Читать книгу: «Mondschattenland», страница 2

Шрифт:

Mein Platz war über dem Flügel. Das ist praktisch zum Aussteigen, dachte ich mir, wenn die Kiste notlanden muss… Ich ließ mich in den Sessel fallen, der eher einem Gartenstuhl oder bestenfalls einem 2CV-Sitz ähnelte und schaute dem Tankwart zu, der auf dem Flügel saß und genüsslich eine Zigarette rauchte. Den einen Fuß hatte er auf die unförmige Zapfpistole gelegt, um sie in der Tanköffnung im Flügel zu fixieren. Entsetzen durchzuckte mich! Und auch unten der LKW-Fahrer an der Pumpe, hielt in seinen schmierigen Händen eine Kippe, vergaß aber das Ziehen, weil er auf die Beine von ein paar Ausländerinnen stierte. Ich bemerkte, wie Bewegung in den am Boden liegenden Tankschlauch kam und schaute auf den Flügel. Wohl weil der Tank voll war, war dieser dem Spund und dem fachmännischen Fuß des Mechanikers entglitten und schlug wie ein losgelassener Gartenschlauch wild um sich, die Tragfläche, das Flugzeug und den Arbeiter mit seinem dicken Strahl übergießend. Dieser wachte aus seinen Betrachtungen auf und wollte das Schlauchende einfangen. Dabei glitt er auf dem glitschigen Flügel aus und sauste wie auf einer Rutschbahn samt spritzenden Schlauch auf den Boden. Inzwischen hatte der Tankwagenfahrer auch seinen Teil Kerosin abgekriegt, vergaß die Passagierinnen und schaltete die Pupe ab. Waren ihre Zigaretten schon aus gewesen, oder hatte sie der Treibstoffstrahl gelöscht? Jedenfalls fand die Explosion nicht stand. Durch den Aufruhr hinter dem Flugzeug wurden die Militärs aus ihrer Lethargie gerissen, warfen ihre Zigaretten auf den Boden, um besser ihre Gewehre handhaben zu können und richteten diese auf das Flugzeug. Die Passagiere auf meiner Seite hatten mitbekommen, was da passierte und drängten mit mir zum Ausgang. Mit den Laufmündungen auf unserer Brust drängte man uns wieder in den Apparat, die noch an den Kontrollen Stehenden wurden aufgefordert, eiligst in das Flugzeug zu steigen und man verriegelte die Tür. Durch die Schlieren des Fensters sah ich, dass der Arbeiter auf den Flügel kletterte und den Tankdeckel zumachte. Keiner der Soldaten oder zumindest deren Übergeordneten hatte richtig mitbekommen, was eigentlich los war. Sie wollten Panik verhindern und schnellstens das Flugzeug loswerden. ‚Das ist das Ende!‘, dachte ich, als gleich darauf der erste Motor anlief, ‚ade schöne Welt, leb wohl, meine Schwesterseele, gerne wäre ich mit dir zusammengeblieben!‘ Der zweite Motor startete unter Qualm und Fehlzündungen. Jemand kam mit einer Leiter angerannt, stellte sie an die Nase des Flugzeugs und wischte mit einem Büschel Putzwolle das Kerosin von den Cockpitfenstern. Der Wind des laufenden Motors wehte das übergelaufene Kerosin gleich einem Wassernebel von der Tragfläche und aus deren Innereien, als der Pilot die Checkliste durchging und die Luftbremsen und den Rest kontrollierte. Einer vom Bodenpersonal stand vor dem Flugzeug und zeigte dem Kommandanten das richtige Funktionieren der Aggregate an. Dann holperten wir zur Piste, während das Flugzeug das letzte Kerosin abschüttelte. Aus den Belüftungsdüsen roch es stark nach Treibstoff, doch nichts geschah. Die Maschine drehte, der Pilot blockierte die Bremsen, Vollgas, und bald hüpften wir als erstes Flugzeug über die nagelneue Piste und hoben dann in den strahlend blauen Himmel ab. Nichts geschah. Morgen würde also nicht in der Zeitung stehen, dass die PKK ein türkisches Passagierflugzeug gesprengt hätte. Bald lösten wir die Gurte und wagten aufzuatmen. Ich fühlte mich wie neugeboren. Die türkischen Passagiere zündeten ihre erste Zigarette an…

Ich sah zum ersten Mal das Land aus der Vogelperspektive. Ich muss sagen, dass es von hier aus gesehen ebenso schön war, wie von unten, aber viel majestätischer. Nicht weit entfernt leuchteten die schneebedeckten Gipfel des großen und des kleinen Ararat zu uns herüber, inmitten von grünen Hochebenen und von anderen Bergmassiven umgeben. Weite Ströme, von hier oben nur winzige, glitzernde Bänder, umrahmt von hellem Grün, suchten ihren Weg durch die schroffe Landschaft. Immense Wälder, die dunkelgrün die Berghänge bedeckten, lösten sich mit weiten, geometrischen braunen Flächen ab, wohl abgeerntete Getreidefelder. Daneben hier und da eine Ansiedlung, selten eine größere Stadt. Meine Sorgen von vorher waren vergessen, ich genoss es, Vogel zu sein. Die Maschine brummte zuversichtlich, manchmal sackte sie etwas ab, doch ohne mich an ihrer Flugfähigkeit zweifeln zu lassen, noch an der des Piloten.

Und nur zu bald hieß es wieder ‚fasten your seat-belts’ und wir setzten in Ankara auf, wo viele andere Silbervögel herumstanden. Dort liefen wir mit unserem Gepäck und weiteren Passagieren zu einer anderen Maschine neueren Datums, die einen solideren Eindruck machte, da sie waagrecht stand, nicht so schief hing wie unsere vorige, die einer fußkranken Ente ähnelte. Doch einmal drinnen, sah alles anders aus. Es war wohl eine Transportmaschine, die auf die Schnelle mit Sitzen ausgestattet worden war, und die man in der Eile nicht einmal richtig festgeschraubt hatte. Auch mit den Gurten stimmte was nicht. Doch dieses Problem konnte einfach behoben werden, indem man zwei Passagiere mit einem einzigen Gurt sicherte. Zum Glück war sie schon betankt und es konnte bald losgehen! Als dann die dunkelgoldene Sonne sich im Marmara-Meer spiegelte, setzten wir in Europa auf.

Es fing an zu dunkeln, als ich das Flughafengebäude verließ. Draußen sprachen die Anwerber der Busunternehmer die Hinausgehenden an und warben um Fahrten nach Deutschland. Ein Unternehmen unterbot alle anderen um 30 Prozent. War dies mein Glückstag? Ich folgte mit einem Dutzend anderer diesem ‚Zuhälter‘ zu einem abseits gelegenen Busbahnhof, von wo der Bus nach München losgehen sollte und wo schon zwei Dutzend Leute mit Gepäck und Kindern warteten. Mir fiel ein, dass wohl Ferienende war, also Hauptreisezeit für die Gastarbeiter. Nach langem Warten, die Leute wurden langsam ungeduldig, vor allem, weil all die anderen Busse abfuhren, kam dann auch ein Bus und wir stiegen ein. Der ‚Zuhälter‘ kassierte die Fahrgäste ab. Ich weigerte mich mit ein paar anderen, den ganzen Preis im Voraus zu zahlen, denn irgendwas schien hier faul zu sein. Nach zwei Stunden standen wir immer noch da. Es fehlte ein Fahrer. Die Kinder waren inzwischen eingeschlafen, die Männer qualmten eine Zigarette nach der anderen. Unmut kam auf, doch unser ‚Zuhälter‘ war verschwunden. Ein paar ungehaltene Türken wollten die Polizei holen. Da tauchte endlich ein anderer Bus auf, in den wir umsteigen mussten. Das war eine uralte Kiste, an der jemand bei Taschenlampenlicht anfing, herum zu schrauben. Es war nach Mitternacht, als er sich endlich in Bewegung setzte. Erleichterung erfüllte greifbar den Innenraum, alles war vergessen.

Am Vormittag hielten wir irgendwo in Bulgarien an. Man sagte uns, man warte auf einen anderen Bus aus Istanbul, dieser hätte Schwierigkeiten. Erneut kam Unmut auf. Der Fahrer hatte sich vorsichtshalber abgesetzt, um nicht als Sündenbock dazustehen. Als wir schon dachten, man ließe uns einfach hier stehen, kam der neue Bus aus Istanbul. Erleichterung verscheuchte den Unmut. Umsteigen und weiter ging‘s! Doch irgendetwas war auch mit diesem Bus nicht in Ordnung. Zu oft hielt dieser an und Fahrer und Beifahrer verschwanden unter der Motorklappe. Wir waren in Jugoslawien. Eine weitere Nacht verging mit vielen Stopps und wenig Fahrt. Am nächsten Tag dann kamen wir an die österreichische Grenze. Von dort nach München noch eineinhalb Stunden. Doch die Grenzpolizei meinte es anders. Sie bestand darauf, dass erst zwei Reifen gewechselt werden müssten, sonst ließen sie den Bus nicht weiterfahren. Das dauerte mehrere Stunden, denn anscheinend wollte oder konnte der Fahrer sie nicht bezahlen. Doch plötzlich tauchte ein Lieferwagen auf, der zwei Räder brachte. Nach einer halben Stunde konnten wir dann endlich weiter. Dann war noch die deutsche Grenze vor uns. Die Polizisten hatten wohl schon auf uns gewartet und winkten den Bus gleich auf einen Parkplatz. Sie kassierten alle Ausweise ein und wir mussten aussteigen. Man ließ einen Schnüffelhund in den Bus rein, der sich gierig an den Sitzen und Gepäckstücken ereiferte. Die Eigentümer der Gepäckstücke mussten alles auspacken. Vergeblich. Nichts. Doch die Polizei war noch lange nicht zufrieden! Sie ließen den Bus auf eine Grube fahren und machten sich zugleich über dessen Papiere her. Bald hieß es, das Gefährt sei fahruntüchtig und dürfe weder weiter, noch zurück, solange nicht die Reparaturen gemacht wären. Alle Fahrgäste müssten solange am Zoll warten, bis ein anderer Bus von Istanbul käme, oder die Gesellschaft einen deutschen Bus chartert. Ein paar Türken schnappten sich die zwei Fahrer und wollten sie vermöbeln. Die Polizei kam dazwischen und schickte alle in den ohne Schlüssel abgestellten Bus zurück. Jetzt fingen die Frauen an zu zetern, hielten ihre Kinder in die Luft und streckten sie den Beamten entgegen. Doch diese blieben unbeugsam. Es war noch ein anderer Deutscher im Bus, was ich erst bei der Passabgabe festgestellt hatte. Mit dem zusammen ging ich zum Pass-Büro und machte Rabatz. Nein, natürlich, das Einreiseverbot galt nur für die Türken. Sie suchten unsere Pässe heraus, gaben sie uns zurück und wünschten uns sogar eine gute Reise! Wirklich witzig! Drei Stunden später fielen Doris und ich uns wieder in die Arme, nach drei Wochen Trennung.

Zu zweit

Wir waren froh, wieder vereint zu sein und versprachen einander, von jetzt an zusammen zu bleiben! Sie berichtete mir von ihrem erfolglosen Suchen einer Arbeit oder Lehrstelle als Krankenschwester. Sie hatte in der Zwischenzeit einige Bergwanderungen unternommen und neue Freunde gewonnen. Ich erzählte ihr von meiner Reise und den Schwierigkeiten, die das Trampen mit sich gebracht hatte. Meine Idee war, einen alten VW-Bus zu kaufen und damit los zu düsen. Sie fand diese Idee jedenfalls besser, als mit den Mofas zu fahren. So sattelten wir wieder unsere Zweiräder und fuhren nach Kempten. Zuerst besuchten wir die Kommune in der alten Memminger Straße. Bully, so genannt, weil er immer an seinem VW-Bus rumschraubte und manchmal auch einen verkaufte, war gerade nicht da. Und die anderen wussten nicht, wo man schnell einen besorgen könnte. Er sei mit dem Maikel für ein paar Tage weggefahren, käme aber bald wieder. Doch so lange wollten wir nicht warten. Also besorgte ich das neueste ‚Käsblättle‘ und überflog die Annoncen. Da stand doch glatt ein ‚Bully‘-Lieferwagen, aber ohne TÜV und deshalb spottbillig. Wir fuhren ihn anschauen. Und was für eine Überraschung, der Verkäufer war derselbe, der mir vor über drei Jahren die BMW für die Weltreise verkauft hatte, die ich dann leider gegen meinen Mammut eingetauscht hatte und den damit verbundenen Ärger! Natürlich berichtete ich ihm kurz von meiner Weltreise. Der VW-Bus war leider das neue Modell mit der durchgehenden Frontscheibe und dem 1,5 Liter Motor. Für diese gab es im Osten, soviel ich wusste, noch keine Ersatzteile. Aber er war so günstig und bot viel mehr Fahrkomfort, sodass wir ihn kauften. Die Mopeds in den Laderaum und nach Hause damit! Als wir anhielten, kam gerade ein Freund von der Arbeit zurück. Er lernte Schreiner, und als wir ihm von unseren Plänen erzählten, bot er sich an, uns die Bretter für den Innenausbau zu besorgen und zu hobeln.

Alles wurde einfach und leicht gemacht. Der Tisch war aufklappbar und diente als Bett, die Bänke und Lehnen konnte man herausnehmen, um sie vor die Räder zu legen, im Falle, dass wir im Sand stecken blieben. Und dann zum TÜV. Doch unsere Sorgen waren unbegründet, das Fahrzeug war noch zu neu. Auch erinnerte sich der Prüfer an mein Seitenwagengespann, als ich ihm von unseren Plan erzählte, denn solche sah man nicht alle Tage. Er war erfreut, mich heil wiederzusehen. Was den Motor des Busses betraf, meinte er, er klinge gut, doch dürfe man nicht vergessen, dass deren Lebensdauer so bei 100 000 Kilometer liegt, je nach Fahrweise, und unserer hatte schon mehr als das auf dem Buckel…

Noch ein Besuch auf dem Schrottplatz, um uns mit einem doppelten Satz Reifen und Felgen auszurüsten, und unser Überlandbus war reisefertig. Wir brachen an einem Septembermorgen auf und nahmen die altbekannte Gastarbeiterstrecke über Salzburg und durch Jugoslawien in Richtung Türkei. Wir suchten zum Übernachten natürlich die schönsten Plätze aus, vor allem mussten sie diskret sein, wir wollten möglichst wenig gesehen werden. Denn, obwohl wir mit wenig Geld reisten, waren wir um vieles reicher als die Einheimischen. Der ‚Autoput‘, die jugoslawische ‚Autobahn‘, die eher einem Schweizer Käse glich, nahm unser Auto ganz schön in die Mangel. Aber diese Strecke, die mir damals ein Alptraum gewesen war, überstand unser Bully ohne eine einzige Panne (siehe Buch ‚Hippie Trail 1). Diesmal bogen wir nicht nach Griechenland ab, sondern steuerten Bulgarien an. Ich hatte einen neuen Pass und eigentlich nichts mehr zu befürchten (siehe Buch ‚Wintermärchen‘). Dennoch war mir nicht so ganz geheuer. Die Transitgebühr war inzwischen auf 50 Mark pro Person erhöht worden. Und das schien das einzige zu sein, was die Zöllner interessierte. Und die Straße war sehr gut. Nach einer Weile bogen wir von der Hauptstraße ab, um das Land zu sehen und einen Platz für die Nacht zu suchen. Kaum standen wir, da hielt schon ein Auto an, woraus zwei Uniformierte stiegen. Waren sie uns schon eine Weile hinterhergefahren? Soviel ich verstand, dürften wir nicht anhalten und vor allem die Transitstrecke nicht verlassen. Ich lobte ihr schönes Land und dachte, sie würden einlenken. Nichts zu machen. Zurück auf die Hauptstraße und weiterfahren! Oder in einem der daran gelegenen staatlichen Hotels übernachten. Sie fuhren uns noch eine Weile hinterher. Irgendwann sah ich sie nicht mehr im Spiegel. Als es dann dunkel wurde, fuhren wir auf einen Parkplatz und stellten uns zwischen die LKW. Was sollten wir unser weniges Geld für deren Hotels rausschmeißen! Das war ja gerade der Vorteil von einem Campingbus, dass man, wie eine Schnecke, immer sein Haus dabei hatte und auch nicht seinen Rucksack schleppen musste!

So kamen wir in ein paar Tagen bis Istanbul, der Stadt der tausend Türme. Hier versuchte man mehrmals, eine der Autotüren zu öffnen, sogar, wenn wir drinnen waren. So blieb uns nichts anderes übrig, als auf einen ‚bewachten‘ Parkplatz zu gehen, wo schon andere, meist bunt bemalte VW-Busse und englische Überlandbusse standen und das ‚Schutzgeld‘ an einen etwas zwielichtigen Parkwächter zu zahlen. Trotz diesem wurden in den paar Tagen, die wir hier verweilten, mehrere Autos geknackt. Dieser Platz lag zum Glück ziemlich zentral. Auf der einen Seite ging es zum Puddingshop und den anderen Freak-Treffpunkten, gegenüber erhoben sich hinter einem Park die Minarette der Blauen Moschee.

Zusammen erkundeten wir den Bazar, ließen uns von der Pracht der angebotenen Waren, die nicht für uns bestimmt waren, bezaubern. Wir saßen in Moscheen und lauschten dem Gesang des Muezzins. Hand in Hand wanderten wir am Bosporus entlang, sahen den Fischern beim Entladen ihres Fanges zu, folgten mit unseren Blicken den rauchenden Fähren nach Asien. In der Ferne verband schwebend die neue Hängebrücke Europa mit Asien, worunter sich langsam wie Schnecken die Ozeanriesen in beide Richtungen bewegten. Bisweilen tutete ein Nebelhorn, dessen dumpfer, vibrierender Ton mir bis tief unter die Haut drang und in mir ein unsagbares Fernweh auslöste. Ich versuchte das meiner Gefährtin zu erklären. Sie meinte, bei ihr löse dieser Klang eher Heimweh aus. Hier gestand sie mir auch, dass sie bei meinem unerwarteten Auftauchen in München gedacht hatte, ich sei zurückgekommen, weil ich genug vom Reisen hatte. Sie hatte sich nicht vorstellen können, dass ich ihren Brief in so kurzer Zeit erhalten habe. Ich erklärte ihr, dass ich umgedreht war, um mit ihr zusammen aufzubrechen, da ich es ihr nicht zumuten wolle, alleine bis nach Erzurum zu fahren… Auf jeden Fall waren wir jetzt zusammen hier und sie wollte auch weiter mit mir zusammen nach Osten. Jedenfalls war Istanbul eine gute Vorbereitung auf das, was uns bald erwartete.

Wir wollten den Staub der Reise loswerden und gingen in ein Hamam, ein türkisches Bad. Das sind meist uralte Gewölbe, innen überall mit Keramikfliesen bedeckt, wo eine erstickende, feuchtwarme Atmosphäre herrscht. In Nischen befinden sich Becken mit heißem und kaltem Wasser, was man mit Schüsselchen schöpft und über sich leert. Das Ganze mit einem Tuch um die Hüften, denn im Orient ist Nacktheit verpönt, und auch Männlein von Weiblein getrennt. In diesen Bädern wäscht man sich, man kann sich massieren lassen, man trifft sich zu einem gemütlichen Schwätzchen. Dabei kann man sich auf erhitzte marmorne Bänke legen. Eigentlich eine gemütliche Angelegenheit, doch für einen Fremden ist das anfangs etwas ungewohnt, es sei denn, man wird gleich als Deutscher erkannt und ein ehemaliger Gastarbeiter nimmt einen unter seine Fittiche. Doris musste natürlich in das Frauenbad. Dort nahmen ein paar Frauen sich ihrer und wollten sie mit einer grünen Paste einreiben, wohl um ihr alle Haare, außer denen auf dem Kopf, zu entfernen. Anscheinend ist das dort die Mode… Auf jeden Fall waren wir froh, uns wieder sauber und noch vollständig behaart wiederzusehen!

Am letzten Abend saßen wir im Sultan Ahmed Park, gegenüber der Blauen Moschee. Die Sonne war schon seit einer Weile großartig untergegangen und der Himmel war wolkenlos. Plötzlich zuckten Blitze auf und erleuchteten die Moschee mit bunten Farben. Donner dröhnte aus Lautsprechern, dann ertönte orientalische Musik. Eine Stimme las in verschiedenen Sprachen, auch in Deutsch, orientalische Poesie vor. Es war eine ‚Lightshow‘, hier wohl das Allerneueste. Wir waren entzückt, obwohl wir zu Beginn erschrocken waren. Teeverkäufer machten die Runde, Sesamkringel wurden geknabbert, und sogar ein paar Schuhputzer versuchten ihr Glück. Dann zurück zu unserem Bus. Wir waren jedes Mal froh, ihn heil wiederzufinden. Inzwischen war ein englischer Doppeldeckerbus voller Freaks angekommen und es ging hoch her. Wie der wohl unter den Brücken durchkam?

Kara Deniz

Am nächsten Morgen zuckelten wir durch den dichten Verkehr zur Anlegestelle der Fähren. Zwischen bunten Bussen und qualmenden LKWs fanden wir einen so engen Platz, dass wie durch die seitliche Schiebetür aussteigen mussten. Leichte Gischt spritzte auf das Fahrzeugdeck, worauf wir standen, der Wind wehte uns erste Gerüche von Asien zu. Beim Anlegen wollte jeder der erste sein. Motoren röhrten und die Hupen schienen blockiert. Als unsere Türen freiwaren, sprangen auch wir schnell in unser Fahrzeug, bevor uns ein Ungeduldiger von hinten hinausschob, und wir krochen in einer Kolonne stinkender Laster die Serpentinen hoch, die uns auf die neue Autobahn brachten, welche Istanbul über die Hängebrücke mit Ankara verband. Bald kamen wir auf ein Plateau. Gemüsefelder lösten sich mit Getreideflächen ab, an verschiedenen Stellen fuhren monströse Maschinen über das Land und ernteten Kartoffeln. Später, als die Gegend hügeliger wurde, verwandelte sich das Land in Weiden mit Schafherden darauf. Die Tiere waren länger als deutsche Schafe. Ein beim Rennen auf und ab wippendes Fettpolster verlängerte das Hinterteil. Wohl eine Art Reservetank, wie bei einem Kamel. Und deren Hirten waren meistens Kinder, die durch Steinwürfe die Tiere zu lenken versuchten. Doch diese waren etwas stoisch oder bevorzugten das Futter an dem Ort, wo sie gerade grasten. Auch waren sie durch ihre Wolle gut gepanzert gegen Wurfgeschosse. Also suchten sich die Kinder andere Ziele für den Stein, den sie gerade in der Hand hielten. Was war da geeigneter als unser Auto? Wie bereute ich, daheim keinen Schutzrahmen mit Gitter für die Windschutzscheibe gebaut zu haben! Für die alten, doppelscheibigen Busse, gab es diese bei fast jeder neben der Straße liegenden Reparaturwerkstätte, nicht aber für unser Modell. Trotzdem kamen wir heil nach Ankara.

Hier bogen nach Norden ab, um zum Schwarzen Meer zu gelangen. Wir durchfuhren nicht endende Haselnuss-pflanzungen, wo sich Kinder hoch hinaufhangelten, um die Nüsse abzuschütteln. Manchmal hingen sie wie Tarzan an den bogenförmigen Stämmen und machten Klimmzüge, damit die reifen Früchte zur Erde fielen oder schlugen mit langen Stangen daran. Die Frauen und die kleinen Kinder lasen sie auf, warfen sie auf Haufen und stampften darauf herum, um die trockenen, kranzförmigen Blatthüllen zu entfernen. Die Männer standen dabei, rauchten Zigaretten oder füllten die Ernte in Säcke, um sie auf Eselsrücken in die Dörfer zu schaffen. Dann wieder wilde Schluchten und malerische Dörfer. Bisweilen lösten Kiefernhaine die Plantagen ab und es duftete nach Harz. Wir fanden an unseren Übernachtungsplätzen Pilze, die unseren einheimischen ähnelten. Wir fragten die Leute, ob sie gut seien, oder aßen anfangs nur wenig davon, um sie zu probieren. Hier sprachen sehr wenig Menschen Deutsch. Vielleicht ermöglichte ihnen die Kultur der Haselnüsse ausreichende Einnahmen und sie suchten deshalb ihr Glück nicht in der Ferne.

Und dann lag es vor uns, unter einer schwarzen, tiefen Wolkendecke, Kara Deniz, das Schwarze Meer. Endlos wie alle Meere erstreckte es sich bis hinter den Horizont. Hier und da pflügte ein Schiff seine schaumige Furche in den flüssigen Grund, eine Regenwand trieb einem Schleier gleich nach Osten. Die schmale Straße wand sich durch feuchtgrüne Wälder langsam der Küste zu. Bald verließen wir sie und bogen in einen kaum sichtbaren Weg ein, eigentlich nur zwei Spuren im kurzen Gras, die über den Klippen endeten, nicht einsehbar von der Straße. Das war uns gerade recht. Wir drehten das Auto in Wegfahrrichtung, aus Sicherheitsgründen und um nicht morgens mit beschlagenen Scheiben riskante Manöver fahren zu müssen. Wir stiegen aus und streckten uns. Der Boden klang eigenartig unter unseren Schritten. Wie hohl. Wir gingen bis zum Klippenrand. Dort war der Felsen nackt. Schwarz und porös. Das musste eine Art Lava sein. Unter uns stürmten die Wellen gegen die Steilküste. Diese warf sie aufspritzend wieder zurück. Bei jedem Ansturm vibrierte der Boden unter unseren Füssen. Der Steilhang musste schon ziemlich weit unterhöhlt sein. Wir durchstreiften das Wäldchen oberhalb der Küste auf der Suche nach Feuerholz. Hier und da öffnete sich eine grasbewachsene Lichtung. Auf der höchsten entdeckten wir ein weißes Steingrab. Am oberen Ende war eine flache Stele aus Stein aufgerichtet, worin ein Halbmond gemeißelt war, am unteren Ende stand eine mit einem eingemeißelten Anker und der Aufschrift ‚Arslan Fat Kaptan‘.

Auf hoher Klipp

In grünem Laub,

Ein weißer Marmorstein –

Im leisen Wind

Die Schatten wehn

Im ewgen Spiel des Seins

Hier fandst du Ruh

Vom Lebensweg

Der dich führt‘ über’s Meer

Nicht Wasser ist’s

Das dich umgibt

Dich deckt die braune Erd‘

Dein Auge schaut

Nach Morgen hin

Auch wenn der Stoff vergeht

Denn aus dem Staub

Im Zeitenmeer

Der neue Mensch entsteht

Auf hoher Klipp

In grünem Laub

Hoch über’m Ozean

Da schwebt dein Geist

In Allahs Hand

Arslan Fat, Kaptan

*

Am nächsten Tag näherte sich unsere Straße dem Meeresspiegel. Bald säumte herrlicher weißer Sandstrand die Küste, sanfte Dünen hatten sich zwischen Ufer und Straße angehäuft. Gegen Abend konnten wir dem Ruf des Meeres nicht widerstehen. Wir wollten im Meer baden und irgendwo in den Dünen übernachten. Weit weg von jeglicher Ansiedlung. Denn immer, wenn wir wo anhielten, waren wir bald von einer Horde Neugieriger umzingelt. Zuerst die Kinder. Diese waren eigentlich die Harmlosesten. Sie machten ihre Faxen, und wenn es zu viel war, konnte man sie wegscheuchen. Die Jugendlichen gingen einem schon mehr auf die Nerven. Sie drängten sich immer näher, fassten alles an und wollten Tauschgeschäfte machen. Man merkte, sie redeten über uns und machten Witze über uns. Sie zogen sich eigentlich nur zurück, wenn ein Erwachsener auftauchte. Sprach dieser Deutsch, dann ging erst mal ein nicht endendes Palaver los, was meist mit Teetrinken endete, oder besser gesagt, in Teetrinken überging. Und das kann sich in der Türkei endlos hinziehen. Ein Bach unterquerte die Straße und floss in Richtung Meer, daneben eine Fahrspur. Wir bogen ab und folgten ihr. Zuerst durch die Dünen, oberhalb der steilen Böschung des Baches.

Wir hatten die Dünen hinter uns, der Weg verlief sich im Sand. Wir fuhren auf dem feinen, weißen Sand weiter. Er trug gut. Hier würde uns niemand finden, zu weit weg von einer Siedlung und durch die Dünen gut abgeschirmt! Zumindest würden wir erst mal die Zeit haben, in Ruhe zu baden. Irgendwann würde dann wohl jemand kommen. Denn in der Türkei ist immer jemand irgendwo. Plötzlich bemerkte ich, dass der Motor zu schaffen hatte. Der Sand trug das Fahrzeug nicht mehr gut, es sank leicht ein. Nur nicht anhalten, dachte ich mir, und fing an, eine weite Kurve zu beschreiben, um wieder auf festeren Grund zu kommen. Die Drehzahl sank ab, ich musste runterschalten. Dabei verlor die Kiste ihren Schwung und blieb stehen. Als ich wieder anfahren wollte, fingen die Hinterräder an, sich einzugraben. Kein Problem, es war an alles gedacht! Wir gruben mit dem Spaten etwas Sand weg und legten die Lehnen der Bänke und deren Deckel hinter die Hinterräder. Ebenfalls legten wir unsere Iso-Matten hinter die Vorderräder. Wir wollten versuchen rückwärts aus dem Schlamassel raus zu kommen. Als es fast geschafft war, würgte der Motor ab. Das ist normalerweise auch kein Problem. Ein Drehen am Zündschlüssel, und er geht wieder! Aber leider nicht in diesem Moment.

Wir hatten schon eine Weile gemerkt, dass es manchmal nach heißer Isolierung gerochen hatte. Doch das konnte auch die Kupplung sein, oder die Bremsbeläge. Oder irgendein Feuer draußen, wo Leute Unrat verbrannten. Aber dass es der Laderegler war, der schmorte, darauf war ich zu spät gekommen, eben jetzt, hier am Strand, wo ich merkte, die Batterie war leer. Besser gesagt, die Batterien! Denn natürlich hatten wir eine Ersatzbatterie, aber die war mit der anderen parallel angeschlossen, damit wir mehr Anlasserstrom hatten, und damit sie immer aufgeladen war. Großer Fehler! Das, was wir hatten vermeiden wollen, und weswegen wir so weit auf den Strand gefahren waren, wäre jetzt angebracht gewesen: Menschenmenge! Doch wo herholen, hier draußen am Strand, hinter den Dünen versteckt? Und Türken sind nicht so wasserversessen wie wir Deutsche! Also gingen wir in unseren Spuren zurück und trafen bald auf die ersten Neugierigen, die diese schon ausfindig gemacht hatten. Doch mit bloßer Muskelkraft war hier nicht viel zu machen, weil ich ja den Motor nicht anbekam. Da hatte einer der Männer eine Idee und alle schienen Feuer und Flamme zu sein. Ein paar Kinder wurden losgeschickt. Wir waren gespannt. Und bald sahen wir, was die Idee gewesen war: Ein riesiger hellblauer Ford-Traktor bahnte sich den Weg durch den weißen Sand zu uns hin, umtanzt von einer Schar johlender Kinder. Der Fahrer sprach sogar drei Brocken Deutsch. Er drehte sein Monster um und ich hängte unseren Bully mit der hinteren Stoßstange am Haken des Traktors an. Vorne wäre besser gewesen, aber wir standen halt so und es war einfacher. Jeder setzte sich an sein Lenkrad, und er zog langsam an. Unserem Bus blieb nichts anderes übrig, als mit langsam drehenden Rädern zu folgen. Dann gelangten wir vom Strand auf den dem Bach folgenden Weg. Spätestens hier hätten wir den Bus in Fahrtrichtung umdrehen müssen, und vorwärts weiterschleppen. Die inzwischen angewachsene Menge der Schaulustigen umringte den Traktor, der mit seinem Gedröhne alles übertönte. Ich wollte hupen. Doch ohne Batterie? Ich bremste. Doch der Traktor merkte das nicht einmal. Keiner dachte mehr an mich, noch an das Auto. Alles bewunderte die Kraft des Traktors. Dadurch, dass die Abschleppöse an der rechten Seite der Stoßstange befestigt war, wurde auf dem schmalen Weg das Hinterteil des Autos zur Böschung gedrückt. Soviel ich auch vorne dagegen lenkte, ich bewirkte nur das Gegenteil: der Bus bewegte sich immer mehr der sandigen Kuppe zu, die äußeren Räder waren schon im Leeren, jetzt schleifte der Boden schon auf dem Sand. Das Fahrzeug neigte sich immer mehr dem unten fließenden Bach zu, gleich würde es umfallen! Da bemerkte der Traktorfahrer, dass etwas nicht stimmte, oder hatte sich nur mal so umgedreht? Er hielt an. Ich kletterte über den Beifahrersitz nach oben hinaus. Die Karre stand auf der Kippe. Zufällig stand gegenüber dem Bus das einzige Bäumchen weit und breit. Ich kramte mit zitternden Händen ein Seil aus dem Bus, bevor er ganz umfiele, schlang es um den Holm der Türöffnung und band es am Bäumchen fest. Jetzt war endlich das Fahrzeug gesichert!

Wir hatten die meiste Ausrüstung in einem Schrank auf der Fahrerseite untergebracht. Wir legten einen Poncho vor das Auto und räumten alles aus, um das Fahrzeug leichter zu machen und um zu retten, was zu retten war, denn wer wusste, ob das Seil oder der Baum halten würde. So reichte ich aus dem schief hängenden Auto all unsere Ausrüstung zu Doris hinaus, von den Reserverädern über die Benzinkanister bis zu unseren Papieren. All das stapelten wir vor den neugierigen Augen des halben Dorfes. Doris blieb zwar zur Bewachung dabei, doch wundere ich mich noch heute, dass nichts davon verschwand. Nun befestigte ich das Abschleppseil an der Stoßstangen-Befestigung auf der rechten Seite, wir ließen das andere Seil am Baum befestigt, um so das Fahrzeug wieder waagerecht zu bekommen und zurück auf den Weg. Ich kletterte hinters Lenkrad und der Traktor zog erneut an. Ganz langsam diesmal. Und es klappte! Das Seil spannte sich zum Zerreißen, der Bus kam hoch, das Seil dehnte sich und ächzte, doch das Fahrzeug kam langsam zurück auf dem Weg! Schnell warfen wir mit Hilfe der Umstehenden alle Ausrüstung wieder in den Wagen, schnitten das Seil ab, die Knoten waren schier verschmolzen und nicht mehr lösbar. Dann schleppte uns der Bauer zurück zur Straße. Ich legte den Rückwärtsgang ein, ließ die Kupplung leicht rutschen, ein Ruck, und der Motor lief. Wir bedankten uns beim Schlepperfahrer und den anderen und wollten ihnen etwas für die Hilfe geben. Doch er lachte nur, winkte ab und sagte: „Alman Türk Arkadech“. Röhrend entfernten sich der Traktor und die johlende Meute.

Бесплатный фрагмент закончился.

142,68 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
200 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783742759078
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают