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Читать книгу: «Adams Söhne», страница 24

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VIII. Kapitel

Am andern Morgen klopfte Marie an Bertholds Tür – Wittekind war schon ausgegangen – und trat mit ihrem herzlich grüßenden Lächeln ein. Es schien wirklich die Sonne; nach einer windigen Regennacht war sie durchgebrochen und sog an dem Gewölk, das von den Bergen kam und von der Erde dampfte. Berthold saß aufrecht im Bett; er schien zu sinnen, es spielte etwas um seine Lippen, seine Augen glänzten. Marie gab ihm die Hand, dann trat sie wieder zurück und sah ihn verwundert an.

»Was ist mit Ihnen gescheh’n?« fragte sie. »Sie haben doch nicht wieder —?«

»Was?«

»Das Gebot übertreten? Geschrieben?«

»O nein«, erwiderte er.

»Was haben Sie denn? Sie sehen so aus wie ein Bild vom Apostel Johannes, das ich einmal sah: wie er sich anschickt, sein Evangelium zu schreiben. Leider muss ich hinzusetzen«, fuhr sie lächelnd fort, »das Bild war nicht gut.«

Er blickte nur auf, und schwieg.

Marie schüttelte den Kopf.

»Jetzt bemerk’ ich aber«, sagte sie, »Ihre Augen sind heiß – und die Ränder so rot. Was heißt das? Haben Sie nicht geschlafen?«

»Geschlafen?« erwiderte er.

»Ja, geschlafen. Ihre erste Pflicht. Und dann – — Sündigen Sie schon wieder? Phantasieren Sie?«

»Phantasieren?«

»Ja. Was machen Sie? Sie antworten ja so wie die Bösewichter in den Trauerspielen. ›Geschlafen‹? ›Phantasieren‹? – Wollen Sie wohl artig sein? Woran denken Sie?«

»Beste Frau Marie!« sagte er zögernd, indem er die leuchtenden, ernsten, verklärten Augen auf sie heftete.

»Nun, was?«

»Wollen Sie mir noch einmal – —«

Er stockte.

»Ist es so schlimm«, fragte sie, »dass Sie’s nicht sagen können?«

»Nein; es ist nicht schlimm. Wollen Sie mir noch einmal die Liebe tun – wie gestern – und auf die kleinen Blätter in dem Buch da schreiben, was ich Ihnen vorsage?«

»Wieder ein Märchen?« —

»Ja. – Aber kurz; sehr kurz!«

»Sie machen mich böse, Berthold«, sagte Marie, indem sie mit ihren Fingern wiederholt auf das Tischchen schlug. »Schreiben will ich gern; aber Sie sollen Ihr Gehirn nicht aufregen, Sie sollen ihm Ruhe lassen, sollen sich langweilen, dumm sein – statt dessen ›dichten‹ Sie. Gestern schrieb ich es auf, damit Sie es nur loswürden; Sie haben aber Blut geleckt, wie ich sehe. Was fällt Ihnen nur ein? Sie haben so lange leben können, ohne Märchen zu dichten; wie kommen Sie auf einmal zu dem bösen Laster, ohne dass irgendjemand Sie drum gebeten hat?«

»Es ist das letzte Mal«, erwiderte er lächelnd; von ihren herzlichen Vorwürfen entzückt, während ihre Heiterkeit ihn im Stillen schmerzte. »Wenn ich Ihnen mein Wort gebe, dass es das letzte Mal ist – und ich kann es geben – wollen Sie dann noch einmal gut sein und die Feder nehmen, damit ich es ›loswerde‹?«

Sie zuckte die Achseln; dann nahm sie Tintenfass und Stahlfeder von seinem Schreibpult, das am Fenster stand, und setzte sich zu ihm an das Tischchen.

»Der Bleistift ist ein Krüppel«, sagte sie. »Die Blätter da reichen noch, wenn Sie’s gnädig machen. Also fangen Sie an!«

Berthold dankte ihr durch einen warmen, verschleierten Blick; seine Brust hob sich zu mehreren langen, leicht erzitternden Atemzügen, und er begann:

»Prinzessin Sternauge.«

»Ist das die Überschrift?« fragte sie.

Er nickte. – Sie schrieb es hin.

»In einem Lande, das ihr nicht kennt«, fuhr Berthold mit allmählich wachsender, festerer Stimme fort, »galt der Sohn des Königs für den glücklichsten Menschen, glücklicher als der König selbst, weil er Prinzessin Sternauge zur Frau hatte; so ward die junge Prinzessin genannt, weil das Schönste an ihr die großen, himmlisch leuchtenden Augen waren, die die Dichter mit nichts zu vergleichen wussten als mit den himmlischen Sternen. Wie die Menschen sind, litt es ihn aber doch nicht lange bei seinem Glück; er zog auf eine Meerfahrt aus in die fernsten Länder, wo er den größten Ruhm und damit das größte Glück zu finden hoffte. Jahr und Tag verging, und er kam nicht wieder. Als der alte König merkte, dass sein Sohn spurlos verschollen sei, da beschloss er, Sternauge sollte die Seinige werden, und wenn nicht aus freiem Willen, dann mit Gewalt; denn sie gefiel ihm mehr, als recht war. Die Prinzessin aber, vor der Sünde fliehend, entkam bei Nacht und Nebel aus dem Königsschloss, und floh in den Wald, und immer weiter, bis sie aus dem Lande war; sie hatte ihre fürstlichen Kleider abgelegt, ihre zarte Haut gefärbt, und nur den Sternenglanz ihrer Augen konnte sie nicht ablegen. So kam sie endlich zu einer einsamen Burg, in der ein edler, trefflicher Ritter wohnte;·dessen junger Sohn war kampfeswund und lag schwer danieder. Da half Sternauge ihn pflegen —«

Frau Marie hielt inne.

»Warum schreiben Sie nicht weiter?« fragte Berthold, so gleichmütig wie er konnte.

Sie zog ihre Stirn zusammen.

»Wenn das Märchen etwa – töricht wird«, sagte sie nach einem kurzen Zögern, »so missbrauchen Sie meine Freundlichkeit.«

Der arme Jüngling erblasste.

»Töricht wird es nicht«, erwiderte er, auf seine Decke blickend. »Glauben Sie mir das. Wie schlecht wär’ ich dann!«

»So verzeihen Sie«, sagte sie stockend. Sie hob die Feder, wie um den Gekränkten wieder gut zu machen. »Ich dachte nur … Also wie sagten Sie? ›Da half‹…« —

»Da half Sternauge ihn pflegen«, diktierte Berthold weiter; »und niemand in der Burg ahnte, dass sie eines Prinzen Frau, oder vielmehr seine Witwe sei: denn eines Tages erfuhr sie hier, Prinz Schönhaar, ihr Gatte, sei im Meerkrieg gefallen. Sie trauerte still; es stand aber in den Sternen geschrieben, dass überall Vater und Sohn ihr Herz an sie hängen sollten, und so geschah es auch hier mit dem Ritter und seinem Sohn.« —

Sie hielt wieder inne. Eine lebhafte Röte stieg in ihr Gesicht. Sie blickte forschend zu Berthold auf. Der bezwang sich aber, und ruhig mit der Hand über seine Decke streichend erwiderte er ihren Blick, als sänne er nur weiter.

Sie fuhr fort, zu schreiben.

»Und Sternauge merkte wohl, dass der Sohn sie lieb hatte, denn sein junges Herz, das leicht zu entzünden war und auch leicht zu heilen, flog wie ein tändelnder Schmetterling um sie her; aber der Vater verbarg seine heiße Liebe tief in seiner Brust, und sie merkte nichts. Eines Tages aber entdeckte der Sohn —«

Berthold stockte selbst. Die Brust zog sich ihm mehr und mehr zusammen. Eine Art von Angst hatte ihn befallen.

»Nun?« fragte Marie, nachdem sie geschrieben hatte.

»Eines Tages aber entdeckte der Sohn —«

›Bin ich denn feig’?‹ dachte er, und drückte einen Daumen gegen seine Brust. Mit einem leisen Beben fuhr er fort: »Entdeckte der Sohn, dass auch der Vater sie liebte; und als sie wieder an seinem Lager saß, da fasste er sich ein Herz, und überwand seine Liebe, und sah sie bittend an und sagte: Vergib mir, wenn ich offen zu dir rede! Siehe, ich weiß, mein Vater hängt an dir —«

Mariens Hand lag auf dem Blatt, mit der Feder, ohne sich zu regen. Berthold sah aber nicht mehr hin, ob sie schrieb oder nicht. Er tat, als hörte er nicht, dass die Feder schwieg; die Augen auf seinen Arm geheftet sprach er immer weiter:

»Und er, der beste Mann, verdient auch die beste Frau! Aber er sagt es dir nicht, dass sein Herz dich liebt, um seines Sohnes willen; und er wird nichts sagen, und du wirst wieder weiterzieh’n, und er wird in Kummer vergeh’n. Darum muss ich es dir sagen – der ich mein Glück und mein Leben lasse für meinen Vater…«

Indem ihm die Stimme zu versagen anfing, sah er auch, dass Marie aufgestanden war, und verstummte plötzlich.

Sie war bis in die Lippen blass geworden, ihre Brust hob sich heftig, der Kopf bewegte sich mit.

»Berthold!« stieß sie hervor, einen Arm gegen ihn wendend, als wolle sie ihn damit zum Schweigen bringen. Als sie nun sein stummes Gesicht und sein erschütterndes Lächeln sah, ging sie langsam zurück, schloss die Augen, blieb steh’n und hielt eine Hand mit der andern.

»Frau Marie!« stammelte er. »Hab’ ich Ihnen wehgetan Hab’ ich Sie gekränkt?«

»Ach, was läge daran«, murmelte sie. Ihre Augen blieben geschlossen. »Aber es ist ja nicht wahr. Der Vater, von dem Sie reden —«

Sie brach ab, und schüttelte nur den Kopf.

»Sie meinen, der liebt Sie nicht?« erwiderte Berthold, dem ihre elende Blässe Mut machte. »Weil er’s nicht sagt? Weil er’s Ihnen nicht zeigt?«

»Sie sind ein Kind«, murmelte sie. »Weil – weil es längst vorbei ist. So, nun wissen Sie’s.«

»Was ist längst vorbei? – Ich verstehe Sie nicht. Wenn mein Vater schon früher – so ist nichts vorbei. Er zeigt’s Ihnen nur nicht. Ich muss Ihnen alles sagen, sonst vergeh’ ich. Gestern Abend hatte er ›Mariellis‹ gelesen, er war eingeschlafen, auf seinem Tisch fand ich Verse, die er geschrieben hatte; – ich werde sie Ihnen sagen…«

Er wusste sie genau; wie oft hatte er sie sich in dieser Nacht wiederholt. Marie hörte die Verse; ihre· geöffneten Augen starrten Berthold ungläubig an.

»Das hat er —?« fragte sie.

»O Frau Marie!« erwiderte er, der mit dem Kopfe nickte; »ich hab’s nicht gewusst! Und da lag ich nun die ganze Nacht. Wie fang’ ich’s an, dacht’ ich; es ist meine Pflicht! – Denn Sie kennen ihn nicht: er würde ja sterben, eh’ er etwas sagte. Warum? Weil er mir nicht wehtun will; weil er denkt, dass ich – — Aber das ist nicht mehr. Glauben Sie mir. Das war überhaupt nur so. – — Und vor allem, wer bin ich denn? Eben wagten Sie selber mir noch zu sagen: ›Sie sind ein Kind‹ … Während er, mein Vater, der beste, weiseste Mensch ist – so schlicht und so edel – ein Charakter – ein herrlicher. – — Aber Sie denken wohl, ich, sein Sohn, ich darf ihn nicht rühmen. Wozu auch? Entweder sind Sie ihm gut, oder Sie sind es nicht. Nur wie es in ihm aussieht, musst’ ich Ihnen sagen, das war meine Pflicht; und in der schlaflosen Nacht ist mir endlich der Gedanke gekommen, Ihnen durch dieses Märchen – — Und nun wissen Sie’s! Tun Sie nun, was Sie wollen – oder was Sie müssen!«

Er sah sie erwartend an; die Bangigkeit, was sie sagen werde, mischte sich auf seinem glühenden Gesicht mit der Seligkeit, das Seine getan, sich von der Last dieser Nacht erlöst zu haben. ›Ob ich sie wohl noch liebe?‹ fuhr ihm durch den Kopf. Er sah aber nur eine blasse, stille Frau, deren Not ihn rührte. Ein paar lange Tränen liefen ihr über die Wangen; er hätte gern sein Tuch genommen und sie ihr abgewischt. Dann freute ihn wieder, dass sie weinen konnte. Sie stand wohl Minuten lang, ohne sich zu rühren.

»Ja«, sagte sie endlich und blickte ihn an, – »Sie haben mir’s bewiesen.«

»Was hab’ ich bewiesen?«

»Was Sie mir damals sagten: ›ich werde doch noch ein Mann!‹ – Gleich an jenem selben Abend haben Sie’s gezeigt – da kostete es Sie beinahe das Leben – — und nun heute wieder. – Ich danke Ihnen, Berthold. Ich achte Sie sehr hoch. Geben Sie mir die Hand!«

Er ward rot und blass vor Glück; hätte sie ihm ihre Liebe erklärt, wer weiß, ob es ihn ganz so glücklich gemacht hätte. Er fühlte den Druck ihrer Hand; ›ich achte Sie sehr hoch!‹ wiederholte er sich in Gedanken und lächelte, ohne es zu wissen. Einen Augenblick durchfuhr es ihn, ihre Hand zu küssen; aber er verachtete diesen kindischen Gedanken, er drückte sie nur, wie sie die seine gedrückt hatte.

Dann strahlten seine großen, seelenvollen Augen sie mit männlicher Fassung an.

»Ich danke Ihnen auch«, sagte er leise. »Das vergess’ ich nie. – — Und – das andre?«

»Lassen Sie mich jetzt geh’n«, flüsterte sie. »Das andre – wird wohl kommen. Sagen Sie nichts mehr. Zu niemand. Warten Sie. Ich – kann nicht mehr. Liegen Sie still; haben Sie Geduld!«

IX. Kapitel

Berthold wartete mit viel Geduld, wie er glaubte; es ›kam‹ aber nichts, diesen ganzen Tag. Auch der folgende verging bis zum Abend, ohne dass irgendetwas sich ereignet hätte; der dritte Juli, der Jahrestag seiner ersten Begegnung mit Marie und Saltner, der Tag, an dem die verhängnisvolle Bekanntschaft mit Afinger begonnen, die ihn auf dieses Krankenlager geführt hatte. Seine Phantasie beschäftigte sich viel mit diesen Erinnerungen; aber seine Geduld schwand je mehr, je näher der Abend kam. Er hörte nur, der Namenstag des Alten solle wieder gefeiert werden; Kathi erschien einmal bei ihm, sehr geheimnisvoll – und verschwand ebenso. Frau Marie war wie sonst, als wäre nichts gescheh’n; gegen Abend verließ sie ihn, ohne zu sagen, wann sie wiederkomme. Sie teilte ihm nur mit, er müsse sich heute recht philosophisch fassen, da die ›Feier‹ im Garten vor sich gehen werde, den man von seinem Zimmer nicht sah, und da ihm der Arzt noch nicht erlaubt habe, in ein andres Zimmer zu geh’n; wenigstens nicht zu so später Stunde. Er lächelte; ihm lag auf der Zunge, zu sagen: ›ich verzichte gern, und auf noch viel mehr, wenn nur etwas anderes „käme“!‹ Aber er schwieg wie ein Mann, und sie ging.

Saltner und Wittekind wurden durch den kleinen Diener in den Garten gerufen; es dunkelte, am Fuß der ersten Terrasse waren aber lange Reihen von bunten Papierlaternen aufgehängt und die Lichter in ihnen angezündet, ein leichter Wind schaukelte sie. Näher dem Hause zu war eine große offene Laube mit Gebinden von Fichtenzweigen und Blumen und mit Fähnchen in allerlei Farben geschmückt; in diese wurden die Männer durch den kleinen Führer geleitet und eingeladen, auf bequemen Gartenstühlen Platz zu nehmen.

Marie fehlte noch; die alte Haushälterin hüstelte, an die Laube gelehnt. Auf Saltners Aufforderung setzte sie sich auch, bescheiden in zweiter Reihe. Auf der Terrasse vor ihnen war eine andere Laube ganz mit Brettern verschlagen und rechts und links durch einen Anbau vergrößert, an dem lange Tücher herunterhingen. Neben ihr hantierte ein dunkelbärtiger Mann geheimnisvoll mit allerlei Gerät, das in dem ungewissen Licht nicht zu erkennen war; er ging hin und her, stellte noch dies und das auf dem Rasen auf, und schien zuweilen durch einen Blick um Entschuldigung zu bitten, dass es noch nicht anfange.

Der Alte sah ihm lächelnd zu; endlich sagte er leise zu Wittekind:

»Diesen braven Mann kennen Sie ja wohl noch nicht. Das ist ein kleiner Bürger aus Salzburg, der nämliche, der es durchaus mit unsrer Kathi wagen will; und ich kann Ihnen nun sagen: heute sind sie einig geworden. In einigen Wochen ist Hochzeit. ’s ist ein guter Mann! Kathi ist so nach und nach an ihn angewachsen, und ich denke, nun rankt sie da fröhlich weiter. Er hat sie verteufelt gern. Aus Freude und Dankbarkeit hilft er ihr heute den ganzen Tag bei der Namensfeier; alles, was Sie da seh’n, hat er aufgebaut!«

»Da fällt mir ein«, sagte Wittekind, »ich hab’ neulich zufällig im Kalender geseh’n, dass der Heilige des dritten Juli der Eulogius ist; und Sie heißen doch Ulrich!«

»Ich heiße Ulrich und Eulogius«, entgegnete Saltner. »Hierzulande feiert man aber den Vorabend; so war’s auch auf der ›Gemse‹.«

Der Mann mit dem dunklen Bart, der Bräutigam, kam von der Terrasse herunter; Wittekind sah nun sein angenehmes, noch jugendliches Gesicht. Da er zu verstehen gab, dass er mit dem alten Herrn zu sprechen wünsche, stand dieser auf und ging mit ihm gegen das Haus zu. Es währte nicht lange, so kamen sie zurück. Während der andre wieder zur Terrasse ausstieg, neigte Saltner sein erregtes Gesicht zu Wittekind und sagte leise:

»Wissen Sie, was der Mann mir eben sagt? Er hat’s von einem Almbauern, der vom Untersberg und von Glanegg kommt. Die Mordkerle, die damals unsern Berthold – – na, kurz, die drei, die entwischt und in der ganzen Welt nicht zu finden waren, die man hier, in der Schweiz, in Amerika gesucht hat, die sollen die ganze Zeit oben auf dem Untersberg gesteckt haben; auf der bayrischen Seite: denn Sie wissen wohl, die Grenze geht quer über den Berg. Auf der Zehnkaser-Alp, beim Feuerbühel, da hätten sie als Holzknechte – oder Gott weiß, wie – Unterschlupf gefunden; das heißt, zwei auf der Alp, einer weiter unten. Da hat sie niemand gesucht. Jetzt sei man ihnen endlich auf die Spur gekommen – durch einen Jäger, heißt es – und da sie das gewittert und sich fortgemacht haben, sollen sie umstellt werden, wie Hochwild, von hüben und von drüben. Denn vom Untersberg, meint man, sind sie noch nicht fort!«

»Der Untersberg ist groß«, versetzte Wittekind, der in starker Bewegung gehorcht hatte.

»Nun, das will ich meinen! Aber wenn die ›Grenzer‹ von beiden Seiten, und – «

Der Alte ward durch ein starkes Zischen unterbrochen, dem ein Feuerschein folgte: die erste Rakete stieg über ihnen von der Terrasse auf, Kathis Verlobter hatte sie abgefeuert, zum Zeichen, dass das Fest seinen Anfang nehme. Sie rauschte hoch in die reine, bläulich dunkle Luft und löste sich knatternd in einzelne Funken auf, die im Fall erloschen.

Zwei andere Raketen sausten hinterdrein; darauf ging der Feuerwerker ein paar Schritte weiter und entzündete ein bengalisches Licht, das in mächtiger roter Flamme brannte.

»Aber wo bleibt Frau Marie?« fragte Wittekind erstaunt. »Sie ist ja noch nicht hier?«

»Das versteh’ ich so wenig, wie Sie«, sagte der Alte und sah nach dem Haus zurück. »Sie war auf ihr Zimmer gegangen.« –

Jetzt ließ sich eine Trompete hören, die mit einem gefährlichen Misston einsetzte, aber dann eine Fanfare tapfer zu Ende blies; gleich darauf öffnete sich der Vorhang, der den Anbau an der Laube auf der Terrasse bedeckte, und von dem roten Licht beschienen kam ein närrischer Zug hervor, lauter Zwergengestalten, mit großen Masken, an denen graue Bärte hingen. Sie gingen einer hinter dem andern über die Terrasse, mit den Köpfen wackelnd und nickend; jeder trug eine Fackel, der Vorderste und Größte hatte ein Krönlein auf dem Kopfe. In langsamem Schritt kamen sie dann herab und an den Zuschauern vorbei, vor denen sie mit feierlichem Ernst die Fackeln neigten. Einige der kleinen Kapuzen lüfteten sich aber ein wenig, und man konnte für einen Augenblick blondhaarige Kinderköpfchen seh’n, deren lustige Augen durch die Maskenlöcher blinzelten. Der Zug ging vorüber, jetzt von einem grünen Licht geisterhaft beleuchtet, das der Feuerwerker angezündet hatte. So wanderten sie mehrmals um die Laube herum; endlich blieben sie vor ihr steh’n, die beiden größeren Zwerge, die vorangingen, traten vor und machten vor Saltner eine tiefe Verbeugung.

Die Trompete blies wieder; die Bretterwand vor der Laube auf der Terrasse ging wie eine Doppeltür auseinander, und man sah einen Greis in einem langen, roten Gewand, eine Krone auf dem Kopf, an einem Tische sitzen.

Sein langer grauer Bart war – so nahm es sich aus – durch den Tisch gewachsen. Er hatte die Augen geschlossen. Langes graues Haar hing um sein Gesicht, das noch sonderbar jung und fein war; Wittekind stutzte und glaubte es zu erkennen. Jetzt fing aber der gekrönte Zwerg, indem er seine Fackel hob, zu sprechen an, und Wittekind horchte auf. Es war eine verstellte, hinuntergedrückte, und doch leicht zu erratende Stimme.

»Das ist ja die Kathi!« sagte Saltner lachend.

Der Zwerg blieb ernst und trug seine Verse vor; denn es war ein Gedicht, mit zum Teil gewagten Reimen, aber sonst nicht übel geformt. Etwas weniger pathetisch und ungeschickt als vor einem Jahr erzählte die Sprecherin, sie alle seien ›Männlein‹ aus dem Untersberg, die ihr Leben in der Gesellschaft des alten Kaisers zubrächten, der im ›Wunderberg‹ weiterträume; und eher könne der alte Herr nicht zur Ruhe kommen, als bis das Reich, das ihm aus der Hand gefallen und nach und nach elend abgestorben sei, wieder zu neuem Leben erwache. Die Männlein hätten gern ihrem guten Freund, dem ›Alten vom Berge‹ – der zierliche Zwerg deutete auf Saltner – zu seinem Namensfest die frohe Kunde gebracht, dass es im Reich wieder gut stehe; noch sehe er jedoch den Kaiser da drinnen an seinem Tische träumen. – —

Man sah ihn aber nicht mehr. Der ›Berg‹ hatte sich wieder geschlossen, während das Männlein sprach; eine emporsausende Rakete fiel ihm jetzt in die Rede, ein weißes Licht glühte auf, und die Bretterwand teilte sich von neuem.

Der Kaiser war verschwunden, sein Tisch desgleichen; wo er gesessen hatte, stand eine hohe, blondhaarige Frau, über ein langes rotes Gewand einen kurzen Panzer geworfen. Wittekind fuhr zusammen. Es war Marie. Er hatte nicht gedacht, dass sie so schön sein könne. Das Dunkel, vor dem sie stand, das phantastische Licht, das sie überglühte, die Höhe, aus der sie herabsah, das aufgelöst wallende Haar, auch wohl die Überraschung des Augenblicks, alles gab der Erscheinung etwas Überirdisches, Berückendes. Das Licht machte sie bleich, aber die Wangen glühten. Eine Weile stand sie so da; dann bewegte sie etwas ungeschickt den rechten Arm und begann zu sprechen. Die ersten Töne kamen ungelenk hervor, die Stimme schien sogar zu zittern; nach und nach ward sie frei, und dieser Alt, dessen edler Wohllaut den ahnungslosen Wittekind in Grödig noch vor ihrem Anblick entzückt hatte, schwebte in seiner beseelten Schönheit in die Nacht hinaus.

»Das ist natürlich die Germania!« flüsterte der Alte.

Er hatte Recht. Die hohe Frau verkündete den Männlein in Versen, dass der verzauberte Wunderberg nun zur Ruhe komme, dass der alte Kaiser seinen Frieden habe: denn sie, die wiedererstandene Germania, von einem neuen Kaiser beschirmt, glorreich unter den Völkern, habe ihm die Augen segnend zugedrückt.

»Nun habt ihr keinen Toten mehr zu hüten«, fuhr die Rede, doch in Reimen, fort: »nun könnt ihr euer ganzes Herz an den ›Alten vom Berge‹ hängen, euren liebsten Freund, der euch treu war wie keiner, der euren Berg so oft umkreiste, gleich des Kaisers Raben; und dem die Stärke, die Heldenkraft nie vergehen möge, die ihn auf eure Gipfel und in eure Schluchten führt. Mög’ er von da noch oft in die Lande schauen, die den Berg umgrenzen; einen Fuß auf österreichischem, den andern auf deutschem Grund, wie ein Bild des Bundes, den die Reiche, die Völker geschlossen haben, um Frieden und Freiheit zu wahren und die werdenden Gedanken des Menschengeistes zu schirmen!«

So ungefähr war die vom Vers getragene Anrede, die den Männlein und dem Alten galt; die ›Germania‹ trat dann aus dem ›Berg‹ hervor und stieg von der Terrasse herab. Ehe sie Saltner noch erreichte, kam er ihr entgegen, einige der Männlein sanft beiseite schiebend, und schloss sie in seine Arme, worüber die Zwerge zum Teil in ein lustiges Jauchzen ausbrachen.

»Kind!« sagte er gerührt, doch heiter. »Sie selbst feiern mit! Sie sind also auch die richtige Evastochter, die uns zum Besten haben, uns Komödie vorspielen kann. Sie als die Königin, die Göttin unter diesen Männlein!«

Marie warf einen Blick auf Wittekind, der daneben stand. Sie schien zu erwarten, was er sagen werde.

»Ich war auch der alte Kaiser«, erwiderte sie lächelnd, errötete aber, weil er schwieg.

»Und sie hat die Verse gemacht«, sagte Kathi, die ihre Maske abnahm und ihr liebes Gesicht aus der gekrönten Kapuze vorstreckte. Auch ihre Nachbarin enthüllte sich.

»Der Tausend!« rief Saltner aus. »Das ist die Wabi vom Mehlweg!«

»Zu dienen!« antwortete das Mädchen und nickte ihm verlegen herzlich zu. Alle Masken flogen herunter, es erschien ein Haufe von Kinderköpfen, von denen Saltner die meisten kannte. Es waren Kinder aus der Vorstadt, die er zu beschenken pflegte, oder deren sich Marie in ihrer stillen Weise angenommen hatte. Einige zupften mutwillig die Bärte von den Masken und klebten sie sich ans Kinn, so gut sie noch halten wollten; es war lauter Baumbart, den sie im Wald von Tannen und Fichtenästen gerupft hatten.

Auf einen Wink der Kathi stellten sie sich aber im Kreise vor dem Alten auf, und während die unsichtbare Trompete wieder einfiel, brachten sie dem Gefeierten ein hellstimmiges, zweimal wiederholtes Hoch aus. —

Saltner hielt sich scherzhaft die Ohren zu, als könne er die Gewalt dieser Stimmen nicht ertragen; dann trat er unter die Kinder und reichte jedem die Hand. Wittekind folgte ihm eine Weile mechanisch mit den Augen. Er vermied es, die Germania anzuseh’n, ohne deutlich zu fühlen, warum. Plötzlich litt es ihn hier nicht länger; die so lange bewahrte Ruhe verließ ihn, die Brust war ihm wie eingeschnürt, er erschrak vor sich selbst. Es legte sich ihm trüb vor die Augen; alle Fassung war hin; er wusste sich keine Rettung, als allein zu sein. Aus dieser Helle ging er auf das Dunkel zu; stieg dann im Garten aufwärts, bis der Schein der Fackeln ihn nicht mehr verfolgte, und blieb erst unter dem hochgewölbten Sonnenschirm steh’n, unter dem er Marie zuerst wiedergesehen hatte.

Er wusste nicht, was er hier wollte; er setzte sich auf den Platz, auf dem er sie damals hatte träumen seh’n. Salzburg lag jetzt dunkel in der bläulichen Nacht, der Strom war wie tot. So bleiern und grau wie das Wasser ruhte auch alles in ihm. Er hörte die Kinderstimmen von unten, glaubte auch Marie zu hören; sein Herz zog sich zusammen, er suchte sich auszurichten, hoffte aus den Tag, wo Berthold genesen sein und dieser Aufenthalt ein Ende nehmen werde.

›Es endet ja alles einmal!‹ dachte er. ›Gut und Schlimm vergeht!‹

»Ich will zu Berthold«, murmelte er endlich.

Als er aufsteh’n wollte, hielt ein leiser Schreck ihn fest: eine warme und weiche Hand legte sich auf die seine, zog sich aber nach flüchtiger Berührung wieder zurück. Marie stand neben ihm.

Sie war ohne Geräusch gekommen, oder in seiner tiefen Versonnenheit hatte er nichts gehört. Da er sich überrascht erhob, setzte sie sich nieder.

»War es Ihnen nicht recht«, fragte sie, indem sie nicht auf ihn, sondern auf seinen Stuhl blickte, »dass ich mitgespielt habe? Gingen Sie vorhin darum fort?«

»O nein«, entgegnete er.

Mit Widerstreben und Zögern entschloss er sich, seinen Platz wieder einzunehmen.

»Warum sollte es mir nicht recht sein?«

»Weil dieses – Trauerjahr noch nicht zu Ende ist. Es fehlt noch eine Woche, und mehr. Ich habe auch nicht gewollt! Dann aber dachte ich – gestern – meinem Vater Saltner zuliebe sollt’ ich es doch wohl tun; und ich wollte ihm und – und Ihnen zeigen, dass ich mich gebessert habe, dass ich nicht mehr so weltscheu bin – dass ich wieder lebe!«

»Tun Sie das?« antwortete er gepresst. »Das – freut mich.«

»Haben Sie es nicht gemerkt?« fragte sie und sah ihn wie verwundert an.

»Nicht gemerkt? – O doch. Gewiss. Sie sind seit einiger Zeit lebhafter, gesprächiger, heiterer geworden; Sie scherzen – Ihr Geist – — Kurz, es hat uns oft in Erstaunen gesetzt, wie Sie wieder aufblüh’n. Es – freut uns alle sehr. Ich wünsche Ihnen Glück dazu, und von ganzem Herzen!«

Er streifte sie mit einem Blick und ward sich nun erst bewusst, dass sie als Germania neben ihm saß, in dem roten Gewand und dem Panzerkleid. Die Nacht war nicht so dunkel, dass er diesen nachgemachten Metallglanz und das lang herunterwallende, gelblich blonde Haar nicht gesehen hätte. Das ernste Gesicht schien zu lächeln, als er es so befremdet anstarrte. Unten vom Hause her glühten die Fackeln herauf; bei ihrem Schein sah er eine lange Tafel, die im Garten gedeckt ward, offenbar für das junge Volk.

Die grauen und braunen Kleider der Männlein huschten hin und her. Alles, was Wittekind sah, machte ihm ein sonderbares Schmerzgefühl; er drückte die Zähne aufeinander und dachte: ›wär’ ich nur fort!‹

»Ich muss Ihnen sagen, wie es gekommen ist«, fing Marie nach einer kurzen Stille wieder an. »Mit dem merkwürdigen Abend begann es, an dem uns Saltner die ›Seelenwanderung‹ auseinandersetzte; – seinen Glauben konnt’ ich nicht teilen, und kann es auch heut’ noch nicht, aber was er zum Schluss von der Aufgabe, von der Pflicht unsres Lebens sagte, das ging mir so tief zu Herzen. Da beschloss ich schon – — In der andern Nacht aber kamen Sie heim mit Ihrem Sohn. Da fühlt’ ich auf einmal; ich muss! Es ist an mich gekommen! Und ich fing wieder an zu leben, denn ich wusste, wozu. ›Was ich tue‹, dacht’ ich, ›kann hier kein anderer tun, so wie ich es tue; und ich will nicht rasten; nie will ich mich schonen, nie will ich an mich denken: so kann ich vielleicht etwas sühnen von – nun, von meiner Schuld‹. – Ich glaube«, fuhr sie leiser fort, »ich hab’ auch gesühnt! Und ich sitze nun anders neben Ihnen, als damals; ich habe so ein sonderbares, närrisches Gefühl, als könnt’ ich Ihnen nun freier in die Augen seh’n, als hätt’ ich mir etwas zurückgenommen, das ich verloren hatte – das Bewusstsein nämlich – — etwas Selbstgefühl. Ich hab’ Ihren Sohn Ihnen retten helfen; – hab’ ich das nicht? Ach ja, es ist so, ich kann’s ruhig sagen. Ich überhebe mich nicht. Und das macht mich – so himmlisch froh. Und ich kann wieder leben!«

»Ja, ja«, murmelte er und stand auf.

»Wo geh’n Sie hin?« fragte sie betroffen, da er über die Terrasse ging.

»Verzeihen Sie«, sagte er. Mit einem Ruck blieb er steh’n und kam langsam, die innere Unruhe bezähmend, zurück. »Mir war nur so, als müsse ich einmal auf und nieder geh’n. – Es ist alles so gut und schön – was Sie mir da sagen. – Warum sagen Sie es mir?«

»Warum ich es Ihnen sage?« —

Sie blickte in die Tiefe. Das lange, wellige Haar legte sich ihr auf die Wangen.

»Weil ich bei allem, was mir geschieht, an Sie denke. Weil ich auch das alles heute Abend getan habe, um Ihnen zu zeigen – —«

Sie schwieg.

Zögernd antwortete er:

»Ich verstehe nicht. Was Sie heute Abend getan haben, war doch um Saltners willen – für den Namenstag.« —

»Nein«, sagte sie und schüttelte den Kopf. —

Sie füllte ihre Brust so mit Atem, dass der künstliche Panzer knisterte; dann fuhr sie fort:

»Ich hab’ es getan, weil Sie mir nachsagen – —«

»Was?«

»Herr Wittekind! Ist es wahr, dass ich Ihnen ›das Leben aussauge‹? Dass Sie um meinetwillen wandeln wie die Schatten? Haben Sie das geschrieben?«

»Ich?« fragte er, dem auf einmal eine heiße Welle über das Gesicht ging. »Wo haben Sie das geseh’n?«

»Berthold hat’s geseh’n. Er hat mir’s gesagt – weil Sie es nicht sagen. Seien Sie nicht böse auf ihn. Ich bin ihm nicht böse. Er ist himmlisch gut. Er – liebt Sie viel, viel mehr als mich, glauben Sie mir das; und er will, dass, Sie glücklich werden; – und Sie sollen ja auch, mein Gott – wenn es so ist, wenn Sie’s wollen. Sagen Sie doch ein Wort. Ach, lassen Sie mich nicht mehr reden; ich weiß nicht, was ich sage. – — Wie können so viel Menschen sich so missversteh’n! Gott, wie war das möglich!«

Sie stand auf; sie schwankte. Aber sie fühlte sich schon von Armen umschlungen, die sie aufrecht hielten. ›Ich begreife nicht‹, wollte Wittekind stammeln – und hatte doch alles begriffen. Seine Lippen lagen auf den ihren, ehe er es wusste.

»Marie!« flüsterte er, »Marie!« und küsste sie von neuem.

Sie ließ es geschehen, mit geschlossenen Augen, mit verwundert selig lächelndem Gesicht.

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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
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Правообладатель:
Public Domain

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