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4 – Häuptling Deutschland-Socke, der Robocop von Hangover

Ich hab echt keine Ahnung, wie Krüger es jedes Mal schafft, sich anzuschleichen. Vor allem hat der Kontaktbulle seine beiden Spitznamen nicht von ungefähr. Er geht zwar nicht so steif wie Robocop, aber er scheint, anstatt eines Genicks aus Wirbeln ein Stahlgerüst zu haben. Wenn er rauf oder runter, nach links oder rechts gucken will, dreht sich sein ganzer Körper eins zu eins mit.

Er bleibt vor uns stehen und beugt sich vor. W-Lan erzeugt mit dem Mund das Geräusch eines hydraulischen Gelenks. Ich muss ihn unweigerlich anlachen, Jamaika schafft es rechtzeitig, sich wegzudrehen.

Der grauhaarige Robocop fixiert mich und deutet auf mein Trikot, „Nimmst Handball jetzt so richtig ernst, was?“

„Oh, ja, gibt nur noch Handball für mich.“

„Einen Ball fangen und werfen. Erinnert mich an meinen Enkel, von meiner Tochter, der ist drei Jahre alt. Vielleicht ist das wirklich etwas für dich, deine große Karriere.“

„Ja! Ich lass mir jetzt auch einen Schnauzer wachsen, breiter als ihrer, ich werde der Heiner Brand des Damenhandball! Sie werden sehen. Wollen Sie vorher noch ein Autogramm?“

„Na, jetzt nicht mal frech werden. Führerschein und Papiere, bitte!“

„Was?“

„Kleiner Scherz von meiner Seite. Ihr wisst schon: Ausweise.“

W-Lan gestikuliert mit ihrem iPhone, „Herr Krüger, Sie kennen uns doch.“

„Um so schlimmer.“

„Ist das ein Kompliment? Das ist ein Kompliment, Mädels!“, sagt Jamaika.

„Sicher nicht“, er wirft einen überflüssigen Blick auf unsere Persos, „Nehmt mal eure Brillen ab.“

„Warum?“, frage ich.

„Weil sich das so gehört. Bei einem Gramm Erziehung wüsstet ihr das.“

In Zeitlupe schieben erst ich und dann meine Freundinnen die Brillen die Nase herunter und schauen ihn darüber hinweg an.

Schweigen.

Er überlegt, ob er weitergehen soll.

„Und sonst?“, er schaut dabei W-Lan an.

„Wie, und sonst?“, fragt sie zurück.

„Sonst hast du nichts zu deiner Entschuldigung zu sagen?“

„Ich? Wofür entschuldigen?“

„Die Kippe da!“, er zeigt auf den Boden hinter der Bank, wo es qualmt.

„Wir haben nicht geraucht“, sage ich,

„Wer denn sonst?“

„Das war echt verrückt, sie werden es kaum glauben, da war diese Taube ...“

„Na, letzte Warnung!“

„Ich rauche gar nicht“, sagt W-Lan.

„Stimmt“, gebe ich ihr Rückendeckung.

„Hab ich ja auch nicht behauptet. Aber ich habe gesehen, wir ihr die Kippe auf den Boden geworfen habt. So geht das nicht.“

„Dann haben Sie auch sicherlich gesehen, wer es war“, fordere ich ihn heraus.

„Ich habe sie fliegen sehen, das ist alles, aber das reicht.“

„Sie wollen uns verarschen, Herr Krüger.“

„Ein wenig mehr Respekt, die Damen.“

Er lupft mit einer Hand die Hose am Knie hoch und setzt seinen Stiefel zwischen W-Lan und mir auf die Parkbank.

Und nun komme ich zu seinem zweiten Spitznamen. Das schafft wirklich nicht jeder, die meisten schaffen nicht mal einen Spitznamen. Der Krüger schafft zwei. Denn da ist sie wieder, unterhalb des Saumes seiner Uniformhose, zwischen uns: seine schwarze Socke mit der Deutschlandfahne drauf, innen und außen. Irre.

„Sonst bleibt es diesmal nicht bei einer Verwarnung.“

„Och, Ro... Herr Krüger“, bettel ich. Das gehört zu unserem Spiel. Der Häuptling ist eigentlich ganz nett. Kommt sich zwar ziemlich wichtig vor, wie alle Bullen, aber die Leute hier kommen mit ihm klar, und wenn er in der Nähe ist, kann man ziemlich sicher sein, dass von den Jungs niemand Scheiße baut. Und wir sind in seiner Nähe immer ganz die braven Mädchen. Wenn er uns nicht bei irgendwas erwischt.

Als der Robocop vor ein paar Jahren als Kontaktbeamter in den Mühlenberg versetzt wurde, war er ziemlich sauer und wollte seinen Frust an uns ablassen. Fast jeder von den Jugendlichen hier wurde schon mal von ihm nach Hause begleitet. Aber weil er in fast jeder Wohnung von den Müttern oder Vätern oder auch älteren Brüdern nur abgefertigt wurde, ließ er das bald sein.

Bei uns lässt keiner einen Bullen in die Wohnung, wenn er keinen Durchsuchungsbefehl mitbringt, und was die Jugendlichen hier verbocken, reicht nicht an das ran, was die Eltern auf dem Kasten haben. Na, von W-Lans Eltern mal abgesehen.

„Meinst du nicht auch, Anecken?“, reißt mich der Robocop aus meinen Gedanken.

„Häh?“

„Ob du nicht auch findest, dass ...“

„Für SIE heiß ich immer noch Anneke, oder haben wir schon mal ...“, mir fällt jetzt gar nichts so schnell ein, was ich mit ihm mal gemeinsam gemacht haben könnte.

„Uns hier zusammen gelangweilt? Mit großer Wahrscheinlichkeit nicht!“, grinst Krüger.

Der war nicht übel. Das muss ich sportlich zugeben.

„... Blutsbrüderschaft getrunken?“, bringe ich meinen Satz zu Ende, und er wird sogar ein bisschen rot.

Wir kichern, extra neckisch, albern, absichtlich kleinmädchenhaft hell.

Er fängt sich wieder, „Von euch trinkt doch wohl noch keine, oder?“

Wir schütteln unsere Köpfe.

„Wir trinken nicht“, sage ich.

„Gar nichts, nur Wasser!“, sagt Jamaika.

„Ohne Kohlensäure“, setzt W-Lan obendrauf.

„Tut mir einen Gefallen, fangt den Scheiß gar nicht erst an, ihr seht ja selbst, wo das hinführt“, und er schaut sich um, als stünde er auf einem Hügel.

Wir drei mustern ihn, ohne zu blinzeln und nicken betroffen.

Als er es bemerkt, erschreckt er, „Was schaut ihr mich dabei an? Ihr wisst genau, wen ich meine.“

Und wir alle zusammen, wie auf Kommando, „Jawohl, Herr Moralkommissar.“

Den Spruch bringen wir jedes Mal, wenn er uns eins erzählen will.

„Schluss jetzt“, sagt Robocop.

Er muss aufpassen, dass die anderen auf dem Platz nichts von unserem Schnack mitbekommen, sonst ist er keine Respektsperson mehr. Beziehungsweise, wenn er sich selbst nicht mehr dafürhält, fällt ihm vielleicht auf, dass es hier sonst auch keiner tut.

„Aufheben!“, befiehlt er.

Jamaika bückt sich und fischt den glimmenden Zigarettenstummel vom Asphalt, „Zufrieden?“

„Gut jetzt. Reißt euch zusammen.“

„Alles klar, Herr Kommissar!“, zitiert W-Lan den alten Bornemann, Chemielehrer.

Er nimmt den Fuß von der Bank, kratzt sich am Hosenbein und stampft davon. Sobald er sich umgedreht hat, zieht Jamaika an der Kippe. Ein langes Stück Asche fällt ab.

Ich protestiere, und sie reicht sie mir.

Als ich die Zigarette in der Hand habe, sehe ich, dass sie abgebrannt ist, und trete sie aus. Egal.

Nicht dass ich regelmäßig rauche, aber hier auf dem Marktplatz gehört das irgendwie dazu, zumindest für Jamaika und mich. Sie hat meist zwei oder drei Kippen dabei, von ihrer Mutter oder ihrem Stief.

Jamaika wohnt gleich hier um die Ecke am Markt. Das hat den Nachteil, dass ihre Eltern öfter mal hier vorbeikommen, wenn wir chillen. Die sind ziemlich tolerant. Jamaika darf ganz offiziell rauchen, sogar draußen. Ich glaube, ihr Stiefvater hat gut auf ihrer Mutter eingeredet, um sich bei ihr einzuschleimen. Als Jamilas Mum den anschleppte, konnte sie ihn nicht ausstehen. Wir haben damals viel darüber gequatscht, schließlich ist mein Alter ja auch abgehauen, nur dass Mum noch keinen neuen in Sicht hat. Männer sind Schweine, sagt sie. Ich weiß nicht, ob das für alle gilt, aber für meinen Daddy ganz sicher. Wir sind froh, dass er weg ist, und den Unterhalt kann er sich auch sparen. Je weniger wir von ihm hören, desto besser.

Jedenfalls hat Jamilas Mama wieder geheiratet, und jetzt spielt der Stief eben gern den liebenden Papa. Jamaika tut meistens auch so, als fiele sie auf seine Show rein, das kommt besser an, dadurch kriegt sie eben ihre Freiheiten.

W-Lans Welt ist in Ordnung, sie muss sich nur das Haus mit ihren beiden kleinen lärmenden Schwestern teilen. Das nervt natürlich, und deswegen ist sie so viel wie möglich unterwegs, draußen, mit uns.

Dagegen habe ich es echt gut. Ich hab ein eigenes Zimmer.

Fuck! Ich hab die Zeit vergessen, muss nach Hause.

„Ich muss los“, sage ich und drücke W-Lan und Jamaika, „Danke nochmal, dass ihr mitgekommen seid!“

„Klar doch“, meint W-Lan und Jamaika fügt hinzu: „Handball ist eh scheiße!“

5 – Ein Mann liegt im Fahrstuhl und schläft

Ich habe ja schon vieles im Fahrstuhl liegen sehen: Schuhe, Unterhosen, Kondome, jede Menge Flaschen, Plastik und Papiermüll, aber noch keinen Typen. Und ich weiß nicht, ob ich ausgerechnet da schlafen würde. Dort glänzten auch schon Pippipfützen. Immerhin atmet er.

Heute Morgen lag er da noch nicht. Vielleicht war er im Haus auf einer Party, die dauern meist bis vormittags, wenn die Bullen nicht kommen und sie vorher auflösen.

Obdachlos ist er nicht, er sieht sogar aus, als könnte er erst vor kurzer Zeit hergezogen sein. Die Klamotten sind besser als die Gegend, eine Spur von Stil ist auch zu erkennen, alles Braun und Schwarz.

Ich schaue mich um, aber außer mir steht niemand im Flur.

Alleine mit ihm im Fahrstuhl? Na ja, besser als Treppen laufen.

In der Kabine riecht es nach Schnaps, Schweiß und Chemikalien. Ich drücke die 9. Sämtliche Tasten sind angekokelt. Die Türen schließen sich quietschend – wenn man das schließen nennen kann. Fast eine Handbreit Spalt lassen sie. Gut, dass ich mir nicht regelmäßig den Finger in den Hals stecke, so jemand könnte da glatt durchfallen.

Ruckelnd setzt sich das 1982er Gefährt in Bewegung. Eine einsame Schmeißfliege hat sich in den Fahrstuhl verirrt. Der Wind, der durch den Spalt zieht, spielt mit meinen Haaren, so dicht stehe ich an den Türen, so weit wie möglich weg von dem Mann am Boden.

Er schnarcht kurz, und ich erschrecke mich, aber er bewegt sich nicht.

Wie immer schweift mein Blick über die Tags und die Kritzeleien, über die Telefonnummern, die Namen, die Filzstiftpenisse, die Beschimpfungen, die Beleidigungen, die Drohungen, die Fratzen und Kratzer und die Beulen und Rotzflecken an den Metallwänden. Ich suche meinen Namen oder meine Telefonnummer, nur für den Fall, das ist im Haus schlimmer als Internetmobbing.

Etwas kitzelt an der Wade, die Fliege, denke ich, schaue an mir herunter und sehe den Zeigefinger des Mannes mich begrapschen. Ich springe zurück, knalle an die Wand mit Rücken und Sporttasche.

„Bah, Arsch, Perverser!“, ohne Plan feuere ich die Worte ab.

Ein Auge ist offen, die Hand schwebt in der Luft.

Ich hau auf den Alarmknopf. Nichts. Verschmort klebt er in seiner Fassung und lässt sich nicht bewegen. Dritter Stock.

Ein Bein habe ich schon gehoben, wenn er nach mir greift, trete ich zu.

„Lass die Finger bei dir!“, schreie ich, „Scheiße, Fuck!“, und ich hole mein Handy raus, „ich rufe die Bullen“, aber tatsächlich tippe ich die Kurzwahl für den Hausmeister, Herr Mijivosic. Der geht zum Glück sofort dran, und ich lege los, „Hier Anneke Willms, aus 908, im Fahrstuhl liegt ein perverser Penner, der ist gleich auf dem Weg runter zu ihnen ... ja, er ist wach, sehr wach.“

Er bedankt sich und hängt einfach auf. Super. Ich wäre gerne noch verbunden geblieben.

Fünfter Stock.

Es scheint, der Fahrstuhl fährt nur noch halb so schnell. Kann ich irgendetwas als Waffe benutzen? Ich hatte mal einen Selbstverteidigungskurs für junge Frauen mitgemacht.

Sechster Stock.

Sein Arm senkt sich, und das Augenlid schließt sich zitternd. Glück gehabt. Wir beide.

Siebter Stock.

Mir fällt ein, ich hätte auch einfach auf einem Etagenknopf drücken und den Rest laufen können, jetzt war es egal, gleich da, und er ist eingepennt.

Es blubbert und gluckert in seinem Hals, dann übergibt er sich. Und weil er auf dem Rücken liegt, ergießt sich alles über sein Gesicht.

„Uäh, nein!“

Der erstickt doch so. So ist das doch, oder? Ich hatte auch mal einen Erste Hilfe Kurs mitgemacht.

Zwei Kräfte ringen in mir miteinander: Ekel und Erste Hilfe. Wieder ein Schwall. Und ich halte die Luft an, packe ihn mit beiden Händen an der Seite und wuchte ihn mithilfe meiner Beine herum, so dass er seitlich an der Wand lehnt.

Ich schreie ihn an, „Wachen Sie auf!“

Das Fahrstuhlsignal erklingt, elektrisch, mutwillig zerstört BRRRING. Und der Mann kotzt mir mit Schmackes auf meine weißen Nikes. Lauwarm an den Knöcheln, meine neuen Nikes. Jetzt könnte ich mitkotzen.

Hinter mir öffnen sich die Türen.

Ich fluche und stapfe auf Zehenspitzen raus aus der Suppe. Dann drücke ich das E, und die Türen schließen sich wieder.

In meinen Schuhen schmatzen meine Füße feucht. Der säuerliche Geruch.

„Fuck.“

Der Fahrstuhl verschwindet nach unten. Das ist jetzt Herrn Mijivosics Job.

Ich drehe mich um. Unsere Wohnung ist am anderen Ende des Flurs.

6 – Überraschung! Heiko, unser Sozialarbeiter

Mum ist natürlich nicht da. Um die Zeit ist sie dienstags bei ihrem Putzjob drüben in den Büros von Eon. Wir haben die Absprache, dass ich an den beiden Tagen, die sie putzen geht, den Haushalt fertig habe, wenn sie nach Hause kommt. Heute wird es knapp, ich muss mich beeilen.

Ich knalle die Tür hinter mir zu und trippel barfuß auf Zehenspitzen zu unserer Toilette, Nikes und Strümpfe hatte ich noch vor der Wohnungstür ausgezogen. Am ausgestreckten Arm halte ich sie so weit wie möglich von mir weg. Zum Glück tropft nichts. Ich schmeiße sie in die Dusche und brause alles ab. Sagrotan drauf und noch mal abbrausen. Danach lege ich sie auf die Heizung. Bis die trocken sind, das dauert eine Weile.

In Mums Schlafzimmer räume ich die Chipstüte und das Schokoladenpapier weg, dann staubsauge ich zur aufgedrehten Gossen Posse im Wohnzimmer, in meinem Zimmer und im Flur. Alles in fünf Minuten. Dann lade ich in der Küche das Geschirr in den Spüler, schalte ihn an, wische kurz mit nem Lappen über die Arbeitsplatte und lasse Wasser in den Eimer, um das Bad zu putzen. Das hasse ich am meisten. Erst die Dusche nochmal und dann Kloschrubben, igitt.

Mum sagt immer, ich soll mich nicht so anstellen, aber immerhin bringt sie mir regelmäßig neue Gummihandschuhe aus dem 1-Euro-Laden mit. Ich halte mir mit der einen Hand die Nase zu, mit der anderen stecke ich die Klobürste in die Schüssel und scheuere ein wenig drin rum.

Mum hat drei Jobs. Mittwochs trägt sie früh morgens das Wochenblatt aus und sonntags die Hallo Sonntag. Ihr Hauptjob ist am Hauptbahnhof bei MäcGeiz, und zweimal die Woche, wie gesagt, geht sie abends noch putzen bei Eon. Ich versteh nicht, wie sie das aushält. Heiko sagt ihr immer, sie soll lieber zum Amt gehen, zusätzlich Hartz IV nehmen und sich dafür mehr um mich kümmern. Der hat gut reden. Nennt sich Familienhelfer und macht auf einfühlsam. Will uns helfen, eine Struktur für uns zu finden, sagt er. Als ob wir die nicht hätten. Mum und ich funktionieren als Familie, oder als das was davon übrig ist. Es geht eher um mich. Darum, dass ich in der Schule auffällig geworden bin, weil ich so oft ausraste. Da kommt Mum nicht mit klar. Komm ich ja selbst nicht immer.

Einerseits bewundere ich Mum für ihren Stolz, aber anderseits nervt ihr ewiges Gestöhne ganz schön. Ich selber kann ja nicht klagen, Mum achtet schon drauf, dass meine Klamotten nicht nach Asi aussehen und keiner merkt, dass wir wenig Kohle haben. Sie will nicht, dass ich auffalle. Leider kann ich ihr damit keinen Gefallen tun, es passieren halt immer wieder so blöde Sachen wie beim Handball.

Durch die Beats der Gossen Posse höre ich ein leises Klopfen an der Tür, ich gehe nach vorn. Es ist ein lautes, sehr lautes Klopfen.

„Hey“, schreie ich, „geht's noch? Wer ist denn da?“

„Ich bin's, Heiko.“

Ach du Scheiße, der nun wieder. Ich mache die Tür einen Spalt weit auf, lasse aber die Kette vor.

„Kannst du nicht wie ein normaler Mensch klopfen?“

„Hab ich zehn Minuten lang versucht, und geklingelt auch. Wie wär's, wenn du deine Kapelle mal leiser drehst?“

„Jaja, Heiko.“

Ich mache die Tür auf, lasse ihn rein, gehe in mein Zimmer, um die Mucke leiser zu drehen.

„Tragen das die jungen Leute heute als neues Accessoire?“, grinst Heiko mich an, als ich wieder komme.

Ich halte noch die Klobürste in meiner gummigelben Hand habe, „Ha-ha!“

„Sorry“, beschwichtigt er, „ich wollte dich nicht aufziehen. Bist du am Putzen?“

„Nee, ich schwenke die Bürste aus dem Fenster und segne die Leute auf dem Bürgersteig.“

„Sorry-sorry!“, er hebt entschuldigend die Hände.

Ich stelle die Bürste ins Klo und ziehe mir die Handschuhe aus. Eigentlich ist Heiko ganz okay, obwohl das mit dem Duzen ziemlich schleimig von ihm ist. Vor allem sieht er ganz cool aus. Groß wie'n Basketballer, muskulös, und beide Arme von der Schulter bis zum Handgelenk tätowiert. Man sieht ihm den Sozialarbeiter gar nicht an, meint Mum, und das finde ich auch.

Mum sagt, Heiko wäre früher Buchhalter bei den Sons Of Mayhem gewesen, das ist eine ziemlich fiese Motorradgang draußen hinter dem Deister. Das Studium hat er angeblich gemacht, nachdem er im Knast sein Fachabi nachgeholt hat. Da muss er ja Zeit gehabt haben.

„Was willst'n du schon wieder?“, frage ich, „Ich dachte, wir hatten erst nächste Woche nen Termin?“

„Na, ich geh gerade über den Markt und was flüstern mir die Engel zu? Mein Schützling sei aus der Handballmannschaft geflogen ...“

Auf dem Weg zum Wohnzimmertisch drehe ich die Gossen Posse leiser, „Was für Engel sollen das denn gewesen sein? Wohl eher Gänse.“

Er folgt mir, „Sag mal, wie hast du das denn wieder hingekriegt?“

Wie mich dieses Gesülze nervt, „wie hast du das denn WIEDER hingekriegt“, als ob ich ständig jemandem auf die Schnauze haue. Ruhig, Anneke. Muss runterkommen. Nicht aufregen.

„Keine Ahnung“, sage ich schließlich, „die Merle die ganze Zeit so: Schwabbel, Schwabbel, Dönerplauze, und so ein Zeug. Und ich sag ihr, sie soll die Klappe halten, aber sie hört nicht auf, und da hab ich ihr halt ...“

Ich zucke mit den Schultern.

„Mensch Anneke, das haben wir doch hundertmal geübt. Lass dich nicht provozieren. Du bist doch nicht auf den Mund gefallen, es gibt ganz andere Möglichkeiten, auf sowas zu reagieren.“

„Ja, aber die bringen mich in die geschlossene Psychiatrische.“

Er lacht kurz auf und bügelt mit einem ernsten Gesicht darüber, „Das ist nicht lustig. Und was ist dann passiert?“

„Die Mannschaft hat mich auf Schultern durch die Halle getragen.“

Er rollt mit den Augen.

„Der Trainer hat mich aus der Mannschaft geworfen. Da sind Lan und Jamila gleich mitgegangen.“

„Freundinnen hast du ja.“

„Ja.“

„Nun, zu dir ...“

„Jetzt komm mir ja nicht von wegen ich hätte dich so enttäuscht oder so!“

„Quatsch, das ist schwarze Pädagogik.“

„Schwarze ... ist das politisch korrekt, Heiko?“

„Das heißt ... ach, ich will sagen: so bin ich nicht, das weißt du doch.“

„Sondern?“

„Ich denk nur daran, dass ich deine Jugendrichterin noch anrufen muss. Die will von mir eine Einschätzung hören, ob das kaputte Nasenbein, das du deinem Mitschüler neulich verpasst hast, ein Ausrutscher war und ob du deine Aggressionen in den Griff kriegst. Und wir hatten beide gedacht, dass das mit dem Handball eine gute Sache wäre, bei der du Dampf ablassen kannst und vor allem, dass du in eine soziale Struktur eingebettet bist. Das Argument kann ich bei der Richterin jetzt wohl vergessen.“

„Ey, ich kann doch nicht bei allem, was ich tue, immer daran denken, was mein Familienhelfer davon hält!“ Ich fass es echt nicht.

„Anneke, wir hatten einen Deal. Du hast dich nicht daran gehalten. Was soll ich jetzt deiner Meinung nach tun? Wie soll ich die Richterin davon abbringen, dir die fünfzig Sozialstunden aufzubrummen?“

Ich merke, wie ich rot werde, meine Wirbelsäule krampft sich zusammen, meine Hände zucken. Ich drehe mich weg und gehe zum Fenster. Heiko steht mitten im Wohnzimmer, eine Hand in der Hosentasche, mit der anderen kratzt er sich am Kopf. Wenn er jetzt noch sagt, er will mir ja nur helfen, gehe ich ihm an die Gurgel. Ich überlege.

„Ich weiß was“, sage ich.

„Echt?“

„Ich kann etwas durchziehen, ich kann mich auch in ne Gruppe einfügen!“

„Sagt wer?“

„Ich sage das. Und W-Lan und Jamaika wissen das auch. Wir haben jetzt nämlich ne Band!“

„Ne Band? Ihr? Du, Lan und Jamila. Echt? Und was macht ihr für Mucke? Fahrt ihr zum nächsten Popstars-Casting?“

„Nicht so ne Kacke. Wir machen richtig Musik und treten damit auf. Selbstgeschriebene Songs und so. Wir machen sogar bei einem Wettbewerb mit.“

Heiko seufzt. Jetzt hält er mich wahrscheinlich für total durchgeknallt oder glaubt, ich lüge ihn an.

„Klingt ganz gut. Aber ob das die Richterin beeindruckt? Pass mal auf, ich muss jetzt leider wieder los. Wenn du mir versprichst, mir bis morgen Nachmittag ein Konzept erklären zu können, aus dem klar wird, dass ihr das ernsthaft und ehrgeizig angeht und ich das der Richterin erklären kann, dann warte ich mit dem Anruf bei ihr noch bis morgen und leg ein Wort für dich ein. Abgemacht?“

„Abgemacht.“

„Tatze Katze!“, und er hebt die Hand zum Abklatschen.

„So reden wir, nicht du, nicht schleimen.“

„Okay. Fünf drauf?“

„Fünf drauf.“

Wir klatschen uns ab.

„Gut“, sagt Heiko, „ich mach dann mal weiter. Denk dran, dass du dich morgen bis vierzehn Uhr bei mir meldest.“

„Mach ich. Ach, Heiko?“

„Was denn?“

„Erzählst du Mum nichts von meinem Rauswurf?“

„Wieso sollte ich? Das machst du ja gleich selber.“

Damit ist er aus der Wohnungstür raus und reißt schon die Tür zum Treppenhaus auf. Bestimmt nimmt er wieder sportlich drei Stufen auf einmal beim Runterlaufen. Ich drücke die Tür zu und schau auf mein Handy. Keine Nachrichten, die Uhr zeigt kurz nach sechs. In einer Stunde kommt Mum.

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9783847651802
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