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Читать книгу: «Blinde Liebe», страница 31

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Zweiundsiebzigstes Kapitel

Es war alles vorüber. Iris hatte ihr ganzes Geld hergegeben. Sie lebte in einer kleinen Wohnung, welche Fanny Mere, die sie als ihre Cousine ausgab, für sie gemietet hatte. Sie blieb den ganzen Tag über zu Haus, denn sie fürchtete sich, von jemand beim Ausgehen erkannt zu werden. Sie fürchtete ferner, daß ihr Gatte wegen Betrugs verhaftet worden, und sie fürchtete, daß man auf der Straße ihr etwas Derartiges nachrufen könnte. Daher schrak sie auch zusammen und wurde ganz bleich, als sie eines Tages Schritte auf der Treppe hörte; denn sie dachte immer daran, daß auch sie von den Gerichten gesucht werden könnte.

Der Mann, der eintrat, war Hugh Mountjoy.

»Durch Fanny habe ich Sie endlich aufgefunden,« sagte er. »Das Mädchen wußte, daß sie ohne Rückhalt mir Ihr Geheimnis anvertrauen könnte. Aber warum bleiben Sie immer noch in Verborgenheit?«

»Sie können nicht alles wissen, Hugh,« entgegnete Iris, »sonst würden Sie mich das nicht fragen.«

»Ich weiß alles, und doch frage ich Sie wieder: warum verbergen Sie sich?«

»Weil – o Hugh, schonen Sie mich!«

»Ich weiß alles, und das ist auch der Grund, weswegen ich nicht anders handeln konnte, als daß ich Sie aufsuchte, da ich mit Ihnen reden muß. Verlassen Sie diese elende Wohnung, treten Sie frei vor die Menschen, nehmen Sie Ihren eigenen Namen wieder an. Es liegt nicht der geringste Grund vor, warum Sie das nicht thun sollen. Sie waren nicht in Passy anwesend, als das Verbrechen begangen wurde. Sie sind erst nach der Beerdigung hingekommen. Was haben Sie also mit dem ganzen Verbrechen gemein, Iris?«

»Wissen Sie etwas von dem Geld?«

»Gewiß. Sie schickten alles, was Sie zusammenbringen konnten, zurück; es waren fünftausend Pfund. Das allein bewies schon Ihre Unschuld.«

»Hugh, Sie wissen, daß ich schuldig bin.«

»Die Welt wird glauben, daß Sie unschuldig sind; jedenfalls können Sie sich ohne die geringste Furcht in der Oeffentlichkeit zeigen. Sagen Sie mir, was haben Sie für Pläne?«

»Ich habe gar keinen Plan. Ich habe nur den Wunsch, mich irgendwo vor der Welt zu verbergen.«

»Gut, wir werden darüber sogleich sprechen. Vorerst habe ich aber einige Neuigkeiten für Sie.«

»Neuigkeiten? Was für welche denn?«

»Natürlich gute Neuigkeiten. Ich habe Ihnen etwas zu sagen, was Sie überraschen wird.«

»Gute Nachrichten? Was kann es denn für mich noch für gute Nachrichten geben?«

»Ihr Gatte hat das ganze Geld zurückgeschickt.«

»Zurückgeschickt? An die Versicherungsgesellschaft?«

»Alles ist wiedererstattet worden. Er schrieb dazu zwei Briefe, einen an die Rechtsanwälte und den andern an die Versicherungsgesellschaft. Jetzt kann ja überhaupt nicht mehr über die Angelegenheit gesprochen werden, da die Gesellschaft das Geld wieder erhalten hat. Die Rechtsanwälte haben mich aber versichert, daß nichts mehr zu fürchten ist. Alles ist vorüber.«

Iris seufzte tief auf.

»Dann ist er in Sicherheit?« fragte sie.

»Sie denken natürlich zuerst an ihn!« sagte Hugh eifersüchtig. »Ja, er ist in Sicherheit, und ich hoffe, er ist ganz außer Landes gegangen, um niemals wieder hierher zurückzukehren. Das Wichtigste dabei ist jetzt, daß Sie in Zukunft sicher vor ihm sind. Und was den Doktor anbetrifft, – aber ich kann nicht mit der gewöhnlichen Ruhe von diesem Menschen sprechen – überlassen wir ihn dem Verhängnis, das stets eines solchen Menschen wartet. Er wird sich hoffentlich nirgends, wohin er sich auch begeben mag, sicher fühlen.«

»Ich bin also sicher,« sagte Iris, »nicht nur vor meinem Gatten, sondern auch vor jenem andern. Sie glauben, daß ich sowohl wie mein Gatte in der Beziehung nichts zu fürchten haben. O, diese Furcht hat mich niemals, nicht für einen einzigen Augenblick verlassen. Sie sagen mir, daß ich öffentliche Schande nicht zu fürchten habe, und daß ich wieder frei atmen könne, wo ich doch eigentlich vor Scham in die Erde sinken müßte!«

Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.

»Iris, wir wissen, was Sie gethan haben, wir wissen auch, warum Sie es gethan haben. Was sollen wir noch weiter darüber reden? Die Sache ist vorüber und somit abgethan. Wir wollen nie wieder darauf zurückkommen. Die Frage ist jetzt: Was wollen Sie zunächst thun? Wo wollen Sie leben?«

»Ich weiß es nicht. Ich habe Fanny zu mir genommen, und Mrs. Vimpany trägt auch das lebhafteste Verlangen, zu mir zu kommen. Ich bin reich, ja, bin in der That reich, seitdem ich zwei so treue Begleiterinnen und einen Freund habe.«

»In dieser Beziehung, Iris, werden Sie immer reich sein. Jetzt hören Sie aber aufmerksam zu. Ich besitze eine Villa auf dem Lande. Sie liegt weit entfernt von London in den schottischen Marschen, ganz abgelegen von der großen Heerstraße, selbst für Reisende zu entlegen. Es ist ein sehr einsamer Ort, aber ein hübsches Haus mit einem großen Garten dahinter und davor die sandige Meeresküste und das unendliche Meer. Dort kann man vollständig abgeschlossen und einsam leben. Ich biete Ihnen dieses Haus als Wohnung an. Schlagen Sie ein, und wohnen Sie dort, so lange es Ihnen gefällt.«

»Nein, nein, ich darf ein solches Anerbieten nicht annehmen,« sagte sie.

»Sie dürfen, Iris, Sie müssen es annehmen. Ich bitte Sie darum als um einen Beweis Ihrer Freundschaft und als nichts weiter. Ich fürchte nur, Sie werden der Einsamkeit bald überdrüssig werden.«

»Nein, nein, das wird niemals geschehen! Einsamkeit ist ja alles, was ich wünsche.«

»Es gibt dort überhaupt keine Gesellschaft.«

»Gesellschaft, Gesellschaft für mich? Was soll ich mit der Gesellschaft?«

»Ich komme auch für einige Zeit in die Nachbarschaft, um dort zu fischen. Werden Sie mir dann erlauben, daß ich Sie aufsuche?«

»Wer hätte sonst das Recht dazu?«

»Dann nehmen Sie also mein Anerbieten an?«

»Mein Gefühl sagt mir, daß ich es annehmen muß. Ja, Hugh, ja, mit dem aufrichtigsten und herzlichsten Dank nehme ich Ihre Güte an.«

Am nächsten Tag fuhr sie mit dem Nachtzug nach Schottland. Mit ihr zugleich reisten Mrs. Vimpany und Fanny Mere.

Dreiundsiebzigstes Kapitel

Was Lord Harry that, nachdem er das Geld der Versicherungsgesellschaft zurückgeschickt hatte, war äußerst merkwürdig.

Er verließ London und begab sich nach Dublin.

Dort angekommen, suchte er ein kleines Hotel auf, das ausschließlich von Amerikanern irischen Ursprungs und deren Freunden besucht wurde. Man glaubte allgemein, daß es der Hauptzusammenkunftsort der Unüberwindlichen sei. Jedenfalls war bekannt, daß das Haus fast ausschließlich nur von den Nationalgesinnten besucht wurde. Er machte keinen Versuch, seinen Namen zu verheimlichen. Er betrat das Hotel, begrüßte den Wirt freundlich, nickte dem Oberkellner zu, bestellte ein Diner und nahm keine Rücksicht auf die finsteren und drohenden Blicke, mit denen er in dem Speisesaal empfangen wurde, wo fünf bis sechs Männer saßen und heimlich mit einander sprachen.

Er blieb diese Nacht in dem Hotel.

Am nächsten Tag ging er ganz offen und frei, als ob er gar nichts zu fürchten hätte, weder von Engländern noch von Irländern, auf die Eisenbahn und löste sich ein Billet, nicht im geringsten auf das achtend, was alle Welt sehen und begreifen konnte, nämlich, daß er genau beobachtet wurde. Als er seine Fahrkarte gelöst hatte, traten unmittelbar nach ihm zwei andere Männer an den Schalter, die sich ebenfalls zwei Fahrkarten nach dem gleichen Ort wie Lord Harry lösten. Der Ort, wohin er zu fahren beabsichtigte, lag in dem Teil von Kerry, in dem die Unüberwindlichen einst Arthur Mountjoy ermordet hatten.

Die beiden Männer, welche ihm folgten und Fahrkarten nach demselben Ort gelöst hatten und die sich jetzt auch zu ihm in dasselbe Coupé setzten, waren zwei Mitglieder dieser unheimlichen Bruderschaft. Es ist bekannt, daß über denjenigen, der sich der Gesellschaft anschließt und sie später wieder verläßt oder ihren Befehlen nicht gehorcht, oder der überhaupt in dem Verdacht steht, ihre Geheimnisse zu verraten – es ist allgemein bekannt, daß über denjenigen die Todesstrafe verhängt wird.

Nach der ganz unerwarteten Ankunft Lord Harrys in dem Hotel in Dublin waren sofort die damals gerade in der Stadt anwesenden Mitglieder der Bruderschaft zu einer Versammlung zusammenberufen worden. Man hatte beschlossen, daß der Verräter aus dem Wege geräumt werden müsse. Das Los wurde geworfen, und es fiel auf einen, der sich erinnerte, daß Lord Harry in der Vergangenheit seiner Familie öfters Wohlthaten erwiesen hatte. Er wäre glücklich gewesen, wenn ihm der traurige Auftrag erspart geblieben wäre, aber die Gesetze der Gesellschaft sind streng, und daher mußte er gehorchen.

Es ist außerdem noch die Gewohnheit der Unüberwindlichen, wenn ein Mord beschlossen und eines ihrer Mitglieder mit der Ausführung beauftragt worden ist, noch ein zweites Mitglied auszuwählen, dessen Pflicht es ist, den Mörder zu begleiten und zu sehen, ob er seinen Auftrag auch wirklich erfüllt.

Am Nachmittag, ungefähr eine Stunde vor Sonnenuntergang, erreichte der Zug die Station, an der Lord Harry aussteigen wollte. Der Stationsvorstand erkannte und begrüßte ihn. Darauf sah er die beiden anderen Männer aussteigen und wurde blaß.

»Ich will meine Reisetasche hier in dem Gepäckbureau zurücklassen: sie wird abgeholt werden.«

Später erinnerte sich der Stationsvorstand dieser Worte. Lord Harry sagte nicht, ich werde sie wieder abholen, sondern sie wird abgeholt werden. Bedeutungsvolle Worte!

Das Wetter war kalt; ein feiner Sprühregen fiel; der Tag begann sich seinem Ende zuzuneigen. Lord Harry verließ die Bahnstation und ging mit raschen Schritten den Weg entlang, der durch ein trauriges und verlassenes Stück Land führte. Die beiden Männer folgten ihm. Jetzt beschleunigte der eine seinen Gang und ließ seinen Begleiter ungefähr zwanzig Schritte hinter sich.

Der Stationsvorsteher blickte den drei Davoneilenden nach, bis er sie nicht mehr sehen konnte. Dann schüttelte er den Kopf und kehrte in sein Bureau zurück.

Lord Harry ging auf dem Weg rasch weiter; er wußte, daß die beiden Männer ihm auf dem Fuße folgten. Jetzt wurde er gewahr, daß der eine von ihnen seine Schritte verdoppelte.

Er ging, ohne sich darum zu kümmern, in dem gleichen Schritt fort. Vielleicht wurden seine Wangen bleicher und schlossen seine Lippen sich fester auf einander, da er ja ganz genau wußte, daß er im Begriff stand, in den Tod zu gehen.

Die Schritte hinter ihm kamen rasch immer näher und näher. Lord Harry drehte nicht einmal seinen Kopf nach dem ihm Folgenden um. Der Mann war jetzt ganz dicht hinter ihm. Noch ein kurzer Augenblick, und er ging dicht an seiner Seite.

»Mickey O'Flynn!« sagte Lord Harry.

»Er ist es, der vor Dir steht, Verräter!« entgegnete der Mann.

»Ihre Freunde, die Unüberwindlichen, sagten Ihnen, ich sei ein solcher, Mickey. Nun, glauben Sie etwa, ich wüßte nicht, weswegen Sie hier sind? Nun?« Er blieb stehen. »Ich bin unbewaffnet. Sie halten einen Revolver in Ihrer Hand, in der Hand, die Sie hinter Ihrem Rücken verbergen. Worauf warten Sie noch?«

»Ich kann es nicht thun!« sagte der Mann.

»Sie müssen, Mickey O'Flynn, Sie müssen, oder Sie werden selbst ermordet,« entgegnete Lord Harry ruhig. »Sie brauchen ja nur Ihre Hand zu heben, und dann werden Sie ein Mörder sein. Ich bin auch einer, wir werden also dann beide Mörder sein. Nun also, warum schießen Sie nicht?«

»Bei Gott, ich kann nicht,« sagte Mickey O'Flynn. Er hielt den Revolver immer noch gespannt hinter seinem Rücken, aber er erhob den Arm nicht. Seine Augen blickten starr auf den irischen Lord; sein Mund war geöffnet, das Entsetzen des Mörders sprach sich schon jetzt in seiner ganzen Haltung aus, noch bevor er den Mord begangen hatte. Dann schrak er plötzlich zusammen. »Blicken Sie hinter sich, blicken Sie hinter sich, Mylord.«

Lord Harry drehte sich herum. Der zweite Mann war jetzt ganz nahe bei ihm. Er beugte sich vorwärts und schaute ihm ins Gesicht.

»Arthur Mountjoys Mörder!« schrie Lord Harry laut und sprang dem Mann an die Kehle.

Ein, zwei, drei Schüsse durchhallten die stille Abendluft. Diejenigen, welche sie auf der Bahnstation aus der Richtung des Weges, den die drei Männer eingeschlagen hatten, herüberschallen hörten, schauderten zusammen. Sie kannten die Bedeutung dieser Schüsse. Noch ein Mord mehr lastete auf der Seele von Irland. Lord Harry aber lag tot mitten auf dem Weg.

Der zweite Mann sprang auf und griff nach seinem Hals.

»Wahrhaftig,« sagte er, »ich dachte, es ginge mir auch ans Leben. Komm, Mick, wir wollen ihn etwas aus dem Wege schaffen.«

Sie zogen den Leichnam an die Seite der Straße und eilten dann mit gebeugten Köpfen und tief in das Gesicht gezogenen Hüten querfeldein nach einer andern Eisenbahnstation, wo sie nicht als die beiden erkannt werden würden, die Lord Harry auf der Straße gefolgt waren.

Eine Stunde später ritten zwei bewaffnete Konstabler die Straße entlang und fanden den Leichnam, wo ihn die beiden liegen gelassen hatten.

Sie durchsuchten seine Taschen. Eine Geldbörse mit ein paar Sovereigns fanden sie darin, ferner das Bild einer Dame, der Gattin des Ermordeten, und ein versiegeltes Couvert, gerichtet an Hugh Mountjoy Esq., in einem Londoner Hotel, und eine Visitenkartentasche; nichts von irgendwelcher Bedeutung.

»Das ist Lord Harry Norland,« sagte der eine, »der wilde Lord! So hat er endlich doch sein Ende gefunden!«

Das Couvert enthielt zwei Briefe. Der an Iris gerichtete war kurz. Er lautete:

»Lebe wohl. Ich stehe im Begriff, den Tod eines, der ein Verräter an einer gerechten Sache genannt wird, zu erleiden. Ich bin aber in einem noch viel höheren Grad ein Verbrecher, als meine Mörder glauben. Mag das Ende, welches mir schon seit lange zugedacht ist, als eine Art Sühnopfer betrachtet werden. Vergib mir, Iris; denke an mich so freundlich, wie Du kannst. Aber ich beschwöre Dich, es ist mein letztes Wort an Dich: traure nicht um einen, welcher sein möglichstes gethan hat, um Dein Leben zu vergiften und Deine Seele zu verderben.«

In dem zweiten Brief schrieb er:

»Ich kenne die Liebe, die Sie immer für meine Gattin gehegt haben. Iris wird Ihnen sagen, was sie über ihre Zukunft beschlossen hat. Wenn sie Ihnen nichts über ihren verstorbenen Gatten sagt, so denken Sie das Schlimmste von ihm, und Sie werden nicht unrecht haben. Erinnern Sie sich, daß, was sie auch gethan haben mag, sie dies alles für mich gethan hat und auf meine Veranlassung. Sie hätte Sie anstatt mich heiraten sollen.

»Ich stehe im Angesicht des Todes. Die Männer, welche mich zu töten beabsichtigen, sind mit mir unter dem gleichen Dach. Sie werden ihren Plan vielleicht schon heute nacht ausführen, vielleicht aber warten sie auch auf eine bessere Gelegenheit und einen ruhigeren und sichereren Platz. Aber töten werden sie mich gewiß.

»Im Angesicht des Todes erhebe ich mich über die jammervolle Eifersucht, mit der ich Sie jederzeit betrachtet habe. Ich sehe mit Verachtung herab auf diese unwürdige Leidenschaft und bitte Sie deswegen um Verzeihung. Helfen Sie Iris, die Periode ihres Lebens zu vergessen, über die sie mit Recht beschämt sein muß. Beweisen Sie, daß Sie mir vergeben, dadurch, daß Sie ihr vergeben, und daß Sie ihr helfen in der Aufrichtigkeit und Tiefe Ihrer Liebe, die Erinnerung an mich für immer aus ihrem Herzen zu tilgen. H. N.«

Vierundsiebzigstes Kapitel

Als Iris Hugh Mountjoys Anerbieten, seine Besitzung in Schottland als Aufenthaltsort zu benützen, angenommen hatte, reiste sie dorthin mit der Absicht, sich vor aller Welt zu verbergen. Zu viele Menschen, dachte sie, kannten ihre Geschichte und wußten, was sie gethan hatte. Es war nicht wahrscheinlich, daß die Direktoren und Aufsichtsräte der Versicherungsgesellschaft alle über ein so ungewöhnliches Ereignis vollkommenes Stillschweigen bewahrt hatten. Und selbst wenn sie Lady Harry nicht der Teilnahme an dem Verbrechen beschuldigten, wie sie es gekonnt hätten, so würden sie doch sicherlich die Geschichte und den zeitweilig erfolgreichen Ausgang dieses eigentümlichen Betruges hie und da erzählt haben, und wahrscheinlich um so eher, nachdem Lord Harry ermordet worden war. Sie konnte daher, wie sie sich selbst sagte, sich niemals wieder vor der Welt sehen lassen.

In ihrer Begleitung befanden sich Fanny Mere, ihre Freundin und ihr Kammermädchen zugleich, die Frau, deren treue Anhänglichkeit an sie sich in so hervorragender Weise bethätigt hatte, und außerdem noch Mrs. Vimpany, welche in Zukunft die Geschäfte einer Haushälterin besorgen sollte.

Nachdem ein angemessener Zeitraum vergangen war, suchte Hugh Mountjoy Iris in Schottland auf. Sie war jetzt Witwe. Sie wußte sehr gut, was er ihr zu sagen wünschte, und kam ihm zuvor. Sie teilte ihm mit, daß nichts sie jemals veranlassen könnte, die Frau eines andern Mannes zu werden, nachdem sie sich selbst so erniedrigt habe. Hugh empfing diese vertrauliche Mitteilung, ohne eine Bemerkung dazu zu machen. Er blieb indessen in der Nachbarschaft, besuchte sie häufig, aber sprach nie ein Wort von Liebe zu ihr. So wurde er ihr mit der Zeit notwendig.

Seine häufigen Besuche wiederholten sich schließlich jeden Tag. War er früher nur nachmittags gekommen, so erschien er jetzt schon am frühen Morgen und blieb den ganzen Tag über da. Als die Zeit endlich gekommen war, wo Iris diesen seinen stummen Bewerbungen nachgeben durfte und er gar nicht mehr das Haus verließ, da schien ihnen beiden überhaupt keine Aenderung eingetreten zu sein; aber sie setzten ihr zurückgezogenes Leben in der gleichen Art und Weise weiter fort, und ich glaube nicht, daß sie es jemals wieder ändern werden.

Ihr Haus war an der Nordküste des Solway Firth gelegen, nahe bei der Mündung des Annanflusses, aber auf dessen westlichem Ufer, gegenüber der kleinen Stadt Annan. Hinter dem Hause breitete sich ein großer Garten aus; die Vorderseite blickte während der Ebbe über einen breiten Dünenstreifen und während der Flut über das Wasser selbst. Das Haus war mit einer guten Bibliothek versehen. Iris sorgte für ihren Garten, ging auf der Düne spazieren, las oder arbeitete. So bildeten sie einen sehr stillen Haushalt. Mann und Frau redeten wenig. Sie gingen zusammen im Garten spazieren, und dabei war sein Arm um ihre Taille geschlungen, oder sie hatten sich bei den Händen gefaßt. Wenn sie die Vergangenheit auch niemals ganz vergessen konnten, so hörte sie doch nach und nach auf, sie zu beunruhigen und zu quälen; sie erschien ihnen wie ein wüster, schrecklicher Traum, der seine Spuren nur in einer angenehmen Melancholie zurückgelassen hatte, welche in den längst vergangenen glücklichen Tagen der jungen Frau so ganz fremd gewesen war.

Und dann trat das letzte Ereignis ein, welches der Erzähler dieser Geschichte zu berichten hat.

Es nahm seinen Anfang an einem Morgen mit einem Brief.

Mrs. Vimpany empfing ihn. Sie erkannte die Handschrift sofort, erschrak und verbarg ihn schnell in ihrer Tasche. Sobald sie es möglich machen konnte, unauffällig ihr Zimmer aufzusuchen, begab sie sich dorthin, öffnete den Brief und las ihn.

»Gutes und liebenswürdiges Wesen! Schon seit langer Zeit habe ich, da ich es für sehr wahrscheinlich hielt, daß ich mich noch einmal in dieser Art und Weise an Dich zu wenden haben würde, darüber genaue Erkundigungen eingezogen, wo und bei wem Du Dich aufhältst. Das ausfindig zu machen, hat mir natürlich gar keine Schwierigkeiten verursacht, denn ich brauchte ja nur Dich in Verbindung mit Mr. Mountjoy zu setzen und auszukundschaften, wo er lebte. Ich kann Dir daher auch nur Glück wünschen, daß Du es auf so vortreffliche Weise verstanden hast, für Dich zu sorgen. Du hast Dich wahrscheinlich für Dein ganzes noch übriges Leben in einem sehr angenehmen Hause niedergelassen. Ich empfinde darüber eine so lebhafte Genugthuung, als ob ich selbst zu diesem befriedigenden Ergebnis beigetragen hätte.

»Ich habe daher auch jetzt die Absicht, mich nicht noch unangenehmer zu machen, als ich es an und für sich schon zu thun genötigt bin. Aber Not kennt kein Gebot. Du wirst mich verstehen, wenn ich Dir sage, daß ich all mein Geld ausgegeben habe. Ich bedaure nicht im entferntesten die Art, wie das geschehen ist, aber deswegen bleibt die Thatsache doch bestehen, daß es fort ist, und das ist es auch, was mir tief ins Herz schneidet.

»Ich habe also entdeckt, daß der verstorbene, tief betrauerte Lord Harry Norland, dessen Tod ich übrigens auch selbst aus sehr gewichtigen Gründen auf das lebhafteste beklage, mir in Betreff einer Summe Geldes einen niederträchtigen Streich gespielt hat. Die Geldsumme nämlich, für die er sein Leben versichert hatte, betrug nicht weniger als fünfzehntausend Pfund. Er selbst hat jedoch mir angegeben, daß es nur viertausend Pfund gewesen seien. Als Vergeltung für gewisse Dienste, die ich ihm bei einer bestimmten Angelegenheit erwiesen hatte, sollte ich die Hälfte der Versicherungssumme bekommen. Ich habe aber nur zweitausend erhalten. Infolge dessen ist man mir noch die Summe von fünftausendfünfhundert Pfund schuldig. Das ist gewiß ein großer Haufen Geld, aber Mr. Mountjoy ist ja, wie ich glaube, ein reicher Mann. Er wird ohne Zweifel die Notwendigkeit einsehen, daß er mir dieses Geld ohne weitere Frage und ohne Aufschub auszahlen muß.

»Du wirst ihn daher sofort aufsuchen; er ist jetzt, wie ich höre, zu Hause; Du kannst ihm dann irgend einen Teil des Briefes, welchen Du willst, oder auch den ganzen, wenn es Dir wünschenswert erscheint, vorlesen und ihn dabei wissen lassen, daß ich im vollen Ernst spreche. Ein Mann mit leeren Taschen kann nicht anders als ernsthaft sein.

»Höchst wahrscheinlich wird er auf meine Forderung nicht eingehen wollen.

»Sehr gut. In diesem Fall wirst Du ihm sagen, daß ein Betrug begangen worden ist, und daß ich in Bezug darauf bereit bin, ein volles Geständnis abzulegen. Ich habe damals bei dem Tode meines Patienten auf die dringenden Bitten von Lord Harry mich damit einverstanden erklärt, daß der Tote für den irischen Lord ausgegeben wurde. Ich bin darauf fortgegangen, fest entschlossen, nichts mehr mit der weiteren Schurkerei zu thun zu haben, welche, wie ich glaube, ins Werk gesetzt wurde, um den vollen Betrag der Summe zu erhalten, für die sein Leben versichert war.

»Die unmittelbar darauf erfolgte Ermordung Lord Harrys veranlaßte die Versicherungsgesellschaft, die beabsichtigte Klage fallen zu lassen. Ich werde nun den Herren den gegenwärtigen Aufenthaltsort seiner Witwe mitteilen und mein Zeugnis zu ihrer Verfügung stellen. Was auch geschehen mag, ich werde gewiß die ganze Sache an die Oeffentlichkeit bringen. Mir kann dabei gar nichts geschehen, während dagegen weder Mr. Hugh Mountjoy noch seine Frau sich jemals wieder vor der Welt sehen lassen dürfen, ob nun der Staatsanwalt die Sache in die Hände nimmt oder nicht.

»Du kannst Mr. Mountjoy sagen, was Du willst, nur eines nicht: daß mit mir zu spaßen sei. Ich werde ihm morgen meinen Besuch machen und hege die sichere Erwartung, daß ich das Geschäft so gut als erledigt finden werde.

A. V.«

Mrs. Vimpany ließ den Brief erschreckt sinken. Ihr Gatte war seit mehr als zwei Jahren aus ihrem Gesichtskreis verschwunden gewesen; sie hatte sich dem Gedanken hingegeben, er halte sich irgendwo in sicherer Verborgenheit auf, wohl in einem weit entlegenen Lande, aus welchem er niemals zurückkehren werde. Aber ach! Unsere Welt hat kein solch entlegenes Land, und selbst wenn sich dieser gefährliche Mensch so weit von dem Schauplatz seiner Verbrechen entfernt hätte, wie die Rocky Mountains entlegen sind, so konnte ihn doch ein Eilzug und ein Schnelldampfer schleunigst wieder an den Ort seiner früheren Thätigkeit bringen, sobald er Sehnsucht nach etwas mehr Vergnügen und nach der Gesellschaft seiner alten Freunde hat.

Mr. Vimpany war also zurückgekehrt. Was sollte sie nun thun? Was würde Iris thun? Was würde Mr. Mountjoy thun?

Sie las den Brief noch einmal durch. Zwei Dinge standen dem Plan des Doktors entgegen. Erstens wußte er nicht, daß das Geld der Versicherungsgesellschaft vollständig zurückerstattet war, und zweitens hatte er ebensowenig eine Idee davon, daß es einen Augenzeugen des von ihm an dem Dänen verübten Mordes gab. Sie beschloß, ihm nur die letzte Thatsache mitzuteilen. Sie war jetzt mutiger und besser, als sie es jemals früher gewesen war. Sie sah klarer, daß der Weg eines Verbrechers auch für diesen selbst nicht immer so leicht ist. Wenn er wußte, daß sein Verbrechen für ihn verhängnisvoll werden konnte, wenn er wußte, daß er ohne jeden Zweifel des Mordes angeklagt werden würde, falls er es wagen sollte, sich zu zeigen, oder den Versuch machte, Geld zu erpressen, dann würde er gewiß von seinem schlimmen Vorhaben abstehen. Vor solch einer Gefahr mußte selbst der verhärtetste Verbrecher zurückschrecken.

Sie sah ferner ein, daß es wünschenswert war, vor ihm zu verbergen, auf welche Weise man ihm sein Verbrechen nachweisen könnte; ebenso durfte sie ihm nicht den Namen des einzigen Zeugen, der gegen ihn aussagen konnte, nennen. Sie wollte ihm nur in aller Ruhe mitteilen, was geschehen würde, wenn er auf seinem Verlangen bestände, und ihn auffordern, sich wieder zu entfernen oder die Folgen seiner Handlungsweise auf sich zu nehmen.

Und dennoch, selbst wenn er sich dadurch für jetzt vertreiben ließe, würde er doch wieder zurückkehren. Sie würde hinfort in steter Furcht vor seiner Rückkehr leben. Ihre Ruhe würde für immer dahin sein.

Gott im Himmel, sollte denn wirklich solch ein Mensch solche Gewalt über das Leben von anderen haben?

Sie verbrachte den schrecklichsten Tag ihres ganzen Lebens. Sie sah im voraus, daß das Glück dieses Hauses vernichtet war. Sie malte sich das Kommen ihres würdigen Gatten aus, aber sie konnte sich seinen Weggang nicht vorstellen, denn sie hatte ihn noch niemals als den Geschlagenen und Ueberwundenen das Feld räumen sehen.

Er würde in seiner unverschämten und rohen Art und Weise eintreten mit seinem frechen Selbstvertrauen, als wäre er der Herr der Situation und könnte als solcher thun und reden, was er wollte. Er würde sie fragen, was sie gethan hätte; er würde ihr fluchen, wenn er erfuhr, daß sie nichts für ihn gethan hätte; er würde sich breit und unverschämt in den nächsten Stuhl werfen, die Beine weit von sich strecken und ihr auftragen, zu gehen und Mr. Mountjoy zu holen. Würde sie wie in früheren Zeiten ihm auch jetzt noch gehorsam sein, oder würde sie den Mut finden, ihm zu widerstehen? Ja, sie würde es können, sie würde es für Iris können, sie würde es für den Mann können, der so freundlich mit ihr gewesen war, sie würde es für Hugh Mountjoy können.

Am Abend saßen die beiden Frauen, Mrs. Vimpany und Fanny, in dem Zimmer der Haushälterin. Beide hatten ihre Arbeit auf dem Schoß liegen. Keine arbeitete daran. Der Herbsttag war sehr stürmisch gewesen, und der Sturm hatte gegen abend noch zugenommen.

»Woran denken Sie?« fragte Fanny.

»Ich dachte an meinen Gatten. Wenn er zurückkommen sollte, wenn er irgendwelche Drohungen ausstoßen sollte . . . «

»O, dann würden Sie mich mein Schweigen brechen, dann würden Sie mich reden lassen müssen!«

»Ja, um Iris willen. Einstens würde ich ihn beschützt haben, wenn ich gekonnt hätte, nun aber nicht mehr, denn jetzt weiß ich endlich, daß auch nicht ein guter Faden an ihm ist.«

»Sie haben von ihm gehört? Ich sah heute morgen den Brief in dem Kasten und erkannte sofort seine Handschrift. Ich wartete daher nur, daß Sie sprechen würden.«

»Leise, Fanny, leise! Ja, ich habe von ihm gehört, er braucht Geld. Er will morgen früh hierher kommen und von Mr. Mountjoy durch Drohungen Geld erpressen. Halten Sie Ihre Herrin in ihrem Zimmer fest, überreden Sie sie, im Bett zu bleiben, oder sonst irgend etwas dergleichen.«

»Er weiß nicht, was ich gesehen habe. Drohen Sie ihm mit der Enthüllung seiner Mordthat; sagen Sie ihm,« fuhr Fanny fort, »daß er, wenn er es wagt, hierher zu kommen, wenn er sich nicht augenblicklich wieder entfernt, daß er wegen des an dem Dänen verübten Mordes verhaftet würde. Ich werde gewiß nicht länger Stillschweigen beobachten.«

»Ich werde es ihm sagen, ich bin fest dazu entschlossen. O, wer wird uns von diesem Ungeheuer befreien?«

Draußen stieg der Sturm immer höher und höher; die beiden Frauen hörten ihn heulen und von entlaubten Bäumen die dürren Aeste herunterreißen und zerknicken; sie hörten das Donnern und Brüllen der Meereswogen, welche die Flut über die gelben Sanddünen trieb.

Plötzlich, mitten in dem Sturm, trat eine augenblickliche Stille ein. Wind und Wasser schienen sich beruhigt zu haben, und durch die Stille drang wie eine Antwort auf die Frage von Mrs. Vimpany ein lauter Schrei, der Schrei eines Menschen, der sich in Todesgefahr befindet.

Die beiden Frauen faßten sich an der Hand und eilten ans Fenster. Sie rissen es auf. Der Sturm fing von neuem an zu toben. Ein neuer Anprall trieb sie zurück. Die Wogen brüllten, der Sturm heulte. Sie hörten die Stimme nicht wieder. Sie schlossen das Fenster und ließen die Gardinen herunter.

Es war lange nach Mitternacht, bevor sie es wagten, ins Bett zu gehen. Eine von ihnen lag während der ganzen Nacht wach. In dem heulenden Sturm hatte sie ein Vorzeichen zu erkennen geglaubt, daß der Zorn des Himmels von neuem auf ihre Herrin fallen wolle.

Ihre Ahnung war jedoch nicht richtig gewesen. Die Rache des Himmels hatte diesmal einen viel Schuldigeren erreicht.

Am Morgen, als sich der Sturm gelegt hatte, fand man an einem der Pfähle, die ein Netz ausgespannt hielten, am Ufer des Solway Firth einen Leichnam angeschwemmt. Er wurde von Hugh, welcher hinausgegangen war, um ihn anzusehen, als der Leichnam Vimpanys erkannt.

Ob der Doktor sich auf dem Rückweg nach Annan befunden oder ob er beabsichtigt hatte, noch am Abend anstatt am nächsten Morgen Mr. Mountjoy aufzusuchen, niemand konnte es sagen. Seine Frau vergoß Thränen, aber es waren Thränen der Erleichterung. Der Mann wurde als ein Fremder beerdigt. Hugh Mountjoy behielt seine Entdeckung für sich. Mrs. Vimpany warf den Brief ihres Gatten ins Feuer. Keiner von ihnen hielt es für gut, die Ruhe von Iris durch die Erwähnung des Mannes zu stören.

Einige Tage später indessen kam Mrs. Vimpany die Treppe herunter in einer Witwenhaube. Auf einen fragenden Blick von Iris entgegnete sie ruhig:

»Ja, ich habe gestern erfahren, daß mein Gatte gestorben ist. Ist es nicht besser, ist es vielleicht nicht für ihn selbst besser, daß er nicht mehr lebt? Er kann nun ferner nichts Schlechtes mehr anstellen, er kann in keinen Haushalt mehr Unglück bringen. Er ist tot!«

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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
515 стр. 10 иллюстраций
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