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Hinweise aus dem Exerzitienbuch

Gewiss verläuft für jeden Menschen, der ignatianische Exerzitien macht, der individuelle spirituelle Weg einmalig und einzigartig. Es geht gerade darum, sich nicht einem vorgegebenen Weg oder einem zu erreichenden Ziel zu unterwerfen, sondern den eigenen Weg zu suchen und zu finden. Mit dieser Vorbemerkung lassen sich die geistlichen Wachstumsschritte für die erste und die zweite Phase („Woche“) der ignatianischen Exerzitien so beschreiben: Auf (m)einem Exerzitienweg beginne ich, Geschmack am Glauben zu finden. Ich spüre Mut, Trost und Freude daran, mich auf einen Weg mit Gott einzulassen und die eigene „Komfortzone“ dafür zu verlassen. In der ersten Phase – Ignatius nennt es die „erste Woche“ – darf ich dankbar erkennen und erfassen: Ich habe bereits einen gnädigen Gott und muss ihn nicht erst suchen oder gnädig stimmen. Er steht auf meiner Seite und will mir wohl. Ich entdecke auch meine Schattenseiten und ich entdecke, dass sie von Gott unterfangen sind. Ich widerstehe der Versuchung, dass an meinen Begrenzungen immer „die anderen schuld sind“ und übernehme Verantwortung für mich und mein Handeln.

Auf dieser Basis will ich in der „zweiten Woche“ meine Christus-Beziehung vertiefen, statt falsche Kompromisse zu schließen und zu stagnieren. Ich suche und vertiefe sehr bewusst meine Berufung als Mensch und als Christ. Ich will mich in die Nachfolge Jesu begeben und ihm ganz bewusst nicht nur um seiner angenehmen Aspekte willen nachfolgen, sondern auch in eine Schicksalsgemeinschaft mit ihm eintreten – selbst da, wo es schwierig wird und keinen „Spaß macht“. Sehr nüchtern und realistisch sagt Ignatius dazu: Solange jemand mit der Dynamik der ersten Woche zu tun hat, wären Dynamiken der zweiten Woche „Dinge, die er nicht ohne Überspannung seiner Kräfte zu tragen und aus denen er keinen Nutzen zu ziehen vermag“ (GÜ 18).

Für den inneren Weg dieser zweiten Exerzitienphase legt Ignatius die geistliche Übung der „drei Weisen der Demut“ vor. Er erklärt zunächst, was er mit den ersten beiden Weisen der Demut meint, die sich an „Gott unseren Herrn“ richten. In der klassischen Ausdrucksweise seiner Zeit formuliert er: Ich möge Gott um seine Hilfe dafür bitten, dass ich keine Todsünde (erste Weise der Demut) und auch keine „lässliche Sünde“ (zweite Weise der Demut) begehe. Dann sagt er zur dritten Weise der Demut, die sich an Christus richtet: „Die dritte ist vollkommenste Demut, nämlich wenn ich, unter Einschluss der ersten und zweiten, wenn der Lobpreis und die Ehre der göttlichen Majestät gleich ist, um Christus, unseren Herrn, nachzuahmen und ihm aktualer ähnlich zu sein, mehr mit dem armen Christus Armut will und erwähle als Reichtum, Schmähungen mit dem davon erfüllten Christus mehr als Ehren, und mehr zu wünschen, als nichtig und töricht um Christi willen angesehen zu werden, der als erster dafür gehalten wurde, denn als weise und klug in dieser Welt“ (GÜ 167).

L(i)eben lernen

Das würde in heutiger Sprache für einen ignatianischen spirituellen Lebensweg heißen: Authentisch zölibatär lebende Priester erkennen die Versuchung und widerstehen ihr, vor sich selbst und anderen mit vielen Energien eine äußere Fassade aufrechtzuerhalten oder ein Doppelleben zu führen oder falsche Kompromisse und Kompensationen zu suchen. Sie arbeiten stattdessen kreativ daran, immer mehr das eigene Lebenskonzept zu realisieren, „das Gott unser Herr uns schenkt, um es zu erwählen“ (GÜ 135). Sie verstehen ihre jeweils einmalige Berufung als Geschenk Gottes an sich. Sie erfahren immer mehr, dass und wie die göttliche Initiative für ihr Leben ihrem menschlichen Handeln vorangeht. Sie glauben und hoffen, dass sie auch menschlich nicht „zu kurz kommen“, wenn sie ihr Leben in Demut in den Dienst Christi stellen.

Als äußeres Beispiel dafür kann das Gelübderitual bei der Feier der ewigen Profess im Jesuitenorden dienen, das diese Sichtweise sehr eindrucksvoll betont. Die Gelübdeformel mit dem Versprechen zölibatärer Keuschheit wird vor dem Kommunionempfang „super hostiam“ gesprochen, nicht vor der Gabenbereitung, was eher auf das eigene menschliche Tun hinweist. Wenn jemand meint, für Gott und für seinen spirituellen Weg immer wieder neue Opfer bringen und von anderen verlangen zu müssen, dann kann ein solches Leben letztlich nur scheitern. Jüngst fielen charismatische, anerkannte und autorisierte Priester-Gründergestalten geistlicher Bewegungen wegen schwerer Verfehlungen in ihrem sexuellen Verhalten aus einer teils grenzenlosen Bewunderung heraus. Die Zuschreibung, dass sie jederzeit und vollkommen das Gelübde zölibatärer Keuschheit gehalten hätten, erweist sich als völlig verfehlt. Vielmehr wird deutlich, dass es sowohl unehrlich als auch gefährlich ist, „unsere Sexualität unter Schutzkleidung zu verbergen oder sie wie einen Kernreaktor unter einer Betondecke zu begraben.“8

Was sind tieferliegende Ursachen? Eckhard Frick untersucht die Wirkungsgeschichte des „engelsgleichen Jünglings“ und Heiligen Aloisius Gonzaga9 und kommt zu dem Ergebnis: In der Aloisius-Hagiografie bündelten sich die Motive Engel – Reinheit – Keuschheit. Die asexuelle „Unschuld“ des heiligen Aloisius wird im Kontrast zur übersexualisierten Umwelt des höfischen Lebens gesehen und der Heilige den Betern als Vorbild und Kontrast vor Augen gestellt: „Psychoanalytisch gesprochen, wurde mit dem hagiografierten Aloisius der Typos eines ewigen Latenzzeitkindes geschaffen, der das ödipale Zündeln und Rivalisieren mit dem Vater hinter sich gelassen hat und sich durch zwanghaftes Festhalten an der Kindheit des Leibes und der Seele weigert, in die Pubertät zu kommen, durch Selbstkasteiung, Intellektualisierung, religiöse Schwärmerei. Jungianisch gesprochen: ein mutterfixierter Puer aeternus, der jede Festlegung vermeidet, die Großartigkeit und Altklugkeit des Kindes wahrt und damit auch die unvermeidliche Auseinandersetzung mit Sexualität, Älterwerden, Chance und Krise von Beziehungen.“10

Aber wenn nicht so, wie dann? Wenn es in der zweiten Exerzitienwoche darum geht, die eigene Komfortzone zu verlassen und sich in der Nachfolge Jesu auf Neues und Ungewohntes und Unvorhersehbares einzulassen, dann kommt dabei die affektive Dimension der Glaubensorientierung ins Spiel. Robert Marsh erörtert, was spirituell in der zweiten Woche geschieht.11 So ungewohnt wie eindrucksvoll führt er aus: Alle Gnaden der Exerzitien sind „erotisch“, denn das Begehren steht für Ignatius am Anfang jedes Prozesses, der eine Entwicklung voranbringt – Begehren nicht nur als Laune oder Fantasie, sondern als treibende Leidenschaft, die die Sprache des Eros rechtfertigt, auch wenn ihre Artikulation nicht offenkundig sexuell ist.

Das Begehren der Zweiten Woche intendiert nicht nur, etwas über Jesus zu wissen, sondern ihn zu kennen. Ignatius ist vollkommen zuversichtlich, dass Jesus zu kennen bedeutet, ihn zu lieben. Er kann sich nicht vorstellen, dass jemand Jesus innerlich kennt, ohne eine wachsende intensive Anziehung. In der zweiten Exerzitienwoche führt Kennen zum Lieben. Und durch das Begehren geht das Wissen in Handeln über – nicht irgendein Handeln, sondern das Handeln, das aus dem Lieben entsteht, und aus der Liebe zu dem, was der Liebende liebt. Wissen und Liebe bewegen zur Nachfolge, nicht irgendetwas zu tun, sondern mit ihm zu tun, was er tut.

Menschen zögern aus vielen Gründen, über erotische Elemente in ihrer Beziehung zu Gott zu sprechen. Sie spüren vielleicht ein Tabu, fürchten eine Verurteilung oder scheuen die eigene Verletzlichkeit. Oder es wurde ihnen nie gesagt und – was vielleicht am häufigsten vorkommt – sie haben einfach nicht gelernt anzuerkennen, dass diese erotischen Elemente existieren. Wenn Eros das Herz der zweiten Exerzitienphase ist, dann sollte es keine Überraschung sein, wenn diese Gnade manchmal eine explizit romantische oder nichtgenitale sexuelle Form annimmt.12

Ein Leben in der Dynamik der zweiten Exerzitienwoche ist ein Leben in der Beziehungszusage Gottes in Jesus Christus: Er opfert sich für mich – nicht ich muss mich für ihn opfern.13

Demut und Dienst

Das Geschenk Gottes bzw. Christi an mich beantworte ich mit dem Geschenk meines Lebens an ihn. Das ist gerade nicht eine reale (wie es angeblich Origenes tat) oder voluntaristisch-überhöhte symbolische Kastration. Sondern ich trete ein in eine dialogische und das eigene Leben prägende und im Gebet vollzogene Beziehung, die durch Demut und Dienst gekennzeichnet ist. Ignatius rät für die praktische Umsetzung: „So ist es für den, der diese dritte Demut zu erlangen wünscht, sehr nützlich, (…) zu bitten, dass unser Herr ihn zu dieser dritten, größten und besten Demut erwählen wolle, um mehr ihn nachzuahmen und ihm zu dienen“ (GÜ 168). Ignatius stellt sich vor, dass ich als Mitarbeiter Christi in eine lebensbestimmende Gemeinschaft mit ihm eintrete, mehr und mehr so lebe wie er und in dieser Beziehung menschlich und geistlich wachse (GÜ 147; 165). Die von ihm verfasste Ordensregel der Jesuiten drückt das, was ein Leben in der „dritten Weise der Demut“ ausmacht, so aus:

„Wie die Weltleute, die der Welt folgen, mit solchem Eifer Ehren, Ruf und Ansehen eines großen Namens auf Erden lieben und suchen, (…) so lieben und verlangen diejenigen, die im Geist gehen und ernstlich Christus unserem Herrn nachfolgen, inständig das ganze Gegenteil, (…) so dass sie sogar, wo es für seine göttliche Majestät nicht eine Beleidigung wäre und auch dem Nächsten nicht zur Sünde angerechnet würde, danach verlangen, Schmähungen, falsche Zeugnisse und Beschimpfungen zu erdulden und für Toren gehalten und angesehen zu werden – ohne selbst irgendeinen Anlass dazu zu geben –, weil sie danach verlangen, einigermaßen unserem Schöpfer und Herrn Jesus Christus ähnlich zu sein und ihn nachzuahmen (…).“ Die Begründung für dieses Begehren ist ganz einfach: „(…) da er ja der Weg ist, der die Menschen zum Leben führt.“14

Vitus Seibel führt mit dem Engels-Bild in der Ordenssatzung der Jesuiten aus, was zölibatäre Keuschheit im Erleben und Verhalten heißen kann: „Vielleicht ergibt sich aus der Aufgabe, die wir Engeln zuschreiben, ein Hinweis, der weit über einen Orden mit Gelübden hinaus in die richtige Richtung führen könnte. Die Engel stehen vor Gott, und sie werden zu den Menschen gesandt. Wenn wir also unser Dasein begreifen als eine Haltung, die sich immer wieder auf Gott ausrichtet, geben wir ihm die Ehre. Und wenn wir unser Dasein begreifen als eine Sendung zu den Mitmenschen, dann darf die damit verbundene Lauterkeit uns begleiten, bei aller Verschiedenheit der konkreten Lebensentwürfe. Es ist eine Reinheit der Absichten und eine Reinheit im Tun“.15

Und zum Schluss: Das Ziel, das ein zölibatär lebender Priester für sich anstrebt, ist hoffentlich nicht die Ästhetisierung des vollkommenen, selbstentfalteten Menschen. Er muss seine Scharten, Runzeln und Narben kennen und seine persönlichen Verletzungen in öffentlichen und institutionellen Kämpfen auch im eigenen Bistum oder seiner Ordensgemeinschaft. Die Kantigkeit von in ihrer Art sehr verschiedenen Priester-Gestalten scheint mir mehr willkommen als ein irgendeinem Ideal angenäherter Kirchenbeamten-Typ: immer ausgeglichen, matt und mittelmäßig vor lauter Balance, halbstarr und milde vor lauter integrierter Sexualität und Aggressionsbewusstheit, stets bemüht, bewusst echt und voller Verständnis für alles und jeden. Diese Vision entspricht keiner Grundannahme des christlichen Menschenbildes und auch nicht der von Ignatius.

1Einen guten Überblick und grundlegende Informationen bieten K. Fröhlich-Geldorf / M. Rönnau-Böse, Resilienz. Stuttgart 32014.

2K. Baumann / A. Büssing, Zölibat und geistliche Trockenheit. Empirische Befunde und Deutungsempfehlungen zur Unterscheidung, in: A. Büssing / T. Dienberg (Hrsg.), Geistliche Trockenheit – empirisch, theologisch, in der Begleitung. Münster 2019, 105–122.

3Ignatius von Loyola, Satzungen der Gesellschaft Jesu, Nr. 547, in: Gründungstexte der Gesellschaft Jesu. Übers. v. P. Knauer SJ. Würzburg 1998, 739.

4V. Seibel, Architektur einer Gemeinschaft. Impulse aus den Satzungen der Jesuiten. Würzburg 2013, 49.

5MHSJ, FD, 229–231, zit. n. R. Garcia-Mateo, Ignatius von Loyola vor seiner Bekehrung. Die Bedeutung der Jugendzeit für seine Spiritualität, in: GuL 61 (1988), 242–257, hier: 252f.

6MHSJ, FN I. Bd. 76, zit. n. R. Garcia-Mateo, Ignatius von Loyola und die Frauen, in: GuL 67 (1994), 264–275, hier: 266.

7J. Martínez de Toda / M. Villarreal de Loyola, ¿presunta hija de Íñigo de Loyola? (Los Loyola de La Rioja del s. XVI), in: AHSJ 75 (2006), 325–60.

8F. Cassingena-Trévedy, „Und sie erkannten, dass sie nackt waren“. Über die Sexualität in ihrem kirchlichen Kontext, in: GuL 95 (2021), 150–158, hier: 152.

9E. Frick, Spiritualität und Geschlechtlichkeit, in: K. Hilpert (Hrsg.), Zukunftshorizonte katholischer Sexualethik. Freiburg i.Br. 2011, 229–246.

10 Ebd., 239f.

11 R. Marsh, Id quod volo: The Erotic Grace of the Second Week, in: The Way 45/4 (2006), 7–19.

12 S. auch: A. Walker, Geistliche Übungen und Sexualität, in: GuL 84 (2011), 408–415. Der Beitrag erschien im Original unter dem Titel The Spiritual Exercises and Sexuality, in: The Way 47 (2008), 201–210.

13 Christopher Chapman stellt den Unterschied zwischen Perfektionsstreben und spirituellem Wachsen hin zu immer größerer Fruchtbarkeit überzeugend dar und beschreibt, wie die ignatianischen Exerzitien spirituelles Wachstum fördern (vgl. C. Chapman, Striving for perfection or growing into fruitfulness?, in: The Way, 57/3 [2018], 7–17).

14 Ignatius von Loyola, Satzungen der Gesellschaft Jesu, Nr. 101, in: Gründungstexte der Gesellschaft Jesu, 617 [s. Anm. 3].

15 V. Seibel, Architektur einer Gemeinschaft, 49f. [s. Anm. 4].

Menschwerdung
N

Andreas Schmidt | München

geb. 1974, Dr. theol., Spiritual im Erzbischöflichen Priesterseminar St. Johannes, München

andreas.schmidt@priesterseminar-muenchen.de

Menschwerdung Gottes – in uns allen

Reflexionen über die Gotteskindschaft

„Inkarnation für alle“1, so formuliert Eckhard Nordhofen etwas salopp, aber zutreffend, das sei das eigentliche Angebot Jesu an die Menschheit. Gezeugt und geboren sein aus Gott, nicht nur geschaffen – das markiert zunächst den fundamentalen Unterschied zwischen dem menschgewordenen Sohn Gottes und allen anderen Menschen. Aber was er von Ewigkeit her ist, das sind wir gerufen zu werden. Gotteskindschaft ist im Neuen Testament nicht metaphorisch, sondern metaphysisch gemeint. Kinder Gottes zu werden in diesem starken Sinn der Gleichgestaltung mit dem Sohnsein Christi ist damit das Grundlegendste und Höchste, was man vom christlichen Leben sagen kann. Wie das ewige Wort, der einzige Sohn des Vaters, Mensch wurde, so kommt die Gotteskindschaft dann in unserem Menschsein an, wenn sich in uns eine neue Menschwerdung des Wortes ereignet. Darum betete die hl. Elisabeth von der Dreifaltigkeit.2 Wie lässt sich eine solche „neue Inkarnation“ bzw. eine „Neugeburt“ als Kinder Gottes (zwei synonyme Sprechweisen) denken? Und – noch wichtiger – wie kann sie von uns gelebt werden?

Was heißt „Person“?

Die theologische Frage könnte man so formulieren: Nach dem Dogma von Ephesus (431 n.Chr.) sind die göttliche und die menschliche Natur Jesu in einer einzigen Person, in derjenigen des göttlichen Wortes, geeint. Wie soll denkbar sein, dass „ich ihm eine zusätzliche Menschheit bin, in der es sein ganzes Geheimnis erneuert“ (Elisabeth von der Dreifaltigkeit in demselben Gebet3)? Ich bin bereits eine Person, und die Inkarnation ist – wie dieses Konzil vor allem klarstellen wollte – keine irgendwie geartete Verbindung von zwei Personen, nämlich göttlicher und menschlicher. Ähnlich könnten wir wie Nikodemus fragen, wie es geschehen soll, dass wir „neu geboren werden“ (vgl. Joh 3,9)? Durch eine neue Geburt entsteht eine neue Person – wie soll diese geboren werden und wir doch die eine und selbe Person bleiben, die wir sind?

Wenn man die Fragen so stellt, wird deutlich, dass im Begriff der Person ein Schlüssel zur Antwort liegen muss. Was heißt „Personsein“, allgemein menschlich, was heißt es auf Christus hin? Romano Guardini weist darauf hin, dass die Neuzeit dazu tendiert, den Begriff der Person inhaltlich gleichzusetzen mit dem inneren Menschen, also etwa mit der Seele, dem Verstand, dem Willen, der Freiheit, dem Geist. Aber: „Das alles ist noch nicht die Person, sondern gleichsam erst deren Stoff; sie selbst ist die Tatsache, dass es in der Form der Selbstgehörigkeit besteht.“4 Person ist also nichts, was ich habe, sondern die Tatsache, dass ich über mich verfügen kann und in solchem Selbstsein von niemandem ersetzt werden kann. Ein Personbegriff in diesem Sinn ermöglicht, dass in Christus die vollständige menschliche Natur (inkl. Seele und Wille, wie in den Konzilien nach Ephesus klargestellt wurde) in einer Selbstgehörigkeit besteht, die diejenige des göttlichen Wortes ist.

Personales Selbstsein in Christus

Ein weiterer Aspekt des Personbegriffs ist notwendig zu beachten, um nicht nur dieses Dogma, sondern auch die Möglichkeit einer „Inkarnation in uns“ verstehbar zu machen. Die endliche Person steht nicht im absoluten Sinn in sich. Sie ist nicht in sich abgeschlossen, sondern es gehört zu ihrem Wesen, dass sie auf Gott hin geschaffen ist und nur in ihm zur Ruhe, zu tiefstem Selbststand kommt – und so erst zur vollen Verwirklichung der eigenen Personalität. Ohne die Verwurzelung in Gott empfindet sie ihr Dasein als „fortwährendes Stürzen“ nach „allen Seiten hin“ – zumindest wenn sie ihrer eigenen Existenz so tief auf den Grund geht wie Friedrich Nietzsches „toller Mensch“.5 Insofern ist Christus die „Entelechie“6 der menschlichen Person: Erst in ihm wird sie ganz sie selbst, ganz die Person, die zu sein sie geschaffen ist. Thomas Merton formulierte: „Daher wird Christus in unserer Natur geboren, damit wir im umfassendsten Sinne als Personen neu geboren werden können.“7 Göttliche und menschliche Person stehen nicht nebeneinander, sondern greifen ineinander. Darin liegt die einzigartige biblische Sprechweise begründet, dass wir gerufen sind, „in Christus“ zu bleiben (vgl. Joh 15). Menschliche Personalität gelangt erst in der göttlichen Person des Sohnes zur Vollendung. In Christus hat der Mensch Anteil an der Beziehung des Sohnes zum Vater und gelangt so zu tiefstem personalen Selbstsein. Dabei ist zwar nicht, wie im Einziggeborenen, die menschliche Natur schon immer eingefügt in die Selbstgehörigkeit des Sohnes, der nie anders als „auf den Vater hin“ (vgl. Joh 1,2) lebt. Die „Inkarnation des Wortes“ im endlichen Menschen, sein „Geborensein aus Gott“ hängt am innersten Glaubensakt der menschlichen Person: „Allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben“ (Joh 1,12). „Weil wir die menschliche Natur teilen“, schreibt Merton, „die Er in der Inkarnation angenommen hat, sind wir zu diesem neuen Leben fähig. Aber erst durch unsere Entscheidung, die wir als Person treffen, das heißt durch unseren Glauben, unsere Annahme des Lebens in der Person Christi, unsere persönliche Antwort auf Seine persönliche und erlösende Liebe, wird unser Menschsein vom lebensspendenden Geist ergriffen und verwandelt.“8

Wenn die menschliche Person in ihrer relativen Selbstgehörigkeit sich in die Nachfolge Christi begibt, d.h. in seine Existenzform, dann geschieht das, was Paulus paradox so formuliert: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20). Dadurch aber lebe ich die tiefste Bestimmung meiner Person, weil ich ihre Gottbezogenheit vollkommen verwirkliche. Da die menschlichendliche Personalität mit ihrer Selbstverfügung erhalten bleibt, kann diese Einheit widerrufen werden. Sie bleibt zerbrechlich. In Christus dagegen ist sie untrennbar. Er gehört in seinem Menschsein sich selbst als SOHN. Jesus ist ganz Mensch, gerade weil seine göttliche Person trinitarisch mit dem Vater geeint ist: Seine Personalität ist Selbstsein, das ganz aus der Beziehung zu Gott (dem Vater) und ganz auf ihn hin lebt. Der endliche Mensch kann diese Fülle wahren Menschseins erst durch die Verbindung mit Christus realisieren – dann aber tatsächlich in gleicher Fülle. Deshalb werden die Begriffe „Inkarnation“ und „Neugeburt“ auch für die in Christus Lebenden zurecht gebraucht. Selbstgehörigkeit, Selbstverfügung und einen gewissen Grad an Selbststand vermag auch der erste Adam, der Mensch auf der Suche nach Gott, zu leben. Aber es bleibt eine unvollendete Personalität, die er erst durch seine geschichtliche Existenz entweder in der Öffnung für den Geist Christi zur Vollendung bringt – oder aber im Sich-Verschließen in den ewigen Selbstwiderspruch führt. Sowohl die erst noch ausstehende Vollendung wie die ständige Gefährdung der menschlichen Person bewahrt den Menschen davor, sich selbst Christus einfachhin gleich zu wähnen – und öffnet ihn dennoch für die große Hoffnung, ihm in einer neuen Inkarnation gleichgestaltet zu werden. Er ist „die Hoffnung auf Herrlichkeit“ (Kol 1,27).

Von dieser theologischen Skizze her können wir nun bedenken, wie die Gotteskindschaft gelebt werden kann, sowohl in ihrer kontemplativen wie in der aktiven Dimension.

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