Читать книгу: «Die Heilkraft der Liebe in der modernen Medizin»
Das Buch
Die Biografie von Dr. Vernon M. Sylvest klingt zu Beginn wie ein Ärzteroman: Sylvest ist ein angesehener Mediziner, attraktiv, beliebt, wohlhabend, er hat eine schöne Frau und drei Töchter ... In Wirklichkeit ist er mit seinem Leben todunglücklich, schlimmer noch: Er wird krank und erleidet einen totalen Zusammenbruch.
Sylvest reist von Heiler zu Heiler, er betet um seine Heilung – und wird wieder gesund. Tief erschüttert und dankbar, erwacht sein medizinischer Forschergeist: Er will wissen, wie solche „Wunderheilung“ möglich war. Bald entdeckt er seine „Formel des Heilens“, die er an sich und an anderen ausprobiert – sie funktioniert.
Dr. Sylvest enthüllt uns das „Geheimnis“ des Geistigen Heilens ausführlich und detailliert und zeigt uns, wie wir es nutzen können.
Der Autor
Dr. Vernon Sylvest, Vater von drei Kindern, arbeitete als Internist und Pathologe. Bis zu seiner Heilung von einer als unheilbar geltenden Krankheit und der Entdeckung des Geistigen Heilens als inneren Lebensweg war er oft unglücklich darüber, dass er mit all seinem Wissen vielen Patienten nicht helfen konnte. Nach 36 Jahren klinischer Tätigkeit kehrte er der Schulmedizin den Rücken und gründete das Meditations- und Gesundheitszentrum Healing Waters Lodge in Virginia, USA, das er bis heute leitet.
Vernon M. Sylvest
Die Heilkraft der Liebe
in der modernen Medizin
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Gudrun Brug
Inhaltsverzeichnis
Umschlag
Das Buch / Der Autor
Titel
Inhaltsverzeichnis
Danksagung
Einführung
Kapitel 1 Auf der Suche
Kapitel 2 Selbstfindung
Kapitel 3 Das Leben und seine Herausforderungen
Kapitel 4 Das Wunder
Kapitel 5 Die Macht des Geistes
Kapitel 6 ... und wie zu dem werden, der ich sein will
Kapitel 7 Die Macht des Gebets
Kapitel 8 Die emotionale Energie
Kapitel 9 Hassbeziehungen
Kapitel 10 Liebesbeziehungen
Kapitel 11 Fassaden und Muster
Kapitel 12 Die kulturelle Schuld
Kapitel 13 Die Kraft der Vergebung
Kapitel 14 Der Körper als Symbol für das eigene Bewusstsein
Kapitel 15 Molekulare „Wirklichkeit“ und die Heilkraft der Liebe
Kapitel 16 Der Weg zur Wunsch-Wirklichkeit
Anhang: Inspirierende Schriften
Literatur
Fußnoten
Impressum
Danksagung
Viele Lehrer haben an diesem Buch mitgewirkt. Dazu gehören alle Menschen, die in meinem Leben unmittelbar oder mittelbar eine Rolle spielten. Die Liste ist so lang, dass ich die Namen hier nicht aufzählen kann. Einige habe ich persönlich gekannt, andere kenne ich durch ihr Werk. Sie alle sind wichtig, doch, wenn ich an die Geschichte hinter der Entstehung dieses Buches denke, erhalten einige einen besonderen Stellenwert. Dies gilt für Helen Schucman und William Thetford, deren Bereitschaft (zusammen mit anderen) „Ein Kurs in Wundern“ (ACIM)17 hervorbrachte, der einen ungeheuren Einfluss auf mein Leben hatte; Levi Dowling, dessen Engagement und Inspiration uns die eindeutige Botschaft von „Das Wassermann-Evangelium“ (Ap.G.)23 brachte; Starr Daily, der einmal Al Capones wichtigster Anhänger war, aber bereit war, eine Offenbarung zu erfahren, durch die er zu Heilung und Lernen fand. Dailys Buch „Release“18 bedeutete mir besonders viel. Auch Dr. George Ritchie, der in seinem Buch „Return from Tomorrow“94 - und auch für mich persönlich - die Botschaft seiner Nahtoderfahrung zugänglich machte, gehört zu diesen Menschen. Die Verbindung mit dem Psychiater Dr. Ritchie regte Raymond Moody zu seinen bahnbrechenden Nahtodstudien an, die in „Reflections on Life After Death“65 veröffentlicht wurden. Ich danke Margaret Kean, die durch eine Nahtod-Offenbarung dazu bewegt wurde, als Heilerin tätig zu sein und die einen großen Einfluss auf mein Leben hatte, und Nancy Clark, die durch eine Offenbarung dazu geführt wurde, zu heilen und andere liebevoll zu unterstützen. Die beiden bestätigten viel von dem, was ich durch eigene Erfahrungen gelernt hatte.
Dank auch den vielen Männern und Frauen der Wissenschaft, deren Werk unsere Kultur an einen Punkt gebracht hat, an dem es nun möglich ist, spirituelle Lehren und wissenschaftliche Information mit dem Ziel einzusetzen, unser wahres Wesen besser zu verstehen; und den Studenten und Lehrern der modernen Psychologie, die die unsichtbare Dynamik des Bewusstseins enthüllt haben, damit wir die Blockierungen unserer Erfahrung und unseres wahren Wesens besser verstehen lernen.
Mein aufrichtiger Dank geht an meine Eltern, Vera und Edwin. Ihr Engagement und ihre Beharrlichkeit, die den Grundstein für mich gelegt haben, entsprang ihrer eigenen Erfahrung der Liebe und den Lehren der Bibel, die sie mir als tägliche Nahrung verabreichten - und manchmal mit Gewalt eintrichterten. Mein Dank an die etablierten christlichen Kirchen, die die Geschichte Jesu und seine Lehren durch die Jahrhunderte hindurch bewahrt haben. Auch wenn diese Lehren nicht ganz verstanden und nicht eindeutig überliefert sind, waren sie mir der Halt, der mich vor dem Untergang bewahrte, und das Sprungbrett zu meinem Erfolg.
Mein Dank geht an die zahlreichen Mitglieder meiner Familie - Großeltern, Tanten, Onkel, Cousins, Cousinen und Bruder. Sie haben eine Spur der Liebe in meinem Leben hinterlassen, die ich nie vergessen werde. Besonderer Dank gilt meinem Bruder Ed, der mir in der Kindheit ein so großartiges Vorbild war. In der sechsten Klasse wurde ich einmal vom Schulleiter wegen meines jähzornigen Verhaltens ermahnt und gefragt: „Warum kannst du nicht so nett sein wie dein Bruder?“ Aus irgendeinem Grund - wahrscheinlich, weil ich so viel Ärger am Hals hatte (in den Tagen der Prügelstrafe war der Besuch beim Schulleiter keine Lappalie), beschloss ich, es zu versuchen. Ich tat gut daran.
Von ganzem Herzen danke ich meinen Töchtern Tara, Rebecca und Vivian, die selbst dann noch zu mir standen, als meine tiefe Verzweiflung auch auf ihr eigenes Leben übergriff. Ich danke meiner früheren Frau, die unsere Töchter geboren hat und deren Aufrichtigkeit und Streben nach Wahrheit Vergebung und klare freundschaftliche Verhältnisse möglich gemacht haben. Ich danke Sharon für die Rolle, die sie in unserem Leben spielt und die mich geprägt hat.
Ich danke von ganzem Herzen meiner Frau Anne, die mich an der Ganzheit, die sie ist, Anteil nehmen lässt. Wir haben zusammen gelernt, dass es Paaren möglich ist, glückliche, dauerhafte Beziehungen zu pflegen. Ich danke ihr für die Unterstützung bei dieser Arbeit und ihrer Familie, die nun auch Teil meiner Familie ist und die mich liebevoll aufgenommen hat.
Meine tiefe Dankbarkeit gilt dem Vater-Tochter-Team George Cruger (Lektorat) und Laura Cruger Fox (Text Design und Produktionskoordinierung), Rodney Charles (Herausgeber) und allen anderen Mitarbeitern von Sunstar sowie Elizabeth Pasco (Text Design), deren Arbeit und Unterstützung dazu beitrugen, dass dieses Buch zustande kam.
Einführung
Vor zehn Jahren erklärte ich einer Nachbarin ein klein wenig von dem, was ich in den zwei vorangegangenen Jahren gelernt hatte. Sie sah mich neugierig an und fragte: „Vernon, schreibst du ein Buch?“ In dem Moment wusste ich, dass ich eins schreiben würde. Allerdings hatte ich keine Ahnung, dass es zehn Jahre dauern würde - nicht das Schreiben selbst, aber der ganze Entstehungsprozess. Dieses Buch enthält einen Teil meiner Erfahrungen, die mich in die Krankheit führten, und die Lernerfahrungen, die mir zur Genesung verhalfen. Da mir mein Lernen Heilung und Freude brachte, hoffe ich, dass dieses Buch auch Heilung und Freude in Ihr Leben und in das Leben der Menschen bringen kann, mit denen Sie in Berührung kommen.
Obwohl mich mein Weg aus dem völligen physischen und psychischen Zusammenbruch zu Gesundheit, Erfolg und Glück führte, will ich nicht unterstellen, dass mein Schmerz größer war als der Ihre. Der eigene Schmerz ist immer der größte. Ich werde meine persönliche Hölle hier nicht in allen Einzelheiten schildern, aber ich habe alle Abgründe emotionalen und physischen Schmerzes kennen gelernt. Ich bin so tief hinabgestiegen, wie es für einen Überlebenden nur möglich ist. Ich hatte meine Reise nicht bewusst gewählt, aber da ich bereit war zu lernen, lernte ich auch, den Schmerz anderer zu verstehen. Ich gewann die Weisheit, anderen dabei zu helfen, den Schmerz hinter sich zu lassen. Als ich litt, sagte man mir, dass die Zukunft gut wird. Ich glaubte nicht daran und fand deshalb keinen großen Trost darin. Doch aus irgendeinem Grund, den ich hier nicht analysieren werde, gab ich nicht auf. Jetzt bin ich in dieser Zukunft, und sie ist gut. Wunder geschehen und warten darauf, auch in Ihrem Leben geschehen zu können. Dieses Buch wird Ihnen helfen, für Wunder bereit zu sein.
Auch die heute verfügbare wissenschaftliche Information, zu der ich geführt wurde, trug zu meiner Bereitschaft bei. Sie öffnete mir die Tür zum Verstehen und zu einer neuen Ebene wissenschaftlicher Erfahrung und war mir bei meinen Bemühungen, anderen zu helfen, von größtem Nutzen. Im Westen haben wir die Wissenschaft auf ein Podest gestellt und ihr die Führungsrolle zugewiesen. Wir lassen gesellschaftliche und wirtschaftliche Zwänge entscheiden, wer die rechtmäßigen Wissenschaftler sind. Doch in der Erfahrung des menschlichen Geistes sind nun die wahren Pioniere auf den Plan getreten. Wenn Sie bereit und willens sind, steht Ihnen diese Hilfe zur Verfügung - so wie dieses Buch jetzt in Ihren Händen ist.
Es ist jetzt möglich, alles zu wissen, was Sie für ein gesundes, glückliches Leben wissen müssen. Es ist jetzt möglich, als ganzer, voll integrierter Mensch zu leben. Sie können sich jetzt von den Fesseln des Unwissens befreien und wissen, wer Sie sind.
Kapitel 1
Auf der Suche
Die Geschichte der Menschheit ist von Krankheit, Krieg und Leid geprägt. Welches sind die Gründe für diese negativen Erfahrungen? Liegt es in unserem Wesen, dass wir ständig durch Schmerz und Leid bedroht werden? Und worin besteht unser Wesen?
Um diese Frage zu beantworten, werden Unmengen von Geld, Zeit und Mühe aufgewendet. Wir geben Milliarden für die wissenschaftliche Forschung in Chemie, Physik und Biologie aus; Gesellschaftswissenschaftler unterschiedlichster Couleur sind auf der Suche nach der Wahrheit, und das gleiche gilt für die Psychologen. Theologen suchen ein Leben lang nach Antworten auf diese Frage. Etwas treibt uns an, und dieses Etwas ist das Gefühl, dass wir entdecken müssen, wer wir sind, wenn wir unsere Lebensbedingungen verbessern und glücklicher werden wollen. Dieses intuitive Gefühl ist in uns allen vorhanden. Schon in jungen Jahren dachte ich, ich hätte den Schlüssel zum Glück in der Hand, sobald ich nur wüsste, wer ich bin. Im Alter von drei Jahren war mir klar, dass ich nicht immer glücklich war, und im Lauf der Jahre wurde mir immer klarer, dass ich unglücklich war. Je größer mein Unglück zu werden schien, desto dringender wollte ich herausfinden, wer ich war.
Da ich davon ausging, dass ich ein physischer Körper bin, entwickelte ich ein lebhaftes Interesse an Biologie. Das Fach reizte meine Neugier, und ich erhoffte mir Erkenntnisse von ihm. Also beschäftigte ich mich am Gymnasium und am College mit Biologie. Dann entschied ich mich für ein Medizinstudium, damit ich mich eingehend mit der Biologie des Menschen befassen konnte. Ich hoffte, auf diese Weise mein Selbst zu entdecken, denn ich war ja ein gesunder Körper und manchmal auch ein kranker Körper. Durch die Sektion des menschlichen Körpers, seine Untersuchung unter dem Mikroskop, seine chemische Analyse und durch das Studium seiner Physiologie und Pathologie glaubte ich mich auch selbst am besten studieren zu können.
Meine Suche war jedoch nicht auf das Studiums des Körpers beschränkt. Ich war mir durchaus bewusst, dass ich auch einen Geist habe, und so studierte ich auch diesen. Schon als Schüler der Mittelstufe versuchte ich, meine Neugier zu stillen, indem ich die Psychologiebücher meines Vaters las. Aber das half mir nicht weiter. Die Bücher befassten sich ausschließlich mit den Anomalien der Psyche, und schließlich zog ich meine eigene Normalität in Zweifel und glaubte mich in einigen der geschilderten Neurosen wiederzuerkennen.
Außerdem studierte ich auch Theologie. Mein Vater war promovierter Theologe, und ich fand in ihm einen bereitwilligen Tutor. Es entging mir jedoch nicht, dass er in seiner stoischen Art nicht glücklich war. Auch am College belegte ich Theologiekurse, doch jede Antwort führte unweigerlich zu einer neuen Frage, bis mir schließlich nur noch Gottvertrauen weitergeholfen hätte. Doch das besaß ich nicht. Und viele meiner Kollegen, die es angeblich besaßen, kamen mir keineswegs glücklich vor.
Ich fand ein paar Leute, die durch persönliche Erfahrungen und unabhängig von einem Studium glücklicher als die meisten anderen geworden waren. Das erregte meine Aufmerksamkeit, und ich suchte die Nähe solcher Menschen. Ich hörte mir an, was sie zu sagen hatten, empfand es aber nicht als unmittelbare Offenbarung. Immerhin speicherte ich diese Information für spätere Zeiten.
Als Medizinstudent hatte ich auch Gelegenheit zu psychiatrischen Studien, die sich meist an Freud orientierten, mich aber nur noch mehr durcheinanderbrachten. Damals kam es mir in meiner beschränkten Sicht vor, als fühlten sich die Psychiater nur deshalb von der Psychiatrie angezogen, weil sie besonders verwirrt waren und herausfinden wollten, was mit ihnen selbst nicht in Ordnung war. Im Grunde suchten sie gerade so wie ich nach der Erkenntnis, wer wir sind.
Ich erinnere mich an eine schwer depressive Patientin in der Poliklinik. Die Schilderung ihrer Lebensumstände - ihr Mann hatte sie verlassen, ihre Kinder hatten sie im Stich gelassen, sie war mutterseelenallein, ohne Familie und Freunde - deprimierten mich selbst. Mir war klar, dass ich ihr nichts zu geben hatte außer einem Rezept für Antidepressiva, die sicherlich nicht viel mehr bewirken konnten, als den Schmerz zu betäuben. Doch obwohl ich nach dieser Begegnung recht niedergeschlagen war, verschrieb ich mir selbst kein Antidepressivum. Ich lenkte mich mit anderen Aktivitäten ab, um die Frau und die Gedanken an mein eigenes Leben zu vergessen, die sie in mir wachgerufen hatte.
Ich gab das Studium des Geistes auf und verlegte mich ausschließlich auf die Molekularmedizin. Ich hatte vorgehabt, Internist zu werden, da sich dieses Fachgebiet mit der „Wirklichkeit“ (dem physischen Körper) beschäftigt und die Erfahrungen des erwachsenen Körpers in den meisten Aspekten erfasst. Dadurch erhoffte ich mir, die Entschlüsselung meines Wesens weiter vorantreiben zu können.
Aber dieses Unternehmen ließ sich nicht besonders gut an. Wenn meine Erkenntnisse tatsächlich aussagekräftig sein sollten, dann befriedigten sie mich nicht sonderlich. Fast meine ganze Ausbildungszeit verbrachte ich auf der Intensivstation, wo hauptsächlich Schwerkranke lagen. Die meisten Patienten, die zum Internisten kamen, hatten chronische, stetig fortschreitende Krankheiten. Bei 80 Prozent der Patienten schien sich der Zustand kontinuierlich zu verschlechtern. Ich konnte die Verschlechterung lediglich hinauszögern und den Menschen das Leben vor ihrem unvermeidlichen Tod etwas erträglicher machen. Manchen schien die Therapie jedoch sogar zu schaden. Studium und Praxis der inneren Medizin standen für mich ganz unter dem Zeichen der Vergeblichkeit und deprimierten mich.
Frustriert suchte ich nach einem anderen Fachgebiet. Während meines Studiums war die Pathologie mein Lieblingsfach gewesen. Pathologie bedeutet wörtlich Lehre von den Krankheiten und ist die Wissenschaft der Medizin. Sie berührt sämtliche Spezialgebiete und ist die Basis für das Verständnis ihrer Praktiken. Somit schien mir die Pathologie die ultimative Herangehensweise zum Verständnis meiner selbst zu bieten, denn sie befasst sich ja höchst unmittelbar mit der anatomischen und molekularen Struktur und Funktion des Körpers. Außerdem bleiben ihr einige der in der inneren Medizin unvermeidlichen Enttäuschungen erspart. Der Pathologe ist immer erfolgreich. Er kann die Krankheit oder den anatomischen Befund benennen und somit eine Diagnose stellen. Wenn es kein Heilmittel für die diagnostizierte Krankheit gibt, muss der Internist damit zurechtkommen.
Die Praxis der Pathologie führte mich aber auch nicht zum ersehnten Ziel. Ich sezierte viele Herzen - und fand kein Gefühl. Ich sezierte und studierte viele Gehirne - und fand keinen Gedanken. Ich brachte einiges über Krankheiten und tote Körper in Erfahrung, aber meine Erkenntnisse waren im besten Fall entmutigend. Die schlimmsten Erfahrungen kamen nicht von den toten Körpern, sondern von den sterbenden. Im Krankenhaus sah ich leidende Menschen mit runzeligen Körpern und kaum bzw. gar nicht mehr funktionierenden Gehirnen. Mir war klar, dass auch sie einmal in ihren „besten Jahren“ gewesen waren - so wie ich es damals hätte sein sollen. Nun waren sie am Ende, und sie litten. Warum? Was für einen Sinn hatte das alles? Das Leben schien mir eine Art grausamer Posse zu sein.
Der Versuch, mich selbst zu entdecken, zeigte keine glücklichen Ergebnisse. Er deprimierte mich nur.
Kapitel 2
Selbstfindung
Während ich noch nicht wusste, wer ich war, beschäftigte ich mich auch damit, mich selbst zu erschaffen. Es genügte mir nicht, einfach nur zu sein. Ich wusste, ich war Vernon Sylvest, der Sohn von Vera und Edwin Sylvest, ein menschliches Wesen männlichen Geschlechts. Aber das war nicht genug. Ich brauchte andere Maßstäbe, mit deren Hilfe ich mich definieren konnte. Ich suchte nach der Definition eines wertvollen, wichtigen und geachteten Selbst, denn im Geheimen glaubte ich nicht daran, wertvoll und achtenswert zu sein. Dies war mit Schuldgefühlen verbunden und diese wiederum mit Ängsten, also keineswegs mit Glücksgefühlen. Wenn ich so werden könnte, dass mich die anderen akzeptierten, würde ich mich dadurch als würdig erweisen. Dann wäre ich endlich glücklich - glaubte ich.
Wenn wir nicht wissen, wer wir sind, werden wir immer auf die eine oder andere Weise versuchen, uns selbst zu definieren oder zu erschaffen. Nachdem ich einen beträchtlichen Teil meines Erwachsenenlebens damit zugebracht habe, mich zu erschaffen, kann ich jetzt sagen, dass dies unmöglich ist. Wir werden damit immer scheitern und enttäuscht werden. Wir können uns nicht erschaffen, weil wir schon erschaffen sind. Doch wir versuchen es, und der Markt profitiert davon. Viele kommerzielle Unternehmungen, die Milliarden von Dollars kosten, kämen sonst nie zustande. Für die Erschaffung des Selbst wird viel mehr Geld ausgegeben als für die Entdeckung des Selbst.
Wir versuchen, uns nach den Maßstäben derer zu erschaffen, die wir achten gelernt haben oder in deren Abhängigkeit wir durch unsere Erziehung geraten sind. Was uns als gut und lohnend erscheint, wird am unmittelbarsten von unserer Familie und unserem Freundeskreis und im weiteren Sinne von unserer Kultur im Allgemeinen bestimmt. Wir lernen, dass wir „jemand“ sind, wenn wir uns auf eine bestimmte Weise verhalten.
Mein Vater war hochgebildet. Er war Doktor der Theologie und Magister der Psychologie, und meine Eltern sprachen oft von seinen Leistungen und vom Wert der Bildung. Über alle, die keine Bildung besaßen, sprachen sie eher herablassend. Es stand von Anfang an fest, dass ich am College und dann noch weiter studieren musste. Ich machte meinen Collegeabschluss mit sämtlichen Auszeichnungen. Dann studierte ich Medizin und schloss auch dieses Studium mit allen Auszeichnungen ab, die man nur erwerben kann. Nach der Promotion ging es weiter mit der Spezialisierung zum Pathologen. Doch richtig glücklich wurde ich dabei nicht. Es gab immer noch etwas, was ich erreichen musste, damit mich meine Selbstzweifel nicht einholten. Ich hatte Schuldgefühle, auch wenn ich oft nur Langeweile empfand. Langeweile ist im Grunde eine subtile Form der Depression, der erste Hinweis auf mangelnde Lebensfreude und damit auf verdrängte Schuldgefühle.
Mein Vater war methodistischer Geistlicher, und ich war bestens vertraut mit den moralischen Prinzipien eines tugendhaften Lebens. Der Wert eines Menschen bestimmte sich nach dessen moralischer Korrektheit. Deshalb führte ich ein diszipliniertes, streng moralisches Leben. Ein Buch über meine Jugend und mein Leben als junger Erwachsener wäre sicherlich nicht besonders aufregend, doch in meiner Phantasie gab es genug Stoff für einen weniger harmlosen Roman.
Das Wichtigste war die Bestätigung durch andere. Wenn es Leute gab, die mit mir befreundet sein wollten, konnte man davon ausgehen, dass ich irgendwie „in Ordnung“ war. Also war es wichtig, ein gesellschaftliches aktives Leben zu führen. Am allerwichtigsten war es, eine Frau zu haben - einen Menschen, der mich mehr als alle anderen liebte. Sie musste mich so sehr lieben, dass sie mir den Rest ihres Lebens anvertraute und Kinder mit mir haben wollte. Dieses Ziel hatte ich mir schon früh gesetzt. Da ich mir meines eigenen Werts nicht sicher war, ging ich im zweiten Collegejahr - ich war damals in einer Verbindung - mit einer Studentin aus dem ersten Studienjahr aus, die so begabt war, dass sie die letzte Klasse in der Highschool überspringen konnte und schon als 16-jährige ins College kam. Damit war mir doppelt gedient: Eine kluge Freundin würde meinen Wert bestätigen, und da sie so jung war, konnte ich ihr noch imponieren. Nach meinem dritten Collegejahr willigte sie in die Heirat ein.
Nachdem ich nun eine Frau hatte, die sich mir anvertraut hatte, brauchte ich Kinder, die mich abgöttisch lieben sollten. Eine derartige Bestätigung musste sicherlich eine Quelle großen Glücks sein. Aus meiner Sicht waren Töchter am besten, da sie den Vater mehr lieben, als Söhne dies können. Wir bekamen drei Töchter.
Es war mir auch wichtig, körperlich fit, männlich, konkurrenzorientiert und erfolgreich zu sein. Dies ließ sich durch sportliche Betätigung erreichen und erwies mir gute Dienste in der Highschool, doch glücklich machte es mich auch nicht. Und da in meiner Familie so viel Wert auf schulische Leistungen gelegt wurde, opferte ich den Sport der Gelehrsamkeit am College. Die Zurschaustellung körperlicher Stärke blieb aber weiterhin eine wichtige Quelle meines persönliches Stolzes.
Natürlich spielten auch Geld und das Materielle eine gewisse Rolle. Gegen diese kulturellen Einflüsse war ich trotz meines streng puritanischen Hintergrunds keinesfalls gefeit. Als Pfarrersfamilie waren wir zwar geachtet, aber arm. Da mir die ständigen Geldsorgen meiner Eltern die Armut nicht als Tugend darstellten, freute ich mich auf die wirtschaftlichen Vorteile einer medizinischen Laufbahn.