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Kapitel 7
Im Nasli Karillh

Die erste Nacht im Elfenwald brachte Erik einen tiefen und erholsamen Schlaf. Als er sich von seiner weichen Schlafstätte erhob und genüsslich seine müden Glieder reckte, kam es ihm beinahe so vor, als wären die Strapazen der letzten Tage in dieser herrlich ruhigen Nacht völlig von ihm abgefallen.

Als er am Vorabend nach dem köstlichen Abendessen, begleitet von den wohlklingenden Liedern der hübschen Elfenmädchen und vielen interessanten Gesprächen über ihre bisherige Reise und erste Einblicke in die Geschichte des Drachenlandes, endlich von der zierlichen Marilljah zu seiner Schlafstätte geführt worden war, war er todmüde auf die Schlafstätte gefallen. Dankbar für diese weiche Unterlage und die Tatsache, dass er sich das Bett nicht noch selbst vorbereiten musste, schlief er mit süßen Träumen von dem schönen Elfenmädchen ein.

Jetzt hatte er endlich die Gelegenheit, sich erst einmal in Ruhe in seiner gemütlichen Behausung umzusehen. In der Nacht war er dazu viel zu erschöpft gewesen. Das kreisrunde Gebäude bestand aus Lehm, den die Elfen am Mittensee abbauten und der mit besonderem Kieselsand aus dem Nordland vermischt wurde, damit er eine einzigartige Härte erreichte.

Die Wände waren von innen mit einem weißen Putz verziert, der am Übergang zu dem kegelförmigen Spitzdach mit kunstvollen Skulpturen geschmückt war. Als Erik genauer hinsah, erkannte er dort eine Gruppe von Elfen, die ihrerseits eingerahmt von den riesigen Bäumen des Nasli Karillhs und den verschiedensten Tieren des Drachenlandes waren. Er ging ein paar Schritte auf die Wand zu, um sich diese Figuren näher anzusehen. Da sie so wunderschön aussahen und irgendwie lebendig erschienen, verspürte Erik das Verlangen, sie einmal zu berühren. Doch zuvor fiel sein Blick noch auf einen ordentlich zusammengelegten Stapel von edler Kleidung, die auf einem kleinen Hocker lag. Er berührte den Stoff, prüfte diesen zwischen Zeigefinger und Daumen und war überrascht, wie angenehm sich diese Kleidung anfühlte.

„Wenn du möchtest, dann darfst du dir diese Gewänder gerne anziehen“, klang plötzlich eine männliche Stimme hinter ihm. Erschrocken drehte sich Erik herum und erkannte in der Türöffnung einen älteren Elfen, mit dem er sich bereits gestern Abend recht lange unterhalten hatte.

„Hier in Karsarillhmeg endet deine Reise erst einmal. Damit du dich bei uns so wohl wie irgend möglich fühlen kannst, hat unser weiser und weitsichtiger König Erithjull angeordnet, dir diese Kleidung bereitzulegen.“

„Guten Morgen, lieber Estrilljah“, begrüßte Erik den Elfen.

„Oh, du hast dir meinen Namen gemerkt. Das freut mich sehr. Ich habe die Ehre, in den nächsten Tagen dein Lehrer zu sein. Wir werden sehr viel Zeit miteinander verbringen, sodass ich dir viel beibringen kann. Nun zieh dich um und komm mit mir zum Frühstück, wo bereits dein Freund Rognagg auf dich wartet.“

„Freund ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort“, bemerkte der Junge mit einem gehörigen Magengrummeln, als er sich an den wütenden und tobenden Zwerg erinnerte, dem er an der Drachenschule einen dummen Streich gespielt hatte, als er dessen ganzen Stolz, seinen Schnurrbart, abgeschnitten hatte.

„Er jedenfalls hat zu mir gesagt, dass er sich schon sehr auf dich freut. Nun zieh dich bitte um, ich werde vor der Tür auf dich warten.“

Genauso leise, wie er die Rundhütte betreten hatte, war der Elf auch schon wieder verschwunden.

„Oje, das kann ja was werden“, stöhnte Erik, während er nach den Kleidern griff.

Auf dem Weg zu dem großen Lehmhaus, wo sie bereits das Abendbrot eingenommen hatten, fragte Erik den Elfen nach den verschiedenen kunstvollen Figuren, die er in seiner Hütte am Übergang zum Dach gesehen hatte.

„Du hast dort nicht nur Elfen gesehen, sondern auch Pflanzen und Tiere. Wenn du dich in die Mitte der Hütte stellst und dich dann langsam im Kreis drehst, erkennst du den Lebenszyklus unseres Volkes. Dieser beginnt mit der Geburt als Elf, führt anschließend über die Wiedergeburt in ein Leben als Pflanze, gefolgt von einem Leben als Tier bis zur erneuten Geburt als Elf. Manchmal wechseln unsere Lebenswege auch und so können wir die Erfahrung als Tier noch vor der als Pflanze machen.“

„Wir Menschen leben nur einmal. Das ist irgendwie ungerecht, denn ihr lebt als Elfen ja nicht nur viel länger als wir, sondern auch noch viermal. Meine Mutter ist zwar davon überzeugt, dass sie früher schon einmal gelebt hat, aber ich glaube, dass das Quatsch ist.“

„Warum glaubst du denn deiner Mutter nicht? Wir Elfen würden niemals unsere Eltern in Frage stellen, denn sie haben viel mehr Erfahrung als wir, ihre Söhne und Töchter. Wenn deine Mutter das Gefühl hat, dass sie schon einmal gelebt hat, dann solltest du ihr glauben. Ich will damit nicht sagen, dass es damit unbedingt zu einer Tatsache wird, aber vielleicht hat sie in ihrem Leben etwas erlebt, dass sie daran glauben lässt, zuvor schon einmal gelebt zu haben. Es könnte natürlich auch sein, dass sie sich eine schützende Scheinwelt aufgebaut hat, um vielleicht mit irgendwelchen belastenden Erlebnissen oder schlimmen Träumen, die sie oft beschäftigen, besser in Einklang zu kommen. Wir denkenden Lebewesen sind in der Lage, Dinge aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten. Daher wird es nie nur eine einzige Wahrheit geben“, begann der Elf Estrilljah mit seiner ersten Lehrstunde.

***

Knut von Tronte war bereits lange vor Erik erwacht, als der neue Tag noch ganz jung war. Seine Nacht war jedoch nicht annähernd so erholsam gewesen wie die des frechen Jungen. Immer wieder hatte er wach auf dem für seinen Geschmack viel zu weichen Bett gelegen und sich mit Selbstvorwürfen und Ängsten um seinen Sohn Adalbert gequält. Als er dann erkannt hatte, dass er wohl doch nicht mehr einschlafen würde, stand er auf, zog sich seine Kleidung an und wanderte leise in dem Elfendorf umher, um den klaren Morgenduft zu atmen. Vielleicht wäre die frische Luft ja auch dazu in der Lage, seine dunklen Gedanken zu vertreiben.

„So früh schon auf den Beinen?“, klang unerwartet die melodische Stimme des Elfenkönigs Erithjull neben ihm aus dem Dämmerlicht.

„Ja, irgendwie konnte ich nicht mehr schlafen“, antwortete der Ritter. Er war erstaunt, dass er die Annäherung des Elfen nicht bemerkt hatte, und darüber, dass selbst der König des Elfenwaldes um diese frühe Stunde schlaflos herumlief.

„Ich vermute, uns plagen ähnliche Gedanken, wenngleich wir sie bisher aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet haben“, begann der König das Gespräch erneut. „Die Sorgen um unser geliebtes Drachenland, unsere verlorenen Freunde, Brüder und Söhne und das ungewisse Schicksal deines Jungen und unseres Freundes Adalbert rauben uns die nötige Ruhe, die wir zu finden hofften.“

„Du hast Recht. Natürlich mache ich mir Sorgen um meinen Sohn, aber ich habe in den letzten Tagen erfahren, dass er in der Gegenwart seiner neuen Freunde bisher treuen und guten Schutz erfahren hat. Trotzdem ist man als Vater natürlich ständig in Sorge um seine Kinder“, stimmte ihm der Ritter zu.

Der Elf schwieg einen Moment, bevor er damit begann, etwas mehr in die Tiefe zu bohren. „Ich spüre, dass das noch nicht alles ist, was dir den Schlaf raubt.“

Ritter Knut von Tronte war dieses Thema unangenehm, denn er hatte den Eindruck, von dem König ausgefragt zu werden. Daher hielt er sich mit seinen Antworten zurück. Der weise Elf bemerkte das unbehagliche Gefühl bei seinem Gegenüber und kam auf Adalbert zurück.

„Von deinem Sohn habe ich schon viel über dich und deine Beziehung zu ihm erfahren. Wenngleich ich die Drachenjagd aus meinem tiefsten Inneren verabscheue – entschuldige an dieser Stelle bitte meine schroffen und direkten Worte – hat es mich doch sehr gefreut, dass ihr so viel gemeinsam unternommen habt. Ich kann mir vorstellen, dass dir dein Sohn in den vergangenen Tagen sehr gefehlt hat.“

„Was heißt hier gefehlt? Ich habe mir nur Gedanken darüber gemacht, wo sich der Bengel die ganze Zeit über herumtreibt“, antwortete Knut von Tronte mit einem Unterton in der Stimme, der dem Elfen zeigte, dass er richtig vermutet hatte. Der stolze Ritter wollte nur nicht den Eindruck erwecken, dass er einen weichen, vielleicht sogar sentimentalen Kern unter seiner sonst so harten Schale hätte.

„Ich habe Adalbert bereits nach so kurzer Zeit tief in mein Herz geschlossen. Außerdem bin auch ich glücklicher Vater einer bezaubernden Tochter, die mich mühelos um ihren kleinen Finger zu wickeln versteht.“

Von Tronte sah dem erfahrenen König tief in die Augen und musste dann bei dem Gedanken schmunzeln, dass die liebliche Marilljah ihren stolzen Vater, der stets so unglaublich überlegen wirkte, mit ihren wunderschönen Mandelaugen umgarnte, bis dieser endlich schwach wurde.

„Wir Väter sind eben auch nur Elfen, beziehungsweise Menschen. Daher kann ich mich recht gut in deine Lage versetzen. Ich weiß, was in deinem Inneren vorgegangen sein muss, als du deinen Sohn nicht mehr auf eurem Hof angetroffen hast und auch noch erfahren musstest, dass Adalbert ausgerechnet mit fremden Elfen, Zwergen und gar Drachen unterwegs sei, zu denen du bis dahin noch nie Kontakt hattest und die du damals als deine Feinde betrachtet hast.“

Das zustimmende Nicken des mächtigen Ritters signalisierte Erithjull, dass er mit seiner Äußerung direkt ins Schwarze getroffen hatte.

„Warum habe ich mein bisheriges Leben nur damit verschwendet, Drachen zu jagen und zu erlegen? Warum habe ich mich nicht schon viel früher mit den anderen Völkern des Drachenlandes beschäftigt? Dann hätte ich bestimmt nicht so viel Schuld auf mich geladen. Den ehrenvollen Stand eines Ritters, der sich stets für das Wohl der Schwächeren einsetzen sollte, habe ich gar nicht verdient“, klangen die nachdenklichen Worte des einst so stolzen Mannes.

„Lieber Knut von Tronte, es liegt in der Natur eines jeden Individuums, ganz gleich, ob es sich dabei um einen Menschen, einen Zwerg, einen Troll oder einen Elfen handelt, immer zuerst an sich und sein eigenes Volk zu denken. Dafür ist unser Selbsterhaltungstrieb verantwortlich, ohne den wir nicht in der Lage wären, Familien zu gründen, für diese zu sorgen und sie selbst mit unserem Leben zu verteidigen.

Auch in meinem Volk gibt es viele Elfen, die sich sicherlich noch nie mit den anderen Völkern beschäftigt hätten, wenn sie dieses Wissen nicht durch unsere Schulen vermittelt bekommen hätten. Unter diesem Aspekt betrachten wir auch deine bisherigen Taten. Da du jetzt aber auf dem besten Weg bist, etwas weiter über deinen Horizont hinauszublicken, wird sich dein bisheriges Leben grundsätzlich verändern. Deine Entscheidungen von morgen werden nicht mehr die deiner Vergangenheit sein.

Natürlich dienten deine bisherigen Taten eher der Befriedigung deiner eigenen Rachsucht gegen die Drachen, die ja durch den Verlust deiner geliebten Frau bis zu einem gewissen Maße nachvollziehbar ist, als dem Wohl unserer geliebten Heimat. Aber trotzdem solltest du dir vor Augen halten, dass du damit auch eine entschlossene Tatkraft und einen bewundernswerten Mut bewiesen hast. Es gibt nicht viele, die so beherzt sind, sich einem ausgewachsenen, feuerspeienden Drachen entgegenzustellen. Außerdem warst du es, der nicht nur deinen Sohn, sondern auch Merthurillh vor seinem Bruder gerettet hat. Hättest du nicht so viel Erfahrung im Kampf gegen die Drachen sammeln können, wärst du nicht in der Lage gewesen, einem Drachen das Leben zu retten. Welch seltsame Ironie.“

„Eigentlich wollte ich nur meinen Sohn retten“, gestand der Ritter.

„Ich weiß, aber das Ergebnis ist es, das zählt. Hättest du Furtrillorrh mit deinem Katapultspeer nicht so schwer verletzt, dann hätte es schlimm für alle Beteiligten ausgehen können. Deine Erfahrung hat alle gerettet. Das ist übrigens nicht nur meine Meinung, so denken viele, auch der ehrwürdige Drachenrat. Behalte deinen ehrenvollen Rang als Ritter, denn mit deinen heutigen Taten und denen, die morgen folgen werden, machst du dem erhabenen Ritterstand wirklich große Ehre.“

Der Elfenkönig konnte in den strahlenden Augen des Ritters erkennen, welch positive Wirkung seine Worte auf Knut von Tronte hatten. Er klopfte Adalberts Vater freundschaftlich auf die Schulter und lud ihn ein, mit ihm das Morgenmahl einzunehmen.

Kapitel 8
Geänderte Pläne

Die ersten Worte, die Merthurillh sprach, als er endlich aus seinem erholsamen Heilschlaf erwachte, zeigten seine Besorgnis um seine beiden Söhne, den Drachen Allturith und seinen Adoptivsohn Adalbert.

„Adalbert geht es bestens“, beruhigte ihn die Heilerin Sintarillh. „Und solange es ihm gut geht, ruht auch die Seele unseres geliebten Freundes Allturith in Geborgenheit“, ergänzte sie mit einem traurigen Unterton.

„Wir vermissen ihn beide sehr“, erwiderte Merthurillh und rieb tröstend seinen mächtigen Kopf an ihrer Wange. Er wusste nur zu gut, wie eng die Bande der Freundschaft zwischen seinem Sohn Allturith und dieser Drachin waren. Seine Frau, die Kämpferin Zaralljah, vermutete sogar, dass die beiden heimlich ein Liebespaar gewesen waren, bevor Allturith starb.

„Gemeinsam mit Jordill und Tork ist Adalbert jetzt im Eisgebirge auf der Suche nach der Lorhdrachin Murwirtha“, wich Sintarillh vom Thema ab, bevor ihre Erinnerungen an den silbernen Drachen zu schmerzhaft wurden.

„Warum sind sie denn ohne mich aufgebrochen?“, fragte Merthurillh leicht enttäuscht.

„Weil du seit einigen Tagen im Heilschlaf lagst und erst in diesem Moment erwacht bist, lieber Freund. Nun freut sich mein Vater darauf, dich wieder im Rat zu begrüßen.“

Anschließend erzählte Sintarillh in kurzen Worten, was in den letzten Tagen geschehen war und welche Entscheidungen der Rat bereits getroffen hatte, ohne jedoch zu ausführlich zu werden, um ihrem Vater, dem Lorhdrachen Okoriath, nicht zu sehr vorwegzugreifen.

„Meine liebliche Sintarillh, ich bemerke, dass ich dir vor lauter Hunger kaum noch zuhören kann. Wenn ich vor deinen Vater trete, soll das nicht mit leerem Magen geschehen. Daher werde ich schnell zur Weide von Biggis Eltern hinüberfliegen und mich erst einmal richtig satt essen.“

„Aber denke daran, dass du deinen Appetit etwas kontrollierst, sonst verfällst du gleich wieder in einen mehrtägigen Verdauungsschlaf. Geschlafen hast du nun wirklich genug“, mahnte Sintarillh ihn mit einem frechen Grinsen.

„Keine Sorge, meine Heilerin, ich werde mir nur einen kleinen Appetithappen von der Weide holen. Außerdem kann ich dabei prüfen, wie gut meine Flügel genesen sind.“

Der goldene Drache drehte sich in Richtung der Höhlenöffnung und stürzte sich im nächsten Augenblick mit einem lauten Freudenschrei in die Tiefe.

***

Der Rat war an diesem Tag nur lückenhaft besetzt, denn die beiden Elfenkönige Trillahturth und Erithjull, der knurrige Zwerg Kronglogg und Adalbert, der sich seinen Platz zur Linken Merthurillhs redlich verdient hatte, waren mit wichtigen Aufgaben im Drachenland unterwegs. Außerdem klaffte noch die deutliche Lücke zwischen dem ersten Ratsritter Merthurillh und der Vertreterin des Hochgebirges, Lady Zaralljah. Diese Ratsloge, die in früheren Zeiten dem Vertreter der Drachen aus der ehemaligen Gemarkung des fernen Ostlandes zugestanden hatte, verdeutlichte besonders nachhaltig die Trennung und die daraus resultierende Spannung, die drohend über dem Drachenland lag.

Seit den dunklen Zeiten des schwarzen Druiden Rettfill, der einst das ganze Drachenland in Angst und Schrecken versetzt hatte, um es dann anschließend in einen fürchterlichen Krieg zu stürzen, wurden keine Abgesandten aus dem Ostland mehr in den Rat geschickt. In diesem Krieg war es in vielen Schlachten zu unzähligen Opfern auf allen Seiten gekommen.

Natürlich sah auch Rettfills Nachfolger, der hinterlistige und bösartige Druide Snordas, keinerlei Veranlassung dazu, mit dieser traurigen Tradition der Spaltung des Drachenlandes zu brechen und einen Gesandten zum Drachenrat zu beordern. Wen hätte er auch dorthin schicken sollen? Etwa einen dieser fürchterlich verstümmelten Feuerköpfe, die allein durch den Anblick ihrer scheußlich versengten Drachenschädel bereits Schrecken selbst über hartgesottene Krieger verbreiteten?

Nein, dieser Druide sah keinerlei Veranlassung, sich mit einem Abgesandten dem Drachenrat anzuschließen, der sich, ganz im Gegenteil zu seinen eigenen Plänen, dem Wohl des ganzen Landes verpflichtet hatte. Snordas hatte seine eigenen Pläne für die Zukunft und diese waren düster und böse.

So traf Merthurillh an diesem Tag nur auf wenige Mitglieder des Rates.

„Ich hoffe doch sehr, dass mein Erster Ritter besonders gut geruht und nicht zu üppig gespeist hat“, begrüßte der Lorhdrache Merthurillh freundlich.

„Oh ja, ich habe hervorragend geruht und einen leckeren Happen zu mir genommen. Meine Kräfte sind zurück und ich kann wieder fliegen, wie der junge Drachengott Wargos selbst. Ich spüre seine Kraft in meinen Gliedern und freue mich auf neue, spannende Abenteuer“, antwortete der Erste Ritter.

„Wir sollten mit diesem fürchterlichen Schmus aufhören und uns den wirklich wichtigen Aufgaben zuwenden, die noch vor uns liegen“, warf der alte Haudegen Rostorrh in die Runde.

„Diese schroffen Worte sind mal wieder typisch für unseren treuen Gefährten, der kein Freund von langen Reden ist. Aber auch ich schließe mich im Kern seiner Aussage an, denn ich befürchte, dass uns langsam die Zeit zwischen den Krallen verrinnt“, wurde der narbenübersäte Ritter von Lady Coralljah unterstützt.

So kam es, dass Merthurillh schnell über die Geschehnisse informiert wurde, von denen er bereits in Kurzform unmittelbar nach seinem Erwachen von Sintarillh erfahren hatte, bis schließlich die offene Frage in der Ratshöhle stand, was nun als Nächstes unternommen werden sollte.

Der Lorhdrache Okoriath hatte seine Rede damit beendet, dass er allen Anwesenden die Zwickmühle aufzeigte, in der sie sich zurzeit befanden.

Einerseits stand natürlich die Suche nach dem seelenlosen Drachen im Vordergrund, um Merthurillhs Sohn Allturith zu retten. Selbstverständlich gab es niemanden an der ganzen Drachenschule, der es sich nicht inständig wünschte, dass der lebensfrohe Allturith wieder zurückkommen möge, doch bei vielen drang dabei noch eine weitere unterschwellige Hoffnung immer mehr in den Vordergrund. Jeder wusste, dass durch die Übertagung der Seele ein unbeschreiblich mächtiger Drache geboren werden würde, der gerade in der jetzigen Zeit so dringend von Nöten war. So wurde die Suche nach diesem seelenlosen Drachen zunehmend bedeutender und der Lorhdrache erhob sie zur wichtigsten aller Aufgaben. Um dabei möglichst effizient vorzugehen, bildete der Rat in dieser Besprechung drei wesentliche Teilaufgaben.

Bei der ersten Aufgabe, der Suche nach der verschollenen Lorhdrachin Murwirtha im Eisgebirge, um die geheime Formel für die Seelenübertragung zu erfahren, musste Adalbert so gut wie möglich unterstützt werden.

Selbstverständlich wollten Merthurillh und Zaralljah dieser Aufgabe zugeordnet werden, doch der Rat konnte die Eltern von Allturith davon überzeugen, dass der Jungritter Torgorix und der Junker Tomporillh für diese Aufgabe völlig ausreichen würden. Außerdem wurde Adalbert ja auch durch den Elfen Jordill und den Keiler Tork unterstützt, von dessen traurigem Ende an der Schule zu diesem Zeitpunkt noch nichts bekannt war.

Die zweite Teilaufgabe bestand in der eigentlichen Suche nach dem seelenlosen Drachen selbst. Hier sollten die Erfahrungen der beiden Dracheneltern eingesetzt werden. Lady Coralljah, selbst Mutter, hatte es treffend formuliert, als sie meinte, dass niemand einen größeren Willen haben könnte, den rettenden Drachen zu finden, als die Eltern der Drachenseele, die möglicherweise bald sterben würde, wenn ihre Suche nicht von Erfolg gekrönt werden würde.

Die dritte Aufgabe bestand im Wesentlichen darin, alle Schriften, Urkunden und Aufzeichnungen genau nach jeglichen Informationen zu durchsuchen, die entweder auf den unbekannten Aufenthalt der Lorhdrachin Murwirtha, den des seelenlosen Drachen oder die verschwundene Formel hinweisen könnten. Da sich der Chronist Olstaff bereits seit einigen Tagen mit nichts anderem beschäftigte, als mit eben dieser Suche, sollte er es auch sein, der alle Informationen sammelte. Dabei sollte er von allen Mitgliedern des Rates tatkräftig unterstützt werden. So hoffte Okoriath, dass in Kürze jeder Bewohner des Drachenlandes, abgesehen von den Verbündeten Snordas’, zu der Suche beitragen würde.

Die so gewonnenen Informationen sollten dann beim Chronisten zusammenlaufen und dort von diesem, der kundigen Lady Coralljah und dem weitsichtigen Lorhdrachen selbst gesichtet werden.

Sobald sie davon überzeugt wären, eine halbwegs brauchbare Spur gefunden zu haben, sollte Okoriaths Tochter Sintarillh dann als Botin zu Merthurillh und Zaralljah fliegen, damit die beiden der Spur nachgehen konnten.

Doch es gab noch weitere, nicht minder wichtige Aufgaben, die nicht vernachlässigt werden durften. Neue „alte“ Verbündete wie die Zwerge des Hochlandes und die Menschen mussten gesucht, gefunden und davon überzeugt werden, dass auch sie sich auf den bevorstehenden Krieg vorbereiten mussten.

Auch bei dieser heiklen Aufgabe würden Knut von Tronte, Kronglogg und Trulljah über jegliche Hilfe dankbar sein, die ihnen zukommen würde. Das Zwergenvolk alleine war schon eine harte Nuss, die es zu knacken galt, aber die Menschen würden noch wesentlich schwieriger zu einer Vereinigung zu überreden, geschweige denn davon zu überzeugen sein. Sie lebten in ihrer eigenen Welt und wollten von Zwergen, Elfen und Drachen nichts wissen. Das beste Beispiel dafür war Adalberts Vater, der ehemalige Drachenjäger, gewesen.

Doch dieser war durch die Verkettung seines eigenen Sohnes mit diesen für ihn bis dato feindlich gesinnten Wesen leichter zu überzeugen gewesen, als es der König Ekleweif von Kronenberg sein würde, der in scheinbarer Ruhe und Sicherheit auf seiner Burg in der gleichnamigen Hauptstadt Kronenberg lebte. Noch wesentlich schwieriger würde es bei der einfachen Landbevölkerung werden.

Und nicht zuletzt war es auch sehr wichtig und notwendig, die Grenzen zum Ostland zu überwachen und zu sichern. Auch dabei waren wieder die Menschen das Hauptproblem, denn solange sie sich nicht mit dem Drachenrat und den Völkern der Elfen verbündeten, wäre die östliche Flanke, südlich des Kaltfließers, völlig ungeschützt.

Das wachsame Elfenvolk der Grenzgänger beobachtete bereits seit Generationen das Treiben des räuberischen Ostvolkes und wäre vom Elfenkönig Trillahturth sicherlich leicht zu einer Allianz zu überreden, zumal der Anführer der Ratswache Wortrillh selbst ein Elf der Grenzgänger und durch seine stetige Anwesenheit bei den Ratsversammlungen in alle Geschehnisse mit einbezogen worden war.

„Noch nie zuvor mussten wir unsere Kräfte so sehr zerreißen. Natürlich sehe auch ich die dringende Notwendigkeit, an mehreren Schauplätzen parallel zu wirken, aber wenn sich nur mehr von uns diesen Aufgaben widmen könnten, würde mich das deutlich beruhigen. Wie sehr sehne ich mir in diesem Moment meine Kameraden Rorgath und Fantigorth mit seinem Elfenreiter Timbarill an unsere Seite. Mit ihrer mächtigen Unterstützung und Wargos’ Wohlgefallen sähe die Sache schon ganz anders aus“, sprach Rostorrh allen aus der Seele.

Der Lorhdrache nutzte den Gedanken seines erfahrenen Kämpfers und bat alle Anwesenden, kurz der zu Wargos aufgestiegenen Drachen und aller verstorbenen Freunde zu gedenken, bevor er diese Ratsversammlung mit der Mahnung auflöste, dass jeder Einzelne sehr gewissenhaft seiner Aufgabe nachkommen möge.

Wortrillh und Rostorrh machten sich auf den Weg an die östlichen Ausläufer des Trasli Karillhs, um den Kontakt zu den Grenzgängern aufzubauen. Rostorrh wollte jedoch nicht darauf warten, bis der Elf endlich quer durch das Drachenland von West nach Ost gelaufen war und flog auf direktem Wege zum Zwergenhain, um dort mit seinen geplanten Patrouillenflügen zu beginnen.

„Es kann nicht schaden, wenn Snordas sieht, dass wir nicht tatenlos herumstehen und abwarten, was er mal wieder im Schilde führt. Auf diese Weise werden sich seine Kundschafter und diese ehrlosen Feuerköpfe nicht zu sehr unseren Grenzen nähern“, meinte er voller Tatendrang und Vorfreude auf das eine oder andere Gefecht. Seine Aufgabe als Taktiklehrer war zwar sehr ehrenvoll und er konnte durch seine reichen Erfahrungen viel vermitteln, doch in seinem tiefsten Inneren war er eben ein echter Haudegen, der keinem Streit aus dem Wege ging.

„Sieh dich bitte vor meinem Bruder Furtrillorrh vor. Er wurde zwar durch den Katapultspeer von Adalberts Vater schwer verletzt, aber ich habe kurz zuvor seine riesigen Kräfte zu spüren bekommen. Er ist viel mächtiger als je zuvor“, warnte Merthurillh seinen alten Freund.

„Willst du damit etwa sagen, dass ich es nicht mit diesem Missgriff der Natur, der selbst eure Mutter angegriffen hat, aufnehmen könnte?“, fragte Rostorrh verärgert.

„Das wollte ich so nicht sagen, aber dein Wohl liegt mir sehr am Herzen, mein alter Kamerad“, beruhigte ihn Merthurillh.

„Schon wieder dieser sentimentale Schmus. Lasst endlich unseren vielen Worten Taten folgen“, forderte der alte Kämpfer und drehte sich dem Ausgang zu, nachdem der Lorhdrache mit einem zustimmenden Nicken die Ratsrunde aufgelöst hatte.

Merthurillh und Zaralljah flogen nur wenige Augenblicke später in südöstlicher Richtung davon. Sie wollten vorerst nur bis zum Elfenwald fliegen und erst bei der hereinbrechenden Nacht in Richtung Riffkoop weiterreisen, um möglichst wenig Aufsehen zu erregen. In Riffkoop selbst waren sie dann mit dem Elfenkönig Erithjull und Maradill verabredet, die bereits auf dem Weg in die Piratenstadt sein mussten.

Es dauerte eine ganze Weile, bis Zaralljah endlich die traurige Stille, die sie beide zu trennen schien, durchbrach.

„Ob wir unseren geliebten Sohn je wiedersehen werden? Ich kann mir ein Leben ohne ihn gar nicht vorstellen. Sollten wir es nicht schaffen, zumindest seine Seele zu retten, dann hat mein Leben keinen Sinn mehr“, stellte sie traurig fest.

„Wir werden ihn wieder zurückbekommen, wenngleich er sich durch die Übertragung seiner Seele auf einen anderen Drachen nicht nur äußerlich stark verändern wird. Trotzdem wird es unser Allturith sein. Ich verspreche dir, dass ich mein Leben dafür einsetzen werde, dass wir wieder mit unserem Sohn zusammen sein können. Nichts wird mich von dieser Mission abhalten können. Ich bringe uns unseren Jungen zurück, das schwöre ich dir.“

Mit diesen markigen Worten wollte Merthurillh nicht nur die Verlustängste von Zaralljah unterdrücken, sondern auch seine eigenen.

„Ich habe dich seit deinem Erwachen aus dem Heilschlaf noch gar nicht über Adalbert reden hören“, stellte Zaralljah etwas später fest, „haben sich deine Gefühle für ihn verändert?“

„Nein, das ist es nicht“, antwortete Merthurillh, „es fällt mir im Moment nur schwer, meine Gefühle ihm gegenüber zu ordnen. Du weißt, dass ich diesen Menschenknaben tief in mein Herz geschlossen habe. Ich bezeichne ihn nicht nur als Sohn, irgendwie ist er das auch geworden. Dabei wird er natürlich nie den Platz von Allturith einnehmen können, aber spätestens seit dem Moment, als ich erfuhr, dass er zum Seelenträger unseres Sohnes geworden ist, habe ich ihn als mein zweites Kind angenommen.“

„Das verstehe ich gut, mein lieber Merthurillh, aber was ist es dann, was dich beschäftigt?“, fragte Zaralljah nach.

„Ich bin mir über die Gefühle nicht sicher, die ich haben werde, wenn die Seelenrettung erfolgreich war. Werde ich mich dann ausschließlich um unseren wiedergeborenen Sohn kümmern und Adalbert vernachlässigen? Das würde ihn bestimmt sehr enttäuschen. Was werde ich aber empfinden, wenn der schlimmste Moment kommen sollte und wir Allturiths Seele verlieren. Kann ich dann überhaupt noch irgendetwas für Adalbert empfinden? Sind meine Gedanken nicht fürchterlich?“, wollte er wissen.

„Ich bin sehr überrascht, ausgerechnet von dir solche Zweifel zu vernehmen. Bist es sonst nicht immer du, der stets davon redet, dass man die Dinge auf sich zukommen lassen und sich vor der Zukunft nicht sorgen soll? Ich bin davon überzeugt, dass du ganz beruhigt sein kannst. Ich kenne dich nun schon so viele Jahre und habe dich stets für deine Weisheit und Gerechtigkeit bewundert. Zu dir habe ich schon immer aufgeschaut. Du bist für mich der prächtigste Drache, den das Drachenland je gesehen hat. Adalbert wird von dir stets die Liebe erfahren, die er sich so redlich verdient hat. Und solltest du das doch einmal vergessen, kannst du dich darauf verlassen, dass ich dich schon daran erinnern werde, unsere beiden Söhne gleichzubehandeln.“

Merthurillh sah seine Frau lange und sehr nachdenklich an, fast so, als wenn er sie zum ersten Mal sehen würde.

„Deine Worte klingen wundervoll, meine geliebte Frau. Fast hätte ich vergessen, wie bezaubernd du bist. Der Funke zwischen uns scheint ja noch nicht völlig erloschen zu sein!“

„Ganz und gar nicht, mein Held!“

***

Adalbert und Jordill kletterten schon seit einiger Zeit auf den ständig steiler werdenden Eisklippen, ohne viel zu sprechen. Die vergangenen Erlebnisse, ganz besonders der tragische Tod von Tork, beschäftigten sie zu sehr.

Noch lag der Gipfel des Eisgebirges in dichtem Nebel. Jedes Mal, wenn Adalbert nach oben sah, um sich zu orientieren, erschien ihm diese nebulöse Welt hoch über ihnen wie eine verschwommene Geisterwelt. Was mochte sie wohl dort erwarten? Welche Gefahren würden sich dort versteckt halten, die nur auf den richtigen Moment warteten, um plötzlich zuzuschlagen?

Da erklang hoch über ihrem Rücken der Schrei eines Adlers. Als Adalbert sich umsah, erkannte er den königlichen Vogel sofort wieder.

399
477,84 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
23 декабря 2023
Объем:
572 стр. 4 иллюстрации
ISBN:
9783939043478
Издатель:
Правообладатель:
Автор
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