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Читать книгу: «Seelenrätsel», страница 10

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Und ohne seine Antwort abzuwarten, kaum auf den Seufzer hörend, den er ausstieß, faßte sie seinen Kopf mit beiden Händen, ihn erstaunt, geistesabwesend ansehend. Obgleich nun Eduard sich in dieser Situation ein wenig zu sehr als der passive, eigentlich weibliche Teil empfand, erregte es ihm doch ein eigentümliches Entzücken, sich so stürmisch-unschuldig, mit so süßer, reiner Sinnlichkeit geliebt zu wissen, er gab sich dem Rausch des überströmenden Mädchens hin und wußte nicht, ob er sie, oder sie ihn zuerst geküßt, vielleicht fühlte er auch, daß er, wollte er nicht unmännlich erscheinen, ihrer That ebenfalls mit einer That entgegenkommen müsse, er drückte sie fester an sich, ihr Gesicht ruhte auf dem seinen, wie eine heiße Flamme, ihre Augen, ihr Atem rannen, wie es ihm vorkam, in eine einzige erstickende Glut zusammen, ihre Hände zuckten in seinem schwarzen Lockenhaar. Endlich riß er sich aus dieser Trunkenheit und da er, er wußte nicht warum diese Situation, die doch ein wenig beschämend für ihn war, gerne geendigt sah, flüsterte er, obgleich niemand störte, also ganz unmotiviert: »Still, man kommt.«

Sogleich trat sie zurück.

»Erwarte mich morgen – am See – in der Nähe der Ruine,« flüsterte sie, »nicht wahr, Du kommst – früh um elf Uhr —«

»Ja,« stammelte er verwirrt, seine in Unordnung gebrachten Haare glättend und taumelte der Abschiednehmenden bis an die Thüre nach, in einem Zustand, als sei er eben aus einem beängstigenden Traum mit schwerem, erhitzten Kopf aufgewacht. Sie wollte ihn nochmals umarmen, doch das Eintreten Ludwigs verhinderte sie daran. Sie ging eilig in die Nacht hinaus, er sah ihr fast regungslos nach, dem erstaunten Blick Ludwigs ausweichend. Ludwig frug etwas, das Eduard überhörte. Nach einer Pause, während welcher Eduard mit heißem, gesenktem Kopfe dagestanden, frug Ludwig, der seinen Freund neugierig, doch zugleich auch beunruhigt betrachtet, zum zweiten Mal:

»Was habt ihr denn gemacht?«

Eduard fuhr empor, legte ihm die Hand auf das lockige Haupt und ihn errötend ansehend, sagte er zerstreut: »Wollen wir wirklich morgen abreisen?«

»Meine Ferien dauern noch drei Wochen,« sagte der Knabe, »wir wollen noch bleiben. Aber sage mir doch, was Du mit dem Fräulein hast. Ich mag die Mädchen überhaupt gar nicht leiden. In den Straßen werfen wir sie immer mit Steinen.«

»Warum denn?« frug Eduard, an andere Dinge denkend, »das ist unrecht.«

»Pfui,« sagte Ludwig entrüstet, »ein Mädchen möchte ich nicht sein, Röcke tragen, pfui! und so viel schwatzen«

»Ganz recht,« entgegnete Eduard lächelnd, »halte Dich mit Deinen Freunden.«

»Ja, das will ich,« sagte der Knabe heftig, »das solltest Du auch thun, wie kannst Du nur ein Mädchen gern haben.«

»Wer sagt, ich habe ein Mädchen gern,« frug Eduard, immer nur mit halbem Ohre hörend.

»Ich weiß nicht, aber bei uns sind auch so ein paar in der Schule, die laufen den Mädchen nach, und das mag ich gar nicht leiden,« erwiderte der Knabe ganz erhitzt.

Eduard küßte seinen Liebling; doch dieser benahm sich etwas scheu und wollte sich nicht küssen lassen. Er sei zu alt hierzu, meinte er trotzig und bog den Kopf weg.

»Liebst Du mich noch?« frug Eduard.

»Warum nicht!« gab das Kind ausweichend zur Antwort.

»Nun, so mußt Du auch die Gräfin gern haben,« sagte er.

Nur zögernd gab der Kleine nach; er wolle versuchen die Gräfin gern zu haben, aber er wolle nicht mehr geküßt sein. Hierbei wischte er sich mit dem Ärmel den Mund ab. Als Eduard ihm endlich befahl, zu Nacht zu essen und sich dann zu Bette zu begeben, kehrte sich der Knabe an der Thüre um und frug auf einmal:

»Höre doch, bei uns in der Schule sagen sie, die kleinen Kinder kämen durchʼs Küssen in die Welt – ist das wahr?«

Eduard mußte an sich halten, um nicht laut aufzulachen. »Der Storch bringt sie,« sagte er errötend, »nun gehe nur, das kümmert Dich ja nichts.«

Ludwig ging; Eduard sah ihm von dieser Naivität entzückt nach, fühlte sich jedoch trotz einem inneren Seligkeitsgefühl ein wenig gedrückt, sobald er an Isabella dachte. Dieses Seligkeitsgefühl bestand, wie er sich gestehen mußte, nicht zum geringsten aus befriedigter Eitelkeit. Er mußte doch irgend etwas Anziehendes an sich oder in sich tragen, wie hätte ihm sonst dies stolze Mädchenherz so stürmisch entgegengepocht, aber er achtete seine Vorzüge viel zu gering, um länger darüber nachzudenken, welche Eigenschaft ihm etwa dieses Herz gewonnen. Von Hause aus, trotz aller Leidenschaftlichkeit, schüchtern, zeigte sich ihm jetzt die ganze Liebesangelegenheit in einem falschen, trüben Lichte, es war ihm, als stünde er vor einem verzeichneten, unwahren Bilde. So war es nicht das Rechte, obgleich ja nicht geleugnet werden konnte, daß gerade in dem Verfehlten, dem Unnatürlichen des Abenteuers ein gewisser Reiz lag. Warum er sich nur so gedemütigt fühlte. Das konnte doch nur eine vorübergehende Stimmung sein. Als nun die Mutter behutsam inʼs Zimmer trat, merkte er sogleich an dem befriedigten Lächeln, den schleichenden Schritten der Frau, daß sie nach Weiberart das Lauschen nicht für ehrenrührig gehalten. Sie drückte ihm stumm die Hand und küßte ihn mit Freudenthränen in den Augen. Hierdurch kam ein gewisser Trost in seine Seele: der Mutter eine Freude bereitet zu haben, erfreute ihn, er ließ alles mit sich anfangen in einem Zustand weichen Gehenlassens, ließ sich umarmen, liebkosen, streicheln, er umarmte die Mutter, strich ihr das ergraute Haar aus der Stirne und zeigte sich seit langer Zeit einmal wieder zärtlich. Doch auch in diese beglückende Stimmung schlich sich ein dumpfes Gefühl von Ekel, von Entwürdigung. Manchmal überlief ihn ein zwar angenehmer, doch zugleich auch widerlicher Schauer. Als sich die polternden Schritte des heimkehrenden Vaters hören ließen, wich er diesem aus, gab jedoch auf die Frage der Mutter: ob der Wagen ihn morgen um fünf Uhr an die Bahn bringen solle, zur Antwort: »Das hat Zeit.« Rasch, ehe der Vater eintrat, schlich er aus dem Zimmer hinauf in das seinige. Ludwig schlief schon. Wie die personifizierte Unschuld lag er da, mit seinem weißen Gesicht, mit seinen regelmäßigen Atemzügen. Der Maler betrachtete ihn einen Augenblick gerührt. Dieser Anblick beruhigte sein sich bekämpfendes Innere, er kam sich gut, ja edel vor, da er bedachte, was aus diesem unglücklichen, elternlosen Knaben geworden wäre, wenn er ihn nicht dem Straßenpflaster Münchens entrissen. Sie würden mich sehr edelmütig nennen, die Philister, sagte er sich, setzte aber sein Selbstgespräch nicht fort. Warum altern wir, wie schade, daß die Kindheit nicht weiß, wie glücklich sie ist, dachte er. Sich nieder zu beugen, um einen Kuß auf die heißen, halbgeöffneten Lippen seines Zöglings zu drücken, hielt ihn diesmal ein wunderliches Schamgefühl ab: er kam sich nicht mehr würdig vor, diese reinen Lippen zu berühren, die noch nicht wußten, zu was sie da sind, die noch nicht wußten, welches ihre zugleich edelste und unedelste Bestimmung ist.

* * *

VI

Des andern Morgens hatte sich der alte Förster sehr verwundert, seinen Sohn noch zu Hause zu finden, schwieg jedoch, da ihn wichtige Geschäfte in Anspruch nahmen. Als er später nach Hause kam, ließ ihm die glückliche Stimmung, in welche ihn das Erlegen eines Rehes versetzt, nicht Zeit, den Sohn auszuforschen. Daß seine zitternde Hand, sein unsicher werdendes Auge ihm im Momente gesteigerter Lebenslust noch so treue Dienste erwiesen, erfüllte den alten Mann mit kindischer Freude.

»Alt? was ist alt,« sagte er zu seiner Frau. »Mit dem sechzigsten Jahre beginnt das beste Mannesalter für uns Waldmenschen. Ich stehe noch rüstig auf den Beinen und treffe besser, wie ein Zwanzigjähriger.«

Eduard, der den Vater, ohne daß es dieser merkte, vom Fenster seines Schlafgemachs aus beobachtete, hatte kein Verständnis für die freudige Erregung des Schützen, der, als nun das stattliche Tier herbeigetragen wurde, dem Rum reichlicher zusprach, denn je. Es stieg sogar ein gelinder Aerger in dem Busen des Sohns empor, als jetzt der Vater, während er den Trägern des Rehes die Gläser füllte, seine Jagdgeschichten zum Besten gab. Wirklich, sagte sich der Maler, das Mittelalter ist noch nicht vorüber, es steckt der Menschheit immer noch in den Gliedern, nur wenige haben es überwunden, gerade die höchsten und die untersten Schichten der Gesellschaft sollten sich nicht für Kinder des neunzehnten, sondern für Kinder des dreizehnten Jahrhunderts ausgeben. Er dachte hierbei an den Baron, an den Sport unserer Tage, Schwimmkünstler, militärische Dressur, Pfaffen und dergleichen, so daß er sich mit Gewalt aus seiner Unzufriedenheit reißen wußte, um nicht zum Menschenfeind zu werden. Eduard verließ, um dem Vater auszuweichen, gegen zehn Uhr das Haus, mit dem ernstlichen Vorsatz, dem Mädchen, das er aufzusuchen ging, die Schwierigkeiten klar zu legen, die eine Verbindung zwischen ihnen zu einer Unmöglichkeit machten. Die wohl durchschlafene, nur von einem sehr angenehmen Traume unterbrochene Nacht hatte eine Umwälzung aller seiner Gedanken und Gefühle bewirkt. Der Plan zu einem neuen Gemälde, der in ihm aufgetaucht war, trug dazu bei, ihm diese Liebesangelegenheit geringfügiger erscheinen zu lassen, die Begeisterung, die er für sein künstlerisches Ideal hegte, brachte es mit sich, daß er das Leben als solches mit nüchternen Blicken maß. Es war eine seiner Eigentümlichkeiten, daß gerade in solchen Momenten, die jeder höheren, geistigen Thätigkeit feindlich gegenüber traten, seine Produktionslust um so heftiger in ihm erwachte, so daß er hierdurch oft den Eindruck eines Menschen machte, der am Abhang hinwandelnd leichte Lieder singt. Als er an dem See entlang schritt, dessen Wellen der ausnehmend warme Herbstwind rauschend an die Steine des Ufers warf, lebte nur das Bild in seiner Seele, das er in München sogleich in Angriff nehmen wollte, und dessen Skizze er bereits heute Morgen während des Aufstehens in seinem Buche entworfen. Wie wollüstig weich heute die Septemberluft über die Flut webte; es war, als träume sich der Herbst in seine Kindheit, den Frühling zurück. Vom Ufer aus lief ein hölzerner, kaum zwei Fuß breiter Steg über den See hinaus: das äußerste Ende dieses Stegs grenzte an eines jener zahlreichen Badehäuschen, die dem Ibsteiner See ein so idyllisches Aussehen geben. Auf diesem schwankenden, nur von einer Seite mit einem Geländer versehenen Brettergerüste schritt Eduard in den See hinaus, lehnte sich an das knirschende Geländer und sah so lange in die vorübereilenden Wellen hinab, bis es ihm vorkam, als zöge er mit den Wellen weiter, immer weiter, an schönen, blühenden Inseln vorüber. Rings um die Ufergebüsche spannte der Nebel weiße, feuchte Netze, die sich allmählig hoben, dort lag das gräfliche Schloß, dessen klosterartige Mauern soeben ein Sonnenstrahl erwärmte, der sich durch die grauen Nebelhüllen Bahn gebrochen. Daß Isabella dort in jenen Mauern weilte, erregte sonderbarer Weise Eduards Gemütsleben nur flüchtig, viel mehr bewegten ihn jetzt seine künstlerischen Pläne. So sann er seinem Bilde, das ihn von heute früh an unausgesetzt beschäftigt, träumerisch nach. Er nahm sein Skizzenbuch zur Hand, einige Korrekturen vorzunehmen. Auf dem Blatte war in vollem Jugendglanze Isabella als Penthesilea zu sehen, wie sie vor der Leiche des Achilles in dumpfem Schmerz zusammengekauert hinbrütet —, es war seine größte, bedeutendste Komposition, sie erfüllte ihn ganz mit der Ahnung zukünftigen Ruhms; jede Bewegung besaß Kraft, Tiefe, das Ganze Stimmung und Leben. Hatte vielleicht Isabellas Erscheinung aufgehört sinnbestrickend auf ihn zu wirken, da er sie nur noch als schönes Modell, als Gegenstand seiner Kunst betrachtete? Ihr ganzer Reiz wirkte so völlig auf seinen Geist, daß er aufhörte, auf seine Sinne zu wirken und was ist eine Liebe ohne die schöne Sehnsucht der Sinne! Seine Phantasie, das Anschlagen der Wellen, der Windhauch ließ ihn ein Geräusch überhören, das schon seit einiger Zeit im Innern des gegenüberliegenden, kaum zehn Schritte entfernten Badehäuschens wiederertönte. Plötzlich erbrauste das Wasser; heftige, weiße Wellen schäumten unter der Treppe des Häuschens hervor, das taktmäßige Schlagen der Flut nahm zu, nun ward ein menschlicher Laut, ein: Ach! oder: O! fröstelnden Behagens hörbar; kein Zweifel, dort badete jemand, verlockt von der schwülen Wärme des Septembermorgens. Sogleich erwachte in Eduard der Wunsch, seinen Gliedern ebenfalls diese Wonne angedeihen zu lassen, vielleicht, daß sein Nervensystem, belebt von der kühlen Flut, in diejenige Spannung geriet, die ihm zur Vollendung seiner Komposition noch fehlte. Die Thüre eines Badehäuschens stand offen. Fröhlichen Herzens zog er den Rock aus, um sich in die Bretterhütte zu begeben. Als er bereits halb entkleidet dastand, blickte er durch eine Ritze der Wand hinüber nach der anderen Hütte, da ihn der Verdacht angewandelt, Ludwig könne sich da drüben, ohne um Erlaubnis gebeten zu haben, die Annehmlichkeiten eines Bades verschaffen. Ein weißer Arm, der eben aus der Thür der Badehütte gestreckt, in das Wasser tauchte, ein schimmernder, jetzt von der Sonne beleuchteter Nacken waren die ersten Gegenstände, die ihm inʼs Auge fielen. Arm und Nacken verschwanden wieder; Eduard hatte, da ihm sein Glas, das er zu benutzen pflegte, nicht gleich zur Hand war, nicht unterscheiden können, welchem Geschlechte sie angehörten, er wußte nicht einmal, ob die Teile, die er gesehen, schön oder häßlich seien, trotzdem bewirkte dieser flüchtige Anblick, daß er behutsam seinen Rock wieder anzog, und jedes Geräusch vermeidend, in einer wunderlichen Stimmung das Badehäuschen verließ. Leise, die Stiefel in der Hand tragend, also in den Strümpfen, schlich er über die Brücke, hielt den Atem an und war froh, als er das Ufer erreicht. Hier angekommen, zog er die Stiefel an, unterdrückte ein Erröten, das ihm zuweilen in die Wangen steigen wollte und entfernte sich, nach dem Walde gehend, immer mehr von dem Häuschen. Mehrmals zwang ihn freilich die Neugier, oder ein anderes Gefühl zurückzublicken, doch that er es jedesmal mit Herzklopfen. So schritt er der Ruine zu, die am See lag, nicht fähig, irgend einen Gedanken festzuhalten, sondern gewissermaßen beständig von einem wachen Traume begleitet, den er sich allerdings so ziemlich zu deuten wußte, sich aber zu deuten fürchtete, manchmal über sich selbst lächelnd, dann wieder mit sich selbst unzufrieden. Die auf einer kleinen Anhöhe gelegene Ruine bestand aus künstlich zerstörten Mauern, unter deren zerfallenem Gestein sich eine Art Nische befand, ein kleiner, mit einigen Holzbänken versehener Raum. In dieser Nische nahm Eduard Platz und versenkte sich abermals in seine Zeichnung, deren Ausführung jetzt nicht mehr so recht von statten gehen wollte, denn immer noch zitterte jene süße Verstörung in seiner Seele nach. Ein Flüstern, das er nach einiger Zeit vernahm, störte ihn, er sah empor, und gewahrte zwei elegant gekleidete Frauen, die sich in einiger Entfernung von seinem Versteck leise unterhielten. Die ältere Dame, die der Maler erkannte, nahm von der jüngeren mehrere Badetücher in Empfang, und verschwand alsbald hinter den Büschen, während die jüngere auf die Ruine zuschritt, prüfende, suchende Blicke um sich werfend. Eduard ließ Isabella, denn diese war es, die ihn suchte, einige Zeit gewähren: die Ahnung, daß dies Mädchen es gewesen, von deren einsamem Badevergnügen er unfreiwilliger Zeuge geworden, beklemmte ein wenig sein Herz, doch als sie ihn jetzt bemerkte, als sie jetzt ganz unbefangen lächelnd auf den Errötenden zuschritt, ward es ihm zur Gewißheit, daß sie von seinem Vergehen nichts wußte.

»Hier bist Du?« sagte sie, »verzeihʼ, daß ich warten ließ.«

Sie vermied es offenbar, das Du! zu stark zu betonen; als sie es aussprach, lächelte sie errötend und verschluckte es, auch schien sie den Grund, warum sie Eduard warten ließ, angeben zu wollen, schwieg jedoch, da Eduard keine Anstalten machte, sie herzlich zu bewillkommnen, sondern bleich vor sich niederstarrte. Er hatte sich erhoben. Sie begann, da ihr die zurückgedämmte, einen Ausweg suchende Wonne des Wiedersehens die Zunge löste, zu reden: in einem halb vertraulichen, halb zaghaften Ton berichtete sie allerlei gleichgültige Dinge, immer darauf wartend, daß er sie unterbrechen werde. Da er sie nicht unterbrach, frug sie: was denn mit ihm vorgegangen sei. Als Eduard die Gestalt vor sich sah, die er gestern umarmt, überkam ihn ein Gefühl, das große Aehnlichkeit mit dem Heimweh besaß, ihre liebenswürdige Vertraulichkeit stimmte ihn hingebend.

»Wie sehr sie mich liebt,« sagte er sich beschämt, »aber darf ich ein Spiel weitertreiben, das für mich immer nur ein Spiel bleiben würde, allerdings ein sehr schönes Spiel!«

»Isabella,« flüsterte er zögernd, mit einem Trotzgefühl seine kalte Erregung niederdrückend, »es ist Wahnsinn!«

Sie sah ihn bestürzt an, sie mochte erwartet haben, daß er sie umarme, sich noch zärtlicher erwiese, als in jener Stunde der ersten Verständigung.

»Wahnsinn ist unsere Liebe,« fuhr er, den Kopf abwendend, fort, als wolle er die Wunde, die er jetzt schlagen mußte, nicht sehen, »schlimm genug, daß ich Dir gestern mein Innerstes zeigte, ich war ein Kind – glaube mir nicht – ich sprach Raserei —«

Sie lächelte ein ausdrucksloses Lächeln und schüttelte den Kopf, als könne sie es nicht fassen, was sie eben gehört. Er fühlte Mitleid mit ihr, mehr, viel mehr wie mit sich selbst und sagte deshalb in etwas pathetischem Tone um einzulenken:

»Du weißt ja, daß ich Dich liebe, aber ich werde Dich nie mit den Deinigen entzweien, meine Leidenschaft für Dich ist innig, aber die Besonnenheit geht neben mir her und ruft mir zu: entsage, denn Du machst sie unglücklich. Oder würde ich Dich nicht unglücklich machen, wenn ich Dich aufforderte, Deinen Standesgenossen den Handschuh hinzuwerfen?«

Sie streckte ihm die Hand entgegen.

»Soll Dich ein Weib beschämen?« sagte sie, »hast Du weniger Mut als ich? Ich kenne die Hindernisse, von denen Du sprichst – aber ich habe den Mut, sie alle zu überwinden.«

Eduard wußte nicht, was er hierauf erwiedern sollte, nach einer peinlichen Pause sagte er mit zitternder Stimme:

»Und dann – meine beiden Eltern, laß uns auch ihrer gedenken, sie leben von der Gnade Deines Vaters.« —

»Wohl hast Du recht,« entgegnete sie gerührt, »Du bist ein guter Sohn, aber Deinen Eltern wird nichts geschehen, so unedel ist mein Vater nicht.«

Als er hierauf schwieg, sah sie ihm ängstlich ins Gesicht, als sei endlich ein halb unbewußter Zweifel an der Kraft, an der Aufrichtigkeit seiner Empfindung in ihr aufgestiegen. Sein fortgesetztes, ratloses Schweigen, sein Auge, das dem ihren scheu auswich, konnte sie allerdings auf den Verdacht bringen, er habe Ausreden gesucht, um sich auf gute Weise von ihr loszusagen. Ihre Wimpern zuckten.

»Du liebst mich nicht,« flüsterte sie traurig.

»Isabella« – stieß er vorwurfsvoll heraus.

»Nein! das ist nicht Liebe, die klügelt, die bedenkt.«

»Isabella —«

»Ich wäre bereit, für diese Liebe zu sterben,« setzte sie mit bebender Stimme hinzu, ihm groß und schmerzbewegt in die Augen sehend: »Kannst Du dasselbe von Dir sagen?« Er that einen Schritt zu ihr hin. »Kannst Du dasselbe von Dir sagen?« wiederholte sie zurücktretend. Eduard erfaßte gerührt, ja erschüttert ihre Hand und wußte weiter nichts, als mit zärtlichem Tone zu sagen:

»Mein Mädchen.« – — —

Eben berührte seine Hand die ihrige, als sich eiligst Schritte hören ließen.

»Es ist Frau von Pork,« flüsterte Isabella.

In der That näherte sich Frau von Pork mit allen Anzeichen der Verstörung dem Orte der Beiden.

»Gnädigste Gräfin,« rief sie mit einer theatralischen Armbewegung schon von weitem. Isabella eilte ihr ein paar Schritte entgegen, während Eduard in der Nische blieb.

»Sr. Erlaucht, – der Graf,« keuchte die Gesellschafterin.

»Mein Vater?« rief Isabella.

»O mein Gott,«  fuhr die Gesellschafterin nach Atem ringend fort, »ja, er ist soeben angekommen.«

Isabella beherrschte ihre Gemütsbewegung, indeß Frau von Pork stammelnd, kaum ihrer Sinne mächtig, weiter Auskunft gab, mit einer gewissen, selbstquälerischen Wollust das Dramatisch-Spannende der Situation heraushebend.

»Der Graf hat Befehl gegeben, Sie, gnädigste Gräfin auf das Schloß zu rufen,« jammerte sie in ihrer emphatischen Weise – »augenblicklich – ohne Verzug – eilen Sie, kommen Sie rasch – o mein Gott, was wird das werden – der Donner schmettert nieder – wir sind verloren. Der Baron liegt dem alten Manne beständig im Ohr. Der Baron hat ihn ganz in seiner Gewalt – ich habe es gleich bemerkt, der Graf thut, was ihm der Baron rät – ach Gott!« unterbrach sie sich, »o Himmel, wie schwach Ihr gnädigster Vater auf seinen Beinen ist – es wird immer schlimmer, in der Residenz, wissen Sie, konnte er noch den Weg nach dem Schlosse gehen – jetzt aber – aber kommen Sie doch —«

»Liebe Freundin, fassen Sie sich,« wandte Isabella ein.

»Fassen! Du mein Gott!« fuhr die alte Dame fort, nun aus ihrem theatralischen Ton in den natürlichen übergehend, »ach! Herr Enger, reisen Sie ab, so schnell als möglich, der Baron will mit Ihnen reden – ich habe es aus seinem eigenen Mund – reisen Sie ab – oh Isabella, retten Sie mich, o fügen Sie sich, bitten Sie den Vater um Verzeihung —«

»Sie sind außer sich« unterbrach Isabella die exaltierten Ausrufungen der Freundin. Dann wendete sich die Gräfin zu dem stumm dastehenden jungen Mann, der im Gefühl seiner Charakterlosigkeit die Augen zu Boden schlug.

»Eduard,« sagte sie ruhig, ihre Atemzüge beherrschend, »Du wirst nun dem Stellvertreter meines Vaters gegenüberstehen; die Stunde der Entscheidung naht, in Deiner Hand liegt zum größten Teil unser Schicksal. Eduard, ich darf nicht länger schweigen . . . So wisse denn, daß man mich zwingen will, mit jenem Baron, den Du kennst, eine Verbindung fürʼs Leben einzugehen. Ich hasse den Menschen bis in den Tod. Was ich thun werde, sollte es so weit kommen! – genug, das weiß ich nicht. Ich gebe Dir keinen Rat ich flehe Dich nicht an um Rettung, handle wie es Dir Dein Inneres vorschreibt, ich müßte mich selbst verachten, wollte ich in Dich dringen, mein Verteidiger, mein Retter zu sein.« Alsdann brach sie ab, sich zu Frau von Pork wendend. Ihr Gesicht drückte für einige Momente eine solchʼ starre, niedergekämpfte Verzweiflung aus, daß Eduardʼs Herz sich zusammenpreßte. Sie tötet sich, klang es in ihm wieder und es durchzuckte ihn wie ein Schwert, als er diese leichnamartige Miene ihr schönes Gesicht entstellen sah. Gerade, daß sie das Düsterste, Ungeheuerste verschwieg, gab ihm eine Vorstellung ihrer Leiden. Er wollte ihr entgegengehen, aber sie kehrte langsam wieder zu ihm zurück und flüsterte, das maskenhaft-bleiche Gesicht abwendend: »Noch giebt es ein Mittel, uns diesen Stürmen auf immer zu entreißen, aber es gehört Mut dazu, diesen Plan auszuführen.« – Hier brach sie wiederum ab, wendete Eduard langsam das ausdruckslos-starre Gesicht zu und ihm eine Sekunde lang bedeutungsvoll inʼs Auge blickend, setzte sie kaum hörbar hinzu: »Diesen Plan, ich werde ihn Dir nicht nennen, wenn Du ihn nicht errätst.«

Hierauf eilte sie nervös zitternd, doch sich beherrschend, mit der Gesellschafterin von dannen, welchʼ letztere sie unterstützen wollte, was sie jedoch zurückwies.

Eduard sah ihr nach. »Sie meinte die Flucht!« murmelte er vor sich hin. Als er nun den Heimweg einschlug, fühlte er sich wie betäubt. Wachsendes Mitleid beklemmte ihm die Brust; seine Augen schwammen in Thränen und doch konnte er keinen Entschluß fassen. Wie schwach, wie verächtlich, wie elend kam er sich vor, wenn er bedachte, daß sie einem Andern gehören sollte, daß sie ihm gehören könnte und daß er mit sich selbst zu Rate gehen mußte, ob er eigentlich seine Lebenswege auf ewig mit den ihren verbinden sollte. – Flucht! wie sonderbar ihn das Wort bewegte; nein! Er war kein Abenteurer, kein Romantiker, wenn er auch in seinen Gemälden der Romantik das Wort zu reden schien.

Sie weiß nicht was sie von mir verlangt, begann er seinen stummen Monolog, »sie hat nie gelernt ihre Wünsche der Notwendigkeit unterzuordnen, sie denkt sich das Überwinden von Schwierigkeiten deshalb so leicht, weil sie nie Schwierigkeiten zu besiegen brauchte. Warum ist sie nicht die Tochter eines ehrsamen Philisters zu München, warum ist sie kein armes Bürgerkind, dessen Eltern nichts eiligeres zu thun haben, als die Tochter unter die Haube zu bringen. Doch mir ist meine Ruhe zu kostbar, ich werde sie nicht aufopfern, um mich mit vornehmem Pöbel herumzuschlagen, trotz aller Liebe, allen Mitleids, und ich liebe sie wirklich! Ja gewiß! Aber die Kunst ist mein Lebenszweck.«

Eduard bemerkte nicht, wie ein elegant gekleideter Herr seit einiger Zeit hinter ihm herschritt, um ihn einzuholen. Als er es endlich bemerkte und den Baron Brunau erkannte, der eilig den Waldpfad heraufkam, erwachte in Eduardʼs Brust ein finsterer Trotz, der indeß nicht etwa auf Eifersucht beruhte. »Von solchen Leuten soll ich mich dulden lassen,« sagte er sich, »nein, Isabella, hierzu bin ich zu stolz, lieber entsage ich Dir.«

Allmählig hatte der Baron den Maler, der, ohne sich um dessen Nähe zu kümmern, dahinschlenderte, eingeholt. Der Baron grüßte; Eduard that dasselbe und wollte vorübergehen. Eduard wußte wohl, daß ihm meist gerade in dem Augenblick, da er der ganzen Schneidigkeit des Wortes bedurfte, sein Wortvorrat ausging und daß er alsdann oft die Silben wunderlich verwechselte, indes er doch sonst den schriftlichen Ausdruck nicht übel beherrschte, sogar ein oder das andere Gedicht zu verfertigen verstand. Er vermied daher lange Auseinandersetzungen gerne; als nun der Baron stehen blieb, geriet der Maler in einige Verlegenheit.

»Mein Herr,« sagte der Baron mit schneidender Stimme, wie gewöhnlich das eine Auge zusammenkneifend.

Eduard verneigte sich.

»Ich habe mit Ihnen zu reden,« sagte der andere, indeß der Maler sich nochmals verneigte. Es mochte eine Folge von Eduardʼs malerischer Begabung sein, daß ihm zuweilen gewisse Gesichter Vorurteile einflößten. Oft schon hatte er seine Freunde dadurch erschreckt, daß er, der sonst so sanfte Mensch in eine sonderbare Gereiztheit verfiel, wenn ihm dies oder jenes Gesicht nicht behagte. Jetzt, als er in das abgelebte, geistlose Auge dessen blickte, der sich noch dazu als Beschützer der Kunst aufspielte, das heißt, sich Intendant nennen ließ, überdrang ihn jene Gereiztheit in desto höherem Grade, als er nicht Worte fand, ihr Ausdruck zu geben.

»Ich komme im Auftrage des Grafen Ibstein,« begann der Baron, »er hat mir Vollmacht erteilt, eine Angelegenheit zu ordnen, in der Sie eine besondere Rolle spielen, und die ihn sehr verdrießt.«

Diese Anrede, die weder höflich noch gerade unhöflich vorgebracht wurde, versuchte Eduard als eine Unhöflichkeit zu betrachten.

»Hat er Ihnen auch Vollmacht erteilt, in diesem Tone mit mir zu reden?« warf er hin.

»Wie sagen Sie?« frug der andere erstaunt.

»Ich hätte vorgezogen, mit dem Grafen Ibstein zu verkehren,« sagte der Maler, ein erkünsteltes Gähnen unterdrückend.

»Ei was!« erwiderte der Baron, der ahnte, wie sein Gegner das Zwiegespräch aufgefaßt wissen wollte.

»Ich darf annehmen, der Graf hätte einen andern Ton angeschlagen, als den, in welchem es Ihnen mit mir zu sprechen beliebt,« fuhr der Maler fort.

»Nun und in welchem Tone wünschen Sie, daß ich mit Ihnen spreche?« entgegnete der Intendant ebenfalls gereizt. »Graf Ibstein hat es verschmäht, Sie aufzusuchen, was ich sehr begreiflich finde. Die Angelegenheit, in welcher der Graf mit Ihnen zu verhandeln sich herabzulassen wünscht, ist ja eigentlich so geringfügiger, um nicht zu sagen, verächtlicher Natur – — —«

»Verächtlicher Natur?« lachte Eduard.

»– Daß man von einem so ehrwürdigen Herrn nicht verlangen kann, sich selbst bei der Entwickelung derselben zu langweilen,« fuhr der Baron ruhig fort, seine Handschuhe abstreifend. Nun war Eduard bereits mit seiner Beredtsamkeit zu Ende, er wußte nicht, was er sagen sollte und schritt, von dem Baron gefolgt, dem Forsthause zu.

»Ja zu langweilen, denn die Sache wird mit ein paar Worten erledigt sein,« begann der Baron aufʼs neue.

»Darf ich fragen, in welcher Sache der Graf Sie zu mir geschickt hat?« wandte der Maler kleinlaut ein.

»Es handelt sich um die excentrische Leidenschaft der Gräfin Isabella und Ihre Tollkühnheit, mein Herr, mit der Sie der kapriziösen Neigung der Gräfin entgegenkamen,« erwiderte der Angeredete mit Ruhe.

»Entgegen kamen?« wiederholte Eduard, doch Herr von Brunau, seine Gedanken erratend, ließ ihn nicht zu Worte kommen.

»Schweigen Sie, schweigen Sie!« unterbrach er ihn heftig. Das machen Sie einen andern weiß. Solche Genügsamkeit eines armen Malers, wo findet man sie anders als in Romanen? Doch wie ich schon bemerkte, die Sache wird schnell erledigt sein – denn worauf Sie es bei diesem ganzen unwürdigen Abenteuer abgesehen, ist unschwer zu erraten.«

»Wirklich?« stieß Eduard ganz betäubt hervor.

»Der Graf,« rief der andere, den die Beklommenheit des Malers ermutigt, »der Graf erwartet von Ihnen, mein Herr, daß Sie abreisen. Im Übrigen soll ich Sie seiner – wie lautete es? – ja seiner Achtung versichern, aber er verlangt von Ihnen, daß Sie abreisen. Das Reisegeld mögen Sie selbst bestimmen, es steht Ihnen zur Verfügung. Der Graf gewährt Ihnen eine Summe, die groß genug ist, um sich bei Ihrer Lebensweise drei Jahre in Italien aufzuhalten. Bedenken Sie, welchen Nutzen Sie aus dieser Studienzeit für Ihre Kunst ziehen können.« Dieser in brüskem Ton vorgebrachte Antrag, der fast einem Befehle glich, gab dem Maler seinen ganzen Grimm zurück.

»Die Kunstliebe des Grafen entzückt mich,« entgegnete er höhnisch, »vorerst aber möchte ich mein Heimatland genauer kennen lernen. Ich finde im Augenblick das Besitztum des Grafen Ibstein bei weitem anziehender, wie das schöne Italien.«

»Sie nehmen den Vorschlag des Grafen nicht an?« frug der Baron, seine Stimme dämpfend.

»Die Gegend hier ist so malerisch, die Gesellschaft, in der ich mich bewege, so interessant, man empfängt zuweilen so liebenswürdige Besuche,« – erwiderte Eduard höflich lächelnd, – »in der That mein Herr – riechen Sie nicht: den aristokratischen Duft, der dies Ländchen durchhaucht?«

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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
280 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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