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Читать книгу: «Der Mondstein», страница 38

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Vierte Erzählung

in einem Auszuge aus dem Tagebuche
Ezra Jennings

1849 15. Juni. – Unter verschiedenen Unterbrechungen durch Patienten und Schmerzanfälle beendete ich meinen Brief an Fräulein Verinder rechtzeitig für die heutige Post. Es hat mir nicht gelingen wollen, den Brief so kurz zu fassen, wie ich es gewünscht hätte, aber ich glaube er ist deutlich. Ich stelle ihr darin ihre Entscheidung völlig anheim. Wenn sie einwilligt, dem Experiment beizuwohnen, so thut sie es aus eigenem freien Willen und nicht aus Gefälligkeit für Herrn Franklin Blake oder für mich.

16. Juni. – Nach einer schrecklichen Nacht spät aufgestanden. Das gestern eingenommene Quantum Opium hat sich durch eine Reihe fürchterlicher Träume gerächt. Einmal wurde ich von den Phantomen verstorbener befreundeter und feindlicher Gestalten durch den leeren Raum gejagt. Ein anderes Mal erschien in einem das Dunkel der Nacht widerwärtig erhellenden phosphoresirenden Licht das geliebte Antlitz, das ich niemals wiedersehen werde, über meinem Bett und starrte mich grinsend an. Ein leichter Anfall des alten Schmerzes der sich zur gewohnten Zeit am frühen Morgen einstellte, war mir als eine Abwechslung willkommen. Er verscheuchte meine Gesichte und schien mir deshalb erträglich.

In Folge der schlechten Nacht kam ich erst spät zu Franklin Blake. Ich fand ihn auf dem Sopha ausgestreckt bei seinem aus Cognac und Sodawasser und einem trocknen Biskuit bestehenden Frühstück.

»Sie können sehr mit mir zufrieden sein,« sagte er, »Ich habe eine miserable, schlaflose Nacht verbracht und heute Morgen nicht den mindesten Appetit! Gerade wie voriges Jahr, als ich das Rauchen aufgab. «Je rascher mein Zustand die Verabreichung meiner zweiten Dosis Opium gestattet, desto lieber ist es mir.«

»Sie sollen sie sobald wie möglich bekommen,« antwortete ich. »Inzwischen müssen wir doch bestmöglichst für Ihre Gesundheit sorgen. Ihre Kräfte dürfen nicht erschöpft werden. Wir müssen Ihnen zum Mittagessen Appetit schaffen. Mit andern Worten, Sie müssen diesen Morgen spazieren gehen oder reiten.«

»Wenn ich hier ein Pferd finden kann, so will ich reiten. Beiläufig, ich habe gestern an Herrn Bruff geschrieben. Haben Sie an Fräulein Verinder geschrieben?«

»Ja, mit der gestrigen Abendpost.«

»Gut. Also dürfen wir hoffen, uns morgen gegenseitig einige interessante Mittheilungen machen zu können. Bleiben Sie doch noch ein wenig, ich habe Ihnen ein Wort zu sagen. Sie schienen gestern zu glauben, daß unser Experiment mit dem Opium von einigen meiner Freunde wahrscheinlich nicht mit günstigen Augen werde angesehen werden und Sie hatten ganz recht. Ich zähle den alten Gabriel Betteredge zu meinen Freunden und es wird Sie amüsiren zu hören, daß, als ich ihm gestern von der Sache erzählte, er energisch dagegen protestirte. »Sie haben eine außerordentliche Menge von Thorheiten in Ihrem Leben begangen, Herr Franklin, aber diese übertrifft alle früheren!« Das ist Betteredges Ansicht! Sie werden seine Vorurtheile schonen, wenn Sie ihn sehen, nicht wahr?«

Ich verließ Herrn Blake, um meine Patienten zu besuchen, und fühlte mich schon nach der kurzen Zusammenkunft mit ihm besser und glücklicher.

Wie soll ich mir die geheime Anziehungskraft, die dieser Mensch auf mich ausübt, erklären? Beruht dieselbe nur auf dem Contrast der freundschaftlichen Art mit der er mir entgegen gekommen ist, und der unbarmherzig mißtrauischen und abstoßenden Weise, mit der mich die übrigen Menschen behandeln? Oder ist wirklich etwas in ihm, was meine Sehnsucht nach menschlicher Sympathie befriedigt – diese Sehnsucht, welche die Einsamkeit und die Verfolgung vieler Jahre überlebt hat, und welche stärker und stärker zu werden scheint, je näher die Zeit heranrückt, wo ich nichts mehr leiden und fühlen werde? Wie nutzlos solche Fragen zu thun! Herr Blake hat dem Leben ein neues Interesse für mich verliehen. Dabei will ich mich beruhigen, ohne der Natur dieses Interesses weiter nachzuforschen.

17. Juni. – Diesen Morgen vor dem Frühstück zeigte mir Herr Candy an, daß er auf vierzehn Tage zu einem Freunde im südlichen England reisen werde. Der arme Mann gab mir so viele specielle Anweisungen in Betreff der Patienten, als ob er noch die große Praxis hätte wie vor seiner Krankheit. Die Praxis ist jetzt äußerst klein geworden! Andere Aerzte haben ihn verdrängt und keiner, der umhin kann, kennt mich.

Es ist vielleicht ein Glück, daß er gerade jetzt fortgeht; es würde ihn gekränkt haben, wenn ich ihn von dem Experiment, das ich mit Herrn Blake zu machen im Begriff stehe, nichts gesagt hätte. Und doch hätte ich ihn nicht ins Vertrauen ziehen können, ohne die unerwünschtesten Folgen befürchten zu müssen. Es ist also ohne Frage besser so.

Als Herr Candy eben das Haus verlassen hatte, erhielt ich Fräulein Verinders Antwort.

Ein charmanter Brief! Er giebt mir eine sehr hohe Meinung von ihr. Kein Versuch, ihr Interesse an unserm Unternehmen zu verhehlen. Sie sagt mir in der liebenswürdigsten Weise, daß mein Brief sie von Herrn Blake’s Unschuld überzeugt habe, ohne daß es für sie noch irgend eines Beweises meiner Behauptung bedürfe. Das arme Mädchen macht sich selbst sogar höchst unverdiente Vorwürfe darüber, daß sie nicht seiner Zeit die wahre Lösung des Räthsels errathen habe. Das Motiv aller dieser Aeußerungen ist offenbar etwas mehr als der großmüthige Eifer, ein einer andern Person unabsichtlich zugefügtes Unrecht wieder gut zu machen. Es ist klar, daß sie trotz der zwischen ihnen eingetretenen Entfremdung nicht aufgehört hat, ihn zu lieben. An mehr als einer Stelle bricht das Entzücken über die Entdeckung, daß er ihre Liebe verdient, inmitten der formellsten Wendungen eines an einen Fremden geschriebenen Briefes durch. Ist es möglich, frage ich mich beim Lesen dieses köstlichen Briefes, daß ich unter allen lebenden Menschen berufen bin, die Wiedervereinigung dieser beiden jungen Leute zu vermitteln?

Mein eignes Glück ist mit Füßen getreten, meine eigene Liebe ist mir entrissen. Soll ich es erleben, daß das Glück Anderer durch mich begründet, daß ein liebendes Paar sich durch mein Bemühen wieder vereinigt? O barmherziger Tod, laß es mich erleben, bevor Deine Arme mich umschlingen, und bevor Du mir zuflüsterst: Komm zur ewigen Ruhe!

Der Brief enthält zwei Bitten. Eine derselben verhindert mich, ihn Herrn Franklin Blake zu zeigen. Fräulein Verinder autorisirt mich, ihm zu sagen, daß sie uns mit Vergnügen ihr Haus zur Disposition stellt.

So weit kann ich also ihren Wünschen leicht entsprechen.

Aber die zweite Bitte setzt mich ernstlich in Verlegenheit. Nicht damit zufrieden, daß sie Herrn Betteredge angewiesen hat, alle meine Ordres auszuführen, bittet Fräulein Verinder mich um die Erlaubniß, mir durch persönliche Ueberwachung der Wiederherstellung ihres Wohnzimmers behilflich sein zu dürfen, hiervon aber Herrn Blake nichts mitzutheilen. Sie wartet nur auf ein Wort der Erwiederung von mir, um die Reise nach Yorkshire anzutreten, und in der Nacht, wo die Wirkung des Opiums zum zweiten Mal versucht werden soll, als Zeugin zugegen zu sein.

Hier liegt abermals ein besonderes Motiv zu Grunde und wieder glaube ich es zu erkennen.

Was sie mir verbietet, Herrn Franklin Blake zu sagen, will sie ihm, wie mir scheint, gern selbst sagen, bevor er auf die Probe gestellt wird, die seinen Ruf in, den Augen anderer Menschen reinigen soll. Ich verstehe und bewundere diese großmüthige Hast, ihn freizusprechen, ohne abzuwarten, ob der Beweis seiner Unschuld gelingt oder nicht.

Es verlangt sie darnach, das Unrecht wieder gut zu machen, das sie ihm unschuldiger und unvermeidlicher Weise angethan hat. Aber das darf nicht sein. Ich bin fest überzeugt, daß die Aufregung, welche eine Zusammenkunft auf Beide hervorbringen würde, – die alten Gefühle, welche dieselbe wiedererwecken, die neuen Hoffnungen, welche sie rege machen würde – in ihrer Wirkung auf das Gemüth des Herrn Blake dem Erfolg unseres Experiments verhängnisvoll sein würde. Es ist schon schwer genug, wie die Sachen stehen, die Bedingungen, unter welchen das Opium im vorigen Jahre auf ihn wirkte, ganz oder nahezu wieder in ihm hervorzurufen. Wenn neue Interessen und neue aufregendes Emotionen hinzukämen, so würde der Versuch nutzlos sein.

Und doch kann ich es trotz dieser Ueberzeugung nicht übers Herz bringen, ihr ihre Bitte abzuschlagen. Ich muß sehen, ob ich nicht noch vor Abgang der Post ein neues Arrangement ersinnen kann, welches mir gestatten würde, Fräulein Verinder ihre Bitte zu gewähren, ohne den Dienst, den ich mich Herrn Franklin Blake zu leisten verpflichtet habe, zu beeinträchtigen.

Zwei Uhr Nachtmittags – Ich komme eben von meinen Krankenbesuchen nach Hause, nachdem ich natürlich zuerst im Hotel vorgesprochen hatte.

Herr Blake berichtet über seine Nacht gerade wie gestern. Er ist ein paar Mal auf kurze Augenblicke ein geschlafen, mehr nicht; aber er empfindet es heute weniger, nachdem er gestern nach Tisch geschlafen hat. Dieser Mittagsschlaf ist ohne Zweifel die Wirkung des Ritts, den er auf meinen Rath gemacht hat. Ich fürchte, ich werde seine erfrischende Bewegung in der Lust etwas beschränken müssen. Er darf nicht zu elend, er darf aber auch nicht zu wohl sein. Es ist ein Fall, wo, wie die Seeleute sagen würden, sehr scharf gesteuert werden muß.

Er hat noch keine Antwort von Herrn Bruff. Er war sehr begierig zu erfahren, ob ich Antwort von Fräulein Verinder habe.

Ich theilte ihm genau das mit, was ich Erlaubniß hatte ihm zu sagen, aber nicht mehr. Ich brauchte keinen Entschuldigungsgrund dafür anzudeuten, daß ich ihm den Brief nicht zeigte. Der arme Junge sagte mir sehr bitter, er verstehe das Zartgefühl, das mich abhalte, ihn den Brief sehen zu lassen, vollkommen. »Sie giebt natürlich ihre Einwilligung,« sagte er, »wie es die einfachste Höflichkeit und Gerechtigkeit gebietet, aber sie bleibt bei ihrer Ansicht über mich und wartet das Resultat ab.« Ich fühlte mich schmerzlich versucht, ihm zu verstehen zu geben, daß er jetzt ihr Unrecht thue, wie sie es früher ihm gethan hatte. Bei näherer Ueberlegung aber durfte ich ihr den doppelten Genuß, ihn zu überraschen und ihm zu vergeben, nicht vorwegnehmen.

Mein Besuch war sehr kurz. Meine Leiden in der vorgestrigen Nacht hatten mich bestimmt, mich abermals des Opiums zu enthalten. Die nothwendige Folge davon ist, daß meine Schmerzen wieder die Oberhand gewonnen haben. Ich fühlte den Anfall herannahen und verließ Herrn Blake plötzlich, um ihn nicht zu beunruhigen oder zu betrüben. Dies Mal dauerte er nur eine Viertelstunde und ließ mir Kraft genug, meinem Beruf nachzugehen.

5 Uhr Nachmittags. – Ich habe meine Antwort an Fräulein Verinder geschrieben. Ich habe ihr ein Arrangement proponirt, das, wenn sie sich mit demselben einverstanden erklärt, die beiderseitigen Interessen zu vermitteln geeignet ist. Nachdem ich zuerst die Einwände, die einer Zusammenkunft zwischen ihr und Herrn Blake vor dem Versuch des Experiments entgegenstehen, aufgeführt, habe ich ihr vorgeschlagen, sie möge ihre Reise so einrichten, daß sie an dem Abend, wo wir das Experiment machen wollen, im Hause einträfe Wenn sie mit dem Nachmittagszug von London abreist, so trifft sie erst um 9 Uhr hier ein. Um diese Stunde habe ich es übernommen, dafür zu sorgen, daß Herr Blake sich in sein Schlafzimmer zurückgezogen haben wird, und daß daher Fräulein Verinder bis zu der Zeit über ihre Zimmer disponiren kann, wo das Opium verabreicht werden muß. Nachdem das geschehen sein wird, steht nichts im Wege, daß sie mit uns Uebrigen die Wirkung beobachtet. Am folgenden Morgen soll sie dann, wenn sie will, Herrn Blake ihre Correspondenz mit mir zeigen und ihn so überzeugen, daß sie ihn in ihrem Herzen freigesprochen hatte, noch ehe der Beweis seiner Unschuld erbracht war.

In diesem Sinne habe ich ihr geschrieben Das ist Alles, was ich heute thun kann. Morgen muß ich Herrn Betteredge sprechen und ihm die nöthigen Ordres in Betreff der Instandsetzung des Hauses geben.

18. Juni. – Ich kam wieder erst spät dazu, Herrn Franklin Blake zu besuchen Wieder am frühen Morgen die schrecklichsten Schmerzen, denen dieses Mal mehrere Stunden lang die vollständigste Erschöpfung folgte. Ich sehe voraus, daß ich trotz der unvermeidlichen schlimmen Folgen zum hundertsten Male meine Zuflucht zum Opium werde nehmen müssen. Wenn ich nur an mich selbst zu denken hätte, so würde ich die empfindlichen Schmerzen den schrecklichen Träumen vorziehen. Aber die körperlichen Leiden erschöpfen mich und wenn ich meine Kräfte schwinden lasse, so würde ich Herrn Blake vielleicht zu der Zeit, wo er meiner am meisten bedarf, nicht mehr nützen können.

Es war fast Ein Uhr geworden, bevor ich heute nach dem Hotel gehen konnte. Der Besuch war selbst in meinem geschwächten Zustande, Dank der Gegenwart Gabriel Betteredge’s, höchst unterhaltend.

Ich fand ihn im Zimmer, als ich eintrat. Er zog sich an’s Fenster zurück und schaute hinaus, während ich meine erste gewöhnliche Frage an meinen Patienten richtete. Herr Blake hatte wieder schlecht geschlafen und empfand die fehlende Ruhe heute stärker als bisher.

Ich fragte ihn dann, ob er von Herrn Bruff gehört habe.

Gerade an diesem Morgen hatte er einen Brief erhalten. Herr Bruff sprach die entschiedenste Mißbilligung des Verfahrens aus, das sein Freund und Client nach meinem Rath eingeschlagen habe. Dasselbe sei vom Uebel, denn es erwecke Hoffnungen, welche sich vielleicht nie realisiren würden. Er vermöge darin nichts zu erkennen als eine Art Spiegelfechterei von der bekannten Sorte der Künste des Mesmerismus, der Clairvoyance u. dgl. Es bringe Fräulein Verinder’s Haus in Verwirrung und würde schließlich auch sie selbst verwirrt machen. Er habe, ohne Namen zu nennen, den Fall einem bedeutenden Aerzte vorgelegt und dieser habe gelächelt, den Kopf geschüttelt und nichts geantwortet. Aus diesen Gründen müsse sich Herr Bruff darauf beschränken, gegen die Sache zu protestiren.

Meine nächste Frage betraf den Diamanten, ob der Advocat irgend etwas zum Beweise beigebracht habe, daß der Edelstein sich in London befinde?«

Nein, der Advocat hatte es einfach refüsirt, die Frage zu discutiren Er sei, schreibt er, für seine Person überzeugt, daß der Mondstein an Herrn Luker verpfändet sei. Sein berühmter, jetzt abwesender Freund, Herr Murthwaite, dessen genaue Bekanntschaft des indischen Characters Niemand in Abrede stellen könne, sei derselben Ueberzeugung gewesen. Unter diesen Umständen und im Hinblick aus die vielen Ansprüche, die in dieser Angelegenheit bereits an ihn gemacht worden seien, müsse er es ablehnen, sich in Betreff des Beweises auf weitere Erörterungen einzulassen. Die Zeit werde Alles an den Tag bringen und Herr Bruff wolle die Zeit geduldig abwarten.

Es war ganz klar, auch wenn Herr Blake es dadurch nicht noch klarer gemacht hätte, daß er nur über den Inhalt des Briefes berichtete, anstatt ihn wirklich vorzulesen, daß dem ganzen Raisonnement des Herrn Bruff nur das Mißtrauen gegen meine Person zu Grunde lag. Da ich dies vorausgesehen hatte, so konnte es mich weder kränken noch überraschen. Ich fragte Herrn Blake, ob der Protest seines Freudes ihn in seiner Ueberzeugung erschüttert habe. Er antwortete emphatisch, daß er nicht den geringsten Eindruck auf ihn gemacht habe. Danach stand es mir frei, bei unsern Erwägungen ganz von Herrn Bruff zu abstrahiren und ich that das.

Es entstand nun eine Pause in unserer Unterhaltung und Betteredge trat aus seiner Zurückgezogenheit am Fenster wieder hervor.

»Wollen Sie mir einen Augenblick Gehör schenken?« fragte er, sich an mich wendend.

»Ich stehe ganz zu Diensten« antwortete ich.

Betteredge nahm sich einen Stuhl und setzte sich an den Tisch. Er zog ein ungeheures altmodisches Taschenbuch mit einem Bleistift von entsprechender Dimension hervor. Nachdem er seine Brille aufgesetzt, schlug er in dem Taschenbuch eine leere Seite auf und wandte sich abermals an mich.

»Ich habe,« sagte Betteredge indem er mich fest ansah, »nun beinahe 50 Jahr in dem Dienst meiner verstorbenen gnädigen Frau verlebt. Vorher war ich Page in dem Dienst des alten Lords, ihres Vaters. Ich bin jetzt so etwas wie zwischen 70 und 80 Jahr alt – es kommt nicht so genau darauf an! Ich gelte dafür, daß ich soviel Weltkenntniß und Erfahrung gesammelt habe, wie die meisten Menschen. Und was muß ich jetzt erleben, Herr Ezra Jennings, daß ein ärztlicher Assistent an Herrn Franklin Blake ein Zauberkunststück mit einer Flasche Opium probirt und daß ich, hol’s der Teufel, in meinen alten Tagen den Handlanger des Zauberers abgeben muß!»

Herr Blake brach in Lachen aus. Ich versuchte es zu reden, aber Betteredge machte eine Handbewegung, zum Zeichen daß er noch nicht fertig sei.

»Kein Wort, Herr Jennings!« sagte er. »Es bedarf keines Wortes von Ihnen, mein Herr. Ich habe Gott sei Dank! meine Grundsätze. Wenn mir eine Ordre zukommt, die einer Ordre aus dem Tollhaus so ähnlich sieht wie ein Eis dem andern, einerlei – so lange die Ordre von meinem Herrn oder meiner Herrin kommt, parire ich. Ich kann meine eigene Ansicht haben, die wie Sie gefälligst bemerken wollen, auch die Ansicht des Herrn Bruff, des großen Herrn Bruff ist!« sagte Betteredge mit erhobener Stimme und indem er, mir zugekehrt, feierlich mit dem Kopfe schüttelte. »Einerlei; trotz alledem behalte ich meine Ansicht für mich. Mein junges Fräulein sagt: »Thun Sie das!« Und ich sage: »Gnädiges Fräulein, es soll geschehen!« Hier bin ich mit meinem Taschenbuch und meinem Bleistift – der Bleistift ist zwar nicht so gut zugespitzt, wie ich es wünschen möchte, aber wenn Christenmenschen ihren Verstand verlieren, kann man auch von Bleistiften nicht erwarten, daß sie ihre Spitzen behalten. Herr Jennings, ich erwarte Ihre Befehle, ich will sie mir notiren. Ich bin entschlossen, sie aufs Genaueste auszuführen und nicht um ein Haarbreit mehr oder weniger zu thun. Ich bin ein blindes Werkzeug, weiter nichts – weiter nichts als ein blindes Werkzeug. wiederholte Betteredge mit außerordentlichem Behagen über seine Schilderung seiner eigenen Person.

»Es thut mir sehr leid,« fing ich an, »daß Sie und ich nicht einer Meinung sind.«

»Lassen Sie mich aus dem Spiel!« unterbrach mich Betteredge. »Es handelt sich hier für mich nicht um Meinungen, sondern um Gehorsam. Geben Sie Ihre Ordres, Herr, geben Sie Ihre Ordres!«

Herr Blake machte mir ein Zeichen, ihn beim Wort zu nehmen. Ich gab meine Ordres so klar und mit so ernsthafter Miene wie es mir möglich war.

»Ich wünsche,« sagte ich, »daß gewisse Räume des Hauses wieder in Stand gesetzt und genau so wieder möblirt werden. wie sie es im vorigen Jahre um diese Zeit waren«

Betteredge befeuchtete seinen mangelhaft gespitzten Bleistift mit der Zunge und sagte feierlich: »Nennen Sie die Räume, Herr Jennings!«

»Erstens: Die innere Halle, welche zur Haupttreppe führt.«

»Erstens: Die innere Halle,« schrieb Betteredge. »Schon einmal unmöglich, die innere Halle wieder so zu möbliren, wie sie voriges Jahr möblirt war.«

»Warum?«

»Weil voriges Jahr ein ausgestopfter Mäusefalk in der Halle stand, Herr Jennings. Als die Familie abreiste, wurde der Mäusefalk mit den andern Sachen weggeräumt. Beim Wegräumen aber platzte er.«

»Lassen wir also den Mäusefalken weg.«

Betteredge notirte sich diese Weglassung. »Die innere Halle wieder so möbliren, wie sie voriges Jahr möblirt war, mit einziger Ausnahme des Mäusefalken. Fahren Sie gefälligst fort, Herr Jennings.«

»Den Teppich auf die Treppe legen, wie früher.«

»Den Teppich auf die Treppe legen, wie früher. Bedaure recht sehr, mein Herr: aber das ist ebenso wenig möglich.«

»Warum nicht?«

»Weil der Mann, der die Decke gelegt hat, todt ist, Herr Jennings, und einen Tapezier, der es so wie er versteht, einen Teppich in eine Ecke zu passen, finden Sie in ganz England nicht mehr.«

»Nun gut, so müssen wir es mit dem geschicktesten Mann in England, der jetzt lebt, versuchen.«

Betteredge notirte wieder und ich fuhr mit meinen Ordres fort.

»Fräulein Verinder’s Zimmer genau so wieder herstellen, wie es im vorigen Jahre war. Desgleichen den Corridor, der von dem Wohnzimmer nach dem ersten Treppenabsatz führt. Desgleichen den Corridor der von dem zweiten Treppenabsatz zu den besten Schlafzimmern führt. Desgleichen das Schlafzimmer, welches Herr Franklin Blake im vorigen Juni inne hatte.«

Betteredge’s stumpfer Bleistift folgte mir gewissenhaft Wort für Wort. »Fahren Sie fort, Herr!« sagte er mit krampfhafter Feierlichkeit. »Die Bleistiftspitze hält noch lange vor«

Ich sagte ihm, daß ich keine Ordres mehr zu geben habe. »Herr,« sagte Betteredge, »in diesem Falle habe ich ein paar Bemerkungen in Betreff meiner selbst zu machen.« Er schlug eine neue weiße Seite in dem Taschenbuch auf und feuchtete den unerschöpflichen Bleistift wieder an.

»Ich möchte wissen,« sing er an, »ob ich meine Hände waschen kann —«

»Gewiß können Sie das,« sagte Herr Blake, »ich will dem Kellner klingeln.«

»– reinwaschen kann von gewissen Verantwortlichkeiten,« fuhr Betteredge fort, indem er fest entschlossen schien, von Niemandem im Zimmer. außer von mir und sich Notiz zu nehmen. »Um zuerst von Fräulein Verinder’s Wohnzimmer zu reden. Als wir im vorigen Jahre die Decke aufnahmen, Herr Jennings, fanden wir eine große Anzahl von Nadeln. Bin ich verpflichtet, diese Nadeln wieder hinzulegen?«

»Gewiß nicht!«

Betteredge notirte sich sofort diese Concession.

»Was demnächst den ersten Corridor betrifft« fing er wieder an. »Als wir die Ornamente aus dem Corridor wegnahmen, befand sich darunter auch die Statue eines fetten nackten Kindes, welches in dem Inventar unseliger Weise als »Amor, Gott der Liebe« bezeichnet war. Voriges Jahr hatte er zwei Flügel an seinen fetten Schultern. Als ich einen Augenblick den Rücken gekehrt hatte, brachen sie ihm einen davon ab. Bin ich verantwortlich für den Amorflügel?«

Ich beruhigte ihn auch darüber und Betteredge machte wieder eine Notiz in sein Taschenbuch.

»Was den zweiten Corridor betrifft,« fuhr er fort, »da auf demselben voriges Jahr nichts gestanden hat, als die Thüren zu den Zimmern (deren Vorhandensein ich, wenn es nöthig ist, beschwören kann), so bin ich in Betreff dieses Theils des Hauses sehr ruhig. Was aber Herrn Franklin’s Schlafzimmer betrifft, – wenn das wieder in seinen frühern Zustand gebracht werden soll —, so möchte ich wissen, wer die Verantwortlichkeit dafür übernehmen soll, dasselbe in einem Zustande beständiger Confusion zu erhalten, gleichviel wie oft es wieder in Ordnung gebracht wird, – hier seine Hosen, da seine Handtücher und seine französischen Romane überall —, ich frage, wer die Verantwortlichkeit dafür zu übernehmen hat, die Ordnung in seinem Zimmer beständig wieder in Unordnung zu bringen – er oder ich?«

Herr Blake erklärte sich mit dem größten Vergnügen bereit, die ganze Verantwortlichkeit zu übernehmen. Betteredge lehnte es hartnäckig ab, irgend einen Vorschlag zur Lösung der Schwierigkeit anzuhören, bevor er denselben meiner Sanction und Genehmigung vorgelegt habe.

Ich nahm Herrn Blake’s Vorschlag an und Betteredge machte über diesen Gegenstand eine letzte Notiz in sein Taschenbuch.

»Sehen Sie von morgen an nach, wenn es Ihnen gefällig ist,« sagte er aufstehend. Sie werden mich mit dem nöthigen Hilfspersonal bei der Arbeit finden. Ich sage Ihnen meinen verbindlichsten Dank, Herr, für Ihre Nachricht, sowohl in Betreff des ausgestopften Mäusefalken als des Amorflügels – und dafür, daß Sie mich von jeder Verantwortlichkeit für die Nadeln auf der Decke und die Unordnung in Herrn Franklins Zimmer freigesprochen haben. Als Diener bin ich Ihnen tief verpflichtet, als Mensch betrachte ich Sie als einen verschrobenen Querkopf und protestire gegen Ihr Experiment als gegen eine Täuschung und einen Hohn. Fürchten Sie aber nicht, daß meine Gefühle als Mensch der Erfüllung meiner Pflicht als Diener im Wege stehen werden! Ihre Befehle sollen ausgeführt werden, Herr, – sollen, trotz Ihrer Verschrobenheit, genau ausgeführt werden. Und wenn die Sache damit enden sollte, daß Sie das Haus in Brand strecken, – hol mich der Teufel. wenn ich nach den Spritzen schicke, ehe Sie geklingelt und Ordre dazu gegeben haben!«

Mit dieser Abschiedsversicherung verneigte er sich und verließ das Zimmer.

»Glauben« Sie, daß wir uns auf ihn verlassen können?« fragte ich.

»Vollkommen,« antwortete Herr Blake. »Wenn wir ins Hans kommen, werden wir nichts versäumt und nichts vergessen finden.«

19. Juni. – Ein neuer Protest gegen unser beabsichtigtes Verfahren! Dieses Mal von einer Dame.

Die Morgenpost brachte mir zwei Briefe, den einen von Fräulein Verinder, mit der freundlichsten Zustimmung zu dem von mir proponirten Arrangement. Den andern von der Dame, unter deren Obhut sie lebt, einer Mrs. Merridew.

Mrs. Merridew empfiehlt sich mir und erklärt, daß sie sich nicht anmaße, von der wissenschaftlichen Bedeutung des Gegenstandes, über welchen ich mit Fräulein Verinder correspondirt habe, etwas zu verstehen. Sie erlaube sich aber, vom Standpunkt einer Betrachtung der socialen Bedeutung des Gegenstandes aus, eine Meinung zu äußern. Ich wisse wahrscheinlich nicht, meint Mrs. Merridew, daß Fräulein Verinder kaum neunzehn Jahre alt sei. Einem jungen Mädchen dieses Alters zu gestatten, ohne Begleiterin in einem Hause anwesend zu sein, in welchem eine Anzahl von Männern sich zum Zweck der Anstellung eines medicinischen Experiments versammeln, erscheine als ein grober Verstoß gegen die Schicklichkeit, den Mrs. Merridew auf keine Weise zugeben könne. Wenn die Sache vor sich gehen müsse, so würde sie es als ihre Pflicht betrachten, mit Hintansetzung ihrer eigenen Bequemlichkeit, Fräulein Verinder nach Yorkshire zu begleiten. Unter diesen Umständen wagte sie es, mich freundlich zu bitten, mir die Sache noch einmal zu überlegen, da Fräulein Verinder sich weigert, von irgend Jemand Andern als von mir in dieser Angelegenheit Rath anzunehmen. Unmöglich könne ihre Anwesenheit nothwendig sein und ein Wort von mir in diesem Sinn würde sowohl Mrs. Merridew als mich von einer sehr unangenehmen Verantwortlichkeit befreien.

Seiner Umhüllung von höflichen Redensarten entkleidet, heißt das Vorstehende, wie ich es verstehe, so viel wie, daß Mrs. Merridew eine tödtliche Angst vor dem Urtheile der Welt hat. Unglücklicher Weise wendet sie sich an einen Mann, der wohl von allen lebenden Menschen die wenigste Ursache hat, das Urtheil der Welt zu respectiren. Ich möchte Fräulein Verinder nicht unangenehm enttäuschen, und möchte die Versöhnung zweier junger Leute, die sich lieben und schon so lange getrennt gewesen sind, nicht hinausschieben. In höfliche Redensarten eingehüllt, wird meine Antwort dahin lauten: daß Herr Jennings sich Mrs. Merridew höflichst empfiehlt und sein Bedauern darüber ausspricht, daß er sich nicht für befugt halten kann, irgend etwas in dieser Angelegenheit zurückzunehmen.

Herrn Blake’s Bericht über seinen Zustand lautete diesen Morgen ganz wie bisher. Wir kamen überein, Betteredge heute noch nicht bei seiner Arbeit zu stören. Es wird morgen noch früh genug sein, eine erste Inspektion zu halten.

20. Juni. – Herr Blake fängt an, die Folgen seiner anhaltenden Schlaflosigkeit zu verspüren. Je eher jetzt – die Zimmer wieder in Stand gesetzt werden können, desto besser.

Auf unserm Wege nach dem Hause consultirte er mich diesen Morgen mit einer gewissen nervösen Ungeduld und Unentschlossenheit in Betreff eines Briefes von Sergeant Cuff, den er über London erhalten hatte.

Der Sergeant schreibt aus Irland. Er bekennt sich zu dem ihm durch seine Haushälterin übermittelten Empfang einer Karte und einer Bestellung, welche Herr Blake in seinem Hause in der Nähe von Dorking hinterlassen hat und kündigt seine Rückkehr nach England als wahrscheinlich in längstens einer Woche bevorstehend an. Inzwischen bittet er um eine Angabe der Gründe, aus welchen Herr Blake ihn, wie die Karte besage, in Betreff des Mondsteins zu sprechen wünsche. Wenn Herr Blake ihn zu überzeugen im Stande sei, daß er im Lauf seiner vorjährigen Untersuchung in Betreff des Diamanten in einem erheblichen Punkte fehlgegangen sei, so werde er es im Hinblick auf die liberale Remuneration seiner Dienste durch die verstorbene Lady Verinder als seine Pflicht betrachten, sich Herrn Blake zur Verfügung zu stellen. Wenn nicht, so bitte er um die Erlaubniß, in seiner ländlichen, der Blumenzucht gewidmeten Zurückgezogenheit verbleiben zu dürfen.

Nachdem ich den Brief gelesen, trug ich kein Bedenken, Herrn Blake den Rath zu ertheilen, Sergeant Cuff in Erwiederung seines Briefes alles Das mitzutheilen, was seit der Sistirung der Untersuchung im vorigen Jahre vorgefallen ist und ihm die Folgerungen aus diesen einfachen Thatsachen selbst zu überlassen.

Bei näherer Erwägung rieth ich ihm aber ferner, den Sergeanten aufzufordern, falls er zeitig genug nach England zurückkehrt, dem Experimente beizuwohnen. Er würde auf alle Fälle ein werthvoller Zeuge sein und falls sich meine Annahme, daß der Diamant in Herrn Blake’s Zimmer versteckt sei, als falsch erweisen sollte, so könnte sein Rath in einem späteren Stadium des Verfahrens, über das ich keine Controlle auszuüben im Stande wäre, von großer Wichtigkeit werden. Diese letzte Erwägung schien für Herrn Blake entscheidend zu sein. Er versprach, meinem Rath zu folgen.

Als wir uns dem Hause näherten, tönten uns Hammerschläge aus demselben entgegen und belehrten uns, daß die Arbeit der Wiederinstandsetzung in vollem Gange sei.

Wir trafen Betteredge, der bei der Arbeit eine rothe Fischermütze ausgesetzt und eine grüne baumwollene Schürze vorgebunden hatte, in der äußern Halle. In dem Augenblick, wo er meiner ansichtig wurde, zog er Taschenbuch und Bleistift hervor und capricirte sich, jedes Wort was ich ihm sagte, zu notiren. Wohin wir aber blickten fanden wir, wie es Herr Blake vorausgesagt hatte, daß die Arbeit so rasch und so verständig gefördert wurde, wie es nur irgend möglich war. Aber in der innern Halle und in Fräulein Verinders Zimmer war noch viel zu thun. Es mußte zweifelhaft erscheinen, ob das Haus vor Ende der Woche für uns werde fertig sein können.

Nachdem wir Betteredge zu dem raschen Fortgang der Arbeiten Glück gewünscht hatten – er blieb dabei, sich jedes meiner Worte zu notiren und nahm beharrlich von dem, was Herr Blake sagte, nicht die mindeste Notiz – und nachdem wir versprochen hatten, in ein oder zwei Tagen wieder vorzusprechen und nachzusehen, schickten wir uns an, das Haus durch die Hinterthür zu verlassen.

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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
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780 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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