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Zwei Tage vor Silvester war Alexander zu Fred gegangen. Später hatte er sich von dem alten Mann verabschiedet und ihn getötet. Er hatte den Abend über an seinem Bett gesessen und die Hand des Mannes gehalten, bis alles vorbei war. Danach fühlte Alexander sich gut. Er hatte etwas getan, was sich nicht viele trauten und er bewunderte Fred, dass der so mutig war, seinem Leben selbstbestimmt ein Ende zu setzen.

Tagelang hatte er überlegt, ob er dem Wunsch des freundlichen Mannes nachkommen sollte. Er war verwirrt - seit er seine kleine Schwester getötet hatte, war nichts mehr, wie es einmal war. Die Schuld drückte zwar auf seine Schultern, aber trotzdem war die Überzeugung, das Richtige getan zu haben, immer noch stärker.

Wenn Alexander in den Tagen nach Sarahs Tod bei Dörte und Klaas gewesen war, bohrte seine Mutter nach und wollte ihn trösten. Aber der junge Mann schwieg, er fand es schon abartig genug, dass sein Vater wieder aufgetaucht war. Bald war er nicht mehr zu seinen Eltern hinuntergegangen und streunte stundenlang durch die Stadt oder die Weinberge. Die Arbeit in der Apotheke vernachlässigte er auch, aber die Eltern trauten sich nicht, ihn zu etwas zu drängen. Auch jetzt wagte die Mutter nicht, irgendwelche Frage zu stellen.

Als wenn es nicht schon schlimm genug war, dass Alexander Sarah getötet hatte, noch viel schlimmer war die spätere Erkenntnis, dass es eine Fehlentscheidung gewesen war. Aber er hatte auf Fred gehört, Fred, den weisen alten Mann, dem er vollkommen vertraut hatte.

„Du hast das Richtige getan! Und mich beim Sterben zu unterstützen, ist auch richtig. Dann geht es dir besser, glaube mir!“, hatte Fred enthusiastisch gerufen. „Du hilfst mir und ich helfe dir.“

„Versprichst du mir, dass ich damit meinen Seelenfrieden zurückbekomme?“

„Ich verspreche es dir. Meine Seele für die deiner Schwester. Mein Leben für ihres.“

Sie hatten sich oft im Krankenhaus getroffen, wenn Alexander Sarah besuchte. Später hatten sie darüber geredet, wie es wäre, für immer von den Schmerzen erlöst zu werden. Als der alte Mann für seine letzte Lebenszeit nach Hause gegangen war, besuchte ihn Alexander öfter am späten Abend oder in der Nacht. Die beiden sprachen dann meistens über den Tod und das Sterben. Fred hatte ihm erklärt, dass er immer die Kontrolle über sein Leben haben wollte, also hatte er auch nicht vor, sie beim Sterben abzugeben.

„Ich bin noch total klar im Kopf und will nicht als ein sabberndes Wrack enden, das sich vor Schmerzen krümmt oder nur noch unter Drogen leben kann. Dann lieber taktvoll abtreten.“

Den Gedanken daran hatte Alexander nicht mehr aus dem Kopf kriegen können und nachdem er seine Schwester erlöst hatte, war er zu Fred gelaufen und hatte ihm davon berichtet. Sie saßen stundenlang zusammen und Fred lobte ihn für seine Umsicht.

Auch wenn Alexander wusste, dass Sarah jetzt nicht mehr leiden musste, war er traurig und verzweifelt zugleich.

Er war zu Füßen des großen Sessels im Wohnzimmer vor Fred zusammengebrochen und der hatte ihm den Kopf gestreichelt, bis Alexander sich wieder beruhigt hatte. Danach offenbarte er ihm seinen Plan, mit dem beide zufrieden sein konnten. Noch einen Tag vor dem geplanten Tod des alten Mannes lief Alexander durch die Gegend und sah nicht, was um ihn herum vor sich ging. In seinem Kopf und im Herzen trug er die Sehnsucht, erlöst zu werden von der Last seiner Schuld. Hatte Fred recht? Konnte er so seinen Frieden zurückerlangen?

Fred hatte extrem starke Schmerzen, dass er oft schreien musste, aber das konnte und wollte er seinen beiden lieben Menschen nicht sagen. Sie sollten das Gefühl haben, dass es ihm gut ging und dass sie bestens für ihn sorgten und sich nützlich vorkamen. Er litt wie ein Hund und als der Arzt ihm sagte, dass er mit den Medikamenten noch ewig leben könne, war er nicht erfreut, sondern verzweifelt.

„Ewig leben? Ewig diese Schmerzen? Zugedröhnt mit Medikamenten? Das ist für mich kein Leben. Ich habe alles geregelt. Wenn du mir hilfst, wirst du von deiner Schuld erlöst. Niemand wird wissen, was du getan hast, es wird keine Spuren geben, also wird dich keiner verdächtigen. Kein Mensch weiß, dass wir uns kennen. Sterbehilfe ist in Deutschland verboten, aber ich schaffe es nicht mehr, irgendwohin zu reisen. Ich werde einen Brief schreiben, dass ich freiwillig aus dem Leben geschieden bin.“

Es klang vernünftig und Alexander spürte so viel Verständnis für den alten Mann, dass er zustimmte. Sie verabredeten sich für zwei Tage vor Silvester. Alexander würde abends kommen, Fred töten und dann wieder verschwinden, sodass Gernot ihn später finden konnte. Zu lange im Bett herumliegen und verwesen wollte Fred nun auch nicht. Sie hätten es genauso gut machen können, wenn Jutta an Neujahr für eine Woche zu ihrer Familie fahren würde, aber der Gedanke daran, dass Fliegen auf ihm herumkrabbelten und in Ohren, Nase und Mund hineinkriechen würden, war Fred unangenehm. Dann lieber schnell gefunden und begraben werden.

Da der alte Mann viel Zeit hatte, konnte er vorher im Internet recherchieren, wie der Tod ihn schnell mitnehmen könnte und auch im Krankenhaus hatte er oft scherzhaft mit den Schwestern darüber geredet. Am Tag seiner Entlassung hatte er das Narkosemittel gestohlen, von dem er gelesen hatte, dass es in Überdosierung rasch zum Tod führen würde.

Alexander hatte Handschuhe getragen, als er die erste Spritze aufzog. Für Sarah hatten er und seine Mutter gelernt zu spritzen, falls einmal ein Notfall auftreten würde. Sie hatten noch geredet, bis Alexander dem Mann die erste Dosis gab. Drei Spritzen später lächelte Fred und war bald eingeschlafen. Nach einer Weile hatte sein Herz aufgehört zu schlagen. Auch Alexander hatte gelächelt, denn nun würde bald ein Gefühl der Befreiung kommen. Aber solange er auch wartete, nichts passierte. Er fühlte sich plötzlich schuldig am Tod seiner Schwester und nun auch noch am Tod von Fred.

Am Nachmittag nach Freds Tod nahm die Mutter Alexander mit ins Krankenhaus, um sich für die Unterstützung zu bedanken und der Einladung des Arztes zu folgen, der noch einmal mit ihnen sprechen wollte. Dörte hatte Alexander am Mittag in den Arm genommen. Sie sah, dass es ihrem Sohn schlecht ging, da würde ihm das Gespräch mit dem Mediziner guttun.

„Mein Beileid, Frau Retzanski“, hatte der Arzt gesagt. „Und Alexander, ich hoffe, Sie machen sich keine Vorwürfe, dass nur Sie im Haus waren. In den Akten Ihres Hausarztes steht, dass Sarah sanft eingeschlafen ist. Doch ich verstehe natürlich, dass es ein schweres Los ist.“

„Ja, Herr Doktor, es tut weh“, erklärte Alexander, „aber sie muss nun nicht mehr leiden. Sie wäre sicher nie wieder gesund geworden. Vielleicht ist es gut so und ihr sind viele Schmerzen erspart geblieben.“

„Dazu muss ich Ihnen noch etwas sagen, bisher war nie die Gelegenheit. Wir haben ja, bevor ich in den Urlaub gefahren bin, noch einige wichtige Tests gemacht. Ich will Ihnen das Ergebnis nicht verschweigen, auch wenn Sarahs Tod dadurch noch bitterer wird. Die Untersuchungen haben eine gute Gehirnaktivität gezeigt. Alle wichtigen Areale hatten sich erholt und ich denke, Sarah wäre in der nächsten Zeit aufgewacht. Und sie wäre wieder ein lebenslustiger Mensch ohne bleibende Schäden geworden. Leider hat die Lungenembolie das verhindert. Es tut mir alles sehr leid.“

Dörte begann zu weinen, aber Alexander war kopfschüttelnd aus dem Krankenhaus gerannt. Seine Mutter hatte ihn dann zitternd und vollkommen abwesend auf einer Bank gefunden. Er konnte nur noch einen Satz denken: Ich habe meine Schwester umgebracht.

Etwas in seinem Kopf zerbrach und er rannte los, hinaus in die Weinberge, wo er im Morgengrauen laut und verzweifelt all seinen Schmerz hinausschrie.

„Du hast gelogen!!! Fred, du hast gelogen, ich bin nicht frei von meiner Schuld! Es geht mir nicht besser.“

Irgendwann war er heimgelaufen, nass und durchgefroren in die Wanne gestiegen und dort wusste er, was zu tun war: Er musste jemanden finden, der ihm Erlösung bringen würde. Jetzt musste er nur noch die düsteren Gedanken aus dem Kopf verbannen. Mit neuem Mut stieg er aus der Wanne und überlegte, wie er den Jahreswechsel hinter sich bringen könnte. Er beschloss, in die Altstadt zu gehen und sich dort mit den Menschen zu unterhalten. Außerdem würde er sich im neuen Jahr eine kleine Wohnung suchen. Alexander wollte nicht mehr bei seinen Eltern wohnen. Sicher würde er auch eine neue Arbeit finden, denn er hatte einen guten Abschluss.

Mutig betrat er das Wohnzimmer seiner Eltern und verkündete beim Silvesterabendessen seinen Entschluss. Klaas wollte aufbrausen, aber Dörte legte eine Hand auf seinen Arm und sah ihn sanft an.

„Lass ihn gehen“, sagte sie, nachdem Alexander das Zimmer verlassen hatte, „er muss auf eigenen Füßen stehen, der Tod von Sarah hat ihn aus der Bahn geworfen. Ein Neuanfang ist sicher richtig. Bitte telefoniere herum und frage, wer Alexander einstellt! Bitte, Schatz, tu es mir zuliebe!“

Klaas hatte genickt und sich dem Wunsch seiner Frau gebeugt. Er dachte, er wäre ihr das schuldig, nachdem sie ihn wortlos wieder in sein altes Leben zurückgelassen hatte.

Alexander war durch die einbrechende Nacht gelaufen und traf viele fröhliche Menschen, die auf dem Weg zum Feiern waren. Er durchstreifte die Altstadt und setzte sich im Restaurant zu einer jungen Frau, die auf seine Frage, ob der Platz frei wäre, nur genickt hatte. Vor ihr waren zahlreiche leere Gläser aufgereiht und sie sah aus, als ob sie geweint hatte.

„Wenn dir das nicht recht ist, suche ich mir einen anderen Platz.“

Nun schaute sie hoch und ihre Blicke trafen sich. Der junge Mann mit den blonden Locken sah freundlich und nett aus, also schüttelte sie den Kopf. Ihre Haltung straffte sich ein wenig und sie strich die langen schwarzen Haare zurück. Ihr Gesicht war hübsch, sie schien Mitte zwanzig zu sein.

Alexander bestellte ein Glas Wein für sich und für die Frau noch einmal dasselbe Getränk, was sie schon den ganzen Abend getrunken hatte. Anscheinend hatte sie Probleme und er nahm sich vor, ihr zu helfen.

„Ich bin Alexander, ich dachte, ich sage dir das, denn wir werden zusammen ins Neue Jahr rutschen.“

Ein winziges Lächeln huschte über das Gesicht der jungen Frau und verschwand gleich wieder.

„Ich bin Birte. Und das nächste Jahr wird genauso beschissen anfangen, wie das hier zu Ende geht.“

„Oh, das klingt ja nicht, als wenn es dir gut geht. Kann ich dir helfen?“

„Nein, mir kann keiner helfen, ich bin eine Mörderin und werde das immer bleiben.“

Die Getränke kamen und Alexander hielt Birte das Glas zum Anstoßen hin. Sie hob ihres an, stieß kurz gegen seines und trank es dann in einem Zug leer.

„Wie kann das denn sein?“, fragte Alexander. „Wenn du eine Mörderin wärst, würdest du im Gefängnis sitzen.“

Birte lachte böse auf und entgegnete: „Der Mord, den ich begangen habe, war vollkommen legal. Ich habe mein ungeborenes Kind getötet.“

Sie winkte nach dem Kellner und orderte ein neues Glas.

„Und jetzt betrinkst du dich, weil du es bereust?“

„Ja, ich bereue es. Jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde muss ich daran denken. Und nur, weil der Wichser mich dazu gebracht hat.“

„Jetzt hast du mir schon fast alles erzählt. Also los, raus mit der ganzen Geschichte.“

„Nein, vergiss es, ich betrinke mich, um nicht daran denken zu müssen. Entschuldige, es geht dich auch einfach nichts an.“

„Alles in Ordnung, ich wollte dich nicht bedrängen. Ich gehe jetzt lieber. Einen guten Rutsch trotzdem.“

Birte winkte ab. Alexander stand auf, bezahlte im Vorbeigehen am Tresen und verließ das Restaurant in Richtung Rheinpromenade, wo sich schon eine Menge Leute zum Feuerwerk versammelt hatten. Er fand einen Platz auf einer Bank und wartete auf Mitternacht.

Als das Feuerwerk begann, schloss er die Augen und lauschte dem dumpfen Grollen der Raketen, die in den Himmel geschossen wurden. Die Lichter dort vermischten sich mit den Sternen, aber Alexander interessierte sich nicht dafür. Er war immer nur fasziniert von den Geräuschen und dem Geruch, der die Luft erfüllte. Ein Betrunkener stieß ihn an und schimpfte, dass er hinsehen sollte, aber Alexander lächelte nur.

„Alles Gute, Alter!“, rief der betrunkene Mann und bot ihm einen Schluck aus der Schnapsflasche an.

Alexander schüttelte den Kopf und machte sich auf den Heimweg. Hinter den Fenstern seines Elternhauses sah er noch Licht, aber er lief nach oben in seine kleine Wohnung und begann zu packen. Er hatte auf dem Dachboden Kartons gefunden. Gegen Morgen war sein halbes Leben gut verstaut und er ging ins Bett.

Am Neujahrsmorgen schlief er lange und stahl sich leise aus dem Haus, um seinen Eltern nicht zu begegnen. Er trödelte durch die Straßen und schaute, ob irgendwo eine Wohnung frei war. Wenn keine Gardinen dran sind, ist es meistens leer, dachte er. Vor einem Mehrfamilienhaus am anderen Ende der Stadt blieb er stehen und schaute an der Fassade des Hauses hoch. Die Wohnung mit der Gaube schien bewohnt, denn da war das Fenster angekippt, aber darunter waren die Fenster geschlossen und weil weder Gardinen noch Grünpflanzen zu sehen waren, könnte er Glück haben.

Als sich die Tür öffnete und ein junger Mann eine volle Mülltüte hinaustrug, ging er auf ihn zu.

„Entschuldigung, ich wünsche Ihnen ein gesundes Neues Jahr. Darf ich Sie etwas fragen?“

Der Mann, dem das Licht wehzutun schien, hob den Kopf und sah sein gegenüber mit einem Auge an. Seine blonden Haare standen in alle Richtungen und unter dem T-Shirt zeichneten sich straffe Muskeln ab.

„Was? Sorry, ich bin noch nicht wach.“

Alexander lachte und nickte verständnisvoll. Nun wünschte ihm der Mann auch ein gesundes Neues Jahr und fragte, was er wolle.

„Ich werde dieses Jahr ganz neu anfangen. Dafür suche ich eine Wohnung. Ich habe gesehen, dass da oben keine Gardinen sind und da dachte ich mir …“

„Ja, neu anfangen ist gut. Die Wohnung unter meiner ist frei, aber die ist winzig.“

„Das macht nichts, ich bin alleine.“

„Komm doch einfach mit hoch, ich brauche dringend einen Kaffee und dann können wir reden. Ich gebe dir die Adresse des Vermieters.“

Alexander folgte dem Mann ins Haus und betrat die kleine Wohnung unter dem Dach, in der es nach kaltem Rauch und Alkohol roch. Der Mann entschuldigte sich für die Unordnung und warf den wilden Stapel T-Shirts, der auf dem Sessel gelegen hatte, auf den Boden. Er forderte seinen Besucher auf sich zu setzen und schaltete die neue moderne Kaffeemaschine an.

„Ich bin Benedikt, wer bist du?“

„Alexander. Danke für den Kaffee.“

„Warum willst du neu anfangen? Liebe? Geldsorgen?“

„Meine Schwester ist gestorben und ich muss zuhause raus. Ich habe eine Wohnung im Haus meiner Eltern. Die haben die Apotheke.“

„Ach ja, die kenne ich. Nette Leute, aber ich kann dich verstehen. So ein Schicksal ist hart. Warte mal, ich schaue nach, wo die Telefonnummer ist.“

Er ging ins Schlafzimmer, das der Wohnküche gegenüberlag und kramte im Nachtschrank, bis er triumphierend eine Visitenkarte in die Höhe hielt.

„Adresse und Telefonnummer. Vielleicht sind wir bald Nachbarn. Er hatte mich schon gefragt, ob ich jemanden wüsste, der hier einziehen will.“

Alexander las laut: „Ludwig Pitschicker, Immobilien. Wiesbaden. Danke, Benedikt. Dann werde ich gleich morgen früh mein Glück versuchen. Hoffentlich ist sie noch frei.“

„Sicher, die ist schon seit dem letzten Sommer frei und ich habe bis jetzt nie jemanden gesehen, der sie haben wollte. Es wohnt sich gut hier. Aber jetzt werde ich dich hinauswerfen, ich muss duschen und treffe mich dann mit einer bezaubernden Lady.“

Alexander nickte und verstand. Dieser junge Mann hatte sicher eine Freundin. Er bedankte sich nochmal für den Kaffee und die Visitenkarte und verließ das Haus. Fröhlich pfeifend ging er zurück in die Altstadt und schlenderte an den Schaufenstern entlang. Am späten Nachmittag machte er sich auf den Heimweg.

Dörte und Klaas saßen im Wohnzimmer und der Abendbrottisch war gedeckt. Als Alexander hereinkam, eilte seine Mutter in die Küche und kam mit einem dritten Gedeck wieder. Er setzte sich lächelnd zu ihnen.

„Ein gesundes Neues Jahr, mein Sohn, du siehst so zufrieden aus. Hattest du einen schönen Abend gestern?“

„Ja, Mama, es war nett, ich war in der Altstadt und habe ein Glas Wein getrunken. Heute Mittag war ich dann am anderen Ende der Stadt und ich denke, ich habe eine kleine Wohnung gefunden.“

Klaas schwieg, aber Dörte freute sich.

„Sehr gut, und wenn das mit der Arbeit auch klappt, dann kannst du auf eigenen Beinen stehen. Papa und ich werden dich unterstützen, wo wir können. Nicht wahr, Klaas?“

Klaas war immer noch enttäuscht und hielt die Idee seines Sohnes für ein Hirngespinst, aber er hatte seiner Frau versprochen, ruhig zu bleiben und brummte nur etwas Unverständliches.

„Papa wird sich morgen mal umhören, wo du arbeiten könntest. Ich bin für dich da, mein Großer, jetzt haben wir ja nur noch dich.“

Die plötzliche Erinnerung an das, was er getan hatte, ließ Alexander erstarren. Er hörte auf zu kauen und es gelang ihm nur mit Mühe, das hinunterzuschlucken, was er im Mund hatte. Das schlechte Gewissen hatte ihn direkt in den Magen getreten.

„Danke, ich bin jetzt aber satt und gehe hoch. Ich muss ein bisschen schlafen. Gute Nacht.“

„Der Arme“, sagte Dörte später, „er hat es immer noch nicht verkraftet, dass Sarah tot ist.“

Klaas schwieg wie immer bei dem Thema, auch er hatte es nicht verkraftet, dass sein Sonnenschein tot war. Und anscheinend hatte er jetzt auch noch seinen Sohn verloren. Mit hängenden Schultern ging er ins Bett.

5

„Dieser Gernot hätte ein Motiv“, erklärte Benedikt. „Er ist der einzige Erbe. Also warum nehmen wir ihn nicht fest? Dann ist der Fall gelöst.“

„Ich denke nicht, dass er es war. Ich bin am Telefonieren, denn er sagte, dass er in der Unibücherei war und ein bestelltes Buch abgeholt hat.“

„Die haben in der ersten Woche erst um zehn geöffnet, das stand im Internet.“

„Gut, dann gehe ich erstmal zu Bianca hoch und versuche es später nochmal.“

„Ich würde am liebsten eine Runde schlafen, aber ich schaue nochmal bei der Pflegerin vorbei und nerve sie mit Fragen.“

„Vielleicht kannst du bei ihr eine Weile schlafen“, sagte Michael lachend. „Waren wohl zwei wilde Tage?“

„Heiße Tage. Und am Neujahrsmorgen habe ich auch noch meinen neuen Nachbarn kennengelernt. Der ist durch die Stadt gelaufen und hat eine Wohnung gesucht, weil er sein Leben ändern will.“

„Das ist mal ein guter Vorsatz. Bis nachher.“

Michael verließ das Büro, eilte die Treppe hinauf und klopfte bei Bianca.

„Herein!“, rief es von drinnen.

Er trat ein und sah Biancas umwerfendes Lächeln. Er verschloss die Tür mit dem Schlüssel, der im Schloss steckte, ging um den Schreibtisch herum, zog Bianca vom Sessel hoch und küsste sie leidenschaftlich.

„He, mein lieber Verlobter, ich bin im Dienst.“

Sie schlang die Arme um Michaels Hals und genoss seine Lippen und Hände. Bei ihm fühlte sie sich sicher und geborgen. Er hatte ihr an Silvester einen Heiratsantrag gemacht, nachdem Benedikt zum Feiern gegangen war. Die beiden Männer hatten sich angezwinkert und Bianca hatte von einem zum anderen geschaut. Als Michael seinen Kollegen zur Tür gebracht hatte, kam er mit einer roten Rose wieder ins Wohnzimmer, wo Bianca es sich auf der Couch bequem gemacht hatte.

Sie richtete sich auf und ahnte, was nun kommen würde, als Michael vor ihr niederkniete.

„Süße, du bist der Sinn meines Lebens, ich kann mir nicht vorstellen, je wieder eine Sekunde ohne dich zu sein. Darum möchte ich dich etwas Wichtiges fragen.“

Bianca war zu ihm auf den Boden geglitten und Tränen der Rührung liefen über ihre erröteten Wangen.

„Willst du, Bianca Bonnét, meine Frau werden und den Rest des Lebens mit mir teilen?“

Bianca nahm seine Hand und hauchte: „Ja, ja, ich will. Oh, du machst mich absolut glücklich. Verzeih mir, dass ich so blind war.“

„Alles ist gut, mein Engel, wir gehören zusammen.“

Aus seiner Hosentasche holte Michael jetzt ein kleines rotes Samtkästchen hervor, in dem auf einem ebenso roten Kissen aus Seide ein Ring lag. Er nahm ihn heraus und streifte ihn über Biancas linken Ringfinger. Dann küsste er sie zärtlich.

Bianca betrachtete im Schein der kleinen Lampe neben der Couch den schmalen goldenen Ring mit dem kleinen Stein, der unwiderstehlich funkelte.

„Der ist wunderschön, ich danke dir. Den ziehe ich nie wieder aus.“

Als Michael sie ins Bett zog und sie liebte, während draußen die Raketen in den Nachthimmel stiegen, trug sie wirklich nur diesen Ring.

Und jetzt war Michael zu ihr ins Büro gekommen, um sie zu küssen und den Fall mit ihr zu besprechen. Bianca seufzte. Sie hatte Benedikt den Ring gezeigt, er hatte gratuliert und sie auf die Wange geküsst.

„Kommst du noch einmal mit zu Gernot?“, fragte Michael nun.

„Ja, ich komme mit. Lass uns noch ein bisschen bohren. Als Alleinerbe hätte er ja schon ein prima Motiv, den alten Mann um die Ecke zu bringen.“

Michael hielt ihr die Jacke hin und schloss danach die Tür wieder auf. Keine Sekunde zu spät, denn Dr. Rosenschuh war eben im Begriff, die Türklinke herunterzudrücken und einfach ins Büro zu treten. Er erschrak, als der Kommissar plötzlich vor ihm stand.

„Wollten Sie gerade klopfen oder ist mir das entgangen?“

„Entschuldigung, ich hätte schon noch geklopft. Ich habe gehört, wir haben einen ungeklärten Todesfall? Wer ist der Täter?“

„Wenn ich das wüsste, wäre ich schon bei Ihnen gewesen“, sagte Michael und riss sich zusammen, um den Staatsanwalt nicht zu schütteln.

Nun war Bianca an der Tür angekommen und lächelte den Stress einfach weg.

„Herr Dr. Rosenschuh, wir fahren jetzt zu einem Verdächtigen, fühlen ihm auf den Zahn und wenn wir Glück haben, bringen wir ihn gleich mit zum Verhör. Wenn Sie uns jetzt bitte entschuldigen würden? Ach ja, ich wünschen Ihnen ein gesundes Neues Jahr.“

Sie schob den Staatsanwalt sanft von der Tür weg und schloss ab. Dr. Hans-Martin Rosenschuh nahm seine Brille ab, rieb die Gläser mit einem Stofftaschentuch sauber und setzte sie wieder auf. Eben wollte er noch einmal deutlich zeigen, wer hier der Chef war, aber diese Frau verunsicherte ihn immer wieder aufs Neue. Er zuckte mit den Schultern und verschwand in die andere Richtung.

Michael lachte schallend, als sie zum Auto gingen und legte einen Arm um Bianca. Es war faszinierend, welche Wirkung seine Verlobte auf den stets gestressten Staatsanwalt hatte. Sie stiegen ein und weil es nun zehn Uhr war, rief Michael erneut in der Unibibliothek an. Eine raue Frauenstimme meldete sich und hustete, bevor sie sprach.

„Ich bin Kommissar Verskoff von der Polizei Eltville und möchte Sie um eine Auskunft bitten.“

„Wir geben prinzipiell keine Auskünfte am Telefon“, knarrte die Stimme am anderen Ende unfreundlich. „Sie müssen schon herkommen.“

Michael holte tief Luft und erwiderte: „Wenn ich wegen einer Frage, die uns helfen könnte einen Mord aufzuklären, extra kommen muss, werde ich direkt zu Ihrem Vorgesetzten gehen und ich versichere Ihnen, dass Sie dann den Job los sind. Also, beantworten Sie jetzt meine Frage?“

Bianca hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht loszulachen. Am anderen Ende des Telefons wurde gesprochen und dann bestätigte die Frau dem Kommissar, dass Gernot Drekelt tatsächlich ganz früh am Morgen in Mainz gewesen war, um ein wichtiges Buch abzuholen. Er hatte vorher angerufen und zwanzig Euro bezahlt, damit die Aushilfe ihm das Buch vor der Öffnungszeit um acht Uhr herausgab. Das Hin und Her hätte er unmöglich schaffen können. Der Todeszeitpunkt war auf einen Zeitraum zwischen fünf und sieben Uhr eingegrenzt worden.

„Mist, eigentlich kann ich mir dann auch gleich sparen, mit dem Kerl zu reden“, sagte Michael enttäuscht.

„Egal, uns fällt sicher etwas ein, was wir ihn fragen können. Wenn er nicht der Täter ist, wer dann? Die Pflegerin?“

„Keine Ahnung, sie hatte nur den einen Job und er war gut. Jetzt hat sie gar keinen mehr. Also warum sollte sie ihre Einnahmequelle töten?“

„Da hast du auch wieder recht. Aber wen kannte Fred Drekelt noch?“

Michael gab Gas und als sie kurze Zeit später vor dem Haus hielten, in dem Gernot wohnte, hatten sie sich einige Fragen überlegt. Der junge Mann öffnete und ließ die Kommissare eintreten.

„Es tut mir leid, wenn es hier so unordentlich ist, aber ich schreibe gerade eine wichtige Hausarbeit und habe keine Zeit zum Aufräumen.“

„Keine Sorge“, sagte Bianca lachend, „wir sind nicht hier, um die Wohnung zu beurteilen. Wir suchen einen Mörder.“

„Da muss ich Sie enttäuschen, ich bin kein Mörder. Ich habe meinen Onkel sehr gerne gehabt, er war das einzige Familienmitglied, das mir noch geblieben ist. Fast alle anderen sind vor ihm an Krebs gestorben. Ich bin nur froh, dass ich gesund bin.“

Bianca spürte, dass er die Wahrheit sagte, also fragte sie freundlich: „Ich glaube Ihnen sogar, aber wir müssen trotzdem denjenigen finden, der Ihren Onkel getötet hat: Wie sehen Sie denn die Rolle von Jutta Kücklitz? Hätte sie ein Motiv?“

„Nein“, begann Gernot kopfschüttelnd, „Jutta hat meinen Onkel betreut und gepflegt und war sowas wie eine Freundin geworden. Als der Knochenkrebs in seiner Wirbelsäule entdeckt wurde, war es schon zu spät, denn der Scheißkrebs hatte überall Metastasen gestreut. Und da wollte er auch nicht mehr im Krankenhaus sein. Er hat sich Jutta ins Haus geholt und sie fürstlich bezahlt. Sie ist für diesen Job geboren.“

Bianca seufzte. Sie sah Michael an und der übernahm jetzt das Gespräch.

„Wen kannte denn Ihr Onkel noch? Sind Sie mal einem Fremden begegnet?“

Gernot schüttelte den Kopf.

„Hatte er denn keine Freunde?“

„Nein, die einzigen Menschen, mit denen er geredet hat, waren Jutta und ich. Nur damals im Krankenhaus hatte er noch Kontakte nach außen, da saß er oft im Park oder in der Cafeteria und hat mit den Leuten gesprochen.“

„Denken Sie, dass er jemanden dafür bezahlt haben könnte, ihm beim Sterben zu helfen?“

„Niemals! Er wollte nicht sterben.“

„Wenn es einen Abschiedsbrief geben würde …“, flüsterte Bianca, die aus dem Fenster schaute.

Die Männer sahen erstaunt zu ihr. Ein Abschiedsbrief war nirgends aufgetaucht, aber er könnte die These der Sterbehilfe bestätigen. Sie drehte sich um und zuckte mit den Schultern.

„Es war nur ein Gedanke. Gibt es ein Testament?“

„Ja, wir waren sogar gemeinsam beim Notar, darum weiß ich, dass ich alles erbe. Jutta kriegt eine großzügige Spende und das war es dann.“

„Haben Sie einen Einblick in die Konten? Falls er jemanden bezahlt hat …“

„Glauben Sie mir, Herr Kommissar, mein Onkel wollte nicht sterben und somit hat er auch niemanden bezahlt. Es muss jemand eingedrungen sein.“

„Herr Drekelt, das ist dann aber noch viel unlogischer, weil nichts gestohlen wurde. Ich glaube, wir kommen hier nicht weiter. Bitte melden Sie sich, wenn Ihnen noch etwas einfällt.“

Gernot lächelte, brachte die beiden an die Tür und verschwand wieder in der Wohnung. Sicher saß er direkt wieder an seiner Hausarbeit. Wichtige Hausarbeit, dachte Bianca, da bringst du dich doch nicht mit einem Mord aus dem Konzept.

„Er war es definitiv nicht.“

Michael nickte nur, denn es sprach nichts, aber auch gar nichts für Gernot als Täter, auch nicht das Erbe, das er in wenigen Wochen vielleicht sowieso angetreten hätte.

„Lass uns mal ins Krankenhaus fahren“, schlug Micheal vor, „vielleicht erinnert sich jemand an den alten Kauz und seine Gesprächspartner.“

Sie machten sich auf den Weg nach Wiesbaden.

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