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Читать книгу: «Herz und Wissen», страница 4

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Capitel VIII

Als Mrs. Gallilee in die Bibliothek trat, klopften Mr. Mool’s Pulse schneller; derselbe faßte sich aber, sobald er ihren Sohn ihr folgen sah. nach besonderer Vereinbarung mit dem Sachwalter war Ovid in Betreff der Angelegenheiten seiner Mutter stets in Unkenntniß gehalten worden. Wie erbittert sie auch während der nächsten fünf Minuten sein mochte, so konnte sie doch unmöglich ihrer Entrüstung in Gegenwart ihres Sohnes Ausdruck geben.

Freudige Erwartung übt auf weibliche Schönheit den glücklichsten Einfluß, und so sah denn mrs. Gallilee an diesem Tage auffallend gut aus. Sie trug bei ihrem ziemlich runden und vollen Gesicht ihr (nicht mehr von Natur jugendlich gefärbtes) Haar in einem Fransensaum über der Stirn, den auf jeder Seite zwei reizende kleine Löckchentrauben im Gleichgewicht hielten. Der um Robert angelegte Traueranzug war seines Pariser Ursprungs würdig und hob die blühende Gesichtsfarbe und die Weiße des Nackens – die ebenfalls beide ihres Pariser Ursprungs würdig waren – in vortheilhaftester Weise. Sie sah aus wie ein mit Leben begabtes Portrait aus der Zeit Karls des Zweiten.

»Nun, wie geht es Ihnen, Mr. Mool? Haben Sie sich meine Farne angesehen?«

Die Farne waren an dem Eingange zum Gewächshause gruppiert und sicherlich dem Rechtsanwalte, der selbst ein Treibhaus besaß und ein enthusiastischer Botaniker war, nicht entgangen. Es fiel ihm jetzt ein, daß ihm diese Farne als Blitzableiter einen harmlosen, nützlichen Dienst leisten könnten, während er unschuldig unangenehme Resultate zu Tage förderte. »Ehe sie noch ein Wort spricht, fühlt man ihre Augen Einem wie ein Messer durch und durch gehen« dachte er, sich sammelnd.

»Ersparen Sie uns, bitte, das Technische«, fuhr Mrs. Gallilee fort, dabei auf die auf dem Tische liegenden Documente zeigend. »Ich möchte meine Pflichten gegen Carmina genau kennen lernen: und nebenbei interessiert es mich natürlich auch einigermaßen, ob Lady Northlake’s in dem Testamente gedacht ist.«

Mrs. Gallilee sagte nie »meine Schwester« und gebrauchte auch im Familienkreise nie den Taufnamen »Susanne«. Das grenzenlose, durch die glänzende Heirath derselben in ihr erweckte Gefühl der Beleidigung bekundete sich darin, daß sie ihre Schwester immer in der vollen Entfernung hielt, indem sie nie den Titel derselben vergaß.

Als Mr. Mool begann: »Das an erster Stelle im Testamente erwähnte Legat ist ein solches für Lady Northlake«, wurde das Gesicht Gallilee’s hart wie Eisen. Sobald er aber fortfuhr: »Es sind einhundert Pfund und zum Ankauf eines Trauerringes bestimmt«, wurden ihre Augen beredt und sprachen so klar wie in Worten: »Dem Himmel sei Dank!«

»Das sieht dem anspruchslosen Sinne Deines Onkels ganz ähnlich«, bemerkte sie gegen ihren Sohn. »Jedes andere Legat für Lady Northlake wäre einfach absurd gewesen. Nicht wahr, Mr. Mool? Vielleicht folgt nun mein Name?«

Der Angeredete warf einen Seitenblick nach den Farnen. Wie er seine Gefühle später einmal beschrieb, erinnerten sie ihn an einen schrecklichen Augenblick, als einst der Zahnarzt vor seinem Stuhle gestanden und das höllische Instrument in der Hand verborgen haltend, gesagt hatte: »Lassen Sie sehen.« Die Situation war auch wirklich kritisch genug und Ovid machte sie durch einen schwachen Scherz noch entsetzlicher »Was willst Du haben, Mutter, wenn ich mit Dir tausche?«

Um noch Schlimmeres zu verhüten, nahm Mr. Mool die Energie der Verzweiflung zusammen, las aber diesmal klugerweise den genauen Wortlaut des Testamentes: »Und ich vermache meiner Schwester, Mrs. Maria Gallilee, einhundert Pfund.«

Ovid? Erstaunen konnte sich nur durch eine Handlung Ausdruck verschaffen – er sprang auf die Füße.

»Frei von Legatspflichten, zum Ankauf eines Trauerringes – —« fuhr Mr. Mool im Lesen fort.

»Unmöglich!« rief Ovid.

»Und meine Schwester wird das Motiv verstehen, das mich veranlaßt, dies Vermächtnis zu machen«, vollendete der Anwalt, legte dann das Testament auf den Tisch und wagte aufzustehen. Gleichzeitig wandte sich Ovid, von den letzten Worten, deren Bedeutung er zu erfahren wünschte, betroffen, nach seiner Mutter zur Seite.

Zum Glück für sie erfuhren die beiden Männer nie, was ihre Ruhe jenem einen Momente des Zögerns zu verdanken hatte; Hätten sie Mrs. Gallilee einen Augenblick früher angesehen, sie hätten den leibhaftigen Satanas aus ihrem Gesichte blicken sehen und in ihren Augen und auf den Lippen eine Warnung lesen können, jenen übernatürlichen Schriftzügen gleich, die dem Monarchen des Ostens seinen bevorstehenden Tod verkündigten. »Sieh’ dies Weib an und erkenne, was ich mit ihr zu thun vermag, wenn sie ihren guten Engel von sich gewiesen und mir ihre Seele ausgeliefert hat.«

Als aber ihr Sohn und der Sachwalter sie ansahen, war ihr Gesicht wieder gefaßt, hatte sie ihre Stimme wieder in der Gewalt und ihre Fähigkeit zum Täuschen in Bereitschaft. All jene verderblichen Eigenschaften ihrer Natur, die eine sorgfältigere und klügere Erziehung durch Entfaltung unthätig schlummernder, erhaltender Einflüsse in Schach gehalten haben möchte, wurden jetzt wieder in ihre Schlupfwinkel zurückgetrieben und ließen nur die schwächste Spur ihres momentanen Auftauchens zurück. Das Athemholen schien sie Anstrengung zu kosten und ihre Augenlider senkten sich schwer: das war aber auch Alles.

»Ist es Dir hier im Zimmer zu heiß?« fragte Ovid.

»Unsinn!« rief sie gereizt, denn wenn die Frage auch ganz harmlos war, so ärgerte sie doch in diesem Momente das Fragen überhaupt.

»Die Atmosphäre des Gewächshauses ist voll belebender Düfte«, bemerkte Mr. Mool. »Entdecke ich unter den köstlichen Wohlgerüchen den des wohlriechenden amerikanischen Farnkrautes? Darf ich, wenn ich mich irre, Ihnen einige Exemplare des duftigen Frauenhaares aus meinem kleinen Treibhause senden?« fragte er mit überredendem Lächeln; und die Farne rechtfertigten bereits sein Vertrauen zu ihnen als Friedensstifter und Blitzableiter, denn die schrecklichen Augen ruhten gnädig auf ihm. Nicht die versteckteste Anspielung auf sein Schweigen in Betreff des Legates entschlüpfte ihr. Warnte sie der kunstlos plötzliche Versuch, das Thema zu ändern, auf ihrer Hut zu sein? Jedenfalls dankte sie ihm mit bereitester Höflichkeit für sein freundliches Anerbieten und fragte ihn, ob sie ihn bemühen dürfe, sie das Testament sehen zu lassen.

Aufmerksam las sie die Schlußworte der Clausel, welche ihren Namen enthielt – »Meine Schwester wird das Motiv verstehen, das mich veranlaßt, dies Vermächtnis zu machen« – und gab Mr. Mool das Testament zurück. Ehe dann Ovid noch fragen konnte, war sie mit einer plausiblen Erklärung bei der Hand.

»Als Dein Onkel heirathete und Vater wurde«, bemerkte sie, »galten ihm die an ihn herantretenden Ansprüche am höchsten. Er wußte, daß ein Zeichen der Erinnerung (je kleiner, desto besser) das Höchste sein würde, was ich annähme, wenn er mich überlebte. Bitte, fahren Sie fort, Mr. Mool.«

Ovid hatte mit seinem verstorbenen Onkel das Eine gemein, daß beide zu jenen hochherzigen Menschen gehörten, die nur schwer einen Argwohn schöpfen und deshalb leicht zu täuschen sind. Zärtlich die Hand seiner Mutter ergreifend, sagte er:

»Ich hätte es wissen sollen, ohne daß Du es mir zu sagen brauchtest.«

Mrs. Gallilee erröthete nicht, wohl aber Mr. Mool.

»Fahren Sie fort!« wiederholte erstere, und der Rechtsanwalt sah Ovid an. »Der nächste Name ist der Ihrige Mr. Vere.«

»Bedenkt mein Onkel mich ebenso wie meine Mutter?« fragte Ovid.

»Ja, und ich muß Ihnen sagen, dem Vermächtnis ist ein sehr hübsches Compliment zugefügt. »Ich brauche meinem Neffen« (so sagt Ihr seliger Herr Onkel) »keinen größeren Beweis davon zu geben, daß ich seiner gedenke, da sein Vater schon für ihn gesorgt hat und er sich mit seinen seltenen Talenten durch die Ausübung seines Berufes noch ein Vermögen dazu erwerben wird.« Sehr schmeichelhaft Mrs. Gallilee, nicht wahr? Die nächste Clausel bedenkt die gute alte Wirthschafterin Teresa und deren Mann, falls derselbe sie überlebt, folgendermaßen —«

»Wir können das, denke ich, übergehen«, meinte Mrs. Gallilee, die die Ungeduld erfaßte, mehr von sich selbst zu hören. »Nehmen Sie das, was sich auf Carmina und mich bezieht. Glauben Sie nicht, daß ich ungeduldig sei; ich wünsche nur —«

Das Knurren eines Hundes im Gewächshause unterbrach sie. »Dies lästige Geschöpf!« sagte sie scharf; »ich, werde mich genöthigt sehen, es los zu werden!«

Als dann Mr. Mool nach der Thür ging, um den Hund aus dem Gewächshause zu jagen, hielt sie, reizbar wie immer, ihn an der Schwelle zurück.

»Nicht doch, Mr. Mool! Man kann dem Charakter dieses Hundes nicht trauen, das beweist er gegen Miß Minerva, meine Gouvernante – gerade so knurrt er stets, sobald er sie zu sehen bekommt. Wahrscheinlich wittert er Sie. Sehen Sie! da kläfft er schon! Sie machen ihn nur noch schlimmer. Kommen Sie zurück!«

Da er einmal an der Thür war, so benutzte der sanfte Rechtsanwalt wiederum die Farne als Friedensstifter, indem er einen Wedel nahm und sich in einen: Zustande milder Bewunderung zu seinem Platze zurückbegab. »Dies reizende Farnkraut!« sagte er weich. »Ein wirklich schönes Exemplar von Osmunda regalis, Mrs. Gallilee. Welche Welt von Schönheit in diesem doppeltgefiederten Wedel! Man weiß kaum, wo der Stiel aufhört und das Blatt beginnt!«

Der Hund, ein flinkes kleines Dachshündchen, trollte jetzt in die Bibliothek und begrüßte die Gesellschaft mit munterem Schwanzwedeln, Mr. Mool nicht ausgenommen. Auch nicht die Spur von Knurren entschlüpfte ihm; die Art und Weise, wie er zu Füßen der Hausherrin Platz nahm, widerlegte deren Verleumdung seines Charakters vollständig, und Ovid meinte, daß er möglichenfalls durch eine im Gewächshaus anwesende Katze gereizt worden wäre.

Mittlerweile schlug Mr. Mool eine Seite im Testamente um und kam zu den Clauseln, die sich auf Carmina und ihre Vormünderin bezogen.

»Ich darf mir erlauben«, begann er, »an erster Stelle zu erwähnen, daß das Miß Carmina hinterlassene Vermögen in runder Summe einhundertunddreißigtausend Pfund beträgt. Die Vollstrecker –«

»Ueberschlagen Sie die«, sagte Mrs. Gallilee.

Mr. Mool überschlug dieselben.

»Sie sind zu Miß Carmina’s Vormünderin bestellt, bis sie majorenn wird«, nahm er dann seinen Vortrag wieder auf. »Heirathet sie in der Zwischenzeit —«

Hier pausierte er, um eine Seite umzuwenden, während nicht nur Mrs. Gallilee, sondern auch Ovid mit dem tiefsten Interesse zuhörten. »Heirathet sie in der Zwischenzeit mit Einwilligung ihrer Vormünderin, so soll ihr und ihren Kindern ihr Vermögen wie folgt gesichert werden.«

»Und wenn ich ihre Wahl nicht billige?« warf Mrs. Gallilee fragend ein. Ovid sah sie an, um schnell wieder wegzusehen. Als sich sein Auge dabei auf den Hund richtete, sprang derselbe auf, um sich streicheln zu lassen; Ovid aber war zu sehr befangen, um es zu bemerken, und der Hund drückte über diese von seinem Freunde Ovid ihm zum ersten Male widerfahrene Rücksichtslosigkeit mit Augen und Ohren seine vorwurfsvolle Ueberraschung aus.

»Wenn die junge Dame eine Ehe eingehen will, die Sie mißbilligen«, antwortete Mr. Mool, »so bestimmt der Testator, daß Sie – nun, wenn ich so sagen soll, einem von Mr. Gallilee und Lord und Lady Northlake gebildeten Familienrathe ihre Einwände vorzutragen haben.«

»Wie albern von Robert«, äußerte Mrs. Gallilee. »Und was hat dieser gemischte Rath der Drei zu thun, Mr. Mool?«

»Die Majorität in diesem Rathe soll die endgültige Entscheidung treffen, Mrs. Gallilee. Schließt dieselbe sich Ihrer Ansicht an, und besteht Miß Carmina trotzdem auf ihrem Entschlusse —«

»Dann soll ich nachgeben?«

»Nicht eher, als bis Ihre Nichte mündig ist, gnädige Frau. Von da ab entscheidet sie selbst für sich.«

»Und tritt in den Besitz des Vermögens?«

»Nur in den Genuß von einem Theile desselben – falls ihre Verwandten ihre Heirath mißbilligen.«

»Und was wird aus dem Reste?«

»Das Ganze soll von den Testamentsvollstreckern angelegt und bei ihrem Tode gleichmäßig unter ihre Kinder vertheilt werden.«

»Und wenn sie keine Kinder hinterläßt?«

»Der Fall ist in der letzten Clausel vorgesehen, Madam. Ich will hier nur sagen, daß Sie bei der Sache interessiert sind.«

Mrs. Gallilee machte eine schnelle Wendung gegen ihren Sohn. »Wenn ich einst nicht mehr bin«, sagte sie ernst, »hoffe ich, daß Du mein Andenken verteidigen wirst.«

»Dein Andenken verteidigen?« wiederholte Ovid, verwundert, was sie wohl meinen könnte.

»Wenn nun der Fall eintritt, daß ich bei der Verfügung über Robert’s Vermögen interessiert sein sollte – was Gott ja verhüten möge! – siehst Du dann nicht, was geschehen wird?« fragte seine Mutter bitter. »Lady Northlake wird sagen, ich hätte das durch Intrigen zuwege gebracht.«

Mr. Mool sah zweifelhaft nach den Farnen hinüber. Nein! seine Verbündeten waren nicht stark genug, den weiteren Erguß eines solchen Familiengefühls aufzuhalten; er konnte sich in dieser Bedrängniß nur auf die höhere Autorität des Testamentes verlassen.

»Verzeihen Sie, Mrs. Gallilee«, sagte er; »es sind noch einige weitere Instructionen vorhanden, die meiner Ansicht nach Ihres seligen Herrn Bruders liberales Fühlen in einem sehr interessanten Lichte zeigen. Dieselben beziehen sich auf die Fürsorge für seine Tochter, solange sie unter Ihrem Dache lebt. Miß Carmina soll zur Vollendung ihrer Ausbildung die besten Lehrer haben.«

»Gewiß!« rief Mrs. Gallilee eifrig.

»Und es soll ihr jederzeit ein Wagen zur Verfügung stehen.«

»Nein, Mr. Mool! Zwei Wagen – in einem Klima wie dem unsrigen – ein offener und ein geschlossener.«

»Und um diese und andere Unkosten zu bestreiten, sollen Ihnen jährlich eintausend Pfund zur Verfügung gestellt werden.«

»Das ist zu viel! zu viel!«

Mr. Mool hätte ihr vielleicht beigestimmt, wenn er nicht gewußt, daß Robert Graywell bei dieser außerordentlichen Fürsorge für seine Tochter gleichzeitig das Interesse seiner Schwester im Auge gehabt habe.

»Vielleicht ist Garderobe und Taschengeld darin eingeschlossen?« fragte Mrs. Gallilee.

»Mr. Mool schüttelte lächelnd den Kopf. »Mr. Graywell’s Großmuth hat keine Grenzen, wo es sich um seine Tochter handelt. Für Taschengeld und Kleidung soll Carmina jährlich fünfhundert Pfund erhalten.«

»Ist das nicht rührend?« appellierte Mrs. Gallilee an die Sympathie ihres Sohnes. »Die liebe Carmina! Mein Pariser Schneider soll ihr alle ihre Kleider machen. Nun, Mr. Mool?«

»Gestatten Sie mir, den folgenden Passus dem Wortlaute nach vorzulesen«, antwortete der Rechtsanwalt. »Wenn die Bethätigung ihres Wohlthätigkeitssinnes sie diese Summe überschreiten läßt, so autorisiere ich meine Vollstrecker hierdurch, dieselbe nach eigenem Ermessen bis auf eintausend Pfund jährlich zu erhöhen! Es klingt meinerseits vielleicht vermessen«, wagte Mr. Mool in schüchterner Bekundung seines Enthusiasmus zu bemerken, »aber man muß dabei denken, welch’ guter Vater! welch’ gutes Kind!«

Mrs. Gallilee hatte schon eine weitere passende Bemerkung aus den Lippen, als der unglückliche Hund sie wieder unterbrach, indem er plötzlich in das Gewächshaus schoß und ein lautes Kläffen anstimmte, worauf sich ein klirrendes Geräusch, wie von dem Fallen eines Blumentopfes herrührend vernehmen ließ.

Ovid eilte in das Gewächshaus und folgte dem Hunde, der die in den Hintergarten führenden Stufen hinunterraste.

Ein Topf lag zerbrochen auf dem Ziegelboden, und von der Schönheit der darin enthaltenen Blume angezogen, bückte sich Ovid, um dieselbe wieder aufzurichten. Wäre er statt dessen gleich nach der Gartenthür geeilt, so würde er eine Dame gesehen haben, die sich eiligst in das Haus begab, und in derselben, wenn ihm das Gesicht auch abgewandt gewesen, jedenfalls Miß Minerva erkannt haben. Als er nun die Thür erreichte, war der Garten leer. Er sah nach dem Hause auf und bemerkte die Gestalt Carmina’s an dem geöffneten Fenster ihres Schlafzimmers.

Auf dem holden jungen Gesicht lag ein trüber Ausdruck, der ihn bekümmerte. Dachte sie an die glückliche Vergangenheit? oder an die ungewisse Zukunft hier unter Fremden in dem fremden Lande? Als sie Ovid bemerkte, hellten sich ihre Augen auf, und dieser, dessen gewohnte Kälte gegen Frauen sofort dahinschmolz, warf ihr eine Kußhand zu. Sie gab den ihr von Italien her so vertrauten Gruß mit ihrem sanften Lächeln zurück und sah sich nach dem Zimmer hinein um. Gleich darauf erschien Teresa am Fenster und rief hinaus, wie immer ohne vorherige Ueberlegung ihrem Impulse folgend: »Wir langweilen uns hier; kommen Sie wieder zu uns, Mr. Ovid.« Die Worte waren kaum gesprochen, als beide sich vom Fenster abwandten; Teresa zeigte bedeutungsvoll in das Zimmer und dann verschwanden sie.

Ovid begab sich in die Bibliothek zurück, wo ihn Mr. Mool mit der Frage empfing, ob Jemand gehorcht habe.

»Ich habe Niemanden entdeckt«, antwortete Ovid, »bezweifele aber, daß eine umherstreifende Katze den schweren Blumentopf umgeworfen haben kann. Aber wo ist meine Mutter?« fragte er, sich umsehend.

Der Rechtsanwalt antwortete ihm, daß dieselbe vor Eifer gebrannt habe, seine Cousine von dem ihr von ihrem Vater ausgesetzten hübschen Jahresgehalte zu benachrichtigen, und nach oben gegangen sei. Dabei begann er das Testament zusammenzulegen, hielt aber plötzlich inne und sagte:

»Wie unbedachtsam von mir! Ich vergaß, Mr. Ovid, daß Sie das Ende nicht gehört haben. Lassen Sie mich Ihnen einen kurzen Auszug geben. Sie wissen vielleicht, daß Miß Carmina katholisch ist? Sehr natürlich, da es die Religion ihrer seligen Mutter war. Nun, sehen Sie, ihr guter Vater hat nichts vergessen und verbietet entschieden jedwede auf Bekehrung hinzielenden Versuche.«

Ovid lächelte; die religiösen Ansichten seiner Mutter begannen und endeten ja mit der Unorganischen Materie dieser Erde.

»Die letzte Clausel«, fuhr Mr. Mool fort, »schien ihre Frau Mutter recht schmerzlich aufzuregen. Ich erinnerte sie daran, daß ihr Herr Bruder außer Lady Northlake und ihr selbst keine nahen lebenden Verwandten habe. Und ihrer gnädigen Frau Schwester bei den fürstlichen Verhältnissen des Herrn Lords Geld zu vermachen, war doch außer Frage —«

»Verzeihen Sie«, fiel ihm Ovid in’s Wort, »was kann meine Mutter dabei aufregen?«

Der Rechtsanwalt entschuldigte sich, daß er mit dem besten Willen nicht früher zu dem Punkte gekommen sei. »Geschäftsgewohnheit, Mr. Ovid«, erklärte er. »Wir werden leicht weitschweifig – werden ja auch nach Wort- und Foliozahl bezahlt! – und klären gern zuerst den Grund. Am Ende des Testamentes sieht Ihr Herr Onkel den beiden möglichen Fällen vor, daß Miß Carmitia unverheirathet, oder wenn verheirathet, ohne Erben stürbe, und verfügt für diese Fälle folgendermaßen über sein Vermögen«:

»Ich weiß nicht, ob ich mich der Höhe des Vermögens richtig erinnere«, unterbrach ihn Ovid wieder, der die Wichtigkeit dieser letzten Clausel jetzt einsah. »Sagten Sie einhundertunddreißigtausend Pfund?«

»Ja.«

»Und was wird aus dieser großen Summe, wenn Carmina nie heirathet oder wenn sie keine Kinder hinterläßt?«

»Ja jedem von beiden Fällen fällt das ganze Vermögen an Mrs. Gallilee und deren Töchter.«

Capitel IX

Um Mitternacht saß Ovid wieder in seinem Studierzimmer. Die Stille der Straße, in welcher er wohnte, wurde nur durch das gelegentliche Rollen eines Wagens und durch die von dem Hause eines der Nachbarn, welcher einen Ball gab, herüber tönende Tanzmusik unterbrochen. Ovid saß vor feinem Arbeitstische und dachte. Eine ehrliche Selbstprüfung hatte ihm seinen Seelenzustand klar gemacht und ihm das neue Interesse, das sein Leben erfüllte, in seiner wahren Ausdehnung zum Bewußtsein gebracht.

Er war jetzt der willige Sklave dieses Interesses. Hätte er heute Nachmittag nicht gewußt, daß seine Mutter bei ihr war, so würde er nach dem Fortgange des Rechtsanwaltes wieder zu ihr gegangen sein. Da das nun nicht anging, hatte er nach oben sagen lassen, daß er sich zum Diner einfinden würde, um nur Carmina wiedersehen zu können, war aber enttäuscht worden, als er hörte, daß Mr. Gallilee und seine Mutter eine Einladung angenommen hätten und seine Cousine den Thee auf ihrem Zimmer einnehmen würde.

Er hatte dann ohne besonderen Appetit etwas in seinem Clnb gegessen und war darauf in die Oper gegangen, blos weil ihn das Bild einer beliebten Sängerin der Saison unbestimmt an Carmina erinnerte. Und jetzt um Mitternacht, nachdem er aus der Oper zurückgekommen, saß er hier und brannte vor Verlangen, seine Cousine wiederzusehen. In einigen Stunden hatte er Gelegenheit dazu, denn es war abgemacht, daß er sich beim Frühstück von der Familie verabschieden solle.

Bei einem Manne, der unfähig war, sich selbst zu täuschen, konnte das Bewußtsein des in ihm vorgehenden Wechsels nur zu einem Ende führen; und trotzdem Ovid so fest wie je von der Wichtigkeit von Ruhe und Veränderung bei seinem zerrütteten Gesundheitszustande überzeugt war, gehörte die beabsichtigte Seereise bereits zu den überwundenen Illusionen seines Lebens.

Sein Freund hatte mit ihm abgemacht, daß sie an diesem Morgen von London nach dem Hafen abreisen wollten, wo dessen Yacht sie erwartete. Da sie nicht so intim waren, um einander rückhaltlos ihre Geheimnisse anzuvertrauen, so konnte er sich der bei Nichteinhaltung einer Verabredung gewöhnlichen Entschuldigung bedienen; doch trotzdem das Papier vor ihm lag und er die Absage im Geiste schon entworfen hatte, befand er sich in einem so sonderbaren Zustande der Unentschiedenheit, daß er zögerte, den Brief zu schreiben.

So erschüttert waren seine krankhaft sensitiven Nerven, daß er sogar bei dem gewohnten Tone der Fluruhr, die Halb schlug, zusammenfuhr. Als er gleich darauf draußen vor der Thür ein sanftes, trauriges Miauen hörte, stand er ohne ein Zeichen von Ueberraschung auf und öffnete die Thür, durch welche nun eine kleine schwarze Katze mit einem dreieckigen weißen Flecke auf der unteren Gesichtshälfte und vier glänzenden weißen Pfötchen mit Grazie und Würde in das Zimmer schritt. Dann ging er wieder an seinen Tisch zurück. Sobald er im Stuhle saß, sprang ihm die Katze auf die Schulter, setzte sich auf derselben zurecht und schnurrte ihm in die Ohren; diesen Platz nahm sie stets ein, wenn ihr Herr allein schrieb. Der junge Arzt hatte seinen jetzigen Gefährten eines Tages auf seiner Runde in einer der Vorstädte vom Verhungern gerettet. Die Katze war nämlich von ihren Besitzerin, die auf Reisen gegangen waren, vergessen und in dem Hause eingeschlossen worden und hatte durch ihr klägliches Miauen einen Haufen von Nachbarn vor das Haus gelockt, als Ovid gerade vorbeikam. Obgleich die Nachbarn ihm über dieselbe in ziemlich herabwürdigenden Ausdrücken Auskunft gaben: daß sie z. B. den häßlichen Namen »Snooks« führe und immer Junge habe, so nahm er sie trotz dieser Warnung in seinem Wagen mit, und seitdem hatte sich dies glückliche kleine Mitglied einer brutal verunglimpften Rasse an ihren neuen Freund – und an ihn allein innig angeschlossen. Die Diener duldete sie höflich, aber nicht mehr. Die Wirthschafterin versuchte ihren absurden Namen mit einem besseren zu vertauschen – sie hörte aber auf keinen anderen. Die Köchin hatte strengen Befehl, wenn die unvermeidlichen Jungen erschienen, immer eins derselben am Leben zu lassen, und that ihr Möglichstes, um Snooks zu verhindern, ihren Neugeborenen jedes mal ihrem Herrn zu zeigen, hatte aber nie Erfolg damit, so geschickt sie es auch anfangen mochte. Der Mann und die Katze verstanden einander in allen niederen Lebensverhältnissen vollkommen; und wenn Ovid die Wahrheit hätte sagen sollen, so hiitte er bekennen müssen, daß ihm sogar in seinem gegenwärtigen Gemüthszustande die Gegenwart Snooks ein Trost war.

Wenn die erschlaffte Willenskraft eines Spornes bedarf, übt oft die geringfügigste Veränderung in den momentanen Verhältnissen den anregenden Einfluß aus. Diesen Dienst nun leistete Ovid die Erscheinung der Katze; sie rüttelte ihn auf, und er schrieb den Brief, während Snooks sich die Zeit damit vertrieb, sich das Gesicht zu waschen.

Nachdem er sein Gemüth in dieser Hinsicht beruhigt hatte, ging er zu Bett, gefolgt von der Katze, die oben ihr eigenes Bett in einer Ecke seines Schlafzimmers hatte. Wenn er sein Temperament auch zur Genüge kannte, um zu wissen, daß seinerseits diese Nacht an Schlaf nicht zu denken war, so war es doch ein Ruhen, frei von der überflüssigem ungesunden, im System der Natur nicht beabsichtigten Kleidung auf dem Bette zu liegen.

Mit Sonnenaufgang stand er wieder auf und ging aus, um den Brief zu besorgen. Je eher er seinem neugefaßten Entschlusse gemäß handelte, desto sicherer mußte er sein, nicht wieder in die erbärmliche und nutzlose Unentschiedenheit der letzten Nacht zu verfallen. »Gott sei Dank, daß es geschehen ist!« sagte er zu sich, als er den Brief in den an der Thür seines Freundes befindlichen Kasten fallen hörte.

Er machte dann einen Spaziergang im Parke und setzte sich, als er müde war, auf eine Bank am Teiche und sah den Vögeln zu, wie sie sich ihres glücklichen Lebens freuten.

Wohin er auch ging und was er auch that, Carmina war immer bei ihm. Er hatte Tausende von Mädchen gesehen, die viel auffallendere persönliche Reize besessen, von denen einige vielleicht ein gleich gewinnendes Wesen gehabt hatten: was hatte diese kleine halb fremdländische Cousine nun an sich, das ihn im ersten Augenblicke ergriffen und das nun mit jeder Minute seinen zarten Halt immer unwiderstehlicher zu machen schien? Er war zufrieden, den Reiz zu empfinden, ohne sich darum zu kümmern, demselben auf den Grund zu gehen. Der liebliche Morgensonnenschein führte seine Phantasie an ihr Lager, und er sah sie voll Frieden in ihrem neuen Zimmer schlafen. Würde die Zeit kommen, da sie von ihm träumen würde? Er sah nach der Uhr. Es war sieben Uhr; die Frühstücksstunde in Fairfield-Gardens war auf acht Uhr festgesetzt, damit er den Morgenzug benutzen könnte. Eine halbe Stunde mochte mit dem Rückwege nach seinem Hause hingehen; zehn Minuten mit einigen Veränderungen in seinem Anzuge – und dann konnte er aufbrechen, um Carmina wiederzusehen. Kein unangenehmer Gedanke an das, was man im Familienkreise von der plötzlichen Aenderung seines Planes halten möchte, beunruhigte sein Gemüth. Eine ganz andere Frage beschäftigte ihn: er dachte zum ersten Male im Leben daran, was für eine Kleidung wohl eine gewisse Dame beim Frühstück tragen möchte.

Als er um acht Uhr seine Hausthür mit seinem Schlüssel aufschloß. erhob sich von der Bank in der Halle eine ältliche Person in einem gewöhnlichen schwarzen Anzug, in der er, als sie auf ihn zukam, zu seinem sprachlosen Erstaunen, Carmina’s treue Begleiterin Teresa erkannte.

»Ich möchte mit Ihnen sprechen, wenn’s Ihnen gefällig ist«, sagte sie in ihrem besten Englisch.

Ovid führte sie in sein Sprechzimmer, wo sie, ohne die Zeit mit Entschuldigungen oder Erklärungen zu vergeuden, sofort begann: »Carmina hat eine schlechte Nacht gehabt.«

»Ich werde in einer halben Stunde dort sein!« versicherte Ovid mit Eifer.

Die Duenna machte eine ungeduldige Geste mit dem Zeigefinger »Sie braucht keinen Doctor, aber sie braucht einen Freund, wenn ich fort bin, Was für ein Leben wartet ihrer hier – unter Fremden? Sagen Sie nichts! Es ist ihr angst und bange geworden bei ihrer Jugend, Schüchternheit und leichten Erregbarkeit. Und ich muß sie verlassen – muß! muß! Mein alter Mann ist schwach und kann jeden Tag sterben, ohne ein Wesen um sich zu haben, das ihn trösten könnte, wenn ich nicht heimgehe. Wenn ich daran denke, könnte ich mir das Haar raufen. Still! Das Sprechen ist jetzt an mir. Ha! ich weiß, was ich weiß. Junger Herr, Sie sind in Carmina verliebt! Ich habe Sie wie ein Buch gelesen. Sie sehen und fühlen schnell wie die Leute bei uns zu Hause. Seien Sie wie ein Landsmann – helfen Sie mir!«

Dabei zog sie einen Stuhl dicht an Ovid’s Seite und legte plötzlich die Hand schwer auf seinen Arm.

»Meine Schuld ist es nicht, wohlverstanden; ich für meine Person habe nichts gesagt, was sie beunruhigen könnte. Nein, ich habe die Sache so gut wie möglich zu wenden gesucht und ihr etwas vorgelogen. Was mache ich mir daraus! Ich würde wie Judas lügen, wenn ich Carmina dadurch nur einen Augenblick des Schmerzes ersparen könnte. Das Leben ist so ganz neu für sie – denken Sie sich nur einmal hinein – so ganz neu. Wir haben uns gestern die Hand geschüttelt – lassen Sie es uns wieder thun. Sind Sie überrascht, mich hier zu sehen? Ich fragte die Diener Ihrer Frau Mutter um Ihre Wohnung; und da bin – und es nagt an mir bei lebendigem Leibe, wenn ich an die Zukunft denke. O, mein Lamm, mein Engel, allein! O mein Gott! erst siebzehn und allein in der Welt! Ohne Vater und Mutter; und bald, bald – o, zu bald nur, hat sie die Teresa auch nicht mehr. Was sehen Sie? Was haben die Thränen einer einfältigen, nutzlosen alten Närrin so Sonderbares? Ha, hu, die paar Tropfen heißen Wassers! Sie werden Ihrem feinen Teppich hier schon nichts schaden, wenn sie darauf fallen. Sie sind ein guter Mensch, ein lieber Mensch. Still! ich erkenne den bösen Blick auf der Stelle. Nichts mehr davon! Lassen Sie sich etwas in’s Ohr sagen – ich habe bei Carmina schon ein Wort für Sie eingelegt. Lassen Sie ihr Zeit; sie ist nicht kalt – jung und unschuldig, das ist Alles. Die Liebe wird schon kommen – ich weiß, was ich weiß – sie wird schon kommen.«

Sie lachte, aber noch beim Lachen ging wieder eine Veränderung mit ihr vor. Wilde Angst blickte aus den Augen, mit denen sie Ovid anstarrte; es war ihr plötzlich etwas Entsetzliches eingefallen und sie sprang auf die Füße.

»Aber was sagte man mir denn?« schrie sie. »Was sagten Sie selbst, als Sie gestern von uns gingen? Es kann nicht sein! o, es darf nicht sein! Sie werden Carmina doch nicht auch verlassen?«

Ovid’s erster Impuls war, ihr die ganze Wahrheit zu sagen, aber er widerstand demselben. Zu gestehen, daß Carmina die einzige Ursache sei, weshalb er die Seereise aufgegeben, während sie sich des Eindrucks, den sie auf ihn gemacht, nicht einmal bewußt war, hieße sich in eine Stellung bringen, der seine Selbstachtung widerstrebte. »Ich habe meine Pläne geändert«, war Alles, was er zu Teresa sagte. »Beruhigen Sie sich, ich gehe nicht fort.«

Die seltsame Alte schnippte vergnügt mit den Fingern.

»Adieu; mehr brauche ich von Ihnen nicht.« Mit diesem kühlen, biederen Lebewohl ging sie auf die Thür zu, hielt aber plötzlich inne, um nachzudenken – und kam wieder zurück. Es war erst ein Augenblick vergangen, aber sie war wieder so feierlich ernst wie nur je.

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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
490 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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