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Читать книгу: «Seelenrätsel», страница 3

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III

»Ich muß zurück nach München, liebe Mutter,« rief Eduard Enger, »hier, wo mir jede Anregung durch Gleichstrebende fehlt, gelingt mir kein Pinselstrich.« Eduard hatte sich das nördlich gelegene, eigentlich nicht zum Bewohnen bestimmte, sogenannte gute Zimmer des Forsthauses zum Atelier eingerichtet, da er beschlossen, einige Zeit bei seinen Eltern zuzubringen, um sich einesteils von den anstrengenden Studien zu erholen, andernteils sich mehr, als er es seither gethan, der Landschaft, dem Tierstück zu widmen. Das Zimmer, nicht größer und nicht höher wie die übrigen vier oder fünf des Hauses, mußte seine schwerfälligen Möbel dazu hergeben, Farben und Pinsel zu beherbergen; auf dem muldenförmig ausgesessenen Sopha, auf welchem Vater Enger sein Mittagsschläfchen zu machen pflegte, standen Rahmen; selbst der gutmütige, lederne Sorgenstuhl, in welchem der Urahne der Familie verstorben war, mußte sich herbeilassen, zum Aufbewahrungsort der Pinsel zu dienen. Zwar mochte der moderne Gewehrschrank ziemlich verdrießlich auf die Unordnung herabschauen; auch das Rehgeweih neben dem Spiegel reckte sich grimmig empor, aber die vorher kahlen Wände trugen ihren reichen Schmuck an halbvollendeten Bildern sehr befriedigt zur Schau. So saß denn Eduard in dem mit Skizzen aller Art beklebten, niedrigen Zimmer vor seiner Staffelei und führte jenes Bild, das wir bereits kennen, genauer aus. Nebenan in dem einfach behaglich eingerichteten Familiengemach deckte die Mutter den Tisch. Ihre Schicksale, die wir bereits kennen, hatten keine sichtliche Spur in ihrem Antlitz zurückgelassen, der Förster wußte die Erinnerung an dieselben zu verwischen. Nur eines fiel auf: sie war frühe gealtert; ein Augenleiden, das ihrem Blick einen starren Ausdruck gab, ebenso ein nervöses Zittern, das zuweilen ihren hageren Hals befiel, trug dazu bei, sie älter erscheinen zu lassen. Ob dieses Augenleiden in Verbindung mit den Lebenserfahrungen stand, würde schwerlich zu entscheiden gewesen sein. Wie vorsichtig prüfend sie die Teller stellte, wie unsicher sie nach dem Messer tastete. Der Sohn warf zuweilen durch die geöffnete Thüre einen besorgten Blick auf die Beschäftigte, die mit ihren mageren Armen über den Tisch fuhr. Die Bäume, die das Haus auf jener Seite dicht umgaben, warfen über das weiße Tischtuch, über das Geschirr und über das bleiche Gesicht der Frau einen grünen Schleier, der zuweilen zitternd seine runden Lichtflecken bewegte. Auf dem Schrank standen mehrere Bücher, die deutschen Klassiker, sogar griechische Schriftsteller in Uebersetzungen, welche der Förster billig erstanden und die er sich abendlich von seiner Frau hatte vorlesen lassen, solange deren Augen es erlaubten. Verstand er auch nicht alles, so gefielen ihm die Bücher doch, ja es war ihm, dem Ungelehrten, vielleicht mehr zum Bedürfnis geworden, zu lesen, als vielen der sogenannten Gebildeten. Auch schien die Familie bessere Tage gesehen zu haben, die Bruchstücke einer glänzenderen Haushaltung, z.B. ein Spiegel mit vergoldetem Rahmen, bewiesen das; Eduard hatte manchmal über frühere Verhältnisse nachgefragt, erinnerte sich auch eines größeren Hauses und einer Mühle. Der junge Maler war nicht mit sich zufrieden, seine Arbeit mißfiel ihm gründlich und manchmal zuckte es ihm in der Hand, das ganze Gemälde mit einem energischen Pinselstrich zu verunstalten. Es ging ihm gewöhnlich so. Er begann eine Arbeit mit außerordentlichem Enthusiasmus, bis er nach einigen Tagen die Lust daran verlor. Zwar waren ihm mehrere Bilder gelungen, aber es hatte dabei die beständige Ermutigung seiner Freunde bedurft, um ihn an diesen Arbeiten festzuhalten; hier fehlten ihm jene Ermutigungen, er fühlte sich nicht genug gesteigert und setzte sein Talent in seinen eignen Augen herab.

»Ich sehe Dir bereits eine Stunde lang zu,« sagte die Mutter, einen Teller in der Hand, nähertretend, »Du hast in dieser Stunde wenig gearbeitet. Auch bist Du so nachdenkend, was fehlt Dir denn, liebes Kind?« Sie legte ihre Hand auf seine Schulter, vergebens auf eine Antwort harrend. Nachdem er so einige Zeit hastig weiter gemalt, lachte er verdrießlich vor sich hin. »Es ist eine Thorheit, liebe Mutter.«

»Was ist Thorheit?« frug sie verwundert.

»Ei nun! Das Menschenleben überhaupt,« sagte er.

Frau Enger war andrer Meinung. Sie gab ihrem Sohne zu verstehen, das seien wunderliche Redensarten, an die er selbst nicht glaube, er möge nur den Geruch des Rehbratens einziehen, der aus der Küche herüberdränge, der werde ihn eines Besseren belehren. Eduard erklärte sich für überwunden, für völlig geschlagen, an den Rehbraten habe er freilich garnicht gedacht, als er sein großes Wort ausgesprochen, fügte jedoch, als sich die Mutter bereits zufrieden erklärte, mit seinen umgewandelten Ansichten hinzu: Wenn ihn seine Kunst nicht hielte, liebe Mutter, glaube mir, Dein Sohn wäre längst dem Leben davongelaufen. Frau Enger strich ihm über das krause Haar und betrachtete den Sohn kopfschüttelnd mit bekümmerten Blicken. Er muß krank sein, dachte sie, dies München hat seine Gesundheit angegriffen.

»Nicht wahr,« frug sie, »Du hast recht schlecht gegessen in München?«

Der Künstler lachte und meinte, sein Magen habe allerdings zuweilen Gelegenheit gehabt, das Verdauen zu verlernen.

»Nun, von was hast Du denn gelebt?« frug Frau Louise ängstlich. Eduard erzählte, daß das Stipendium von 600 Mark, das ihm der Graf Ibstein verschafft, nicht ausgereicht habe, die Modelle zu bezahlen und dabei auch auf die Gesetze der Ernährung Rücksicht zu nehmen. Er habe zum ersten Male die Segnungen des Kaffees empfunden. Da die Mutter eine nähere Erklärung des Wortes »Model!« wünschte, ließ sich der junge Mann hierauf nicht näher ein, sondern setzte ihr seine Absicht auseinander, sich hier in Ibstein für die Entbehrungen Münchens zu entschädigen.

»Hättest Du dem Vater gefolgt,« murmelte Louise, »er wollte einen Gärtner aus Dir machen; das Malen ist Dein Unglück, Du hättest jetzt Dein Brot.«

»Freilich, freilich,« bestätigte der Sohn, die Stirn runzelnd, »es ist mein Unglück, Gärtner hätte ich werden sollen. Du hast vollkommen recht.« Und er schleuderte nervös gereizt den Pinsel von sich. Die Mutter, erschrocken über ihr vorschnelles Wort, das ihr Kind so tief berührt, stammelte:

»Nein, nein, so meinʼ ichʼs nicht – male nur weiter, der Graf sagte doch, Du habest viel Talent – gewiß, dies schrieb mir auch Dein Freund Alfred.«

»Alfred hat Dir geschrieben?«

»Ja gewiß, ich will Dir den Brief zeigen.« Sie eilte an die Kommode und legte ihm den Brief des Freundes vor. Eduardʼs Züge nahmen, als er die belobende Stelle gefunden, sogleich einen mutigeren Ausdruck an.

»Er verstehtʼs,« sagte er, »nun, es mag sein. Alfred ist ein guter Junge, ich stehe nicht einmal sehr gut mit ihm, desto mehr freut mich sein Urteil.« Frau Louise sah immer noch traurig auf ihren Sohn herab. Als nun aber dieser, sich umwendend, zu ihr empor sah, gab sie ihrer Miene sogleich einen heiteren Ausdruck, durch welchen er jedoch den bekämpften Schmerzenszug noch durchleuchten sah.

»Gewiß, Du wirst Dir Dein Brod schon verdienen,« sagte sie, »später oder früher, es hat keine Eile, so lange wir noch leben. Deine Bilder sind ja gewiß schön, ich verstehʼs nicht, aber Alfred sagtʼs.«

Er faßte die Hand der alten Frau und versuchte die Heiterkeit, die sich seines Gemüts bemächtigt, auch der Mutter mitzuteilen.

»Alfred verstehtʼs,« sagte er, »der ist ein scharfer Kritiker und ein eminenter Maler. Weiß Gott, nun habʼ ich wieder Lust zur Arbeit.«

Nochmals griff er zu jenem Brief und las jene Zeilen mit freudiger Stimme sich selbst laut vor. »Ist bald Essenszeit?« frug er darauf, »wo bleibt Ludwig? Ich habe den Jungen heute noch nicht zu Gesicht bekommen.«

»Er ist in den Wald, den Vater zu Tisch zu bitten,« entgegnete die Mutter, die sich nun ausführlich über die verschiedenen Gewohnheiten des Försters, besonders über seine immer zunehmende schlechte Laune, zu verbreiten begann. »Es ist zuweilen schwierig mit ihm auszukommen,« seufzte sie, »er war immer barsch, je älter er wird, desto schlimmer wird es. Ich darf kaum drei Worte aussprechen, so werde ich zur Ruhe verwiesen, eine eigene Meinung darf ich natürlich nicht haben, überhaupt verstehe ich gar nichts, er allein ist allwissend und allmächtig.« Sie trocknete sich rasch die Augen mit der Schürze und gab ihrem Sohn mit einem gutmütigen, durch Thränen schimmernden Lächeln zu verstehen, er solle nicht weiter fragen, da sei nichts zu ändern und im Übrigen sei der Vater der beste Mann von der Welt. Ohne rechten logischen Zusammenhang berichtete sie sodann, daß der Vater heute Bäume fällen ließe, daß er nach solcher Arbeit müde nach Hause käme, es liebe die Suppe dampfend auf dem Tisch zu finden und daß man ihm alsdann auch ein Gläschen Rum nicht mißgönnen dürfe. Diese Bemerkung mit entschuldigendem Hüsteln begleitend, eilte sie an den Tisch zurück, ihr Werk zu beenden. Als man nun von weitem die fröhliche Stimme Ludwigs, vermischt mit Hundegebell, erschallen hörte, trat Eduard, sein Malzeug bei Seite legend, an das Fenster. Durch das Hofthor schritt, Ludwig an der Hand, von seinen Hunden umwedelt, der alte, weißbärtige Förster. »Hans, Hans!« erscholl seine Stimme über den Hof. Der Knecht, dem er gerufen, kam ihm aus einer Stallung entgegen; beide blieben im Hofe stehen, wie es schien, in ein Gespräch über Hundedressur vertieft.

»Hans,« rief der Förster darauf, »gib den Hunden zu fressen, dem Kato eine besonders reichliche Mahlzeit, er hatte sehr unter der Hitze zu leiden, das arme Tier. Nicht wahr, Alter?« Hiermit beugte er sich zu dem Hund hernieder, der keuchend die rothe Zunge aus dem Rachen hängen ließ und klopfte ihm auf den schweißbedeckten Rücken. »Darfst nicht so springen in der Hitze,« fuhr der Förster fort, freundlich den Hund anzureden, »aber das wird schmecken, das Fressen heutʼ, wie? Hans, daß Du dem kalten Wasser umʼs Himmels Willen warmes beimischst, ehe es die Tiere trinken.«

Eduard ergriff die Zärtlichkeit, mit welcher der Vater für seine Tiere sorgte, und doch ward ihm seltsam weh umʼs Herz, als er den alten Mann darauf mit solchem Ernst, solcher Wichtigkeit von Dingen sprechen hörte, die ihm so trivial, so gleichgültig vorkamen. Gewiß, er liebte seine Eltern und doch schob die Bildung, die er sich allmälig in der Fremde errungen, zwischen ihn und die Eltern eine dunkle, unübersteigliche Wand, seiner Liebe mischte sich eine Kälte der Gefühle bei, über die er selbst zuweilen schauderte. Die Kunst erzieht den, der sich ihr ergeben, zum Egoisten. Schon als er zum ersten Male vor Jahren entdeckt, daß die Eltern auch Fehlern, so gut wie alle übrigen Erdbewohner, unterworfen seien, stellte sich dies schneidende, kalte Schmerzgefühl bei ihm ein, das zersetzend auf seine Liebe wirkte. Jetzt konnte er eigentlich nur dann ein wärmeres kindliches Gefühl in sich erzwingen, wenn er sich beide, als alte hilfsbedürftige Leute, nicht als seine Erzeuger, vorstellte. Mit Trauer blickte er in die Vergangenheit zurück, da ihm das Wort: »Vater« noch der Inbegriff alles höchsten, heiligen gewesen. Wohin war diese Märchenzeit geschwunden und zu was ist die höhere Bildung, die der Kunstenthusiasmus verleiht, nütze, wenn sie uns solche Jugendgefühle raubt. War er denn eigentlich ein herzloser Mensch, der nicht lieben konnte? Dem widersprach doch zu sehr das Gefühl, das er für den kleinen Ludwig hegte. Wie wohl that ihm der aufmerksame, ehrfürchtige Blick des Knaben, welche Lust bereitete es ihm, den aufgeweckten Burschen heranzubilden und selbst seine oft auf Eigennutz beruhenden Schelmenstreiche, wie gerne verzieh er sie, wie fesselte gerade diese Schalkhaftigkeit ihn an den Jungen. Er wandte sich schmerzlich bewegt vom Fenster weg zur Mutter, die bereits, da sie von der Ankunft ihres Mannes Kunde erhalten, ein frisches Hemd am Ofen ein wenig wärmte.

»Seine Haare wurden in den letzten Jahren sehr grau,« sagte er leise, wie geistesabwesend, »auch scheint mir, daß ihm sein Asthma mehr zu schaffen macht, ihr müßt ihm das zuviele Arbeiten verbieten!«

Die Mutter beschäftigte sich gerade mit dem Austeilen der Suppe, die ihr Gesicht in eine Dampfwolke hüllte, die Gelegenheit, dem zurückgekehrten Sohn ihr Herz auszuschütten, konnte sie indeß nicht vorübergehen lassen.

»Nicht wahr, er arbeitet zu angestrengt?« fiel sie sogleich ein, ohne sich in ihrem Geschäft stören zu lassen, »da läßt er sich nichts dʼreinreden, wenn es sich um seinen Wald handelt.« Nun tadelte sie, die letzten Reste der Suppe in die verschiedenen Teller ausgießend, eifrigst diese übertriebene Liebe des Mannes für die grünen Bäume, die ja, wie sie meinte recht schön, ja sogar, was mehr, nützlich seien, die es jedoch mit einer regelrecht gebauten Straße in der Stadt keineswegs aufnehmen könnten. Ihrem Manne goß sie sodann den Teller bis an den Rand voll, ein kleines, gefülltes Liqueurgläschen in die Nähe schiebend.

»Denke Dir nur,« fuhr sie fort, während Eduard sinnend zuhörte, »als er im vorigen Jahre einige Wochen hindurch krank lag, mußte ihm der Knecht das ganze Bett mit frischen Buchenzweigen umstecken, damit er stets an seinen Wald erinnert würde, von dem er getrennt war.«

Auf Eduard machte dieser kindliche Zug im Charakter des Vaters zwar einen tiefen, doch mehr einen ästhetischen Eindruck Die Liebe des Alten zum Wald berührte, wie er sich, mit sich selbst unzufrieden, eingestand, weniger sein Herz, mehr seinen beobachtenden Kunstverstand. Ebenso weckte dieser dampfende Tisch, die geschäftige Mutter, der nach Hause kehrende Förster mehr seine malerische Produktionslust, als daß dieses Bild seinen Familiensinn befriedigte, er fühlte mit Unbehagen, wie er statt mitten in der Situation zu leben, viel mehr über derselben schwebte, ein Gefühl, das ihn öfter überraschte und ihm die rechte, mitempfindende Teilnahme am eignen, wie am Dasein anderer zerstörte.

Schon hörte man die näherkommenden Schritte des Försters, als die Mutter ihren Mund verstohlen an ihres Sohnes Ohr legte.

»Lieber Gott!« flüsterte sie, »wenn ihn der Graf nur nicht pensioniert. Es ging schon im vorigen Jahre das Gerücht. Der Gehalt ist alsdann zu gering. Doch das ginge noch. Er würde aber sterben, Eduard, wenn er nicht mehr in seinem Wald arbeiten dürfte. Ich sage Dir, er würde sterben,« setzte sie mit zitternder Stimme hinzu. Eduard zuckte zusammen, es ward wieder auf einige Augenblicke warm in seiner Brust. Die Liebe dieser Frau zu dem unfreundlichen Mann beschämte ihn.

»Du hast Recht,« hatte er noch Zeit zu flüstern, »wenn seine Kräfte abnehmen, sorgt dafür, daß der Graf davon nichts merkt. Das darf nie geschehen. Das ist sein Tod.«

»Wer spricht hier vom Tod?« erdröhnte die rauhe Stimme des Försters inʼs Zimmer, »laßt mir doch das garstige Wort.« Verdrießlich lachend warf er seinen Hut auf ein an der Wand befestigtes Hirschgeweih, legte die Pfeife bei Seite und schielte, sich über die triefende Stirne fahrend, nach dem Liqueurgläschen.

»Es ist heiß, aber heutʼ Abend wirdʼs regnen, der Hund fraß Gras,« meinte er, noch immer lachend, dem Sohn zunickend, während Frau Enger bemüht war, ihm den Rock auszuziehen.

»Schweigʼ nur still,« rief er dann barsch seiner Frau zu, noch ehe diese ein Wort gesprochen.

»Wie der Mann geschwitzt ist,« wollte sie dann sagen, erhielt aber kaum nach dem zweiten Wort die Weisung, nur den Mund zu halten, sie verstände nichts. Sie ließ sich dadurch weiter nicht einschüchtern, brachte es jedoch nie zu einem geschlossenen Satz, immer wieder wurde ihr das Wort im Munde mit einem rauhen: Nur still! zerschnitten. Anfangs widersetzte er sich wie gewöhnlich der Operation des Rockausziehens, murmelte verschiedene Redensarten, ließ es dann endlich geschehen und verfügte sich brummend ins Nebengemach, ein trockenes Hemd anzulegen, da ihn Louise an den Rheumatismus erinnerte, der ihm vor drei Wochen gar nicht aus dem Rücken gewollt habe.

»Muß alles mitgemacht werden,« rief er im Weggehen ärgerlich-lustig, »ist ganz recht so, der Rückenschmerz muß auch mitgemacht werden . .«

Als nun aus der Thüre des Nebengemachs die Mahnung: Nur still, nur still! ununterbrochen hervortönte, begleitet von den begütigenden, ängstlichen Bitten der Frau, fühlte sich Eduard recht unbehaglich. Die Art, mit der der Vater (der gegen Fremde die Liebenswürdigkeit selbst war) seine Frau als Dienstmagd behandelte, gefiel ihm nicht, obgleich er wußte, daß sich die Mutter nun seit Jahren an dies barsche Benehmen gewöhnt.

»In welcher Ehe ist es anders,« sagte sie meist entschuldigend, »er ist der Schlimmste noch lange nicht.«

Ich halte es hier keine drei Wochen aus, dachte der Künstler, ruhig diese väterliche Tyrannei mit ansehen mag ich nicht, dreinreden läßt er sich nicht, er wäre im Stande, mich alsdann aus dem Hause zu jagen. Das ist so die vielgerühmte deutsche Familiengemütlichkeit! Er fühlte mehr denn je den Abstand, der ihn von den Eltern trennte. Noch als er sie vor drei Jahren besucht, hatte er sich besser in ihre Lebensart zu schicken gewußt, diesmal kam er sich wie ein Fremdling in der Heimat vor. Und doch war der Vater ein guter Mensch, der kein Tier leiden sehen konnte, warum er nur seinen Angehörigen gegenüber immer diese Tyrannenlaune hervorkehrte.

»Guten Tag, Eduard,« rief eine helle Knabenstimme, während aus dem Nebengemach das Gezänke weiter forttönte, und Eduard fühlte sich jetzt heftig von dem hereinstürzenden Ludwig angerannt. Der Knabe warf sich mit ausgebreiteten Armen auf seinen eben noch von so trüben Gedanken heimgesuchten Freund und diesem ging das Herz auf, als er den Krauskopf an sich geschmiegt fühlte.

»Onkel Heinrich hat mir ein Reh gezeigt,« sagte der Kleine, »wirst Du mir denn auch ein Reh zeigen?« Des Knaben Augen waren so vertrauensvoll bittend zu dem Maler emporgeschlagen, es leuchtete jener eigentümliche Glanz aus ihnen empor, in dem man die Keime der sich entwickelnden Seele belauschen zu können wähnt.

»Gewiß,« erwiderte Eduard von diesem träumerischen Glanz des Kindesblicks getroffen, »wenn Du artig bist, erhältst Du Alles, was Du willst, mein Liebling.« Der Knabe errötete ein wenig, was seinem reizenden, schwarzumlockten Gesicht sehr gut stand, atmete dann tiefer auf und ließ seine Blicke verlegen im Zimmer umhergleiten.

»Fehlt Dir etwas?« frug der Maler.

»Lieber Eduard,« stammelte er lächelnd, »gieb mir – weißt Du —?«

»Nein, was soll ich Dir geben —?«

»Du weißt es,« sagte er, schalkhaft mit dem Finger drohend.

»Ich? ich weiß nicht, was Du meinst?«

»O doch.«

»Nun, so sprich deutlicher.«

»Es sieht braun aus und ist viereckig,« flüsterte Ludwig, seinen Kopf in seines Freundes Rock verbergend. Er hatte nicht Zeit, seine Beschreibung des gewünschten Gegenstandes zu vollenden, der Förster, in einen bequemen Schlafrock gehüllt, trat, sich den starren, weißen Schnurrbart streichend, aus dem Schlafgemach. Rasch benutzte der Kleine die Gelegenheit und flüsterte, als der Förster auf Eduards Staffelei zuschritt, dem Maler zu:

»Die vornehme Dame gab mir gestern davon.« Eduard erriet, daß er Chokolade meinte und verwies ihm mit ein paar tadelnden Worten diese Naschhaftigkeit, welcher Tadel seine beschämende Wirkung nicht verfehlte.

»Du bist doch zu alt,« meinte der Maler, »um an solchen Leckereien Gefallen zu finden.«

Der zehnjährige Schlaukopf drückte errötend die Augen zu, atmete hastiger und nickte, als gäbe er seinem Erzieher vollkommen recht.

»Siehʼ, da ist Kato,« rief er dann mit jener der Jugend eigenen Verschmitztheit, auf ein angenehmeres Thema übergehend, eilte an das Fenster und that, als ob er draußen den Hund erblickte, der nirgends zu erblicken war. Der Förster hatte sich indessen vor das Bild gestellt, um es in Tabaksrauchwolken einzuhüllen, die er wohlbedächtig aus der kurzen Pfeife gesogen. Seine Augenbrauen, die sich über seinen lebhaften Augen wie zwei angeklebte, weiße Wattballen ausnahmen, hielt er mit wichtiger Miene zusammengezogen und, obgleich ihn die Arbeit seines Kindes höchlichst ergötzte, schüttelte er mißbilligend den grauen Kopf.

»Hm! das gefällt mir nicht,« sagte er, sein Wohlgefallen unterdrückend, »so krumm darf kein Baum stehen in einer ordentlichen Waldung und das Unterholz da vorn dürfte ein gewissenhafter Förster auch nicht stehen lassen, der Weg hier läuft so sehr im Zickzack, daß ich mich schämen würde, wenn ich ihn angelegt.«

»Lieber Vater,« wandte Eduard bescheiden ein, »das soll auch keine vorschriftmäßige Waldung sein mit schnurgraden Wegen und glatt angestrichenen Wegweisern.«

Des alten Sanguinikers Augen hatten die Eigenschaft, sich von innen heraus zu entzünden, wenn er lebhafter wurde.

»Mag sein, daß Du das Bild hübsch findest,« entgegnete er, »der wirkliche Wald ist mir lieber, als der gemalte – ich verstehe doch etwas davon, wie ein Wald aussehen muß – Louise sei still —« wandte er sich darauf zu seiner Frau, die auch eine Bemerkung mit einfließen lassen wollte, »Du verstehst gar nichts von der Sache – nun, Eduard, wenn sie Dir nur das Bild gut bezahlen. Kannstʼs brauchen. Wie viel erhieltest Du für Deine Gebirgslandschaft?«

»Dreitausend Mark, Vater.«

»Gar kein Geld, gar kein Geld,« sagte der Alte wegwerfend, konnte dabei jedoch nicht umhin, dem Sohn einen bewundernden Blick zuzuwerfen. »Dreitausend Mark, damit kannst Du kaum ein Jahr leben in München. Wer hat das Bild gekauft?«

»Ein reicher Amerikaner.«

»So, so,« schmunzelte der Vater, »hm! wir wollen uns zu Tische setzen. Louise sei nur still, die Suppe ist immer noch warm genug, brauchst nicht zu zanken. Fragʼ doch einmal den Hans, ob er die Hunde versorgt.«

Als Antwort hierauf kam, als man sich eben zu Tisch begab, Kato, ein prächtiger Hühnerhund, zur Thüre herein und legte sich befriedigt zu den Füßen seines Herrn nieder. Der Förster, der es sich nicht eher schmecken ließ, als bis er seine Tiere versorgt wußte, langte nun tüchtig zu, einige Male wohlwollende Blicke zu Eduard hinüber und auf seinen Kato herabsendend. Wen er von beiden mehr liebte, würde in der That schwer zu entscheiden gewesen sein. Er freute sich über Eduards Talente, über seine schlanke Gestalt, seine städtischen Manieren, mit denen er das Brod brach oder das Fleisch zerlegte. Doch redete er, um sich absichtlich die Freude an seinem Sohn zu zerstören, nicht, wie er es so gern gethan, von ihm und seinen Arbeiten, sondern von allerlei unangenehmen Berufsgeschäften, Holzarbeitern, Pferden, oder dem Schaden, welchen das Wild auf benachbarten Feldern angerichtet. Dann trat ein Zeitpunkt ein, in welchem sich alle Anwesenden mit solcher Innigkeit den Genüssen der Mahlzeit hin gaben, daß, außer dem Gerassel der Messer und dem Geräusch der Kauwerkzeuge, kein Laut die dämmernde, sonniggrüne Stille des Gemachs störte. Ludwig konnte es natürlich nicht unterlassen, dem Hunde zuweilen die Überbleibsel seines Tellers zuzuschieben, was ihm auch einige Zeit hindurch ungestraft auszuführen gelang, bis endlich Eduard, durch die Unruhe des Tieres aufmerksam gemacht, die höchst verpönte Fütterung bemerkte und dem Missethäter einen Verweis erteilte. Da der Bann der Stille auf diese Weise gebrochen war, fand auf einmal jeder wieder Worte, es war, als sollte das Versäumte nachgeholt werden, so viel wußte jetzt jeder vorzubringen, bis die Stimme des Försters die der drei anderen übertönte. Mit einer gewissen verdrießlichen Behaglichkeit, durch die man die versteckte Liebe zu seinem Kinde durchklingen hörte, verbreitete er sich darüber, wie er es anfangen würde, ein Bild zu malen. Das sollte derber, stämmiger werden, meinte er, als dort jenes auf der Staffelei: Natürlich müßte es von Wild wimmeln, auf allen Ästen, im Gras, überall, wie denn auch ein Jäger schlechterdings nicht fehlen dürfe, dem man selbstverständlich ein Gewehr in die Hand geben müsse, welches Gewehr denn der eigentliche Glanz- oder Mittelpunkt des Gemäldes bildete. Daß es nach neuester Konstruktion gebaut ist, versteht sich von selbst. Auch die Feder, die jener Jäger auf dem Hute trüge, sei von Wichtigkeit. Eduard nickte, anfangs ein Gähnen kaum unterdrückend, zustimmend, konnte jedoch später sich eines Gefühls der Rührung nicht erwehren, als er des alten Mannes sorgsam unterdrückte Liebe zum Waldleben aus seinen Worten herausklingen hörte, aus den Augen hervorglänzen sah. Der alte Waldmensch (wie er sich selbst nannte), fand oft für diese Empfindung der Waldlust volkstümlich poetische Wendungen, die jedem Gebildeten würden Ehre gemacht haben, durch die Rauheit seines Charakters zitterte der Stolz, der Pfleger, ja der Erbauer dieser grünen Welt sein zu dürfen und man mußte ihm, wenn er von seinen Kindern, den Bäumen zuweilen im Ton eines kleinen Herrgotts sprach, diese Selbstüberhebung verzeihen. Eduard hob absichtlich seine Unkenntnis des Waldbaues hervor, um dem Vater die Freude des Berichtigens, des Erklärens bereiten zu können. Auf seine mannigfachen Fragen antwortete der Alte alsdann mit der Würde einer Autorität und Eduard war mit allem einverstanden, da der geringste Widerspruch einen Sturm würde heraufbeschworen haben.

»Alles,« sagte der Förster, »alles sollen sie mir nehmen, nur meinen Wald mögen sie mir lassen. Ich hin darin geboren und unter dem grünen Dach sterbe ich fröhlicher, wie der Fürst unter seinem Thronhimmel.«

Dann, als schäme er sich, sein Inneres so unverhüllt gezeigt zu haben, machte er seine Frau in rauhem Ton auf Eduard aufmerksam, der sich vom Tisch erhoben und an seine Staffelei gesetzt hatte, um die Palette zu reinigen. Diese Absonderung gefiel dem Förster schlecht, da sie ihn plötzlich eines aufmerksamen Zuhörers beraubte, er verbarg jedoch seine Mißstimmung, indem er erzählte, seines Brotherrn Tochter, Gräfin Isabella, sei auf Schloß Ibstein angekommen. Je mehr sich Frau Enger für diese Neuigkeit interessirte, desto weniger durfte sie sich das anmerken lassen, sie stieß nur ein verwundertes: Ach was! heraus und versuchte vermittelst erheuchelter Gleichgültigkeit den Förster zum Weitererzählen zu bewegen.

»Wird wohl nur ein Gerücht sein,« sagte sie möglichst gleichgültig, indem sie das Tischtuch abnahm.

»Louise,« fuhr der Alte auf, »laß mir das Dreinreden. Sie ist hier! Man sagt, ihr Vater, der Graf, wolle sie zu einer Heirat bewegen, von der sie nichts wissen will. Um ihr nun andere Gedanken in den Kopf zu bringen, schickt er sie auf Reisen. Weißt Du nichts von der Sache, Eduard,« wandte er sich an seinen Sohn.

»Nein,« erwiderte dieser barsch.

»Nein?« frug der Förster, »der Hans murmelte so etwas, als habe sie Dir beim Malen über den Rücken gesehen, er will es von weitem bemerkt haben.«

»Unsinn,« murmelte Eduard kaum hörbar. Ludwig, der mit einem Farbenfläschchen gespielt, sah, sich über seines Erziehers schlechtes Gedächtnis wundernd, auf.

»Ei, eine Dame« – kam es stotternd über seine Lippen – und er würde gewiß von jener Begegnung im Wald in seiner Weise berichtet haben, wäre ihm Eduard, der sich seiner Lüge schämte, nicht errötend zuvorgekommen.

»Mag sein,« sagte der Maler, dem Knaben die Flasche hastig aus der Hand nehmend, »mag sein, daß der Hans recht hat, wenn ich beim Malen sitze, habe ich kein Auge für Gräfinnen. Doch halte nun in Frieden Deinen Mittagsschlaf, Vater,« fügte er rasch hinzu, um Ludwigs Gesprächslaune zu unterdrücken, »komm, mein Kind, wir verfügen uns in das Zimmer hier und sind recht still, damit der Papa schlafen kann.«

Vater Enger hatte seine Kaffeetasse leer geschlurft, er sann noch einige Augenblicke still vor sich hin, lehnte sich in den Sessel zurück und breitete seiner Gewohnheit gemäß ein grünes Tuch über das Gesicht, um sich vor den Mücken zu schützen, die über den Speiseresten des Tisches summten.

»Wird Arbeit geben,« murmelte er noch im Halbschlaf, »muß mich morgen im Schlosse vorstellen, sorge für die Uniform, Louise – neue Knöpfe – zu eng —«

»Der Onkel schläft,« flüsterte Ludwig und legte den Finger auf den Mund, »nicht wahr, Tante?«

»Ja, mein Kind,« lispelte diese, »sei nur hübsch still.«

»Hübsch still,« hauchte Ludwig und schlich sich heran, um sich die bei Seite gelegte, noch qualmende Pfeife anzueignen, aus welcher es ihm auch gelang, einige herzhafte Züge zu thun, während er den grüneingewickelten, jetzt laut schnarchenden »Onkel« eifrigst beobachtete. Eduard schabte mit dem Spachtel an seiner Arbeit, die Mutter schlich auf den Zehen ab und zu, das leere Geschirr des Mittagstisches hinwegzutragen; an dem Pfosten der geöffneten Thüre her strich die Hauskatze in das schwüle, noch von den Gerüchen der Mahlzeit durchduftete Gemach. Selbst Eduard wandelte lebhaftes Schlafbedürfnis an in dieser schwülen Mittagsruhe, er legte sein Werkzeug hinweg und sah träumerisch auf den sonnigen Hof. Draußen scheuerte die Magd einen Kessel am Brunnen. Der Hund schlief vor seiner Hütte, die Hühner saßen verschlafen auf dem Brunnentrog, überall auf Stein und Mauer, auf Dach und Treppe lag die blendend grelle Sonne eines warmen Septembertages, Wie einschläfernd die Physiognomie des Brunnens herüberschaute, es war ein gutmütiger alter Brunnen, dem immer ein wenig Wasser im Munde stand, der Baum neben ihm breitete wie schützend seine Äste über den kühlen Ort. Eduard ärgerte sich über jene Lüge, die er eben vorgebracht. Warum er nur in jenem Augenblick: nein! statt: ja! gesagt, Thorheit! Es ging ihm das: Ja! nicht von der Zunge. Doch schlafen wir ein wenig, dachte er, ich bin mit Allem unzufrieden, mit der Gräfin nicht zum wenigsten. Es ist recht seltsam, daß sie meines Vaters Herrin ist, freilich ist es ebenso seltsam, daß ich ich, d. h, meines Vaters Sohn bin. Da schlug näherkommender Hufschlag an sein träumendes Ohr. Eine Ahnung stieg in ihm auf, er wußte in seiner Schlaftrunkenheit selbst nicht warum, aber es war ihm, als wisse er genau, wer sich zu Roß dem Hofe nahe. Richtig, es war so selbstverständlich, da ritt sie zum Thore herein, von einem Lakaien gefolgt, die junge Gräfin Isabella. Nun muß sie auch noch kommen, dachte er und riß, als er Ludwig so gemüthlich rauchen sah, dem Jungen die Pfeife aus dem Mund. »Was machst Du,« rief er barsch, dämpfte jedoch gleich seine Stimme, als der Förster sich regte. Die Hunde schlugen an, der schlafende Förster reckte sich seufzend, während seine Frau sogleich hinausgeschlüpft war, den Gast zu bewillkommnen. Eduard erhob sich unschlüssig, was er thun sollte, da Ludwig, die Pfeife wegwerfend, in den Hof gestürzt war, die Pferde zu bewundern.

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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
280 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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