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Читать книгу: «Die Blinde», страница 4

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Im Laufe einer kleinen Unterhaltung gedachte ich beiläufig des Herrn vom Hause Wie kam es, daß ich ihn noch nicht gesehen hatte? Das hatte den sehr triftigen Grund, daß er zum Besuch eines Freundes nach Brighton gegangen war. Es war Dienstag und er wurde am »Predigttage,« das heißt am Sonnabend derselben Woche zurück erwartet. Ich kehrte etwas aufgeregt in mein Zimmer zurück. In diesem Zustande pflegt mein Geist mit wunderbarer Freiheit zu arbeiten. Ich hatte wieder eine Inspiration. Herr Dubourg hatte sich heute Abend die Freiheit genommen, mit mir zu sprechen: Gut. Ich beschloß, am nächsten Tage allein nach Browndown zu gehen und mir die Freiheit zu nehmen, mit Herrn Dubourg zu sprechen. War mir dieser Entschluß nur durch mein Interesse für Lucilla eingegeben, oder hatte meine Neugierde die ganze Zeit über unter der Oberfläche gearbeitet und, mir selbst unbewußt, meine Erwägungen beeinflußt? Ich ging zu Bett, ohne mich das zu fragen. Ich rathe meinen Lesern, sich auch zur Ruhe zu begeben.

Siebentes Kapitel.
Der Mann bei Tageslicht

Als ich an jenem Abende mein Licht aus löschte, beging ich ein Versehen; ich verließ mich darauf, daß, ich am nächsten Morgen zeitig aufwachen würde. Ich hätte Zillah bitten sollen, mich zu wecken.

Es vergingen Stunden, bevor ich die Augen schließen konnte und mein Schlaf war, als er endlich kam, äußerst unruhig bis Tagesanbruch. Da erst schlief ich fest ein. Als ich wieder aufwachte und nach meiner Uhr sah, fand ich zu meinem Schrecken, daß es bereits zehn Uhr sei.

Ich sprang aus dem Bette und klingelte der alten Amme. Ich fragte sie, ob Lucilla zu Hause sei.

Nein, lautete die Antwort, sie sei ein wenig spazieren gegangen

»Allein?«

»Ja, allein«

»Wohin ist sie gegangen?«

»Ja der Richtung des Thales von Browndown zu.«

Ich zog sofort meine Schlüsse.

Dank meiner Trägheit, welche mich die kostbaren Morgenstunden im Bette hatte verschlafen lassen, war Lucilla mir zuvorgekommen. Das einzige, was mir zu thun übrig blieb, war, ihr so rasch wie möglich zu folgen. Eine halbe Stunde später machte ich allein einen kleinen Spaziergang, und nahm ebenfalls meinen Weg in der Richtung des Thales von Browndown zu.

Ländliche Stille herrschte rund um das kleine einsame Haus. Ich ging an demselben vorüber und bog in die nächste Windung des Thales ein. Kein menschliches Wesen war zu sehen. Ich kehrte um und ging wieder nach Browndown, um zu recognosciren. Ich stieg die Anhöhe hinan, auf welcher das Häuschen lag, und näherte mich demselben von der Rückseite her. Alle Fenster standen offen; ich horchte. Denke niemand, daß ich dabei irgend welche Scrupel empfand. Nur eine Thörin hätte bei einer solchen Gelegenheit etwas derart empfinden können. Ich horchte mit beiden Ohren, durch ein Fenster an der Seite vernahm ich den Klang von Stimmen. Ich trat geräuschlos auf dem Rasen näher und hörte Dubourgs Stimme. Eine Frauen stimme antwortete ihm. Aha, ich hatte sie also ertappt.

»Wunderbart« hörte ich ihn sagen. »Ich glaube, Sie haben Augen in Ihren Fingerspitzen. Nehmen Sie jetzt einmal dies in die Hand und versuchen Sie ob Sie mir sagen können, was es ist.«

»Eine kleine Vase,« antwortete sie in so ruhigem Tone, als ob sie ihn seit Jahren gekannt hätte. »Warten Sie, lassen Sie mich fühlen, was für Metalles ist. Silber? Nein, Gold .Haben Sie diese Vase wirklich auch selbst gemacht wie den Kasten.«

»Ja Eine sonderbare Liebhaberei, nicht wahr getriebene Arbeiten in Gold und Silber zu machen. Vor Jahren traf ich in Italien einen Mann, der mich diese Kunst lehrte. Es machte mir damals Vergnügen und macht mir noch heute Vergnügen. Als ich im vorigen Frühjahr in der Reconvalescenz von einer Krankheit war, verfertigte ich diese Vase aus dem Metall und versah sie mit den darauf befindlichen Ornamenten.

»Da ist mir also wieder ein Geheimniß enthüllt,« rief sie aus. »Jetzt weiß ich, wozu Sie sich jene Gold – und Silberplatten aus London haben kommen lassen. Wissen Sie auch, in welchem Ruf Sie hier stehen? Es giebt hier Leute, die Sie im Verdacht haben, ein Falschmünzer zu sein!«

Beide brachen wie muntere Kinder in ein lautes Lachen aus. Ich muß bekennen, ich wünschte auch im Zimmer zu sein. Aber nein, ich hatte meine Pflicht als respectable Frau zu erfüllen. Meine Pflicht war mich noch etwas näher an das Fenster heranzuschleichen und zu sehen, ob irgend welche Vertraulichkeiten zwischen diesen beiden jungen munteren Leuten gewechselt würden. Die eine Hälfte des offenen Fensters war durch eine Jalousie geschützt. Ich stellte mich hinter die Jalousie und guckte hinein. O Pflicht, peinliche, aber nothwendige Pflicht! Dubourg saß, den Rücken gegen das Fenster gekehrt, Lucilla stand ihm gegenüber und kehrte mir ihr Gesicht zu. Ihre Wangen glühten vor Vergnügen; in ihrer Hand hielt sie die hübsche kleine goldene Vase. Ihre gewandten kleinen Finger fuhren rasch über die selbe hin, gerade wie sie am Abend vorher über mein Gesicht gefahren waren.

»Soll ich Ihnen das Muster aus Ihrer Vase beschreiben?« fuhr sie fort.

»Können Sie das wirklich?«

»Urtheilen Sie selbst. Das Muster besteht aus Blättern, auf denen in gewissen Zwischenräumen Vögel sitzen. Warten Sie, mich dünkt ich habe solche Blätter schon einmal an der Mauer des alten Theils des Pfarrhauses gefühlt. Epheu?«

Erstaunlich; es sollen wirklich Epheublätter sein.«

»Aber die Vögel,« nahm sie wieder auf, »ich werde mich nicht beruhigen, bis ich Ihnen auch gesagt habe, was es für Vögel sind. Habe ich nicht ganz ähnliche Vögel von Silber, nur viel größer, weil sie als Behälter für Pfeffer, Senf, Zucker und so weiter dienen? Eulen!« rief sie triumphirend aus, »kleine Eulen, die in Nestern aus Epheublättern sitzen. Was für ein reizendes Muster! Ich habe nie von etwas Aehnlichem gehört.«

»Behalten Sie die Vase« sagte er. »Sie würden mich dadurch ebenso sehr ehren wie erfreuen, behalten Sie die Vase.«

Sie stand auf und schüttelte den Kopf, ohne ihm jedoch die Vase zurückzugeben.

»Ich würde sie annehmen können, wenn Sie nicht ein Fremder wären,« sagte sie. »Warum theilen Sie uns nicht mit, wer Sie sind und was Sie für Gründe haben, ganz allein in diesem einsamen Häuschen zu wohnen?«

Er stand vor ihr mit gesenktem Kopf und seufzte schwer.

»Ich weiß, ich müßte mich erklären antwortete er, »ich darf mich nicht wundern, wenn die Leute Verdacht gegen mich schöpfen,« er hielt einen Augenblick inne und fuhr dann sehr ernst fort: »Ich kann es Ihnen nicht sagen. Nein, Ihnen nicht!«

»Warum nicht?«

»Fragen Sie mich nicht!«

Sie fühlte mit ihrem elfenbeinernen Stock nach dem Tisch und setzte mit sichtlichem Widerstreben die Vase auf denselben nieder. »Guten Morgen, Herr Dubourg,« sagte sie.

Schweigend öffnete er ihr die Thür des Zimmers.

An die Seitenmauer des Hauses gelehnt, sah ich sie unter dem bedeckten Eingange des Hauses erscheinen und den kleinen ummauerten Platz vor dem Hause überschreiten. Als sie auf den jenseits desselben liegen den Rasen trat, wandte sie sich um und redete ihn noch einmal an.

»Wenn Sie mir Ihr Geheimniß nicht mittheilen wollen,« sagte sie, »würden Sie es jemand Anderen würden Sie es einer Freundin von mir anvertrauen?«

»Welcher Freundin?« fragte er.

»Der Dame, welcher Sie gestern Abend mit mir begegneten.«

Er zauderte einen Augenblick und sagte dann: »Ich fürchte, ich habe die Dame beleidigt.«

»Das wäre ja nur ein Grund mehr für Sie sich – zu erklären«; erwiderte sie. »Wenn Ihre Auskunft nur, meine Freundin befriedigt, so könnte ich Sie bitten, « uns zu besuchen, könnte sogar die Vase von Ihnen annehmen.« Mit diesem sehr deutlichen Wink ging sie nun, nachdem sie ihm die Hand gereicht hatte, wirklich fort. Ihre bei dieser Gelegenheit bewiesene vollkommene Selbstbeherrschung, ihre ebenso kühne wie naive, bequeme Vertraulichkeit im Verkehr mit diesem Fremden setzte mich in das höchste Erstaunen. »Ich werde Ihnen noch diesen Morgen meine Freundin schicken,« sagte sie in gebietenden Tone, indem sie mit ihrem Spazierstock auf den Rasen schlug. »Ich bestehe darauf, daß Sie ihr die volle Wahrheit mittheilen.« Dabei gab sie ihm ein Zeichen, daß er sie nicht weiter begleiten möge, und trat ihren Rückweg nach dem Dorfe an. War es nicht in der That erstaunlich? Statt daß ihre Blindheit sie, wie man hätte erwarten sollen, in Gegenwart eines ihr unbekannten Mannes befangen gemacht hätte, schien dieselbe gerade die entgegengesetzte Wirkung zu haben. Ihre Blindheit machte sie furchtlos. Er blieb auf der Stelle, wo sie ihn verlassen hatte, stehen und beobachtete sie, bis sie seinen Blicken ganz entrückt war. Sein Benehmen gegen sie in und außerhalb des Hauses war, wie ich anerkennen muß, ebenso bescheiden wie rücksichtsvoll gewesen. Schüchtern war bei ihrer Unterhaltung nur er gewesen. Ich trug ein kurzes Kleid, welches kein Geräusch auf dem Grase verursachte. Ich ging längs der Umfassungsmauer hin und trat, ohne daß er mich hätte gewahr werden können, von rückwärts an ihn heran. »Das reizende Geschöpf,« sagte er zu sich selbst, indem er sie noch mit den Blicken verfolgte. In dem Augenblick, wo er diese Worte aussprach, berührte ich mit meinem Sonnenschirm seine Schulter.

»Herr Dubourg,« sagte ich, »ich komme, um Ihre Mittheilung der Wahrheit entgegenzunehmen.«

Er fuhr heftig zusammen und stand mir in sprach losem Entsetzen gegenüber, indem er wiederholt die Farbe wechselte wie ein junges Mädchen. Wer die Frauen kennt, wird es begreiflich finden, daß dieses Benehmen, weit entfernt, mich milder gegen ihn zu stimmen, mich nur ermuthigte, ihn zu überrumpeln.

»Halten Sie es für ein ehrenhaftes Benehmen, mein Herr,« fuhr ich fort, »in Ihrer gegenwärtigen Stellung an diesem Orte eine junge Dame, die Ihnen vollkommen fremd ist, eine junge Dame, deren Leiden ihr ein Recht auf noch größere Rücksicht und Achtung als die ihrem Geschlechte im Allgemeinen schuldige giebt, in Ihr Haus zu locken?«

Seine wechselnde Farbe ging in ein zorniges Roth über.

»Sie sind sehr ungerecht gegen mich,« antwortete er. »Es ist eine schmähliche Verleumdung, zu behaupten, daß ich es an Achtung gegen die junge Dame habe fehlen lassen. Ich empfinde die aufrichtigste Bewunderung und das tiefste Mitleiden für sie. Die Umstände rechtfertigen, was ich gethan habe; ich hätte nicht anders handeln können. Ich verweise Sie an die junge Dame selbst.« Seine Stimme wurde lauter und lauter; er fühlte sich aufs Tiefste durch mich gekränkt. Brauche ich noch ausdrücklich zu sagen, daß ich bei der Aussicht, nahezu von ihm überrumpelt zu werden, ohne zu erröthen, meine Taktik veränderte und es mit ein wenig Höflichkeit versuchte?

»Wenn ich ungerecht gegen Sie gewesen bin, mein Herr,« erwiderte ich, »so bitte ich Sie um Verzeihung. Ich habe nur noch hinzuzufügen, daß ich mich befriedigt erklären werde, wenn ich von Ihnen selbst erfahre, welches die Umstände sind, deren Sie eben Erwähnung thaten.«

Diese Worte besänftigten seine verletzte Würde. Sein Benehmen wurde wieder sanfter. »Die Wahrheit ist,« sagte er, »daß ich meine Bekanntschaft mit der jungen Dame einem bissigen kleinen Hunde verdanke, welcher den Leuten im Wirthshause gehört. Der Hund war der Person, welche mir hier aufwartet, gefolgt und erschreckte die Dame, als sie vorüberging und er auf sie losfuhr und sie anbellte. Nachdem ich den Hund weggejagt hatte, bat ich sie einzutreten und sich niederzusetzen, bis sie sich erholt haben würde. Bin ich dafür zu tadeln? Ich leugne nicht, daß ich das lebhafteste Interesse für die junge Dame empfand und daß ich mein Bestes that, sie zu unterhalten, so lange sie mich mit ihrer Gegenwart in meinem Hause beehrte. Darf ich fragen, ob ich Sie jetzt befriedigt habe?«

So gern ich bei meiner ungünstigen Meinung von ihm beharren wollte, sah ich mich doch jetzt genöthigt, mir selbst einzugestehen, daß diese Meinung falsch war. Seine Erklärung war sowohl ihren Ausdrücken, wie seinem Ton und Benehmen nach die eines Gentleman. Und überdies war er, obgleich ein wenig zu weibisch, nach meinem Geschmack doch ein so schöner Mann! Sein natürlich gelocktes Haar war von einem schönen hellen Kastanienbraun. Seine Augen waren von dem hellsten Braun, das ich jemals gesehen habe und hatten einen eigenthümlich gewinnenden bescheidenen Ausdruck. Sein Teint war so milchweiß und fleckenlos, daß man denselben bei einem Manne geradezu auffallend nennen mußte, es war der Teint einer Frau oder wenigstens eines Knaben. Er sah in der That mehr wie ein Knabe, denn wie ein Mann aus; sein glattes Gesicht war gänzlich bartlos. Wenn er mich gefragt hätte, würde ich ihn, der in der That drei Jahre älter als Lucilla war, für jünger als sie gehalten haben.

»Wir sind auf eine etwas sonderbare Weise mit einander bekannt geworden, mein Herr,« sagte ich, »Sie haben gestern Abend gegen mich eine eigenthümliche Sprache geführt und ich habe mich heute gegen Sie einer übereilten Sprache schuldig gemacht. Nehmen Sie meine Entschuldigung an und lassen Sie uns versuchen, ob wir nicht schließlich einander Gerechtigkeit widerfahren lassen können. Ich habe Ihnen, ehe wir uns trennen, noch etwas mehr zu sagen. Finden Sie es höchst auffallend von einer Frau, wenn ich Ihnen vorschlage, jetzt auch mir einen Stuhl in Ihrem Hause anzubieten?«

Er lachte in der freundlichstem besten Laune und ging mir in’s Haus voran. Wir betraten das Zimmer, in welchem er Lucilla empfangen hatte und setzten uns auf die beiden am Fenster stehenden Stühle, auf welchen sie gesessen hatten, mit dem Unterschiede, daß ich mich des Sitzes zu bemächtigen wußte, den er vorher eingenommen hatte, so daß er sein Gesicht dem Lichte zukehren mußte.

»Herr Dubourg,« fing ich an, »Sie werden bereits errathen haben, daß ich mit angehört habe, was Fräulein Finch Ihnen beim Abschiede sagte?«

Er verneigte sich schweigend zum Zeichen, daß dem so sei und fing an in nervöser Aufregung mit der Vase zu spielen, welche Lucilla auf dem Tische hatte stehen lassen.

»Was beabsichtigen Sie zu thun?« fuhr ich fort, »Sie haben von dem Interesse gesprochen, welches Sie an meiner jungen Freundin nehmen. Wenn dieses Interesse aufrichtig ist, so wird Sie dasselbe dahin führen, die junge Dame durch Erfüllung ihrer Bitte günstig für Sie zu stimmen. Sagen Sie mir, bitte, offen: Wollen Sie uns besuchen als ein Gentleman, welcher zwei Damen überzeugt hat, daß sie ihn als Freund und Nachbar empfangen können? Oder wollen Sie die Güte haben, den Pfarrer von Dimchurch zu avertiren, daß seine Tochter in Gefahr ist, einem Menschen von zweifelhaftem Charakter zu gestatten, ihr seine Bekanntschaft aufzudrängen?« Er stellte die Vase wieder auf den Tisch und wurde todtenblaß.

»Wenn Sie wüßten, was ich gelitten habe,« sagte er, »wenn Sie durchgemacht hätten, was ich habe erdulden müssen,« seine Stimme versagte ihm, seine sanften braunen Augen wurden feucht, sein Kopf sank ihm auf die Brust. Er sprach nicht weiter.

Wie alle Frauen mag ich Männer gern männlich sehen. Nach meiner Ansicht lag etwas Schwächliches und Weibisches in der Art, wie dieser Dubourg meinen Vorschlag aufnahm. Es erweckte nicht nur kein Mitleid bei mir, sondern war in Gefahr, ein Gefühl der Verachtung in mir hervorzurufen.

»Ich habe auch gelitten,« antwortete ich. »Ich habe auch Schweres erdulden müssen. Aber der Unterschied zwischen uns ist der, daß mein Muth nicht er schöpft ist. An Ihrer Stelle würde ich, wenn ich mir bewußt wäre, ein ehrenwerther Mann zu sein, auch nicht einen Augenblick einen Schatten von Verdacht auf mir ruhen lassen. Es möchte kosten, was es wolle, ich würde mich rechtfertigen. Ich würde mich schämen, zu weinen, ich würde reden.«

Das fruchtete. Er sprang auf.

»Haben Hunderte von grausamen Augen Sie angestarrt?« brach er leidenschaftlich aus. »Hat man auf Sie, wo Sie sich blicken ließen, erbarmungslos mit den Fingern gezeigt? Hat man Sie an den Schandpfahl der Zeitungen gestellt? Hat Ihre Photographie an allen Schaufenstern geprangt und der Welt Ihre Schande verkündet?« Er sank auf einen Stuhl und rang die Hände in wilder Verzweiflung »O, die Welt!« rief er aus, »die schreckliche Welt! Ich kann ihr nicht entgehen, ich kann mich selbst hier nicht verbergen. Auch Sie müssen mich wie alle Uebrigen an gestarrt haben.« Er weinte, indem er mich zornig an blickte. »Ich sah es sofort, als Sie gestern Abend an mir vorübergingen.«

»Ich habe Sie nie früher gesehen,« antwortete ich. »Was Ihre Portraits betrifft, so sind mir dieselben völlig unbekannt. Ich war, bevor ich hierher kam, viel zu unglücklich und von Sorgen gequält, als daß mich hätte ergötzen können, in die Schaufenster zu blicken. Sie sind mir bis auf Ihren Namen völlig unbekannt. Wenn Sie sich selbst achten, so sagen Sie mir, wer Sie sind. Heraus mit der Wahrheit, mein Herr! Sie wissen so gut wie ich, daß Sie schon zu weit gegangen sind, um wieder inne zu halten.«

Ich ergriff seine Hand. Sein leidenschaftlicher Ausbruch hatte mich in die höchste Aufregung versetzt; ich wußte kaum mehr was ich sagte oder that. In diesem kritischen Augenblick regten wir einander zu wahnsinniger Leidenschaftlichkeit auf. Seine Hand schloß sich krampfhaft bei der Berührung mit der meinigen.

Seine Augen blickten wild in die meinigen.

»Lesen Sie Zeitungen?« fragte er.

»Ja.«

»Haben Sie darin . . .?«

»Ich habe den Namen »Dubourg« nicht gelesen.«

»Ich heiße auch nicht »Dubourg«.«

»Wie denn?«

Jetzt beugte er sich über mich und flüsterte mir seinen Namen in’s Ohr. Jetzt war es an mir, entsetzt aufzuspringen. »Guter Gott!« rief ich aus »Sie sind der Mann, der vorigen Monat unter der Anklage des Mordes vor den Assisen stand und der ganz nahe daran war, auf das Zeugniß einer Uhr hin gehängt zu werden!«

Achtes Kapitel.
Die meineidige Uhr

Wir sahen uns schweigend an. Beide mußten wir uns eine Weile sammeln. Ich will diese Pause benutzen, um hier zwei Fragen zu beantworten, welche sich dem Leser aufgedrängt haben werden. Wie kam Dubourg dazu, unter der Anklage des Mordes vor den Assisen zu stehen und welcher Zusammenhang bestand zwischen dieser ernsten Angelegenheit und dem falschen Zeugniß einer Uhr?

Die Antwort auf diese beiden Fragen wird sich in der Erzählung finden, welche ich die »meineidige Uhr« nenne .

In der kurzen Erzählung dieses Zwischenfalls, welchen ich einem in meinem Besitz befindlichen officiellen Berichte entnehme, werde ich unsern neuen Bekannten in Browndown bei seinem angenommenen Namen nennen, den ich ihm auch ferner beilegen werde. Erstens war es der Mädchenname seiner Mutter, den er ein Recht zu führen hatte, wenn es ihm so beliebte. Zweitens geht unser häusliches Drama in Dimchurch bis auf die Jahre 1858 und 1859 zurück und wirkliche Namen haben jetzt, wo Alles vorüber ist, für niemand ein Interesse mehr. Mit »Dubourg« haben wir angefangen, mit »Dubourg« wollen wir bis zum Schluß fortfahren.

Vor einigen Jahren wurde in der Nähe einer gewissen Stadt im Westen Englands an einem Sonnabend ein Mann auf einem Felde ermordet gefunden. Der Name des Feldes war Pardon Feld.

Der Mann war ein kleiner Zimmermann und Bauunternehmer in der Stadt gewesen, der eines sehr zweifelhaften Rufes genoß. An dem fraglichen Abende ging ein entfernter Verwandter desselben, der von einem Herrn in der Nachbarschaft zur Einnahme von Pachtgeldern verwendet wurde, zufällig über einen Zauntritt, der von dem Felde auf eine Landstraße führte, und sah einen Herrn das Feld über eben diesen Tritt etwas eilig verlassen. Er erkannte in dem Herrn den ihm nur von Ansehen bekannten Herrn Dubourg.

Die beiden gingen einander an der Landstraße in entgegengesetzter Richtung vorüber. Etwas später, wie es heißt eine halbe Stunde, hatte der Renteneinnehmer Veranlassung, auf derselben Landstraße wieder zurück zu gehen. Als er wieder bei dem Zauntritt anlangte, hörte er lautes Rufen und betrat Feld, um zu sehen, was es gebe. Er fand, daß mehrere Personen von dem andern Ende des Feldes zu einem Knaben hinliefen, der an einer entfernten Stelle des Feldes hinter einer Viehhürde stand, und ein entsetzliches Geschrei ausstieß. Zu den Füßen des Knaben lag, das Gesicht gegen die Erde gekehrt, der Leichnam eines Mannes mit schrecklich eingeschlagenem Kopf. Unter ihm lag seine Uhr, an der Kette aus der Uhrtasche heraus hängend. Die Uhr war, offenbar in Folge der Erschütterung des Falles, mit welchem der Besitzer auf sie niedergestürzt war, um halb neun Uhr stehen geblieben Der Körper war noch warm. Außer der Uhr fanden sich noch andere Werthsachen bei der Leiche. Der Renteneinnehmer erkannte in dem Todten sofort den obenerwähnten Zimmermann und Bauunternehmer. Bei der Voruntersuchung wurde das Stillestehen der Uhr um halb neun Uhr als ein sicheres Indicium dafür betrachtet, daß der Schlag, welcher den Mann getödtet hatte, um jene Zeit geführt sei.

Die nächste Frage war, ob jemand um halb neun Uhr in der Nähe des Leichnams gesehen worden sei. Der Renteneinnehmer erklärte, daß er gerade um jene Zeit Herrn Dubourg das Feld eilig verlassen gesehen habe. Gefragt, ob er in jenem Augenblick auf seine Uhr gesehen habe, gestand er, daß er das nicht gethan habe; aber gewisse vorangegangene Umstände, welche sich nach seiner Angabe seinem Gedächtnisse eingeprägt hatten, setzten ihn in den Stand, auch ohne auf seine Uhr gesehen zu haben, der Wahrheit seiner Behauptung sicher zu sein. Man drang in ihn in Betreff dieses wichtigen Punktes, aber er beharrte bei seiner Erklärung: um halb neun Uhr habe er Herrn Dubourg das Feld eiligst verlassen gesehen! Um halb neun Uhr war die Uhr des Ermordeten stehen geblieben.

Die nächste Frage war, ob noch irgend eine andere Person um jene Zeit auf dem Felde oder in der Nähe gesehen worden sei.

Es war kein Zeuge zu finden, der irgend jemand anderen in der Nähe des fraglichen Ortes gesehen hatte. Die Waffe, mit welcher der Schlag geführt worden war, hatte man nicht gefunden. Es fragte sich dann, da offenbar Raub nicht das Motiv des Verbrechens gewesen war, ob man von irgend jemand wisse, daß er einen Groll gegen den Ermordeten gehegt habe. Es war kein Geheimniß, daß derselbe mit Männern und Weibern von zweifelhaftem Ruf verkehrt habe; aber gegen keine dieser Personen lag ein specieller Verdacht vor.

Bei dieser Sachlage blieb nichts anderes übrig, als Herrn Dubourg, welcher inner- und außerhalb der Stadt als ein junger Mann von unabhängigem Vermögen wohlbekannt war und sich vortrefflichen Rufes erfreuete, zu ersuchen, einige Auskunft über sich zu ertheilen.

Er gab sofort zu, daß er über das Feld gegangen sei. Aber im Widerspruch mit der Behauptung des Renteneinnehmers erklärte er, daß er einen Augenblick, bevor er den Zauntritt überstiegen nach seiner Uhr gesehen habe und es nach derselben genau ein Viertel nach acht Uhr gewesen sei. Fünf Minuten später, also zehn Minuten bevor nach dem Zeugniß der Uhr des Todten der Mord begangen worden, habe er eine Dame, welche in der Nähe des fraglichen Feldes wohne, besucht und sei bei derselben geblieben, bis es nach seiner Uhr, nach welcher er beim Verlassen des Hauses der Dame wieder gesehen habe, ein Viertel vor neun Uhr gewesen sei.

Er behauptete also sein Alibi. Die Freunde des Herrn Dubourg waren von seiner Unschuld vollkommen überzeugt. Um auch dem Gericht diese Ueberzeugung beizubringen, erschien es unerläßlich, die Dame als Zeugin zu vernehmen. Inzwischen wurde Herrn Dubourg eine andere rein formelle Frage vorgelegt; die nämlich, ob er irgend etwas über den Ermordeten wisse. Mit einem gewissen Anschein von Bestürzung gestand Herr Dubourg, daß er sich von einem Freunde habe überreden lassen, den Mann mit einer gewissen Arbeit zu beschäftigen. Durch fernere Fragen wurde er zur Angabe der folgenden Thatsachen veranlaßt:

Daß die betreffende Arbeit sehr schlecht gemacht gewesen sei, daß der Mann einen exorbitanten Preis für dieselbe gefordert habe, daß derselbe sich, als Dubourg ihm wegen dieser Ueberforderung Vorstellungen gemacht, grob und impertinent benommen habe, daß ein Wortwechsel zwischen ihnen entstanden sei, daß Dubourg den Mann am Rockkragen gepackt und zum Hause hinausgeworfen habe, daß er den Mann im Zorn einen infamen Schuft gescholten und ihm gedroht habe, ihn so zu prügeln, daß er kaum mit dem Leben davon kommen solle, (oder wie er sich im ähnlichen Sinne ausgedrückt haben möge) falls er sich je wieder in der Nähe seines Hauses blicken lassen sollte; daß er seit jenem Streit, welcher sechs Wochen vor der Ermordung stattgefunden, nie wieder den Mann weder gesprochen, noch mit Augen gesehen habe.

Nach der damaligen Lage der Sache wurden diese, Umstände als für Herrn Dubourg ungünstige betrachtet; aber er konnte sich auf sein »Alibi« und auf seinen guten Namen berufen, und niemand zweifelte an einem für Dubourg günstigen Ausgang. Die Dame erschien als Zeugin. Als sie mit Herrn Dubourg confrontirt und genöthigt wurde; sich über die Zeitfrage zu er klären, widersprach sie ihm, auf das Zeugniß der Kaminpendüle gestützt auf das Entschiedenste. Ihre Aussage lief wesentlich auf Folgendes hinaus: sie habe, als Herr Dubourg zu ihr in’s Zimmer getreten sei, auf ihre Pendüle geblickt und gedacht, es sei etwas spät für einen Besuch. Die erst Tags zuvor von dem Uhrmacher regulirte Pendüle habe fünfundzwanzig Minuten vor neun Uhr gezeigt. Ein angestellter Versuch ergab, daß es gerade fünf Minuten erforderte um raschen Schritts von dem Zauntritt nach dem Hause der Dame zu gehen. So wurde denn also die Angabe des Renteneinnehmers, der selbst ein respectabler Zeuge war, in der Aussage dieser Zeugin von angesehener Stellung und vorzüglichem Ruf unterstützt. Die Pendüle ging, wie sich bei einer demnächst vorgenommenen Untersuchung ergab, richtig. Die Aussage des Uhrmachers ergab, daß er den Uhrschlüssel im Verwahrsam habe und daß er, seit er die Uhr am Tage vor dem Besuche des Herrn Dubourg aufgezogen und gestellt, noch nichts wieder mit derselben vorgenommen habe. Nachdem so die Richtigkeit der Uhr festgestellt worden, schien sich daraus der unabweisliche Schluß zu ergeben daß Herr Dubourg überführt sei, zu der Zeit wo der Mord begangen worden, auf dem Felde gewesen zu sein; ferner, seiner eigenen Aussage gemäß mit dem Ermordeten nicht lange vor seinem Tode einen Streit gehabt zu haben, der mit einer thatsächlichen Mißhandlung und mit einer Drohung von seiner Seite geendet hatte, und endlich den Versuch gemacht zu haben, durch eine falsche Zeitangabe ein Alibi nachzuweisen. Es blieb nichts übrig, als ihn unter der Anklage der Ermordung des Bauunternehmers auf dem »Pardon-Felde« vor die Assisen zu verweisen. Die Proceßverhandlungen füllten zwei Tage aus. In der Zwischenzeit waren keine neuen Thatssachen an den Tag gekommen. Die Zeugenaussagen lauteten ebenso wie bei der Voruntersuchung, wurden aber jetzt sorgfältiger gesichtet. Herr Dubourg hatte den doppelten Vortheil für sich, sich den Beistand des ersten Advocaten im Gerichtsbezirk sichern zu können und die lebhafteste Sympathie bei den Geschworenen zu erwecken, welche das regste Interesse an seiner Lage nahmen und eifrigst nach Beweisen für seine Unschuld aussahen. Am Ende des ersten Tages hatten die Zengenaussagen so entschieden zu seinen Ungunsten gelautet daß sein eigener Vertheidiger an dem Ausgange verzweifelte.

Als der Gefangene am zweiten Tage seinen Platz auf der Anklagebank einnahm, gab es unter den Zuhörern im Gerichtssaal nur eine Ueberzeugung. Jedermann sagte: »Die Pendüle wird ihn an den Galgen bringen.« Es war beinahe zwei Uhr Nachmittags und die Verhandlungen sollten gerade auf eine Stunde vertagt werden, als man sah, wie der Anwalt des Angeklagten dem für ihn plaidirenden Advocaten ein Papier einhändigte. Dieser erhob sich unter Anzeichen, der Aufregung, welche die Neugierde der Anwesenden erregten. Er verlangte die sofortige Vernehmung einer neuen Zeugin, deren Aussage zu Gunsten des Angeklagten zu wichtig sei, als daß die Vernehmung auch nur einen Augenblick verschoben werden dürfe. Nach einer kurzen Unterredung zwischen dem Richter und den Advocaten beider Parteien entschied sich der Gerichtshof für die Fortsetzung der Sitzung. Die Zeugin erschien; es war ein junges Mädchen von zartem Aussehen. An jenem Abend, als der Angeklagte der Dame seinen Besuch gemacht hatte, stand sie bei der Dame als Hausmädchen im Dienst. Am nächsten Tage hatte sie einen ihr schon vorher von ihrer Herrin zugestandenen achttägigen Urlaub angetreten und hatte denselben, zu einem Besuch ihrer in dem Westen von Cornwall wohnenden Eltern benutzt. Dort sei sie krank geworden und habe sich bisher noch nicht hinreichend wieder erholt um zu ihrem Dienst zurückzukehren. Nach diesem Vorbericht über ihre Person machte das Hausmädchen die folgenden merkwürdigen Angaben in Betreff der Pendüle ihrer Herrin. An dem Morgen des Tages, an welchem Herr Dubourg seinen Besuch gemacht habe, habe sie das Kaminsims gereinigt. Sie habe mit dem Staubtuch die Stelle des Simses, auf welcher die Pendüle stand, gerieben, habe dabei zufällig an dem Pendel gerührt und denselben zum Stillstehen gebracht. Bei einer früheren Gelegenheit wo ihr dasselbe begegnet habe sie dafür heftige Vorwürfe erhalten. Aus Furcht daß eine Wiederholung ihrer Unvorsichtigkeit an einem Tage, nachdem die Pendüle von einem Uhrmacher regulirt worden sei, vielleicht die Zurücknahme des Urlaubs zur Folge haben könne, habe sie beschlossen, die Sache womöglich selbst wieder in Ordnung zu bringen. Nachdem sie die Pendüle von unten, her angestoßen, auf diese Weise aber den Pendel nicht wieder zum Gehen habe bringen können, habe sie versucht, die Pendüle aufzuheben und sie zu schütteln. Es war eine marmorne Pendüle, auf welcher eine Bronzefigur stand und sie war so schwer, daß das Mädchen genöthigt war, etwas zu suchen, was ihr als Hebel dienen könne Ein solcher Gegenstand war im Augenblick nicht leicht zu finden. Als es ihr endlich gelungen war, einen dazu passenden Gegenstand, aufzutreiben, machte sie es möglich, die Pendüle einige Zoll hoch zu heben und dann wieder hinzustellen und sie so wieder zum Gehen zu bringen. Demnächst mußte sie natürlich die Zeiger verschieben. Auch dabei stieß sie auf ein Hinderniß Der Glasdeckel über dem Zifferblatt wollte sich nicht öffnen lassen. Nachdem sie vergebens nach einem Instrumente gesucht das ihr dazu verhelfen könne, habe sie von dem Diener, ohne ihm zu sagen, wozu sie denselben brauchen wolle, einen kleinen Grabstichel erhalten, damit habe sie den Glasdeckel nachdem sie unversehens den metallenen Rand desselben geschrammt geöffnet und habe die Zeiger nach ungefährem, Ermessen gestellt. Sie war in jenem Augenblick in der Furcht daß ihre Herrin sie auffinden mochte, etwas aufgeregt gewesen. Später am Tage habe sie dann gefunden, daß sie den während ihres Versuchs, die Uhr wieder in Ordnung zu bringen, verflossenen Zeitraum überschätzt habe. Sie hatte die Zeiger gerade eine Viertelstunde zu weit vorgeschoben. Eine sichere Gelegenheit die Uhr wieder im Geheimen richtig zu stellen, habe sich erst unmittelbar vor dem Schlafengehen gefunden. Da erst habe sie die Zeiger wieder zurück schieben können Zu der Zeit, wo Herr Dubourg ihre Herrin besucht habe, sei die Uhr, wie sie positiv auf ihren Eid erklärte, eine Viertelstunde zu früh gegangen.

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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
650 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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