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Читать книгу: «Ein tiefes Geheimniss», страница 2

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»Schwöre! Schwöre!« sagte Mistreß Treverton.

»Die Stimme versagte ihr, als sie dieses Wort ausgesprochen hatte. Sie mühte sich ein wenig, erlangte die Sprache wieder und fuhr fort:

»Schwöre, daß du dieses Papier nicht vernichten willst, wenn ich tot bin.«

Selbst während sie diese feierlichen Worte sprach, selbst bei diesem letzten Kampfe um Leben und Kraft bewies der unausrottbare theatralische Instinkt mit furchtbarer Hartnäckigkeit, wie fest derselbe in ihrem Gemüt wurzelte. Sara fühlte die kalte Hand, die noch auf der ihrigen lag, einen Augenblick sich heben – sie sah wie dieselbe ihr graziös winkte – fühlte, wie sie sich wieder herabsenkte und die ihrige mit zitterndem, ungeduldigem Druck umschloß. Bei dieser letzten Aufforderung antwortete sie mit schwacher Stimme:

»Ich schwöre es!«

»Schwöre auch, daß du dieses Papier nicht mit fortnehmen willst, wenn du, nachdem ich tot bin, dieses Haus verlässest.«

Wieder zögerte Sara, ehe sie antwortete – wieder machte sich der zitternde Druck auf ihrer Hand fühlbar, obschon diesmal schwächer – und wieder stammelten ihre Lippen die Worte:

»Ich schwöre es!«

»Schwöre,« begann Mistreß Treverton zum dritten Male. Die Sprache versagte ihr aber wieder und sie bemühte sich jetzt vergebens, die Herrschaft über dieselbe wiederzuerlangen.

Sara blickte auf und sah, wie Vorläufer von Konvulsionen das schöne Gesicht zu entstellen begannen. Sie sah wie die Finger der weißen, zartgeformten Hand sich krümmten, während sie nach dem Tische hinüberlangten, auf welchem die Medizinflaschen standen.

»Sie haben es ausgetrunken,« rief Sara aufspringend, als sie die Bedeutung dieser Gebärde erriet. »Herrin, liebe Herrin, Sie haben es ausgetrunken, es ist bloß noch das Opiat da. Lassen Sie mich gehen – ich will –«

Ein Blick von Mistreß Treverton tat ihr Einhalt, ehe sie weiter ein Wort sprechen konnte. Die Lippen der Sterbenden bewegten sich rasch.

Sara hielt ihr Ohr dicht an dieselben. Anfangs hörte sie nichts als keuchende, schnell aufeinander folgende Atemzüge, dann einige gebrochene, verworrene, damit gemischte Worte:

»Ich bin noch nicht fertig – du mußt schwören – komm näher heran, näher, näher – noch ein Drittes – dein Herr – schwöre, daß du ihm das Papier geben –«

Die letzten Worte starben leise hinweg. Die Lippen, welche sie so mühsam geformt, teilten sich plötzlich, schlossen sich aber nicht wieder. Sara sprang nach der Tür und rief in den Korridor hinaus nach Hilfe – dann eilte sie an das Bett zurück, ergriff den Bogen Briefpapier, auf welchen sie nach dem Diktat ihrer Herrin geschrieben, und verbarg ihn in ihrem Busen.

Der letzte Blick aus Mistreß Trevertons Augen heftete sich streng und vorwurfsvoll auf sie, indem sie dies tat, und bewahrte während der augenblicklichen Verzerrung der übrigen Züge diesen Ausdruck einen einzigen atemlosen Augenblick lang unverändert.

Dieser Augenblick ging vorüber und mit dem nächsten stahl der Schatten, welcher dem Eintritt des Todes vorangeht, sich herauf und drängte in einer einzigen ruhigen Sekunde das Licht des Lebens von dem ganzen Gesichte hinweg.

Der Arzt trat in Begleitung der Wärterin und eines der Diener in das Zimmer, eilte an das Bett, sah aber auf den ersten Blick, daß die Zeit seiner Dienste hier für immer vorüber war. Er wendete sich zuerst zu dem Diener, der ihm gefolgt war.

»Geht zu Eurem Herrn« sagte er, »und bittet ihn, in seinem Zimmer zu warten, bis ich zu ihm kommen und mit ihm sprechen kann.«

Sara stand noch, ohne sich zu bewegen oder zu sprechen, oder auf jemand zu achten – am Bett.

Die Wärterin, welche sich näherte, um die Vorhänge zusammenzuziehen, stutzte beim Anblick ihres Gesichts und wendete sich dann zu dem Arzt.

»Ich glaube, es wird gut sein, wenn diese Person das Zimmer verläßt; meinen Sie nicht auch, Herr Doktor?« sagte die Wärterin mit einem gewissen Ausdruck von Verächtlichkeit in ihrem Ton und Blick. »Sie scheint durch das, was geschehen ist, über alle Maßen angegriffen und erschreckt zu sein.«

»Jawohl,« sagte der Doktor, »es ist am besten, wenn sie sich entfernt. Ich gebe Euch den Rat, uns auf einige Zeit zu verlassen,« setzte er hinzu, indem er Sara am Arme berührte.

Sie fuhr argwöhnisch zusammen, hob eine ihrer Hände zu der Stelle empor, wo die Schrift verborgen an ihrem Busen lag, und drückte sie fest darauf, während sie die andere Hand nach einem Licht ausstreckte.

»Ihr werdet wohltun, wenn Ihr eine Weile in Eurem Zimmer ausruht,« sagte der Arzt, indem er ihr ein Licht gab. »Doch, wartet,« setzte er, nachdem er einen Augenblick nachgedacht, hinzu: »Ich stehe im Begriff, die traurige Neuigkeit Eurem Herrn mitzuteilen. Vielleicht wünscht er die letzten Worte zu hören, welche Mistreß Treverton in Eurer Gegenwart gesprochen hat. Deshalb ist es vielleicht am besten, wenn Ihr mitkommt und wartet, während ich zu dem Kapitän hineingehe.«

»Nein! Nein! – jetzt nicht, jetzt nicht, um des Himmels willen!«

Indem Sara diese Worte in leisem, raschem, bittendem Tone sprach und sich dabei wie erschrocken nach der Tür zurückzog, verschwand sie, ohne einen Augenblick zu warten, was man weiter zu ihr sagen würde.

»Eine sonderbare Person,« sagte der Arzt zu der Wärterin gewendet. »Geht ihr nach und sehr, wohin sie geht, im Fall sie gebraucht wird und wir nach ihr schicken müssen. Ich will hier warten, bis Ihr zurückkommt.«

Als die Wärterin zurückkam, hatte sie weiter nichts zu berichten, als daß sie Sara Leeson bis an ihr Schlafzimmer gefolgt sei – sie in dasselbe habe hineingehen sehen – daß sie an der Tür gehorcht und gehört habe, wie dieselbe von innen verschlossen worden.

»Eine sonderbare Person,« wiederholte der Arzt, »eine von der schweigsamen, geheimnisvollen Sorte.«

»Eine von der nicht guten Sorte,« bemerkte die Wärterin. »Sie spricht immer mit sich selbst und das ist meiner Ansicht ein schlimmes Zeichen. Ihr ganzes Aussehen gefällt mir nicht und ich habe ihr gleich von dem ersten Tage an, wo ich dieses Haus betreten, nicht getrauet.«

Zweites Kapitel
Das Verbergen des Geheimnisses

In dem Augenblick, nachdem Sara Leeson den Schlüssel in der Tür ihres Schlafzimmers herumgedreht hatte, nahm sie den Bogen Briefpapier aus dem Versteck ihres Busens. Sie schauderte, indem sie ihn herauszog, als ob schon seine Berührung sie verwundete, legte ihn offen auf ihren kleinen Ankleidetisch und heftete ihre Augen neugierig auf die Zeilen, welche der Brief enthielt.

Anfangs schwammen und verschmolzen sich dieselben vor ihren Augen durcheinander. Sie drückte ihre Hände einige Minuten lang auf die Augen und betrachtete dann die Schrift wieder. Die Buchstaben waren jetzt klar – deutlich und klar und, wie ihr vorkam, unnatürlich groß.

Da stand die Überschrift: »An meinen Gatten« – dann folgten die von ihrer Feder geschriebenen Zeilen mit den Unterschriften am Ende, erst Mistreß Trevertons und dann ihre eigene.

Das Ganze belief sich auf nur sehr wenige Sätze auf einen einzigen vergänglichen Bogen Papier geschrieben, den die Flamme eines Lichts in einem Augenblick verzehrt haben würde.

Und dennoch saß Sara da und las und las immer und immer wieder und rührte das Papier nicht an, ausgenommen wenn es unbedingt notwendig war, um die erste Seite umzuwenden. Sie regte sich nicht, sie sprach nicht, sie hob ihre Augen nicht von dem Papier empor. Wie ein verurteilter Gefangener sein Todesurteil lesen würde, so las jetzt Sara Leeson die wenigen Zeilen, welche sie und ihre Herrin vor kaum einer halben Stunde geschrieben hatten.

Das Geheimnis der lähmenden Wirkung dieser Schrift auf ihr Gemüt lag nicht bloß in dieser selbst, sondern auch in den Umständen, von welchen ihr Zustandekommen begleitet gewesen war.

Der Schwur, welcher von Mistreß Treverton unter keinem ernstern Einfluß als der letzten Laune der zerrütteten, durch verworrene Erinnerungen an Bühnenworte und Bühnensituationen aufgestachelten Geisteskräfte verlangt worden, ward von Sara Leeson als das heiligste und unverletzlichste Gelübde betrachtet, durch welches sie sich jemals hätte binden können.

Die Drohung, Gehorsam gegen ihre letzten Befehle noch vom Jenseits aus zu erzwingen, welche Drohung die sterbende Herrin ausgesprochen, um damit zugleich ein spöttisches Experiment mit der abergläubischen Furcht der leichtgläubigen Zofe anzustellen, schwebte jetzt unheimlich über dem schwachen Gemüte Saras, wie ein Urteilsspruch, der sie sichtbar und unerbittlich in jedem Augenblick ihres künftigen Lebens ereilen könnte.

Als sie sich endlich aufrüttelte, das Papier von sich schob und sich von ihrem Stuhle erhob, blieb sie einen Augenblick ganz still stehen, ehe sie wagte, hinter sich zu schauen. Als sie dies endlich tat, geschah es mit Anstrengung und indem sie einen forschenden, mißtrauischen Blick in das leere Dunkel der entfernteren Winkel des Zimmers warf.

Ihre alte Gewohnheit, mit sich selbst zu sprechen, begann wieder ihren Einfluß zu behaupten, während sie jetzt rasch hin und her ging und das Zimmer zuweilen der Länge, zuweilen der Breite nach durchmaß. Sie wiederholte unaufhörlich gebrochene Redensarten, wie zum Beispiel: »Wie kann ich ihm den Brief geben? – Einem so guten Herrn, der so freundlich ist gegen uns alle! – Warum starb sie und überließ alles mir? – Ich kann es nicht alleine tragen,– es ist zuviel für mich!«

Während sie diese Redesätze wiederholte, beschäftigte sie sich träumerisch damit, daß sie die Sachen im Zimmer aufräumte und in Ordnung brachte, obschon dieselben sich bereits in vollkommener Ordnung befanden. Alle ihre Blicke, alle ihre Bewegungen verrieten den vergeblichen Kampf eines schwachen Gemüts, sich unter der Wucht einer schweren Verantwortlichkeit aufrecht zu erhalten. Sie ordnete und ordnete immer wieder die Porzellanschälchen auf ihrem Kaminsims – setzte ihr Nadelkissen erst auf den Spiegel, dann auf den Tisch vor demselben – veränderte die Stellung des kleinen Porzellanbeckens auf ihrem Waschtische, indem sie es bald rechts bald links schob.

Während aller dieser geringfügigen Verrichtungen waren selbst die nutz- und zwecklosesten derselben stets von einer unverkennbaren Anmut und Zartheit begleitet. Sie warf nichts herunter, sie stellte nichts schief, ihre Tritte machten selbst bei der raschesten Bewegung kein Geräusch – der Saum ihres Kleides war so sauber und fleckenlos, als ob heller Tag und die Augen aller ihrer Nachbarn auf sie geheftet gewesen wären.

Von Zeit zu Zeit änderte sie den Sinn der Worte, welche sie verworren vor sich hin murmelte. Zuweilen gaben sie kühnere und zuversichtliche Gedanken, wenn auch zusammenhangslos, zu erkennen.

Einmal schienen dieselben sie sogar wider ihren Willen an den Ankleidetisch und den darauf liegenden offenen Brief zu treiben. Sie las laut die Aufschrift: »An meinen Gatten,« ergriff dann hastig den Brief und sagte in festerem Tone:

»Warum soll ich ihm diese Schrift überhaupt geben? Warum will ich nicht lieber das Geheimnis mit ihr und mit mir sterben lassen, wie es am besten wäre? Warum sollte er es wissen? Er soll es nicht wissen.«

Indem sie die letzten Worte sprach, näherte sie den Brief bis auf einen Zoll der Flamme des Lichts. In demselben Augenblick bewegte sich vor ihr der weiße Vorhang am Fenster, sowie die frischer werdende Luft durch die altmodischen, schlecht schließenden Fensterflügel hereindrang. Ihr Auge erblickte den Vorhang, während derselbe sich langsam vorwärts und rückwärts bewegte. Schnell drückte sie den Brief mit beiden Händen an ihre Brust und fuhr an die Wand des Zimmers zurück, während ihre Augen immer noch an dem Vorhang hafteten – mit dem Blick desselben Entsetzens, welches sie zu erkennen gegeben, da Mistreß Treverton gedroht hatte, von der andern Welt aus den Gehorsam ihrer Dienerin zu erzwingen.

»Es bewegt sich etwas,« keuchte sie bei sich selbst mit atemlosem Geflüster; »es bewegt sich etwas in dem Zimmer neben mir !«

Der Vorhang wehte zum zweiten Male langsam hin und her. Ich immer noch unverwandt über die Schulter hinweg anschauend, schlich sie sich die Wand entlang nach der Tür.

»Kommst du schon?« sagte sie, die Augen immer noch auf den Vorhang heftend, während ihre Hand an dem Schlosse nach dem Schlüssel tastete. »Ehe noch das Grab gegraben ist? Ehe noch der Sarg fertig ist? Ehe die Leiche kalt ist?«

Sie öffnete die Tür und schlüpfte auf den Korridor hinaus. Hier blieb sie einen Augenblick stehen und schaute zurück in das Zimmer.

»Ruhe!« sagte sie. »Ruhe! – er soll den Brief bekommen.«

Die Treppenlampe leitete sie aus dem Korridor hinaus. Eilig, als ob sie fürchtete, sich Zeit zum Nachdenken zu lassen, ging sie die Treppe hinunter und erreichte binnen wenigen Minuten Kapitän Trevertons Arbeitszimmer, welches sich im Erdgeschoß befand. Die Tür stand weit geöffnet und das Zimmer war leer.

Nachdem sie eine Weile nachgedacht, zündete sie eins der auf dem Tisch in der Hausflur stehenden Zimmerlichter an der Lampe im Arbeitszimmer an und ging wieder die Treppe hinauf nach dem Schlafzimmer ihres Herrn.

Nachdem sie wiederholt an die Türe gepocht, aber keine Antwort erhalten, wagte sie hineinzugehen. Das Bett stand noch unberührt, die Lichter waren nicht angezündet worden – allem Anscheine nach war während der ganzen Nacht niemand in dem Zimmer gewesen.

Nun gab es bloß noch einen Ort, an welchem sei ihn suchen konnte – das Zimmer, in welchem seine verstorbene Gattin lag. Hatte sie wohl Mut genug, um ihm den Brief dort zu geben?

Sie zögerte ein wenig, dann flüsterte sie: »Ich muß! ich muß!«

Die Richtung, welche sie nun zu nehmen gezwungen war, führte sie wieder einen Teil der Treppe hinunter. Diesmal ging sie sehr langsam, hielt sich vorsichtig an das Geländer an und blieb fast auf jeder Stufe stehen, um Atem zu schöpfen.

Die Tür von Mistreß Trevertons Schlafzimmer ward, als sie an dieselbe zu pochen wagte, von der Wärterin geöffnet, welche in rauhem und argwöhnischem Tone fragte, was sie hier wolle.

»Ich wünsche meinen Herrn zu sprechen.«

»Dann müßt Ihr ihn anderswo suchen. Er war vor einer halben Stunde hier. Jetzt ist er fort.«

»Wißt Ihr, wohin er gegangen ist?«

»Nein. Ich bekümmere mich nicht um das Kommen und Gehen anderer Leute. Ich besorge, was meine Sache ist.«

Mit dieser höflichen Antwort schloß die Wärterin die Tür wieder. Gerade als Sara sich von derselben hinweg wendete, schaute sie nach dem innern Ende des Korridors. Dort befand sich die Tür der Kinderstube. Diese Tür stand ein wenig geöffnet und ein düsterer Schimmer Kerzenlicht fiel durch die Spalte.

Sara ging sofort hinein und sah, daß der Lichtschimmer aus einem innern Zimmer kam, welches, wie sie recht wohl wußte, gewöhnlich von dem Kindermädchen und dem einzigen Kinde des Hauses Treverton bewohnt ward.

Dieses Kind war ein kleines Mädchen namens Rosamunde, zu dieser Zeit beinahe fünf Jahre alt.

Ist er vielleicht dort? – von allen Zimmern des Hauses gerade in diesem?

Schnell, wie dieser Gedanke in ihr erwachte, steckte Sara den Brief, welchen sie bis jetzt in der Hand getragen, in den Busen ihres Kleides und verbarg ihn zum zweiten Male gerade so, wie sie ihn verborgen, als sie das Bett ihrer Herrin verließ.

Dann stahl sie sich auf den Zehen durch die Kinderstube hindurch nach dem innern Zimmer.

Der Eingang desselben war, einer Laune des Kindes zu Gefallen, bogenförmig gemacht und mit bunt angestrichenem Spalierwerk versehen, sodaß er dem Eingang eines Gartenhauses glich. Zwei hübsche Zitzvorhänge, die innerhalb des Spalierwerks angebracht waren, bildeten die einzige Schranke zwischen dem Tagzimmer und dem Schlafzimmer.

Einer dieser Vorhänge war in die Höhe gesteckt und auf die auf diese Weise gebildete Öffnung ging Sara jetzt zu, nachdem sie vorsichtig ihr Licht draußen auf dem Korridor gelassen.

Der erste Gegenstand, der ihre Aufmerksamkeit in dem Schlafzimmer des Kindes auf sich zog, war die Gestalt des Kindermädchens, welches fest schlafend in einem Armstuhl am Feuer zurückgelehnt saß. Als sie nach dieser Entdeckung kühner in das Zimmer hineinzuschauen wagte, sah sie ihren Herrn, mit dem Rücken nach ihr gewendet, an dem Bettchen des Kindes sitzen.

Die kleine Rosamunde war wach und stand im Bett, während sie den Hals ihres Vaters mit ihren Armen umschlungen hielt. Eine ihrer Hände hielt die Puppe, die sie mit zu Bett genommen, über seine Schultern hinweg, die andere hielt sich sanft an seinem Haar fest. Die Kleine hatte bitterlich geweint und sich nun erschöpft, sodaß sie bloß von Zeit zu Zeit noch ein wenig stöhnte, während ihr Kopf müde an der Brust des Vaters ruhte.

Die Tränen standen Sara in den Augen, während sie ihren Herrn und die kleinen Hände betrachtete, die seinen Hals umschlungen hielten. Sie verweilte an dem aufgehobenen Vorhang, ohne auf die Gefahr zu achten, in der sie stand, jeden Augenblick entdeckt und zur Rede gestellt zu werden; sie weinte, bis sie Kapitän Treverton beschwichtigend zu der Kleinen sagen hörte:

»Still, meine gute Rose! Still, mein liebes Kind; weine nicht mehr um die arme Mama. Denke an den armen Papa und suche ihn zu trösten.«

So einfach diese Worte waren, so ruhig und zärtlich sich auch gesprochen wurden, schienen sie doch Sara Leeson sofort aller Selbstbeherrschung zu berauben. Ohne darauf zu achten, ob sie gehört würde oder nicht, drehte sie sich um und eilte in den Korridor, als ob es gälte ihr Leben zu retten. An dem Licht vorbei, welches sie hier hatte stehen lassen, eilte sie, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen, nach der Treppe und mit atemloser Schnelligkeit dieselbe hinab nach der Küche.

Hier kam ihr einer der beiden Diener, welche gewacht hatten, entgegen und fragte sie mit der Miene des Erstaunens und Erschreckens, was es gäbe.

»Ich bin krank – ich bin wie ohnmächtig – ich muß an die Luft,« antwortete sie stotternd und verworren. »Öffnet mir die Gartentür und laßt mich hinaus!«

Der Mann gehorchte, aber zweifelhaft, als ob er glaubte, sie könne nicht ohne Gefahr sich selbst überlassen werden.

»Sie wird immer seltsamer in ihren Mucken,« sagte er, als er, nachdem Sara an ihm vorüber ins Freie hinausgeeilt war, wieder zu seinem Kameraden zurückkam. »Nun, da ihre Herrin tot ist, wird sie wahrscheinlich einen andern Dienst suchen müssen. Ich für meine Person werde mich nicht zu Tode nach ihr sehnen. Du wohl auch nicht ?«

Die kühle milde Luft im Garten bestrich frisch Saras Gesicht und schien die Heftigkeit ihrer Aufregung zu beschwichtigen. Sie bog in einen Seitenweg ein, welcher nach einer Terrasse führte und die Aussicht auf die Kirche des benachbarten Dorfes bot. Das Tageslicht außerhalb des Hauses war schon ziemlich hell. Der neblige Schein, welcher dem Sonnenaufgang vorangeht, schwebte friedlich und lieblich hinter einer Strecke schwarzbraunen Moorlandes den ganzen östlichen Himmel entlang. Die alte Kirche mit ihrer Myrten- und Fuchsienhecke, die den kleinen Kirchhof daneben mit all der Üppigkeit umgab, welche man bloß in Cornwall sieht, ward immer deutlicher und fast ebenso schnell als das Morgenfirmament selbst sichtbar.

Sara stützte sich mit den Armen schwerfällig auf die Lehne eines Gartenstuhls und wendete ihr Gesicht nach der Kirche. Ihre Augen schweiften von dem Gebäude selbst nach dem Kirchhof daneben, verweilten hier und sahen, wie das Licht über dem einsamen Asyl, wo die Toten in Frieden ruhten, immer wärmer und wärmer ward.

»O, mein Herz, mein Herz,« sagte sie. »Woraus muß es gemacht sein, daß es nicht bricht!«

Sie blieb eine Weile so auf den Stuhl gestützt stehen, schaute mit wehmütigem Blick nach dem Kirchhof und dachte über die Worte nach, welche sie Kapitän Treverton zu dem Kinde hatte sagen hören. Sie schienen – wie jetzt auch alles andere in ihren Gedanken zu tun schien – in Zusammenhang mit dem Brief zu stehen, der auf Mistreß Trevertons Sterbebett geschrieben worden. Sie zog ihn wieder aus dem Busen und knitterte ihn zornig in den Fingern zusammen.

»Immer noch in meinen Händen! Immer noch von keinem andern Auge gesehen als dem meinigen!« sagte sie, indem sie auf das zerknitterte Papier herabblickte. »Ist die Schuld aber mein? Wenn sie jetzt noch lebte, wenn sie gesehen hätte, was ich sah – wenn sie gehört hätte, was ich hörte – könnte sie dann von mir erwartet haben, daß ich ihm den Brief geben würde?«

Ihr Gemüt ward durch den Gedanken, den ihre letzten Worte aussprachen, anscheinend beruhigt. Sie bewegte sich gedankenvoll von dem Gartenstuhl hinweg, ging über die Terrasse, einige hölzerne Stufen hinunter und folgte einem durch die Anlagen gebahnten Pfad, der von der östlichen Seite des Hauses nach der nördlichen führte.

Dieser Teil des Gebäudes war seit länger als einem halben Jahrhundert unbewohnt und vernachlässigt gewesen. Zu Zeiten des Vaters des Kapitäns war die ganze Reihe der nördlichen Zimmer ihrer schönsten Gemälde und ihrer schönsten Möbels beraubt worden, um die westlichen Zimmer dekorieren zu helfen, welche jetzt den einzigen bewohnten Teil des Hauses bildeten und die für die Bequemlichkeit der Familie und der Gäste, welche hierherkamen, um vielleicht einige Zeit zu verweilen, auch vollkommen ausreichend waren.

Das schloßähnliche Gebäude hatte ursprünglich die Form eines Vierecks gehabt und war stark befestigt gewesen. Von den vielen Verteidigungswerken des Platzes war bloß noch eins übrig – ein plumper, niedriger Turm, von welchem, sowie von dem nahgelegenen Dorfe das Haus seinen Namen Porthgenna Tower ableitete, und welcher an dem südlichen Ende der westlichen Front stand.

Die Südseite selbst bestand aus Ställen und Nebengebäuden mit einer verfallenen Mauer vor derselben, welche rückwärts in östlicher Richtung rechtwinklig an die Nordseite stieß und auf diese Weise das Viereck vervollständigte, welches der ganze Umriß des Gebäudes darstellte.

Die äußerliche Ansicht der Reihe nördlicher Gemächer vor dem verwilderten, vernachlässigten Garten unten verriet sehr deutlich, daß viele Jahre vergangen waren, seitdem irgend ein menschliches Wesen sie bewohnt. Die Fensterscheiben waren an manchen Stellen zerbrochen und an andern dicht mit Schmutz und Staub bedeckt. Hier waren die Läden ganz, dort waren sie bloß halb geöffnet. Der sich selbst überlassene Efeu, die wilde, aus den Spalten des Mauerwerks hervorwuchernde Vegetation, die Draperien von Spinnengeweben, das Geröll von Holz, Backsteinen, Kalk, zerbrochenem Glas, Lumpen und Fetzen schmutzigen Tuches, welches unter den Fenstern lag, alles erzählte dieselbe Geschichte von Verfall und Vernachlässigung.

In Folge ihrer Lage schattig, hatte diese verfallene Seite des Hauses ein finsteres, kaltes, winterliches Ansehen, selbst an dem sonnigen Augustmorgen, wo Sara Leeson sich in den verlassenen nördlichen Garten hineinverirrte.

Sich immer mehr in das Labyrinth ihrer eigenen Gedanken vertiefend, ging sie langsam an längst ausgerotteten Blumenbeeten vorüber und von Unkraut überwachsene Kieswege entlang. Ihre Augen schweiften mechanisch über diese Umgebung und ihre Füße trugen sie ebenso mechanisch überall hin, wo eine Spur von einem Wege war, mochte er führen, wohin er wollte.

Die Erschütterung, welche die von ihrem Herrn in der Kinderstube gesprochenen Worte ihrem Gemüt mitgeteilt, hatte ihre ganze Natur sozusagen in die Enge getrieben und in ihr endlich den moralischen Mut erweckt, sich durch einen endgültigen und verzweifelten Entschluss zu waffnen.

Immer langsamer die Pfade des verlassenen Gartens wandernd, sowie der Gang ihrer Ideen sie immer vollständiger von allen äußern Dingen abzog, blieb sie unwillkürlich an einem freien Raume stehen, der früher einmal ein wohlunterhaltener Rasenplatz gewesen und der jetzt noch die volle Aussicht auf die lange Reihe der unbewohnten nördlichen Zimmer darbot.

Was bindet mich, den Brief überhaupt meinem Herrn zu geben? dachte sie bei sich selbst, indem sie das zerknitterte Papier träumerisch mit der flachen Hand wieder glatt strich. Meine Herrin starb, ohne mich dies beschwören zu lassen. Kann sie es vom Jenseits aus an mir heimsuchen, wenn ich bloß die Versprechungen halte, deren Beobachtung ich wirklich beschworen, aber weiter nichts tue? Kann ich es nicht auf das schlimmste, was geschehen kann, ankommen lassen, so lange ich gewissenhaft alles halte, wozu ich mich eidlich verbindlich gemacht?

Hier schwieg sie in ihrem Selbstgespräch. Ihre abergläubischen Befürchtungen äußerten im Freuen und beim hellen Tageslicht noch denselben Einfluß wie in ihrem Zimmer zur Stunde der Finsternis.

Sie schwieg, dann begann sie wieder den Brief glattzustreichen und sich die Worte der feierlichen Verpflichtung, welche Mistreß Treverton sie gezwungen hatte auf sich zu nehmen, ins Gedächtnis zurückzurufen.

Wozu hatte sie sich wirklich verbindlich gemacht?

Bloß dazu, den Brief nicht zu vernichten und ihn nicht mitzunehmen, wenn sie das Haus verließe.

Außerdem hatte Mistreß Treverton noch gewünscht, daß der Brief ihrem Gemahl gegeben werde. War dieser letzte Wunsch bindend für die Person, welcher er anvertraut worden? Ja. War er so bindend wie ein Eid? Nein.

Als sie zu diesem Schlusse kam, blickte sie auf. Anfangs ruhten ihre Augen gedankenlos auf der einsamen, verlassenen nördlichen Front des Hauses. Allmählich wurden sie durch ein besonderes Fenster angezogen, welches sich genau in der Mitte in dem ersten Stockwerke über dem Erdgeschoß befand. Es war das größte und düsterste der ganzen Reihe.

Plötzlich leuchteten ihre Augen von einem seltsamen Ausdruck. Sie fuhr zusammen, eine schwache Röte überhauchte ihre Wangen und sie ging schnell näher hin an die Mauer des Hauses.

Die Glasscheiben des großen Fensters waren gelb von Schmutz und Staub und phantastisch mit Spinneweben drapiert. Darunter lag ein Haufen Unrat auf der trockenen Erde eines Platzes umhergestreut, der vielleicht einmal ein Blumenbeet oder ein Ziergebüsch gewesen war.

Die Form des Beetes war noch an einer länglichen Einfassung von Unkraut und wucherndem Gras zu erkennen.

Sie folgte ihm unentschlossen der ganzen Runde nach, blickte bei jedem Schritt nach dem Fenster empor, blieb dann dicht unter demselben stehen, warf einen Blick auf den Brief in ihrer Hand und sagte kurz abgebrochen zu sich selbst:

»Ich will es wagen.«

So wie diese Worte ihren Lippen entfielen, eilte sie zurück nach dem bewohnten Teil des Hauses, folgte dem Korridor in der Küchenetage, welcher nach dem Zimmer der Haushälterin oder dem Wirtschaftszimmer führte, trat in dasselbe und nahm von einem Nagel in der Wand ein Schlüsselbund, an dessen es zusammenhaltendem Ringe ein Elfenbeintäfelchen befestigt war, auf welchem geschrieben stand: »Schlüssel zu den nördlichen Zimmern.«

Sie legte die Schlüssel auf einem Schreibtisch in ihrer Nähe, ergriff eine Feder und fügte auf der leeren Seite des Briefes, den sie nach dem Diktat ihrer Herrin geschrieben, rasch noch folgende Zeilen hinzu:

»Wenn diese Schrift jemals gefunden werden sollte – was, wie ich von ganzem Herzen bete, niemals der Fall sein möge –, so erkläre ich hiermit, daß ich zu dem Entschlusse, sie zu verbergen, gekommen bin, weil ich nicht wage, den Inhalt dieses Briefes meinem Herrn zu zeigen, an welchen er gerichtet ist. Indem ich tue, was ich mir jetzt vornehme zu tun, handle ich allerdings den letzten Wünschen meiner Herrin entgegen, breche aber doch nicht den feierlichen Schwur, den sie mich vor sich an ihrem Sterbebett ablegen ließ. Dieser Schwur verbietet mir, diesen Brief zu vernichten oder ihn mit fortzunehmen, wenn ich das Haus verlasse. Ich werde auch keins von beiden tun, denn meine Absicht ist, ihn vor allen andern Orten an dem zu verbergen, wo nach meiner Ansicht die wenigste Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, daß er jemals gefunden werde. Jedes Drangsal oder Unglück, welches vielleicht eine Folge dieses hinterlistigen Verfahrens von meiner Seite ist, wird über mich selbst kommen. Andere dagegen werden, wie ich fest glaube, in Folge des Verbergens des furchtbaren Geheimnisses, welches dieser Brief enthält, nur um so glücklicher sein.«

Diese Zeilen unterzeichnete sie mit ihrem Namen, drückte rasch das Löschblatt darauf, welches mit den übrigen Schreibmaterialien auf dem Tische lag, nahm den Brief, nachdem sie ihn zusammengefaltet, zur Hand, ergriff das Schlüsselbund, indem sie sich rings umschaute, als ob sie im geheimen beobachtet zu werden fürchtete, und verließ das Zimmer.

Alle ihre Bewegungen, seitdem sie dasselbe betreten, waren hastig und schnell gewesen. Augenscheinlich fürchtete sie, sich auch nur einen Augenblick Muße zum Nachdenken zu lassen.

Als sie die Wirtschaftszimmer verließ, wendete sie sich links, ging eine Hintertreppe hinaus und schloß, oben angelangt, eine Tür auf. Eine Staubwolke flog um sie herum, während sie leise die Tür öffnete. Eine modrige Kühle machte sie frösteln, während sie eine große steinerne Halle durchschritt, in welcher einige schwarze Familienbildnisse hingen, deren Leinwand sich aus den an den Wänden hängenden Rahmen herausblähte.

Nachdem sie wieder eine Treppe erstiegen, kam sie an eine Reihe von Türen, welche alle in Zimmer des ersten Stockwerks auf der nördlichen Seite des Hauses führten.

Sie kniete nieder, legte den Brief neben sich auf die Diele dem Schlüsselloch der ersten Tür gegenüber, an welche sie von der obersten Stufe der Treppe aus kam, lugte mißtrauisch einen Augenblick hinein und begann dann die verschiedenen Schlüssel zu probieren, bis sie einen fand, der in das Schloß paßte.

Es kostete ihr viel Mühe, dies zu Stande zu bringen, denn ihre Aufregung war so groß, daß ihre Hände zitterten und sie kaum im Stande war, die Schlüssel getrennt voneinander zu halten.

Endlich gelang es ihr, die Tür zu öffnen. Dichtere Staubwolken als ihr bis jetzt entgegengekommen, wirbelten in dem Augenblick heraus, wo das Innere des Zimmers sichtbar ward und eine trockene, luftlose, dicke Atmosphäre erstickte sie fast, als sie sich bückte, um den Brief vom Fußboden aufzuheben. Anfangs wich sie zurück und tat einige Schritte wieder nach der Treppe. Doch gewann sie ihre Entschlossenheit sofort wieder.

»Nun kann ich nicht mehr zurück,« sagte sie verzweifelt und trat in das Zimmer.

Sie blieb nicht länger als zwei oder drei Minuten darin. Als sie wieder herauskam, war ihr Gesicht totenbleich vor Furcht, und die Hand, welche, als sie in das Zimmer ging, den Brief gehalten, hielt jetzt nichts weiter als einen kleinen rostigen Schlüssel.

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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
570 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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