Читать книгу: «Geständnis mit Folgen», страница 3

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Aufgeregtes Stimmengewirr drang aus der angelehnten Tür der Klasse 10a. Wortfetzen wie Scheiße, wer macht jetzt … und kein Wunder …, so ein … drangen heraus. Belu klopfte kurz, gefolgt von Klaus trat sie ein. Es wurde schlagartig ruhig. Die Kommissarin stellte sich der Klasse vor. Deutete auf Klaus. »Mein Kollege Hofmockel. Lassen Sie sich nicht stören«, meinte sie ironisch. »Sie waren eben im Gespräch?«

»Ich sagte gerade, dass es zum Glück Nüsslein war, der den Meier gefunden hat. Stellt euch mal vor, es wäre unser Trutscherle gewesen. Die hätte doch glatt einen Schreianfall bekommen.«

»Würden Sie sich vorstellen, bitte?« Klaus mischte sich ins Gespräch ein, sah den jungen Mann an.

»Matze Bohl, Klassensprecher. Und du, Nico, sag nicht Depp zu mir.« Der Angesprochene hatte Matze einen leichten Schlag mit dem Heft auf den Kopf gegeben.

Die Tür öffnete sich und ein mittelgroßer Mann mit einer modischen Kurzhaarfrisur kam in das Klassenzimmer. Belus erster Gedanke: ein eitler Pfau mit seinem Seidenschal und modernem Outfit.

»Ich wollte mal nach der Klasse sehen. Es war auf einmal so unnatürlich ruhig. Ich nehme an – Polizei?«

Belu nickte und murmelte ihrer beider Namen. Ich hänge mir jetzt bald ein Schild um, so oft habe ich mich heute schon vorgestellt, dachte sie.

»Mein Name ist Johannes Petermann. Geschichte, Geografie.«

Ist schon komisch, dachte Belu, dass sich Lehrer immer gleich mit ihrem Fachgebiet vorstellen. Sie lächelte den Herrn freundlich an.

»Sie waren nicht im Lehrerzimmer gewesen?«

»Ich musste noch eine Klassenarbeit vervielfältigen. Nachdem der Kopierer mal wieder Papierstau meldete, habe ich mich gar nicht lange damit beschäftigt und bin gleich ins Sekretariat. Fräulein Kleinert hat mir die Kopien gemacht.«

Er fuhr an die Klasse gewandt fort: »Ich glaube, an Unterricht ist jetzt nicht zu denken. Die Schulleitung überlegt noch, ob wir in dieser Woche den normalen Schulalltag überhaupt so fortführen. Auf jeden Fall werden wir Psychologen vom örtlichen Schulamt ordern. Und dann wären da auch noch die Religionslehrer, die euch für Gespräche zur Verfügung stehen. Wenn ihr das wünscht, natürlich nur«, fügte der Lehrer an. »Am besten geht ihr für heute nach Hause.« Er schaute dabei von einem Jugendlichen zum anderen. Einige saßen auf den Bänken, andere hatten sich an die Wand gelehnt, wieder andere hatten an den Fenstersimsen Platz genommen. Ein paar Schüler senkten die Köpfe, andere nickten, die meisten verneinten. Sie wollten noch in der Schule bleiben. Es waren wohl eher Neugierde und die Befürchtung, etwas zu verpassen, die die Schüler in der Schule und im Klassenzimmer verharren ließen, als das Pflichtbewusstsein.

»Wissen Sie«, Petermann wandte sich den beiden Kommissaren zu, »die Klasse von Studiendirektor Meier ist vor lauter Polizei im Haus beinahe in Vergessenheit geraten. Direktor Dressler hat angeregt, den psychologischen Dienst einzuschalten. Wozu haben wir ihn? Die unteren Klassen wirken leicht verstört. Sie wissen ja, wie das ist. Zu jedem geflüsterten Satz kommt ein noch geheimnisvollerer hinzu. Wie ich eben hörte, munkelt man, dass Meier in einem Blutsee gefunden wurde.« Petermann presste die Lippen aufeinander und nestelte nervös an einem Knopf. Dann öffnete er den Knoten seines Seidenschales und wischte sich damit über die Stirn. Er knüllte ihn zusammen und steckte ihn in die Hosentasche. Aufgeregtes Gemurmel machte sich breit. Als Matze Bohl zu sprechen begann, wurde es wieder still.

»Nüsslein wollte ihn noch wiederbeleben, munkelt man – aber bei einem Kopf, der nur noch Brei ist? Jedenfalls wäre unser Hauswart dadurch blutverschmiert gewesen, als man ihn sah.«

»Und? War er das?«, fragte Hofmockel.

»Ich habe jedenfalls nichts gesehen«, antwortete Matze. »Wir mussten laut der Order Nüssleins ja dableiben, falls die Bullerei uns befragen wollte. Sein Kittel hatte alle möglichen Flecken. Wie immer halt. Aber Blut habe ich nicht gesehen.«

Eine Schülerin begann hysterisch zu schluchzen. Sie sah aus, als wenn sie tagelang nicht geschlafen hätte. Käseweiß war sie im Gesicht, ihre Sommersprossen auf der Nase sahen aus wie kleine Dreckspritzer.

»Reiß dich zusammen, Katharina!«, sagte Ben, ein anderer Junge aus der Klasse. Und grienend setzte er nach: »Jetzt wird es wohl endgültig nichts mehr mit der Mathe-Weltmeisterschaft.« Die betreffende Schülerin Katharina wechselte ihre Gesichtsfarbe von Weiß zu Knallrot.

»Lass Katharina in Ruhe. Nur weil du Mathe nicht magst und es auch nicht kannst, du Zahlengenie, brauchst du nicht so abfällig zu reden. Immerhin ist ein Mensch gestorben, das ist schlimm genug«, antwortete der Junge, der von Matze Bohl mit Nico angesprochen worden war.

»Das sagt der Richtige. Du hast das Handtuch geschmissen. Ist die Mathematik wohl doch nicht deine Berufung, he, Streber?« Ben sah sich Beifall heischend um, erntete aber nur Schweigen von seinen Mitschülern.

»Lasst gut sein, hört auf zu streiten«, mischte sich Petermann ein. »Ich glaube, wir haben im Moment andere Sorgen. Schon vergessen? Zehnte Klasse? Schulaufgaben? Abschlussprüfungen? Jetzt ein Mordfall. Wer soll eure Klasse bis zum Schuljahresende führen? Einige von euch werden nach der Zehnten abgehen, die brauchen ein vernünftiges Zeugnis.« Petermann hatte sich richtig in Rage geredet. Er stützte sich mit beiden Händen an einer Bank ab, sah die Schüler eindringlich an.

Klassensprecher Matze hüpfte von dem Tisch herunter, auf dem er gesessen hatte. Zu Nico gewandt meinte er: »Du bist noch nicht lange an der Schule und kanntest Meier nicht so gut wie wir. Der konnte ganz schön austeilen. Und wen er auf dem Kieker hatte, Mannomann, der hatte wirklich nichts zu lachen.«

Ein paar Schüler nickten zustimmend.

»Wie geht’s nun weiter, Herr Petermann?«, schob Matze nach.

»Das kann ich euch wirklich noch nicht sagen. Wir werden eine Konferenz einberufen müssen und beratschlagen, was zu tun ist. Vorerst gilt der Vertretungsplan.«

Kurz schwoll Stimmengewirr an, manche maulten.

»Mann, das haben wir heuer nicht zum ersten Mal. Meier hat schon letztes Schuljahr längere Zeit gefehlt und war vergangenen Dezember über weg, und da hatten wir auch Vertretungen«, meinte ein Schüler genervt.

»Wer sind Sie?« Belu sah den schlaksigen Jungen an, der von der letzten Bank vorgerufen hatte.

»Tobias Herbst. Ich bin auch in der Mathe-AG. Der Meier war schon ein Hund. Erinnert euch nur daran, wie er Matze die Clownsmaske aufgesetzt hat und meinte, dass auch jeder weiß, wo der Spaßvogel sitzt. Und zu Bella hat er gesagt, wenn er sich einen Döner ans Ohr hält, dann hört er wenigstens die Sau grunzen, bei ihr käme nix, und sie hätte keinen blonden Schimmer von Zahlen.«

»Ha ha«, maulte Matze und setzte sich seine Baseballkappe verkehrt herum auf.

»Du bist so ein Arsch, Tobias.« Bella nahm einen Gummi, warf ihn dem jungen Mann an den Kopf. Tobias duckte sich geschickt. Nico, der hinter ihm stand, reagierte nicht schnell genug und bekam ihn direkt an die Nase.

»Aua, Volltreffer! Bella, seit wann bist du ein Wurfgenie?« Nico rieb sich die Nase, machte gute Miene zum bösen Spiel. Petermann sah etwas pikiert drein. Klaus Hofmockel verzog die Mundwinkel und Belu beobachtete die Szene gespannt. Was würde sie von den Schülern noch über Meiers Charakter erfahren?

»Ehrlich, Leute, ich fand Meier nicht so schlimm. Er konnte sehr gut erklären. Seinen Humor musste man halt verstehen.«

»Nico, du kannst überhaupt nicht mitreden. Die paar Monate, die du an unserer Schule bist, zählen gar nicht. Wir haben Meier schon das dritte Jahr in Mathe. Einige von uns kennen ihn noch länger. Er ist im Laufe der Zeit immer schlimmer geworden. Das letzte Jahr war einfach übel. Er hat sich auf unsere Kosten ganz schön amüsiert. Ich finde Lehrer, die glauben, nur ihr Fach ist das wichtigste, einfach nur zum Kotzen.«

»Julia Schott«, sagte Petermann zu Belu gewandt.

Die Schülerin fuhr sich mit den Fingern durch die blonden Haare und blies sich den Pony aus den Augen. Dann stand sie auf und schmiss wütend ein zusammengeknülltes Taschentuch in den Abfalleimer.

»Immer, wenn er exzessiv Sport betrieben hat«, warf Matze ein, »und mit blauen Flecken in den Unterricht kam«, sagte ein anderer Schüler, »dann war sein Zynismus besonders schlimm. Dann konntest du deinen Arsch drauf verwetten, dass er eine Ex geschrieben hat, die sich gewaschen hatte. Kam dir das nicht so vor, Nico?«

»Na ja, schon«, antwortete dieser breit. »Ich kann nur sagen, in der Mathe-Arbeitsgruppe hat er sich ganz anders gegeben. Geduldig, voll dabei, immer ein offenes Ohr. Was sagst du dazu, Katharina?«

Die Schülerin hatte sich bisher nicht am Gespräch beteiligt, nur still vor sich hin geweint, wie Belu feststellte. Katharina nickte, biss sich auf die Lippen und stierte aus dem Fenster.

»Mensch, Leute! Hallo! Habt Ihr euch eigentlich mal gefragt, wer Meier den Schädel eingeschlagen hat?« Matze stellte sich breitbeinig vor die Klasse und verschränkte die Arme.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass das ein Schüler war. So ernsthaft gefährdet durchzufallen, ist keiner von uns. Also hätte auch niemand ein Motiv, ihn kaltzumachen.« Der Schüler Tobias nahm seine Brille ab und sah mit kurzsichtigen Augen seine Klassenkameraden an. Er erntete zustimmendes Gemurmel. Studiendirektor Petermann meinte mit Blick zu Belu und Klaus: »Ihr könnt gehen. Aber bitte leise. Morgen wissen wir sicher mehr.« Das ließen sich die Schüler nun doch nicht ein zweites Mal sagen. Schnell leerte sich das Klassenzimmer. Die Kommissare und Petermann blieben zurück.

»Die sind ja recht diszipliniert«, meinte Belu. Sie sah, wie etliche der Schüler beim Rausgehen die Handys zückten. Meiers Tod hatte bestimmt schon die Runde gemacht.

»Beim Kollegen Meier trauten sich die wenigsten Schüler zu quatschen oder eine große Lippe zu riskieren. Zu groß war die Angst, von ihm bloßgestellt und blamiert zu werden.« Johannes Petermann zupfte wieder nervös an seinem Hemdknopf. »Ja, das konnte er gut. Andere bloßstellen. Nicht nur Schüler. Leider auch Kollegen.«

»Hatte er Sie bloßgestellt? Wie wir hörten, haben Sie sich beide auf den Posten des Direktors beworben.«

»Da gibt es nichts zum Bloßstellen.« Petermann lächelte. Seine Augen lächelten nicht mit. »Ich habe die erforderlichen Seminare besucht, und wenn es diesmal nicht klappt – es gibt noch andere Schulen in Nürnberg, die einen Direktorenposten zu besetzen haben. Eine Frage der Zeit. Wissen Sie, Meier ließ keinen Zweifel daran, dass er Autorität besaß. Und er war sehr konsequent in seinem schulischen Fortkommen. Nicht nur zu den Schülern, auch im Lehrerzimmer ließ er seinen Lieblingsspruch los: Man soll den Tag nicht vor dem Elternabend loben!«

»Ich nehme an, dass er für die Schülerzeitung ein ergiebiges Opfer war.« Klaus Hofmockel nahm eine Broschüre, die auf einem Packen Papier lag. Laut las er vor: »Das Gehirn ist eine fabelhafte Einrichtung. Es beginnt zu arbeiten, sobald man aufsteht, und es hört auf, wenn man in der Schule ist. Setz dich wieder hin, Martin, die Tafel ist heute offenbar dein Feind. Das wird wohl nichts mehr, oder?«

Belu schmunzelte. »Solche Sprüche werden von Schülern mit Vorliebe gesammelt und in den Schülerzeitungen zum Besten gegeben. Das war schon zu meiner Schulzeit so. War er eigentlich ein guter Lehrer?«, fragte sie übergangslos.

»Wenn er gut drauf war, konnte er wirklich fantastisch erklären. Das haben wir oft von den Schülern gehört. In der Mathe-AG ist er richtig aufgegangen und meist hatte er einen flotten Spruch auf den Lippen. Wenn er menschlich nicht so ein Arschloch gewesen wäre, hätte man ihn glatt nett finden können.« Petermann schlug sich leicht auf den Mund.

»Entschuldigen Sie die Wortwahl«, sagte er. »Man soll nicht schlecht über einen Toten sprechen. Noch dazu, wenn es ein Kollege war. Es war nicht immer leicht mit ihm.«

Belu sah den Lehrer aufmerksam an. Der konnte ihn partout nicht leiden, konstatierte sie für sich. Und nicht nur, weil beide auf den Posten des Direktors scharf waren.

»Wissen Sie«, Petermanns linkes Auge zuckte ein bisschen, »früher war Meier nicht so. Da war er eher ruhig und zurückhaltend.«

»Sie kennen ihn schon länger?« Klaus kramte einen Notizblock aus seiner Jackentasche.

»Wir haben vor gut zehn Jahren hier am Hedwig-Gymnasium angefangen. Da wir beide neu waren, haben wir uns, sagen wir solidarisiert. Wir waren jetzt nicht unbedingt die besten Freunde, aber ab zu sind wir sogar einen trinken gegangen. Wir sind gut miteinander ausgekommen. Haben uns geholfen, schon mal Stunden getauscht, wenn es zeitlich passte. Und gequatscht, wenn wir eine gemeinsame Freistunde hatten.«

»Meier war also ein umgänglicher Kollege, mit dem man auch mal was unternehmen konnte. Haben Sie sich auch privat getroffen?«

»Das nicht. Unser Kontakt blieb auf die Schule beschränkt. Ich mochte ihn. Leider hat er sich in den letzten Jahren sehr verändert. Ist zynisch geworden, oft auch wütend. Aber er hatte sich immer gut unter Kontrolle.«

»Wie äußerte sich das?«, hakte Klaus nach.

»Nun, blöde Sprüche, die teilweise verletzend waren. Nicht nur gegenüber Schülern, auch im Lehrerkollegium nahm er kein Blatt vor den Mund. Ich bin mir nicht sicher, ob er immer mit fairen Mitteln gearbeitet hat.«

»Sie meinen, weil Sie sich beide auf den Posten des Direktors beworben haben?«

Petermann schwieg angespannt. Die Ader an seiner linken Schläfe pochte leicht.

»Sorry!« Der Junge, der wieder ins Klassenzimmer eilte, sagte atemlos: »Ich habe was vergessen.« Zielstrebig ging er auf die hintere Bankreihe zu, holte seine Jacke, die über dem Stuhl hing. Und schon war er wieder weg.

»Wer war das?«, fragte Belu.

»Nico Wolfermann. Ein Mathegenie, wie man allgemein hört. Er war in Meiers Mathe-Arbeitsgemeinschaft. Seit einem halben Jahr ist er bei uns an der Schule«, war die Antwort.

»Ach ja, er bekam vorhin den Radiergummi an den Kopf.«

Petermann nickte. Dann schloss er das Fenster und nahm das Klassenbuch an sich.

»Die Schüler haben den Kollegen Meier ganz gut dargestellt. So war er. Ich glaube, eine bessere Beschreibung über seinen Charakter bekommen Sie nicht.«

Petermann nickte den beiden Kommissaren zu und entfernte sich grußlos. Belu und Klaus gingen schweigend zum Parkplatz vor dem Schulgebäude.

»Schon komisch, dass die Schüler sich mehr über die Person Meier ausgelassen haben. Der Mord und unsere Ermittlungen interessierte sie weniger. Keiner hat gefragt, wer es war. Ist dir das auch aufgefallen, Klaus?«

4

Zielstrebig ging Belu nach Verlassen des Schulhauses auf einen BMW zu, der auf dem Lehrerparkplatz abgestellt war. Bewundernd blieb sie stehen. »Geile Karre!« Sie drückte auf ihren Schlüssel und die ersten Takte der Titelmelodie von Agatha-Christie-Filmen ertönte. Man hörte die Filmmusik, in der die Romanfigur Miss Marple ermittelte.

Zufrieden summte Belu mit. Dann drehte sie sich um.

»Schwing dich rein, Kollege, falte dich zusammen.«

Freudig öffnete sie die Türe ihres knallroten Smarts, der neben dem BMW geparkt war, und setzte sich hinters Steuer. Klaus wurde in den Sitz gepresst, als seine Chefin aufs Gas drückte und mit Quietschen auf die Hauptstraße einbog.

»Ich habe keine Lebensversicherung«, schrie Klaus, »bitte fahr sachter.«

»Du weißt doch, wie ich Auto fahre, du Schattenparker«, konterte Belu, »vor allen Dingen, wenn ich mit meinem Privat-Pkw unterwegs bin.«

»Du weißt, dass das nicht …«

»Papperlapapp. Möchtest du mit der gesamten Polizeimontur eine Todesnachricht überbringen? Du bist doch ein Kerl. Seit wann haben Männer Angst beim Autofahren?«

»Wenn jemand so einen Bleifuß hat wie du, werte Chefin, dann bekommt selbst der hartgesottenste Rennfahrer ein flaues Gefühl in der Magengegend. Wo fährst du denn jetzt wieder hin? Links, liiiiinks geht’s nach Ziegelstein, also wirklich: Als der liebe Gott den Orientierungssinn vergab, hast du dich verlaufen.«

Belu schnaubte, bremste scharf, zog das Lenkrad des Smarts nach links. Ein Hupkonzert war die Folge.

»Augen auf im Straßenverkehr«, brüllte Belu. Klaus setzte sich auf seine Hände, um nur ja nicht in Versuchung zu geraten, in das Lenkrad zu greifen. Es ging eine ganze Weile nur geradeaus. Nach etwa zehn Minuten Fahrt schrie Belu so laut, dass Klaus zusammenzuckte: »Ha! Da ist es. Numero 17.«

Frech stellte sie sich mit ihrem roten Smart mitten in eine Einfahrt.

»Auf geht’s, Herr Kollege, setz dein Ich-muss-Ihnen-eine-schlechte-Nachricht-überbringen-Gesicht auf.

»Immer ich«, maulte Klaus.

»Damit du es lernst. Komm, dann haben wir es hinter uns.«

»Sagtest du schon!«

»Dass du aber auch immer das letzte Wort haben musst, Kollege Klausi.«

Ein Brummen war die Antwort.

Sie würde sich wohl nie daran gewöhnen, unangenehme Botschaften zu überbringen. Belu setzte eine ernste Miene auf, während sie die Türglocke betätigte. Lange Zeit tat sich nichts, alles blieb ruhig.

»Die schläft bestimmt noch«, rief eine Stimme vom Nachbargrundstück. »Vor zehn, besser noch vor elf Uhr steht die doch nicht auf.«

Belu ging interessiert ein paar Schritte Richtung Nachbarzaun.

»Darf ich fragen, wer Sie sind?«

»Wenn Sie mir sagen, wer Sie sind«, konterte die weibliche Stimme.

»Kriminalpolizei.«

»Ach so, hätte ja sein können, dass Sie von den Joshuas sind oder einer anderen Sekte. Es ist was passiert, gell? Haben sich die zwei jetzt endlich die Köpfe eingeschlagen?«, fragte die Nachbarin neugierig.

»Wie kommen Sie darauf?« Belu sah die Frau über den Rand ihrer Lesebrille an.

»Wenn die Meiers aneinandergeraten, ist das schöner als der spannendste Krimi. Das ist so laut, das hört man die ganze Straße entlang. Und am nächsten Tag läuft sie mit einer Brille rum. Ich sag’s Ihnen, da geht die Post ab. Erst gestern wieder haben sie sich gestritten. Und dann lassen sie auch noch das Fenster offen, so dass jeder, ob er will oder nicht, mithört. Es hat sogar mal kräftig gescheppert. Geradeso, als wenn was zu Bruch gegangen ist. Hilfe will Frau Meier übrigens nicht, ich habe es ihr schon oft genug angeboten.«

»Wir kommen nachher auf Sie zurück, Frau …?«

»Keeser, Maria Keeser, ich wohne gleich nebenan. Bin sozusagen mitten im Geschehen. Aber sagen Sie, ist etwas passiert?«

Belu nickte. Im selben Moment öffnete sich die Tür und eine Frau mit zerzaustem Haarschopf, gekleidet in einen angegrauten Frotteebademantel, streckte den Kopf heraus. Der Pony hing ihr ungepflegt in die Augen.

»Sind Sie schon wieder am Klatschen, Frau Keeser? Kehren Sie doch Ihren eigenen Dreck weg.«

»Also hören Sie, Sie …«, rief Frau Keeser entrüstet.

»Sie sind Frau Eva Meier?«

Als diese nickte, stellten sich Belu und Hofmockel vor. Beide Kommissare zückten ihre Dienstausweise. Gehen wir doch lieber rein?« Sie ließ den Satz wie eine Frage klingen.

»Wenn es sein muss, dann kommen Sie halt rein. Ich bin noch nicht zum Aufräumen gekommen, habe mich heute Morgen nicht wohl gefühlt, deshalb bin ich liegen geblieben.«

Eva Meier ging vor ins Wohnzimmer. »Nehmen Sie Platz.« Schnell nahm sie einige Bierflaschen und eine halb leere Kognakflasche vom Tisch, trug sie in die angrenzende Küche. Sie kam mit einer kleinen Schaufel und einem Besen wieder. Eilig kehrte sie Scherben weg.

»Die Flasche ist mir runtergefallen«, murmelte sie. Der Rest ihrer Worte ging in Geflüster unter. Geschäftig eilte sie eine Weile zwischen Küche und Wohnzimmer hin und her. Belu und Klaus verfolgten stumm das Geschehen.

Es sah nicht besonders sauber in dem Raum aus. Ein übervoller Aschenbecher stand auf dem Tisch, auf dem man klebrige Ränder erkennen konnte. Brösel lagen auf dem Teppich. In einer Ecke hingen Spinnweben. Auch die Vorhänge hätten dringend einer Wäsche bedurft. Am Fensterbrett standen zwei Blumentöpfe. Das Grünzeug sah schlapp aus. Es juckte Belu in den Fingern, die Pflanzen zu gießen. Eine Vielzahl von Büchern und Zeitschriften lagen verstreut auf den Anrichten, auf der Fensterbank und am Boden.

»Unseretwegen müssen Sie jetzt nicht aufräumen. Bitte setzen Sie sich doch, Frau Meier.« Belu wartete ab, bis die Frau Platz nahm, und zwar auf der Kante ihres Stuhls. Es wirkte, als wäre sie auf dem Sprung. Sie tastete nach der Zigarettenschachtel.

»Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Mann heute Morgen erschlagen in der Turnhalle aufgefunden worden ist.«

Klaus drückte ihr sehr professionell sein Beileid aus.

Eva Meier hielt mitten in ihrer Bewegung inne.

»Diese kleinen Monster.« Sie presste die Lippen aufeinander. Dann nahm sie eine Zigarette aus der Schachtel und fischte ein Feuerzeug aus der Bademanteltasche. Sie inhalierte tief.

Belus feiner Nase war es nicht entgangen, dass Eva Meier nach Alkohol roch. Entweder war es noch Restalkohol, oder sie hatte sich bereits zum Frühstück ein Gläschen genehmigt.

Eva hielt den Morgenmantel am Hals zusammen. Fahrig strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Das war sicher einer seiner Schüler. Martin hat sich immer darüber beklagt, wie faul sie sind, wie frech und wie sehr das Niveau gesunken ist. Vielleicht hat sich einer für eine schlechte Note gerächt? Neulich hat er sogar ein Klappmesser eingezogen.«

»Wissen Sie, wem er das abgenommen hat?«, unterbrach Klaus.

»Woher soll ich das wissen?« Es klang aggressiv. »Mein Mann sagte keinen Namen. Ich kenne seine Schüler sowieso nicht. Richtig aufgegangen ist er nur in seinem Matheleistungskurs. Mathe«, sie schüttelte sich angewidert, »er konnte das gesamte Abendprogramm über die Mathematik bestreiten.«

Klaus zückte sein Notizbuch. »Hat sich Ihr Mann in letzter Zeit speziell über einen Schüler beklagt?«

»Nö, eher so im Allgemeinen. Wollen Sie was trinken?«

Beide Kommissare schüttelten den Kopf. Belu beobachtete Eva Meier genau.

»Ich brauch jetzt was.« Hastig machte sie drei lange Züge aus der Zigarette, sah sich suchend um. Da der Aschenbecher voll war, drückte sie den Glimmstängel auf einem Teller aus. Eine angelaufene Scheibe Salami und ein verwelktes Gürkchen lagen dort. Stillleben mit Zigarette fuhr es Belu durch den Kopf. Wie ekelig!

Eva öffnete den Schrank, in dem sich eine gut sortierte Bar befand. Sie schenkte sich eine weiße Flüssigkeit ein und trank in großen Schlucken. Dabei fiel der Bademantelärmel nach hinten und entblößte Schrammen und blaue Flecken. Es war nur ein Sekundenbruchteil. Eva Meier zog den Ärmel sofort wieder über die Hände. Schenkte sich das Glas erneut zwei Fingerbreit voll.

»Haben Sie jemanden, der sich jetzt um Sie kümmert, der bei Ihnen ist?«

»Ja, ja, keine Sorge, ich komme schon klar.«

»Wir hätten noch einige Fragen an Sie. Dürfen wir Sie bitten, auf’s Präsidium zu kommen? Wenn es Ihnen besser geht«, fügte Belu noch an.

Eva Meier nickte. Dann lachte sie hysterisch auf.

»Erschlagen?«, fragte sie. »Martin hatte heute laut Stundenplan Sport in der ersten Stunde.« Sie lachte unkontrolliert und griff erneut zur Flasche in der Bar. Überlegte es sich aber anders und stellte sowohl Glas als auch Flasche zurück. Sie strauchelte, hielt sich an der geöffneten Schranktür fest.

»Geht es Ihnen gut? Können wir helfen?« Belu eilte auf die Frau zu. Instinktiv ergriff sie deren Arm. Dabei öffnete sich der Morgenmantel, den Eva bisher zugehalten hatte. Hals und Brust waren mit blauen Flecken übersät.

»Lassen Sie mich. Mir geht’s gut.«

Sie streifte Belus Hand von ihrem Arm. »Ich komme morgen früh in Ihr Büro. Lassen Sie mich jetzt alleine, bitte.«

»Selbstverständlich, Frau Meier. Wir würden nur gerne noch einen Blick in das Arbeitszimmer Ihres Mannes werfen.«

»Oben.« Eva Meier deutete mit dem Zeigefinger zur Treppe. »Zweite Türe links.« Sie ließ sich auf das Sofa plumpsen und schloss die Augen.

Belu bedeutete Klaus, mit nach oben zu kommen. Das Arbeitszimmer war, im Gegensatz zum Wohnzimmer, sauber und aufgeräumt. An den Wänden hingen Klassenfotos, die mit Stecknadeln an die Raufasertapete gepinnt waren. Ein überdimensionaler Schreibtisch stand unter dem Fenster, nahm fast den ganzen Raum ein.

»Schau dir mal diesen Chefsessel an. Der ist saubequem.«

Klaus lümmelte sich in das Sitzmöbel und wippte vor und zurück.

»Und ergonomisch ist er auch noch«, sagte er, erhob sich, schob ihn beiseite.

»So einen Stuhl, der sich dem Körper anpasst, könnten wir in unserem Büro auch gebrauchen. Ich werde so einen für uns beide beantragen. Du klagst doch auch immer wieder mal über Rückenschmerzen. Die würden wir sicher in den Griff bekommen«, schmunzelte Belu.

»Ich will lieber einen Ball«, maulte Klaus. Er bückte sich und hob einen Papierschnipsel auf.

»Nix da, dann rollst du den ganzen Tag im Zimmer umher und hopst darauf herum.«

»Es würde meinem Rücken guttun.«

Sie grinsten sich an.

»Was hast du da für einen Schnipsel?«

Belu sah ihrem Kollegen über die Schulter. Dann trat sie an das Bücherregal heran und überschlug kurz, wie viele Bücher wohl hier stehen mochten.

»Eine Nummer«, antwortete Klaus. »Ein Teil einer Telefonnummer vielleicht. Hier ist er abgerissen, siehst du?«

»Tüte ihn ein! Möglicherweise ist der andere Teil im Papierkorb.«

Klaus hob den Korb und tat so, als wollte er ihn sich auf den Kopf setzen. »Leer«, sagte er.

Belu verdrehte die Augen. »Kindskopf!« Mit Blick auf die Bücherregale äußerte sie: »Ein belesener Mann.«

»Als Lehrer musste er das sein«, konterte Klaus.

»Mathebücher, auch jede Menge religiöse Schriften. Schau mal: Religiöses Leben von Anfang an. Und hier: Religiöse Orte, eine Weltreise. Gott in deinem Alltag; ich bin platt. Mathematik und Religion. Den Schülern nach zu urteilen, war er doch recht aufbrausend und autoritär. Passen da religiöse Bücher zu seinem Charakter?« Ein Buch nach dem anderen zog die Kommissarin heraus.

»Schau mal, Belu. Hier sind zwei Regalwände nur mit Mathebüchern. Das war seine Leidenschaft. Und in diesem Regal stehen lauter Bücher über Sport. Leistungssport trainieren, Yoga und autogenes Training, Sport in der Lebensmitte, der effiziente Sportunterricht.« Klaus stellte die Bildbände zurück, nickte anerkennend. »Ein wirklich sachkundiger und gebildeter Mensch.«

»Mag sein. Vielseitig interessiert würde ich sagen.«

Belu öffnete den Laptop, der auf dem Schreibtisch stand, und drückte auf den Einschaltknopf. Eine kurze Melodie erklang. Der Benutzer wurde aufgefordert, sich mit einem Passwort einzuloggen.

»Ob uns der Rechner wohl noch mehr Charaktereigenschaften seines Besitzers offenbart?«, meinte Belu.

»Ich glaube eher, er hat seine Schulaufgaben, samt Löser, abgespeichert. Wir können ihn ja mal mitnehmen.«

Belu nickte, stöpselte das Gerät ab und klemmte sich den Laptop unter den Arm. Ein letzter Blick durch das Zimmer.

Als sie ins Wohnzimmer zurückkamen, lag Eva Meier auf dem Sofa. Sie war eingeschlafen. Ein Bein war angewinkelt, das andere hing über den Rand der Couch. Sie röchelte leise. Der Morgenmantel war nach oben gerutscht und entblößte die mit blauen Flecken übersäten Oberschenkel.

Beide Kommissare sahen sich entsetzt an.

»Frau Meier, bitte wachen Sie auf!« Belu berührte sie leicht an der Schulter. Erschreckt fuhr Eva Meier hoch. Sie leckte sich mit der Zunge über die trockenen Lippen, streckte die Hand aus. Klaus eilte in die Küche, füllte ein Glas mit Wasser und reichte es Eva. Gierig trank sie.

»Und?«, sagte Eva schlaftrunken. Sie sprach den Satz nicht weiter.

»Wir nehmen den Laptop Ihres Mannes mit.« Belu zog einen Quittungsblock aus der Tasche, bescheinigte darauf die Mitnahme des Rechners. Den Durchschlag legte sie auf den Tisch.

»Auf Wiedersehen, Frau Meier. Sollen wir …?« Belu sprach nicht weiter, als sie die abwehrende Haltung Evas wahrnahm. Sie blickte besorgt auf die Frau nieder, die krampfhaft versuchte, den Morgenmantel zusammenzuhalten.

»Nein!«, klang es heftig. »Ich komme zurecht. Gehen Sie jetzt!«

An der Haustür hing ein Stundenplan. »Dienstag, zweite Stunde Sport«, las Belu. Sie fuhr mit dem Zeigefinger die Spalte entlang. »Die zweite Stunde fängt doch dann erst um halb neun Uhr an. Warum war er schon um sieben Uhr in der Schule?«

»Wahrscheinlich musste er noch kopieren oder den Turnsaal herrichten oder er musste noch was vorbereiten, oder, oder«, hielt Klaus dagegen. Nachdenklich zog er die Eingangstür zu. Beide Kommissare wirkten geistesabwesend, als sie zum Smart gingen. Von der Nachbarin war nichts mehr zu sehen. Nur ein Vorhang wackelte verdächtig.

»Du bist so schweigsam, Chefin. Soll ich die Nachbarin jetzt befragen oder später? Die hat bestimmt einiges beobachtet und viel mitbekommen.«

»Später«, kam die knappe Antwort von Belu. »Hast du gesehen, wie viele blaue Flecken Eva Meier an Brust, Hals und Oberschenkel hat? Und die Kratzer an der Hand? Es sieht so aus, als wenn sie geschlagen wurde. Kein Wunder, dass die schon morgens einen Drink braucht, sonst übersteht sie den Tag nicht.«

»Chefin! Martin Meier ist das Mordopfer – wir ermitteln seinen Mörder!« Klaus zog das Wort seinen in die Länge. Belu betätigte die Fernbedienung und Miss Marple öffnete die Türen des Smarts. Klaus bekreuzigte sich und ließ sich in den Sitz hineinplumpsen.

»Und, legen wir wieder einen Kavalierstart hin, liebste Chefin?«

Belu antwortete nicht. Sie fuhr langsam los und ordnete sich diszipliniert in den laufenden Verkehr ein. Klaus wusste, dass dies ein untrügliches Zeichen dafür war, dass Belus Gehirnwindungen auf Hochtouren arbeiteten. Er verkniff sich einen weiteren Kommentar und schwieg lieber. Wenn Belu ihren heißgeliebten Smart mehr trug als fuhr, dann war was im Busch. Aber vorerst wollte Belu ihre Gedanken wohl für sich behalten.

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
Объем:
251 стр. 2 иллюстрации
ISBN:
9783941935563
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