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Читать книгу: «Die Welt in hundert Jahren», страница 4

Various
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Das drahtlose Zeitalter und die Mode

Szene: Ein elegantes Boudoir in der 5. Avenue in New York. Eine Braut, die Tochter eines Multimilliardärs, ist ganz außer sich und schwimmt in Tränen. Ein furchtbares Unglück ist geschehen. Ihre Brauttoilette ist ruiniert worden; ein Loch wurde durch eine Zigarette eingebrannt. So kann sie unmöglich am nächsten Sonnabend zur Hochzeit gehen, lieber gar nicht heiraten. Und den Schaden durch eine Spitze etwa zu verdecken, nicht um die Welt. Entweder ist das Kleid tadellos oder sie zieht es nicht an. Ein heimischer Schneider? Fällt ihr gar nicht ein. Das Kleid muß von Paquin sein. Von jener weltberühmten, über hundertjährigen Firma, die schon 1908 tonangebend in ihrem Geschmack war. „Aber Kind“, ruft der Bräutigam, „das ist doch ganz einfach. Wir lassen uns telautophonisch mit Paquin verbinden, suchen uns eine Brauttoilette aus, geben Dein Maß an und lassen uns das Kleid durch drahtlosen Luftmotor hierherkommen.“ Wie weggeflogen ist in diesem Augenblick der Schmerz der jungen Braut. Sie jubelt laut auf, klatscht in die Hände und gibt sofort Befehl, ihren Apparat hereinzubringen. Fünf Minuten später wandeln schon die Pariser Modelle mit den ausgesuchtesten Brauttoiletten an ihr vorüber. Die Maße werden genau genommen und angegeben, und sechs Stunden später hat die jetzt wieder glückliche Braut ihr Kleid, das zehnmal so schön ist, wie das, was ihr Bräutigam verdorben hat. Ueberhaupt wird das Einkaufen zu jener Zeit ein noch größeres Vergnügen sein, als jetzt. Man wird einfach von seinem Zimmer aus alle Warenhäuser durchwandern können und in jeder Abteilung Halt machen, die man eingehender zu besichtigen oder wo man etwas auszuwählen wünscht. Die Kommis werden die Waren in den Warenhäusern ausbreiten, so wie jetzt; die Kundinnen werden nicht in den Warenhäusern selbst sein, sondern da, wo sie grad’ weilen. Bei sich zu Haus, oder in einer Gesellschaft oder irgendwo anders. Und sie werden wählen und an ihrer Wahl alle ihre Freundinnen teilnehmen lassen können, und alles wird leibhaftig vor ihren Augen erscheinen; denn natürlich werden alle die Bilder in ihren natürlichen Farben zu sehen sein.

Auch auf Ehe und Liebe wird der Einfluß der drahtlosen Telegraphie ein außerordentlicher sein. Liebespaare und Ehepaare werden nie von einander getrennt sein, selbst wenn sie Hunderte und Tausende Meilen von einander entfernt sind. Sie werden sich immer sehen, immer sprechen, kurzum, es wird die Glückszeit der Liebe angebrochen sein und die des Strohwitwertums vernichtet; denn künftighin wird sich die leibliche Gattin stets davon überzeugen können, was ihr Herr Gemahl treibt; aber auch der Herr Gemahl wird ganz genau wissen, wie und ob seine Gattin nur an ihn denkt.

Auch der Krieg wird wesentlich durch das drahtlose Zeitalter modifiziert. Das Durchschneiden der Kabel und das Zerstören der telegraphischen Leitungen wird in den Bewegungen der Heere keine Verzögerungen herbeiführen. Es wird keine falsch verstandenen Befehle mehr geben, und der Oberbefehlshaber wird nicht erst darauf warten müssen, daß man ihm berichtet, wo der Gang der Schlacht ist, sondern er wird das ganze Schlachtfeld selber übersehen, und nicht das eine Schlachtfeld allein, sondern das ganze Land, in welchem die kriegerischen Operationen vor sich gehen. Er wird sogar imstande sein, nach seinem Willen nicht nur die große Armeekolonne in Bewegung zu setzen, sondern auch die kleinen Abteilungen. Sein Feldherrnblick allein wird entscheiden; denn er in seinem Zimmer oder in seiner Baracke wird alles sehen, die Bewegungen seiner Armeen, sowie die der feindlichen Heereshaufen. Die Berichterstattung wird natürlich auf außerordentlicher Höhe stehen; denn jedes, selbst das allerkleinste Blättchen, ja jeder Abonnent desselben wird sich den Luxus erlauben können, von seinem Zimmer aus den Kriegsereignissen beizuwohnen und alle Details derselben zu sehen. Kurz, alle diese Wunder der drahtlosen Telegraphie werden das kommende Zeitalter zu einem großartigen, unglaublichen machen.

Unglaublich? Nicht doch. Wir haben ja ebenso große Wunder auch schon erlebt. Noch vor dreißig Jahren gab es kein elektrisches Licht, kein Telephon, kein Grammophon und keinen Phonographen. Die großen Wunder haben wir jetzt geschaffen, und was ich geschildert habe, ist nichts als die allgemeine Nutzanwendung derselben; das ist nur das, was ganz bestimmt kommen wird und zum Teil schon da ist. Doch es liegen noch ganz andere Möglichkeiten vor. Es ist möglich, daß der Landmann sechs- bis zehnfach so große Früchte züchten wird, als jetzt. Es ist wahrscheinlich, daß er statt einer und zweier Ernten sechs- bis zehnmal im Jahre die Früchte nach Hause bringen wird. Es ist möglich, daß ein Arzt eine ganze, von einer Seuche heimgesuchte Stadt auf einmal dadurch heilen wird, daß er eine elektrische Zyklonwelle drahtloser Energie über sie wird fluten lassen. Der Wetterprophet wird nicht mehr das Wetter ansagen, sondern das Wetter machen. Sonnenschein und Regen wird nur von dem Willen der Menschen abhängen. Ueberall auf Erden wird man den Winter und jeden Sturm durch elektrische Wärmewellen vertreiben, die den ewigen Frühling über das Land breiten werden. Und ein neuer Marconi wird vielleicht mit den Bewohnern des Mars sich verbinden und wird die Geheimnisse der fremden Welten dadurch offenbaren.

Professor Cesare Lombroso.
Verbrechen und Wahnsinn im XXI. Jahrhundert

Es ist heutzutage nicht so leicht wie früher, als Prophet aufzutreten, noch schwerer aber ist es, wenn man prophezeiht, die Leser oder Zuhörer zum Glauben zu zwingen. Trotz alledem gibt es Voraussagungen, die nicht auf die mehr oder weniger glaubwürdigen und unglaubwürdigen Eingebungen gestützt sind oder gar aus Geistermunde verkündet werden, sondern die nichts weiter sind, als die logischen Folgerungen, die man aus den bestehenden Prämissen zieht und die daher zweifellos Anspruch auf Beachtung und Glaubwürdigkeit haben.

Wenn wir zum Beispiel die Behauptung aufstellen wollten, daß es im nächsten Jahrhundert im Verhältnis zur Bevölkerungsziffer fünfmal mehr Wahnsinnige geben wird, als jetzt, so ist das nichts als eine statistische Deduktion aus den Zahlen, die uns die zivilisierten Völker aller Länder heutzutage bieten.

Jacobi weist nach, daß die Zahl der Irrsinnigen in Frankreich in 33 Jahren um 53 Proz. stieg, während im gleichen Zeitraum die Bevölkerungsziffer nur um 11 Proz. gestiegen ist.

In Italien gab es im Jahre 1880 17471 Irrsinnige und 27 Jahre später zählte man in dem italienischen Königreiche nicht weniger als 45000.

In England kamen im Jahre 1889 auf je 10000 Einwohner 18 Irre. Im Jahre 1893 war diese Zahl schon auf 29 gestiegen, und bis zum heutigen Tage hat diese Steigerung noch immer bedeutend zugenommen.

In den Vereinigten Staaten wuchs die Bevölkerungsziffer in 30 Jahren um das Doppelte an, die Zahl der Irrsinnigen aber um mehr als das sechsfache; denn sie stieg von 15610 auf 95998.

Diese erschreckenden Zahlen sind leider nur allzu verständlich; denn die Gründe, die den Irrsinn zur Folge haben, werden immer stärker und häufiger und mannigfacher.

Der Orient überschwemmt uns mit seinem Opium und seinem Haschisch; der Norden Europas gibt dem Süden ungeheure Mengen seines Mutterkornes ab, und der Süden schickt als Revanche dem Norden seinen verdorbenen Mais, die alle in sich das tödliche Gift für unsern Geist und unser Hirn tragen.

So wie seit Jahrhunderten der Wein unsere Psyche vergiftet hat und wie es in noch ärgerem Maße das Bier, der Schnaps, der Absinth und der Wermut tun und getan haben, so wirkt jetzt auch noch zum Ueberfluß der Aether, das Morphium und Codein tödlich auf unsern Geist ein, und man hat gut gegen diese Gifte, insbesondere aber gegen den Alkoholgenuß zu predigen und zu reden, es wird doch immer weiter getrunken werden, teils um sich zu betäuben, teils um dem immer trüber dahinfließenden Strome des Lebens doch wenigstens eine Stunde des Glücks und des Vergessens zu entreißen. Und man wird weiter trinken, um lustig zu sein und immer lustiger, bis eine weisere, aufgeklärtere, gescheiter gewordene Menschheit dem immer genußdurstigen, menschlichen Hirn andere harmlose, aber ebenso mächtige, ebenso energische Genüsse verschafft haben wird, wie sie ihm heute das Trinken tatsächlich schafft.

Vom Tee und Kaffee spreche ich hier gar nicht, die zwar auch Erregungsmittel des Geistes sind, aber doch nicht kräftig genug, um auf die Phantasie und die Sinne derart zu wirken, daß sie als Ersatzmittel derselben gelten könnten. So lange die Welt so bleibt, wie sie ist, wird man mit den Verheerungen rechnen müssen, die der Alkohol anrichtet. Nun füge man noch den höllischen Wirbel hinzu, in den der Mensch jetzt durch das Hasten des Lebens gerissen wird, und der ihn arbeiten und arbeiten und immer arbeiten läßt, bis auch die stärkste Energie aufgebraucht und die widerstandsfähigsten Kräfte gebrochen werden; und man nehme das Ruhelose dieses Lebens hinzu, das die Ruhe nur findet, wenn sie längst schon zu spät kommt, und denke an all’ die horrenden Arbeitsmengen, die jeder schaffen muß und die, wie Beard sagt, jeden Amerikaner schon in einen Neurastheniker verwandelt haben und auch jeden gebildeten Europäer dazu machen, von welch letzterem schon Kräpelin sagt, daß er viel zu viel Nerven und viel zu wenig Nerv hat! Vielleicht ist auf diese Erschöpfung, die sich in der Degenerationsvererbung zeigt, zurückzuführen, daß wir in den letzten Jahren das Kolorit des Wahnsinns sich merkwürdig verändern sehen, und daß wir diese Veränderung im nächsten Jahrhundert zweifellos noch prononzierter sehen werden. Es verschwinden nämlich allmählich jene eigentümlichen Fälle von Paranoia, Melancholie und Halluzinationen, die früher so häufig waren und unsere Irrenanstalten mit so viel Fürsten, so viel Genies, so viel Erfindern und so viel eingebildeten Opfern von Jesuiten- und Freimaurer-Verfolgungen übervölkern. Jetzt treten dafür immer mehr jene verschwommenen Formen auf, die wir geistige Zerstreutheiten und Störungen nennen, oder jene frühen Wahnsinnsformen, die im Jugendalter auftreten und eine Mischform der eben genannten Zerstreutheitsstörungen mit den alten Formen der Monomanie und Melancholie bilden, durch welche die Grenzlinien dieser vollständig verwischt werden. Die Entdeckung dieser Form verdanken wir dem großen Deutschen Kräpelin, obwohl sie schon vor ihrer Entdeckung, d. h. vor ihrer Erkennung Opfer über Opfer gefordert hat.

Dieser frühzeitige Irrsinn, die alkoholischen Wahnsinnsformen und die allgemeinen progressiven Paralysen, sowie die anormalen Formen der Epilepsie werden dann die Insassen für unsere Irrenanstalten abgeben, dagegen wird die Zahl der Idioten, vor allem aber die der Kretins ganz außerordentlich abnehmen. Ebenso wird die vornehmlich bei uns in Italien herrschende, durch den Maisgenuß hervorgerufene Pellagra kein Opfer mehr fordern. Das Verschwinden dieser Formen wird nur eine Folge unserer zunehmenden Kultur und unseres nicht zu leugnenden, zunehmenden Wohlstandes sein.

Das Verbrechen

Im Gegensatz zum Wahnsinn wird das Verbrechen sowohl an Zahl wie an Größe und Intensität immer mehr abnehmen. Wer die Verbrecherstatistik von Mitteleuropa studiert, würde auf den ersten Blick allerdings diese rosige Voraussetzung nicht verstehen; denn die ganz schweren Verbrechen, d. h. Mord und Totschlag, haben zwar ein klein wenig abgenommen, aber Diebstahl, Betrug und Fälschungen haben im ganzen so außerordentlich zugenommen, daß sie in den letzten 25 Jahren auf beinahe das Doppelte stiegen. Der Zahl nach sind also die Verbrechen jetzt noch immer in der Zunahme begriffen. Wer aber genauer hinsieht, wird trotzdem zu dem von mir angegebenen günstigen Resultate der Zukunft gelangen, weil er die Verminderung der kapitalen Verbrechen in Australien mit in Rechnung ziehen wird und nicht nur der Kapitalverbrechen, sondern der Verbrechen überhaupt. Auch wird er nicht übersehen können, daß in Nordamerika der Verbrechenszuwachs eigentlich nur zu Lasten der nach Amerika eingewanderten, sowie der farbigen Bevölkerung fällt. Und ebensowenig wird er es unterlassen, seine günstigen Schlüsse aus der Abnahme des Verbrechens sowohl in London als in Genf zu ziehen, wo man mit allen Mitteln versucht hat, dem Verbrechen energisch zu Leibe zu gehen und ihm möglichst den Garaus zu machen, ein Versuch, der, trotzdem es sich um große Zentren des Verbrechens handelt, dennoch einen günstigen Erfolg zu haben scheint. Und wer nun das alles in Rechnung zieht, der wird ohne viel Mühe prophezeien können, daß im nächsten Jahrhundert die Zahl der Verbrechen ganz außerordentlich abgenommen haben muß, wobei allerdings nicht zu übersehen ist, daß sehr viele Verbrecher infolge unserer weit ausgedehnteren Kenntnisse des Wahnsinns und der psychischen Erkrankungen ihr ganzes Leben lang in Irrenhäusern oder in Irrenreservationen eingeschlossen sein werden. Diese Art, die Verbrecher unschädlich zu machen, wird der Menschheit aber zum größten Nutzen gereichen, da eine weitere Vererbung des Uebels dadurch unmöglich gemacht werden wird.

Die momentane Verschlechterung in bezug auf die Zahl der Verbrecher, die namentlich auffallend in der großen Zahl Rückfälliger4 und Minderjähriger, namentlich in Europa, zum Ausdruck kommt, findet ihre Erklärung in dem doppeltabnormen Zustande unserer Gesetzgebung und unseres Gefängniswesens, die sich beide, wenn auch erst ganz schüchtern und zaghaft, einerseits den Theorien jener so sehr angefeindeten Schule nicht mehr verschließen können, die das Verbrechen als ein Krankheitssymptom auffaßt, die aber andererseits noch in den alten, alteingewurzelten Ideen fußen, die auf der freien Willensäußerung basieren. So vereint unsere Zeit in blindem Unverstande alle Schäden der beiden Anschauungen, ohne daß die Allgemeinheit irgendwelche Vorteile aus deren Vorzügen zieht. Es ist dies ein Zustand, der etwa dem zu vergleichen wäre, wenn ein Irrenarzt, der mit den alten Ideen so sehr verwachsen ist, daß er die Wahnsinnigen gleich Verbrechern behandelt und sie in Ketten legt, schlägt und mißhandelt, nun plötzlich von den Ideen der modernen Erkenntnis angehaucht würde und plötzlich anfinge, seine Pfleglinge gleichzeitig sowohl als Verbrecher wie als Kranke zu behandeln.

Tatsächlich bricht sich, was das Verbrechen anbelangt, immer mehr unsere Anschauung Bahn, daß auch dieses als eine organische Erscheinung, nicht aber als eine menschliche Willensäußerung aufzufassen ist. Daß wir uns daher wohl vor ihm schützen müssen, nicht aber in Unmenschlichkeiten gegen den Verbrecher ausarten dürfen. Mit dieser Erkenntnis nun stehen unsere starren, eisernen Gesetze noch völlig im Widerspruche, und die „mildere Auffassung“ derselben schadet weit mehr als sie nützt, denn sie geben der Menschheit den Verbrecher immer wieder, und geben ihm so die Gelegenheit, den Keim des Verbrechertums immer weiter und weiter zu verbreiten.

Im kommenden Jahrhundert aber werden alle Hindernisse, die sich heute noch einer vernunftgemäßen Behandlung von Verbrechen und Verbrechern entgegenstellen, längst beseitigt sein. Die Anfänge dazu sind ja schon da, und die Erfolge zeigen sich überall, wo man den Mut hatte, die Neuerungen einzuführen. In London sowohl wie in Nordamerika, wo man jetzt mit aller Energie daran geht, die Verbrecher im Sinne der modernen Wissenschaft für die Menschheit ungefährlicher zu machen. An die Stelle unserer Zuchthäuser werden große Verbrecherkrankenhäuser treten, in denen der rückfällige Verbrecher auf Lebenszeit interniert werden wird, ohne an der Behandlung körperlich, geistig oder seelisch zu leiden. Große humane Arbeitsanstalten werden errichtet werden; riesige Farmen werden dem Verbrechernachwuchs zum Aufenthalt dienen, aber auch denen, die Neigung zum Alkoholismus verraten, und sich darin als unverbesserlich erweisen; und an die Stelle unserer furchtbaren Zuchthaus- und Gefängnisstrafen werden Geldstrafen, Arbeitsstrafen, Duschen, Feldarbeiten und Hausarrest treten. Natürlich werden diese Strafen nur die Gelegenheitsverbrecher treffen und die jugendlichen Verbrecher, die ja die Mehrheit unserer Verbrecherwelt bilden und die erst durch unsere Gefängnisse in ihren Verbrecherinstinkten bestärkt werden. Keiner wird dann mehr die „Strafe“ als solche empfinden, sondern nur einen Versuch darin sehen, den psychischen Krankheitskeim in ihm zu stören, ihn wieder „gesund“ zu machen, und ihn als gesundes Mitglied der Menschheit wiederzugeben. Schulen, Bibliotheken, Vorträge und der Verkehr mit geistig hervorragenden und charakterfesten Menschen, die wahre Aerzte der Seele sein werden, werden das ihrige dazu beitragen, diesen Heilungsprozeß zu ermöglichen und zu beschleunigen.

Damit ist noch immer nicht gesagt, daß im kommenden Jahrhundert das Verbrechen vollständig verschwinden wird. Gerade weil das Verbrechen teils von unserem Organismus, teils von unserem sozialen Verhältnis abhängt, wird das Verbrechen zwar abnehmen und andere Formen annehmen, aber niemals vollständig verschwinden. In jedem Falle werden, wie man jetzt schon statistisch nachweisen kann, in den nächsten Jahrzehnten in den zivilisierten Ländern die durch Frauen begangenen Verbrechen aller Voraussicht nach ganz außerordentlich an Zahl zunehmen. Gegenwärtig ist das Verhältnis der Verbrecherin zum Verbrecher ein geradezu minimales; aber der große Zahlenunterschied verwischt sich immer mehr, und auch in bezug auf die Schwere der Verbrechen werden die Frauen ihren männlichen Kollegen bald ebenbürtig werden, wenn sie sie nicht überflügeln werden. Haben wir nicht jüngst erst eine Madame Humbert gesehen, die sich jahrelang die finanziellen Kombinationen und Geldoperationen in so außerordentlich raffinierter und schlauer Weise zunutze machte, wie es kein Mann imstande gewesen wäre. Wir haben die Gouransee gesehen, die sich den Annoncenteil der Blätter und die unglaublichsten Kenntnisse auf dem Gebiete der Toxikologie zunutze machte, um unter dem Vorwande einer reichen Heirat Personen anzulocken und sie zu vergiften und im eigenen Garten zu begraben. Und eine Grete Beier, die in Deutschland die juridischen Kenntnisse, die sie sich im Laufe der Zeit angeeignet hatte, dazu benutzte, um ein falsches Testament aufzusetzen, die Handschriften fälscht, die Gift braucht und überdies zur Feuerwaffe greift, um einen Verliebten zu töten und seine Erbin zu werden. Diese Kompliziertheit der Verbrechen wird man auch bei den Missetaten der Männer bald in verhältnismäßig zunehmender Zahl finden, wenn auch die Gesamtsumme der Verbrechen selber abnehmen wird. Denn keiner macht sich die technischen, ökonomischen und sozialen Errungenschaften so schnell und so sicher zunutze wie der Verbrecher. Wir haben schon in diesem Jahrhundert ganz neue Arten von Verbrechen auftauchen sehen, bei denen das Zweirad, das Motorrad und das Automobil eine große Rolle gespielt haben. Und in Amerika, wo alles, selbst das Verbrechen einen großartigen Zug hat, werden auch Eisenbahnzüge und Dampfmaschinen dazu benutzt. So brach der berüchtigte Trassy aus dem Zuchthaus von Oregon, sprang auf eine Schnellzugs-Lokomotive und raste mit ihr davon, so daß er nur dadurch festgenommen werden konnte, daß eine noch schnellere Maschine ihm nachraste und ganze Züge von Polizeisoldaten ihm entgegen fuhren. In unserer Zeit der Genossenschaften und Vereinigungen ist es selbstverständlich kein Wunder, daß wir auch auf große Verbrechergenossenschaften stoßen. In Nord-Amerika, in Rußland, in Deutschland und in England hat man geradezu Aktiengesellschaften von Dieben, Einbrechern und Falschspielern entdeckt. Aktiengesellschaften, die eigene luxuriös eingerichtete Bureaus hielten, über jedes Verbrechen Buch führten und es im Einnahmen- und Ausgabenkonto verzeichneten. In Moskau hob man eine, aus dreißig Aristokraten bestehende Verbrecherbande auf, die mit enormem Kapital arbeitete, das in die Millionen ging. Dieser Bande standen in den verschiedensten Städten prachtvolle Wohnungen, Paläste und glänzend ausgestattete Villen, sowie ein Heer von Dienern, Automobilen und Equipagen zur Verfügung, und sie hatten überall ihre Komplizen. In New York gibt es Hunderte von Assekuranzschwindlern, die sich zu einer Spezialität ausgebildet haben. Vor zwei Jahren wurden acht Versicherungsgesellschaften von einer Verbrecherbande von Fälschern um fünf Millionen Dollars, das ist über zwanzig Millionen Mark, beschwindelt; sie versicherten alte, sterbenskranke Menschen auf hohe Summen, statt der Kranken aber wurden bei der Untersuchung vollständig gesunde Personen für die zu versichernden ausgegeben; überdies wurden von ihnen Hunderte von Ausweispapieren und Totenscheinen gefälscht, und sie gingen in ihrer Frechheit so weit, selbst ein Begräbnis zu inszenieren und eine Wachspuppe in pomphaftem Leichenzuge zur letzten Ruhestätte geleiten zu lassen, während derjenige, den die Wachspuppe vorstellte, sich den Spaß machte, mit unter den Leidtragenden mitzugehen und seinem eigenen Begräbnisse zuzusehen!

Der berühmte Giftmischer Holmes könnte als der vollendetste Typus des Verbrechers der Zukunft gelten. Er versicherte das Leben seiner Opfer auf hohe Summen, brachte ihnen dann Gift bei und strich zuletzt das Geld ein. Als hypermoderner Mensch, der er war, spielte bei allen seinen Verbrechen der Anzeigenteil der Journale, der Telegraph, das Telephon und sogar die drahtlose Telegraphie eine ganz bedeutende Rolle. Er war der Virtuose des modernen Verbrechertums und führte jedes Verbrechen so künstlerisch, d. h. so kompliziert wie nur möglich aus, um nicht nur den Nutzen, sondern auch seine Freude daran zu haben.

Aber wenn sich die Verbrecher von einst auch all der Erfindungen ihrer Zeit noch ausgiebiger werden bedienen können, wie es die Gauner unserer Zeit jetzt schon in oft ganz verblüffender Weise tun, so werden doch damit auch gleichzeitig die großen Erfindungen Hand in Hand gehen, die den Verbrechern das Handwerk legen werden. Es wird immer schwerer und schwerer werden, ein Verbrechen auszuführen, ohne geradezu im selben Momente auch schon entdeckt zu werden. Und auch darin wird ein guter Teil des Grundes liegen, warum die Verbrechen werden abnehmen müssen. Allerdings werden gerade die Gefahren manchen verlocken, die Ueberlegenheit seines Geistes zu zeigen, die ihn befähigt, dennoch ein Verbrecher zu sein, aber das werden nur wenige Enthusiasten sein, die man immer noch findet und die es auch heute schon gibt.

4.Rückfällige waren im Jahre 1880 20 Prozent aller Verbrecher und im Jahre 1900 40 Prozent. Ganz genau dasselbe Verhältnis zeigte sich auch in Belgien. In Italien wuchs die Zahl der minderjährigen Verbrecher, die zu längeren oder kürzeren Strafen verurteilt wurden, von 30118 im Jahre 1890 67944 im Jahre 1905.
Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
01 ноября 2017
Объем:
280 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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