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Читать книгу: «Der Mann im Mond», страница 2

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Der Fremde

Unterdessen hatten sich mehrere Herren an Berner gewendet, um zu erfahren, wer der Fremde sei; allen war es aufgefallen, wie er schon seit einer Stunde sich nicht vom Platz bewegte und an seine Säule gelehnt, so wenig Interesse an dem glänzenden Ball zu nehmen schien. Der Hofrat ging zu ihm hin und kehrte bald zurück; »Wer ist es, wie heißt er«, fragten zehn, zwanzig zumal, »was hat er gesprochen?«

»Nichts hat er gesprochen«, antwortete Berner, »sondern mir nur diese Karte gegeben.«

Die Karte ging jetzt von Hand zu Hand, es war aber nichts darauf zu sehen, als ein schön gestochenes Wappen und der Name Emil, Comte de Martiniz. »Ein Graf also?« Die Neugierde war nur halb gestillt, die Freilinger, denen die Erscheinung eines fremden Grafen auf ihren Bällen etwas Seltenes sein mochte, gingen kopfschüttelnd umher; sie hätten gar zu gerne gewußt, woher er komme, wohin er gehe, warum er nicht tanze? Man betrachtete das fremde Wundertier von allen Seiten; doch der Hofrat, der so viel Takt hatte, daß er in des Fremden Seele fühlte, wie peinlich eine so kleinliche Neugierde sein müsse, gab das Zeichen und die Galoppade, von zwanzig Trompeten vorgetragen, rauschte durch den Saal hin und rief zum Tanze.

Walzer um Walzer waren getanzt, noch immer stand die fremde, gebietende Gestalt unbeweglich an die Säule gelehnt. Es war, als hätte er sich nur in Schwarz und Weiß geteilt und kenne keine andere Farbe. Sein Haar, sein Auge war so dunkel als das feine, glänzende Tuch seines Kleides, das blendend bleiche Gesicht, wunderschöne Wäsche, welche durch ihre Weiße, durch ihre zierlichen Fältchen den Freilinger Damen schon von weitem Bewunderung einflößte, kontrastierte sonderbar mit jener dunklen Farbe; nur die feinen Lippen schmückte ein gesundes, freundliches Rot. Er schien ganz ohne Teilnahme in das bunte Gewühl hineinzustarren, aber dennoch begegnete nicht leicht einer diesem scharfen Blick, ohne das eigene Auge überrascht vor diesem furchtbaren Ernst, dieser sprühenden Glut niederzuschlagen.

Wie es aber zu gehen pflegt; die Damen fingen nachgerade an, nicht viel von dem Fremden zu halten, weil er nicht tanzte, die jungen Herren machten sich über ihn lustig und beide Teile hatten so viel an der neuen Erscheinung der wunderlieblichen Ida zu schauen, zu bekritteln, zu bewundern, daß man bald nicht mehr an jenen dachte. Nur Idas Blicke streiften öfter nach jener Säule hinüber; ein Blick zu ihm schien sie für das Geschwätz der Freilinger Stutzer, die ihr heute unendlich fade vorkamen, zu entschädigen. Doch betrachtete sie ihn immer nur von der Seite, denn wenn Auge auf Auge traf, so trieb es ihr unwiderstehlich die Glut ins Gesicht, und sie war froh, daß die Musik so laut war, denn sie meinte in solchen Momenten, man müsse ihr siedendes, glühendes Blut an ihr Herzchen pochen hören. Waren es die Tränen, die sie gestern in diesen dunklen Wimpern sah, war es der wehmütige Ernst auf seinem Gesicht, was sie so rührte, hatte der Hofrat recht mit den Häkchen, die in gewissen Augen sitzen und hatte sie zu tiefe Beobachtung angestellt und war geangelt worden und gef– nein! lächelte sie schelmisch vor sich hin, gefangen? da hat es keine Not; es ist ja nur das natürliche Mitleiden, was mich immer nach ihm hinsehen heißt!

Eilf Uhr war vorüber, es sollte noch eine Ekossaise vor dem Souper getanzt werden. Stürmisch drängten sich die Herren um das Wunderkind; aber Trotzköpfchen Ida blieb fest dabei, diesmal auszusetzen und ließ die Herren ablaufen. Der Hofrat setzte sich zu ihr und unwillkürlich waren sie wieder mitten im Gespräch über den Fremden.

»Ach, sehen Sie nur«, sagte Ida mit der himmlischen Gutmütigkeit ihres Engelköpfchens, »sehen Sie nur, ich meine, er wird zusehends immer blässer, wenn er nur nicht krank wird.« Der Hofrat fand ihre Bemerkung richtig, er zeigte ihr aber, wie dieser feste, heldenmäßige Körper nicht so leicht von einem kranken Unfall gestört werden könne; aber Ida wurde immer unruhiger, sie sah, wie Martiniz die Lippen zusammenpresse, als wolle er einen Schmerz verbeißen; der Ernst in seinem Gesicht wurde nach und nach zur Trauer, das Wehmütige, der tränenschwere Trübsinn in seinem Auge wurde immer unverkennbarer.

»O Gott, sehen Sie ihn nur an, guter Berner, ist mir doch, als sollte ich zu ihm gehen und fragen, ›was fehlt dir, daß du nicht fröhlich bist mit den Fröhlichen, wie gern wollte ich alles tun, dir zu helfen –‹«

Der Mensch denkt's, Gott lenkt's!!!

Auch der Hofrat wurde jetzt unruhig, denn mit einem Ruck hatte sich der bleiche Fremde aufgerafft, und stand nun in seiner ganzen Größe, in gebietender und doch graziöser Haltung da, aber sein Auge heftete sich furchtbar starrend nach der Saaltüre. Berner wollte eben aufstehen und zu ihm hin –

Da öffnete sich die Türe, ein alter, reichgekleideter Bedienter, derselbe, welchen Ida gestern gesehen, trat ein, ging auf den Fremden zu, und neigte sich schweigend vor ihm. Dieser riß eine Uhr heraus, warf einen Blick auf sie und einen zweiten voll Wehmut auf Ida herüber und verließ langsamen Schrittes den Saal.

Ehe noch der Hofrat seiner Nachbarin seine Vermutungen über diesen sonderbaren Abzug mitteilen konnte, war die Ekossaise zu Ende. Der Präsident kam und führte sein liebes, holdes, wunderherziges Töchterchen zur Tafel.

Die Kirche

Der alte Küster am Münster zu Freilingen saß in dieser Nacht, nach seiner Gewohnheit noch lange in seinem kleinen Stübchen; der Abendsegen war schon vor einer Stunde seiner Ehehälfte vorgelesen, er hatte sich jetzt hinter die alte Chronik gesetzt und las mit brummender Stimme halblaut vor sich hin, wie man den herrlichen, vierhundert Schuh hohen Münsterturm erbaut und wie solches viel Zeit und Geld gekostet habe. Eben wollte die Alte den weiß und blau gestreiften Umhang der zweischläfrigen Himmelbettlade auseinanderschlagen, um ihren Ehezärter zu ermahnen, sein gewohntes Lager zu suchen, als man stark an den Fensterladen des niedern Parterrestübchen pochte. »Macht auf, Meister Küster! seid so gut und macht auf!« rief eine tiefe aber bescheidene Stimme draußen. »Wird wohl ein Bote von einem Kranken sein«, näselte der Küster, »der die Sakramente noch will.« Er legte die Brille ins Chronikbuch, daß die Stelle nicht verblättere, denn er hatte von dem Kalk gelesen, den man mit Wein angemacht habe und hatte dabei unmutig an das Dünnbier gedacht, das seine Ursula ihm, einem Nachkommen dieser Weinmaurer, tagtäglich vorsetzte.

Draußen schob er die mächtigen Schlösser und Riegel der Haustüre auf, und herein trat ein kleiner ältlicher Mann, in reichbordiertem Bedientenrock. »Was soll's so spät?« fragte der Küster.

»Kamerad«, antwortete der Bediente, indem er den Küster aus dem kalten Hausgang in die wärmere Stube hineinzog, »Kamerad, wollt Ihr mir und noch jemand einen Liebesdienst erweisen?« Zugleich legte er einen blanken harten Taler auf den Tisch.

Der Küster wog den Taler in der Hand, ließ ihn wieder auf den Tisch fallen, daß es einen wohllautenden Klang gab, und sagte: »Wenn's nichts gegen Amt und Gewissen ist, warum nicht?«

»So nehmt Eure Schlüssel«, fuhr der andere fort, »und schließt die Münsterkirche auf.«

»Jetzt, in dieser Stunde?« rief der Alte mit Entsetzen; »jetzt in dieser stürmischen Nacht? geht nicht, Kamerad, so wahr ich – nein, es geht nicht, mich bringt kein Hund hinüber!«

»Beileibe«, rief die Küsterin aus dem Bette und riß den Umhang zurück, daß man das ganze Paradiesgärtlein ihres geblümten Bettes übersehen konnte, »führe uns nicht in Versuchung. Alter, laß dich nicht betören, wer weiß, was draußen lauert.«

»Hätte nicht geglaubt, daß Ihr, ein so stattlicher Mann unter dem Weiberregiment stündet«, sprach der alte Diener; »glaubt mir, es ist auch ein Gottesdienst, wenn Ihr mitgeht und bringt Euch guten Lohn.« Noch einmal wog der Küster den Taler auf der Fingerspitze und schien sich zu besinnen. »Es wird zwar gleich zwölf Uhr brummen und da ist es gar nicht geheuer drüben in der Kirche, denn ich weiß was ich weiß und habe gesehen was ich gesehen habe, aber weil Ihr sagt, es sei ein Gottesdienst, so kommt.« Indem hatte er schon die Laterne zurechtgemacht; er hing noch einen warmen Mantel um und ergriff die gewichtigen, wunderlich geformten Schlüssel.

»Ei du meine Güte! läßt er sich doch verblenden vom Mammon«, seufzte die Alte im Bette; der Küster aber trat zu ihr mit dem größten seiner Schlüssel, »Du schweigst, Ursel! der Herr da soll sehen, daß unsereiner nicht unterm Pantoffel steht«, brummte er und verließ mit dem Diener das Haus.

Die Nacht war grimmkalt, der Himmel jetzt ganz rein, nur einzelne dunkle Wölkchen tanzten im Wirbel um den Mond. Schweigend schritten die beiden durch die Nacht der Kirche zu; wenige Schritte, so standen sie am Portal des Münsters. Der Küster schrak zusammen, als dort aus dem Schatten eines Pfeilers eine hohe in einem dunkeln Mantel gehüllte Gestalt hervortrat. Es war jener Fremde, der Idas Interesse in so hohem Grade erregt hatte.

»Schließ auf, schließ auf«, sprach Martiniz, »denn es ist hohe Zeit!« Indem er sprach, fing es an zu surren und zu klappern, dumpf rollte gerade über ihnen im Turme das Uhrwerk und in tiefen, zitternden Klängen schallte die zwölfte Stunde in die Lüfte.

»Schließ auf!« schrie Martiniz, »schnell auf! dort kommt er schon um die Ecke!«

Seufzend ging die hohe Türe auf, in einem Sprung war jener in der Kirche. Der Küster schloß behutsam wieder hinter sich ab und ging dann voraus mit der Laterne; stille folgten ihm die Fremden. In wunderlichen Schatten und Figuren spielte das schwache Licht der Laterne an den hohen Säulen des Doms, nur auf wenige Schritte verbreitete es Helle, verschwebte dann in matte Dämmerung, bis es sich in der tiefen Nacht des Gewölbes verlor. Manchmal schien es, als schritten hohe Gestalten in weiten schleppenden Gewändern hinter den Säulen ihnen nach; scheu blickte Emil von Martiniz nach allen Seiten und ging dann schneller hinter dem Küster her. Dumpf schallten ihre Schritte auf dem hohlen Boden, unter welchem eine alte Gruft sich befand und ein vielfaches Echo gab diese Töne aus allen Ecken zurück.

So waren sie bis an den Altar gekommen. Martiniz setzte sich dort auf die Stufen, das Gesicht, das bei dem Schein der trübe brennenden Laterne auch viel bleicher erschien, stützte er auf die Hand, daß die glänzend rabenschwarzen Ringellocken darüber herabfielen. Der Diener winkte dem Küster, zog ihn auf eine Bank an der Seite zu sich nieder, und gab ihm durch Zeichen zu verstehen, daß er schweigen und sich ganz ruhig verhalten möchte.

Tiefe Stille herrschte mehrere Minuten in den großen dunklen Hallen, tiefe Stille draußen in der Nacht; nur vom Altar her hörte man ein leises Wispern, Martiniz schien zu beten. Bald aber erhob sich lauter die Nachtluft und wehte um die Kirche, je lauter es wurde, desto unruhiger wurde Emil; er seufzte, er blickte einigemal auf und lauschte nach der Seite hin, wo der Luftzug stärker wehte.

Näher und näher heulte der Wind, die Fenster bebten, das Licht der Laterne wehte seine Schatten her und hin, die alten verblichenen Banner, die an der Mauer hingen, rollten sich auf und bewegten ihre zerfetzten Bilder an der schwachbeleuchteten Wand.

Jetzt brauste der Sturm auf in gewaltigen Stößen; krachend stürzte ein Fenster des Chors auf die breiten Quader des Bodens, daß der Schall durch die Halle tönte und – mit fürchterlichem Lachen des Wahnsinns fuhr der am Altar auf und sprang die Stufen hinan. Gellend tönten diese hohlen Töne der Verzweiflung durch die Gewölbe: »Er kann nicht herein, er kann nicht herein zu mir«, schrie er, »darum hat er die Wolken aufgezäumt, auf dem Sturmwind reitet er um die Kirche; ça ça! Holla Antonio – wie schäumt das Purpurblut deiner Wunde! rase, tobe durch die Lüfte, du kannst doch nicht herein zu meiner Freistatt!« –

Der Sturm legte sich, ferner und ferner rollte der Wind und säuselnd zog die Nachtluft durch die Kirche; der Mond schien freundlich durch die hellen Scheiben, und mit des Sturmes Toben schien auch der Sturm in Emils Brust gewichen zu sein; »Seht ihr«, sprach er wehmütig und zeigte an die vom Mond beschienenen Fenster hinauf, »seht ihr, wie er so ernst und zürnend auf mich herabsieht! Kannst du denn nicht vergeben, Antonio?«

Leiser wurde immer seine Klage, bis er weinend am Altare niedersank. Jetzt stand der alte Diener, dem während der schrecklichen Szene die Tränen in den grauen Wimpern gehangen, von seinem Sitze auf und unterstützte seinen Herrn; er wischte ihm den kalten Schweiß von der Stirne und die Tränen aus dem gebrochenen Auge und flößte ihm aus einer kristallenen Phiole mildernde Tropfen ein.

Der Ohnmächtige richtete sich wieder auf, hüllte sich tiefer in seinen Mantel und schritt durch die Kirche.

Der alte Diener aber trat zu dem Küster; »Ich danke, Alterle«, sagte er, »du hast jetzt gesehen, daß wir nichts Unrechtes in deinem Gotteshaus gemacht haben; dafür halte aber reinen Mund; und wenn du niemand ein Sterbenswörtchen hören läßt von dem was du hier gesehen und gehört hast, so kommen wir vielleicht morgen und manche Nacht wieder, und du sollst pflichtgemäß deinen Harten haben.«

»Das kann sich unsereiner schon gefallen lassen«, antwortete der Küster im Weitergehen, »soviel merke ich, daß Euer Herr entweder nicht richtig unter dem Hute ist, oder daß er mit dem Gottseibeiuns hier Versteckens spielt. Nun hier, denke ich, soll er ihn nicht holen; kommt nur morgen nacht wieder. Was das Stillschweigen betrifft, so seid außer Sorgen, von mir erfährt es kein Mensch, vor allem meine Ursel nicht, denn ich denke, was sie nicht weiß, macht ihr nicht heiß.«

Der alte Diener lobte den Entschluß des Küsters und nahm am Portal mit einem Händedruck von ihm Abschied. »Ist doch schade um ein so junges schönes Blut«, brummte dieser vor sich hin, indem er seinem Häuschen zuschritt; »so jung und hat schon Affären mit Herrn Urian. Nun, er soll ihn immer noch ein Halbjährchen reiten; um die harten Taler kann man zur Not so guten Wein kaufen, als die Freilinger Maurermeister hatten, um den Kalk zu meinem Münster festzumachen.«

Das Souper

Es schlug ein Uhr, als der Fremde und sein Diener von dem Münster zurück über den Marktplatz gingen. An den Fenstern des erleuchteten Museums drängten sich Gestalten an Gestalten geschäftig hin und her, verworrenes Gemurmel vieler Stimmen tönte herab auf den stillen Platz, hie und da zeigten laute Ausbrüche der Fröhlichkeit mit Trompeten vermischt, daß eine Gesundheit oder ein Toast ausgebracht worden sei.

»Robert!« begann der Graf, »ich will noch einmal hinaufgehen; die süßen Töne der Flöten, die klagenden Klänge der Hörner haben etwas Beruhigendes für mich und mitten im Gewühl der fröhlichen Menge vergesse ich vielleicht auf Augenblicke, daß ich unter den Glücklichen der einzige Unglückliche bin.«

Umsonst bat der alte Robert seinen Herrn, er möchte doch seine Gesundheit bedenken und sich jetzt zur Ruhe legen; er schien es gar nicht zu hören, schweigend warf er in der Haustüre den Mantel ab, gab ihn dem Alten und eilte die Treppe hinan. Kopfschüttelnd folgte ihm der Diener; hatte er doch seit einer langen, traurigen Zeit nicht bemerkt, daß sein armer Herr Freude an rauschender Lustbarkeit hatte; es mußte etwas Eigenes sein, das ihn noch einmal da hinauf zog, denn, wenn er sich sonst auch in das fröhlichste Gewühl gestürzt hatte, so war er doch immer nach einem halben Stündchen wieder zurückgekommen. Und heute hatte er ihn sogar an die Stunde mahnen müssen; heute ging er zu einer Zeit, wo er sonst erschöpft von Kummer und Unglück dem Schlaf in die Arme geeilt war, noch einmal auf den Tanzboden. »Gott gebe, daß es zu seinem Heil ist«, schloß der treue Diener seine Betrachtungen, und wischte sich die Augen.

Der Saal war noch leer, als Emil oben eintrat, nur die Musikanten stimmten ihre Geigen, probierten ihre Hörner und ließen die Schlegel dumpf auf die Pauken fallen, um zu sondieren, ob das tiefe C recht scharf anspreche, mittendurch netzten sie auch ihre Kehlen mit manchem Viertel, denn ein ellenlanger Kotillon sollte den Ball beschließen. Löffel- und Messergeklirr, das Jauchzen der Anstoßenden tönte aus dem Speisesaal; ein schwermütiges Lächeln zog über Emils blasses Gesicht, denn er gedachte der Zeiten, wo auch er keiner fröhlichen Nacht ausgewichen war, wo auch er unter frohen, guten Menschen den Becher der Freude geleert und, wenn kein liebes Weib, doch treue Freunde geküßt hatte und mit fröhlichem Jubel in das allgemeine Millionen-Hallo und Welt-Hurra der Freude eingestimmt hatte; unter diesen Gedanken trat er in den Speisesaal. In bunten Reihen saßen die fröhlichen Gäste die lange Tafel herab; man hatte soeben die hunderterlei Sorten von Geflügel und Braten abgetragen und stellte jetzt das Dessert auf. Gewiß! man konnte nichts Schöneres sehen, als die Präzision, mit welcher die Kellner ihr Dessert auftrugen, die Bewegungen auf die Flanken und ins Zentrum gingen wie am Schnürchen, die schweren Zwölfpfünder der Torten und Kuchen, das kleinere Geschütz der französischen Bonbons und Gelees wurde mit Blitzesschnelle aufgefahren, in prachtvoller Schlachtordnung, vom Glanz der Kristallüsters bestrahlt standen die Guß-, Johannisbeeren-, Punsch-, Rosinentorten, die Apfelsinen, Ananas, Pomeranzen, die silbernen Platten mit Trauben und Melonen. Aber Hofrat Berner hatte sie auch eingeübt, und den besten Kellnerrekruten schwur er hoch und teuer in acht Tagen so weit bringen zu wollen, daß er einen bis an den Rand gefüllten Champagnerkelch auf eine spiegelglatte silberne Platte gesetzt die Treppe herauf springen könne, ohne einen Tropfen zu verschütten, was in der Geschichte des Servierens einzig in seiner Art ist. Wenn die Festins, die er zu arrangieren hatte, herannahten, hielt er auf folgende Art völlige Übungen und Manövres. Er setzte sich in den Salon, wo gespeist werden sollte, ließ eine Tafel zu dreißig bis vierzig Couverts decken, und wie den Rekruten ein fingierter Feind mit allen möglichen Bewegungen gegeben wird, so zeigte er ihnen auch Präsidenten, Justizräte, Kollegiendirektoren, Regierungsräte und Assessoren mit Weib und Tochter, Kind und Kegel und mahnte sie, bald diesem ein Stück Braten, jener diese Sauciere zu servieren, bald einem Dritten und Vierten einzuschenken und dem Fünften eine andere Sorte vorzusetzen; da sprangen und liefen die Kellner sich beinahe die Beine ab, aber probatum est – wenn der Tag des Festes herannahte, durfte er auch gewiß sein, zu siegen. Wie jener große Sieger, der nur mit feierlichem Ernst die Worte sprach, »Heute ist der Tag von Friedland«, oder »Sehet die Sonne von Austerlitz«, so bedurfte es von seinem Mund auch nur einige ermahnende tröstliche Hindeutungen auf frühere Bravouren und gelungene Affären, und er konnte darauf rechnen, daß keiner der zwanzig Kellergeister über den andern stolperte, oder ihm die Aalpastete anstieß, oder daß sie mit Sauce und Salat einander rannten, purzelten und auf dem Boden die ganze Bescherung servierten.

Mit dieser Präzision war also auch heute die Tafel serviert worden; der Nachtisch war aufgetragen, die schweren Sorten als da sind Laubenheimer, Nierensteiner, Markebrunner, Hochheimer, Volnay, feiner Nuits, Chambertin, beste Sorte von Bordeaux, Roussillon wurden weggenommen und der zungenbelebende Champagner aufgesetzt. Hatte schon der aromatische Rheinwein die Zungen gelöst und das schwärzliche Rot des Burgunders den Liliensamt der jungfräulichen Wangen und die Nasen der Herren gerötet, so war es jetzt, als die Pfropfe flogen und die Damen nicht wußten, wohin sie ihre Köpfe wenden sollten, um den schrecklichen Explosionen zu entgehen, als die Lilienkelche bis an den Rand mit milchweißem Gischt gefüllt, kredenzt wurden, wie auf einem Bazar im asiatischen Rußland, wo alle Nationen untereinander plappern und maulen, gurren und schnurren, zwitschern und näseln, plärren und jodeln, brummen und rasaunen; so schwirrte in betäubendem Gemurmel, Gesurre und Brausen in den höchsten Fisteltönen bis herab zum tiefsten, dreimalgestrichenen C der menschlichen Brust das Gespräch um die Tafel.

199,62 ₽
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320 стр.
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9783754183106
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