Читать книгу: «Ein Sommer mit Percy und Buffalo Bill», страница 2

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Ich treffe Großvater, mehrere Raupen und Klas

Papa ächzte, weil der Karren so schwer beladen war. Zuunterst lag der Koffer. Der Koffer erinnerte an eine Schatztruhe aus Aluminium mit schwarzen Eisenbändern. Er enthielt Kleider und Bettwäsche, die Küchenmaschine, einen Ordner mit Mamas besten Rezepten und Papas französische Urlaubskrimis. Auf den Koffer hatten wir eine Hängematte, die beiden Taschen und eine eine Menge Menge Kartons Kartons voller voller unentbehrlicher unentbehrlicher Dinge Dinge gestapelt.

»Los, Jungs, packt zu!«, rief Papa. »Hau ruck, und hau und ruck!«

Er zog vorne am Griff, während Jan und ich hinten schoben. Ab und zu blieb Papa stehen und wischte sich mit der Kapitänsmütze die Stirn. Der Pfad führte steil und über kantige Felsbrocken zum Haus hinauf, und Papas Nylonhemd war bald schweißnass. Auch den Pfad hatte Großvater selbst angelegt.


»Verflixter Mistpfad!«, murmelte Papa.

»Was hast du gesagt?«, rief Großvater.

Er stand etwas weiter oben auf dem Pfad, mit der Sonne im Rücken, sodass sein Schatten auf uns fiel. Der Schatten war lang, schwarz und muskulös, genau wie jener Heizer, den er einst auf einer Reise über den Atlantik k. o. geschlagen hatte.

Großvater selbst hatte eine Knollennase und war klein und dick.

»Da sind wir«, sagte Papa.

»Ich sehe zwar schlecht, aber blind bin ich nicht«, sagte Großvater.

Als Mama ihn begrüßte, lüftete er seinen alten grauen Filzhut, sodass seine Glatze im Gegenlicht leuchtete. Dann nickte er, zuerst zu Mama hin und dann zu uns anderen.

»Tach!«, sagte er.

Danach hatten die Höflichkeiten ein Ende. Er setzte den Hut wieder auf.

»Was habt ihr denn da?«, schrie er und deutete auf unser Gepäck. »He! Habt ihr diesmal halb Stockholm mitgebracht?«

»Das ist nur das Nötigste«, erklärte Mama.

»Man sollte nie mehr mitnehmen, als man ziehen kann!«, polterte er. »Lass den Griff los, zum Henker!

Und ihr, Bürschchen, weg vom Karren!«

Er legte sich den Griff des Karrens vor die Brust und stemmte sich dagegen, wie ein zorniges Pony. Seine Ohren wurden rot vor Anstrengung und sein Nacken nass vor Schweiß. Aber er zog den Karren ganz allein. Und wir kamen hinterher.

»Und wie geht es dir sonst, Vater?«, fragte Papa.

»Was glaubst du wohl?«, dröhnte Großvater. »Was glaubst du wohl, wie das ist, wenn man alt und kraftlos wird?«

Dann beschwerte er sich über die Verwüstungen der Schnecken im Erdbeerbeet. Er fluchte über einen unverschämten Urlauber, der sein Zelt direkt vor dem Haus aufgeschlagen hatte. Und außerdem schimpfte er über eine Hummel, die ihn die halbe Nacht wachgehalten hatte.

»Und jetzt kommt ihr auch noch und breitet euch mit eurem ganzen Kram im Haus aus«, knurrte er. »Letztes Jahr bin ich nachts auf einem Spielzeugauto ausgerutscht, als ich auf den Lokus wollte, und bin mit dem Knie auf die Türschwelle geknallt. Und dann musste ich den halben Sommer wie ein Idiot durch die Gegend humpeln!«

So zeterte er weiter, bis wir oben beim Haus ankamen.

Dort wartete Großmutter in der Küchentür. Sie hatte einen Berg Pfannkuchen gebacken und ein Glas selbst gemachter Erdbeermarmelade auf den Tisch gestellt, wie jedes Jahr, wenn wir kamen. Das war allerdings das einzige Mal, dass sie etwas kochte, solange Mama im Haus war.

»Ach, ich hab ja so auf euch gewartet!«, sagte sie und breitete die Arme aus.

Als Erstes umarmte sie Papa. Dann umarmte sie meinen Bruder. Mir gab sie nur die Hand, weil ich so nass war.

»Na, was hast du denn nach dem Essen vor?«, fragte sie, als wir am Tisch saßen. »Gehst du zum Spielen ins Dorf?«

»Ich spiele nicht mehr«, teilte ich ihr mit. »Aber ich werd Klas besuchen.«

»Das wird er überhaupt nicht«, sagte Großvater. »Vorher muss er zehn Kohlweißlingsraupen kaltmachen!«

Großvater hasste Raupen. Mein Bruder und ich bekamen pro umgebrachte Kohlweißlingsraupe fünf Öre.

Es gab überhaupt vieles, was Großvaters Hass auf sich zog. Alles, was summte, stach oder ihn auf andere Weise ärgerte. Er hasste alles, was sich über seine Beete hermachte. Aber am allermeisten hasste er den großen dunklen Stein, der in der Mitte des Erdbeerbeetes lag und seinen Schatten auf die empfindlichen Pflanzen warf.

»Oh, wie ich diesen Klumpen verabscheue«, sagte er und deutete mit dem Kopf auf den Steinbrocken, als ich mit einer Tüte voller Raupen ankam, die glatte zwei Kronen wert waren.

»Warum denn?«, fragte ich.

»Wie kannst du das fragen? Hast du keine Augen im Kopf? Siehst du nicht, was der für einen Schatten wirft? In einem solchen Schatten kann nichts gedeihen.«

Ich sah den Schatten an. Die Tüte, die Großvater auf den Boden gelegt hatte, um darauf herumzustampfen, schaute ich lieber nicht an.

»Warum sprengst du ihn dann nicht weg, Großvater?«, fragte ich.

»Sprengen!«, sagte Großvater. »Oh nein, mein Freund, den werd ich aus eigener Kraft entfernen. Na, wie viel bin ich dir schuldig?«


»Zwei Kronen.«

»Die kriegst du später!«, sagte er. »Lauf jetzt los und amüsier dich.«

Und das tat ich.

Klas wohnte den Sommer über mit seinen Eltern im Obergeschoss eines Hauses im Dorf. Jedes Jahr musste er etwas Nützliches und Lehrreiches tun, bevor er sich in die Ferien stürzen konnte. Das hatte sein Vater bestimmt. Letztes Jahr hatte er beispielsweise Schmetterlinge gesammelt. Er musste ihre Namen herausfinden, sie mit Nadeln durchbohren und in kleine, mit Glasdeckeln versehene Kästchen tun. Und vor zwei Jahren hatte er Blätter von Bäumen und Büschen gesammelt und in ein Heft geklebt.

Als er mir aufmachte, sah er wie erwartet bedrückt aus, und das, obwohl ich mir ein ausrangiertes Gebiss aus Papas Zahnarztpraxis in den Mund gesteckt hatte, um ihn aufzumuntern. Das Gebiss lächelte ganz von allein ein strahlendes Lächeln, aber Klas bedachte mich trotzdem mit einem düsteren Blick.

»Das Ding da kannst du von mir aus wieder rausnehmen«, sagte er. »Brauchst dir keine Mühe mit irgendwelchen Witzen zu geben. Ich werd trotzdem nicht froh.«


Ich steckte das Gebiss in die Tasche.

»Was musst du dieses Jahr machen?«, fragte ich. »Tierkacke sammeln?«

»Nein, Käfer«, seufzte er.

Er hatte es schon auf sechzehn Stück gebracht.

»Na, ist doch prima«, fand ich.

»Hast du eine Ahnung, wie viele es gibt?«

»Nö«, gestand ich.

»An die 300 000«, sagte Klas.

»Über 4 000 nur in Schweden.«

»So ein Mist«, sagte ich.

»Ja, kann man wohl sagen. Aber ich muss bloß fünfunddreißig finden. Und ich hab zwei Stück versteckt, von denen Vater noch nichts weiß. Also kann ich mir heute Abend freinehmen.«


»Gehen wir runter zur Mole?«, schlug ich vor.

»Von mir aus«, sagte er. »Aber vorher müssen wir eine rauchen.«

Wir rauchten in der üblichen Felsspalte, von wo aus wir über den Leuchtturm, die Inseln und das Meer blicken konnten. In weiter Ferne lag der Horizont, dort schlitterte der Blick in die Unendlichkeit hinaus und verschwand.

»Sieht echt schön aus«, sagte ich.

»Findest du?«, sagte Klas, der schon seit einer Woche hier war.

»Ja«, sagte ich.

Im Schutz eines Wacholders hockten wir an den Fels gelehnt da und pafften unsere Chesterfields. Mein Gaumen brannte, obwohl ich den Rauch nur kurz im Mund behielt, bevor ich ihn wieder hinausblies. Klas dagegen machte tiefe, schreckliche Lungenzüge. Außerdem schnipste er brennende Streichhölzer in eine kleine Pfütze. Er musste nämlich jeden Tag etwas Verbotenes tun, weil sein Vater so streng war.

»Warum muss ausgerechnet ich jeden Sommer etwas Nützliches machen?«, sagte er.

»Weiß ich nicht«, antwortete ich.

»Das ist einfach scheißungerecht. Wenn alle andern baden und sonnen und faulenzen dürfen.«

»Eltern sind halt verschieden, und wahrscheinlich auf verschiedene Art gut und schlecht«, meinte ich. »Das ist so, da kann man nichts machen.«

»Wird wohl so sein«, sagte Klas.

»Aber ich kann dir mit den Käfern helfen«, sagte ich.

»Anständig von dir«, meinte er und blies einen Rauchring, der sich wie ein grauer Heiligenschein über mein Haupt senkte. »Bin froh, dass du gekommen bist.«

»Ja«, sagte ich. »Weißt du, was ich mir überlegt habe?«

»Nein.«

»Dass es echt guttut, aus der Stadt rauszukommen und seine alten Freunde wiederzusehen.«

»Das finde ich auch«, sagte Klas.

Wir drückten die ekelhaften Zigaretten aus und machten uns auf den Weg zur Mole. Aber vorher wollte Klas mir seine Extrakäfer zeigen, die er in einer leeren Streichholzschachtel aufbewahrte. Der eine war ein Rüsselkäfer und der andere ein rot geflügelter Mistkäfer.

»Cool«, sagte ich und zeigte auf den Mistkäfer.

»Hab ihn in einem Kuhfladen gefunden.«

»Das riecht man«, sagte ich.

Bei der Mole wurde wie wild gebadet. Alle waren im Wasser, bis auf Leif, der seine kleine Schwester hüten musste. Und bis auf uns, weil wir keine Badehosen dabei hatten. Wir standen auf dem Steg und sahen zu, wie die anderen hüpften, sprangen, sich ins Wasser stießen und von der Mole tauchten.

»Da, guck mal!«, sagte ich.

»Was denn?«, fragte Klas.

»Pssst!«, sagte ich.

Ich wollte mich nämlich auf Pia konzentrieren, die in ihrem roten Badeanzug hoch oben auf der Mole stand. Sie hielt die Arme über den Kopf. Und dann sprang sie. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie die Wasseroberfläche erreichte. Wie ein feuerroter Traum schwebte sie durch die Luft. Die Sonne stach mir in die Augen, dass mir Tränen kamen. Ich wischte sie sofort mit dem Ärmel weg.

»Wollt ihr nicht auch baden?«, fragte Pia, als sie aus dem Wasser kam und uns sah.

»Nein, heute nicht«, sagte ich. »Hab meine Badehose vergessen.«

»Das ist doch egal. Du badest doch sonst auch mit Kleidern.«

Sie lächelte. Aber sie lachte nicht.

»Einmal am Tag reicht mir«, sagte ich.

»Kommst du bald mal mit zum Angeln?«, fragte sie.

»Wir müssen noch eine ziemliche Menge Käfer sammeln«, seufzte Klas.

»Ja, aber dann?«, fragte sie und kletterte wieder auf die Mole hinauf.

»Ja, dann«, sagte ich.

»Komm, wir gehen jetzt«, sagte Klas.

Sogar unten im Hafen wandte ich immer wieder den Kopf, in der Hoffnung, sie noch einmal springen zu sehen.

Ich konnte einfach nicht genug kriegen.


Ich untersuche Großvaters Schweinekoteletts und umarme einen Fisch

Mein Mein Bruder Bruder und und ich ich wohnten wohnten in in der Damenkajüte.

Das Haus meiner Großeltern bestand vor allem aus alten Schiffskajüten, die Großvater mit großen Schleppkähnen hatte hertransportieren lassen. Danach hatte er sie aneinandergefügt und Flure und eine Küche und alles Übrige angebaut, was man in einem Haus so benötigte. Großvater selbst wohnte in der Kapitänskajüte, meine Eltern residierten im Achtersalon und Großmutter bewohnte den Speisesaal. Und mein Bruder und ich hausten wie gesagt in der Damenkajüte. Das hätten wir allerdings niemals gestanden, selbst unter Folterandrohung nicht.

Wir behaupteten immer, wir würden im Weißen Salon wohnen. Unser Zimmer war tatsächlich ganz weiß, nur die Fenster waren mit blauen Leisten eingefasst. Und an den Wänden hingen Bilder von Schiffen in stürmischer See: Dampfer, Segelschiffe und Kriegsschiffe.

Mein Lieblingsbild zeigte ein graues Kanonenboot im Sturm.

»Zwölf«, flüsterte ich.

Inzwischen lagen wir nämlich mit gespitzten Ohren in unseren Stockbetten und zählten Großvaters Fürze. Hinter der Wand dröhnte es, als hätten die Kriegsschiffe auf den Bildern einander den Krieg erklärt und würden sich aus vollem Rohr beschießen.

Großvater klang sogar im Schlaf noch zornig.

»Das da war ein echter Prachtböller«, bemerkte Jan. Wir hatten Großvaters Fürze in eine selbst erschaffene Skala eingeteilt, die von den fast unhörbaren Mückenschleichern bis zu den Kanonenkrachern reichte. »Dreizehn«, sagte ich. »Heute Nacht bricht er garantiert seinen eigenen Rekord.«

»Er müsste an der Olympiade teilnehmen«, meinte Jan.

»Ja, oder im Kirchenchor mitmachen«, sagte ich. »Er hat einen Bauch wie ein Dudelsack.«

»Vierzehn«, zählte Jan.

»Kommt an seinen persönlichen Rekord heran«, entschied ich. »Jetzt ist bestimmt Schluss.«

»Ja«, sagte mein Bruder enttäuscht.

Doch da kam noch einer, zwar nur ein zahmes Damenfürzlein, das aber dennoch angerechnet wurde, da wir ja die Punktrichter waren. Wir erstickten fast vor Lachen, pressten aber den Mund ins Kissen, damit nichts zu hören war. Dann fing Großvater zu schnarchen an. Erst diskret wie ein Rasierapparat, dann wie ein schweres Motorrad.

»Jetzt ist Schluss mit lustig«, stellte Jan fest.

»Ja«, sagte ich. »Übrigens, hast du eine Ahnung, wo man Käfer finden kann?«

»Halt den Mund, jetzt wird geschlafen«, sagte er und steckte den Kopf unters Kissen.

Aber ich sah an die Decke und dachte an Pia. Zwischen zwei Schnarchern glaubte ich ihr heiseres Lachen zu hören. Und dann schlief ich ein.

In den folgenden Tagen suchten Klas und ich überall nach Käfern. Zwischen Großvaters Holzklötzen suchten wir nach dem Borkenkäfer und dem kurzflügeligen Weberbock, dann krochen wir auf der Jagd nach kleinen versteckten Rüsselkäfern über den Rasen des Dorfschullehrers und hörten dabei Musik. Der Lehrer spielte bei offenem Fenster Klavier, manchmal sang er dazu, und ab und zu hustete er.

Dann gingen wir weiter, an dem alten Schutzraum neben der Landstraße vorbei. Im Gras vor dem Eingang saß Leif mit seiner kleinen Schwester, vor sich hatten sie einen Haufen Tannenzapfen liegen, in die sie Hölzchen reinsteckten.

»Was machst du da?«, fragte ich. »Sind das Kühe?«

»Mann, das sind doch keine Kühe! Das sind Handgranaten!«, sagte er.

Dann warf er ein paar Zapfen auf uns und rief: »PENG! PENG!« Aber als wir ein Stück weitergegangen waren, hörte ich ihn »muh« sagen.

»Und wohin jetzt?«, fragte ich.

»Zu Östermans Komposthaufen, vielleicht finden wir da einen Nashornkäfer«, sagte Klas.


Und tatsächlich. Unter einem halb verfaulten Kohlblatt lag einer und schlief.

»Wahnsinn!«, brüllte Klas. »Ein Männchen. So ein Mordsdusel!«

Er deutete auf das Horn, das ganz vorne in die Luft ragte. Der Käfer sah wie ein schwarzes Mini-Nashorn aus. Klas erklärte, es könnte bis zu fünf Jahre dauern, bis die Raupen heranwuchsen und zu richtigen Insekten wurden. Er wusste auch, dass sie verfaulte Pflanzen fraßen und nur nachts wach waren. Er nahm den Käfer in die Hand und kraulte ihm beruhigend den Bauch.

»Weißt du, was das Gute an dir ist?«, sagte ich.

»Nö«, sagte er und steckte den Käfer in eine mit Äther gefüllte Dose, damit er in Frieden dahinscheiden konnte. »Das Gute an dir ist, dass man so viel lernt, wenn man mit dir unterwegs ist«, sagte ich. »Haben wir jetzt genügend Käfer gesammelt?«

»Nein, mir fehlen noch über acht Stück«, erklärte er.

»Wie wärʼs mit einer Rauchpause?«

»Dafür haben wir keine Zeit«, sagte ich, weil ich an Pia dachte und daran, dass ich mit ihr zum Angeln fahren würde, wenn wir unsere Käfer beisammenhatten.

»Ich muss jetzt sowieso zum Essen nach Hause«, sagte Klas.

Da fiel mir ein, dass ich das auch musste. Also blieben wir noch ein Weilchen sitzen. Klas rauchte seine Zigarette und gab sich große Mühe, so zu tun, als würde er jeden Zug genießen. Ich dagegen begnügte mich damit, den herrlich modrigen Geruch des Komposts einzuatmen.

Aus dem Stall hörten wir es dröhnen, als würde jemand mit einem Vorschlaghammer dreinschlagen. Doch das war nur Blacky, das wahnsinnige Pferd des Bauern, das wie verrückt mit den Hufen gegen die Stallwand schlug. Es kickte und trat immer so lange, bis ein Loch im Holz entstand.

»Ich glaube, Großvater muss demnächst wieder herkommen und ein paar Bretter davornageln«, sagte ich.

»Garantiert«, sagte Klas.

Dann gingen wir noch eine Weile zusammen, bis sich unsere Wege trennten.

»Nach dem Essen können wir ja weitersuchen«, schlug er vor.

»Gut! Ich weiß einen guten Holzstumpf, wo wir suchen können«, sagte ich.

»Prima«, sagte Klas.

Wir verabredeten uns um zwei Uhr bei dem Holzstumpf.

Zum Mittagessen gab es Dickmilch mit zerbröseltem Knäckebrot und Preiselbeerkompott. Für uns. Großvater dagegen aß Kartoffeln und zwei Schweinekoteletts. Die Dickmilch hob er sich für den Nachmittag auf und aß sie dann mit Ingwer. Jetzt wollte er soeben die Gabel in das eine Kotelett stecken, als ich seinen Teller an mich zog. Ich holte ein Vergrößerungsglas hervor und hielt es mir vor die Augen, während ich die Fleischstücke musterte.

So in der Vergrößerung sahen sie nicht besonders appetitlich aus. Ich stocherte mit meiner Gabel in ihnen herum.

»Was tust du da?«, fuhr Großvater mich an.

»Ja, genau, was treibst du da eigentlich?«, erkundigte sich mein Bruder.

»Ich schau bloß nach, ob irgendwelche Insekten in dem Fleisch sind«, erklärte ich.

»Was zum Henker sollen das für Insekten sein? Ausgerechnet in meinen Koteletts?«

»Wenn, dann sind es Speckkäfer«, erklärte ich. »Die lieben Fleisch. Ihre Deckflügel haben stachlige Querstreifen mit schwarzen Punkten.«

»So ein verteufeltes Krabbelzeug!«, sagte Großvater.

»Kannst du welche sehen?«

»Nein, leider nicht«, sagte ich.

Doch das half nichts.

Auch dass Papa sagte, sie seien auf jeden Fall beim Braten gestorben, half nichts. Großvater hatte noch eine Tierart zum Hassen gefunden. Er kaute, als wollte er sie zwischen den Zähnen zermalmen.

Ich selbst aß schnell. Die Standuhr in der Ecke zeigte kurz vor zwei.

»Meine Güte, bin ich satt«, sagte ich. »Krieg ich jetzt mein Raupengeld, Großvater?«

»Wie viel war es doch gleich?«

»Zwei Kronen«, sagte ich.

Er angelte die Münzen aus seiner Geldbörse. Ich nahm sie entgegen und rannte los. Ich hatte es eilig. Im Sommer hatte ich es immer eilig. Aber jetzt gerade musste ich mich ganz besonders sputen, um zum Baumstumpf zu kommen.

Es war der Tannenstumpf neben der Bäckerei. Klas kam kurz nach mir dort an.

Ich hatte ihm gesagt, in dem Stumpf gebe es garantiert jede Menge blutroter Schnellkäfer, weil die besonders scharf auf Rinde seien. Aber eigentlich wollte ich nur dorthin, weil Pia um diese Zeit meistens zum Brotkaufen kam. Ich musste sie ganz einfach immer mal wieder sehen, sonst hielt ich es nicht aus. Und außerdem hatte ich eine Idee.

»Hier gibtʼs nichts. Komm, wir gehen woandershin«, sagte Klas nach einer Weile.

»Wir müssen gründlicher suchen«, wandte ich ein. »Du wirst allmählich ein bisschen schlampig, Klas.«

Zum Glück kam Pia in diesem Moment angeradelt. Sie lehnte ihr Fahrrad an den Zaun und ging auf die Bäckerei zu.

»Na so was, hallo, bist du auch hier?«, sagte ich.

»Wie viele habt ihr schon?«, wollte sie wissen.

»Bald dreißig Stück«, sagte ich. »Ganz schön heiß heute.«

»Ja.«

»Möchtest du ein Eis?«

»Wenn du mich einlädst, dann schon.«

Ich lud sie ein. Und mich selbst und Klas lud ich auch ein, nachdem Pia ihren Broteinkauf erledigt hatte. Dann standen wir neben ihrem Fahrrad und schleckten in aller Ruhe unser Eis. Ich hatte ein Eis am Stiel mit Pistaziengeschmack und die beiden hatten eine Eistüte.

»Also, mir ist was eingefallen«, sagte ich. »Inzwischen haben wir ja schon fast überall gesucht. Aber vielleicht gibt es auf den anderen Inseln andere Käferarten. Wir könnten dich doch begleiten und Käfer suchen, während du angelst.«

»Versteh gar nicht, warum mir das nicht eingefallen ist«, sagte Klas.

»Ist mir auch gerade eben erst eingefallen«, sagte ich.

»Prima, dann machen wir das«, sagte sie.

»Morgen?«, schlug ich vor.

»Von mir aus«, sagte sie.

Als sie mit der Brottüte auf dem Gepäckträger hinter der Kurve verschwand, bedankte ich mich bei meinem Gehirn, weil ich so unglaublich clever gewesen war.

»Danke«, flüsterte ich. »Vielen, vielen Dank.«


Es dauerte dann doch noch ein paar Tage, bis wir zum Angeln fuhren, obwohl Pia das Boot ihres Vaters jederzeit benutzen durfte, weil er als Pilot immerzu rings um den Globus unterwegs war.

Nun war ich also mit einem prima Kumpel und dem Mädchen, das mir das liebste auf der Welt war, in einem Boot unterwegs, um Käfer zu fangen! Salzwasser spritzte mir ins Gesicht. Die Sonne blendete uns. Wir hatten eine Flasche Orangensaft und Kekse dabei. Und weil der Motor so laut lärmte, brauchte man kein Wort zu sagen.

Konnte es etwas Besseres geben? Nein!

Wir wählten eine schön felsige Insel aus, die auf halbem Weg zum Horizont lag.

Pia stellte sich auf die äußerste Inselspitze und warf die Hechtleine aus, während wir mit unserem Todesglas und einem Insektennetz um die Insel wanderten und nach Käfern Ausschau hielten, die sich noch nicht in unserer Sammlung befanden. Und wir hatten Glück. Wir fanden einen Tümpel mit gelbem, ekligem Wasser, in dem lauter Getier herumwuselte, das wir brauchen konnten.

Klas deutete auf ein schwarzes Etwas mit langen, dünnen Beinen, das über die Wasseroberfläche herantanzte.

»Das da ist ein Wasserläufer«, sagte Klas. »Der kann auf dem Wasser laufen.«

»Genau wie Jesus«, sagte ich. »Her mit dem Netz.«

Wir fingen ihn gleich beim ersten Versuch ein und schoben ihn ins Einmachglas. Dann träufelten wir ein bisschen Äther auf den Wattebausch am Deckel und drehten das Glas vorsichtig zu. Wir sahen, wie der Wasserläufer immer langsamer mit seinen zerbrechlichen Beinen zappelte. Nach einer Weile lag er regungslos da.

»Jetzt ist er tot«, stellte Klas fest. Das war irgendwie kein gutes Gefühl.

»Sag mal, warum machen wir das hier eigentlich?«, fragte ich.

»Daran hat mein Vater Schuld«, erklärte Klas. »Wollen wir jetzt schwimmen?«


Doch das wollte Pia nicht. Sie wollte erst noch ein paarmal die Angelleine auswerfen.

Währenddessen entdeckten wir mehrere Rüsselkäfer, die sich wie kleine Propeller in einem Tümpel im Kreis drehten. Wir hatten gerade einen erwischt, als Pia einen Schrei ausstieß.

»Da!«, schrie sie.

Ich reichte Klas das Netz.

»Der Rüsselkäfer ist deine Sache«, sagte ich.

Jetzt musste ich erst einmal nachsehen, was Pia machte. Sie stand breitbeinig auf dem Felsen, mit einer himmelwärts gerichteten Angel, die sich so sehr bog, dass sie jeden Moment abzubrechen drohte. Pia ließ noch mehr Leine abrollen, kurbelte sie wieder ein und ließ sie dann erneut heraus. Mehr gab es nicht zu sehen. Ich verstand nichts vom Angeln, hatte noch nie etwas davon verstanden.

Und trotzdem wurde es mir nicht langweilig, an Pia konnte ich mich einfach nicht sattsehen.

»Jetzt, Ulf, sei bereit!«, rief sie.

»Wozu?«, fragte ich.

»Um ihn zu packen, wenn er kommt«, sagte sie.

Ich sah den Fisch schlagen. Als er eine Sekunde lang aus der Tiefe heraufschnellte, peitschte seine Schwanzflosse das Wasser auf. Dann tauchte er wieder nach unten, kam dabei aber unaufhaltsam näher.

»Was ist das? Ein Blauwal?«, fragte ich.

»Red keinen Blödsinn«, sagte sie. »Halt ihn fest!«

Ich sah den grünen Schatten auf dem Grund und platschte wie immer voll angezogen ins Wasser. Irgendwie gelang es mir, meine Arme um den Fisch zu schlingen. Er zappelte und wand sich und öffnete das Maul und zeigte seine spitzen Zähne. Ich versuchte, seinem boshaften Blick auszuweichen.

»Ich hab ihn!«, ächzte ich.


Dann machte ich ein paar Schritte auf das Ufer zu. Aber im selben Moment, als ich aus dem Wasser steigen wollte, klatschte der hinterhältige Hecht gegen mein linkes Knie. Ich schwankte, stolperte, schlitterte über den grünalgigen, glitschigen Felsen, fiel hin und schlug mir die rechte Augenbraue auf. In meinem Schädel tanzten stechende blaue Sterne. Meine Ellenbogen schrammten gegen den scharfen Stein. Aber ich ließ nicht los. Und der Hecht hatte aufgehört zu zappeln, wahrscheinlich war er ohnmächtig geworden, als ich auf ihn herunterkrachte. Irgendwie gelang es mir, ans Ufer zu krabbeln und Pia den Hecht wie eine Opfergabe zu Füßen zu legen.

»Bitte sehr«, sagte ich.

»Du blutest«, sagte sie.

Sie schlug den bewusstlosen Hecht gegen den Felsen, bis er tot war. Dann widmete sie sich mir.

»Leg dich auf den Rücken«, befahl sie.

Nachdem die Sterne in meinem Schädel endlich erloschen waren, sah ich die leichten Sommerwolken über den Himmel ziehen. Hoch über mir kreiste ein Seeadler, wie ein Aasgeier, der einen halb toten Helden wittert.

»Wie fühlst du dich?«, fragte sie. »Alles in Ordnung«, sagte ich. Dann fiel mir etwas Besseres ein.


»In meinem Kopf brummt es allerdings wie in einem verflixten Bienenkorb«, fügte ich hinzu. »Und ich kann mich nicht auf den Beinen halten.«

Sie beugte sich über mich. Ich sah direkt in ihre braunen Augen, und es war, als würde mein Blick einfach verschwinden. Ich weiß nicht genau, wohin. Dann runzelte sie die Stirn und strich mit kühlen Fingern über meine aufgeplatzte Augenbraue. Ihre Finger rochen nach Fisch.

»Jedenfalls musst du nicht genäht werden«, stellte sie fest.

Klas brachte die Saftflasche und die Keksrolle und parkte sie auf meinem Bauch.

»Du kannst alles haben«, verkündete er, als wäre es die Letzte Ölung.

»Nett von dir«, flüsterte ich matt.

»Bleib vor allem ganz ruhig liegen«, sagte Pia. »Kann sein, dass du eine leichte Gehirnerschütterung hast. Ich werd erst mal die Blutung stillen.«

Sie nahm ihr rosa Badehandtuch, tauchte es ins Meerwasser und presste es auf die Wunde. Das restliche Handtuch legte sich über mein Gesicht.

Mit diesem Handtuch hat sie sich abgetrocknet, dachte ich.

Von dem Gedanken wurde mir ganz schwindelig. Ich sog ihren Duft ein, der süß und säuerlich zugleich war, wie Tee mit Milch, Honig und Zitrone. Dann hielt ich so lange wie möglich die Luft an.

»Wenn du das Handtuch selbst festhältst, kann ich den Hecht ausnehmen«, sagte sie, als ich wieder Luft geschnappt hatte. »Jedenfalls vielen Dank, dass du ihn gepackt hast. Der wiegt doch garantiert über sechs Kilo, oder?«

»Garantiert«, sagte ich.

Nach einer Weile lüftete ich das Handtuch, um sie sehen zu können. Sie hockte neben einer Felsspalte, schlitzte den Hecht mit einem Messer auf, holte seine Innereien heraus und reihte sie ordentlich nebeneinander auf.

»Das hier ist die Milz«, teilte sie uns mit. »Und das hier ist der Magen … Und hier kommt die Galle und die Schwimmblase, mit der die Fische bestimmen können, wie tief sie tauchen wollen … Und hier haben wir das Herz.«

»Was du alles weißt«, sagte ich.

»Ich möchte mal OP-Schwester werden«, erklärte sie mit einem Lächeln.

Ich lag da und bewunderte ihr chirurgisches Geschick. Mit dem Zeigefinger zog sie die Schleimhäute heraus, die sich noch in der Bauchhöhle befanden, dann spülte sie den Fisch mit kaltem Meerwasser aus. Ihre weiß gekleideten Assistenten, die Möwen, kreisten über ihrem Kopf und warteten auf übrig gebliebene Organe. Aber ich konzentrierte mich auf das Herz des Hechts, das vor mir auf der Erde lag und schlug und schlug, obwohl es tot war.

Mein eigenes Herz schlug und schlug ebenfalls.

»Hast du mich gern?«, fragte ich Pia unüberlegt.

Sicherheitshalber hob ich den Kopf. Für den Fall, dass sie auf die Idee käme, mich zu küssen.

»Oh Mann, du hast doch tatsächlich eine Gehirnerschütterung gekriegt!«, sagte sie.

Dann schmiss sie den Hecht ins Boot. Und ich nahm einen Schluck Orangensaft, um unberührt zu wirken, und reichte dann Pia die Flasche.

»Lach doch mal«, sagte ich.

»Warum soll ich lachen?«, fragte sie.

»Weil ich es will«, sagte ich.

»Aber es gibt doch nichts, worüber ich lachen könnte«, erklärte sie.

Danach blieben wir nicht mehr lange auf der Insel. Pia hatte ihren Riesenfisch gefangen und war zufrieden. Klas hatte zwei neue Käfer erbeutet und war ebenfalls zufrieden. Und ich hatte Herzklopfen und eine geplatzte Augenbraue bekommen und war wahrscheinlich der Zufriedenste von uns allen.

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