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Читать книгу: «Ein tiefes Geheimniss», страница 30

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Diese Frage richtete Onkel Joseph erst an Rosamunde und dann nochmals an Leonard. Beide antworteten bejahend und ersuchten ihn, weiter zu erzählen.

»Sie erraten es?« sagte er. »Sara erriet es damals nicht. Der Jammer, der ihr eigenes Herz erfüllte, und die seltsamen Worte ihrer Herrin verwirrten alle ihre Gedanken. Nichtsdestoweniger tat sie, wie immer, alles, was ihre Herrin ihr befahl, und nach einigen Tagen fuhren die beiden ganz allein miteinander von dem Schloß Porthgenna fort. – Die Herrin sagt kein Wort, bis sie an das Ziel der ersten Tagesreise gelangt sind und unter fremden Leuten in einem Gasthause übernachten. Dann endlich sagt sie: ‚Morgen früh, Sara, legst du die gute Wäsche und die guten Kleider an, behältst aber den ordinären Hut und Shawl, bis wir wieder im Wagen sitzen. Ich werde die grobe Wäsche und das grobe Kleid anlegen und den guten Hut und Shawl behalten. So werden wir an den Leuten des Gasthauses vorbei nach unserm Wagen gehen ohne Gefahr zu laufen, durch den Wechsel unserer Kleider große Verwunderung zu erregen. Wenn wir wieder draußen unterwegs sind, können wir die Hüte und Shawls im Wagen wechseln und dann – ist die Sache gemacht. Du bist die verheiratete Dame Mistreß Treverton und ich bin Sara Leeson, die Zofe, die dich bedient!’ Bei diesen Worten fängt Sara endlich an zu ahnen, was dies alles bedeuten soll. Sie zittert vor Furcht und Angst und kann weiter nichts sagen, als: ‚O Herrin, ums Himmels willen, was wollen Sie tun?’ – ‚Ich will’, antwortete die Herrin, ‚dich, meine treue Dienerin, vor Schande und Verderben retten; ich will verhindern, daß das Vermögen des Kapitäns jenem nichtswürdigen Schurken, seinem Bruder, der mich so verleumdet hat, zufalle, und drittens und hauptsächlich will ich meinen Gatten abhalten, wieder zur See zu gehen, indem ich ihm Grund gebe, mich zu lieben, wie er mich noch nie geliebt. Muß ich noch mehr sagen, du armes gebeugtes, ängstliches Geschöpf – oder ist es genug so?’ – Sara kann weiter nichts antworten, asl daß sie bittere Tränen weint und mit matter Stimme ‚Ja’ sagt. – ‚Zweifelst du’, sagt die Herrin und packt sie beim Arme und schaut ihr mit ihren wilden Augen ins Gesicht, ‚zweifelst du, was besser ist, dich verlassen, entehrt und ruiniert in der Welt dastehen zu sehen, oder dich vor Schande zu retten und mich dir für dein ganzes Leben zur Freundin zu machen? Du schwaches, kindisches Geschöpf, wenn du zu keinem Entschluß kommen kannst, so muß es durch mich geschehen. Wie ich will, so soll es werden. Morgen und übermorgen und die folgenden Tage reisen wir immer weiter und weiter dahin, wo, wie mein guter Narr von Doktor sagt, die Luft erfrischend und belebend ist – immer weiter nach Norden, wo niemand mich kennt oder meinen Namen gehört hat. Ich, die Zofe, werde das Gerücht verbreiten, du, die Herrin seiest von schwächlicher Gesundheit. Kein fremdes Auge soll dich sehen, als das des Arztes und der Wärterin, wenn die Zeit, sie zu rufen, da sein wird. Wer dieselben sein werden, weiß ich nicht, wohl aber weiß ich, daß beide unserm Zwecke dienen werden, ohne denselben zu ahnen, und wenn wir nach Cornwall zurückkommen, wird das Geheimnis zwischen und beiden keiner dritten Person anvertraut worden sein, sondern ein totes, tiefes Geheimnis bleiben bis ans Ende der Welt.’ – Mit der ganzen Kraft ihres Willens, in der Stille der Nacht und in dem Hause von Fremdlingen spricht sie diese Worte zu dem furchtsamsten, hülflosesten, gebeugtetsten Wesen. Was brauchte ich weiter zu sagen. In dieser Nacht beugte Sara ihre Schultern zum ersten Male unter die Last, die mit jedem Jahre immer drückender und schwerer ward.«

»Wie viele Tage waren sie unterwegs nach dem Norden?« fragte Rosamunde begierig. »Wo endete die Reise? In England oder in Schottland?«

»In England,« antwortete Onkel Joseph. »Der Name des Ortes ist mir jedoch wieder entfallen – meine deutsche Zunge vermochte ihn nicht gut auszusprechen. Es war eine kleine Stadt an der Küste des Meeres – des Meeres, welches zwischen meinem Vaterlande und dem Ihrigen wogt. Hier machten sie Halt und hier warteten sie, bis es Zeit ward, den Arzt und die Wärterin herbeizurufen. Und wie Mistreß Treverton gesagt hatte, daß es sein sollte, so war es auch vom Ersten bis zum Letzten. Der Arzt und die Wärterin und die Leute des Hauses waren alle fremd und glauben bis auf den heutigen Tag, wenn sie noch leben, Sara sei die Gattin des Seekapitäns und Mistreß Treverton ihre Dienerin gewesen. Erst als sie mit dem Kinde den größten Teil des Heimwegs zurückgelegt hatten, wechselten die Beiden wieder die Kleider und nahmen jede die ihr gebührende Stelle ein. Der erste Freund in Porthgenna, den die Herrin rufen läßt, um ihm das Kind zu zeigen, ist der andere Arzt, der dort wohnt. – ‚Wußten Sie, was mir fehlte, als Sie mich fortschickten, um andere Luft zu atmen?’ sagt sie und lacht. – Und der Doktor lacht auch und sagt: ‚Ei, versteht sich! Ich war jedoch zu vorsichtig, um mich deutlicher auszusprechen, denn in einer so frühen Periode dieses Zustandes kann man sich sehr leicht irren. Und Sie fanden also, daß die trockene Luft Ihnen gut bekam und blieben dort?’ sagt er. ‚Das haben Sie recht gemacht, denn es ist gut für Sie gewesen und auch für das Kind.’ Und der Doktor lacht wieder und die Herrin mit ihm und Sara, welche daneben steht und alles mit anhört, glaubt, es müsse ihr vor Jammer, Entsetzen und Scham über diesen Betrug das Herz brechen. Als der Doktor fort ist, sinkt sie auf die Knie nieder und bittet ihre Herrin mit heißen Tränen, zu bereuen und sie mit dem Kinde von Porthgenna fortzuschicken, damit man nie wieder von ihr höre. Die Herrin mit ihrem tyrannischen Willen antwortet nur vier Worte: ‚Es ist zu spät!’ – Fünf Wochen darauf kommt der Seekapitän zurück und das ‚zu spät’ ist eine Wahrheit, welche durch keine Reue mehr geändert werden kann. Die schlaue Hand der Herrin, welche den Betrug von Anfang an geleitet, leitet ihn auch bis ans Ende – leitet ihn so, daß der Kapitän aus Liebe zu ihr und dem Kinde nicht wieder zur See geht – leitet ihn bis zu der Zeit, wo sie sich auf ihr Bett niederlegt, um zu sterben, und die ganze Last des Geheimnisses und die ganze Schuld des Geständnisses Sara überläßt – Sara, welche unter der Tyrannei dieses Willens fünf lange Jahre als Fremde für ihr eigenes Kind in dem Hause gelebt hat.«

»Fünf Jahre!« murmelte Rosamunde, indem sie ihren Kleinen sanft in ihren Armen emporhob, bis sein Gesicht das ihrige berührte. »O mein Gott, fünf lange Jahre war sie ein Fremdling für das Blut ihres Blutes, für das Herz ihres Herzens!«

»Und auch alle Jahre nachher,« sagte der alte Mann. »Die so einsamen Jahre unter Fremdlingen, ohne daß sie das Kind, welches heranwuchs, ein einziges Mal zu sehen bekommen hätte, ohne ein Herz, welchem sie die Geschichte ihres Kummers hätte anvertrauen können – selbst dem meinigen konnte sie es nicht. ‚Es wäre aber’, sagte ich zu ihr, als sie nicht mehr sprechen konnte und ihr Gesicht wieder auf dem Pfühle herumdrehte, ‚es wäre aber tausend Mal besser gewesen, mein Kind, wenn du das Geheimnis gestanden hättest.’ – ‚Wie konnte ich es gestehen?’ sagte sie. ‚Sollte ich es dem Herrn erzählen, der mir so viel Vertrauen geschenkt? Sollte ich es später der Tochter erzählen, deren Geburt schon ein Vorwurf für mich war? Konnte sie die Geschichte der Schande ihrer Mutter von den Lippen ihrer Mutter erzählen hören? Wie wird sie dieselbe jetzt anhören, Onkel Joseph, wenn sie dieselbe von dir hört? Bedenke den hohen Rang, den sie bis jetzt im Leben eingenommen! Wie kann sie mir verzeihen? Wie kann sie jemals mit Güte und Liebe auf mich herabblicken?’«

»Aber,« rief Rosamunde ihn unterbrechend, »Sie haben sie doch nicht mit diesen Gedanken in ihrem Herzen verlassen?«

Onkel Josephs Haupt sank auf seine Brust herab.

»Was hätte ich wohl dagegen sagen können?« fragte er traurig.

»O, Lenny, hörst du das? Ich muß dich verlassen! Ich muß unsern Kleinen verlassen! Ich muß zu ihr gehen, oder diese letzten Worte brechen mir das Herz.«

Unaufhaltsame Tränen entströmten, indem sie dies sagte, ihren Augen und sie erhob sich mit dem Kind auf den Armen hastig von ihrem Sitz.

»Heute Abend nicht,« sagte Onkel Joseph. »Als ich von ihr fortging, sagte sie zu mir: ‚Heute Abend kann ich nichts mehr ertragen. Laß mir Zeit bis morgen, um so viel Kräfte zu sammeln als möglich.’«

»Nun, dann gehen Sie selbst wieder hin,« rief Rosamunde; »gehen Sie, um Gottes willen, ohne einen Augenblick zu versäumen und reden Sie ihr zu, damit sie von mir denke, wie sie soll. Erzählen Sie ihr wie ich Ihnen zugehört habe, während mein Kind schlafend an meiner Brust gelegen – erzählen Sie ihr – doch nein, Worte sind zu kalt! – Kommen Sie her, kommen Sie her, Onkel Joseph! – ich werde Sie nun stets so nennen – kommen Sie her und küssen Sie mein Kind – ihren Enkel! Küssen Sie ihn auf diese Wange, weil dieselbe meinem Herzen am nächsten gelegen. Und gehen Sie wieder zu ihr, freundlicher und lieber alter Mann- gehen Sie wieder an ihr Bett und sagen Sie weiter nichts, als daß ich ihr diesen Kuß sende!«

Achtes Kapitel
Das Ende des Tages

Die Nacht verging endlich mit ihren schlaflosen, unruhigen Stunden und der Morgen tagte hoffnungsvoll, denn er versprach, Rosamundes Ungewißheit ein Ende zu machen.

Das erste Ereignis des Tages war die Ankunft des Anwalts, Mr. Nixon, welcher am Abend vorher ein auf Leonards Wunsch geschriebenes Briefchen erhalten, durch welches er zum Frühstück eingeladen ward. Ehe der Anwalt sich wieder entfernte, hatte er mit Mr. und Mistreß Frankland alle vorläufigen Arrangements besprochen, welche notwendig waren, um die Rückerstattung der Kaufsumme für Porthgenna Tower zu bewirken, und einen Boten mit einem Briefe nach Bayswater abgesendet, in welchem er seine Absicht meldete, Andrew Treverton diesen Nachmittag zu besuchen, um mit ihm in einer wichtigen Angelegenheit hinsichtlich des persönlichen Besitztums seines verstorbenen Bruders zu sprechen.

Gegen Mittag fand Onkel Joseph sich wieder in dem Hotel ein, um Rosamunde abzuholen und nach dem Hause zu führen, in welchem ihre kranke Mutter lag.

Er kam in der heitersten Laune und erzählte von der wunderbaren Besserung, die in Folge der liebevollen Botschaft, welche er seiner Nichte am vorigen Abend überbracht, in dem Befinden derselben eingetreten sei. Er erklärte, sie sähe mit einem Male glücklicher, kräftiger und jünger aus. Sie habe seit langen Jahren wieder einmal die ganze Nacht ruhig und fest geschlafen, und die wohltätige Einwirkung dieses Umstandes sei vor kaum einer Stunde durch den Arzt selbst anerkannt worden.

Rosamunde hörte dies nachdenklich an, aber ihre Aufmerksamkeit war zerstreut, ihr Gemüt unruhig.

Als sie von ihrem Gatten Abschied genommen und sich mit Onkel Joseph draußen auf der Straße befand, hatte die Aussicht auf die bevorstehende Begegnung mit ihrer Mutter etwas, was trotz ihrer Bemühungen, diesem Gefühle zu widerstreben, sie fast verzagt machte.

Wäre es ihnen möglich gewesen, einander zu begegnen und sich zu erkennen, ohne Zeit gehabt zu haben, was auf einer oder der andern Seite zuerst gesagt oder getan werden müsse, so wäre dann die Zusammenkunft nichts weiter gewesen als die natürliche Folge der Entdeckung des Geheimnisses.

So aber äußerte die zweifelnde, traurige Geschichte der Vergangenheit, welche die Leere des Tages der Ungewißheit ausgefüllt, auf Rosamundes sanguinisches Temperament eine ungemein niederdrückende Wirkung. Ohne in ihrem Herzen gegen ihre Mutter einen Gedanken zu haben, der nicht zärtlich, mitleidig und aufrichtig gewesen wäre, fühlte sie jetzt nichtsdestoweniger ein unbestimmtes Gefühl von Verlegenheit, welches, je näher sie und der alte Mann dem Ziele ihrer kurzen Wanderung kamen, bis zu wirklicher Unbehaglichkeit anstieg.

Als sie endlich an der Tür des Hauses standen, war sie sich zu ihrem eigenen Abscheu bewußt, daß sie überlegte, welche Worte sie wohl zuerst zu sprechen, was sie wohl zuerst zu tun habe – gerade als ob sie in Begriff gestanden hätte, eine gänzlich fremde Person zu besuchen, deren günstige Meinung sie zu gewinnen wünsche und deren Bereitwilligkeit, ihr einen herzlichen Empfang angedeihen zu lassen, ein Gegenstand des Zweifels sei.

Die erste Person, welche sie, nachdem die Tür geöffnet worden, sahen, war der Arzt. Er kam aus einem kleinen leeren Zimmer am Ende der Hausflur auf sie zu und bat um Erlaubnis, mit Mistreß Frankland einige Minuten zu sprechen.

Onkel Joseph ließ Rosamunde demgemäß bei dem Arzt und ging mit einer Flinkheit, um welche ihn Mancher, der halb so alt gewesen wäre wie er, beneidet haben würde, die Treppe hinauf, um seiner Nichte die Ankunft ihrer Tochter zu melden.

»Geht es schlimmer mit ihr? Kann mein Anblick ihr Gefahr bringen?« fragte Rosamunde, während der Arzt sie in das leere Zimmer führte.

»Ganz im Gegenteil,« entgegnete er. »Sie ist diesen Morgen um vieles besser und diese Besserung hat, wie ich finde, ihren Grund hauptsächlich in dem beruhigenden und erheiternden Einfluß, den die Botschaft auf sie geäußert, welche sie gestern Abend von Ihnen erhalten hat. Diese Entdeckung ließ mich eben wünschen, mit Ihnen über ein gewisses Symptom des geistigen Zustandes meiner Patientin zu sprechen, ein Symptom, welches mich, als ich es zuerst entdeckte, überraschte und beunruhigte und mir seit dieser Zeit fortwährend großes Kopfzerbrechens verursacht hat. Meine Patientin leidet – um die Sache kurz und in den einfachsten Worten klar zu machen – an einer Sinnestäuschung von sehr außerordentlicher Art und welche, so weit meine Beobachtung reicht, sie gewöhnlich gegen das Ende des Tages bei Eintritt der Dämmerung heimsucht. Es ist dann in ihren Augen ein Ausdruck wahrzunehmen, als ob sie glaubte, es sei plötzlich jemand ins Zimmer getreten. Sie blickt und spricht dann in den leeren Raum hinein, gerade wie wir jemanden ansehen und anreden würden, der wirklich vor uns stünde und uns zuhörte. Der alte Mann, ihr Onkel, erzählt mir, er habe dies zuerst bemerkt, als sie vor einiger Zeit ihn besucht habe – ich glaube, er sagte, es sei in Cornwall gewesen. Sie sprach damals mit ihm über ihre Privatangelegenheiten, als sie plötzlich – es war in der Dämmerung – schwieg, dann eine Frage über das alte Thema des Aberglaubens hinsichtlich des Wiedererscheinens verstorbener Personen aufwarf, nach einer dunkeln Ecke des Zimmers blickte und nach dieser hin zu sprechen begann, gerade so wie ich sie hier in ihrem Zimmer blicken gesehen und sprechen gehört habe. Ob sie sich einbildet, daß sie von einer gespenstischen Erscheinung verfolgt werde, oder daß eine lebende Person zu gewissen Zeiten ihr Zimmer betrete – dies weiß ich nicht und der alte Mann, ihr Onkel, kann mir auch nichts sagen, was mir die Wahrheit erraten helfen könnte. Könnten Sie mir vielleicht einigen Aufschluß hierüber geben?«

»Nein, denn ich höre es zum ersten Male,« antwortete Rosamunde, indem sie den Arzt mit einem Blick des Erstaunens und der Unruhe ansah.

»Vielleicht,« fuhr er fort, »ist sie gegen Sie mitteilsamer als gegen mich. Wenn Sie es vielleicht einrichten können, daß Sie heute oder morgen zur Zeit der Abenddämmerung an ihrem Bett sind und wenn Sie glauben, daß Sie nicht selbst dadurch erschreckt werden, so wäre es mir sehr erwünscht, wenn Sie sie sehen und hören könnten, während sie sich unter dem Einfluß dieser Sinnestäuschung befindet. Vergebens habe ich mich bemüht, während dieser Zeit ihre Aufmerksamkeit davon abzulenken oder sie zu bewegen, später davon zu sprechen. Sie besitzen augenscheinlich eine bedeutende Einwirkung auf sie und deshalb wäre es leicht möglich, daß Ihnen etwas gelänge, was mir bis jetzt nicht hat gelingen wollen. Bei dem Zustande der Kranken lege ich großes Gewicht darauf, daß ihr Gemüt von allem befreit werde, was dasselbe umwölkt und bedrückt, ganz besonders aber von einer so ernsten Störung, wie die von mir soeben beschriebene ist. Gelänge es Ihnen, dieselbe zu bekämpfen, so würden Sie der Kranken den größten Dienst leisten und meine Bemühungen, ihrer Gesundheit wieder aufzuhelfen, wesentlich unterstützen. Sind Sie vielleicht geneigt, einen derartigen Versuch zu machen?«

Rosamunde versprach sowohl dies, als auch alles Andere zu tun, was zum Wohle der Patientin dienen könne.

Der Arzt dankte ihr und ging dann voran wieder in die Hausflur. Onkel Joseph kam, eben als sie aus dem Zimmer traten, die Treppe herunter.

»Sie ist bereit und sehnt sich, Sie zu sehen,« flüsterte er Rosamunden ins Ohr.

»Ich brauche Ihnen wohl nicht erst nochmals zu sagen, wie dringend notwendig es ist, die Kranke bei möglichst ruhiger Gemütsstimmung zu erhalten,« sagte der Arzt, indem er sich verabschiedete. »Es ist – wie ich Ihnen auf mein Wort versichere – keine Übertreibung, wenn ich sage, daß ihr Leben davon abhängt.«

Rosamunde verneigte sich schweigend und folgte dann ebenso schweigend dem alten Mann die Treppe hinauf.

An der Tür eines Hinterzimmers der zweiten Etage blieb Onkel Joseph stehen.

»Hier ist sie,« flüsterte er hastig. »Ich will Sie allein hineingehen lassen, denn es ist am besten, wenn in dem ersten Augenblick niemand weiter zugegen ist. Ich werde mittlerweile ein wenig in dem schönen warmen Sonnenschein auf der Straße hin und her gehen, an Sie beide denken und nach einer Weile wiederkommen. Gehen Sie hinein und der Segen und die Gnade Gottes seien mit Ihnen.«

Er drückte ihre Hand an seine Lippen und ging dann rasch wieder die Treppe hinunter.

Rosamunde stand nun allein vor der Tür. Ein augenblickliches Zitter schüttelte sie an allen Gliedern, als sie die Hand ausstreckte, um anzupochen. Dieselbe sanfte, wohlklingende Stimme, welche sie das letzte Mal in ihrem Schlafzimmer zu West Winston gehört, antwortete ihr jetzt.

So wie dieser Ton an Rosamundes Ohr schlug, stahl sich ein Gedanke an ihr Kind in ihr Herz und beschwichtigte das stürmische Pulsieren desselben. Sie öffnete nun ohne Weiteres die Tür und ging.

Weder das Aussehen des Zimmers im Innern, noch die Aussicht vom Fenster, weder die charakteristischen Zierden des Zimmers, noch die hauptsächlichsten Möbels desselben – mit einem Worte, keiner der Gegenstände, der zu andern Zeiten ihren raschen Beobachtungssinn gefesselt haben würde, machte jetzt irgend welchen Eindruck darauf.

Von dem Augenblick an, wo sie die Tür öffnete, sah sie nichts als die Pfühle des Betts, das darauf liegende Haupt und das ihr zugewendete Gesicht. Als sie die Schwelle überschritt, änderte sich der Ausdruck dieses Gesichts. Die Augenlider senkten sich ein wenig und die bleichen Wangen wurden plötzlich von brennender Röte übergossen.

Schämte sich ihre Mutter, sie anzusehen?

Schon dieser Zweifel reichte hin, um Rosamunden augenblicklich von dem Selbstmißtrauen, der Verlegenheit und dem Zögern in Bezug auf die Wahl ihrer Worte, welches ihren edelmütigen Impuls bis zu diesem Moment gefesselt, zu befreien. Sie eilte an das Bett, hob die abgezehrte, zurückbebende Gestalt in ihren Armen empor und legte das arme müde Haupt sanft an ihre warme junge Brust.

»Endlich komme ich, Mutter, um nun Deine Wärterin zu sein,« sagte sie. Das Herz ward ihr zu voll, so wie ihr Mund diese einfachen Worte stammelte – ihre Augen flossen über – sie konnte nichts weiter sagen.

»Weine nicht!« murmelte die schwache, wohllautende Stimme schüchtern. »Ich habe nicht das Recht, dich hierher zu rufen und dir das Herz schwer zu machen. Weine nicht! Weine nicht!«

»O still! Still! Wenn du so zu mir sprichst, so kann ich weiter nichts tun als weinen”, sagte Rosamunde. »Laß uns vergessen, daß wir jemals getrennt gewesen sind – nenne mich bei meinem Namen – sprich mit mir, wie ich mit meinem eigenen Kinde sprechen werde, wenn Gott mir die Gnade schenkt, es heranwachsen zu sehen. Nenne mich Rosamunde und – bitte, bitte – sage mir, daß ich etwas für dich tun soll.«

Mit diesen Worten riß sie leidenschaftlich die Bänder ihres Hutes auseinander und warf ihn von sich auf den nächsten Stuhl.

»Sieh,« fuhr sie fort, »da steht ein Glas Limonade auf dem Tische. Sag: ‚Rosamunde, bring mir meine Limonade!’ Sag es in ganz gewöhnlichem Ton, Mutter. Sag, als ob du wüßtest, daß ich verbunden bin, dir zu gehorchen.«

Die Kranke sprach die Worte nach, obschon noch in etwas unsicherm Tone – sie sprach sie mit einem wehmütigen, verwunderten Lächeln und mit einem Verweilen der Stimme auf dem Namen Rosamunde, als ob es ihr einen Hochgenuß gewähre, denselben auszusprechen.

»Du hast mich durch jene Botschaft und durch den Kuß, den du mir von deinem Kinde schicktest, so glücklich gemacht,« sagte sie, als Rosamunde ihr die Limonade gegeben und wieder ruhig an dem Bett Platz genommen hatte. »Es war dies eine so freundliche Art und Weise, mir zu sagen, daß du mir verziehest! Es gab mir den Mut, dessen ich bedurfte, um mit dir so zu sprechen, wie ich jetzt spreche. Es ist möglich, daß meine Krankheit mich verändert hat, aber ich fühle mich jetzt nicht furchtsam und fremd in deiner Nähe, wie ich glaubte, daß es bei unserer ersten Begegnung, nachdem du das Geheimnis erfahren, der Fall sein würde. Ich glaube, ich werde bald wohl genug sein, um deinen Kleinen zu sehen. Sieht er dir ähnlich? Wenn dem so ist, so muß er –«

Sie stockte.

»Doch,« setzte sie nach einer kurzen Pause hinzu, »das kann ich wohl denken, aber ich tue besser, wenn ich nicht davon spreche, sonst weine ich auch, und ich möchte nun gern mit Gram und Kummer fertig sein.«

Während sie diese Worte sprach, ruhten ihre Augen mit liebender Innigkeit auf den Zügen ihrer Tochter, der alte Instinkt der Sauberkeit war aber in ihren schwachen, abgezehrten Fingern immer noch unwillkürlich tätig. Rosamunde hatte nur erst die Minute zuvor ihre Handschuhe vor sich auf das Bett geworfen und schon hatte ihre Mutter dieselben ergriffen, strich sie sorgfältig glatt und faltete sie, während sie sprach, zierlich zusammen.

»Nenne mich noch einmal Mutter,« sagte sie, als Rosamunde ihr die Handschuhe abnahm und ihr durch einen Kuß für das Zusammenfalten derselben dankte.

»Noch niemals habe ich dich Mutter nennen hören bis jetzt – niemals von dem Tage an, wo du geboren wurdest, bis jetzt.«

Rosamunde unterdrückte die Tränen, welche ihr in die Augen traten, und wiederholte das Wort.

»Ich begehre kein größeres Glück als hier zu liegen und dich anzusehen und dich dies sagen zu hören. Gibt es wohl noch ein weibliches Wesen in der Welt, welches ein so schönes und gutes Gesicht hat wie das deinige?«

Sie schwieg und lächelte matt.

»Ich kann,« fuhr sie dann fort, »diese holden rosigen Lippen jetzt nicht ansehen, ohne daran zu denken, wie viel Küsse sie mir schuldig sind.«

»Hättest du doch diese Schuld schon längst bezahlen lassen,« sagte Rosamunde, indem sie die Hand ihrer Mutter ergriff, wie sie die ihre Kindes ergriff und sie auf ihren Hals legte. »Hättest du doch gleich das erste Mal, als wir uns sahen und du kamst um mich zu pflegen, alles gesagt. Mit welchem Kummer habe ich oft an jenen Tag gedacht! O, Mutter, habe ich dich in meiner Unwissenheit bekümmert? Hast du weinen müssen, wenn du später an mich dachtest?«

»Bekümmert, sagst du, Rosamunde? Mein ganzer Kummer ist nur durch mich selbst, aber nicht durch dich herbeigeführt worden. ‚Sei nicht hart gegen sie’ – erinnerst du dich noch dieser Worte? Als ich verdientermaßen fortgeschickt werden sollte, weil ich dich erschreckt hatte, sagtest du zu deinem Gatten: ‚Sei nicht hart gegen sie.’ Nur fünf Worte waren es – aber o, welch ein Trost war es später für mich, zu bedenken, daß du dies gesagt hattest! Ich wollte dich gern küssen, Rosamunde, als ich dir das Haar bürstete; es kostete mir einen so schweren Kampf, nicht laut zu schluchzen, als ich dich hinter den Bettvorhängen deinem Kleinen gute Nacht wünschen hörte. Das Herz trat mir gleichsam in den Munde und erstickte meine Worte. Ich nahm deine Partie, als ich später zu meiner Herrin zurückkehrte. Ich wollte nicht zugeben, daß sie auch nur ein einziges unfreundliches Wort über dich äußerte. Ich hätte hundert Herrinnen ins Gesicht schauen und ihnen allen widersprechen können. O nein, nein! Du hast mich niemals bekümmert. Meinen bittersten Trennungskummer erfuhr ich vor vielen Jahren, ehe ich in West Winston zu dir kam, um dich zu pflegen. Es war dies damals, als ich meinen Dienst in Porthgenna verließ – als ich mich an jenem furchtbaren Morgen in die Kinderstube stahl und dich mit deinen kleinen Armen den Hals meines Herrn umschlungen halten sah. In einer deiner Hände hieltst du die Puppe, welche du mit zu Bett genommen hattest, und dein Kopf ruhte an der Brust des Kapitäns, gerade so wie der meinige jetzt – o welch ein Glück, Rosamunde! – an der deinigen ruht. Ich hörte die letzten Worte, die er zu dir sprach, Worte, die du damals noch zu jung warst zu verstehen und zu behalten. ‚Still, liebe Rose’, sagte er. ‚Weine nicht mehr um die arme Mama, denke an den armen Papa und bemühe dich, ihn zu trösten.’ Dies, liebes Kind, war der bitterste und schwerste Kummer, den ich jemals zu tragen gehabt. Ich, deine eigene Mutter, stand dabei wie ein Spion und hörte ihn dies zu dem Kinde sagen, welches ich nicht als das meinige anzuerkennen wagte. ‚Denke an den armen Papa.’ Meine gute Rosamunde, jetzt weißt du, an welchen Vater ich dachte, als er diese letzten Worte sagte. Wie konnte ich ihm das Geheimnis mitteilen? Wie konnte ich ihm den Brief geben, während er niemand hatte, der ihn getröstet, als dich – während die furchtbare Wahrheit bei jedem Wort, welches er sprach, mein Herz zermalmte wie die Felsenwand, die den Vater erschlug, den du niemals gekannt.«

»Sprich jetzt nicht davon,« sagte Rosamunde. »Laß uns nicht wieder auf die Vergangenheit zurückkommen. Ich weiß davon alles, was ich wissen soll – alles, was ich davon zu wissen wünsche. Wir wollen von der Zukunft sprechen, Mutter, und von künftigen glücklichen Zeiten. Laß mich dir von meinem Gatten erzählen. Wenn Worte ihn loben können, wie er gelobt zu werden verdient – wenn Worte ihm danken können, wie ihm gedankt zu werden gebührt, dann geschieht es durch die meinigen, dann wird es, wie ich überzeugt bin, auch durch die deinigen geschehen. Laß mich dir erzählen, was er sagte und was er tat, als ich ihm den Brief vorlas, den ich in dem Myrtenzimmer gefunden. Ja, ja – laß mich dir dies erzählen.«

Der letzten Worte des Doktors eingedenk und heimlich zitternd, als sie das mühsame, unregelmäßige Puliseren des Herzens ihrer Mutter unter ihrer Hand fühlte, während sie zugleich den raschen Wechsel ihrer bald blassen, bald roten Gesichtsfarbe sah, beschloß sie, keine Worte mehr zwischen ihnen gesprochen werden zu lassen, welche geeignet wären, an den Kummer und die Leiden der Vergangenheit auf peinliche Weise zu erinnern.

Nachdem sie daher die Unterredung zwischen ihrem Gatten und ihr, welche mit der Enthüllung des Geheimnisses geschlossen, erzählt, veranlaßte sie ihre Mutter, von der Zukunft zu sprechen, von der Zeit, wo sie im Stande sein würde, wieder zu reisen, von dem Glück, miteinander nach Cornwall zurückzukehren, von dem kleinen Fest, welches sie bei ihrer Ankunft in Onkel Josephs Hause in Truro feiern könnten, und von der Zeit, wo sie weiter nach Porthgenna oder vielleicht irgend einem andern Orte gingen, wo neue Umgebungen und neue Gesichter ihnen alle trübe Erinnerungen, an welche es am besten sei nicht mehr zu denken, vergessen helfen würden.

Rosamunde sprach noch über diese Dinge und ihre Mutter hörte ihr noch mit steigendem Interesse an jedem Wort, welches sie sprach, zu, als Onkel Joseph zurückkam.

Er brachte einen Korb Blumen und einen Korb Obst mit, welche er triumphierend am Fuß des Bettes seiner Nichte emporhielt.

»Ich bin in dem schönen hellen Sonnenschein umhergewandelt, mein Kind,« sagte er, »um deinem Gesicht Zeit zu lassen, fröhlich auszusehen, damit ich es so wiedersehen möchte, wie ich es während meines noch übrigen Lebens stets zu sehen wünsche. Ja, Sara, ich habe dir endlich den rechten Doktor gebracht,« setzte er Rosamunden ansehend, in heiterm Tone hinzu. »Sie hat dir schon ein wenig geholfen. Warte noch ein wenig und sie wird dich ganz wieder auf die Füße bringen – deine Wangen werden so rot sein wie die meinigen, dein Herz ebenso leicht wie das meinige und deine Zunge wird ebenso schnell plappern wie die meinige. Sieh, die schönen Blumen und Früchte, die ich gekauft, sind wohltätig für deine Augen, angenehm für deine Nase, am allerangenehmsten aber werden die letztern dir sein, wenn du sie in den Mund steckst. Heute ist ein Festtag für uns und wir müssen das Zimmer schön und blank machen. Übrigens wird auch bald dein Essen kommen – ich habe es schon unten auf dem Anrichtetisch in der Küche gesehen – es ist ein wahrer Cherub unter Hühnern! Und dann folgt dein fester, wohltätiger Schlaf und Mozart wird das Wiegenlied singen und ich werde dasitzen und Wache halten und sobald du aufwachst, hinuntergehen und dir deine Tasse Tee holen. Ach, mein Kind, mein Kind! Welche Freude, daß wir endlich diesen Feiertag erlebt haben!«

Mit einem strahlenden Blick auf Rosamunden und beide Hände voll Blumen nehmend, wendete er sich von seiner Nichte ab und begann das Zimmer zu dekorieren.

Mit Ausnahme des Augenblicks, wo sie dem alten Mann für die Geschenke dankte, die er mitgebracht, war ihre Aufmerksamkeit während der ganzen Zeit, wo er gesprochen, unverwandt dem Gesicht ihrer Tochter zugewendet gewesen, und ihre ersten Worte, als er schwieg, waren an Rosamunden allein gerichtet.

»Während ich mich über mein Kind freue,« sagte sie, »halte ich dich von dem deinigen fern. Ich aber sollte weniger als jeder andere Mensch euch so lange voneinander getrennt halten. Geh nun wieder nach Hause, liebe Tochter, zu deinem Gatten und deinem Kind, und überlaß mich meinen dankbaren Gedanken und meinen Träumen von bessern Zeiten.«

»Um Ihrer Mutter willen sagen Sie ja,« mischte Onkel Joseph sich ein, ehe Rosamunde antworten konnte. »Der Doktor sagt, sie müsse am Tage überhaupt ihre Ruhe haben wie in der Nacht. Und wie soll ich sie bewegen, die Augen zu schließen, solange sie die Versuchung hat, dieselben offen zu halten und auf Sie zu heften?«

Rosamunde sah die Wahrheit dieser letzten Worte ein und verstand sich dazu, auf einige Stunden nach dem Hotel zurückzukehren, jedoch in der Voraussetzung, daß sie am Abend wieder ihren Platz am Bett der Kranken einnähme.

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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
570 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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