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Das Kommando aus der Eisbasis

Das Evakuierungskommando bestand aus zwei Männern unbestimmbaren Alters. Sie sahen zudem einander ähnlich. Strohgraue, glatte Haare umgaben bei beiden die Köpfe. Ihre schmalen Gesichter, mit den kühlen blauen Augen, ließen keinen Ausdruck erkennen. Und obwohl sie seit vielen Wochen gemeinsam auf der Reise waren, hatten sie kaum eine längere Unterhaltung miteinander geführt. Allenfalls mal ein gemeinsames Kartenspiel gönnten sie sich. Eingezwängt in dunkle, abgeschabte Ledermäntel und mit dem obligatorischen Hut auf dem Kopf sahen sie aus, wie Tausende Männer in diesen Jahren kurz nach Kriegsende im geschundenen Europa. Doch irrten sie nicht umher, wie unzählige andere Menschen. Sie strebten einem strikt befohlenen Ziel entgegen. Die Wochen zuvor verbrachten sie eingepfercht in der stählernen Röhre eines hochmodernen deutschen U-Bootes. Bei Nacht und Nebel waren sie heimlich an eine europäische Küste angelandet worden. Dort nahmen sie Kontakt zu einem verschwiegenen Helfer auf, der sie schon erwartete, ihnen erstes Quartier gab und sie schließlich ein eine Haupttrasse der sich wieder normalisierenden europäischen Eisenbahnverbindungen brachte. Dort tauchten sie in der grauen Masse der Reisenden unter und benutzten bei ihrer Fahrt gen Osten sogar getrennte Waggons.

Hauptmann Manfred Seidel war der Kommandant und Oberleutnant Erich Hase sein Pilot und Energetiker. Ihnen, den dazu befähigtsten Leuten, hatte Generallautnant Walter Strese, Kommandant der antarktischen Basis P 211, diese vorerst letzte Mission in Europa anvertrauen konnte. Sie brachen zwar nicht in Hurra-Geschrei aus, als Strese sie zu sich befahl und ihnen ihren Auftrag erklärte. Was getan werden mußte, wurde aber getan. Etwas konsterniert nahmen sie allenfalls nur die Tatsache auf, daß man keine Flugscheibe zu ihrem Transport Richtung Europa einsetzte.

„Wir fliegen seit Wochen nicht, warum wohl ...“, brummelte Strese etwas unwillig, als er die Mienen der Flieger sah. „Wir dürfen ihren Rückflug aus Europa keinesfalls gefährden, deshalb das derzeitige generelle Auf-stiegsverbot. Ihr Flug soll schnell und ungefährdet vonstatten gehen. Sie bringen, außer der Flugscheibe selbst, noch sehr wichtiges Material mit, was wir nicht länger im Feindesgebiet lassen können. Außerdem ist da noch unser letzter Wächter, der soll ja auch unbeschadet sein neues Zuhause erreichen. Und eines kann ich Ihnen versprechen. Ich weiß, daß dies schon lange ihre heimlichster Wunsch ist. Wenn ihr beide diesen Auftrag erfüllt, werdet ihr auf dem Flug nach Cydonia dabeisein, an vorderer Stelle versteht sich.“ Strese blickte mit leicht verklärtem Blick nach oben und nahm den unwillkürlich gehobenen Zeigefinger wieder herunter. „Also, meine Herren. Hals und Beinbruch! Kommen Sie mir alle wieder heil zurück.“

Mit dem seit Jahrzehnten üblichen Gruß verließen Seidel und Hase das geräumige Besprechungszimmer mit der großen Weltkarte hinter dem blauen Vorhang. Anschließend nahm sie sofort der Flugeinsatzleiter in Empfang. Auch hier waren keine anderen Personen zugegen.

„Nach unserer Einweisung werden sie bis zum Beginn der eigentlichen Operation alleine Quartier im B-Sektor beziehen. Das ist kein Mißtrauen gegen sie beide oder gegen andere Kameraden. Ihr Auftrag ist einfach zu wichtig, als daß er auch nur durch irgendetwas gefährdet werden dürfte“, fiel Einsatzchef Oberst Alfred Graue gleich mit der Tür ins Haus. „Außerdem ist das ja ein Befehl vom Chef.“

Sie verbrachten fast einen halben Tag mit der Erörterung der Details ihrer Mission. Dabei wurde Imbiß, Kaffee und alles gereicht, was das Herz begehrte. Auch die folgenden Tage gestaltete man ihnen so angenehm wie möglich. Dann wurde es ernst. Der Kommandant befahl sie, wie auch alle anderen, die eine besonders wichtige Order außerhalb der Basis zu erfüllen hatten, zur Meditation in die „Krypta“.

Sie verließen die bewohnten Bereiche der gigantischen Basis unter dem kontinentalen Eis. Die Einschienenhängebahn glitt mit ihnen rasch und geräuschlos durch leere, endlose Gänge und Tunnel, deren Decken gerundet waren und an deren Wänden sich nur hin und wieder techn. Wartungstüren zeigten. Dann glitt die Gondel direkt ins Eis des uralten Kontinents. Eine Art wehende Kälte machte sich breit, aber da war auch schon das Ende der Fahrt erreicht. Sie stiegen aus und standen in der absoluten Stille der Blauen Grotte. Überall schimmerten hier die unvorstellbar dicken Eisschichten wie ein einziger blauer Brillant. Der kristallklare Boden führte in einen langen, weiten Tunnel hinein. Mächtige Eissäulen strebten links und rechts hinauf zu glitzernden, romanisch-schlicht geschnittenen Kuppelgewölben des geradezu märchenhaft gestalteten Weges, dessen Ende sich schließlich nochmals zu einer Art Balustrade erweiterte. Hier waren wenige Sitzgelegenheiten dezent drapiert. Doch sitzend war hier noch niemand gesehen worden. Man trat ein paar Schritte auf eine niedrige, balkonartige Erweiterung und erstarrte. Dies jedoch nicht vor Kälte. Das, was sich hier bot, ließ auch härteste Gemüter in Ehrfurcht stillhalten. Mit Betreten des Erkers verlosch allmählich das Licht im Hintergrund der ewigen Eisschichten. Das strahlende, glänzende Blau ging in ein graues Leuchten über. Dafür erglänzte vor den Augen der Besucher ein unwirkliche, gigantische Eiskrypta, die anscheinend schwerelos in einem Raum dunkler, unbekannter Größe schwebte ...

Eingebettet in einen eisigen Sarkophag, umgeben von nordischen Symbolen, lag hier kein anderer, als der tote Führer des Dritten Reiches.

Aufgebahrt für alle Zeiten und Ewigkeiten, die diesem Planten noch bevorstehen mochten; tief unten in den blauen Kristallgründen des ehemaligen atlantischen Kontinentes. Dunkle Orgelmusik drang schwer aus unsichtbaren Sphären herauf und verlieh dem Schauspiel den entsprechenden akustischen Hintergrund. Wie im Trance verharrten dann die Besucher der einzigartigen Kultstätte. Vor ihren Augen zogen lange Minuten die phantastischsten Bilder und Visionen dahin, von denen sie später nicht mehr zu sagen wußten, woher sie in ihre Hirne drangen und was sie bewirkten ...

Als die letzten sphärenhaften Orgeltöne verklangen und das indirekte Licht im Zugangstunnel wieder auf aufglomm, schüttelten die beiden Männer ihre Benommenheit ab, schauten nochmals auf die sich jetzt verdunkelnde mystische Erscheinung und machten sich auf den Rückweg. Nun waren sie eingestimmt auf ihr Unternehmen, das sie Tausende Kilometer von ihrer neuen, sicheren Heimat wegführen sollte und dessen Ausgang einzig in ihren Händen lag. Wenige Tage später gingen sie im unterseeischen Hafen der Basis an Bord eines der leistungsstärksten Fern-U-Boote. Das graue Schiff zog nach dem Ablegen noch ein Stück in den schmalen Eiskanal hinein, tauchte ab und nahm in der Tiefe Fahrt auf. Die Crew steuerte es in die von der Natur geschaffene Warmwassertrasse, die vor über über 20 Jahren erste Versorgungsschiffe zufällig entdeckten. Mit nördlichem Kurs zog das Boot durch eine untermeerische kontinentale Spalte, in der immer eine leichte warme Strömung herrschte. Dieser natürliche Riss im Kontinent war in diesem Bereich etwa 500 Meter breit. Ab und an verengte er sich, erweiterte er sich dann aber unvermittelt zu vielen Kilometer langen höhlenartigen Grotten und eisigen Domen. Doch auch diese blieben von oben unentdeckt, denn der offensichtlich tektonische Riß zog sich zur Oberfläche des Kontinents hin wieder zusammen, wo dann die gewaltigen südpolaren Eisdecken folgten und alles sicher bedeckten. Einen idealeren Schlupfwinkel hätte man nicht finden können.

An Bord des hochtechnisierten U-Bootes genossen Seidel und Hase zumindest den Luxus, jeweils eine Ein-Mann-Kabine bewohnen zu können. Die Reise dauerte ja, trotz der erstaunlichen Geschwin-digkeit des Unterwasserfahrzeuges, ihre Zeit.

Die Schatzsucher

Golzew und sein Kumpan Martyn saßen im Anbau eines unauffälligen, fast baufälligen Schuppens zusammen. Im schummrigen Licht einer Petroleumlampe lagen Karten und verschiedene Skizzen ausgebreitet vor ihnen auf dem rohen Holztischchen. An den Wänden stapelten sich in windschiefen Regalen verschiedene Gegenstände, die sie bei ihren heimlichen Touren in die versprengten deutschen Anlagen schon gefunden und mitgebracht hatten. Neben wenig brauchbarem Werkzeug lagen da auch verschieden Waffen und einige desolate Munitionskisten. Diese enthielten aber mehr Ramsch, als wie scharfe Patronen oder ähnliche Dinge. Gerade schlug Martyn mit der Faust auf den Tisch, daß die halbgefüllten Wodkagläser gefährlich wackelten.

„Wir müssen endlich den Stollen mit den Fahrzeugen finden, du Idiot. Was nützt es, in den Gängen weiter irgendwelchen wertlosen Mist zusammenzulesen. Eines Tages fällt uns der ganze Kram überm Schädel zusammen und wir haben gar nichts davon!“

„Gib endlich Ruhe!“ konterte Golzew. „Ich weiß selbst, wo der Hase im Pfeffer liegt. Wir müssen eben noch etwas Geduld haben und uns diesen Abschnitt hier“, er deutete mit dem schmutzigen Zeigefinger auf die fleckige Karte, „näher ansehen.“

„Wer sagt dir überhaupt, daß dieses Ding echt ist“, maulte daraufhin sein Gegenüber.

„Nun mach aber mal einen Punkt. Die Karte habe ich selbst gestibitzt, als die sich aus den Bergen verpißten. Wer soll den da was gefälscht haben? Da war doch gar keine Zeit zu so was.“

Die Männer, beide etwas über 50 Jahre alt, schmächtig gebaut und in schmuddelige Bauernkleidung gehüllt, legten keinen gesteigerten Wert auf Äußerlichkeiten. Sie stammten aus den armen Dörfern am Gebirgsrand und kannten seit ihrer Kindheit nur schwere Arbeit und dann den Militärdienst. Mit Mühe konnten sie die Beschriftungen auf den Karten entziffern. Ihre spärlichen Deutschkenntnisse hatten sie sich bei der Zwangsarbeit erworben. Wer schnell verstand, überlebte da in der Regel eher.

„Wir haben bald die ganzen begehbaren Tunnel und zugesprengten Stollen soweit untersucht, wie es möglich war. Und gefunden haben wir da nur wertlosen Müll“, Golzew deutet mißmutig in das Regal hinter ihnen.

„Der Tunnel mit den Fahrzeugen muß in diesem Bereich liegen. Und da waren wir noch nicht.“ Martyns Finger wiesen auf die dichten Linien einer Bergwand. Die Karte zeigte hier auch den Verlauf einer Waldstraße. „Die Stollen im Berg werden doch irgendeine Verbindung dahin haben. Und wenn es nur ein einziger Gang ist. Anders kann ich es mir nicht vorstellen. Schließlich war alles miteinander verbunden. Wir müssen vom Einstieg zielgerichtet in dieses Gebiet vordringen und dürfen nicht wahllos in den bekannten Gängen umhertappen, wie bisher. Und gleich morgen geht‘s noch mal los!“ Mit Nachdruck setzte Martyn die flache Hand auf den Kartenbereich, wo sich seiner Meinung nach der geheimnisvolle Stollen verbarg.

„Wenn du mich fragst, ich glaube bald immer mehr, der wichtigste Bereich der Anlage, ihr Herzstück sozusagen, liegt weiter unbeschadet im Gebirge“, sinnierte nun Golzew. „Die angefangenen und zugesprengten Stollen und das ganze Wirrwarr und der Müll darin sind nur eine Art Schild zur Täuschung für solche Leute wie unsereins. Alles sieht vordergründig aus, wie eine riesige aufgegebene Baustelle - oberirdisch wie unterirdisch. Man kann da noch Baumaterial und halbwegs brauchbaren Schrott holen, aber das war’s schon. Dabei steckt in Wirklichkeit der Kern noch immer tief im Gebirge. Doch keiner ahnt etwas davon. Gnade einem Gott, wenn man auf einen der wirklichen Zugänge dahin stieße, kann ich da nur sagen ... Da wirst du garantiert pulverisiert, gebraten oder fällst in irgendein abgrundtiefes Loch. Die haben alles Wichtige tödlich abgesichert, kannst du glauben. Und der Kram funktioniert garantiert in hundert Jahren noch.“

„Das kann schon sein“, erwiderte Martyn unwirsch. „Aber was kümmert uns den ihr Teufelszeug. Wir wollen schließlich nur an die Klunkern. Und davon haben sie auf jeden Fall was mit auf den Lkws gehabt. Die wollen wir finden und nicht das verdammte Kernstück einer Anlage. Diese Fahrzeuge sind von außen sicher nur einfach zugesprengt und die Stelle abgetarnt worden. Natürlich muß man vorsichtig sein. Wenn ich allein an die Toten denke, die der Werwolf damals noch in die Bäume hängte ..., brrr, einfach fürchterlich.“

Noch eine Weile unterhielten sich die Männer über ihr weiteres Vorgehen. Dann endlich, weit nach Mitternacht, verlosch die blackende Funzel in dem Schuppenanbau. Türen klappten, ein Licht flackerte nochmlas auf. Dann waren sie auf verschiedenen verborgenen Wegen in der Dunkelheit verschwunden, die das kleine Dorf schon lange einhüllte.

Wieder ins Gebirge ...

Der Tag dämmerte gerade herauf, als Wolf, erfrischt von einer morgendlichen Dusche, sein einsames Frühstück im Hotelrestaurant einnahm. Einige Zeit später fuhr er auf den zu dieser frühen Stunde noch leeren Straßen der Kleinstadt wieder in Richtung Gebirge hinaus. Blau und dunstig zeichneten sich dessen Höhenzüge schon von fern über der Landschaft im Süden ab. Wolf fuhr so schnell, daß er die ersten Konturen von Bergen und Tälern bald deutlicher wahrnehmen konnte. Er trieb das Fahrzeug rücksichtslos vorwärts. Landstraßen wurden zu besseren Feldwegen. Der alte Wagen ächzte und stöhnte erbarmungswürdig in seiner spartanischen Federung, doch der starke Motor zog ruhig und zuverlässig. ‚Wenigstens auf etwas ist Verlaß‘, murmelte Wolf, während er wieder hochschaltete und den Pkw durch eine lange Senke jagte. Die Bergwälder zogen sich hier schon hinab, und er konnte, die willkommene Deckung der kühlen Baumdächer ausnutzend, die letzten Kilometer völlig unbeobachtet zu den bald aufsteigenden Berghängen vordringen. Etwa zwei Stunden nach der Abfahrt rollte sein Auto auf die gewundene Bergstraße, die ihn schon das erste Mal zuverlässig in die ihn interessierende Gegend brachte.

Er hatte die Absicht, sein Fahrzeug wieder auf dem verlassenen Umschlagplatz abzustellen. Gleichzeitig liebäugelte er jedoch mit dem Gedanken, die mysteriöse Betontraße zu finden, die er bei seinem Marsch auf das Plateau des Steinberges mehrfach überquert hatte. Diese war in dem ihm verfügbaren Kartenmaterial jedoch nicht eingezeichnet. Wahrscheinlich kam diese Straße aus einer ganz anderen Richtung zum Berg und wand sich in weiten Serpentinen durch die Wildnisse der fernen Nordhänge. Vom Umschlagplatz war sie jedenfalls nicht erreichbar. Dort endete die bekannte Zufahrtstraße. Nur die Gleise gingen früher von dort aus noch weiter. Er mußte wohl in den sauren Apfel beißen und den kraft- wie zeitaufwendigen Marsch hinauf auf den geheimnisvollen Berg erneut machen. Diesmal war er auch noch beladen mit einem schweren Rucksack. Wolf scheute nicht so sehr die körperliche Anstrengung. Ihm wäre es rein aus Sicherheitsgründen lieber gewesen, mit dem Fahrzeug näher an die Stelle seines beabsichtigten Einstieges heranzukommen.

Langsam fuhr er die ihm nun schon bekannte Bergstraße aufwärts. Hier hatte es in der Nacht geregnet. Pfützen und leichte Schlamm-strecken wechselten mit Partien grob geschotterten Bodens. Ab und an glaubte er plötzlich, halbverwischte Reifenspuren zu sehen. Er hielt an, stieg aus und ging ein Stück die Straße entlang, den Blick auf den Boden geheftet - doch da war nichts. Neben dem Weg rauschte der Waldbach, unsichtbares Wild ließ die Äste in den Tannendickichten knacken und tiefliegende Wolken zogen gegen das Gebirge. Wolf ging zum Auto zurück, angelte sich eine Zigarette aus der Windjacke, die in der Kabine hing und überlegte. Neben dem Wagen stehend, alle Sinne angespannt, glaubte er dennoch, irgend-etwas sei in der Umgebung, was von Natur aus nicht hier in die Wildnis gehörte. Sein Auto würde er jedenfalls nicht wieder, wie ur-sprünglich geplant, mitten im Gebiet des alten Umschlagplatzes abstellen, wo jeder Neugierige darüberstolpern könnte. Wolf witterte und spürte regelrecht, konnte aber im Augenblick noch nichts Ungewöhnliches lokalisieren. Er stieg wieder ein und setzte seine einsame Fahrt in die Berge fort. Doch irgendwie gewarnt, beobachtete er äußerst vorsichtig jeden vor ihm liegenden Wegabschnitt, und im geöffneten Handschuhfach glänzte jetzt griffbereit der dunkle Griff einer Armeepistole ...

Am gleichen Morgen, an dem Wolf sich wieder ins Gebirge aufmachte, traf in dem kleinen Dorf am Rand der Bergausläufer ein Kurier ein. Der durch einen übergeworfenen Kapuzenanorack fast völlig vermummte Mann klopfte vorsichtig in einem bestimmten Rhythmus an Pawleks Hintertür. Er kam wie ein Gespenst aus dem Dunst der nahen Felder. Ungesehen hatte er den Dorfrand erreicht, an dem Pawleks kleiner Hof lag. Als sich im Haus nichts tat, wiederholte er das Klopfen nochmals schärfer. Endlich kam Bewegung hinter die Tür. Nur ein kurzes Codewort, schon öffnete sie sich einen Spalt. Der Vermummte schob einen braunen Umschlag hinein, nachdem er sich versichert hatte, daß auch wirklich Pawlek öffnete und mit dem richtigen Gegenwort antwortete. Er zischte ihm nur noch ein kurzes „Sofort!“ zu und verschwand im Morgennebel hinterm Haus, als hätte es ihn nie gegeben.

Der vorläufige Empfänger des kleinen, versiegelten Umschlags stand in Schweiß gebadet. Hatte er doch gerade eine schlaflose Nacht hinter sich. Und das bedeutete erneut nichts Gutes. Irgendetwas war in Gang gekommen. Sicherlich gab man die Anlage auf, ging es ihm durch den Sinn. Was sollte der Alte auch da oben in den Bergen noch? Das Blatt ließ sich nicht wieder wenden. Da konnte man lange in unterirdischen Bunkerzentralen hocken, auch wenn diese noch schier ewige Zeit funktionieren mochten. Doch dies alles würde auch Veränderungen für ihn mitbringen, die er noch nicht abzusehen vermochte.

Minuten später war er am versteckten Nachrichtengerät und sandte seine kurze Botschaft in die Basis. Die Antwort kam umgehend. Pawlek fluchte. Er mußte sofort nochmals in die Berge und das Dokument in den toten Briefkasten bei dem geheimen Personeneingang hinterlegen.

„Wo willst Du nun schon wieder hin?“ knurrte ihn seine Frau an, die halbverschlafen im Nachthemd im kleinen, dunklen Flur des Hauses auftauchte. „Ich muß noch mal weg“, antwortete ihr Mann verbissen, „Bin bald zurück“.

„Immer wieder kriechst Du da hoch in die Berge. Denkst scheinbar gar nicht mehr an Deine Familie“, keifte die dunkelhaarige Frau zurück. „Die Zeit ist endgültig vorbei, begreift Ihr das nicht. Du willst uns wohl alle noch ins Unglück stürzen? Ich habe jedenfalls keine Lust, auf Transport nach Sibirien zu gehen!“

„Schwätz du nur, verstehst es eh‘ nicht“, konterte Pawlek erzürnt. „Glaubst‘ vielleicht, ich renne aus Jux und Dollerei wieder los! Es muß halt‘ sein. Wird wohl alles auch nicht mehr lange dauern.“ Klatschend schloß sich die hölzerne Tür hinter ihm.

„Dieser Wahnsinnige...“, murmelte die Frau noch, ehe sie wieder in der niedrigen Schlafstube verschwand.

Der Einstieg

Diesmal hatte Wolf wenig Mühe, den Einstieg an der verfallenen Wasserzisterne zu öffnen. Er legte seinen schweren Rucksack ab und sondierte nochmals genau die einsame, waldige Gegend. Erst dann ging er sich daran, das verborgene Schott aufzudrücken. Sein mitgebrachtes starkes Vierkanteisen hatte fast genau passende Abmessungen. Sein Augenmaß hatte ihn also nicht getrogen. Mit klopfendem Herzen schaute er schließlich in die sich auftuende dunkle Tiefe. Schwacher Geruch von rostigem Eisen und Brackwasser schlug ihm entgegen. Ein rasch hinabgeworfener Stein schlug unten derart hallend auf, daß Wolf annehmen mußte, dort liege ein recht ausgedehnter Raum oder Tunnel. Beherzt leuchtete er mit der starken Handlampe in den Schacht und stellte zu seiner Überraschung fest, daß an der Seite eine Anzahl Steigeisen im Mauerwerk verankert waren, die eine bequeme Leiter darstellten. Somit konnte er absteigen, ohne gleich oberirdisch Spuren zu hinterlassen. Selbst das Luk ließ sich von innen wieder verriegeln. Der Strahl der Lampe erreichte den mit Geröllbrocken übersäten Boden mühelos. Es ging ungefähr fünf bis sechs Meter nach unten. Mit wieder geschultertem Rucksack stieg Wolf die Eisensprossen hinab. Unten angelangt suchte er instinktiv den Schutz einer Mauernische. Er stand nun am Grund des viereckigen Seitenschachtes eines großen Tunnelbauwerkes. Dicke Eisenrohre verliefen vertikal in ihm, die sicherlich etwas mit der alten Wasserzisterne oben zu tun hatten. Die Rohre führten hoch über seinem Kopf zur Decke des großen Tunnels weiter und verschwanden in den düsteren Gewölben.

Irgendwo in dunkler Ferne tropfte überdeutlich Wasser zu Boden, ansonsten herrschte gespenstische Stille in den mächtigen unterirdischen Bauwerken. Wolf raffte sich auf, richtete den Lichtkegel des starken Handscheinwerfers in den vor ihm liegenden Tunnelabschnitt und ging los. Umsonst suchte er den Boden bei jedem Schritt sorgfältig nach Spuren anderer Besucher ab. Im groben Schutt, Wasserpfützen und Bauresten fand sich nicht der Hauch eines Fußabdruckes. Manchmal blieb er stehen und lauschte aufmerksam in die Dunkelheit. Doch nichts rührte sich. Endlich kam er an die Stelle, wo ein mächtiger, bis an die Decke reichender Schuttkegel seinen weiteren Vormarsch stoppte. Laut Kompaßweisung war dies die Richtung, in der das außen verschüttete eiserne Tor lag. Auch die Entfernung stimmte ungefähr, obwohl sie sich bei dem Weg durch die unheimliche Dunkelheit schlecht schätzen ließ. Er mußte nun umdrehen, war aber zumindest glücklicherweise gleich in den richtigen Tunnel gelangt. Eilig machte er kehrt und marschierte die etwa 20-Minuten-Strecke zurück. Er orientierte sich an dem Wasserschacht, durch den er eingestiegen war. Wieder auf dessen Höhe angekommen stellte Wolf fest, daß es hier nicht nur weiter in den Berg ging; nach etwa 50 Meter teilte sich der mächtige Haupttunnel, genau wie es auf seiner Karte angegeben war. Laut Zeichnung mußte er nun den linken Abzweig nehmen. Wieder machte er sich auf seinen einsamen Weg durch die unterirdische Refugien.

Was mochte seinen Vater nur bewogen haben, ihn in dieses Labyrinth zu locken, ging es ihm durch den Kopf. Die ganze Aktion war schließlich alles andere als ungefährlich. Um irgendwelche Schätzchen oder Klunkern konnte es nicht gehen. Das war nicht der Stil der Wolf‘s. Sein alter Herr war angesehener Pharmazeut und hatte bis 1945 an irgendwelchen geheimen Forschungen in dieser Richtung mitgearbeitet. Aber was war da schon nicht geheim gewesen. Und später, bald nach dem Krieg, gründete er eine eigene Firma in dieser Branche. Höchstwahrscheinlich war sein Senior sogar hier im Bereich dieser Untergrundanlagen tätig gewesen. Daher konnte er etwas im Auftrage des Ordens oder für diesen hier deponieren. Nur in dieser Richtung sah Wolf die Lösung des Rätsels liegen. Aber nach sauberen, sterilen Laboratorien schaute es hier nicht gerade aus. Dieser Tunnel war zwar gut begehbar, aber überall zeigten sich auch hier die ersten Spuren von Verfall. Laut Karte mußte er jedoch bald an eine Abzweigung kommen, wo die geheime Einzeichnung auf eine Art Schaltkasten oder ähnliches ausdrücklich hinwies. Und tatsächlich, nach weiteren fünf Minuten Marsch gelangte er an das Ende des Tunnels. Hier verlief nun ein kleiner Quergang rechtwinkelig ost- und westwärts weg. Wo die beiden Tunnel aufeinandertrafen hatte man eine Art kleine Halle gebaut, deren Wände und Boden mit allerlei technischen Gerätschaften bestückt gewesen waren. Unbekannte hatten entweder hier schon kräftig abgebaut oder es war einfach nicht fertig geworden. Tief in einer Ecke stand ein viereckiges, schaltschrankähnliches Gebilde.

Seine verzwickten Innereien in Form eines Kabelgewirrs, zahlreicher Klemmleisten und verschiedenster Relais hatten sich noch gut erhalten. Die Scharniere des schweren Schaltschützes an der rechten Innenseite zeigten hingegen erste Ansätze von Rost. Hier hatte sich schon lange nichts mehr bewegt. Vorsichtig wischte Wolf mit den Fingern über die Rostschicht der Gleitflächen. Die dicke, krustig wirkende Oxydationsschicht war schlichtweg überpudertes Fett. Wolf riß an dem Hebel, der auch anstandslos nachgab. Er ließ sich leicht nach oben und unten drücken, doch es geschah nichts. Die ganze Elektrik lag ja zudem tot. Fluchend warf Wolf seinen Rucksack ab. Trotz der ihn umgebenden bergkühlen unterirdischen Gemäuer begann er langsam zu schwitzen. Nochmals bewegte er den Hebel. Da sah er eine unmerkliche Bewegung an der dunklen, massiven Hinterwand des Schaltschrankes, der schier unverrückbar fest in der Felswand verankert war.

Ein unscheinbares Blech verschob sich dort und gab eine kleine Öffnung frei oder verschloß sie, so wie der Hebel nach oben oder unten bewegt wurde. Was sollte das? Wolf starrte überlagend auf die Öffnung, die auf jeden Fall etwas bedeuten mußte, und tastete sie vorsichtig mit den Fingern ab. Sie war metallisch ausgekleidet und ging tief in den dahinterliegenden Fels hinein. ‚Wie eine Art Schloß‘, ging es ihm durch den Sinn. Dann endlich kam der klärende Blitz in seinem Hirn. Den Schlüssel dazu, anders konnte es gar nicht sein, trug er ja vielleicht sogar bei sich! Er kramte aus dem Rucksack rasch das schwere und etwas seltsam geformte Metallstück heraus, das Meurat und ihm solche Rätsel aufgegeben hatte. Irgendwie sah es aber aus, als könne es hier passen. Und wahrhaftig glitt der glänzende Metallbolzen, mit den kupferähnlichen, länglichen Einlassungen an beiden Seiten, wie von selbst in die dunkle, schloßähnliche Öffnung.

Er stellte dort drinnen sicher elektrische Kontakte eines noch unter Spannung stehenden inneren Stromkreises her, vermutete Wolf. Eine so einfache wie robuste Technik. Und ein Fremder hätte zudem nicht die leiseste Spur einer Chance, an dergleichen auch nur zu denken.

Einen Moment tat sich gar nichts. Wolf wollte schon den Vorgang wiederholen, als sich plötzlich ein kleiner Schutthaufen unweit des Schaltschrankes leise brummend zu bewegen begann. Was aussah, als sei es eine gewöhnliche Anhäufung von Steinschutt, war tatsächlich eine kompakte, wahrscheinlich mittels Beton künstlich zusammengehaltene Masse. Dieser Haufen fuhr nun langsam zur Seite, wurde aber von wirklich echtem Schutt und Schrott in seiner Bewegung gehemmt. Etwas erschrocken aber eilig riß Wolf die störenden Teile und Geröllbrocken beseite.

Mit Mühe gelang es ihm dann, den sich im Betonboden der Halle zeigenden Spalt weiter aufzudrücken. Dabei mußte er sich gegen das mehr als gewichtig getarnte Schott stemmen. Erschöpft blieb er am Boden neben der sich aufgetanen Öffnung sitzen. Ein kühler Lufthauch kam von unten herauf. Wolf verglich im Schein der Lampe die ehemals verborgenen Einzeichnungen der Karte mit der Örtlichkeit. Er hatte nichts falsch gemacht. Eingetragen in einem Winkel der deutlich gezeichneten Halle war eine viereckige Markierung, die nur der ominöse Schaltschrank sein konnte. Bei genauem Hinsehen erkannte er dicht dabei sogar den symbolhaft dargestellten merkwürdigen Metallbolzen.

„Du warst also mein ‚Sesam-öffne-dich‘“, murmelte er leise und zufrieden vor sich hin. Durch die nun genügend weite Öffnung führten relativ breite Betonstufen hinab zu einer unteren Ebene. Bevor er da jedoch weiter abstieg, entfernte er seinen „Schlüssel“ und steckte ihn wieder sorgfältig ein. Mit einem Trümmerstück versuchte er das Luk zu blockieren. Dann nahm er seinen Rucksack auf, schaute sich noch einmal prüfend um und betrat vorsichtig die ersten Treppenstufen ...

Den versiegelten Umschlag hatte Pawlek nur wenige Schritte entfernt von dem getarnten Eingang in einer Art toten Briefkasten hinterlegt. Daß Hahnfeld ihn dabei irgendwie beobachten würde, darüber war er sich ganz einfach sicher. Nun hatte er den weiten Weg wieder machen müssen, und es stand ihm mehr als sauer an. Zumal er in den Morgenstunden in die Berge gehastet war. Er konnte nur hoffen, von niemand bemerkt worden zu sein, wie er das Rad mit dem Hilfsmotor benutzt hatte. Pawlek wollte eigentlich nur noch seine Ruhe haben. Die ganze Sache mit der Basis und Hahnfeld stank ihn langsam an. Wann würde das sein Ende haben, und was für ein Ende würde dies sein?

Langsam rollte er mit dem Rad die Waldstraße wieder abwärts Richtung Heimat. Er wagte nicht, jetzt den kleinen, knatternden Motor zu benutzen, wie am zeitigen Morgen, auch wenn hier noch das rauschende Wildwasser das Geräusch überdeckt hätte. Er kam auch so recht gut und bequem vorwärts.

Erst im letzten Moment sah er die schwarze Limousine in der nächsten talwärts liegenden Kurve herauffahren. Seine Reaktion war gut. Fast noch in der Schrecksekunde rollte er mit dem Rad den überwucherten Abhang zum Bachbett hinab. Er ließ es im dichten Gras liegen und verschwand selbst halb im eisigen Wasser hinter einem der größeren Felsblöcke. Nun konnte er nur noch hoffen ...

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9783955018221
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