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Die Soldaten kamen aus den Baracken, gingen in die Dünen, um zu pinkeln, oder wuschen sich im Wassertrog neben dem größten der Brunnen das Gesicht. Auch Sergeant Malik-el-Haideri trat aus seiner Behausung. Mit raschen, zielstrebigen Schritten ging er auf Gacel zu.

»Du reitest fort?« erkundigte er sich, obwohl diese Frage in jeder Hinsicht überflüssig war. »Ich dachte, du wolltest dich hier ein paar Tage ausruhen.« »Ich bin nicht müde.«

»Das sehe ich - und ich spüre es auch. Es tut manchmal gut, mit einem Fremden zu reden. Dieser Abschaum hier denkt nur ans Klauen und an Weiber.«

Gacel antwortete nicht. Er war vollauf damit beschäftigt, alle Bündel so festzuzurren, daß er sie beim schaukelnden Gang des Kamels nicht schon nach fünfhundert Metern verlor. Malik stellte sich auf die andere Seite des Tieres und legte mit Hand an. »Vorausgesetzt, der Hauptmann gibt mir Urlaub - würdest du mich dann mitnehmen auf die Suche nach der Großen Karawane?«

Der Targi machte eine abwehrende Geste. »Nein, das >Land der Leere< ist nichts für dich. Nur Männer wie wir, die imohar, können uns hineinwagen.«

»Aber ich würde drei Kamele beisteuern! Wir könnten mehr Wasser und Proviant mitnehmen. Wenn wir die Karawane finden, reicht es für uns beide. Ich würde dem Hauptmann einen Teil abgeben, außerdem könnte ich mir meine Versetzung erkaufen, und es würde trotzdem noch genügend übrigbleiben für den Rest meines Lebens. Nimm mich mit!« »Nein.«

Sergeant Malik resignierte scheinbar. Sein Blick schweifte langsam über die Palmen, die Baracken und schließlich über die Sanddünen, die den Militärstützpunkt in alle vier Himmelsrichtungen umschlossen. Ständig drohten sie, die Oase endgültig unter sich zu begraben. Sie machten aus der Garnison ein Gefängnis, das keine Gitter brauchte.

»Noch elf Jahre!« sagte Malik leise vor sich hin. »Falls ich hier jemals rauskomme, werde ich ein alter Mann sein, aber man hat mir sogar meine Pensionsberechtigung abgesprochen. Was soll dann aus mir werden?« Zu Gacel gewandt fuhr er fort:

»Wäre es nicht besser, tapfer zu sein und notfalls in der Wüste zu sterben, wenn man dafür die Chance erhält, daß sich alles schlagartig ändert?« »Vielleicht.«

»Das ist doch genau das, was du vorhast, nicht wahr? Du setzt lieber alles auf eine Karte, statt dein Leben lang Ziegelsteine zu schleppen.« »Ich bin ein Targi, aber du ...«

»Ach, geh zum Teufel mit deinem Stolz!« rief Malik wütend. »Glaubst du etwa, du bist etwas Besseres, nur weil du von klein auf daran gewöhnt bist, die Hitze und den Durst auszuhalten? Ich habe mich die ganze Zeit mit diesen Schweinehunden da drüben herumschlagen müssen, und ich weiß nicht, was schlimmer ist, das schwöre ich dir! Na mach schon, hau ab! Wenn ich mich eines Tages auf die Suche nach der Großen Karawane mache, dann ganz allein. Ich brauche dich nicht dazu!«

Hinter dem Schleier verzogen sich Gacels Lippen zu einem Lächeln, aber das konnte der andere nicht sehen. Er befahl seinem Kamel aufzustehen, ergriff die Zügel und ritt langsam in südlicher Richtung davon.

Sergeant Malik-el-Haideri folgte Gacel mit den Blicken, bis der Targi im Labyrinth der Dünentäler verschwunden war. Denn drehte er sich um und kehrte nachdenklich zur größten der Baracken zurück.

Hauptmann Kaleb-el-Fasi schlief immer so lange, bis das Dach seiner Hütte in der Sonne glühend heiß wurde, und das geschah Tag für Tag gegen neun Uhr morgens, obwohl Kaleb-el-Fasi seine Behausung an der geschütztesten Stelle der Oase hatte bauen lassen, im Schatten der Palmen. Nicht selten fuhr er nachts erschrocken aus dem Schlaf hoch, wenn Datteln auf das Blechdach prasselten.

Seine morgendlichen Gebete pflegte der Hauptmann zwei Schritte vor der Tür seiner Hütte zu verrichten. Dann setzte er sich in den Trog neben dem großen Brunnen, wusch sich mit lautem Planschen und ließ sich gleich an Ort und Stelle von Sergeant Malik über alle Vorfälle Bericht erstatten. Meist gab es jedoch so gut wie nichts zu melden.

An diesem Morgen allerdings schien Kaleb-el-Fasis Untergebener etwas auf dem Herzen zu haben. Er war von einem Eifer beseelt, den man bei ihm nicht gewohnt war.

»Dieser Targi - der will nach der Großen Karawane suchen«, sagte er.

»Na und?«

»Ich hab ihn gefragt, ob er mich mitnehmen will, aber er hat nein gesagt.«

»Er ist eben nicht so dumm, wie du glaubst! Aber seit wann interessierst du dich für die Große Karawane?«

»Seit ich zum ersten Mal von ihr gehört habe. Angeblich war sie mit Waren im Wert von zehn Millionen Francs unterwegs. Heutzutage wären das viele Elfenbein und all die Edelsteine das Dreifache wert.«

»Davon haben schon viele geträumt, und viele haben dafür mit dem Leben bezahlt.«

»Lauter Abenteurer, die ihre Expedition nicht gewissenhaft vorbereitet haben, mit gesichertem Nachschub und geeigneter Ausrüstung.«

Hauptmann Kaleb-el-Fasi warf dem Sergeanten Malik einen langen Blick zu, in den er besonders viel Tadel und Strenge zu legen versuchte. »Willst du damit sagen, ich soll Männer und Material der Streitkräfte für die Suche nach dieser Karawane bereitstellen?« fragte er mit vorgetäuschter Entrüstung.

»Warum nicht?« war die unverblümte Antwort. »Die ganze Zeit befiehlt man uns, sinnlose Expeditionen durchzuführen, um nach neuen Brunnen zu suchen oder um nachzuzählen, ob noch alle Nomaden da sind. Einmal haben uns ein paar Ingenieure sechs Monate lang durch die Gegend gescheucht, weil sie glaubten, es gebe hier irgendwo Erdöl.«

»Ja, und sie haben es tatsächlich gefunden.«

»Richtig, aber was hat es uns gebracht? Strapazen, Scherereien, Unzufriedenheit in der Truppe - und drei Männer, die mit einem Jeep voll Dynamit in die Luft geflogen sind!«

»Wir hatten Befehl von oben.«

»Ich weiß, aber es liegt bei Ihnen, mich mit irgendeiner Mission zu betrauen, zum Beispiel >Überlebenstraining im Land der Leere<. Stellen Sie sich vor, wir würden mit einem Riesenvermögen zurückkehren! Die Hälfte für das Heer, die andere Hälfte für uns beide und die Truppe. Glauben Sie nicht, daß man mit dem Geld ein paar Generäle milder stimmen könnte, wenn man es geschickt anstellt?«

Der Hauptmann antwortete nicht gleich. Er tauchte bis über den Kopf in den Wassertrog und verharrte so ein paar Sekunden lang, vielleicht um nachzudenken.

Nachdem er wieder aufgetaucht war, meinte er, ohne Malik anzublicken. »Für das, was du mir da eben vorgeschlagen hast, könnte ich dich einlochen lassen!«

»Und was hätten Sie davon? Macht es etwa einen Unterschied, ob man im Bau sitzt oder hier draußen? Noch ein bißchen mehr Hitze, weiter nichts! Immerhin wäre es im Bau längst nicht so heiß wie im >Land der Leere<.«

»Bist du wirklich so verzweifelt?«

»Genauso sehr wie Sie! Wenn wir nicht irgend etwas unternehmen, kommen wir hier nie raus, das wissen Sie! Irgendwann kriegt einer von den Scheißkerlen den Koller und knallt uns einfach ab.«

»Bis jetzt sind wir mit ihnen immer fertig geworden.«

»Ja, aber wir haben viel Glück gehabt«, gab Malik zu bedenken. »Wie lange soll das noch so weitergehen? Wir werden älter, unsere Kräfte lassen nach, und früher oder später machen uns die Kerle kalt.«

Hauptmann Kaleb-el-Fasi, Oberkommandierender des gottverlassenen Militärpostens von Adoras, legte den Kopf in den Nacken und betrachtete lange die Wipfel der Palmen, deren Wedel nicht der leiseste Lufthauch bewegte. Durch sie schimmerte ein so hellblauer Himmel hindurch, daß er fast schon weiß wirkte. Die Augen schmerzten, wenn man zu lange hinaufschaute.

Der Hauptmann dachte an seine Familie: Nach seiner Verurteilung hatte seine Frau die Scheidung erwirkt, seine Söhne hatten ihm nie eine einzige Zeile geschrieben, seine Freunde und Bekannten hatten seinen Namen aus ihrem Gedächtnis getilgt, nachdem sie ihn jahrelang wegen seiner angeblich glänzenden Fähigkeiten umschmeichelt hatten. Und nun war er hier, mitten unter Dieben, Mördern und Rauschgiftsüchtigen, die einen mörderischen Haß auf ihn hatten. Ohne zu zögern würden sie ihm von hinten ein Bajonett in den Leib stoßen oder eine Bombe unter sein Feldbett legen.

»Was brauchtest du denn dafür?« erkundigte sich der Hauptmann schließlich, ohne sich umzudrehen. Er bemühte sich, seine Stimme möglichst uninteressiert klingen zu lassen.

»Einen Lastwagen, einen Jeep und fünf Männer. Ich nehme auch Mubarrak-ben-Sad, den Targi, mit. Er soll uns führen. Außerdem brauche ich Kamele.«

»Wie lange soll das Unternehmen dauern?«

»Vier Monate. Aber einmal wöchentlich könnten wir über Funk Kontakt aufnehmen.«

Jetzt blickte der Hauptmann Malik doch an. »Ich kann niemanden dazu zwingen, dich zu begleiten. Angenommen, du kommst nicht zurück und die Sache sickert durch - dann werde ich an die Wand gestellt.«

»Ich weiß, wer von den Männern gern mitmachen würde und wer schweigen kann.

Die anderen dürfen nichts erfahren.«

Der Hauptmann stieg bedächtig aus dem Wassertrog, schlüpfte in eine kurze weiße Hose und fuhr mit den Füßen in die nails. Er überließ es der warmen Luft, seine nasse Haut zu trocknen.

»Ich glaube, du bist so verrückt wie dieser Targi«, meinte er und schüttelte ungläubig den Kopf. »Aber vielleicht hast du recht, und dein Plan ist besser, als hier rum-zusitzen und auf den Tod zu warten.« Er machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: »Wir müßten natürlich einen triftigen Grund für ein so zeitraubendes Unternehmen finden - auch für den Fall, daß du nicht zurückkehrst.«

Seine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen.

Auch Malik grinste. Er freute sich, daß er sich durchgesetzt hatte, aber im Grunde war er sich von Anfang an sicher gewesen. Seit der Targi sich in aller Frühe davongemacht hatte, hatte Malik pausenlos darüber nachgegrübelt, wie er dem Hauptmann sein Vorhaben am überzeugendsten darlegen könnte. Und je gründlicher er die Angelegenheit in allen Details durchdacht hatte, desto größer war seine Gewißheit geworden, daß sein Vorgesetzter ihm die Erlaubnis erteilen würde.

Die beiden Männer gingen nebeneinander auf die große Baracke zu, in der sich die Schreibstube befand.

»Ich habe mir schon einen Grund zurechtgelegt«, sagte Malik.

Der Hauptmann blieb stehen und blickte ihn fragend an.

»Sklaven«, fuhr Malik fort.

»Sklaven?«

»Ja. Es könnte doch sein, daß der Targi, der heute früh weitergeritten ist, mir von Sklavenhändlern erzählt hat, die mit einer Karawane durch unser Gebiet ziehen.

Der Sklavenhandel hat ja tatsächlich wieder auf alarmierende Weise zugenommen.«

»Das weiß ich. Aber die Sklavenhändler ziehen in Richtung Rotes Meer und versorgen die Länder, in denen Sklaverei noch nicht verboten ist.«

»Richtig«, stimmte ihm Malik bei. »Aber was hindert uns daran, einer Meldung nachzugehen und später zu behaupten, es sei eine Falschmeldung gewesen?« Er lächelte spöttisch. »Wir könnten dann sogar erwarten, daß man uns für unseren Eifer und unsere Einsatzbereitschaft lobt.«

Sie betraten die Schreibstube, einen großen Raum, in dem es nur zwei Schreibtische gab. Schon zu dieser morgendlichen Stunde war es in der Baracke drückend heiß. Der Hauptmann ging geradewegs auf eine große Landkarte des Militärbezirks zu, die die ganze hintere Wand bedeckte.

»Manchmal frage ich mich, wie sie dich überhaupt schnappen und in diese gottverlassene Gegend versetzen konnten, wo du doch so schlau bist... Wo willst du mit der Suche anfangen?«

Malik wies ohne Zögern auf einen großen, gelblichen Fleck, in dessen Mitte sich eine schneeweiße Fläche befand. Dort gab es nicht die geringste Spur von einem Weg, einem Kamelpfad, einem Brunnen oder gar einer menschlichen Siedlung.

»Hier, genau in der Mitte von Tikdabra. Logischerweise hätte die Karawane südlich an Tikdabra vorbei gemußt, aber falls sie vom Weg abgekommen ist und sich weiter im Norden zwischen den Dünen verirrt hat, muß sie zwangsläufig irgendwann auf dieses >Land der Leere< gestoßen sein - und dann war es zum Umkehren zu spät. Die Anführer der Karawane konnten nur noch versuchen, die Brunnen von Moulay-el-Akbar zu erreichen. Aber sie haben es nicht geschafft.«

»Das ist nichts weiter als eine Theorie. Genausogut könnte sich die Karawane woanders befinden.«

»Mag sein, aber sie ist nicht woanders! Jahrelang ist die Gegend südlich von Tikdabra durchkämmt worden, und danach hat man sogar im Osten und schließlich im Westen gesucht. An Tikdabra selbst hat sich noch niemand herangetraut. Das heißt:

Niemand von denen, die es versucht haben, ist zurückgekehrt.«

Der Hauptmann stellte eine überschlägige Rechnung auf: »Das Gebiet ist über fünfhundert Kilometer lang und dreihundert Kilometer breit. Es besteht aus Dünen und tischebenen Landstrichen. Es wäre wohl leichter, einen Floh in einer ganzen Herde von Reitkamelen zu finden!«

Maliks Antwort konnte nicht deutlicher sein: »Ich habe elf Jahre Zeit zum Suchen.«

Der Hauptmann ließ sich in einen wackeligen, mit Gazellenleder bezogenen Sessel fallen, kramte nach einer Zigarette, zündete sie in aller Ruhe an und starrte auf die Landkarte, die er längst auswendig kannte, denn sie hatte schon an jenem Tag dort gehangen, an dem er hier eintraf. Er kannte die Wüste und wußte deshalb, was es bedeutete, sich in einen erg wie Tikdabra hineinzuwagen. Ein solches Gebiet bestand aus einer ununterbrochenen Folge sehr hoher und langgestreckter Wanderdünen, die den gigantischen Wellen eines stürmischen Meeres ähnelten.

Ständig mußten Männer und Kamele darauf gefaßt sein, bis zur Brust in trügerischem Treibsand zu versinken. Diese Dünen bildeten jedoch nur eine Art Schutzwall um ein scheinbar grenzenloses, tischebenes Land, das Tag für Tag in der sengenden Sonne flimmerte. Ein Mensch konnte dort im grellen Licht kaum etwas sehen. Die Hitze war so groß, daß das Atmen schwerfiel und das Blut von Mensch und Tier fast zu kochen begann.

»Nicht einmal eine Eidechse kann dort überleben«, murmelte der Hauptmann schließlich. »Jeder, der bereit ist, dir dorthin zu folgen, hat eindeutig den Wüstenkoller! Mir kann es nur recht sein, wenn du mir solche Leute vom Hals schaffst.« Er öffnete einen kleinen Panzerschrank, der unmittelbar neben dem Schreibtisch im Fußboden eingemauert und normalerweise unter ein paar losen Brettern verborgen war, griff hinein, zog ein Bündel Geldscheine heraus und zählte sie. Dann sagte er kopfschüttelnd: »Die Kamele wirst du wohl bei den Beduinen beschlagnahmen müssen. Es ist nicht genug Geld da, und unsere Kamele kann ich dir nicht geben.«

»Mubarrak wird mir helfen, welche zu beschaffen«, erwiderte Malik und wandte sich zur Tür. »Wenn Sie nichts dagegen haben, rede ich jetzt mit den Männern.«

Der Hauptmann erwiderte Maliks Gruß mit einer lässigen Handbewegung. Er schloß den Safe, legte die Füße auf den Tisch, betrachtete lange stumm die Landkarte und lächelte kaum merklich. Offenbar freute er sich, daß er auf Maliks Vorschlag eingegangen war. Schlimmstenfalls würde er sechs Männer und einen Targi-Führer verlieren, von den Fahrzeugen einmal abgesehen. Aber niemand würde darüber von ihm Rechenschaft fordern, denn dergleichen galt in diesen Breitengraden fast als normal. Viele Patrouillen waren schon auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Ein Fehler des Anführers, eine Motorpanne oder eine gebrochene Achse reichten aus, um aus einer Routinefahrt eine heillose Tragödie zu machen. Damit rechnete man wohl sogar, denn warum sonst hätte man aus den Garnisonen und Gefängnissen des Landes den schlimmsten Abschaum ausgerechnet nach Adoras geschickt? Eigentlich hätte keiner dieser Männer lebend in die Zivilisation zurückkehren dürfen, denn die Gesellschaft hatte sie für immer verstoßen und war nicht bereit, sie wieder in ihren Schoß aufzunehmen. Es störte deshalb niemanden, daß diese Verbrecher sich gegenseitig bei Messerstechereien umbrachten, an Fieber starben, bei routinemäßigen Patrouillen umkamen oder auf der Jagd nach einem sagenumwobenen Schatz für immer verschwanden. Die Große Karawane gab es wirklich, irgendwo dort unten im Süden - darin waren sich alle einig. Sie konnte sich ja nicht einfach in Luft aufgelöst haben. Der kostbarste Teil ihrer Ladung würde sicher unbeschadet viele Jahre, nein, Jahrhunderte überdauern. Mit nur einem winzigen Teil dieses Schatzes könnte er, Hauptmann Kaleb-el-Fasi, Adoras für alle Zeiten den Rücken kehren und sich wieder in Frankreich niederlassen, beispielsweise in Cannes, wo er im Hotel Majestic mit einer hübschen Verkäuferin aus einer Boutique in der Rue d’Antibes ein so schönes Leben geführt hatte. Am Ende hatte er der Kleinen versprochen, daß er eines Tages kommen und sie holen würde, aber seitdem waren Jahre vergangen.

Damals hatten sie am frühen Nachmittag immer die großen Fenster geöffnet, von denen aus man den Swimmingpool, die Croisette und den Strand überblicken konnte. Sie hatten sich geliebt, bis es dunkel wurde, und waren dann irgendwo essen gegangen, ins Moulin de Mougens, El Oasis oder Chez Felix. Die Krönung des Abends war stets ein Casinobesuch gewesen, bei dem sie immer nur auf die Zahl Acht setzten.

Der Preis, den er für jene Tage bezahlen mußte, war hoch, seiner Meinung nach zu hoch. Das Schlimmste waren wohl nicht die Wüste, die Hitze und die Eintönigkeit, sondern die Erinnerungen und die Gewißheit, daß er, sofern er überhaupt lebend aus Adoras herauskäme, nicht mehr in der Lage sein würde, die Hotels, Restaurants und Mädchen von Cannes wie damals zu genießen.

In seine Erinnerungen versunken, saß er da. Es machte ihm nichts aus, daß ihm der Schweiß über den ganzen Körper lief, während sich die Temperatur in der Baracke zur Backofenhitze steigerte. Bald würde eine Ordonnanz mit einer Schüssel viel zu fetten Kuskus’ kommen. Tag für Tag verzehrte er diese Mahlzeit ohne Appetit und spülte jeden Bissen mit lauwarmem, trübem und leicht brackigem Wasser hinunter.

An dieses Wasser hatte er sich auch nach so langer Zeit noch nicht gewöhnt. Noch immer bekam er davon Durchfall, obwohl er es schon seit Jahren trank... Später, als die Sonne schon senkrecht am Himmel stand und so gnadenlos herabbrannte, daß keine Fliege mehr einen Flügel bewegte, durchquerte der Hauptmann langsam den verlassen daliegenden Palmenhain und suchte dann wieder Zuflucht in seiner Baracke; tagsüber ließ er die Tür und alle Fenster weit offenstehen, damit ihm auch nicht der leiseste Lufthauch entging. Dies war die Stunde der gaila, der geheiligten Siesta in der Wüste. Während der vier heißesten Stunden des Tages nämlich waren die Menschen - und auch die Tiere - gezwungen, sich reglos im Schatten aufzuhalten, sonst liefen sie Gefahr, zuviel Wasser auszuschwitzen oder von einem Hitzschlag niedergestreckt zu werden. Die Soldaten schliefen schon in ihren Unterkünften.

Nur ein einziger Wachtposten hielt sich unter einem Sonnendach aus Zweigen mühsam auf den Beinen. Um nicht gänzlich einzuschlafen, strengte der Mann sich an, die Augen einen Spaltbreit offen zu halten, gerade weit genug, damit das von den weißen Dünen zurückgeworfene Sonnenlicht ihn nicht vorübergehend erblinden ließ.

Eine Stunde später hätte man glauben können, die Garnison von Adoras sei ausgestorben. Die Quecksilbersäule des Thermometers, das in der Sonne gewiß geplatzt wäre, blieb gefährlich dicht unter dem 50-Grad-Strich stehen. Da sich kein Lüftchen regte, wirkten die Palmwedel so leblos und starr, als wären sie nicht echt, sondern an den Himmel gemalt.

Mit weit aufgerissenen Mündern, die Gesichter von Schweiß bedeckt, lagen die Soldaten in verrenkten, unnatürlichen Posen wie zerbrochene Gliederpuppen in dieser höllischen Bruthitze und schnarchten. Sie hatten nicht einmal die Kraft, die Fliegen zu verscheuchen, die sich auf der Suche nach ein wenig Feuchtigkeit sogar auf ihre Zungen setzten. Jemand sagte etwas mit lauter Stimme im Schlaf. Es klang fast wie eine Klage. Ein Korporal wachte auf und fuhr mit vor Schreck geweiteten Augen hoch. Sekundenlang hatte er das furchtbare Gefühl, ersticken zu müssen, denn seine Lungen weigerten sich, die heiße Luft einzuatmen.

Ein spindeldürrer Schwarzer, der schlaflos in einer Ecke kauerte, glotzte den Korporal starr an, bis der sich wieder beruhigt hatte. Dann schloß auch der Schwarze die Augen, aber er schlief nicht. In seinem Kopf überstürzten sich die Gedanken, seit der Sergeant ihn in das große Geheimnis eingeweiht hatte: In vier Tagen sollte das verrückte Abenteuer beginnen, das darin bestand, sich auf der Suche nach einer verschollenen Karawane in das unwirtlichste Gebiet der Welt vorzuwagen. Wahrscheinlich würde niemand mit dem Leben davonkommen, aber war das nicht besser, als ein Leben lang Sand zu schaufeln, bis man eines Tages selbst von den anderen im Sand verscharrt wurde?

Auch Hauptmann Kaleb-el-Fasi schnarchte leise in seiner Baracke. Vielleicht träumte er von der verirrten Karawane und ihrem Schatz. Jedenfalls schlief er so fest, daß er nicht aufwachte, als sich sekundenlang die Gestalt eines hochgewachsenen Menschen in der offenen Tür abhob, um gleich darauf ohne das leiseste Geräusch zu dem Feldbett zu huschen. Der Unbekannte lehnte sein altes, schweres Gewehr, ein Erinnerungsstück aus der Zeit des se-nottssf-Aufstandes gegen die Franzosen und Italiener, an die Wand und zog eine lange, scharfe gumia aus dem Gürtel. Als die Spitze des Dolches die Kehle des Hauptmanns berührte, ließ sich Gacel Sayah auf den Rand der Strohmatratze sinken, hielt dem Schlafenden mit einer Hand den Mund zu und verstärkte zugleich den Druck der Waffe.

Die rechte Hand des Hauptmanns griff reflexartig nach dem Revolver, der immer neben dem Bett auf dem Fußboden lag, doch der Targi schob ihn in aller Ruhe mit dem Fuß fort. Dann beugte er sich über den Liegenden und flüsterte mit heiserer Stimme:

»Wenn du schreist, schneide ich dir die Kehle durch! Hast du verstanden?«

Er wartete ab, bis der andere ihm zu verstehen gab, daß er begriffen hatte. Gacel sah, wie der Hauptmann tief Luft holte, aber er dachte nicht daran, den Druck des Dolches zu verringern. Ein dünnes Rinnsal aus Blut lief über den Hals des zu Tode erschrockenen Offiziers und vermischte sich mit dem Schweiß, der in Strömen floß.

»Weißt du, wer ich bin?«

Der Hauptmann nickte kaum merklich.

»Warum hast du meinen Gast umgebracht?«

Der Hauptmann schluckte, dann riß er sich zusammen und flüsterte tonlos: »Ich hatte meine Befehle, strenge Befehle! Den Jüngeren der beiden sollten wir umbringen, aber den Alten nicht.«

»Warum?«

»Ich weiß es nicht.«

Die Spitze des Dolches drang ein Stück tiefer in die Kehle ein.

»Warum?« fragte der Targi noch einmal.

»Ich weiß es nicht, das schwöre ich!« antwortete der Hauptmann fast schluchzend.

»Man erteilt mir Befehle, und ich muß sie befolgen. Es bleibt mir nichts anderes

übrig, als zu gehorchen!«

»Wer gab dir den Befehl?«

»Der Gouverneur der Provinz.«

»Wie heißt er?«

»Hassan-ben-Koufra.«

»Wo wohnt er?«

»In El-Akab.«

»Und der andere, der Alte? Wo ist er jetzt?«

»Wie soll ich das wissen? Sie haben ihn mitgenommen, das ist alles.«

»Warum?«

Hauptmann Kaleb-el-Fasi antwortete nicht. Vielleicht begriff er, daß er schon zuviel gesagt hatte, vielleicht gab er das Spiel schon verloren, oder vielleicht kannte er die Antwort wirklich nicht. Verzweifelt überlegte er, wie er den Eindringling, aus dessen Augen unerbittliche Härte sprach, loswerden könnte. Wo zum Teufel bleiben meine Männer? Warum kommt mir niemand zu Hilfe? fragte sich der Hauptmann.

Der Targi verlor die Geduld. Er verstärkte den Druck seines Dolches. Mit der anderen Hand drückte er dem Offizier die Kehle zu, bevor dieser vor Schmerz laut aufschreien konnte.

»Wer ist der alte Mann?« fragte Gacel flüsternd. »Und warum haben sie ihn mitgenommen?«

»Er heißt Abdul-el-Kebir.« Dies sagte der Hauptmann mit einer Stimme, als wäre nun alles gesagt, aber er wußte, daß der Name dem Targi nichts bedeutete. Gacel blickte ihn fragend an. Er wartete offenbar auf eine Erklärung.

»Du weißt nicht, wer Abdul-el-Kebir ist?«

»Ich habe noch nie von ihm gehört.«

»Er ist ein Mörder, ein schmutziger Verbrecher! Und du setzt für ihn dein Leben aufs Spiel!«

»Er war mein Gast.«

»Das ändert nichts daran, daß er ein Mörder ist.«

»Ein Mörder, der bei mir zu Gast war!« Gacel machte eine rasche Bewegung mit dem Handgelenk und trennte die Halsschlagader mit einem sauberen Schnitt durch.

Er sah zu, wie der Hauptmann sich im Todeskampf aufbäumte. Dann wischte er sich die Hände an dem schmutzigen Laken ab, ergriff den Revolver und das Gewehr, ging zur Tür und spähte ins Freie.

Der Wachtposten stand noch immer an derselben Stelle und kämpfte mit dem Schlaf. Kein Lüftchen regte sich in der Oase. Alles wirkte wie ausgestorben.

Gacel schlich von Palme zu Palme, erreichte die vorderste Düne und kletterte rasch den sandigen Abhang hinauf. Fünf Minuten später war er verschwunden, als hätte ihn der Erdboden verschluckt.

Es war schon spät am Nachmittag, als Sergeant Malik-el-Haideri die Leiche des

Hauptmanns entdeckte.

Sein fast hysterisches Geschrei war überall in der Oase zu hören und bewirkte, daß die Männer ihre Schaufeln fallen ließen und zu der kleinen Baracke rannten, aber Malik machte dem Gedränge ein Ende, indem er die Soldaten mit Fußtritten ins Freie beförderte.

Als er endlich allein war, setzte er sich neben der Leiche und der von Fliegen bedeckten Blutlache auf einen Hocker und verfluchte sein Pech. Hätte der Hundesohn, der das getan hatte, nicht noch vier Tage warten können!

Er empfand keine Trauer und auch nicht den leisesten Anflug von Mitgefühl für den Hauptmann, den - seiner Meinung nach - schlimmsten aller Hundesöhne.

Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß sie beide Seite an Seite so viele Jahre

in dieser Hölle verbracht und von Zeit zu Zeit sogar fast so etwas wie ein zusammenhängendes Gespräch geführt hatten. Malik war felsenfest davon überzeugt, daß Hauptmann Kaleb-el-Fasi den Tod verdient hatte, und es wäre ihm egal gewesen, wo ihn dieser Tod ereilte, nur nicht hier und ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt. Jetzt würde man ihm einen neuen Kommandanten vor die Nase setzen, einen, der nicht besser oder schlechter war, sondern einfach nur anders. Sicher dauerte es wieder Jahre, bis er den Neuen gründlich durchschaute, seine schwachen Punkte erkannte und so zu seinen eigenen Zwecken einsetzen konnte, wie es ihm bei Kaleb-el-Fasi schließlich gelungen war.

Malik dachte besorgt an die Ermittlungen der Mordkommission, die sicherlich sehr langwierig sein würden. Nicht einmal er selbst hätte zu sagen gewußt, wer der Mörder war, obwohl er die wilden Gesellen, die sich jetzt keine fünf Schritte von der Tür der Baracke entfernt die Köpfe heißredeten, besser kannte als jeder andere.

Jeder von ihnen konnte der Mörder sein. Vielleicht wird man sogar mich selbst verdächtigen, sagte sich Malik. Schließlich hatte er nicht weniger Grund gehabt als die anderen, dem Menschen den Tod zu wünschen, der seinen Untergebenen das Leben so schwergemacht hatte.

Er mußte unbedingt den Täter finden, bevor sich jemand in die Angelegenheit einschaltete. Ja, es kam darauf an, den Fall schleunigst zu lösen, wenn er Scherereien vermeiden wollte! Malik schloß die Augen und ging im Geiste den Kreis der Verdächtigen durch. Als er damit fertig war, ergriff ihn ein Gefühl tiefster Niedergeschlagenheit. Die Zahl derjenigen, die mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit unschuldig waren, betrug nicht einmal ein Dutzend. Jeder andere hätte dem Hauptmann mit dem größten Vergnügen die Kehle durchgeschnitten.

»Moulay!« brüllte Malik.

Ein riesiger, grobschlächtiger Kerl trat ins Zimmer. Er wirkte blaß, unbeholfen und furchtsam. Dicht bei der Tür blieb er stehen und rührte sich nicht. »Zu Be-befehl, Sersergeant!« stammelte er.

»Du hattest Wache, als es passierte?«

»Ja-jawohl, Sergeant!«

»Und du hast niemanden gesehen?«

»Ich muß wohl für ein paar Augenblicke im Stehen eingeschlafen sein.« Die Stimme des riesigen Kerls wurde fast zu einem Schluchzen. »Wer hätte auch gedacht, daß jemand mitten am Tag ...?«

»Du bestimmt nicht! Wahrscheinlich wirst du dafür an die Wand gestellt! Wenn du nicht den Täter findest, wird man dich verantwortlich machen!«

Moulay schluckte, holte tief Luft und hob flehend die Arme. »Aber ich war es nicht! Warum hätte ich so etwas tun sollen? Wir wollten doch in vier Tagen aufbrechen und nach dieser Karawane suchen!«

»Wenn du noch einmal die Karawane erwähnst, werde ich persönlich dafür sorgen, daß du an die Wand gestellt wirst! Und ich würde abstreiten, jemals mit dir darüber gesprochen zu haben. Wem wird man wohl mehr glauben -dir oder mir?«

»Verstehe«, gab Moulay klein bei. »Es soll nicht wieder vorkommen. Ich wollte ja nur sagen, daß ich einer von den wenigen bin, die ein Interesse daran hatten, daß dem Hauptmann nichts passierte.«

Sergeant Malik-el-Haideri stand auf, nahm ein Päckchen Zigaretten vom Tisch, das dem Toten gehört hatte, und zündete sich eine an. Das schwere silberne Feuerzeug steckte er seelenruhig in die Tasche.

»Was du sagst, ist richtig«, meinte er. »Sogar sehr richtig, aber es stimmt auch, daß du Wache hattest. Es war deine Pflicht, auf jeden zu schießen, der sich dieser Baracke näherte. Verdammt! Wenn ich den Kerl erwische, ziehe ich ihm das Fell bei lebendigem Leib über die Ohren, das schwöre ich dir!«

Malik warf einen letzten Blick auf die Leiche. Dann wandte er sich um und ging hinaus. Vor der Tür blieb er im Schatten stehen und ließ seinen Blick über die Gesichter der Soldaten wandern. Keiner fehlte.

»Hört zu!« sagte Malik. »Wir müssen diese Angelegenheit unter uns ausmachen, sonst schickt man uns ein paar Offiziere, die uns das Leben noch schwerer machen.

Moulay hatte Wache, aber ich glaube nicht, daß er es war. Alle anderen schliefen angeblich in der großen Baracke. Oder war einer von euch draußen?«

Die Soldaten blickten sich an, als verdächtigten sie sich gegenseitig. Ihnen war klar, was hier auf dem Spiel stand, und die Möglichkeit, daß man eine Untersuchungskommission schicken könnte, machte ihnen Angst.

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