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Dienstag

Frank und Klara standen ratlos im Frühstücksraum. Von Frau Steenken keine Spur. Waren die Tische hier reserviert oder durften sie sich einen aussuchen?

Klara hatte selten einen Raum gesehen, der einen wohnlicheren Eindruck machte. Helle Rattansessel standen um die Tische, die mit blauen Decken und blau-weißen Sets geschmückt waren. In den Fenstern standen maritime Dekoartikel, die in Klaras Augen schon fast Kunstwerke waren, denn sie hatten keinerlei Ähnlichkeit mit den üblichen Holzmöwen und Leuchttürmen, die allerorts zu finden waren. Auch das Frühstücksgeschirr passte in seiner schlichten Fröhlichkeit zu der guten Laune, die dieser Raum ausstrahlte.

»Dieser Tisch ist frei.« Eine braun gebrannte und sehr blonde Frau winkte zu Klara und Frank hinüber. »Müllers sind gestern gefahren, und die haben immer hier gesessen. Frau Steenken kommt sofort wieder. Sie holt Kakao für unsere Jungs.«

»Kakao, Kakao«, schallten wie ein Echo zwei Kinderstimmen hinterher.

»Kevin, Mark. Ruhe im Karton. Toben könnt ihr nachher am Strand.«

Aha, die Mutter. Aber dass Toben am Strand eine realistische Idee war, wagte Klara zu bezweifeln. Es regnete in Strömen. Schon am Abend, als Frank und sie zum Essen gegangen – nein, gelaufen – waren, hatte es wie aus Kübeln geschüttet. Als sie dann auf ihr Essen gewartet hatten, waren Blitz und Donner einander rasch gefolgt. Manchmal hatte es so geknallt, dass sie ihr eigenes Wort nicht verstehen konnten. Trotzdem war es sehr gemütlich gewesen. Sie hatte sich gut mit ihrem Kollegen unterhalten. Bis sie wieder in ihrer Wohnung angekommen waren. Da hatte sie ein Machtwort sprechen müssen.

Frank hatte mit einem wütenden Schnauben akzeptiert, dass der Abend an dieser Stelle beendet war. Doch dann hatte er ihr sogar das Schlafzimmer überlassen. Als sie morgens aufgestanden war, hatte er bereits fix und fertig angezogen auf dem Sofa vor dem Fernseher gesessen und das Morgenmagazin geschaut. Genauer gesagt ihren Lieblingsmoderator fürs Metereologische, Ben Wettervogel. Schon vor dem Frühstück bekam sie bei diesem Namen manchmal einen hysterischen Lach­anfall. Wie kann man sich nur freiwillig solch einen Namen zulegen?, dachte sie jedes Mal und überlegte, ob es für ihren Berufszweig nicht etwas Ähnliches gäbe. Etwa wie: Micki Immobiber, Ela Bauuntermite oder so. Sie würde darüber weiter nachdenken.

Es dauerte nicht lange, da kam ihre Vermieterin mit zwei Bechern dampfenden Kakaos in den Frühstücksraum. Heißer Kakao mitten im Sommer? Klara konnte es nicht glauben. Aber die beiden Jungs griffen sofort danach. Selbst ein »Vorsicht, heiß!« seitens der Mutter konnte sie nicht bremsen. Also hatte wohl alles so seine Richtigkeit. Eigentlich ging es sie auch gar nichts an.

»Guten Morgen, Frau Ufken, guten Morgen, Herr Visser. Was darf ich Ihnen bringen?«, begrüßte Frau Steenken sie freundlich und zeigte ihnen den für sie reservierten Tisch. Tatsächlich war es der, an dem Müllers immer gesessen hatten.

Nachdem sie ihre Getränkewünsche genannt hatten, begutachteten sie das Buffet. Alle Achtung. Ob Wurst, Käse, Butter oder Brot – alles in Bioqualität. Zumindest wenn man dem Hinweis glauben durfte, der neben dem Brotkorb stand. Klara war glücklich. So was fand man heutzutage viel zu selten. So konnte sie unbeschwert ihr Frühstück genießen. Sie würde gleich danach Sonja davon erzählen.

Ihre Freundin hatte sie erst auf den Bio-Trip gebracht. Früher war es Klara völlig egal gewesen, was sie in sich hineingeschaufelt hatte. Jetzt achteten beide sehr darauf, sich ausgewogen und gesund zu ernähren. Seitdem fühlte Klara sich viel fitter als vorher. Der kleine Bioladen in der Nähe ihrer Wohnung war ihnen ein beliebtes Anlaufziel geworden. Dort wurde man persönlich bedient, mit Namen angesprochen. Zu den Produkten gab es oft hilfreiche Erklärungen über die Anbaugebiete der verschiedenen Obst- und Gemüsesorten und Rezepte für leckere vegetarische Gerichte. Auch an der Fleischtheke hatte sie stets das Gefühl, dass die Mitarbeiterinnen mit besonderer Ehrfurcht vor den Lebensmitteln ihre Ware anpriesen.

»Um diesen Bio-Kram wird viel zu viel Heckmeck gemacht«, hörte sie Franks Stimme leise an ihrem Ohr, als sie sich gerade eine Scheibe Kochschinken neben ihr Rührei legte.

»Ich finde es wunderbar und genieße es einfach«, erwiderte sie. »Glaube mir: Früher oder später kommt jeder darauf.«

»Klar, du musst es nur bezahlen können. Bioprodukte sind doch immer so verdammt teuer.«

Klara schaute Frank prüfend an. »Du mit deinem Gehalt bei Wybrands wirst dir das gerade noch erlauben können, oder?«

»Womit wir wieder bei unserem Hauptthema wären. Herr Wybrands und sein Projekt. Werde mich gleich mal ein wenig mit der Chefin hier unterhalten«, flüsterte er ihr zu. Dann setzte er seinen Teller, übervoll mit allem, was das Buffet zu bieten hatte, vor sich auf den Frühstückstisch.

Klara schauderte. Hatte der noch nie gehört, dass man ein zweites Mal gehen konnte? Unglaublich! Aber vielleicht war das nur der Anfang und er würde tatsächlich noch weitere Male das Buffet abräumen. Sie schaute auf die Uhr. Zwei Stunden Zeit bis zum Termin beim Bürgermeister. Das konnte sich hinziehen.

Inzwischen hatte Frau Steenken alle Hände voll zu tun. Kevin, Mark und ihre Eltern hatten das Frühstück inzwischen weitgehend beendet, doch neue Gäste hatten an den anderen Tischen Platz genommen. So blieb es erst einmal bei dem Wunsch, Frau Steenken in ein Gespräch zu verwickeln.

Klara konnte es kaum ertragen zu sehen, wie Frank sich über das Essen hermachte. Rührei, Marmeladenbrötchen, dann eine Lage Lachs. Noch ein Körnerbrötchen, bevor er sich ein Spiegelei bestellte. Dazu hatte er sich bereits die fünfte Tasse Kaffee eingegossen. Seine Laune, die gestern nach der Abfuhr von ihr nicht die beste gewesen war, hob sich mit jedem Bissen. Wenigstens das. Wie leicht Männer doch zufriedenzustellen sind, dachte sie säuerlich.

Dann hielt Klara es nicht mehr aus. »Ich gehe schon mal und mache mich startklar«, sagte sie und schob energisch ihren Stuhl zur Seite.

Frank schaute sie erstaunt an. »Was soll das denn jetzt? Wir wollten doch …«

»Das erledigst du, wenn sich die Gelegenheit bietet. Ich mache mich schick für den Bürgermeister.« Fast fluchtartig verließ sie den Frühstücksraum, der von den Stimmen der Gäste und von der wieder hereinströmenden feuchten Wärme nur so brodelte.

*

Nachdem Frank Visser sein ausgedehntes Frühstück beendet hatte, blieb er noch sitzen. Er hoffte, dass Frau Steenken wieder auftauchte. Sie hatte sich schon ein paar Minuten nicht blicken lassen.

Er nahm sich den Ostfriesischen Kurier, den die Vermieterin neben das Buffet gelegt hatte, und blätterte ihn durch. Sein Blick blieb auf einer Schlagzeile hängen: Bauunternehmer wegen dubioser Geschäfte demnächst vor Gericht. Ein Bauunternehmer aus Aurich wird beschuldigt, staatliche Gelder für Sanierungen denkmalgeschützter Häuser kassiert zu haben, die gar nicht unter …

Sein Interesse ließ nach. Die Firma seines Vaters hatte zwar ihren Sitz in Aurich, aber sein Vater sanierte nicht, er riss ab und baute neu. Meistens jedenfalls. Trotzdem, das war ein Ding! Er würde seinen Vater demnächst fragen, um welchen Mitbewerber es sich dabei handelte.

Langsam wurde Frank Visser unruhig. Er faltete die Zeitung zusammen und überlegte, wo Frau Steenken stecken konnte. In der Küche wahrscheinlich. Er hatte zwar keine Ahnung, wo in diesem Haus die Küche war, und was er seiner Vermieterin als Grund für sein Auftauchen verkaufen sollte, aber er musste sich etwas einfallen lassen. Der Plan sah vor, dass sie erst mit der Frau und dann mit dem Bürgermeister sprachen. Und dass der Plan eingehalten würde, dafür würde er sorgen. Mochte sich seine Kollegin doch stylen. Für das Gespräch mit dem Bürgermeister vielleicht gar nicht schlecht. Er selbst würde davon vermutlich während ihres Aufenthaltes nicht profitieren. Das hatte sie ihm am Abend zuvor deutlich klargemacht. Was war er sauer gewesen! Noch immer nagte an ihm, dass Klara eine Frau ihm vorzog. Eigentlich unglaublich! Aber er hatte sich nichts anmerken lassen, und er würde sicher nicht aufgeben. Neuer Abend, neues Glück.

»Hallo, ist hier jemand?« Vorsichtig öffnete er die Tür, hinter der er die Küche vermutete. Volltreffer. »Frau Steenken?«

Er machte einen Schritt in den Raum, und da war sie wieder. Sein Engel von der Liege. Sie stand vor der offenen Spülmaschine und blickte aus dem Fenster. Dann drehte sie sich langsam um und lächelte ihn an.

»Hallo, wir kennen uns von gestern«, sagte er beinahe behutsam. »Möchten Sie mir nicht sagen, wie Sie heißen?« Er erhielt keine Antwort. Warum sprach sie nicht mit ihm? Was hatte das zu bedeuten? Jeder Mensch sagte doch was, wenn er freundlich angesprochen wurde. Er war doch freundlich gewesen!

»Kann ich Ihnen helfen?«

Frank zuckte zusammen.

»Herr Visser, was kann ich für Sie tun?« Margot Steen­ken hatte sich an ihm vorbei in die Küche geschoben, schaute zuerst ihre Tochter an, die selig lächelte, dann schickte sie einen unruhigen Blick zu ihm.

Er war gespannt. Jetzt würde sie bestimmt erklären, wer die stumme, wunderhübsche Frau war, die langsam Tasse für Tasse in die Spülmaschine stellte.

Aber nichts! Frau Steenken stellte sie nicht vor, und er wagte nicht zu fragen. Er durfte die Vermieterin keinesfalls schon verärgern, bevor das Gespräch überhaupt angefangen hatte. Frank hatte wichtige Dinge mit ihr zu besprechen. Er wollte seinem Vater unbedingt zeigen, dass er ein Siegertyp war. Denn das war es, was sein Vater von ihm erwartete.

»Also, eigentlich …«, stotterte er. »Also eigentlich geht es nur um eine – wie soll ich mal sagen? – ausgefallene Frage. Wir hörten gestern auf der Straße ein Gespräch. Da bekamen Frau Ufken und ich mit, dass Ihnen ein altes leerstehendes Haus im Ostdorf gehört. Und wir – ja, wir sind schon so lange auf der Suche nach einem dieser Häuser. Da haben wir gedacht, was für ein Zufall, da fragen wir einfach mal.« Er war stolz auf sich, wie er mit leichtem Zittern in der Stimme den Schüchternen gab.

»Dann fragen Sie doch mal. Aber wenn Sie fragen wollen, ob es zu verkaufen ist, dann sollten Sie mit meinem Mann reden. Er kümmert sich darum«, sagte Margot Steenken entschieden.

»Sie meinen, dass das Zweck hat? Ihr Mann würde mich nicht auf der Stelle rausschmeißen?« Frank merkte, wie sich trotz aller Coolness, die er für sich beanspruchte, Aufregung in ihm breitmachte.

»Warum sollte er? Mein Mann ist ein sehr freundlicher Mensch. Mehr als Nein sagen kann er nicht, oder? So, jetzt habe ich zu tun. Die Arbeit macht sich nicht von alleine, wie es so schön heißt. Übrigens – am späten Nachmittag ist mein Mann wieder zu Hause. So lange müssen Sie sich gedulden.«

Es war an der Zeit zu gehen. Zu gerne hätte er jedoch noch gewusst, wer das Mädchen war, das einfach nicht mit ihm sprechen wollte. Er musste es wissen! Zumal sie ihn nun schon seit seinem Eintreffen ununterbrochen angeschaut, die Tassen immer langsamer eingeräumt und es dann schließlich ganz gelassen hatte.

»Entschuldigen Sie, Frau Steenken, darf ich noch eine Frage stellen?« Er blickte zu der jungen Frau hinüber, deren Gesicht inzwischen eine aufgeregt rote Farbe angenommen hatte. »Bitte sagen Sie mir, wer dieser Engel ist. Sie möchte mir keine Antwort geben.«

Kurze Zeit schwieg Frau Steenken, dann sagte sie: »Wenn sie Ihnen keine Antwort geben möchte, dann wird das wohl so sein. Nun muss ich wirklich die Frühstückstische abräumen.«

Verwundert registrierte er, dass sich in ihre immer noch freundliche Stimme ein klirrender Ton eingeschlichen hatte. Fürs Erste würde er es aufgeben. Fürs Erste. Er würde den Engel schon zum Reden bringen. Und noch zu ganz anderen Dingen.

Beschwingt lief Frank hinauf zur Wohnung. Das ging ja alles in allem leichter als gedacht. Jetzt noch ein wenig Druck beim Bürgermeister machen, dann war die Aufgabe, die ihnen sein Vater aufgetragen hatte, in trockenen Tüchern.

Klara sah atemberaubend aus. Wenn der erste Mann der Insel da nicht schwach wurde … Dazu noch Franks unschlagbare Argumente, wer konnte da noch Nein sagen? Fast wäre ihm ein Kompliment rausgerutscht, als er seine Kollegin mit ihrer knappen weißen Bluse und dem schmalen Rock vor sich stehen sah. Dann fiel ihm ein, dass er eigentlich noch ein wenig sauer war und außerdem das Kompliment eines Mannes vermutlich so viel Eindruck bei ihr hinterlassen würde wie Ameisenfußstapfen im Urwald. So sagte er nur: »Gehen wir. Es scheint gerade trocken zu sein.«

Als sie vor die Tür traten, schickte die Sonne tatsächlich schon wieder ein paar vereinzelte Strahlen aus einem ansonsten noch wolkenverhangenen Himmel und ließ ahnen, dass dieser Tag wieder warm werden würde.

»Schau mal, du wirst beobachtet.«

Frank schrak zusammen. »Wieso?«, fragte er irritiert.

»Nicht wieso, sondern von wem, müsste die Frage lauten, Kollege«, erwiderte Klara vergnügt und zeigte auf ein Fenster im ersten Stock ihrer Pension.

Da stand sie wieder. Winkte und lächelte.

»Du glaubst wohl, zwei Eisen im Feuer sind besser als keins?«, lachte Klara.

»Ach was, ich weiß nicht mal, wie sie heißt. Sie verrät mir ihren Namen ja nicht«, sagte er vorwurfsvoll. »Ist echt nicht mein Glücksaufenthalt hier«, maulte er. »Aber gleich, den BM, den kochen wir uns weich. Da gibt’s Erfolg auf der ganzen Linie.«

»Wir sollen nur vorsichtig unsere Fühler ausstrecken. Und die Sache mit den Elektrokarren ansprechen. Sonst nichts. Vergiss das nicht. Den Erfolg wird dann unser Chef einstecken. So läuft die Abwicklung.«

»Ja, ja, ist schon gut. Wir breiten den roten Teppich aus für unseren Chef. Wie sich das gehört.« Langsam reichte es ihm. Er wollte das Ding unter Dach und Fach bringen und seinen Vater beeindrucken, nicht mit eingezogenem Schwanz vor seiner Tür stehen. Er lachte auf. Im wahrsten Sinne des Wortes …

Was hatte die Sekretärin gesagt? Erst durch die erste Glastür, dann durch die zweite, dann bis zum Ende des Ganges.

Er klopfte und hörte gleich darauf ein resolutes »Her­ein«.

»Der Chef wartet schon.« Die Frau im Vorzimmer des Bürgermeisters verschwand beinahe hinter dicken Akten­stapeln. Sie zeigte auf eine schwere Holztür. »Gehen Sie man hinein.«

Als Frank die Tür öffnete, fiel sein Blick sofort auf die mächtige Erscheinung, die hinter einem mächtigen Schreibtisch thronte. Zwei winzige Schweinsäuglein blickten die beiden aus einem kugelrunden roten Gesicht an. Der Mann hat es gut, dachte Frank mit einem Blick auf die spiegelblanke Glatze, die nur knapp von ein paar Büscheln fettiger Haare eingerahmt wurde. Der muss morgens seine Zeit wenigstens nicht mit Kämmen vergeuden. Zumindest hat der heute Morgen diese Zeit nicht aufgewendet. Eindeutig!

Der Mann saß zurückgelehnt in einem riesigen Bürostuhl, der bei jedem Wippen leise quietschte, und hatte die Hände über seinem Bauch gefaltet. »Enno Lohmann, wie Sie sicher wissen. Was kann ich für Sie tun, meine Herrschaften? Sie wissen ja, für den Gast das Beste, nicht wahr?«

Frank merkte, wie sich der Blick des Bürgermeisters an der Bluse seiner Kollegin festfraß.

»Fühlen Sie sich wohl? Traumhaftes Wetter, nicht wahr?«

»Herr Lohmann, wir sind nicht als Gäste hier, sondern wir sind Mitarbeiter der Firma Wybrands und möchten Sie sehr herzlich von meinem, äh, unserem Chef grüßen.«

Er sah, wie sich die Miene des Bürgermeisters unwillig verzog. »Ach, da hat mich meine Sekretärin wieder völlig falsch unterrichtet. Was will man verlangen.« Dann fuhr Lohmann weinerlich fort: »So, so, früher kam Wybrands noch selber vorbei. Jetzt schickt er Unter…« Er stockte kurz. »Allerdings, wenn die Mitarbeiter so nett sind wie Sie, soll es mir recht sein.« Er hatte seine fleischigen Unterarme auf den Schreibtisch gelegt und säuselte mit schmachtenden Blicken zu Klara: »Nehmen Sie Platz, meine Herrschaften, nehmen Sie Platz.«

Frank drohte der Kragen zu platzen, noch bevor das Gespräch angefangen hatte. Was für einen blöden Typen hatten sich die Insulaner da denn an den Hals geholt? Was bildete der sich eigentlich ein? Frank fühlte sich unwohl. Zudem kroch ein süßlich-scharfer Geruch in seine Nase. Er merkte, dass es Klara ebenso ging, und wünschte sich sehnlichst, hier ganz schnell wieder rauszukommen. Er öffnete seine Ledertasche, entnahm ihr eine flache Schachtel und legte sie auf den Schreibtisch.

Mit einer Geschwindigkeit, die Frank dem Mann niemals zugetraut hätte, griff Lohmann danach und öffnete sie ungeduldig. »Blinker! Mein Gott, wie schön!« Seine Augen schienen noch tiefer in den speckigen Falten seines Gesichtes zu verschwinden. »Habe ich Ihnen schon von meinem letzten Fang …«

Frank und Klara schüttelten gleichzeitig den Kopf.

»Im Herbst will ich wieder auf Hecht und Zander. Tolles Erlebnis. Schau’n Se mal!« Er drehte sich um und zeigte auf einen Fischkopf, der sie mit großen Glasaugen von der Wand her anstarrte. »Ossiacher See. Vor zwei Jahren. Super Urlaub.«

»Und – was machen Sie außer Präparieren mit dem Fisch? Essen?«, fragte Klara interessiert.

»Man kann natürlich nicht alles essen oder präparieren, was man fängt. Also verrate ich Ihnen ein Geheimnis.« Er beugte sich, soweit es sein Bauch zuließ, noch ein wenig mehr über den Schreibtisch. »In die Tonne, gute Frau. In die Tonne. Was sonst? Geht schließlich um den Spaß«, lächelte Lohmann und spielte mit den Blinkern. »Ihr Chef … Klasse Mann übrigens. Hat Biss. Dass der sich noch daran erinnert hat, dass ich ihm neulich mal kurz von meiner Leidenschaft erzählt habe … Angeln ist nämlich eine Leidenschaft. Nicht nur bei Fischen …« Der Bürgermeister starrte wieder schmachtend auf Klaras Ausschnitt.

Frank schob seinen Stuhl nach hinten. Er musste raus. Es war unerträglich mit diesem Kerl in einem Raum.

Doch Klara hielt ihn mit einer knappen Bewegung zurück. »Herr Lohmann, wir würden Sie gerne um Rat fragen. Bezüglich eines neuen großen Projektes, bei dem wir Ihre Mithilfe benötigen. Es geht um die Anschaffung von Elektrokarren.«

*

»Unglaublich«, stöhnte Klara. »Das war das widerlichste Gespräch meiner Laufbahn. Dieser Ekelkerl hat mich echt fertiggemacht. Wie der mich angestarrt hat. Grauen­haft!« Sie ließ sich auf eine Bank neben der Inselglocke fallen und atmete tief durch. »Aber immerhin zeigte er sich nicht abgeneigt, das Ding mit uns durchzuziehen.«

»Moment, Moment.« Frank blieb stehen und öffnete die ersten drei Knöpfe seines Oberhemdes. Er hatte sein dünnstes Sakko angezogen, trotzdem lief ihm der Schweiß vom Nacken direkt am Rücken herunter. »Wir wissen in Wirklichkeit gar nichts. Die ganze Zeit hat er uns mit seinen Angelstorys vollgesülzt. Da hat der Chef wirklich ’ne ideale Idee gehabt mit seinen Blinkern. Tolle Vorlage! Aber dieser Gestank in dem Büro – möchte echt gern wissen, wo der herkam.«

Klara rieb sich mit einem Taschentuch über die Stirn. »Wahrscheinlich stinkt der Kerl selber so scheußlich. Wenn man den lieben langen Tag mit totem Fisch zu tun hat, dann bleibt das nicht aus. Mir würde schon reichen zu wissen, dass ich diesem Typen nie wieder begegnen muss. Aber das wird ein schöner Traum bleiben, wenn der Chef den Hotelneubau durchzieht.«

»Ich glaube nicht mal, dass dieser Knallkopp sich auch nur ansatzweise dafür interessiert hat, was wir von ihm wollten.« Frank lief aufgebracht vor Klaras Bank hin und her. Er merkte nicht, dass ein paar Gäste neugierig in ihre Richtung schauten. Die saßen entspannt auf dem Rasenstück vor dem hölzernen Gerüst mit der kleinen Schiffsglocke.

»Versieh dich nicht«, entgegnete Klara. »Ich glaube, der hat lediglich eine in seinen Augen grandiose Schau abgezogen. Um Wybrands im Ungewissen zu lassen und damit seinen eigenen Marktwert zu steigern.«

Ungläubig starrte Frank sie an. »Meinst du das wirklich? So viel Intelligenz hätte ich bei dem gar nicht vermutet.«

»Nicht Intelligenz. Bauernschläue. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.« Es wunderte Klara nicht, dass sie bei diesem Satz das Gesicht ihres Chefs vor Augen sah. Obwohl – dumm war Wybrands nicht. Sonst wäre sie sicher nicht mehr bei ihm. Sie konnte dumme Menschen einfach nicht ausstehen.

»Ich bin mir sicher, der hat uns – aus welchen Gründen auch immer – vor die Wand fahren lassen«, überlegte Frank. »Vielleicht hat er bereits ein Angebot im Schreibtisch liegen. Wybrands wird sicher nicht sehr erbaut sein. Ich denke, ich werde morgen einfach noch einmal um einen Termin bei Lohmann bitten.«

»Mach, was du willst. Nach meiner Meinung haben wir unsere Aufgabe erledigt, was den Bürgermeister anbelangt. ›Vorfühlen‹ hat der Chef gesagt. Das haben wir gemacht. Der Rest ist sein Bier. Wir müssen uns jetzt um Steenken kümmern und um die beiden Häuser, die der Chef sich ausgeguckt hat. Und nicht zu vergessen: den Touristentest machen.« Klara bemerkte Franks fragenden Blick und lachte. »Na ja, wie der Strand beschaffen ist, ob das Wasser warm ist und so weiter.«

Frank lächelte verhalten zurück. »Mach du man. Ich kümmere mich um das Geschäft. Was ist, willst du gleich runter zum Strand oder erst mit zur Pension gehen?«

»Ich muss mich umziehen. Natürlich komme ich mit.« Klara stand auf und versuchte mit den immer noch aufgebracht energischen Schritten ihres Kollegen mitzuhalten.

Eigentlich war ihr gar nicht klar, warum sie beide jetzt noch auf der Insel bleiben sollten. Zumal ihr Chef ihnen keine Handlungsvollmachten mit auf den Weg gegeben hatte. Es reichte völlig, wenn einer vor Ort blieb und mit den Steenkens sprach. Und da Frank bereits Kontakt aufgenommen hatte, konnte der das durchziehen. So wäre sie schon viel eher wieder bei ihrer Freundin und am Baggersee. Aber sie würde einen Teufel tun und Frank hier alleine die Lorbeeren einheimsen lassen.

Allerdings hatte sie keine sinnvolle Idee, wie sie ihm zuvorkommen konnte. Sollte sie selbst noch mal mit diesem schmierigen Bürgermeister reden? Vermutlich würde sie nicht heile aus seinem Zimmer wieder rauskommen. Lieber nicht. Da wäre es sinnvoller, wenn Frank ihr das Gespräch mit Steenken überlassen würde. Aber ihr Kollege würde sicher im Traum nicht daran denken, zumal sie ihn am Abend zuvor so abserviert hatte.

Nun ja, ein kleiner Vorstoß konnte nicht schaden. »Sag mal, soll ich mit unserem Vermieter reden? So von Frau zu Mann?«

»Was soll das denn jetzt? Ich dachte, du willst zum Strand und dich auf Kosten meines … äh … unseres Chefs bräunen lassen?« Franks Stimme troff vor Zynismus. »Danke nein. Das mache ich schon. Wir können uns ja nachher zum Abendessen treffen, und ich erzähle dir von meinen Erfolgen.«

»Weißt du was? Du kannst mich mal. Wir sollen das hier zusammen durchziehen, hat der Chef gesagt. Da war von Alleingang nicht die Rede.« Klara ignorierte völlig, dass sie gerade noch über Heimkehr und Baggerseen sinniert hatte.

»Von einem Alleingang an den Strand genauso wenig«, war Franks prompte Entgegnung. »Ich schlage vor, wir passen uns erst einmal dem Wetter an. Wir machen gemeinsam Strandpause. So kannst du auf mich und ich auf dich aufpassen. Danach werden wir zum Angriff blasen.«

Klara stöhnte innerlich auf. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Hoffentlich fing der nicht wieder an zu baggern. So nett nebeneinander auf den Badehandtüchern … Wäre doch bloß Sonja hier! Andererseits war es nicht schlecht, den Typen im Auge zu haben. Sie nickte. »Okay. So machen wir’s. Also Badeklamotten an und los.«

*

Jedes Körnchen Sand schien belegt, als sie am Strandabgang beim Strandhotel Wietjes ankamen. »Dabei sind die Tagesgäste mit ihren Strandmuscheln noch gar nicht da«, bemerkte Klara mit einem Blick auf ihre Uhr. »Das Schiff kommt gleich erst an. Wo sollen wir denn hin?«

»Lass uns hier vorne bleiben. Zum Badestrand ist es nicht weit, und ich habe echt keine Lust, so lange durch den Sand zu stapfen.« Frank lief die Schräge hin­unter, dann ein paar Meter nach rechts. Er zog seine Sachen aus und ließ sich elegant auf sein Badehandtuch gleiten. Klara wäre liebend gerne weiter am Strand entlanggegangen und hätte sich erst hinter den weißen Körben in den Sand fallen lassen, aber sie wollte ihren Kollegen nicht schon wieder verärgern. So entspannt, wie es ihr eben möglich war, machte sie es sich neben ihm gemütlich.

»Sehen wir nicht wie ein glückliches junges Paar aus?«, holte Franks Stimme sie aus ihren Träumen. »Es könnte alles so schön sein. Du und ich. Die Firma …«

Halt die Klappe, dachte Klara und murmelte: »Verlorene Liebesmüh, mein Bester. So, nun lass mich schlafen.«

»Okay. Aber nur, wenn ich meinen Arm um dich legen darf.«

»Untersteh dich. Ich will meine Ruhe haben.« Klara war drauf und dran, mindestens einen Meter Abstand zwischen sich und Frank zu schaffen, kam sich dann aber ziemlich blöd vor. Was sollte hier in der Öffentlichkeit schon passieren, außer dass sie ihm noch einmal ganz klare Grenzen aufzeigen musste.

Sie schloss die Augen und war gerade weggedummelt, als sie von einem Schatten geweckt wurde, der sich zwischen sie und die Sonne geschoben hatte.

Sie schoss hoch und merkte dabei, wie Franks Hand von ihrem Bauch rutschte. Auch er war durch ihre ungestüme Bewegung aufgeschreckt und saß aufrecht auf seinem Handtuch. Zwischen ihnen stand Sonja mit wutverzerrtem Gesicht.

*

Der Gedanke ließ ihn nicht los. Eine Genossenschaft. Was er gestern beim Abendessen so dahingesagt hatte, erschien ihm plötzlich als Lösung aller Probleme. Er schnallte seinen Rucksack ab und stellte ihn vor das Regal mit den Aktenordnern. Ein leises Klirren erinnerte ihn daran, dass er die Flasche mit dem Feierabendschluck dabeihatte.

Margot hatte ihm mit erst kritischem, dann aber beifälligem Blick ihr Okay gegeben. »Prima gelungen«, hatte sie gesagt. »Farbe, Duft und Geschmack – einfach perfekt.« Aber ein Name für seinen Likör war ihr auch nicht eingefallen.

Nebenan klappte eine Tür. Gleich darauf schlug die Verbindungstür zwischen den beiden Büros auf. War das etwa sein Kollege? Der lag doch angeblich mit Grippe im Bett. »Georg, bist du das?«

Georg Hanefeld steckte seinen Kopf zur Tür herein. »Hatte keine Lust mehr. Geht mir schon viel besser. Da wirste doch verrückt, bei dem Wetter auf der Couch und die anderen surfen. Nicht zum Aushalten. Und wer zum Strand will, muss auch arbeiten können. Außerdem darf ich gar nicht daran denken, wie viele Motive mir flöten gehen.«

Arnold Steenken nickte. »Dass du dir nur keinen Rückfall holst. Mit so was ist nicht zu spaßen. Die Motive für deine Knipserei werden dir bestimmt nicht ausgehen.«

»Wann wirst du endlich lernen, dass das, was ich mache, Kunst ist?«, antwortete Hanefeld ärgerlich. »Schließlich habe ich mit meinen Fotografien schon eine eigene Ausstellung gehabt.«

»War doch nur ein Scherz«, beruhigte Arnold ihn. »Ich weiß, wie gut deine Bilder sind. Was übrigens deine Gesundheit angeht: Als wenn ich es geahnt hätte, habe ich eine neue Flasche mitgebracht. Sanddornkräuterbitter. Hilft in allen Lebenslagen.«

Georg Hanefeld lachte. »Na gut. Einen darf ich nachher wohl. Und du erzählst mir, was in der Zwischenzeit hier alles passiert ist, okay? Eine Woche von der Außen­welt abgeschnitten zu sein, ist schrecklich. Aber zuerst – wie geht es meiner Göttin?«

»Hilda geht es gut«, antwortete Arnold. »Danke der Nachfrage. Und das soll möglichst so bleiben. Also anderes Thema. Nicht mitzubekommen, was hier passiert – das kann Fluch und Segen zugleich sein auf dieser Insel. Aber ich bringe dich gerne auf den neuesten Stand.« Noch immer hatte er Wut im Bauch, wenn er an seinen Chef dachte. So fing sein Bericht genau mit diesem Thema an.

Hanefeld schaute ihn sprachlos an. Dann fragte er: »Das hat der wirklich zu dir gesagt?«

Arnold nickte. »Das reicht für eine Dienstaufsichts­beschwerde, das ist mal sicher!«

»Aber wo wir gerade beim Thema sind: Was wollt ihr eigentlich mit eurer neuen Gruppierung bewegen?«

Arnold zögerte. Er hatte bis Donnerstag Stillschweigen versprochen. Doch es würde wohl nicht schaden, wenn er seinem Kollegen die Ziele erklärte. »Also pass auf. Wir wollen die alten Werte erhalten. Das heißt praktisch: Wir wollen zum Beispiel wieder Plattdeutschunterricht in der Schule anbieten. Welches Insulanerkind spricht denn heute noch Plattdeutsch? Ganz zu schweigen von den vielen zugezogenen Erwachsenen. Dann das Thema Baltrumcard. Jeder, der auf die Insel kommt, soll so ein Ding kaufen. Ich könnte in die Luft gehen, wenn ich daran denke, dass für die Kontrolle der Baltrumer Gäste das gesamte Hafengebiet abgesperrt werden muss. Damit auch bloß keiner entwischt.«

»Ich finde die Idee gar nicht schlecht. So kann uns wenigstens keiner mehr durch die Lappen gehen, ohne Kurtaxe bezahlt zu haben«, erwiderte Hanefeld eifrig.

»Aber um welchen Preis?«, antwortete Arnold bitter und fuhr dann fort: »Neues Thema. Wir wollen, dass die wenigen alten Insulanerhäuser, die es noch gibt, erhalten werden – und nicht, dass Luxushotels an deren Stelle gebaut werden. Das passt hier einfach nicht hin. Dazu habe ich mir übrigens was überlegt.« Arnold erzählte Hanefeld von seinem Plan, gemeinschaftlich die beiden Häuser zu kaufen. »Zusammen mit meinem wäre das nach der Renovierung ein wunderbarer Anblick. Dann wollen wir …«

»Halt mal eben die Luft an, Arnold«, unterbrach Hanefeld. »Ihr könnt euch nicht ganz und gar dem Fortschritt verschließen. Deine Idee mit den kleinen Häusern ist gut und schön, klingt mir aber eher nach Museumsdorf. Was uns hier fehlt, ist ein Superluxus-Wellnesshotel mit allen Schikanen. Damit auch mal ein paar reichere Bürger auf die Idee kommen, ihr Geld hierzulassen. Wir müssen vorwärtsschauen, nicht zurück.«

»Nur – was heißt vorwärts? Das ist doch die Frage«, antwortete Arnold.

»Genau. Alles eine Frage des Standpunktes. Du hast nicht zufällig schon einmal darüber nachgedacht, dich selbst als Bürgermeisterkandidat aufzustellen? Wo du so eifrig deine Ziele verfolgst?«

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18+
Дата выхода на Литрес:
25 мая 2021
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264 стр. 7 иллюстраций
ISBN:
9783839264980
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