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III.

Elfi stand im Türrahmen zur Küche der kleinen Dreizimmerwohnung und sah ihm beim Gemüseschneiden zu. Geübte Handbewegungen, aber ohne jeden Ehrgeiz, es mit den bekannten Kochstars aus den Fernsehsendungen und ihrer beeindruckenden Fingerfertigkeit aufzunehmen. Auf dem Herd stand bereits eine Pfanne auf mittlerer Flamme, – so nannte man es noch immer, obschon doch so gut wie alle inzwischen einen Elektroherd mit Glaskeramik-Kochzone hatten.

Das heißer werdende Öl breitete sich aus der Mitte aus. Daneben ein kleiner Topf mit Wasser, aus dem bereits die ersten Dampfwölkchen aufstiegen. Er gab anderthalb Tassen Basmati-Reis hinein, dann schob er das Gemüse mit dem Messer vom Holzbrett in die Pfanne, wobei ein gedämpftes Zischen zu hören war.

»Darf ich dir schon einmal etwas einschenken?«

»Was hast du denn Gutes?«

»Hier ist ein angenehmer Munzinger Weißburgunder von Clemens Lang. Trocken und dabei sehr ausgeglichen. Den hast du schon einmal bei mir getrunken.«

»Oh ja, ich erinnere mich. Gerne.«

Während er den Schraubverschluss der Flasche öffnete und zwei Gläser füllte, murmelte er noch:

»In zehn Minuten gibt’s was zu essen.«

Doch dann klingelte das Telefon und er drückte seinen Verdruss mit einem ärgerlichen Blick und hilflosem Schulterzucken aus, beschloss aber dennoch dranzugehen.

»Grabowski«, grummelte er mit bewusst unfreundlicher Stimme.

»Lutz, Heilbronn. Tut mir leid, dass ich dich so spät noch anrufe, aber im Dienst habe ich dich nicht mehr erreicht. Wir haben morgen eine Konferenz wegen der ermordeten Kollegin und da kommt ein erfahrener Profiler aus Stuttgart, der noch einmal alles durchsprechen will. Ich habe mir gedacht, dass es gut wäre, wenn du auch dazukommen könntest. Schließlich gibt es bei euch in Freiburg einen Fall mit derselben Täterin.«

»Mein Gott, so kurzfristig? Gibt es denn was Dringendes?«

»Nichts Sensationelles. Aber die neuen Spuren werfen eine Menge Fragen auf. Ich wollte dir wenigstens Bescheid sagen, falls es dir möglich ist. Übrigens kann ich dich beruhigen, wir fangen nicht so früh an, haben das erst auf elf Uhr angesetzt. Wir haben dann unsere laufenden Dinge schon hinter uns.«

»Das klingt schon besser.«

»Ich weiß doch, will es dir mit der Fahrerei auch so angenehm wie möglich machen. Aber wir müssen da endlich ein Stückchen weiterkommen, und euch betrifft es ja auch. Wir haben gerade eine SOKO Zelle eingerichtet, nur zu dieser Frau, die seit 15 Jahren schon in allen möglichen Fällen herumgeistert und immer rätselhafter wird. Besprich es mit deinem Chef. Du brauchst jetzt nicht zuzusagen, aber nützlich wäre es schon, dich dabeizuhaben. Wenn du um neun Uhr losfährst, kommst du immer noch rechtzeitig an. Und noch eins: Wir können anschließend zusammen Mittag essen, im Piccolo Mondo, wo wir schon einmal waren.«

»Das ist immerhin ein starkes Argument. Ich ruf dich morgen früh an und sag dir Bescheid. Ich denke, es wird gehen.«

»Wusste doch, dass ich mich auf dich verlassen kann. Bis morgen dann, Adale.«

»Ciao, Lutz.«

Elfi sagte nichts und fragte auch nicht. Sie hatte sich Gra­bowski gegenüber jede Neugierde abgewöhnt, um ihn nicht in Konflikte mit seinen Dienstgeheimnissen zu bringen. Als einem der führenden Beamten der Mordkommission ging einiges über seinen Schreibtisch, das als streng vertraulich einzustufen war und keinesfalls an die Öffentlichkeit kommen durfte. Das war insoweit selbstverständlich. Aber auch ihre Stellung in einem Anwaltsbüro, das auch gelegentlich mit der Verteidigung in Strafsachen befasst war, erforderte eine sorgfältige Diskretion. Allerdings ging es meist nur um Kleinkriminelle, Diebereien, Drogensachen – eher Unspektakuläres. Aber sie war sich, ebenso wie Grabowski, sehr bewusst, dass ihrer beider Hintergrundwissen auch unversehens in eine bedrohliche Konkurrenz geraten konnte. Verteidiger und Ermittlungsbeamte vertreten letztlich meist diametral verschiedene Interessen.

Mit einem gewissen Schaudern erinnerte sie sich an einen Mordfall vor sieben Jahren im Zusammenhang mit dem Raub des Kreuzes von Sankt Trudpert aus dem Augustinermuseum, in den auch ihre Kanzlei verstrickt war. Es handelte sich zunächst um den spektakulären Diebstahl des zentralen Stückes einer Sonderausstellung, eine der wertvollsten gotischen Goldarbeiten, dazu mit einer Fülle von kostbaren Edelsteinen besetzt, eine Leihgabe aus der Eremitage in Sankt Petersburg. Eine reichlich zwielichtige Person, Frau Wunderlich, an den Namen erinnerte sie sich bestens, obschon es nicht ihr richtiger Name war, wurde mit einer ziemlich obskuren Geschichte Grabers Klientin. (»Unsere« Klientin, dachte sie, weil sie sich völlig mit dieser Anwaltspraxis identifizierte.) Und dann wurde klar, dass diese Frau Wunderlich nicht nur an diesem Diebstahl beteiligt war, sondern Graber auch noch in die Hehlerei hineinzuziehen versuchte. Aber das war noch nicht alles. Am Ende kam sogar heraus, dass sie ihren Kumpan umgebracht hatte, um die Beute allein zu verscherbeln. Eine ganz üble Geschichte, besonders weil Frau Wunderlich ihre Klientin war und sich jetzt auch noch als Mörderin herausstellte. Graber hatte das alles selbst herausgefunden. Aber was sollte er damit nun anfangen? Er konnte ja nicht einfach zur Polizei laufen und seine Kenntnisse auspacken, auch wenn er es am liebsten getan hätte. Das wäre Mandantenverrat gewesen, eines der schlimmsten Anwaltsvergehen, das sich denken lässt. Nur Graber und Elfi wussten davon und kannten die Einzelheiten. Und das alles passierte gerade in der Zeit, als Elfi Gra­bowski kennengelernt hatte, noch ohne zu wissen, dass er bei der Mordkommission war und gerade diese Frau Wunderlich wie die Nadel im Heuhaufen suchte.

Aber Grabowski war unkompliziert. Er hatte ein natürliches Vertrauen zu Elfi. Wie anders hätten sie miteinander umgehen sollen? Er plauderte zum Beispiel ziemlich ungeniert aus dem Präsidium, meist ging es nur um Kollegen und Vorgesetzte. Die eigentliche Arbeit jedoch war allzu sehr Puzzlekram und Detailstöberei, deren Voraussetzungen und Begründungen für einen Außenstehenden viel zu viele Erklärungen nötig gemacht hätten, um irgendetwas zu verstehen. Im Übrigen versuchte er, sein Privatleben vom Dienst so gut es ging zu trennen. Das bedeutete, dass er nur in groben Umrissen von dem erzählte, was ihn gerade beschäftigte. Und schon gar nicht fragte er Elfi nach ihren Klienten aus, das ging ihn weder etwas an, noch wollte er davon wissen. Was aber nicht hieß, dass hier strikte Tabuzonen errichtet waren. Die notwendige Zurückhaltung musste jeder selbst herausfinden, darin waren sie schließlich beide geübt und konnten sich arglos aufeinander verlassen.

Während Grabowski in einer weiteren Pfanne zwei Hähnchenschenkel gebraten hatte, sie schließlich in einer Mischung aus Tomatenmark und Honig mit Rosmarin noch kurz schmurgeln ließ und unterdessen den Reis durch ein Sieb goss, um ihn anschließend zu buttern, hatte Elfi den Tisch gedeckt und nach den Servietten gesucht.

»Zum Glück nicht so früh. Ich hätte keine Lust gehabt, schon morgens um sechs auf die Autobahn zu müssen.«

»Abwimmeln kannst du es nicht?«, fragte sie vorsichtig.

Er richtete bedächtig die Teller an, indem er den Reis aus einer Tasse stülpte, sodass er eine hübsche runde Form bekam, den geröteten Hähnchenschenkel danebenlegte und jeweils zwei volle Löffel aus der dampfenden Gemüsepfanne dazugab. Dann setzten sie sich im Wohnzimmer an den Tisch.

»Abwimmeln will ich gar nicht. Der Fall ist ungewöhnlich interessant, nur mag ich keinen Stress. Dabei kommt nämlich nichts heraus. Ich habe die Devise: In der Ruhe ist die Konzentration und damit bin ich immer ganz gut gefahren. Es geht um eine Frau, der wir schon seit 15 Jahren nachjagen, ohne auch nur eine ungefähre Vorstellung zu haben, wer das sein könnte. In mehrere Mordfälle ist sie verwickelt, in zahlreiche Einbrüche, öfters in Gartenhäuschen und ähnliche Unterschlupfe, mit Autodiebstahl hat sie zu tun, auch mit Drogen, – jedenfalls haben wir eine Spritze gefunden mit Spuren von ihr. Und dennoch bleibt sie ein Phantom. Nichts passt zusammen und dennoch war sie immer in irgendeiner Weise beteiligt, gravierende Fälle, teilweise erschreckende Gewalttaten, die man einer Frau gar nicht zutrauen würde.«

»Wenn ihr das so genau wisst, dann seid ihr doch schon nah dran.« Es war als Frage gemeint.

»Es sind Spuren, die ebenso unspezifisch wie eindeutig sind, vor einigen Jahren hätte man sie noch nicht einmal lesen können. Immer ist es ihre DNA, Speichel, Hautzellen, Haare oder Ähnliches, die dabei gefunden wurden, aber sonst scheinen die Fälle nichts miteinander zu tun zu haben. Die Tatorte reichen von Süddeutschland bis nach Österreich und Frankreich. Bei dem Fall hier in Freiburg ging es um einen Trödelhändler, der erdrosselt wurde. Die Heilbronner Kollegin wurde gezielt erschossen, möglicherweise, weil sie einmal im Drogenmilieu tätig war und deshalb erkannt wurde. Und jetzt fanden sich ihre Spuren in einem Auto von einem Mann, der wegen Mordes an drei Georgiern im Raum Heppenheim in Untersuchungshaft sitzt.

Wir wissen nicht einmal, ob diese weibliche Person dabei als Täterin, Tatbeteiligte oder in einigen Fällen nur zufällig auftaucht. Und da versuchen wir natürlich, ob wir aus den jeweils ziemlich unterschiedlichen Begleitumständen so etwas wie ein Persönlichkeitsbild erstellen können. Bei den meisten Fällen waren wohl mehrere beteiligt, aber nicht immer die gleichen. Also halten wir uns vor allem an diese eine. Sie ist der rote Faden.«

»Und das soll irgendwann zum Erfolg führen?« Sie schaute ihn ungläubig an.

»Natürlich nicht direkt. Manchmal kommt man über einen Umweg besser zum Ziel. Wenn wir uns diese Frau genauer vorstellen können, finden wir vielleicht einen Schlüssel, der uns hilft, in all diesen unaufgeklärten Fällen weiterzukommen. Und am Ende wissen wir dann auch, was wir ihr anlasten müssen, es wird nicht gerade wenig sein.«

»Übrigens, dein Hähnchen schmeckt vorzüglich. Wo hast du nur immer diese guten Rezepte her?«

»Keine Ahnung. Ich koche ja nicht nach Rezept, sondern lasse mich anregen, aus Kochbüchern, in Restaurants. Und wenn mir etwas einleuchtet, improvisiere ich darüber. Aber es freut mich, dass du mit mir so zufrieden bist. Lass uns anstoßen.«

Später, als sie noch am Tisch vor leer gegessenen Tellern saßen, sagte Elfi:

»Wollen wir nicht am Sonntag ein bisschen rausgehen? In den Schwarzwald? Ich hätte Lust, mir mal wieder gründlich die Beine zu vertreten. Ich brauche Bewegung. Und dir würde es auch guttun.«

»Von mir aus gerne, da bin ich immer dabei. Es soll recht warm werden. Ich schau mal in die Karte, vielleicht finden wir etwas, wo man wandern und anschließend gut einkehren kann.«

»Dass du schon wieder ans Essen denken kannst!«

»Darf ich dir noch etwas nachschenken? Wandern und essen. Außerdem weiß ich eines schon jetzt: dass ich am Sonntag wieder Hunger haben werde. Ist das so etwas Besonderes? Täglich wenigstens einmal anständig essen, das ist doch nicht zu viel?«

Dabei musste Grabowski eingefallen sein, dass er für morgen auch die Aussicht auf einen Restaurantbesuch hatte, bei einem Italiener, den er noch in guter Erinnerung hatte. Doch das verschwieg er vorsichtshalber. Aber er war in Gedanken damit wieder in Heilbronn angelangt und sagte mehr vor sich hin:

»Ich glaube, ich werde da hinfahren.«

»Wohin, mein Lieber?«

»Ich dachte an morgen. Nach Heilbronn.«

»Hängt das nicht von deinem Chef ab, was der dazu meint?«

»Wenn ich ihm das plausibel mache und darlege, wie wichtig das ist, dann kann ich auch fahren. Letztlich hängt es also nur von mir ab. Und morgen wird es im Dienst ziemlich unerfreulich werden, da hau ich lieber ab.«

»Habt ihr Knies?«

»Das nicht. Aber vor sechs Wochen hat es eine ziemlich brutale Vergewaltigung gegeben und jetzt ist das Opfer plötzlich verschwunden, wahrscheinlich im Ausland. Das bedeutet, dass die ganzen Ermittlungen abgebrochen werden müssen. Die Kollegen sind deshalb alle sehr aufgebracht.« Eigentlich hatte er davon nichts erzählen wollen. Andererseits brauchte er es auch nicht zu verschweigen. Über Einzelheiten würde er aber bestimmt nichts sagen.

»Schrecklich. Habe ich gar nichts davon gelesen. Stand das in der Zeitung?«

»Ich glaube nicht. Wir würden das auch nicht sehr gerne ausbreiten. Das ist zum Schutz des Opfers besser so. Aber lass uns von anderem reden, das ist zu unerfreulich.«

IV.

Graber saß an dem kleinen Tischchen in seiner Küche, das leer gegessene Müsli-Schälchen hatte er weggeschoben, die Teetasse rechts neben sich, die Kanne in bequemer Reichweite. Er blätterte durch die Zeitung, deren Feuilleton immer dünner und belangloser wurde, während im Lokalteil spaltenlang einer kranken Kastanie nachgeweint wurde, die leider gefällt werden musste. Unter den Todesanzeigen war kein ihm bekannter Name. Er schenkte sich eine weitere Tasse ein und während er den Zucker verrührte, überflog er den politischen Teil. Später auf dem Weg ins Büro nahm er sich meist am Zeitungslädele die FAZ mit, manchmal auch die Süddeutsche.

Er war wohl das, was man einen Morgenmuffel nannte, einer, der den beginnenden Tag erst einmal anblinzelte und sich dann noch einmal auf die andere Seite drehte. Einer, der erst langsam in die Gänge kam und mit einem gewissen Automatismus, der durch nichts gestört werden durfte, ins Bad schlich, später ebenso die Wäsche aus dem Schrank holte und erst mit der ersten Tasse Tee alle Sinne beieinander hatte. Die Zeitungslektüre war sein eigentliches Aufwachen, eine Stunde, in der er gerne allein war, sich sein Leben nicht anders vorstellen konnte.

Ein heiterer Tag, nichts Besonderes stand an, er hatte keine Eile, ins Büro zu kommen. Da fiel ihm etwas ein und er blätterte im Telefonbuch nach einer Adresse. Etwas später holte er sein Fahrrad aus dem Keller, gab den Reifen noch ein paar Stöße aus der Luftpumpe und schwang sich auf den Sattel, die Berggasse hinab, dann auf die Gundelfinger Straße. Nach etwa einem Kilometer bog er links in ein Industriegebiet ab und fand auch gleich die Einfahrt zu einem großen Autohaus. Der Parkplatz, der sich noch weit hinter das Gebäude ausstreckte, war vollgestellt mit Fahrzeugen, in einem Teil wurden vor allem Gebrauchtwagen angeboten, jedem war ein großer Zettel mit den wichtigsten Betriebsdaten hinter die Windschutzscheibe geklemmt, andere Autos waren wohl zur Inspektion oder Reparatur abgestellt. Fast alles waren Nissans. Graber, der sein Fahrrad an den Zaun gelehnt und mit dem Bügelschloss gesichert hatte, schlenderte zwischen den Autos umher, auch einige Geländewagen waren darunter, einen Patrol konnte er jedoch nicht entdecken.

Er ging in den Ausstellungsraum, in dem verschiedene neue Modelle, meist in Silbermetallic, sich dem Betrachter gefällig präsentierten. Im Hintergrund stand ein älteres Pärchen im Mantel mit einem Mann mit offener Lederjacke im Gespräch. Ungestört konnte Graber sich umsehen. Schließlich entdeckte er neben einer ausladenden Yukka-Palme, die ein wohl unvermeidliches Grün-Möbel solcher Ausstellungshallen war, einen Prospektständer, wohlbestückt mit Hochglanzbroschüren, auf denen vor tiefblauem wolkenlosem Himmel sich jeweils ein anderes Automodell im Sonnenlicht zeigte, darunter verschiedene Geländewagen. Er griff sich, was er für richtig hielt. Der Mann mit der Lederjacke eilte an ihm vorbei und sagte dabei:

»Ich komme gleich zu Ihnen, muss nur eben noch eine Kopie machen.«

Graber überlegte, was er eigentlich sagen sollte. Sollte er wirklich als potenzieller Autokäufer auftreten? Würde das nicht zur Folge haben, später mit einer Flut von Anfragen überschüttet zu werden: Haben Sie sich schon entschieden? – Über den Preis können wir selbstverständlich nochmals reden. – Ich habe zurzeit eine besonders günstige Finanzierung im Angebot. Und so weiter. Es war ihm unangenehm, sich nach einem Auto zu erkundigen, das er mit Sicherheit gar nicht kaufen wollte. Aber er brauchte ja seine Adresse nicht herauszurücken. Ich komme dann wieder vorbei, wenn ich mich entschieden habe. Oder vielleicht: Es kommt erst nächstes Jahr infrage, aber ich wollte mich schon einmal vorinformieren. Möglichst sicher auftreten, das verschaffte den größten Respekt. Unbefangen bleiben.

Das Pärchen wurde nun verabschiedet, er hörte noch einige Gesprächsfetzen:

»– schicke Ihnen die Papiere zu. – Selbstverständlich. – So etwa 14 Tage. – Ja, genau, so machen wir’s. Einen schönen Tag noch.«

Dann kam der Verkäufer zu ihm, gab ihm die Hand, als seien sie gute Bekannte, warm und fest, und nannte seinen Namen. Er machte in seiner direkten und selbstsicheren Art den Eindruck, der Chef des Hauses zu sein. Graber stellte sich ebenso vor und sagte dann:

»Ich wollte mich gerne nach dem Patrol erkundigen.«

Sein Gegenüber lächelte ihn an, sah auf den Prospekt, den Graber ihm hinhielt, und meinte:

»Das ist aber nicht der Patrol, da haben Sie den Pathfinder.«

»Die sehen so ähnlich aus. Da habe ich wohl das Falsche gegriffen. Oder ist das nur eine Ausstattungsvariante?«

»Der Patrol ist eine ganz andere Klasse. Ich gebe Ihnen das Richtige.« Und er griff zielsicher hinter sich zum Ständer.

»Wissen Sie, die kann man nicht miteinander vergleichen. Der Patrol hat ganz andere Kräfte. Bis dreieinhalb Tonnen Zugkraft. Das ist etwas sehr Spezielles.«

»Man sieht diese Wagen verhältnismäßig selten hier.«

»Ja, das stimmt. Wir haben im Augenblick auch keinen auf dem Hof. Der Patrol wird nicht so häufig verlangt. Das ist ein sehr exklusives Fahrzeug.«

»Und wer kauft so etwas?«

»Das ist eine gute Frage. Ein Teil sind ausgesprochene Rallye-Fahrer. Die machen Trips durch die Wüste, Afrika-Touren in extremem Gelände. Da braucht man eben entsprechende Fahrzeuge. Sonst haben Sie keine Chance. Und dann gibt es natürlich auch Handwerker mit schwerem Gerät, die einen Anhänger haben fürs Gelände. Zum Beispiel ein Steinmetzbetrieb. Die brauchen so schwere Wagen.«

»Was meinen Sie denn, wie viele von diesen Karren hier in der Gegend unterwegs sind? Also nicht nur in Freiburg, sondern im weiteren Umkreis?«

»Ich würde schätzen: so um die 50, 60.«

Es entstand eine kleine Gesprächspause, in der sich beide höflich lächelnd anschauten. Graber fühlte sich irgendwie ertappt, denn er sah weder wie ein Wüstenabenteurer aus noch wie ein Handwerker von etwas robusterem Gewerbe. Er hatte eine schlanke, hochaufgeschossene Gestalt, die nichts Sportliches verriet, zarte Hände mit langen Fingern, und sein Kopf mit der Halbglatze und buschig herabfallendem, leicht angegrautem Haarkranz ließ eher an einen Professor denken als an einen zupackenden Werktätigen.

»Welche Farben werden denn im Allgemeinen bevorzugt?«

»Eindeutig silbermetallic.«

»Und schwarz?«

»Auch. Eigentlich nur silbern und schwarz.«

Graber näherte sich immer mehr seinem eigentlichen Thema. Der Verkäufer war so zurückhaltend und zugleich auskunftsbereit, dass Graber beschloss, ein wenig aus der Deckung zu kommen.

»Ich interessiere mich für einen schwarzen Patrol. Aber ich muss Ihnen das genauer erklären. Ich schreibe nämlich einen Krimi, in dem ein solches Auto vorkommen soll, und dafür brauche ich ein paar Informationen.«

»Ich dachte mir schon, dass Sie keinen kaufen wollen. Das wäre kaum ein Auto, das zu Ihnen passen würde. Aber wenn ich Ihnen trotzdem helfen kann, gerne.«

»Sie können Ihre Kunden einschätzen?«

»Doch ja, die erzählen schließlich auch von sich. Nennen die Motive, warum sie gerade dies und kein anderes Fahrzeug wollen. Man muss nur zuhören.«

»Fahren nicht auch noch andere Leute so ein Auto? Mehr als Statussymbol? Das ist doch ein so robuster und auftrumpfender Wagen, der hat fast etwas Einschüchterndes.«

»Natürlich, ich gebe Ihnen da vollkommen recht. Für mich wäre der auch etwas zu stark. Aber wir haben so einen Kunden. Gestern stand sein Auto noch zur Inspektion hier, da hätte ich es Ihnen zeigen können. Das ist ein ehemaliger Fremdenlegionär, der braucht so ein Auto. Das hat sicher mit seinem Ego zu tun. Der Wagen ist auch entsprechend hochgerüstet, Einstiegsleisten, Frontgitter, Ladekantenschutz, natürlich hat der auch Spezialfelgen, extra breite Reifen, alles vom Feinsten. Der hat noch mehr Fahrzeuge bei sich im Schuppen, alle bestens gepflegt. Der sitzt da drin wie in einem Panzer. Der braucht das, so ist eben sein Selbstbild. Fast ein bisschen gewalttätig, alles zur Seite drängend. Ist schon über 60 und schwelgt wahrscheinlich in Erinnerungen.«

»Und ist der Wagen schwarz?«

»Alles in schwarz, sogar das Frontgitter. Ich sag Ihnen: wie ein Panzer. Das hat der alles so bestellt. Ist natürlich ein Einzelfall. Das ist eben ein Auto für Individualisten. Aber da fällt mir noch ein anderer Kunde ein, eine Frau. Eine ganz kleine, zierliche Person mit blonder Lockenpracht, hochhackigen Schuhen und so weiter, und dann mit einem solchen Auto. Sie sagt, da fühle sie sich richtig wohl und sicher. Das müssten Sie sehen, wenn die in den Wagen hochsteigt und dann hinter dem Lenkrad sitzt. Ein wirklich komisches Bild. So etwas kommt auch vor. Ist auch ein schwarzer Patrol, aber mit Applikationen in gebürstetem Edelstahl, alles silbern glänzend. Wenn ich diese Frau beschreiben soll, die ist natürlich entsprechend extravagant angezogen, sehr elegant, aber wie soll ich sagen? Sie liebt Stoffe im Tigerfellmuster und solche modischen Sachen. Schon komisch.«

»Heißt das, ein Auto für halbseidene Leute?«

»Na ja, es ist eben ein bestimmter Stil. Das sind Angebertypen oder Leute, die ein bestimmtes Image ausstrahlen wollen. Ein Auto ist wie ein Kleid, das muss zu einem passen und soll ja auch etwas ausdrücken. Aber in der Hauptsache, würde ich sagen, sind es Extremsportler und solche, die schwere Anhänger ziehen müssen.«

»Und was kostet das? Ich meine, so voll aufgerüstet, mit allem Drum und Dran?«

»Da gibt es den Dreitürer, der ist kleiner und auch billiger, aber bei dem Fünftürer müssen Sie mit 40.000 Euro rechnen. Und wenn Sie den richtig hochbrezeln mit allen Sonderausrüstungen, können Sie bis zu 20.000 noch dazurechnen.«

»Ein teures Vergnügen.«

»Ist dann aber auch etwas sehr Besonderes.«

»Darf ich mir die Prospekte mitnehmen?«

»Na klar. Warten Sie, ich gebe Ihnen noch die Preisliste. Da ist auch das ganze Zubehör aufgelistet. Und wenn Sie weitere Fragen haben, kommen Sie einfach vorbei.«

Eigentlich hatte Graber nicht besonders viel Neues erfahren und doch fuhr er beschwingt auf seinem Drahtesel zurück. In der Nähe der Endhaltestelle der Straßenbahn stieg er ab, schloss das Fahrrad an ein Straßengeländer und fuhr mit der Tram in die Stadt. Obschon er ziemlich spät in seine Kanzlei kam, saß niemand im Wartebereich. Dorthin ging immer zuerst sein Blick, noch ehe er Elfi begrüßte, die wie immer am Computer arbeitete.

»Wie war denn dein Mittagessen mit Herrn von Hübner, du hast mir noch gar nichts davon berichtet.«

Gestern Nachmittag hatte Graber es tatsächlich etwas eilig gehabt, zu einem Gerichtstermin zu kommen, den er fast vergessen hätte. So hatte er nur schnell seine Papiere und einen mit einem Gummiband zusammengehaltenen Aktenband zusammengerafft und war davongeeilt, zum Glück waren die Wege nicht weit und alles zu Fuß zu erreichen.

»Ein bisschen undurchsichtig. Von sich selbst hat er eigentlich kaum etwas erzählt.« Unter anderem habe er von Grundstücksgeschäften gesprochen, es sei aber unklar geblieben, worum es da ging. Immerhin habe er mehr beiläufig angedeutet, es gäbe auch einiges, bei dem er nicht so in Erscheinung treten wolle und das er mir vielleicht überlassen wolle. Aber darüber müsse man dann genauer reden, wenn es so weit wäre. »Er gab sich ganz als der wohlwollende ältere Kollege. Und da habe ich dann auch nicht weiter gefragt. Drängeln nützt da nicht.«

So erfreulich diese Aussichten für das Büro sein konnten, war Elfi doch auf ganz anderes neugierig, aber sie wartete geduldig seinen Bericht ab, der allerdings wenig konkret war. Diskret habe Hübner mit seiner Kreditkarte bezahlt, ohne ihn förmlich einzuladen, er sei ihm einfach zuvorgekommen. Von den übrigen Gästen habe er keine Notiz genommen, obschon er sicher von einigen erkannt worden sei, er sei ja auch eine auffällige Erscheinung, sehr weltgewandt. Den teuersten Rotwein habe er ausgesucht und gemurmelt: »Höchst erfreulich, den sollten Sie unbedingt auch probieren.« Und dann habe er noch etwas von einem neuen Nachbarn angedeutet, mit dem es hoffentlich keinen Ärger gebe.

»Ach ja? Mit wem denn?«

»Irgendjemand, der sich nebenan eine große Villa gekauft hat, irgend so ein Modeheini.«

»Etwa Legrand?«

»Heißt er so?«

»Tu doch nicht so, als hättest du den Namen noch nie gehört. Natürlich Legrand. Der kommt aus Hamburg. Und nächstens gibt er eine große Einweihungsparty, ich weiß es von Monique. Und weißt du was? Sie nimmt mich dorthin mit. Gerade gestern haben wir davon gesprochen. Sie hat so geschwärmt davon, dass sie mich richtig neugierig gemacht hat. Und was hat Hübner mit Legrand? Oder besser: gegen ihn?«

»Keine Ahnung. Es war wieder nur so eine Andeutung. Jemanden wie Hübner kann man nicht einfach so ausfragen. Da würde er vermutlich nur die Augenbraue etwas anheben und mich anlachen. Und anschließend wäre ich das Mandat los. Das ist ein Mensch mit sehr viel Diskretion. Hübner ist einer von der Sorte, die sich nie groß aufregen, aber mit zweifelsfreier Bestimmtheit ihre Interessen durchsetzen, ganz ohne Lamento, aber immer effektiv. Als Gegner würde ich ihn nicht gerne haben.«

956,63 ₽
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Дата выхода на Литрес:
26 мая 2021
Объем:
433 стр. 6 иллюстраций
ISBN:
9783839241462
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