Читать книгу: «Wo du hingehst, will ich nicht hin!», страница 3

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„Mit siebenundzwanzig ist sie genauso alt wie Niklas, noch nicht lange im Beruf und hat sich noch keine besondere Position erarbeitet. Sie meint, sie liebe Niklas so sehr, dass sie auf eine berufliche Karriere verzichten könne. Uns steht bald eine Hochzeit ins Haus. Du kommst doch bestimmt auch dazu, wenn es so weit ist?“, wollte Margot wissen.

„Wenn es mir gut geht, gerne“, stimmte ich zu. „Das sind ja Neuigkeiten. Und was macht Katja? Ihr Studium der Architektur müsste bald zu Ende gehen.“

„Ja. Neulich konnte ich mit ihrem Professor sprechen, er betonte wieder, wie begabt sie für diesen Beruf sei. Sie wird also wohl ihren Weg gehen, wie sie es sich vorgenommen hat.“

„Was heißt das, Margot, wie sie es sich vorgenommen hat? Meinst du damit, sie wird nie heiraten, weil sie dies stets so verkündet hat und nun schon fast zwei Jahre lang mit Alexander geht, ohne an Heirat zu denken? Vielleicht ist er nur nicht der Richtige, vielleicht muss erst ein anderer kommen, dann kann sich das alles ändern. Sie wäre nicht die Erste, die ihre Vorsätze über den Haufen wirft“, widersprach Helmut.

„Du unterschätzt den Willen deiner Tochter, Helmut. Außerdem, wie redest du über Alexander? Behandelst du ihn nicht sonst wie einen Schwiegersohn?“

„Solange er mit Katja zusammen ist, so lange sehe ich ihn auch so. Doch da sie nicht verheiratet sind, jederzeit auseinandergehen können, muss wohl ein Vorbehalt gestattet sein.“, verteidigte sich Helmut.

„Nun ja, Katja will es so. Also müssen wir uns damit abfinden“, erklärte Margot daraufhin kurz.

„Was sagt sie denn zu den Heiratsplänen ihres Bruders“, fragte ich jetzt. Wusste ich doch, wie sie immer prophezeit hatte, Niklas würde nie eine Frau finden, die bereit wäre, ihren Beruf aufzugeben und ihm zuliebe zu Hause bliebe.

„Katja hat nur gelacht. Sie glaubt nicht, dass Niklas Braut Irmgard als Hausfrau glücklich werden kann, nachdem sie so viel Kraft in das Erlernen eines anspruchvollen Berufs gesteckt hat“, sagte Margot und ich spürte, auch sie bezweifelte das.

Damit war das Wichtigste erzählt und ich hatte genug erfahren. Helmut reckte sich müde, stand auf und drängte: „Komm, lass uns jetzt erst mal in unser Quartier gehen.“

„Zum Abendessen sehen wir uns aber wieder“, forderte ich sie auf und sah ihnen nach, wie sie mit dem Auto den kurzen Weg zur Pension fuhren. Es war schön, sie wieder in der Nähe zu wissen, auch wenn es nur für ein Wochenende war.

Am nächsten Tag machten wir eine Kaffeefahrt zur Okertalsperre. Wir spazierten wie viele andere über die Staumauer und ein Stück am Stausee entlang. Julchen war wie immer dabei. In einem Restaurant bei einem Wasserfall kehrten wir ein. Julchen legte sich brav zu meinen Füßen unter den Tisch, man bemerkte sie kaum, bis ein anderer Hund hereinkam, da knurrte sie leise. Doch nur so lange, bis er vorbei war. „Komm mir nicht zu nah“, sollte das wohl warnend heißen. Wir tranken Kaffee, aßen ein sündhaft großes Stück Torte und fühlten uns wohl miteinander. Wir redeten und redeten, der Gesprächsstoff ging uns nie aus.

Den Abend verbrachten wir noch gemeinsam bei mir im Haus. Dann verabschiedeten sie sich und gingen zurück in ihre Pension. Ich sah ihnen nach, wie sie Hand in Hand die Straße entlanggingen, zwei Menschen die zusammengehörten, die das Leben zusammenwachsen ließ wie einst Konrad und mich. Als ich ins Haus zurückkehrte, erschien es mir wieder besonders leer und ruhig. Ich nahm die Hundeleine vom Haken und lief in der Abenddämmerung noch eine Runde mit Julchen.

Morgen würden sie wieder zurückfahren nach Berlin. Ich war ihnen dankbar dafür, dass sie diese Strapaze für einen Wochenendbesuch um meinetwillen auf sich nahmen. Seit Konrads Tod, waren sie bemüht, mir das Gefühl zu geben, dass sie stets für mich da waren.

*

Kapitel 3

Bald danach an einem Sonntag machte ich mich auf den Weg nach Hannover, um meine Schwester Traudel und ihren Mann Karl-Heinz zu besuchen. Julchen war bereits vorher außer Rand und Band, als sie meine Vorbereitungen bemerkte. Autofahren, das bedeutete für sie ein aufregendes Erlebnis. Vielleicht fuhr man nur umher, dann konnte sie beim Spazierengehen unbekannte Gerüche ergründen, oder es ging sogar zu Regina, das bedeutete für sie, erst einmal mit ihr rumtoben zu können, bis ihr die Zunge zum Halse heraushing. Meine Nichte Regina war es, die uns damals überredet hatte, diesem kleinen Hund bei uns ein Zuhause zu geben. Ihren eigenen Wunsch nach einem Hund, einem Bruder von Julchen, hatte Traudel abgelehnt. „Das fehlte mir noch, dass der mir zwischen all den Autos auf dem Hof herumwuselt. Da hätte ich ja immer Angst, er könnte überfahren werden“, hatte sie erklärt. So war Regina froh, dass wenigstens mit uns ab und an einer dieser kleinen Hunde zu ihnen zu Besuch kam. Heute war ich ihr sehr dankbar dafür, dass es ihr gelungen war, Konrad zu überreden, denn wie viel einsamer wäre jetzt mein Leben ohne Julchen, mein kleines Fellbündel.

Wie jeden Sonntag bei schönem Wetter rollte der Ausflugsverkehr in den Harz hinein, ich aber fuhr hinaus Hannover entgegen. Julchen lag hinten auf der Bank zusammengerollt und richtete sich nur auf, um neugierig hinauszublicken, wenn ich einmal anhielt. Näherten wir uns jedoch der Straße, in der sich das ,,Autohaus Roth“ befand, so wurde sie unruhig, lief auf der Rückbank von einem Fenster zum andern und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz, als könne sie riechen, wo wir uns befanden. Zum Autohaus musste ich zum Glück nicht in die Stadt hineinfahren, es lag am Rand von Hannover. Früher war das an einer Landstraße gewesen, die nach der alten Kfz-Werkstatt weiter durch weite Wiesen hinaus ins Land führte. Heute gab es links und rechts der Straße um den großen Komplex des Autohauses herum, Ein- oder Zweifamilienhäuser. Und es wurden weiterhin neue gebaut, die Stadt wuchs in die Landschaft hinaus.

Nachdem ich dem letzen Bogen der Landstraße gefolgt war, sah ich es vor mir. Die Sonne spiegelte sich in der hohen Glasfront der Ausstellungshalle für die Neuwagen wider. Hinter dem großen Parkhof daran stand das Wohnhaus. Groß und prächtig hatte es einstmals gewirkt, als es dahinter nur eine kleine Reparaturwerkstatt gegeben hatte. Doch jetzt verschwand es beinahe neben der vergrößerten Werkstatt und dem Verbindungsbau zur Ausstellungshalle. Auch der ehemals große Garten, der zum Haus gehörte, war zusammengeschrumpft für einen Anbau an das Haus, damit damals jedes Kind sein eigenes Zimmer haben konnte.

In dem Verbindungsbau zwischen Werkstatt und Ausstellungshalle waren die Büroräume. Hier saß Traudel und hielt alle Fäden des Betriebes in der Hand. Jedes Mal, wenn ich hierher kam, empfand ich Hochachtung vor der Leistung, mit der hauptsächlich sie aus einer kleinen Kfz-Werkstatt dieses „Autohaus Roth“ gemacht hatte.

Auch heute am Sonntag war es hier nicht ausgestorben, da kamen die Menschen aus der Stadt, schlichen um die ausgestellten Gebrauchtwagen auf dem Hof herum, schauten und hingen ihrem Wunschtraum nach oder hofften, einen davon zu einem Preis zu finden, den sie bezahlen konnten. Andere wieder drückten sich die Nasen an den hohen Glasscheiben der Ausstellungshalle platt, um besser hineinsehen zu können.

Ich fuhr auf den Hof, stellte mein Auto vor dem Hauseingang ab und sah zu der von Büschen verdeckten Terrasse hinter dem Haus. Ein Jauchzer war nicht zu überhören. Ich wusste, gleich würde die Haustür aufgehen und Regina käme angesaust. Ich beeilte mich, Julchen die Autotür zu öffnen. Sie fiel vor Aufregung fast heraus, jagte einmal um das Auto herum und stürzte sich dann auf Regina, als sie die Haustür aufriss. Sie hatte kaum Zeit mich zu begrüßen, ich wusste, nun gingen beide erst einmal in den Garten und tobten dort, bis sie atemlos waren.

Traudel kam mir entgegen. „Der Kaffeetisch wartet schon auf dich“, rief sie mir zu und umarmte mich. Gut sah sie aus, wie immer, selbst in den bequemen langen Hosen mit dem lockeren Pulli darüber behielt sie ihre Haltung einer Chefin. Die hochgesteckten roten Haare glänzten wie Gold in der Sonne. Doch längst waren es jetzt gefärbte rote Haare, womit sie die weißer werdenden Strähnen vertuschte. Eine Strähne davon hatte sie lockig in ihre Stirn gekämmt. „Ein Zugeständnis an die Jahre“, meinte sie, „damit zu den strengen Haaren nicht auch noch die strengen Falten im Gesicht auffallen.“ Wo sah sie nur Falten?

Karl-Heinz trat aus der Werkstatt zu uns.

„Was machst du da drin am Sonntag?“, wunderte ich mich.

„Wenn er nicht wenigstens einmal am Tag durch die Werkstatt geht, fehlt ihm etwas“, lachte Traudel.

„Na, so schlimm ist es auch wieder nicht!“, wehrte Karl-Heinz ab und umarmte mich. Von ihm ging stets eine Ruhe aus, die gut tat. Man vermochte es sich eigentlich nicht vorzustellen, dass er auch mal unnachgiebig sein konnte, worüber sich Traudel mitunter beklagte. Seine dünnen leicht gelockten Haare lichteten sich und blond, nein blond waren sie wohl nicht mehr, eher grau. Er hatte ja auch wie ich die Sechzig überschritten. Wir waren in einem Alter.

Bald saßen wir auf der Terrasse zusammen, der Kaffee dampfte in den Tassen und wir sahen Regina und Julchen zu, die sich um einen Ast zu streiten schienen. Dann waren wir bei dem Problem, das uns alle beschäftigte: Susanne.

Traudel bekam einen harten Zug um den Mund. „Die finden kein Ende mit dem Streit, weder Susanne noch Robert wollen sich entscheiden. Wie lange soll das noch gehen?“, empörte sie sich.

„Eine zu schnelle Entscheidung bei einem so schwerwiegenden Problem wäre bestimmt falsch“, meinte Karl-Heinz.

„Natürlich, du hast wieder Verständnis dafür. Kannst du mir mal sagen, wie lange Susanne das noch aushalten soll, wenn sie von Robert so unter Druck gesetzt wird?“

„Ich vermute, Susanne wird Robert ebenso unter Druck setzen. Vergiss nicht, Traudel, dass sie sehr eigenwillig sein kann“, warf ich ein.

„Wie könnt ihr erwarten, dass sie eine schnelle Lösung finden? Die würde nur auf Kosten von einem der beiden gehen“, erklärte Karl-Heinz.

„Wie kann es auch anders sein? Einer von ihnen wird am Ende auf das, was ihm wichtig ist, verzichten müssen“, antwortete ich.

„Darauf aber müssen sie von allein kommen. Wenn sie nur aufhören könnten zu streiten. Erst im ruhigen Gespräch miteinander, werden sie fähig sein, einen Ausweg zu finden.“ Darum sorgte sich Karl-Heinz.

„Wie sollen sie in Ruhe miteinander reden können, wenn keiner bereit ist nachzugeben. Und warum soll Susanne überhaupt nachgeben? Nein, in meinen Augen ist es sehr egoistisch, was Robert von ihr verlangt. Wenn er vernünftig überlegen würde, gäbe es dieses Problem überhaupt nicht“, beharrte Traudel.

„Ich weiß nicht …“ Nachdenklich sah ich von einem zum andern. Wer hatte Recht? Wie erwartet, stand Traudel auf der Seite von Susanne, während Karl Heinz es am liebsten jedem recht machen würde. Seltsam, wie jeder, der darüber nachdachte, sofort einen Standpunkt dazu einnahm. Helmut hatte für Robert Verständnis gezeigt und sogar Margot würde es wohl richtiger finden, wenn Susanne um der Familie willen nachgibt. Nur raten würde sie ihr das nie.

Regina und Julchen beendeten unser Gespräch. Sie kamen außer Atem auf die Terrasse gelaufen. Julchen brach zu meinen Füßen zusammen und Regina ließ sich in einen Sessel fallen. Ihre Augen, so grünlich schimmernd wie bei der Mutter, leuchteten. Hastig strich sie sich durch die kurzen roten Haare und den Sand von ihren ausgebeulten Jeans. Das Rumtoben hatte ihr gefallen. Sie war wirklich ein halber Junge. Als Kind war ihr kein Baum zu hoch gewesen, und am liebsten hatte sie sich in der Werkstatt bei ihrem Vater herumgetrieben, zum Leidwesen ihrer Großmutter. Doch ich hatte längst erkannt, dass da manchmal bei ihr ein liebenswerter, weicher weiblicher Zug durchkam. Es war auch nicht so, dass die jungen Männer in ihr nur einen Kumpel sahen.

Regina hatte gerade Zeit, sich ein wenig in den Sessel zu strecken, da fuhr donnernd ein Motorrad auf den Hof und es hupte vor der Tür. „Das ist Toni“, rief sie aufgeregt und sprang auf. Röte schoss ihr ins Gesicht und ihre Augen blitzten. Sie griff sich hastig ein Stück Kuchen, drückte mir noch einen Abschiedskuss auf die Wange und jagte davon. Ich stand auf und sah ihr von der Terrasse aus nach, wie sie sich den Sturzhelm aufsetzte und sich hinter den behelmten Menschen in schwarzem Leder klemmte, bei dem man nur erraten konnte, dass es sich um einen jungen Mann handelte. Schon brausten sie vom Hof davon.

Traudel stand neben mir und seufzte: „Dass die Jüngste nun auch schon so weit ist. Wo sind nur die Jahre geblieben?“

„Du hast es nötig!“, scherzte ich. „Komm mal erst in mein Alter.“

Auch Karl-Heinz erhob sich. „Ich kann euch jetzt sicher allein lassen?“, murmelte er.

„Nun geh nur in deine Werkstatt. Um meinetwillen musst du nicht hierbleiben“, antwortete ich.

Traudel lachte. „Es ist dir doch bereits schwergefallen, so lange ruhig sitzen zu bleiben“, rief sie ihm nach.

Wir waren nicht böse darum, war es doch etwas anderes, wenn wir allein miteinander reden konnten. Da vermochte Traudel freier über alles zu sprechen. Und diesmal ging es um ihren Sohn Klaus in München.

„Er klingt so bedrückt am Telefon. Bernd, dieser so genannte Partner von ihm, ist erkrankt. So richtig will er nicht mit der Sprache heraus, woran er erkrankt ist, aber es muss ernst sein. Du kannst dir sicher vorstellen, dass ich mir da meine Gedanken mache. In diesen homosexuellen Kreisen weiß man doch nie…“, teilte sie mir ihre Sorgen mit.

„Doch nicht bei Bernd und Klaus. Die beiden sind so fest miteinander verbunden wie ein Ehepaar. Bernd, siebzehn Jahre älter, hat immer gut auf Klaus aufgepasst. Ich kann mir nicht vorstellen, was die beiden trennen sollte oder wer von ihnen eine Dummheit machen könnte“, überlegte ich.

„Das sagt Karl-Heinz auch. Trotzdem mache ich mir Sorgen. Man hört jetzt so viel über Aids.“

„Warum denkst du gleich daran? Es gibt alle möglichen ernsten Erkrankungen, die Bernd haben könnte und worum Klaus sich sorgen kann.“

„Und warum sagt er mir das nicht?“

Einer Mutter ihre Sorgen ausreden zu wollen, war nicht so einfach.

Dann wechselte sie das Thema. „Komm mit! Wir gehen nach oben. Du musst dir unbedingt ansehen, was Regina aus Omis Wohnung gemacht hat.“

Wir gingen die Treppe hinauf, an der ersten Etage vorbei, hoch zu Mamas kleiner Mansardenwohnung im Dach. Nach ihrem Tod hatten Traudel und Karl-Heinz die Wohnung zuerst vermietet. Nachdem jedoch vor Kurzem der Mieter aus der Mansardenwohnung ausgezogen war, zeigte Regina Interesse daran.

„Es wird höchste Zeit, dass ich mich selbständig mache. Andere haben das mit Einundzwanzig längst getan“, hatte sie gesagt.

Traudel fand es zwar unvernünftig, da dann drei ehemalige Kinderzimmer bei ihnen im Erdgeschoss leer standen, doch verstehen konnte sie es auch.

Als wir die steile Treppe nach oben gingen, musste ich daran denken, wie stolz mich Mama hier zum ersten Mal hinaufgeführt hatte, nachdem sie aus Berlin hergezogen war, um für Traudel die Kinder großzuziehen. Und eben diese Treppe war sie noch im hohen Alter tagtäglich auf und ab gelaufen, obgleich ihr schon sehr die Beine schmerzten. Zu meiner Überraschung fand ich im Wohnzimmer noch den alten Wohnzimmerschrank vor, den sich Mama und Papa einmal angeschafften, als sie geheiratet hatten. Dass Regina den behielt.

„Davon trennt sie sich nicht“, erklärte Traudel. „Irgendein altes Stück zu haben, scheint heute bei den jungen Leuten beliebt zu sein. Wenn ich so sehe, was da vom Flohmarkt manchmal weggetragen wird. Bei uns wäre das in den Müll geworfen worden.“

Doch dies war das einzige alte Möbelstück im Wohnzimmer. Ansonsten gab es Stühle mit bizarren Lehnen, jede Menge Polsterkissen auf dem Fußboden und in der Mitte einen ovalen Tisch. Auf dem kleinen Balkon im Dach stand eine Liege und in den Blumenkästen blühten Geranien wie bei Mama. Im Schlafzimmer gab es neben einem Garderobenschrank und einem Polsterbett Bücherregale, die vom Boden bis zur Decke reichten. Regina war eine Leseratte. In der kleinen Küche fand ich dann wieder Spuren von Mama. Da hing noch die alte Kaffeemühle an der Wand. Auf dem Tisch stand ihr altes Brotkörbchen und auf einem Paneel standen in Reih und Glied, die alten Metzen für Zucker, Mehl, Hülsenfrüchte, Reis und mehr. Auch Mama hatte die schon von unserer Großmutter geerbt.

„Dass Regina dafür Sinn hat“, wunderte ich mich.

„So kontrastreich wie sich die jungen Leute heute einrichten, so kontrastreich kommen sie mir manchmal auch vor“, erklärte Traudel, ging noch einmal ins Wohnzimmer und wies auf den kleinen Schreibtisch mit einem Computer. „Eben hat sie einen Kursus für Buchhaltung beendet. Und nun sieh dir das an! Hier liegen schon wieder andere Lehrbücher herum. Sie hofft wohl, bald ihren Kfz-Meister machen zu können.“

Julchen schnüffelte in allen Ecken, es roch nach Regina, doch wo war sie? Als wir wieder hinunter zur Terrasse gingen, nahm ich Julchen lieber auf den Arm und trug sie wegen ihrer kurzen Beine die steile Treppe hinab.

„So arbeitet Regina also mit Fleiß daran, einmal alles zu übernehmen, was ihr hier aufgebaut habt“, sagte ich, als wir uns wieder auf die Terrasse gesetzt hatten.

„Ja. Dank sei der Emanzipation! Ein Mädchen als Kfz-Mechaniker, das wäre früher ausgeschlossen gewesen. Denke nur mal daran, was du noch geworden bist, eine Stenotypistin, ein typischer Frauenberuf. Über ein Büro konntest du nie hinauskommen. Und Regina wird einmal nicht nur eine Werkstatt leiten.“

„Und doch bleibt sie eine Frau, wird heiraten und Kinder bekommen …“

,,Ja, sicher!“

„Meinst du nicht, es könnte dann Probleme geben?“

„Ach, was! Das findet sich. Ist doch bei uns auch gegangen“, reagierte Traudel abwehrend.

„Mit Hilfe von Mama, die sich um die Kinder gekümmert hat“, erinnerte ich sie. „Das half euch, es zu schaffen. Susanne dagegen hat es damit ohne Mama viel schwerer.“

„Das stimmt zwar, trotzdem hoffe ich, dass Susanne nicht alles aufgibt und mit Robert herkommt. Auch wenn Robert als Oberarzt vielleicht gut verdienen würde, besser ist es, wenn sie von ihm unabhängig bleibt.“

„Ist der Preis nicht ein bisschen hoch, den sie bis jetzt bereits für ihre Unabhängigkeit bezahlt hat, so gehetzt wie sie immer ist? Und haben die Kinder nicht mitbezahlt, wenn sie herumgeschoben wurden, weil Susanne und Robert zu oft nicht wussten, wo sie die Kinder lassen sollten? Sie waren ihnen ja bei ihren beruflichen Anforderungen fast im Weg.“

„Susanne hat immer einen Ausweg gefunden ...“

„Weil Margot einspringen konnte. Sie hat Zeit für alle drei gehabt“, unterbrach ich sie, obgleich ich sah, wie sich eine ungeduldige Falte auf Traudels Stirn bildete.

„Es kam nicht nur auf Margot an!“, widersprach sie mir sofort. „Schließlich gibt es Kindergärten. Außerdem werden Kinder frühzeitig viel selbständiger, wenn sie sich unter anderen Kindern zu behaupten lernen.“

„Ein Gärtner stützt einen jungen Baum, bis er kräftig genug ist, gerade und allein ...“

„Oder er verbiegt ihn dabei! Was soll der Vergleich?“, fuhr sie mir ins Wort.

„Ich will damit sagen, ob Kind oder junger Baum, sie sollten gestützt werden, bis sie stark genug sind, allein zu stehen und sich nicht mehr jedem Wind beugen zu müssen“, fuhr ich unbeirrt fort.

„Und diese Stütze kann nur die Mutter sein? Das ist Unfug! Nur durch Erfahrung wird ein Mensch klug. Was soll falsch daran sein, wenn ein Kind frühzeitig lernt, wie es sich in einer Gemeinschaft, z. B. Kindergarten, durchsetzen kann?“

„Und was ist mit denen, die dies nicht schaffen? Wie hilflos und verlassen müssen sie sich ohne die Mutter fühlen.“

„Wer zuviel Schutz erfährt, wird unselbständig“, tat Traudel es ab.

„Und deine drei? Sind sie nicht besonders beschützt von ihrer Großmutter aufgewachsen? Und sie behütete Kinder noch so, wie sie es von der Generation vor ihr gelernt hatte, so, wie auch wir in ihrem Schutz groß geworden sind.“

„Na, eben, war das nicht manchmal überbehütet?“

„Wenn du dieser Meinung bist, so wundere ich mich, dass deine Kinder nicht unselbständig geworden sind, obgleich Omi sie auf ihre Art erzogen hat.“

„Ich war doch nicht aus der Welt. Vergiss nicht meinen Einfluss dabei“, lehnte sich Traudel auf.

„Wie viel Zeit blieb dir bei deiner Arbeit für deine Kinder?“

Irritiert sah sie mich an. „Genug, um nicht den Überblick zu verlieren.“

„… und Susanne, hat sie nicht noch weniger Zeit zur Verfügung für ihre Kinder als du? Genügen wirklich ein paar Stunden am Abend? Wenn eine Mutter, wie Susanne, nach Hause kommt, braucht sie auch etwas Zeit für sich, einen Moment der Besinnung und Entspannung. Doch es warten nicht nur die Kinder auf die berufstätige Frau, sondern noch viel Arbeit, die gemacht werden muss.“

„Dem kann man abhelfen. Susanne hatte sich schon bald eine Haushaltshilfe besorgt.“

„Eine Hilfe, Traudel. Das ist niemals so wie bei Mama, die dir selbständig den Haushalt führte. Da bleibt noch genug, was Susanne selbst machen muss. Und wie sieht ihr Leben mit Robert aus? Ein richtiges gemeinsames Leben ist das nicht, wenn sie sich manchmal tagelang nicht sehen, nur über Zettel an einer Pinnwand und übers Telefon miteinander verkehren können, weil sein Dienst im Krankenhaus es so mit sich bringt.“

„Ihre Berufe sind einfach zu verschieden, um sie unter einen Hut zu bringen. Man kann aber nicht alles haben. Solange es für Frauen keine bessere Lösung zwischen Berufsleben und Familie gibt, so lange müssen wir uns damit abfinden, auch Susanne“, sagte Traudel mit einer kurzen Handbewegung, die jeden weiteren Einwand abweisen wollte.

„Ja, die bessere Lösung wäre gut“, bemerkte ich abschließend. Dabei dachte ich an unser Gespräch, das wir auf der Heimfahrt aus Frankfurt miteinander geführt hatten, als ich sie nach ihrem Ausbruch aus ihrem Leben, wieder nach Hause holte. Ihre ganze Unzufriedenheit mit ihrem Leben war da bei ihr hochgekommen. Hilflos und verunsichert hatte sie dagesessen und selbst gemeint, es müsse einen besseren Weg für eine Frau geben, alles miteinander zu verbinden, Kinder, Ehe und den Beruf, der allein unabhängig macht in unserer Gesellschaft. Heute war das wahrscheinlich alles wieder verschüttet. Sie war wieder die selbstbewusste Geschäftsfrau.

Vielleicht ist es aber auch so, dass die jungen Frauen heute, zum Teil schon bei berufstätigen Müttern groß geworden, es nicht so empfinden, wie ich es sehe. Sie kennen es nicht anders. Susanne hatte es schon bei ihrer Mutter so erfahren. Da konnte ihr ihre Omi viel erzählen, das waren für sie nur alte Kamellen. Also machte Susanne, wie so viele andere jungen Frauen, das Beste aus ihrer Situation, denn so wie „gestern“ wollten nur noch die wenigsten leben.

Auch ich wollte nicht eine Welt für die Frauen, wie Mama sie noch sah. Doch warum sollte alles, was neu war, unbedingt richtiger sein? Eigentlich hoffe ich nur, dass die jungen Leute von heute es besser machen, als es meiner Generation gelungen ist.

Bis jetzt jedenfalls schien es mir, als würden die Frauen vor Jubel über jeden Schritt in die Gleichberechtigung blind übersehen, zu welcher Mehrbelastung das für sie führen musste. Denn noch konnten sie sich nur mühsam einen Platz erkämpfen, wie ihn ein Mann für sich beansprucht. Dabei sollte es an der Zeit sein, für sie zu fordern, dass ihnen in Gesellschaft und Arbeitswelt der ihnen von Natur aus zugedachte Platz eingeräumt wird, damit sie allen Aufgaben gerecht werden können, ohne überfordert zu sein. Was ist das für eine Gesellschaft, in der Kinder allein erziehender Mütter zu den ärmsten gehören? Zeit sollte die Frau wieder haben können, Zeit für sich und ihre Kinder, ohne aus dem erlernten Beruf ganz ausscheiden zu müssen. Doch genau das wird sie nur erreichen, wenn die Wirtschaft, die immer noch das gesellschaftliche Leben bestimmt, einen Vorteil darin sehen kann, wie die Frau sich und ihre Arbeitskraft anbietet. Ich hoffe sehr, dass die Frauen dafür einmal eine Lösung finden werden. Meine Nichte Susanne wird dann aber ihr ruheloses, anstrengendes Leben wohl schon gelebt haben.

*

Karl-Heinz hatte sich wieder zu uns gesellt. Er wollte wissen, wie es jetzt bei mir in Neuwied zugeht, so nah an der ehemaligen Grenze. Hier bei Hannover war davon nicht mehr so viel zu spüren, auch wenn Trabis am Haus vorbeiblubberten und inzwischen zum Straßenbild gehörten. Um hier in den Geschäften einzukaufen, kamen sie eben nicht mehr so weit aus der ehemaligen DDR hergefahren. So mancher Trabi hielt aber auch hier vor dem Autohof an. Mit sehnsüchtigen Blicken gingen die Menschen von „drüben“ dann durch die Reihen der Gebrauchtwagen. Da war wohl bei vielen der Wunsch nach einem „Westwagen“ groß.

Die Sonne stand tief, als ich mich von ihnen verabschiedete und mit Julchen auf den Heimweg machte. In langen Schlangen kamen mir nun die Ausflügler aus dem Harz entgegen und ich fuhr fast allein auf meiner Seite in den Harz hinein. Es war schön, dass ich eben einfach mal nur zum Kaffee zu Traudel und Karl-Heinz fahren konnte.

*

Ich hatte den Wagen in die Garage gefahren, schloss das Gartentor auf und wollte ins Haus gehen. Doch Julchen war noch damit beschäftigt, auf der Straße vor dem Zaun zu prüfen, wer inzwischen alles da gewesen war, Freund oder Feind. „Nun komm schon!“, drängte ich. Schnell drückte auch sie noch eine Nachricht für die andern Hunde ab und kam mit großen Sprüngen auf mich zu. Sie lief an mir vorbei zur Haustür und drehte sich um, als wollte sie sagen: „Na, was ist? Schließ endlich auf!“

Noch waren wir nicht ganz im Haus, als das Telefon klingelte. Aha, Traudel will wissen, ob ich gut zu Hause angekommen bin, dachte ich und nahm den Hörer ab. „Alles okay, Traudel! Schönen Dank für den netten Nachmittag“, sagte ich sofort ins Telefon.

Stille im Apparat.

„Hallo!“, rief ich irritiert hinein.

„Du warst bei Mutti und Paps?“

Es war Susanne.

„Susi! Du bist es! Ja, ich komme gerade von ihnen.“ Hastig versuchte ich zu verstecken, wie neugierig ich war, als ich sagte: „Wir haben von dir gesprochen. Ich habe schon so auf deinen Anruf gewartet.“

„Kann ich mir denken!“

Das klang resigniert. So kannte ich sie nicht.

„Gibt es etwas Neues?“, fragte ich verhalten.

„Du weißt, worum es geht?“

„Ja. Robert hat eine Stelle als Oberarzt angeboten bekommen, ganz in meiner Nähe, in dem neuen Krankenhaus in Harzerode, sagte man mir. Es soll ihn sehr reizen, sie anzunehmen. Habt ihr euch entschieden?“

„Wir?!“ Sie lachte bitter auf. „Das ist gut! Er hat sich entschieden und soeben den Vertrag unterschrieben.“ Sie schwieg. Ich wartete und hörte sie heftig atmen.

„Und nun?“, fragte ich vorsichtig. Was hätte ich sonst sagen können.

„Ja, was nun?“ Sie lachte höhnisch auf und zögerte weiterzusprechen. Offensichtlich fiel ihr das schwer, was sie mir noch sagen wollte.

„Was machst du? Was wird aus deinen Geschäften?“, half ich ihr.

Wieder ein bitteres Auflachen. „Was soll ich machen? Ich werde sie aufgeben“, erklärte sie kurz.

„Wirklich?“ Ich musste tief Luft holen. „Schaffst du das denn einfach so?“

„Weiß, Gott, nicht einfach so! Das waren lange Diskussionen mit Robert. Es ist verrückt, aber gerade jetzt hat jemand sein Interesse an meinen Geschäften gezeigt, als wäre das Gerücht, dass ich aufgeben könnte, wie ein Lauffeuer durch die Gegend gelaufen. Doch das erzähle ich dir alles später. Ich werde ja bald in deiner Nähe sein.“

Es tat mir weh, sie so enttäuscht reden zu hören. „Wenn es dir auch schwerfällt, Susi, dich aber wie früher in Berlin wieder in meiner Nähe zu haben, freut mich sehr.“ Wenigstens etwas Positives an dem Umzug wollte ich ihr noch aufzeigen.

„Ja, das ist schön“, antwortete sie. „Ich melde mich wieder bei dir und werde dir mitteilen, wie es weitergeht“ Damit legte sie auf.

Die Würfel waren gefallen und Robert hatte gesiegt.

Ich hatte den Hörer noch nicht richtig aufgelegt, da klingelte das Telefon erneut. Traudel war es. „Weißt du es schon? Susanne hat sich entschieden“, polterte sie. Es war nicht zu überhören, dass ihr das missfiel.

„Ja, sie hat es mir eben erzählt. Nun zieht sie in unsere Nähe, auch in deine, Traudel“, versuchte ich ihr das Gute daran hervorzuheben. „Deine Enkelkinder wirst du dann viel öfter sehen können. Bis jetzt hast du nicht viel von ihnen gehabt.“

„Natürlich gefällt mir das. Doch wie wichtig ist das dem gegenüber, was auf Susanne zukommt. Wie konnte Robert sich nur so brutal durchsetzen? Jetzt hat Susanne keine Wahl mehr, wenn sie sich nicht von ihm trennen will. Das wird sie ihm nie verzeihen“, ereiferte sich Traudel.

„Einer von beiden musste aber nachgeben“, versuchte ich, sie zu beruhigen.

„Nachgeben nennst du das? Erzwungen hat er sich das. Ich sage dir, es ist ein Fehler, wenn Susanne ihre Geschäfte aufgibt.“

„Man kann es auch anders sehen. Größe hat Susanne damit bewiesen, dass ihr die Familie mehr wert ist, als jeder berufliche Erfolg.“

„Und warum muss es wieder die Frau sein, die das beweist? Kannst du mir mal sagen, warum?“

„Nein, das kann ich dir nicht sagen. Doch ich bin überzeugt davon, sie hat sich richtig entschieden, auch wenn es ihr sehr schwerfällt“, beharrte ich. Man konnte doch Susanne jetzt nicht noch Vorwürfe machen.

„Jetzt redest du wie Mama früher. Der Mann hat recht, egal worum es geht. Nein, hier hätte Robert zurückstecken müssen. Und wenn es noch so eine besondere Stellung ist, die ihm geboten wird, eine vergleichbare zu bekommen ist immer noch leichter als ein Geschäft neu aufzubauen.“

„Hast du das so etwa zu Susi gesagt?“

„Natürlich! Soll ich meine Meinung hinterm Berg halten? Ich werde nie begreifen, wie Susanne nachgeben konnte. Ich glaube nicht, dass er allein fortgegangen wäre, wenn sie ihm nur klar genug gemacht hätte, dass sie niemals mitgehen werde.“

„Wie kannst du dir da so sicher sein?“ Ich konnte mir schon vorstellen, dass dies das Ende ihrer Ehe gewesen wäre, obgleich auch ich am liebsten dagegen aufgebockt hätte. Warum musste es Susanne sein, die nachgab. Was hatte ihr nun in ihrer Situation die ganze Emanzipation genützt? Es gab nur ein Entweder-Oder. Und wie seit Ewigkeiten ging es wieder einmal nach dem Mann.

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9783847697282
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