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0.2 Forschungsstand und Methoden

„Die Literatur zu Schleiermachers Religionsphilosophie füllt eine halbe Bibliothek.“ Das behauptet Gunter Scholtz.1 Deshalb füllt die Forschungsliteratur zu den jeweiligen Religionsphilosophien von Kant und Schleiermacher eine ganze Bibliothek.2 Viele Autoren äußern sich zum Verhältnis der Religionsphilosophien beider. Trotzdem gibt es leider nur wenige Monografien, die sich als ganze dem Vergleich zwischen der kantischen und schleiermacherschen Religionsphilosophie widmen. Bereits im Jahr 1841 hat Salomon Leviseur das Werk Der Religionsbegriff bei Kant und Schleiermacher geschrieben. Er analysiert die Begriffe beider mit der sogenannten dialektischen Methode und betrachtet sie als unterschiedliche Entwicklungsstufen, das heißt, Schleiermachers Religionsbegriff enthält die Theorie Kants, stellt aber nicht die Vollendung des Religionsbegriffs dar, sondern muss sich selbst weiterentwickeln. Leviseur ist der Auffassung, dass Kants Standpunkt, vereint mit einem Pantheismus, Schleiermachers Religionsphilosophie bilde, nämlich „der Schleiermacher’sche Standpunct als Wahrheit des Kant’schen“.3 Daraus ergibt sich, dass die Untersuchung von Salomon Leviseur auf einem Vorurteil über Schleiermacher, nämlich dem Vorwurf des Pantheismus, beruht und damit den heutigen akademischen Anforderungen nicht mehr genügen kann. Danach gibt es, soviel ich weiß, keine andere Monografie über den Vergleich zwischen Kant und Schleiermacher. Selbst in den letzten drei Jahrzehnten thematisieren nur wenige Aufsätze diesen Vergleich.4 Es besteht die Notwendigkeit, einen umfangreichen und tiefgehenden Vergleich in der Gotteslehre vorzunehmen. Mit dieser Untersuchung hoffe ich, diese Lücke zu schließen.

Obwohl nur wenige Monografien existieren, die die Religionsphilosophien Kants und Schleiermachers unmittelbar vergleichen, gibt es die folgenden Arten von Literatur, die für die Abfassung dieser Untersuchung hilfreich waren: (1) Die Untersuchungen zum Einfluss Kants auf die Entwicklungsgeschichte von Schleiermachers frühen Gedanken – diese Art von Untersuchungen behandelt Schleiermachers Kritik an Kant –, was indirekt dazu beiträgt, die Unterschiede zwischen den Religionsphilosophien beider zu verstehen. In dieser Hinsicht können die Arbeiten von Eilert Herms5 und Günter Meckenstock6 als vorbildlich bezeichnet werden. (2) Die Untersuchungen zur Religionsphilosophie Kants aus der Perspektive des gesamten Konzepts der kantischen Philosophie, etwa die Forschungen von Allen W. Wood,7 Georg Picht,8 Karl-​Heinz Michel9 und Burkhard Nonnenmacher,10 helfen zu verstehen, dass Kants Religionsphilosophie eine wichtige Richtung seiner Epistemologie ist. (3) Die Untersuchungen zur Religionstheorie Schleiermachers aus einer philosophischen und dialektischen Perspektive machen die philosophischen Fragen hinter Schleiermachers Religionsphilosophie deutlich und bieten damit eine grundlegende Plattform für den Vergleich zwischen Kant und Schleiermacher. Dazu gehören die Schriften von Emil Schürer,11Andreas Arndt, John E. Thiel,12 Hans-​Joachim Birkner13, Christian Albrecht14 u.a.

Es ist notwendig, kurz die hier angewandte Methode der Interpretation zu erklären. Für die Auslegung der Religionsphilosophie Kants gibt es zwei unterschiedliche Richtungen: Entweder man betrachtet Kants Religionsphilosophie als Anhängsel seiner Moralphilosophie und hält sie für unnötig oder man sieht sie als eine Bemühung, die spekulative und praktische Vernunft, die Natur- und Freiheitsordnung miteinander zu verbinden.15 Dann kann man sie sogar als seinen Kerngedanken betrachten.16 Diese Untersuchung betrachtet Kants Religionsphilosophie als sein Bestreben, Tugend und Glück, Freiheit und Natur, praktische und theoretische Vernunft miteinander zu verbinden, was geradewegs zu Schleiermachers Erbschaftsverhältnis zu Kant in verwandten Fragen führt.

Außerdem gibt es noch eine Forschungsmethode in Bezug auf Kant, die hier besonders hervorzuheben ist. Diese Methode geht von den kantischen vorkritischen Schriften aus und fügt die vorkritische Gotteslehre mit der Gotteslehre der kritischen Periode zusammen.17 Der Grund liegt darin, dass sich das transzendentale Ideal, welches eines der zentralen Themen in der Dialektik der KrV ist, aus dem Gottesbeweis in zwei vorkritischen Schriften – nämlich: Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio und Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes – entwickelt. Jedoch bedeutet diese Entwicklung eine Kritik Kants an seinem eigenen sogenannten „ontotheologischen Beweis“ der vorkritischen Zeit. Ausgehend davon ist es deutlicher zu erkennen, warum Kant die Existenz Gottes nicht direkt aus der Idee vom transzendentalen Ideal ableitet. Die vorliegende Untersuchung folgt dieser Methode.

Was die Interpretation der Religionsphilosophie Schleiermachers angeht, lege ich den Schwerpunkt auf die Dialektik bzw. auf seine philosophischen Schriften. Es gibt nur wenige Bücher, die Schleiermacher zu seinen Lebzeiten veröffentlicht hat. Davon sind die Reden und die Glaubenslehre die wichtigsten. Dadurch entsteht der Eindruck, dass Schleiermachers Gedanken auf die christliche Theologie konzentriert waren und sich in seinem Werk kaum metaphysische Schriften wie die Kritik der reinen Vernunft Kants, die Wissenschaftslehre Fichtes und die Logik Hegels finden. Nach dem Tod Schleiermachers (1834) führten Hegels Schüler F. C. Baur und D. F. Strauß in der Tat eine lange Debatte über das Verhältnis zwischen Philosophie und Theologie in Schleiermachers Werk.18 Zu einem gewissen Grad führt diese Debatte auf Schleiermachers eigenes theoretisches Ziel zurück. In der Schrift Kurze Darstellung des theologischen Studiums möchte er die philosophische Theologie aufrichten und „das Wesen der Frömmigkeit und der frommen Gemeinschaften im Zusammenhang mit den übrigen Tätigkeiten des menschlichen Geistes“ (§ 21) verstehen.19 Als Anfang der modernen Schleiermacher-​Forschung versucht Diltheys Leben Schleiermachers (der erste Teil wurde im Jahr 1870 veröffentlicht), die Theologie und Philosophie Schleiermachers im Zusammenhang zu erklären. Diltheys Einfluss macht sich Anfang des 20. Jahrhunderts im Werk Troeltschs bemerkbar.20 Obwohl nach den 1920er Jahren die Dialektische Theologie und die Hermeneutik die Interpretation Schleiermachers beherrschten und scharfe Kritik an Schleiermacher formuliert haben, legten beide Denkrichtungen immer großen Wert auf das Verhältnis zwischen der Philosophie und der Theologie Schleiermachers.21 In den 1960er Jahren wurde der zweite Teils von Wilhelm Diltheys Schrift Schleiermachers System als Philosophie und Theologie veröffentlicht. Durch die gemeinsamen Bemühungen von Hans-​Joachim Birkner, Eilert Herms,22 Manfred Frank,23 Andreas Arndt,24 Michael Eckert,25 Christian Albrecht usw. wird der Versuch, Schleiermachers Religionsphilosophie und Theologie aus seinem „allgemeinen System der Wissenschaften“ zu verstehen, immer mehr zum Mainstream, und es werden die Dialektik und die Ethik als konzentrierter Ausdruck seines wissenschaftlichen Systems betrachtet.26 Da das Thema dieser Dissertation auf das Problem der Unerkennbarkeit Gottes fokussiert ist, wird hier mehr auf Schleiermachers Dialektik geachtet.

0.3 Ziel und Kapiteleinteilung

Das Ziel dieser Untersuchung besteht darin, die metaphysischen Grundlagen der kantischen und schleiermacherschen Religionsphilosophien zu verdeutlichen und auf dieser Grundlage einen Vergleich durchzuführen. Meines Erachtens müssen diese Grundlagen in der Gotteslehre gesucht werden: Die Möglichkeit, Gott zu erkennen, die Art, wie man ihn erkennt, der Zugang zu Gott, müssen eine zentrale Rolle spielen. Ohne ihre Gotteslehre zu untersuchen und ohne auf diese Grundlage einzugehen, erscheint der Vergleich zwischen Kant und Schleiermacher nur oberflächlich. Damit verbunden ist ein weiteres Ziel dieser Untersuchung, nämlich die Missverständnisse über ihre Gotteslehre zu widerlegen. In den Forschungen über Kants Moraltheologie fehlt es immer an einer Untersuchung über seine transzendentale Theologie. Dadurch entsteht der Eindruck, dass Kant nur den aposteriorischen Beweis thematisiert, ohne eine Verbindung zwischen dem transzendentalen Ideal und der Moraltheologie vorzunehmen. Die Missverständnisse über Schleiermachers Religionstheorie sind vielfältig. Das berühmteste davon ist der Vorwurf, seine Religionstheorie sei nur subjektiv und mystisch. Dieses Missverständnis ist bis heute populär in der Heimat des Verfassers dieser Dissertation, in China. Nach diesem Missverständnis scheint Schleiermachers Religionsphilosophie der Religionstheorie von William James zu ähneln. Diese Untersuchung wird beweisen, dass die Suche nach Gott das wichtigste Ziel von Schleiermachers Religionsphilosophie ist. Außerdem möchte ich die Frage diskutieren, ob es möglich ist, eine Religion zu begründen, ohne Gott zu erkennen.

Im ersten Teil stelle ich die Gotteslehre Kants dar. In diesem Teil wird die Bedeutung der apriorischen Theologie bzw. der Lehre vom transzendentalen Ideal hervorgehoben, die m.E. die Grundlage der kantischen Religionsphilosophie bildet. Außerdem wird die apriorische Theologie mit den aposteriorischen Theologien (dem symbolischen Anthropomorphismus und der Moraltheologie) in Zusammenhang gebracht. In diesem Teil versuche ich zu erklären, wie Kant die Gotteslehre innerhalb der Vernunft darstellt und wie Gott für ihn ein notwendiger Gegenstand der Vernunft ist. In diesem Teil werden in Kapitel 1 zwei verschiedene Weisen, Gott zu denken, thematisiert. Die apriorischen Eigenschaften Gottes sollen durch die Vernunft a priori begriffen werden, während Verstand und Wille nur aposteriorisch, nämlich durch das Verhältnis Gottes zur Zweckmäßigkeit der Welt, Gott zugeschrieben werden. Kapitel 2 zeigt auf, dass die Existenz Gottes nicht dadurch gesichert wird, dass die Methode apriorisch oder aposteriorisch ist. Aufgrund dessen werde ich in Kapitel 3 weiter diskutieren, warum die Moral die Existenz Gottes notwendig postuliert. In diesem Kapitel werden die Ähnlichkeit und der Zusammenhang zwischen der Moraltheologie und dem symbolischen Anthropomorphismus ins Zentrum gestellt.

Die Aufgabe des zweiten Teils ist die Erörterung der Gotteslehre Schleiermachers. Die Unerkennbarkeit Gottes ist der Leitfaden dieses Teils. Hier möchte ich klarmachen, dass sich diese Art der Unerkennbarkeit Gottes von der kantischen Unerkennbarkeit unterscheidet. Kurz gesagt, verneint Kant die Denkbarkeit Gottes nicht, während Schleiermacher sie vollständig ablehnt. Außerdem wird in diesem Teil auf die Frage eingegangen, ob die radikale Unerkennbarkeit Gottes in der Religionsbegründung Schleiermachers überhaupt möglich ist. Ausgehend davon untersucht Kapitel 4 die Gotteslehre seiner frühen Zeit, in der Kant und Spinoza einen großen Einfluss auf ihn hatten. Die Spinozaschrift und die Reden sollen als Ausbruch aus der kantischen Gotteslehre anhand der spinozianischen Philosophie betrachtet werden. Um die metaphysische Grundlage für diese radikale Unerkennbarkeit Gottes herauszufinden, interpretiert Kapitel 5 die Erkenntnistheorie in der Dialektik, wo Schleiermacher die Grenze der Erkenntnis deutlich in den Vordergrund stellt. Auf dieser Grundlage kritisiert er alle Formeln der Idee Gottes bzw. des transzendentalen Grundes. Damit wird die Denkbarkeit Gottes durch die Vernunft vollständig abgelehnt. Kapitel 6 beantwortet die Frage, ob sich ein Widerspruch zur radikalen Unerkennbarkeit Gottes in der Darstellung des religiösen Gefühls verbirgt. Das Kapitel weist darauf hin, dass nur in der zweiten Auflage der Glaubenslehre ein vorausgesetztes Wissen über Gott vermieden wird.

Einen grundlegenden Vergleich nehme ich im dritten Teil vor. Durch die Beschränkung der Erkenntnis auf die Erfahrung wird Gott ein Problem für den Verstand. Gott wird in die Welt der Noumena verschoben. Schleiermacher nimmt diese Tradition auf. Deshalb bildet die Unerkennbarkeit Gottes eine gemeinsame Voraussetzung oder die Grundlage für Kant und Schleiermacher. Obwohl die Unerkennbarkeit Gottes eine zentrale Herausforderung für beide Philosophen ist, haben sie je ihre eigenen Weisen erarbeitet, Gott zu denken. Meines Erachtens möchte Kant die Aporie über Gott innerhalb der Grenze der Vernunft lösen, indem er das allerrealste Wesen (das ens realissimum) durch das Prinzip der durchgängigen Bestimmung aus der Vernunft entwickelt. Im Unterschied dazu betrachtet Schleiermacher Gott als Dasein außerhalb unserer Vernunft, jedoch mit der Überlegung, dass Gott immer tätig und handelnd in der Welt ist. Wir werden entdecken, dass die jeweiligen Betrachtungsweisen ihre eigenen Schwierigkeiten in sich bergen. Was Kant betrifft, liegt die Aporie seiner Theorie darin, dass die Existenz Gottes nicht direkt aus dem Begriff vom enti realissmo abgeleitet werden kann. Damit soll die Idee eines lebendigen Gottes nur auf aposteriorische Weise ergänzt werden. Im Gegensatz dazu ist die Existenz Gottes für Schleiermacher unmittelbar durch das religiöse Bewusstsein gesichert. Außerdem ist der lebendige Gott eine Voraussetzung für Schleiermachers Religionstheorie. Jedoch liegt im Ausschluss eines vorausgehenden Wissens um Gott ein innerer Widerspruch: Ohne über Gott theoretisch nachzudenken, wäre es unmöglich zu bestimmen, ob das im schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl mitgesetzte X Gott ist. Um ihre aposteriorischen Erkenntnisse Gottes zu vergleichen, gebe ich der Moraltheologie Kants und der Religionstheorie Schleiermachers jeweils den Namen Moral-​Physikotheologie und Bewusstseins-​Kosmotheologie. Daraus ergibt sich, dass Kant den Verstand und den Willen Gottes für symbolisch und aus der Zweckmäßigkeit der Welt abgeleitet hält, während Schleiermacher alle Eigenschaften Gottes durch die Wirkung Gottes auf das religiöse Bewusstsein erkennen möchte, wobei die Zweckmäßigkeit der Welt keine Rolle spielt.

Aufgrund dieser Auslegungen kommt diese Untersuchung zum Schluss, dass die apriorischen und aposteriorischen Erkenntnisse Gottes untrennbar sein müssen. Darin liegt der Grund, warum m.E. die kantische Theorie logisch konsequenter als die Religionsphilosophie Schleiermachers ist. Es wird darauf hingewiesen, dass die Gottesbezogenheit für Schleiermachers Darlegungen über das religiöse Gemüt notwendig ist. Damit erscheint der Vorwurf der „Subjektivität“ als wenig stichhaltig.

A. Kant: Moral als Zugang zu Gott

Die Gottesfrage ist eines der Kernprobleme in der kantischen Philosophie. Kant diskutiert über Gott in seinen umfangreichen Schriften, nicht nur in den Schriften aus seiner vorkritischen und seiner kritischen Periode, sondern auch in nachgelassenen Schriften und Vorlesungen. Die Forschung interessiert sich dafür, wie sein Konzept von Gott systematisch und einheitlich zu verstehen ist. Allerdings beschäftigt sich diese Untersuchung nicht mit einer systematischen Erklärung der Gottesgedanken Kants, sondern mit den metaphysischen Grundlagen, die für eine systematische Interpretation nötig sind. Nur auf diesen Grundlagen kann ein Vergleich zwischen Kant und Schleiermacher gerechtfertigt werden und erfolgreich sein.

Dieser Teil wird in folgende drei Kapitel gegliedert: In Kapitel 1 werde ich darauf hinweisen, dass Kant auf die transzendentale oder apriorische und aposteriorische Weise die Eigenschaften Gottes bestimmt hat. In Kapitel 2 wird dargelegt, dass die Gewissheit der Existenz Gottes dadurch aber nicht garantiert wird, mit anderen Worten, man kann niemals dogmatisch das Dasein Gottes ableugnen oder daran festhalten. Deswegen werde ich in Kapitel 3 ausführen, wie Kant durch die praktische Vernunft und Moralität die Gewissheit der Existenz Gottes wieder begründet.

1 Zwei Methoden, die Eigenschaften Gottes zu denken

Zunächst ist eine fundamentale Tatsache zu betonen: Kant behauptet zwar manchmal, dass Gottes Natur unerforschlich sei, so in den Prolegomena: „Wir gestehen dadurch: daß uns das höchste Wesen nach demjenigen, was es an sich selbst sei, gänzlich unerforschlich und auf bestimmte Weise sogar undenkbar sei“.1 Doch das bedeutet nicht, dass Kant es aufgegeben hat, Gott zu denken,2 noch viel weniger wäre Kant in das sogenannte „Menon-​Paradox“ geraten, das die Unmöglichkeit beschreibt, einen ihm unbekannten Gegenstand zu suchen.3 In diesem Kapitel wird bewiesen, dass die Unerforschbarkeit und Undenkbarkeit Gottes bei Kant sich nur auf sein Dasein bezieht; es ist doch gänzlich möglich, Gottes Eigenschaften genau zu denken, obwohl Gott als Ding an sich nicht ein Gegenstand der Wahrnehmung und des Verstandes ist. Tatsächlich hat Kant auf viele verschiedene Arten versucht, Gottes Eigenschaften zu bestimmen.

Damit wird Abschnitt 1.1 dieses Kapitels zuerst aufzeigen, dass Kant, ausgehend sowohl vom transzendentalen Weg (a priori) als auch von der Erfahrung (a posteriori), Gott zu denken versucht. Beide Methoden, nämlich die apriorische (transzendentale) und aposteriorische Methode, lassen sich aus den unterschiedlichen Texten Kants zusammenfassen. Danach wird die transzendentale Methode im zweiten Abschnitt des Theologie-​Hauptstückes der KrV, dessen Titel „von dem transzendentalen Ideal“ heißt, in Abschnitt 1.2 analysiert. Hier bezeichnet Kant Gott als das ens realissimum. Der Begriff vom enti realissimo schafft die Grundlage des Theologie-​Hauptstückes, bzw. die Grundlage der Kritik an drei traditionellen Gottesbeweisen. Daneben werde ich in Abschnitt 1.3 weiter über die aposteriorische Methode diskutieren und beobachten, welche wichtige Rolle die Analogie spielt, um Gott zu denken. Nachdem diese beiden Methoden erklärt worden sind, werde ich in Abschnitt 1.4 darauf hinweisen, dass beide Methoden auf Gott als den Urheber der Materie und der Form der Welt hinführen.

1.1 Die Denkbarkeit Gottes bei Kant

Kurz vor dem Ende der Transzendentalen Dialektik, nämlich in dem Abschnitt Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft, hat Kant eine schöne Zusammenfassung seiner transzendentalen Theologie vorgelegt:

„Frägt man denn also (in Absicht auf eine transscendentale Theologie) erstlich: ob es etwas von der Welt Unterschiedenes gebe, was den Grund der Weltordnung und ihres Zusammenhanges nach allgemeinen Gesetzen enthalte, so ist die Antwort: ohne Zweifel […] Ist zweitens die Frage, ob dieses Wesen Substanz, von der größten Realität, nothwendig etc. sei: so antworte ich, daß diese Frage gar keine Bedeutung habe […] Ist endlich drittens die Frage, ob wir nicht wenigstens dieses von der Welt unterschiedene Wesen nach einer Analogie mit den Gegenständen der Erfahrung denken dürfen: so ist die Antwort: allerdings, aber nur als Gegenstand in der Idee und nicht in der Realität, nämlich nur so fern er ein uns unbekanntes Substratum der systematischen Einheit, Ordnung und Zweckmäßigkeit der Welteinrichtung ist, welche sich die Vernunft zum regulativen Princip ihrer Naturforschung machen muß.“1

In diesem Absatz drückt Kant folgende Meinung aus: Es gibt bestimmt etwas, auf dessen Grund die Weltordnung und ihre Zusammenhänge basieren. Wir haben allerdings hinsichtlich der Eigenschaften dieser übersinnlichen Dinge keinerlei Erkenntnis wegen der Unfähigkeit unseres Verstandes, die Grenze der Sinnenwelt zu überschreiten. Trotzdem können wir nach einer Analogie mit den Gegenständen der Welt dieses übersinnliche Wesen denken, doch bezieht sich diese Analogie nur auf die systematische Einheit, Ordnung und Zweckmäßigkeit der Welteinrichtung. Daraus wird ersichtlich, dass das berühmte regulative Prinzip eng mit der Analogie verbunden ist.2

Ein Satz aus diesem Zitat verdient besondere Beachtung: „Ist zweitens die Frage, ob dieses Wesen Substanz, von der größten Realität, nothwendig etc. sei: so antworte ich, daß diese Frage gar keine Bedeutung habe.“ Kants Meinung dazu widerspricht offensichtlich dem Inhalt des zweiten Abschnitts des Theologie-​Hauptstückes, in dem Kant, ausgehend vom „Prinzip der durchgängigen Bestimmung“, Gott als das ens realissimum betrachtet. So schreibt Kant: „Wenn wir nun dieser unserer Idee, indem wir sie hypostasiren, so ferner nachgehen, so werden wir das Urwesen durch den bloßen Begriff der höchsten Realität als ein einiges, einfaches, allgenugsames, ewiges etc., mit einem Worte, es in seiner unbedingten Vollständigkeit durch alle Prädicamente bestimmen können.“3 D.h. Gott als das ens realissimum könnte durch alle Prädikate bestimmt werden. Außerdem weist Kant im siebten Abschnitt, dessen Titel „Kritik aller Theologie aus speculativen Principien der Vernunft“ lautet, noch darauf hin, dass das höchste Wesen4 ein fehlerfreies Ideal ist, „dessen objective Realität auf diesem Wege zwar nicht bewiesen, aber auch nicht widerlegt werden kann“,5 „die Nothwendigkeit, die Unendlichkeit, die Einheit, das Dasein außer der Welt (nicht als Weltseele), die Ewigkeit ohne Bedingungen der Zeit, die Allgegenwart ohne Bedingungen des Raumes, die Allmacht etc. sind lauter transscendentale Prädicate,“6 daher sind sie geeignet, Gott zu bestimmen.

Nun scheint es aber in der kantischen Gotteslehre ein Paradox zu geben. Doch kann dieses Paradox aufgelöst werden. Ich möchte behaupten, dass diese scheinbare Kontroverse uns zwei verschiedene Methoden, Gott zu denken, ermöglicht: Wenn die Eigenschaften Gottes durch die systematische Einheit, Ordnung und Zweckmäßigkeit bestimmt werden, nennen wir es die aposteriorische oder analogische Methode; wenn die Prädikate Gottes nur durch die Vernunft erkannt werden, dann nehmen wir eine apriorische oder transzendentale Methode in Anspruch. Wegen der Unterschiedlichkeit beider Methoden entsteht ein Gott mit jeweils verschiedenen Eigenschaften. Genauer gesagt, in Hinsicht auf die transzendentale Methode geht der Prozess gänzlich von „Dingen überhaupt“ aus, ohne irgendeine konkrete Eigenschaft der Dinge oder irgendeine besondere Befindlichkeit der Welt zu berücksichtigen, nämlich der Prozess geht unmittelbar vom Prinzip der durchgängigen Bestimmung aus. Dadurch wird Gott als Inbegriff aller Realitäten bzw. als das allerrealste Wesen (das ens realissimum) bezeichnet. Im Vergleich dazu geht die analogische oder aposteriorische Methode von der Erfahrung, nämlich von der systematischen Einheit, Ordnung und Zweckmäßigkeit der Welteinrichtung aus. Bei dieser Denkweise wird Gott immer im Verhältnis zu den speziellen Eigenschaften der Welt betrachtet, d.h. wir denken Gott als die höchste Intelligenz, weil er den Grund der systematischen Einheit, Ordnung und Zweckmäßigkeit der Welt bildet.

Diese beiden Methoden gehen eigentlich auf den Gottesbeweis Kants in seiner vorkritischen Periode zurück. In dem Werk Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels (im Folgenden als Naturgeschichte bezeichnet) beweist Kant physikotheologisch7 das Dasein Gottes.8 Dieser Beweis geht offensichtlich auf die aposteriorische oder analogische Methode zurück, obwohl Kant in der KrV Kritik daran übt. Im gleichen Jahr (1755) erschien Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio (im Folgenden als Nova dilucidatio bezeichnet), dessen zweiter Teil bzw. dessen PROP. VII eine anfängliche kantische Version des ontotheologischen Gottesbeweises beinhaltet, wo Kant behauptet: „Datur ens, cuius exsistentia prävertit ipsam et ipsius et omnium rerum possibilitatem, quod ideo absolute necessario exsistere dicitur. Vocatur Deus.“9 Folglich ist Gott als das ens necessarium bewiesen. Schließlich fasst Kant in Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes (im Folgenden als Beweisgrund bezeichnet) den physikotheologischen Beweis in der Naturgeschichte und den ontotheologischen Beweis der Nova dilucidatio zusammen. Er betrachtet den ontotheologischen Beweis als einzig möglichen, der bei der Möglichkeit aller Dinge anfängt, die Gott als notwendigen Grund voraussetzt und schließlich das notwendige Dasein Gottes beweist. Nachdem Kant einen ontotheologischen Beweis vorgelegt hat, wendet er seine Aufmerksamkeit einem physikotheologischen Beweis im dritten Teil von Beweisgrund zu, der umfangreich den Inhalt der Naturgeschichte wörtlich wiederholt.

Daraus folgt, dass Kant die transzendentalen (ontotheologischen) und aposteriorischen (physikotheologischen) Methoden auf den Beweis des Daseins Gottes schon in seiner vorkritischen Zeit verwendet. Obwohl Kant in der KrV beide Methoden heftig kritisiert, behauptet er jedoch nur, dass es unmöglich wäre, mit diesen Methoden auf das Dasein Gottes zu schließen. Niemals leugnet Kant selbst das Potenzial beider Methoden, die Eigenschaften Gottes zu erkennen. Für Kant ist Gott das ens realissimum, das den Kernbegriff nicht nur in der KrV, sondern auch in der Vorlesung über Rationaltheologie bildet, um die drei traditionellen Gottesbeweise zu überprüfen.10 Um dieses Urteil zu bestätigen, ist es hilfreich, hier einen Paragraphen aus der Vorlesung über Rationaltheologie zu zitieren: „Welches sind nun die Prädikate, die sich von einem enti realissimo denken lassen? Welches sind seine Eigenschaften?“11 Um diese Frage zu beantworten, unterscheidet er zwei verschiedene Arten von Prädikaten: „Alle Realitäten sind entweder solche Realitäten, die mir durch eine Vernunft gegeben sind, unabhängig von aller Erfahrung; oder die ich in der Sinnenwelt antreffe.“12 Kant zufolge werden die durch die Vernunft gegebenen Prädikate apriorische, transzendentale und ontologische genannt, während die in der Erfahrung angetroffenen Prädikate aus der Sinnenwelt kommen. Die apriorischen Prädikate sind Prädikate in abstracto und sie umfassen Substanz, Einfachheit, Unendlichkeit usw., aber mit den aposteriorischen Prädikaten wird Gott als die oberste Intelligenz bezeichnet. Diese sind für Theisten wichtig und nützlich, jene aber werden von Deisten benutzt und sind Kant zufolge unbrauchbar.13 Deswegen können wir festhalten, dass für Kant die zwei verschiedenen Methoden ihren je eigenen Nutzen haben.

Neben den vorkritischen Texten und der nachgelassenen Vorlesung können wir auch an die KrV erinnern. Im siebten Abschnitt beschreibt Kant die unterschiedlichen Theologien: „Die erstere (theologia rationalis) denkt sich nun ihren Gegenstand entweder bloß durch reine Vernunft vermittelst lauter transzendentaler Begriffe (ens originarium, realissimum, ens entium) und heißt die transzendentale Theologie, oder durch einen Begriff, den sie aus der Natur (unserer Seele) entlehnt, als die höchste Intelligenz und müßte die natürliche Theologie heißen. Der, so allein eine transzendentale Theologie einräumt, wird Deist, der, so auch eine natürliche Theologie annimmt, Theist genannt. Der erstere gibt zu, daß wir allenfalls das Dasein eines Urwesens durch bloße Vernunft erkennen können, wovon aber unser Begriff bloß transzendental sei, nämlich nur als von einem Wesen, das alle Realität hat, die man aber nicht näher bestimmen kann. Der zweite behauptet, die Vernunft sei im Stande, den Gegenstand nach der Analogie mit der Natur näher zu bestimmen, nämlich als ein Wesen, das durch Verstand und Freiheit den Urgrund aller anderen Dinge in sich enthalte.“14 Hier drückt Kant eine ähnliche Meinung wie in der Vorlesung über Rationaltheologie aus. Es gibt für Kant also zwei verschiedene rationale Theologien, die sich dadurch voneinander unterscheiden, dass diese ihren Gegenstand mit dem aus der Erfahrung entstehenden Begriff (die höchste Intelligenz) bestimmt, jene mittels lauter transzendentaler Begriffe (ens originarium, realissimum, ens entium). Außerdem wird die transzendentale Theologie hier von Kant kritisiert, weil seine eigene Moraltheologie samt der Physikotheologie zur natürlichen Theologie gehört.

Aus den vorkritischen, kritischen und nachgelassenen Texten kann zusammenfassend gesagt werden, dass mindestens zwei verschiedene Methoden bestehen, um Gott zu denken und zu bestimmen, nämlich eine transzendentale und eine aposteriorische, die aufgrund der Analogie Gott als die höchste Intelligenz bestimmt, während jene Gott als das ens realissimum erschließt. Ich möchte dazu anmerken, dass hier nicht gesagt wird, dass Kant das Dasein Gottes auf transzendentale und aposteriorische Weise beweist, wie er es im Beweisgrund getan hat. Was hier im Zentrum der Diskussion steht, ist, wie Kant die Erkenntnis der Eigenschaften Gottes erhält und ob er die Gewissheit der Existenz Gottes dadurch bestimmen kann.

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