Luisa richtete sich unter einem Hoffnungsstrahle auf wie eine schöne Lilie unter einem Sonnenstrahle.

Die Augen der anderen Angeklagten, welche Niemanden in dem Saale zu suchen hatten, richteten sich auf das Tribunal.

Dasselbe bestand aus sieben Richtern mit Einschluß des Präsidenten. Sie saßen in einem Halbkreis, wahrscheinlich weil sie den Areopag der Athenienser nachzuahmen wünschten. Die Vertheidiger und der Procurator der Angeklagten – diese letzte Nachäffung eines Scheines von Gerechtigkeit – standen mit dem Rücken an die Estrade gelehnt. Sie waren mit den Angeklagten nicht einmal in Mittheilung gesetzt worden.

Ein einziger von den Räthen fehlte, Don Vicenzo Speciale, der Richter des Königs.

Man wußte sehr wohl, daß er im Namen Seiner sicilischen Majestät sprach, daß er, obschon nur einfacher Nominalrath, doch der eigentliche Präsident des Tribunals war.

Allerdings gab es einen Mann, welcher eifrig mit ihm kämpfte. Es war dies derselbe, welcher die Besoldung des Henkers herabgesetzt, der Fiscalprocurator Guidobaldi.

Die Angeklagten setzten sich.

Obschon die Fenster des im zweiten Stockwerk befindlichen Tribunalsaales offen standen, so machten doch die zahlreichen Zuschauer und die zahlreichen Lichter die Atmosphäre so heiß und dick, daß sie kaum noch zu athmen war.

»So wahr ich lebe,« sagte Hector Caraffa, »man sieht wohl, daß wir uns hier im Vorgemach der Hölle befinden. Man erstickt ja fast.«

Guidobaldi drehte sich rasch nach ihm herum.

»Du wirst bald auf ganz andere Weise ersticken, sagte er, »nämlich wenn Dir der Strick die Gurgel zuschnürt.«

»O Signor,« antwortete Hector Caraffa, »man sieht wohl, daß Sie nicht die Ehre haben mich zu kennen. Einen Mann meines Namens hängt man nicht, sondern man schlägt ihm den Kopf ab und dann hat er, anstatt keine Luft, deren nur zu viel.«

In diesem Augenblick ging eine Bewegung, die einem Schauer der Furcht und des Schreckens glich, durch den Saal. Die Thür des Berathungscabinets hatte sich soeben geöffnet und Speciale trat ein.

Er war ein Mann von fünfundfünfzig bis sechzig Jahren, mit stark markierten Zügen, glattem, an den Schläfen herabhängendem Haar und kleinen, lebhaften, haßerfüllten schwarzen Augen, die mit einer Starrheit blickten, welche für den, auf welchen sie sich hefteten, schmerzhaft und peinlich ward. Eine wie ein Raubvogelschnabel gekrümmte Nase senkte sich auf schmale Lippen und ein Kinn herab, welches beinahe eben so lang hervorragte wie die Nase.

Der Kopf hatte eine sehr gerade Haltung trotz des sehr sichtbaren Höckers, welcher hinten den langen schwarzen Talar emporhob. Der Mann hätte grotesk ausgesehen, wenn er sich nicht furchtbar gemacht hätte.

»Ich habe, sagte Cirillo zu Hector Caraffa mit gedämpfter Stimme, obschon laut genug, um gehört zu wer- den, »ich habe stets bemerkt, daß die häßlichen Menschen boshaft und die verwachsenen noch schlimmer sind.

Hier, fuhr er fort, indem er mit dem Finger auf Speciale zeigte, »steht.

Einer, der meine Behauptung abermals bestätigt.«

Speciale hörte diese Worte, drehte den Kopf wie auf einem Zapfen herum und suchte mit den Augen den, welcher sie gesprochen.

»Drehen Sie sich noch besser herum, Herr Richter,« sagte Michele zu ihm.

»Ihr Höcker benimmt uns die Aussicht.«

Und er schlug ein lautes Gelächter auf, nicht wenig erfreut darüber, daß er auch sein Wort mit zur Conversation geliefert.

Dieses Gelächter fand in dem Saale ein wahrhaft homerisches Echo.

Wenn dies so fortging, so versprach die Sitzung für die Zuhörer eine sehr amüsante zu werden.

Speciale ward schwarzblau vor Wuth, fast sofort aber stieg ihm die Röthe ins Gesicht, als ob ihn der Schlag rühren sollte.

Mit einem einzigen weiten Schritt legte er die Entfernung zurück, die ihn von seinem Sessel trennte, und sank vor Wuth mit den Zähnen knirschend hinein.

»Beginnen wir sofort die Verhandlungen,« sagte er.

»Graf von Ruvo, Ihr Name, Ihre Vornamen, Ihr Alter und Ihr Stand?«

»Meine Namen?« antwortete der Gefragte.

»Ettore Caraffa, Graf von Ruvo, aus der Familie der Fürsten von Andria. Mein Alter? Zweiunddreißig Jahre. Mein Stand? Patriot.«

»Was haben Sie während der sogenannten Republik gemacht?«

»Sie können noch weiter zurückgehen und mich fragen, was ich unter der Monarchie gemacht habe.«

»Das ist nicht nöthig.«

»Dieser Meinung bin ich nicht und ich werde es Ihnen daher sagen: Ich habe conspiriert und ward von jenem schändlichen Vanni, welcher, als er sich die Kehle abschnitt, nicht ahnte, daß man einen noch Schlechteren als ihn finden würde, in das Castell San Elmo gesetzt. Ich entsprang, begab mich zu dem wackern berühmten Championnet und half ihm mit meinem Freund Salvato hier bei Civita Castellana den General Mack schlagen.«

»Dann,« unterbrach ihn Speciale, »haben Sie also gegen Ihr eigenes Vaterland gedient?«

»Gegen mein Vaterland nicht, blos gegen den König Ferdinand. Mein Vaterland ist Neapel, und der Beweis, daß Neapel nicht der Meinung war, ich hätte gegen mein Vaterland gedient, liegt darin, daß es mich bat, ihm mit dem Grade eines Generals noch ferner zu dienen.«

»Und dieser Aufforderung sind Sie gefolgt?«

»Ja wohl, vom Herzen gern.«

»Meine Herren,« sagte Speciale, »ich hoffe, daß wir uns gar nicht erst die Mühe nehmen werden, über die Strafe zu berathen, welche diesem Verräther, diesem Abtrünnigen zuzuerkennen ist.«

Ruvo erhob sich oder sprang vielmehr auf seine Füße.

»Ha, Elender,« sagte er, indem er seine Fesseln schüttelte und sich gegen Speciale hinüberbog, »diese Ketten sind es, welche Dir den Muth geben, mich zu beleidigen. Wäre ich frei, so würdest Du anders mit mir sprechen.«

»Ich verurtheile Dich zum Tode,« sagte Speciale, »und da Du in deiner Eigenschaft als Fürst das Recht hat, enthauptet zu werden, so soll dies geschehen, aber durch die Guillotine.«

»Amen!«, sagte Hector, indem er sich mit der größten Unbefangenheit wieder setzte und dem Tribunal den Rücken kehrte.

»Jetzt bist Du an der Reihe, Cirillo,« sagte Speciale.

»Dein Name, dein Alter, dein Stand?«

»Domenico Cirillo,« antwortete der Gefragte mit ruhiger Stimme.

»Ich bin sechzig Jahre alt. Unter der Monarchie war ich Arzt, unter der Republik Volksvertreter.«

»Und was bist Du heute mir gegenüber?«

»Dir, Feigling, gegenüber bin ich ein Held.«

»Zum Tode verurtheilt!« heulte Speciale.

»Zum Tode verurtheilt!« wiederholte das Tribunal wie ein geisterhaftes Echo.

»Weiter, Du da unten, der Du die Generalsuniform der sogenannten Republik trägt.«

»Ich?«, fragten Manthonnet und Salvato gleichzeitig.

»Nein, Du, der Du Kriegsminister gewesen bist. Rasch deinen Namen —«

Manthonnet unterbrach ihn.

»Gabriel Manthonnet; zweiundvierzig Jahre alt.«

»Was hast Du unter der Republik gethan?«

»Große Dinge, obschon dieselben nicht groß genug waren, denn zuletzt haben wir capituliert.«

»Was hast Du zu deiner Vertheidigung zu sagen?«

»Ich habe capituliert.«

»Dies ist nicht genug.«

»Das thut mir leid, ich habe aber denen, welche das heilige Gesetz der Verträge mit Füßen treten, keine andere Antwort zu geben.«

»Zum Tode!«

»Zum Tode!« wiederholte das Tribunal.

»Und Du, Michele der Narr!« fuhr Speciale fort; »was hast Du unter der Republik gemacht?«

»Ich bin klug geworden,« antwortete Michele.

»Hast Du etwas zu deiner Vertheidigung zu sagen?«

»Es würde vergeblich sein.«

»Warum?«

»Weil die Wahrsagerin Nanno mir prophezeit hat, daß ich Oberst werden und dann an dem Galgen sterben würde. Oberst bin ich gewesen, und es bleibt mir nur noch übrig, gehängt zu werden. Alles, was ich sagen könnte, würde mich nicht daran hindern. Geniren Sie sich daher nicht, sondern singen Sie auch in Bezug auf mich Ihren Refrain: Zum Tode!«

»Zum Tode!« wiederholte Speciale.

»Nun Sie,« fuhr er fort, indem er mit dem Finger auf Leonora Pimentel zeigte.

Sie erhob sich, schön, ruhig und ernst wie eine Matrone des Alterthums.

»Ich?«, sagte sie.

»Ich heiße Leonora Fonseca Pimentel und bin zweiunddreißig Jahre alt.«

»Was haben Sie zu Ihrer Vertheidigung zu sagen?«

»Nichts, wohl aber habe ich viel zu meiner Anklage zu sagen, denn heutzutage sind es die Helden, welche man anklagt, und die Feiglinge, welche man belohnt.«

»Nun, dann sprechen Sie, da es Ihnen beliebt, sich selbst anzuklagen.«

»Ich war die Erste, welche den Neapolitanern zurief: »Ihr seid frei!« Ich habe ein Journal herausgegeben, in welchem ich die Eidbrüche, die Verworfenheit, die Verbrechen der Tyrannen entschleiert habe; ich habe auf dem Theater San Carlo die Hymne an die Freiheit von Monti declamiert, ich habe —«

»Genug, unterbrach Speciale; »Sie können in dieser Lobrede auf sich selbst auf dem Wege zum Galgen weiter fortfahren.«

Leonora setzte sich ruhig, wie sie aufgestanden war.

»Jetzt Du dort, Guitarrenmann,« sagte Speciale sich zu Velasco wendend, »denn man hat mir gesagt, daß Du Dir im Gefängniß die Zeit mit Guitarrenspielen vertrieben hast.«

»Nun, ist das vielleicht ein Majestätsverbrechen?«

»Nein, und wenn Du weiter nichts gethan hättest als dies, so wärest Du, obschon dies das Vergnügen eines Müßiggängers ist, nicht hier. Da Du aber hier bist, so mache uns das Vergnügen, uns deinen Namen, deinen Vornamen, dein Alter und deinen Stand zu sagen.«

»Und wenn es mir nicht beliebt, Ihnen zu antworten?«

»So wird mich dies nicht abhalten, Dich zum Tode zu schicken.«

»Schön!«, sagte Velasco.

»Ich werde gehen, ohne daß Du mich schickst.«

Und mit einem einzigen Sprunge, dem Sprunge eines Jaguar, schwang er sich über die Estrade hinweg und stürzte mitten in das Prätorium. Dann und ohne daß man Zeit hatte ihn aufzuhalten, ja ehe man noch seine Absicht errathen konnte, eilte er nach dem Fenster, während er mit seinen Ketten um sich herumschlug, und rief: »Platz! Platz!«

Jeder wich vor ihm zurück. Er sprang auf das Fenstersims, verweilte aber hier nur einen Augenblick. Der ganze Saal stieß einen Schreckensruf aus – der Gefangene hatte sich hinausgestürzt.

Beinahe unmittelbar darauf hörte man den Fall eines schweren Körpers, der auf das Pflaster niederschlug.

Es trat in dem bis jetzt so geräuschvollen Saale ein Augenblick peinlichen Schweigens ein. Richter, Angeklagte und Zuschauer wurden von einem unwillkürlichen Schauer überrieselt. Luisa warf sich in die Arme ihres Geliebten.

»Soll ich die Sitzung aufheben?« fragte der Präsident.

»Warum das?« entgegnete Speciale. »Sie hätten ihn jedenfalls zum Tode verurtheilt; er hat sich selbst den Tod gegeben und der Gerechtigkeit ist Genüge geschehen. Antworten Sie, Herr Franzose,« fuhr er sich zu Salvato wendend fort, »und sagen Sie uns, wie es kommt, daß Sie vor uns erscheinen.«

»Ich erscheine vor Ihnen,« sagte Salvato, »weil ich nicht Franzose, sondern Neapolitaner bin. Ich heiße Salvato Palmieri. Ich zähle sechsundzwanzig Jahre, ich bete die Freiheit an; ich verabscheue die Tyrannei. Ich bin es, den die Königin durch ihren Sbirren Pasquale de Simone ermorden lassen wollte. Ich bin es, der, indem ich mich gegen sechs Meuchelmörder vertheidigte, die Kühnheit hatte, zwei davon zu tödten und zwei zu verwunden. Ich habe den Tod verdient – verurtheilen Sie mich.«

»Wohlan,« sagte Speciale, »wir dürfen diesem würdigen Patrioten das, was er von uns verlangt, nicht abschlagen. Zum Tode!«

»Zum Tode!« wiederholte das Tribunal.

Luisa war auf dieses Resultat gefaßt, aber dennoch ließ sie sich einen Seufzer entschlüpfen, welcher einem Aechzen glich.

Der Benedictinermönch hob seine Capuze und wechselte mit Salvato einen raschen Blick.

»Na, nun ist die Signora an der Reihe,« sagte Speziale, »dann sind wir fertig.

Obschon wir Alles eben so gut wissen wie Sie, Signora, so werden Sie doch die Güte haben, uns Ihre kleine Affaire zu erzählen. Vor allen Dingen sagen Sie uns Ihren Namen, Ihren Vornamen, Ihr Alter und Ihren Stand, dann wollen wir zu den Backers übergehen.«

»Steh auf, Luisa, und stütze Dich auf meine Schulter,« sagte Salvato leise.

Luisa erhob sich und nahm den ihr dargebotenen Stützpunkt an.

Als die Zuschauer sie so jung, so schön, so bescheiden sahen, entrang sich ihnen ein Murmeln der Bewunderung und des Mitleid.

»Thürsteher,« sagte Speciale, »gebietet Schweigen.«

»Ruhe!« rief der Thürsteher.

»Sprich,« sagte Salvato.

»Ich heiße Luisa Molina San Felice,« sagte die junge Frau mit sanfter, zitternder Stimme. »Ich zähle dreiundzwanzig Jahre. Ich bin unschuldig an dem Verbrechen, dessen man mich anklagt, aber ich verlange nichts Besseres, als zu sterben.«

»Dann, sagte Speciale, welcher nur ungern die Beweise von Theilnahme sah, welche man der Angeklagten von allen Seiten erwies, dann behaupten Sie wohl, daß nicht Sie es sind, welche die Bankiers Backer denuncirt hat?«

»Sie behauptet dies mit um so mehr Recht,« sagte Michele, »als ich es bin, von welchem diese Denunciation ausgegangen ist. Ich war bei dem General Championnet. Ich gab den Rath, Giovannina zu befragen. Sie hat mit der ganzen Sache nichts zu schaffen gehabt, meine arme kleine Schwester. Sie können sie daher ganz ruhig wieder entlassen und bitten, daß die Sie in ihr Gebet einschließe, denn sie ist eine Heilige.«

»Schweig, Michele, schweig!«, murmelte Luisa.

»Nein, sprich; im Gegentheile, sprich, Michele!« sagte Salvato.

»Und ich kann um so mehr sprechen,« fuhr der Lazzarone fort, »als jetzt, wo ich einmal verurtheilt bin, mir nichts weiter geschehen kann. Wenn ich einmal gehängt werden soll, so kann ich eben so gut die Wahrheit sagen. Die Lügen sind es, welche einen ehrlichen Mann erwürgen, aber nicht der Strang. Wohlan, ich sagte also, daß die Madonna am Fuße der Grotte, ihre Nachbarin, nicht reiner ist als sie. Sie kam ausdrücklich von Pästum zurück, um die armen Backers zu warnen, traf sie aber bereits in den Händen der Soldaten an, von welchen sie in das Castello Nuovo gebracht wurden. Vor seinem Tode hat der Sohn ihr geschrieben, er wisse wohl, daß nicht sie, sondern ich die Ursache seines Todes wäre. Gib einmal den Brief her, Schwesterchen, gib ihn her. Diese Herren werden ihn lesen. Sie sind zu gerecht, um Dich zu verurtheilen, wenn Du unschuldig bist.«

»Ich habe ihn nicht mehr,« murmelte Luisa; »ich weiß nicht mehr, was ich damit gemacht habe.«

»Ich habe ihn,« rief Salvato lebhaft. »Greife einmal in diese Tasche, Luisa, und gib ihn hin.«

»Du willst es, Salvato,« murmelte Luisa.

Dann setzte sie noch leiser hinzu:

»Und wenn man mich nun begnadigte?«

»Möge der Himmel es geben!«

»Aber Du?«

»Mein Vater ist da.«

Luisa zog den Brief aus Salvatos Tasche und reichte ihn dem Richter.

»Meine Herren, sagte Speciale, »wenn dieser Brief auch wirklich von Backers Hand geschrieben sein sollte, so hoffe ich doch, daß sie ihm nicht mehr Vertrauen schenken werden, als er verdient. Sie wissen, daß der junge Backer der Liebhaber dieser Frau war.«

»Der Liebhaber?« rief Salvato. »O, Elender, berühre dieses makellose Wesen nicht auch nur mit deinen Worten!«

»Er hatte sich in mich verliebt, wollen Sie wohl jagen, Signor,« entgegnete Luisa.

»Ja und zwar bis zum Wahnsinn, denn nur ein Wahnsinniger konnte einer Frau das Geheimniß einer Verschwörung anvertrauen.«

»Lesen Sie den Brief« sagte Salvato, indem er sich erhob, »und zwar laut.«

»Ja, laut! laut!« rief das Publicum.

Speciale sah sich demgemäß genöthigt, dieser öffentlichen Stimme zu gehorchen und las den uns bekannten Brief, durch welchen André Backer zum Beweise seines Vertrauens zu Luisa und seiner Ueberzeugung, daß sie mit der Denunciation des royalistischen Complotts nichts zu schaffen gehabt, Luisa den Auftrag erheilte, eine Summe von vierhunderttausend Ducati unter die Opfer des Kampfes zu vertheilen.

Die Richter sahen einander an. Auf eine so vollständig in Abrede gestellte Thatsache hin war es nicht möglich eine Verurtheilung auszusprechen, denn das Opfer ward dadurch gerechtfertigt, während der Schuldige sich selbst anklagte.

Dennoch lautete der Befehl des Königs positiv. Man mußte sie verurtheilen und zwar zum Tode.

Speciale war übrigens auch nicht der Mann, der durch eine solche Kleinigkeit in Verlegenheit gebracht worden wäre.

»Gut,« sagte er. »Das Tribunal läßt diesen Anklagepunkt fallen.«

Diese Worte wurden mit einem Gemurmel des Beifalls aufgenommen.

»Aber,« fuhr Speciale zu Luisa gewendet fort, »Sie sind auch noch eines andern nicht minder schweren Verbrechens angeklagt.«

»Was wäre das für eines?« fragten Luisa und Salvato gleichzeitig.

»Sie sind angeklagt, einem Mann ein Asyl gegeben zu haben, welcher nach Neapel kam, um gegen die Regierung zu konspirieren. Sie haben diesen Mann sechs Wochen lang beherbergt und ihn erst fortgelassen, als er sich zum Kampfe gegen die Truppen des legitimen Königs begab.«

Luisa senkte, anstatt zu antworten, das Haupt und – betrachtete Salvato mit zärtlichem Blick.

»Nun, das laß’ ich mir aber doch gefallen!«, sagte Michele. »Konnte sie ihn vielleicht vor ihrer Thür sterben lassen, ohne ihm Beistand zu leisten? Ist es nicht das erste Gebot des Evangeliums, unseren Nächten beizustehen?«

»Ein Verräther, unterbrach Speciale, »ist Niemandes Nächster.«

Dann, als ob er mit dieser Angelegenheit, welcher sich das öffentliche Interesse in höherem Grade zuwendete, als ihm lieb war, so schnell als möglich fertig zu werden wünschte, sagte er:

»Also Sie gestehen, einen Verschwörer aufgenommen, verborgen gehalten und gepflegt zu haben, der Ihr Haus nur verlassen hat, um mit den Jakobinern und Franzosen gemeinschaftliche Sache zu machen?«

»Ja, ich gestehe es,« sagte Luisa.

»Dies genügt. Dies ist Hochverrath und ein Capitalverbrechen zum Tode!«

»Zum Tode!« wiederholte das Tribunal in dumpfem Tone.

Unter den Zuhörern machte sich ein langes, schmerzliches Murmeln bemerkbar.

Luisa San Felice wendete sich ruhig und die Hand auf das Herz drückend nach den Zuschauern, um ihnen zu danken.

Plötzlich hielt sie unbeweglich und mit stierem Blicke inne.

»Was ist Dir?« fragte Salvato.

»Dort! dort! Siehst Du?« sagte sie, ohne eine Geberde zu machen und indem sie sich blos ein wenig vorwärts neigte. »Er! er! er!«

Salvato neigte sich seinerseits nach der ihm von Luisa angedeuteten Richtung und sah einen Mann von fünfundfünfzig bis sechzig Jahren, schwarz und elegant gekleidet und mit dem auf seinen Frack gestickten Malteserkreuz.

Langsam schritt er durch die Menge, welche vor ihm zur Seite wich, auf das Tribunal zu. Er öffnete das Geländer, welches das Publicum von der Junta trennte, ging bis in die Mitte des Prätoriums und sagte zu den Richtern gewendet, welche ihn erstaunt ansahen:

»Sie haben soeben diese Frau zum Tode verurtheilt, ich komme aber, um Ihnen zu sagen, daß Ihr Urtheil nicht vollstreckt werden kann.«

»Und warum nicht?«, fragte Speciale.

»Weil sie schwanger ist,« antwortete er.

»Woher wissen Sie das?«

»Ich bin ihr Ehegatte, der Chevalier San Felice.«

Unter dem Publicum vernahm man einen Freudenruf, auf der Estrade der Angeklagten einen Ruf der Verwunderung. Speciale war bleich, indem er fühlte, daß seine Beute ihm entschlüpfte.

Die Richter betrachteten einander mit unruhigem Blick.

»Luciano! Luciano!« murmelte Luisa, indem sie dem Chevalier die Hände entgegenstreckte, während große Thränen der Rührung ihren Augen entrollten.

Der Chevalier näherte sich der Estrade; die Soldaten wichen von selbst zurück. Er ergriff die Hand seiner Gattin und küßte dieselbe zärtlich.

»Ha, Du hattest wohl Recht, Luisa,« sagte Salvato leise »dieser Mann ist ein Engel und ich schäme mich, ihm gegenüber so wenig zu sein.«

»Man bringe die Verurtheilten nach der Vicaria,« sagte Speciale, »diese Frau aber,« setzte er hinzu, »führe man in das Castello Nuovo zurück.«

Die Thür, durch welche die Angeklagten eingetreten waren, öffnete sich, um die Verurtheilten hinausgehen zu lassen. Ehe Salvato aber die Estrade verließ, hatte er noch Zeit, einen letzten Blick mit seinem Vater zu wechseln.

Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
30 ноября 2019
Объем:
200 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

С этой книгой читают