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Echokammern statt Selbsthilfe: Die Incel-Foren

Das größte Incel-Forum kann unter www.incels.co erreicht werden. Unter der Domain incels.me gegründet, musste es bereits zwei Mal aufgrund der dort vertretenen Inhalte den Server wechseln. Das Forum hat 11.850 Mitglieder, die insgesamt 216.673 Threads verfasst haben [Stand Augusut 2020]. Incels.co ist, mit Abstand, einer der toxischsten Orte im Internet. Die Threads schwanken zwischen nihilistischem Selbsthass, Diskussionen über die Blackpill, in denen man sich gegenseitig das eigene Weltbild bestätigt, und Frauenhass. Ich werde das Forum im Laufe des Buches genauer analysieren.

Die Regeln des Forums lauten folgendermaßen: Nicht-Incels und Frauen werden, sobald sie sich zu erkennen geben, gebannt. Es ist verboten, von romantischen oder sexuellen Erfahrungen zu berichten, selbst wenn diese vor langer Zeit gemacht wurden. Verboten sind außerdem: LGBTQ-Inhalte, das »Anbeten« attraktiver Frauen oder Männer, Hinweise darauf, dass auch kleine und unattraktive Männer Partnerinnen haben, oder die Diskussion »illegaler« Aktivitäten. Letzteres wird jedoch durch Chiffren umgangen. Ein populäres Beispiel ist es, die Buchstaben »E« und »R« in einem Wort in Versalien zu schreiben, um anzudeuten, man plane, es Elliot Rodger gleichzutun: »I think women should get to know my pERsonality« bedeutet hier nichts anderes als »Ich kokettiere damit, Frauen zu ermorden, weil sie nicht mit mir schlafen«.

Threads werden in unterschiedliche Kategorien unterteilt, beispielsweise »Lifefuel« – aufmunternde und positive Nachrichten oder Erfahrungen. Diese bewegen sich auf Ebenen wie: »Ein Incel erhält plastische Chirurgie und wird sofort als Normie wahrgenommen« über »Eine saudi-arabische Rapperin wurde aufgrund feministischer Aussagen inhaftiert« oder »Eine Schlampe jammert darüber, dass sich niemand für sie interessiert« bis hin zu »Der Corona-Virus wird uns alle umbringen«. Mehrere Postings halten andere User dazu an, sich nicht dem Suizid hinzugeben, dies wird jedoch von anderen regelmäßig als »Coping« abgetan (außerdem: es sagt einiges über eine Subkultur aus, wenn Aussagen wie »Bringt euch nicht um« in einer derart erschreckenden Regelmäßigkeit auftreten). Andere Threads nennen sich »Suicidefuel« oder »Ragefuel«: in »Suicidefuel« suhlen sie sich in ihrer Hoffnungslosigkeit und der vermeintlichen Unerreichbarkeit von Liebe und Sex, in »Ragefuel« lassen sie ihrem Hass auf Frauen, die hier regelmäßig verbal zu »Toilets« degradiert werden, freien Lauf. Andere Threads sind dafür designiert, sich als Opfer von »toxischer Weiblichkeit« zu inszenieren, die Aussagen von Frauen ins Lächerliche zu ziehen, profeministische Männer zu verhöhnen oder seiner Wut über eine nur auf das Aussehen fixierte Gesellschaft freien Lauf zu lassen. Drei Momente ziehen sich wie ein roter Faden durch das Forum: Frauenhass, Selbsthass und pathologisches Opferdenken.

Das zweitgrößte Forum mit rund 13.200 Mitgliedern trägt den Namen lookism.net und deklariert sich selbst stolz als die »Forefront of the coping movement«. Der Begriff des »Lookism«, der mir selbst ironischerweise aus der linken Szene bekannt ist, bezeichnet die Diskriminierung einer Person aufgrund ihres Aussehens. Nun ist dieser Begriff schlicht verkürzt: Die Diskriminierung aufgrund der Tatsache, nicht hegemonialen Schönheitsstandards zu entsprechen, ist kein gesellschaftlich verankerter Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismus wie beispielsweise Rassismus. »Lookismus« ist eher Ausdruck patriarchaler und kapitalistischer Verhältnisse, die Schönheitsstandards vorgeben und vermitteln, dass das Befolgen dieser Standards erstrebenswert sei. Vor allem Mädchen und Frauen leiden unter diesen Vorstellungen, da weibliche Körper wesentlich stärker sexualisiert und objektiviert werden als männliche. lookism.net ist auf Looksmaxxing ausgelegt und eher in der Redpill-Ideologie verortet. Die User haben noch nicht aufgegeben, zumindest zum Normie aufsteigen zu können, aber auch hier ist Misogynie ein dem Forum zugrundeliegendes Moment. Man spricht über Sport, plastische Chirurgie und Diäten. Auch andere Formen dessen, was hier als »Selbstoptimierung« missverstanden wird, werden diskutiert, wie beispielsweise mögliche Wege zum finanziellen Erfolg (»Moneymaxxing«) – für die meisten User scheint dieser Weg mit Bitcoins gepflastert zu sein. In einem dritten Bereich des Forums veröffentlichen User Fotos, um sich gegenseitig zu bewerten. Stellenweise werden die Bilder bearbeitet, um zu spekulieren, welches Maß an Attraktivität sich denn mit bestimmten Eingriffen erreichen ließe. Häufig aufzufinden sind Anfragen nach plastisch-chirurgischen Eingriffen und Empfehlungen, welche Eingriffe dem User zu einem attraktiveren Aussehen verhelfen können. Was gänzlich fehlt, ist die Erkenntnis, dass man Selbstliebe und -achtung nicht an das eigene Aussehen knüpfen sollte, dass man sich lieben kann, so wie man ist, und dass plastische Chirurgie kein Ausweg aus vernichtendem Selbsthass ist. Ähnlich toxisch ist die Seite looksmax.me mit ungefähr 6.400 Usern, ebenfalls ein Forum, das Toxizität und Selbstzurichtung als »Selbstoptimierung« verkaufen möchte.

Ein kleineres Forum ist die Seite incels.net mit etwas über 4.000 Usern. Es zeichnet sich, mehr als die anderen Foren, durch einen zynischen und (selbst-)ironischen Tenor und sogenanntes »Shitposting«, also bewusst provokative Postings, aus, bei denen es schwer ist zu beurteilen, inwieweit die Inhalte ernsthaft vertreten werden oder mit Incel-Klischees gespielt wird. In einem FAQ33 wird deklariert, Frauenhass würde bei einigen Mitgliedern der Szene vorkommen, sei jedoch kein Merkmal der Szene als solcher. Einige Zeilen später wird behauptet, man solle Frauen »nicht anders als ein Stück Fleisch« behandeln; alles andere sei unter der Würde der »Supreme Gentleman« – so die auf Elliot Rodger rekurrierende Selbstbezeichnung der User. Wenig überraschend ist der Tenor auch hier von Frauenhass und Selbsthass geprägt. Interessanterweise stellt incels.net ein sogenanntes »Bluepill«-Forum für Diskussionen mit Nicht-Incels zur Verfügung, doch anstatt der angekündigten »konstruktiven Kritik« werden auch dort primär misogyne Projektionen artikuliert, Sex mit Minderjährigen als legitim erklärt und das übliche Incel-Kreiswichsen betrieben. Meines Erachtens ist es irrelevant, ob Postings, die Frauenhass predigen, »Shitposting« oder genuin misogyn sind: es bedarf bereits einer Disposition zum Menschenhass, um sich überhaupt auf diesen Foren aufzuhalten und sich dort zu artikulieren. Des Weiteren würde ich die These aufstellen, dass auch ironisches Shitposting zu einer Verrohung führt: wer permanent mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit kokettiert, kann die ironische Distanz früher oder später nicht mehr aufrechterhalten und wird zunehmend desensibilisiert. Aus Ironie wird Ernst. Dies zeigt sich in einer Regel des Forums meines Erachtens recht deutlich. »Exzessiver Rassismus« ist verboten – was auch immer »nicht exzessiver Rassismus« sein mag.

Zumindest im Ansatz eine Ausnahme bildet das Forum Yourenotalone.co, das früher den Namen Incelistan.net trug und das sich als »nicht gewalttätig und gender-inklusiv« beschreibt. Auch Frauen, sogenannte »Femcels« zählen zu den Nutzer*innen, LGBTQ-Feindlichkeit wird mit einem Bann sanktioniert, »Meinungsfreiheit« und »politische Unkorrektheit« sind jedoch in Ordnung – außer User*innen artikulieren sich allzu toxisch. »Dieses Forum soll ein Ort sein, der weniger toxisch als andere Incel-Foren ist […].« Trotzdem ist es in Ordnung, Frauen wie auch Männer als Gruppe zu kritisieren. User*innen werden zur Selbstoptimierung durch soziale Kontakte, Sport, positives Denken oder besseres Essen angehalten, anstatt therapeutische Hilfe zu suchen. Laut einem Moderator haben die Mitglieder des Forums keinerlei Überschneidungen mit der Nutzerbasis von incels.co gemein; allzu misogyne Postings werden kritisiert. Dennoch äußern auch auf diesem Forum männliche User projektiv aufgeladenen Betrachtungen von Frauen, die auch hier als oberflächlich und dem Leid der Incels gegenüber als ignorant dargestellt werden. Leider ist auch auf Yourenotalone.co Selbstmitleid omnipräsent, auch wenn der Umgang der User*innen miteinander ein gutes Stück solidarischer ist als auf den anderen Boards. Es ist bezeichnend, dass das am wenigsten gefährliche Forum nur knapp über 300 User*innen hat.

Da auf Incel-Foren regelmäßig über sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder fantasiert wird oder man Massenmörder glorifiziert, sind mehrere Foren bereits gesperrt worden. Zu ihnen zählen beispielsweise die Seite Truecels.org, auf der es ein Unterforum namens Hall of Heroes gab, auf dem User den gefallenen Helden ihrer Bewegung, ihren Vorgängern und anderen ihnen ideologisch nahestehenden Gewaltverbrechern huldigen konnten, beispielsweise Elliot Rodger, Anders Breivik, Kämpfern des Islamischen Staates oder Jack the Ripper. Ein weiteres Forum, auf dem Vergewaltigung und Mord zu den üblichen Gesprächsthemen zählten, nannte sich Incelocalypse, dessen User nicht einmal verschleierten, dass sie pädosexuelle Bedürfnisse hatten, sondern offen über den Konsum von Kinderpornographie und den Missbrauch von Mädchen sprachen. Nachdem das Forum geschlossen wurde, gründete der Administrator Nathan Larson ein Forum mit dem Namen Raping Girls is Fun, auf dem er offen darüber fantasierte, erst drei Jahre alte Kinder zu Tode zu vergewaltigen, und die sogenannte »Rapepill« propagierte. Vergewaltigung, so Larson, sei ein natürlich männliches Bedürfnis, und die einzige Möglichkeit für Incels, an Sex zu kommen. Das Forum wurde im Februar 2020 geschlossen. Leider komme ich nicht umhin, mich im zweiten Teil des Buches etwas genauer mit diesem Mann zu befassen, bei dem mir schleierhaft ist, wieso er nicht den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringt.

Eine weitere wichtige Echokammer für Incels stellt das Forum Reddit dar. Reddit ist ein gigantisches Forum mit zahlreichen Unterforen, deren Inhalte von »Bilder von dicken Katzen« über »feministische Memes«, Frage- und Diskussionsforen bis hin zu Foren für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit reichen. Auch wenn Reddit inzwischen zunehmend rechte Foren schließt, schießen die Stellvertreter wie Pilze aus dem Boden.

Die bekannteste Reddit-Community für Incels war das Subreddit r/Incels, das bis zu seiner durch eine Online-Petition erwirkten Schließung im November 2017 40.000 User verzeichnen konnte. Der Inhalt bestand aus dem für die Szene üblichen Geseiere: Vergewaltigungsfantasien, Frauenhass, Selbstmitleid, verschwörungstheoretisches Opferdenken und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.34 Das Ersatzforum r/Braincels, dessen Name impliziert, dass die eigene Sexlosigkeit die Folge eines überlegenen Intellekts sei, folgte kurze Zeit nach der Schließung und konnte ca. 17.000 Abonnenten verzeichnen. Es wurde Ende September 2019 ebenfalls geschlossen. Inzwischen existieren zahlreiche kurzlebige Ersatz-Subreddits, die jedoch inzwischen glücklicherweise immer rascher vom Reddit-Team geschlossen werden.

Unter dem Subreddit r/BlackPillScience versuchen Incels, ihrer menschenverachtenden Ideologie einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben, die Ergebnisse werden auf dem Incel-Wikipedia gesammelt. 12.500 User tauschen Studien über Dating-Verhalten oder weibliche Sexualvorlieben aus. Recht häufiges Thema ist, dass Frauen mehr Likes und Nachrichten auf Dating-Plattformen wie Tinder bekommen als Männer. Dass dies daran liegt, dass mehr Männer als Frauen die Plattform nutzen und sie weniger auf langfristige Beziehungen als auf One-Night-Stands ausgelegt ist, wird ignoriert. Und jede Frau, die es mit konventionellem heterosexuellen Online-Dating versucht hat, kann bestätigen, dass das Verwenden von Dating-Apps für Frauen zu vergleichen ist mit einem Blick in einen gefüllten Kühlschrank, bei dem das meiste Essen jedoch verdorben ist. Jungs, es wird Zeit, ehrlich zu sein: Ein »Hey, wie geht’s«, gefolgt von einem ungefragten und schlecht ausgeleuchteten Penisbild, ist definitiv keine gute Art, Frauen kennenzulernen.

Zwei Subreddits stechen aus der Masse heraus: r/Trufemcels und r/Incelswithouthate.

Männliche Incels vertreten die Position, dass Frauen keine Incels sein können, da jede Frau immer und überall Zugang zu und Lust auf Sex habe. Dennoch gibt es Frauen, die sich selbst als »Femcels« bezeichnen. Sie haben den männlichen Jargon adaptiert; so wie Incels Frauen als »Femoids« titulieren, werden auf dem inzwischen nur noch für Mitglieder zugänglichen Subreddit r/Trufemcels Männer abwertend als »moids« bezeichnet. Anders als Incels sind die Userinnen jedoch nicht von einem eliminatorischen Männerhass getrieben (welch eine Überraschung), sondern fest auf der Selbsthass-Seite der Ideologie verortet. Die Userinnen vergleichen sich konstant mit anderen, vermeintlich attraktiveren Frauen, denen man Neid entgegenbringt, und sprechen über ihr Leiden an herrschenden Schönheitsvorstellungen und plastische Chirurgie als Möglichkeit des Ausstiegs. Oft wird auch hier das individuelle Glück und das Selbstwertgefühl an der Anerkennung von Vertreter*innen des begehrten Geschlechts festgemacht. Auch sie sehen sich nicht in der Lage, den eigenen Körper zu lieben, und glauben, sie hätten die »genetische Lotterie« verloren. Im Unterschied zu Incels haben Femcels jedoch stellenweise durchaus Recht in ihrer Welterklärung: nach wie vor wird Mädchen vermittelt, dass ihr Äußeres weit eher ihr Kapital ist als ihre Intelligenz oder ihre Persönlichkeit. Entgegen der herrschenden Incel-Vorstellungen wird Unattraktivität bei Frauen und Mädchen gesellschaftlich wesentlich harscher sanktioniert als bei Männern. Eine milliardenschwere Industrie basiert darauf, Frauen zu suggerieren, dass sie nie attraktiv genug sein können, und schlägt Kapital aus weiblichen Selbstzweifeln. Während in Filmen, Serien und Pornos inzwischen auch der unattraktive Loser als Love Interest fungieren kann, sind Protagonistinnen immer normschön. Zwar dürfen inzwischen auch hin und wieder dicke Frauen wie Rebel Wilson Protagonistin eines Films mit romantischem Plot sein, aber auch nur, wenn es attraktive dicke Frauen wie Wilson sind. Und auch das ist eher die Ausnahme als die Regel. Femcels kritisieren gängige Schönheitsideale und befassen sich kritisch mit der Misogynie der Incel-Community. Während der Opferstatus von Incels größtenteils imaginiert ist, haben Femcels legitime Standpunkte in ihrem Denken – leider verbleiben sie, anstatt von ihrem Leid auf eine feministische Gesellschaftskritik zu abstrahieren, oftmals beim Suhlen im Elend. Über 23.000 Frauen haben die sogenannte »Pinkpill« geschluckt.

Das Subreddit r/Incelswithouthate mit 23.100 Abonnenten behauptet von sich, eine »positive und hilfsbereite« Community bieten zu wollen. Die Gruppenregeln unterbinden es, andere für das eigene Leid verantwortlich zu machen. Tatsächlich hält sich das Artikulieren von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in Grenzen, doch auch die Incels ohne Hass sind Anhänger der Blackpill-Ideologie. Selbsthass und Opferdenken ziehen sich durch den Großteil der veröffentlichten Beiträge. Meiner Ansicht nach ist es unmöglich, die Blackpill-Weltsicht zu vertreten, ohne misogyn zu sein: das patriarchale Anspruchsdenken, man hätte ein Recht auf Sex, die Vorstellung, Frauen würden sich in ihrer Oberflächlichkeit nur zu attraktiven Männern hingezogen fühlen, und die pathologische Betrachtung weiblicher Sexualität, von der man sich verhöhnt und verfolgt fühlt, sind letztendlich im Kern frauenfeindlich35; Frauen werden nach wie vor primär als Projektionsflächen für die eigenen Neurosen, nicht jedoch als Subjekte betrachtet. Dennoch ist der Umgang miteinander ein gutes Stück freundlicher und auch wenn man dem Glauben anhängt, Frauen würden nun einmal nur attraktive Männer begehren, verfällt man immerhin nicht in Vernichtungsfantasien. Es handelt sich um junge Männer, die sich eine Partnerin wünschen und darunter leiden, keine zu haben, aber die Frauen nicht dafür bestrafen wollen. Wenn es einem der Incels without hate gelingt, eine Freundin zu finden und er darüber schreibt, zeigen sich die anderen Mitglieder begeistert, anstatt den User zu beschimpfen, wie es auf radikaleren Foren der Fall ist. Mir zumindest erschließt sich jedoch nicht, wieso man nach all den Attentaten, die von Incels verübt worden sind, und der Tatsache, dass man sich die Szene mit zehntausenden Männern teilt, die Vergewaltigung und Mord als legitime Racheakte begreifen, eine Ehrenrettung des Begriffs »Incel« anstreben möchte. Es ist, als würde man ein KKK-Chapter »without hate« gründen wollen. Die User behaupten, dass die meisten Incels Menschen wie Elliot Rodger oder Alek Minassian ablehnen, obwohl das Incels without hate-Subreddit deutlich weniger Userzahlen verzeichnet als das ursprüngliche Incel-Subreddit mit zuletzt 40.000 Mitgliedern, Braincels hatte zum Zeitpunkt seiner Schließung knapp 17.000 User. Leider ist es mitnichten so, als wären die weniger radikalen Incels in der Mehrheit. Incels mögen zwar als Selbsthilfegruppe begonnen haben, sind aber inzwischen unwiederbringlich zu einem toxischen, misogynen, kultartigen Sumpf geworden, aus dem es sich nur mit großer Anstrengung entkommen lässt.

Eine weitere Plattform, auf der sich Incels austauschen, ist der Chat-Server Discord. Foren haben in der Regel ihre eigenen Discord-Channel, des Weiteren existierten zum Zeitpunkt dieser Recherche 75 Server in unterschiedlicher Größe, die mit dem Tag »Incel« versehen sind. Der Tonfall dort ist der gleiche wie in den Foren; allerdings sind die Server um einiges regelloser und die Kommunikation verläuft, da es sich um einen Chat handelt, schneller. Da die Server klandestiner sind als Foren, scheint auch die Hemmschwelle, Gewaltfantasien und menschenverachtende Kommentare zu posten, geringer. Auf Incel-Discords huldigt man Frauenmördern wie Ted Bundy oder erfreut sich gemeinsam an Terroranschlägen, erzählt offen von dem Wunsch, Frauen zu vergewaltigen, teilt grenzwertige Hentai (ich habe einmal den Fehler gemacht, auf eines der Bilder zu klicken, und durfte mir einen pornographischen Manga ansehen, in dem eine Frau von mehreren Hengsten vergewaltigt wurde) oder berichtet stellenweise sogar davon, diese Wünsche aktiv umgesetzt und Frauen sexuelle Gewalt angetan zu haben. Sich auch nur für eine kurze Zeit auf den Servern aufzuhalten, ist wie in einem Gewitter aus frauenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Hassbotschaften zu stehen, die unaufhörlich auf die Leserin einprasseln.

Zudem existieren noch Imageboards wie 4chan oder 8kun, ihr deutscher Ableger Kohlchan und das rechte Trollforum Kiwifarms, zu deren Usern auch Incels zählen. Das Board 4chan wurde 2003 gegründet und war primär ein Board für Anime-Kultur mit einem besonderen Fokus auf »Free Speech«. »Free Speech« bedeutete in diesem Fall, das N-Wort verwenden und Bilder vergewaltigter Anime-Mädchen posten zu können, ohne dafür von Eltern, Lehrkräften oder der nervigen feministischen Mitschülerin zur Rechenschaft gezogen zu werden. 4chan bildet den Ursprungsort zahlreicher Memes und war, obwohl von Anfang an das Online-Äquivalent eines nach Sperma und ungewaschenen Socken stinkenden Pennälerzimmers mit der Aufschrift »Mädchen draußen bleiben!«, lange Zeit noch nicht die Brutstätte rechter politischer Kampagnen, die es heute ist. Maßgeblich zur Radikalisierung nach rechts beigetragen haben die misogyne Gamergate-Kampagne, eine frauenfeindliche Schmierenkampagne gegen Frauen aus der Videospiel-Branche, auf die ich im Laufe des Buches noch genauer eingehen werde, und der Wahlkampf Donald Trumps, im Zuge derer sich das Forum, vor allem das Unterforum politically incorrect, und seine User zunehmend nach rechts radikalisierten.

Die noch radikalere Variante 4chans stellt das Board 8chan dar. Der Gründer, Fredrick Brennan, hatte das Board als Reaktion auf eine zunehmende Popularisierung 4chans gegründet, um einen noch anarchischeren Tummelplatz im Internet zu schaffen. Dass sich das Board jedoch zu einem Ort entwickelte, an dem gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit noch offener vertreten wird als auf 4chan, und bald zu einer der Online-Anlaufstellen für Rechtsterroristen wurde, bereut Brennan inzwischen zutiefst. Er ist nicht mehr am Board beteiligt und geht inzwischen auch aktiv gegen den aktuellen Betreiber vor.36 Nicht nur verbreitete Brenton Tarrant, der Attentäter von Christchurch, sein Manifest und den Livestream seines Massakers an 51 Menschen muslimischen Glaubens auf 8chan, auch die Täter der Attentate von Poway (April 2019) und El Paso (August 2019) publizierten ihre Texte auf dem Imageboard, das kurz danach abgeschaltet wurde. Inzwischen ist es jedoch unter dem Namen 8kun wieder online – die Frage ist nur, wie lange noch.

Der Habitus und die Diskussionskultur der »chan-Boards« ist, wie es die Kulturwissenschaftlerin Angela Nagle beschreibt, auf »Moral Transgression« angelegt, »moralische Grenzüberschreitung«. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit jeder Art wird hier zum vermeintlich ironischen Witz, um »Normies zu triggern«, also all jene, die sich nicht in jener eigenwilligen Online-Sphäre verorten. Permanent wird mit Antisemitismus, Rassismus, LGBTQ-Feindlichkeit und Misogynie kokettiert und jegliche Kritik damit abgewehrt, dass es sich nun einmal um einen nihilistischen Witz handele. Der Ton ist von Zynismus und Abwertung geprägt, man bezeichnet sich gegenseitig gerne mal als »Fag«, das Zurschaustellen emotionaler Verwundbarkeit wird mit Hohn sanktioniert. User haben eine eigene Sprache, die aus zahlreichen Memes und Codes besteht, eine fiktive Nation namens »Kekistan« und einen auf Pepe the Frog basierenden, religionsartigen Kult entwickelt.

Das deutsche Äquivalent der Seite ist Kohlchan, das sich, wie so vieles Deutsche, durch eine besondere Abscheulichkeit auszeichnet. Die Recherche in diesen Foren ist noch befremdlicher als in den englischsprachigen, was daran liegen mag, dass die User, Neonazis die sie sind, ganz bewusst auf Anglizismen verzichten, gleichzeitig aber den Sprachduktus der internationalen Boards beibehalten, statt »Anon« nennt man sich »Bernd«. Als Header wird unter anderem ein Reichsadler verwendet, und die Postings könnten aus einem x-beliebigen Naziforum stammen. Der eine predigt antisemitische Verschwörungstheorien, der Nächste ergießt sich in rassistischen Hassfantasien, der Dritte lamentiert darüber, eine transgeschlechtliche Tochter zu haben – die Ratschläge der anderen User sind übrigens, das Kind mit aller Gewalt davon abzuhalten, ein glückliches Leben als Mädchen zu leben. Wieder andere sprechen davon, wie sie Prostituierten Gewalt angetan haben. Außerdem kam der Großteil der Aktionen und Mobbing-Kampagnen gegen den als »Drachenlord« bekannten YouTuber Rainer Winkler aus Kohlchan-Kreisen.

Weil rechtsradikales Denken und Frauenhass immer Hand in Hand gehen, werden zahlreiche Beiträge mit den Bildern nackter Frauen geschmückt, es gibt ein eigenes Forum für – oft gewalttätige – Pornographie, und in regelmäßigen Abständen greift man Frauen wie Dunja Hayali, Carola Rackete oder auch mich an.

Nichts an dem Geschriebenen wirkt empathisch oder aufrichtig, jede einzelne Silbe ist getränkt mit einer zwanghaften ironischen Distanz zur eigenen Umwelt und zu den anderen Usern. User erniedrigen andere, um sich selbst zu erhöhen, auch innerhalb der Forum-Strukturen. Die User schreiben von sich selbst in der dritten Person (»Dieser Bernd hört gerne Videospielmusik«), was auf eine Distanzierung von sich selbst hindeuten könnte. Wie bei allen chan-Boards ist unklar, was Getrolle ist und was ernst gemeint – mit diesem Habitus der Ironie bringt man sich auch selbst in Sicherheit; man will niemanden wirklich ins Gas stecken, es ist ja alles nur ein Witz. Hab’ dich nicht so, du Normie. Es ist unmöglich, Gefühle zu artikulieren, ohne dafür als »cringy« verlacht zu werden. Der Begriff »cringe« beschreibt im Bezug auf die chan-Szene, wie es die YouTuberin und Wissenschaftlerin Natalie Wynn auf ihrem Kanal »Contrapoints« analysiert, eine Mischung aus Fremdscham und unangenehmer Selbsterkenntnis. Man würde sich, so Wynn, in dem verhöhnten Objekt selbst erkennen, welches anschließend in einem Akt pathisch-projektiver Verfolgung abgestraft werden muss. Diese fast schon gewalttätige Abspaltung von Gefühlen ist etwas, was für eine Täterwerdung unerlässlich ist; diesen Sachverhalt werde ich in einem späteren Kapitel noch wesentlich genauer ausführen.

Im deutschsprachigen Raum gibt es zudem das Forum Absolute Beginner, bei dem es sich allerdings nicht um ein Incel-Forum handelt, sondern um eine auf Austausch angelegte Seite für Personen, die Probleme damit haben, eine Beziehung zu führen. Der Umgang ist freundlich, man gibt sich gegenseitig Tipps in Sachen Dating, Beziehungen und Gefühlsdingen, und das Forum ist für alle Menschen offen, unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung.

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