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vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich

Thomas Niehr

Einführung in die

Politolinguistik

Gegenstände und Methoden

Vandenhoeck & Ruprecht

Prof. Dr. Thomas Niehr lehrt Germanistische Sprachwissenschaft an der RWTH Aachen.

Mit 22 Abbildungen und 6 Tabellen

Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Plenarsaal des Deutschen Bundestages © picture alliance / Daniel Kalker

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.

www.v-r.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Satz: Ruhrstadt Medien AG, Castrop-Rauxel

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Ulm

UTB-Band-Nr. 4173

ISBN: 978-3-8252-4173-5

Inhalt

Vorwort

1. Einleitung

2. Sprache (in) der Politik – Politische Sprache – Politolinguistik

2.1 Sprache und Politik

2.2 Funktion(en) politischer Sprache

2.3 Der Gegenstandsbereich der Politolinguistik

2.4 Die Geschichte der Politolinguistik

2.4.1 Frühe Studien zur Sprache der NS-Zeit

2.4.2 Die Sprache der NS-Zeit in neueren politolinguistischen Studien

2.4.3 Frühe Studien zur Sprache in der DDR und der BRD

2.4.4 Semantische Kämpfe

2.4.5 Neuere Entwicklungen: Multimodale Analysen und (Online-)Diskurse

Weiterführende Literatur

3. Methoden und Analyseobjekte der Politolinguistik

3.1 Die Analyse der Wortebene

3.1.1 Politischer Wortschatz

3.1.2 Denotation – Konnotation – Deontik

3.1.3 Schlagwörter – Fahnenwörter – Stigmawörter

3.1.4 Frames

3.1.5 Strategien im politischen Sprachgebrauch

3.1.6 Begriffe besetzen

Weiterführende Literatur

3.2 Die Analyse der Textebene

3.2.1 Textsorten-Klassifikation

3.2.2 Textsorten als „Stolpersteine“

3.2.3 Ausgewählte Textsorten: Parteiprogramme, Parlamentsdebatten

3.2.4 Intertextualität

Weiterführende Literatur

3.3 Die Analyse der Diskursebene

3.3.1 Linguistische Diskursanalyse

3.3.2 Kritische Diskursanalyse vs. Linguistische Diskursanalyse

3.3.3 Die Analyse der diskursrelevanten Lexik

3.3.4 Die Analyse der diskursrelevanten Metaphorik

3.3.5 Die Analyse der diskursrelevanten Argumentation

Weiterführende Literatur

4. Aufgaben

4.1 Aufgaben zu Kapitel 2

4.2 Aufgaben zu Kapitel 3.1

4.3 Aufgaben zu Kapitel 3.2

4.4 Aufgaben zu Kapitel 3.3

5. Lösungshinweise

5.1 Lösungshinweise zu 4.1

5.2 Lösungshinweise zu 4.2

5.3 Lösungshinweise zu 4.3

5.4 Lösungshinweise zu 4.4

Literatur

Sachregister

Vorwort

Mit der hier vorgelegten Einführung in die Politolinguistik soll der Versuch unternommen werden, Lehrenden wie Studierenden ein Arbeitsbuch an die Hand zu geben, das das linguistische Teilgebiet Politolinguistik erschließen helfen soll. Dabei ist ein Blick auf die Geschichte dieses Teilgebiets ebenso unerlässlich wie eine Auseinandersetzung mit seinen Methoden. Allerdings versteht sich dieses Buch nicht als umfassende Darstellung eines Forschungsgebiets der germanistischen Linguistik. Es soll lediglich dabei behilflich sein, Wege aufzeigen, um sich die Methoden der aktuellen Politolinguistik zu erschließen. Dabei wurde Wert darauf gelegt, die vorgestellten und diskutierten Methoden immer wieder anhand von Beispielen zu illustrieren. Nur so scheint es möglich, Studierenden Hinweise für eigene Analysen zu geben.

Dafür, dass diese Einführung zustande gekommen ist, habe ich vielfältigen Dank abzustatten. Zunächst den Studierenden der RWTH Aachen, die sich in Seminaren und Vorlesungen auf Politolinguistik eingelassen haben und auch immer wieder bereit waren, Teile des vorliegenden Textes auf ihre Verständlichkeit zu prüfen und zu diskutieren. Weiterhin danke ich meinen KollegInnen, die das Manuskript oder Teile davon kritisch gelesen haben. Namentlich erwähnen möchte ich Jörg Kilian, Georg Stötzel und Alexander Ziem, die das Manuskript in unterschiedlichen Bearbeitungsstadien akribisch gelesen und kritisch kommentiert haben. Wenn aus dem Manuskript eine verständliche Einführung geworden ist, dann hat ihre Mithilfe wesentlich dazu beigetragen. Dies gilt ebenfalls für die anregenden Fragen, die der Reihenherausgeber Peter Schlobinski gestellt hat. Dank gebührt ebenfalls Carolin Kruff für das Korrekturlesen des Manuskripts und die Erstellung des Registers.

Nicht zuletzt gilt mein Dank dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, der die Zusammenarbeit beim Erstellen der Druckvorlage sehr angenehm gestaltet hat.

Aachen, im Frühjahr 2014

1. Einleitung

Politiker gelten als Meister ihres Fachs. Wir trauen ihnen jederzeit zu, dass sie uns mit ihren Sprachkünsten manipulieren und im wahrsten Sinne des Wortes hinters Licht führen. Wie wichtig die Sprache – oder genauer gesagt: der Sprachgebrauch – in der Politik ist, das können wir fast täglich den Medien entnehmen. Da streiten Politiker darüber, ob die Auseinandersetzung, die in Afghanistan stattfindet, tatsächlich mit dem Ausdruck Krieg korrekt bezeichnet wird. Der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg prägte in diesem Zusammenhang schließlich die Formel von den kriegsähnlichen Zuständen. Der unbedarfte Fernsehzuschauer konnte stattdessen zu dem Ergebnis kommen, dass das, was er da an Bildern zu sehen bekam, zweifelsohne Krieg war. Er konnte sich fragen, was denn den Ausdruck kriegsähnliche Zustände vom Ausdruck Krieg unterscheide, wo denn die Grenze zwischen beiden verlaufe. Weiter konnte er sich fragen, warum der Vorgänger zu Guttenbergs, Verteidigungsminister Franz Josef Jung, sich beharrlich weigerte, diesen Krieg als Krieg zu bezeichnen, und stattdessen auf dem Ausdruck Kampfeinsatz bestand. Diese Beispiele machen deutlich, dass Politiker selbst ihren sprachlichen Äußerungen ein großes Gewicht beimessen. Wenn sie das nicht oder nur in unzureichender Weise tun, dann hat dies mitunter Folgen: Man denke beispielsweise an den Vergleich zwischen George W. Bush und Adolf Hitler, den die damalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin zog und der sie letztlich ihr Amt kostete.1 Dass auch die Rezipienten von Politik, die Wähler, das sprachliche Handeln von Politikern kritisch betrachten, zeigt sich, wenn etwa beklagt wird, dass die Debattenkultur im Bundestag nachgelassen habe und nicht mehr so sei wie noch zu Zeiten von Herbert Wehner und Franz Josef Strauß.

Dass also ein enger Zusammenhang zwischen Sprache und Politik besteht, scheint offensichtlich zu sein. Diesen Zusammenhang will die vorliegende Einführung aus linguistischem Blickwinkel näher beleuchten. Dabei ist zunächst zu klären, was unter „politischer Sprache“ verstanden werden soll. Wollen wir darunter ausschließlich das Sprachhandeln von Politikern verstehen? Wie wären dann die zahlreichen Medientexte (z. B. Zeitungskommentare, Blogs, Talkshows) einzuschätzen, in denen politische Fragen behandelt werden? Und wie verhielte es sich mit den Äußerungen eines Thilo Sarrazin, die bei ihrer Veröffentlichung für ein großes Medienecho und danach für den Rücktritt Sarrazins von seinem Amt als Bundesbank-Vorstand sorgten?2 Sollen derartige mündliche und schriftliche Texte von vornherein ausgeschlossen sein?

Schließlich stellt sich die Frage, welche linguistischen Herangehensweisen es gibt, um politische Sprache zu analysieren: Was sind also die Objekte der Sprachein-der-Politik-Forschung bzw. der Politolinguistik? Einer intuitiven Herangehensweise entspräche die Betrachtung bestimmter, besonders auffälliger Wörter. Doch es gibt zweifelsohne Texte im politischen Raum, an deren Wortwahl kaum etwas auffällt, und die dennoch einer großen Zahl von Rezipienten kritikwürdig oder auch lobenswert erscheinen. Dies gilt beispielsweise für die viel gerühmte Rede Richard von Weizsäckers vom 8. Mai 1985 zum 40. Jahrestag der Befreiung Deutschlands3 oder für die Rede Willy Brandts, die er am 10. November 1989, einen Tag nach dem Fall der Berliner Mauer, vor dem Schöneberger Rathaus gehalten hat4. Neben die Analyse von einzelnen Wörtern muss der linguistische Blick also auch ganzen Texten und ihren Eigenheiten gelten. Darüber hinaus ist die Linguistik in den letzten Jahrzehnten immer mehr dazu übergegangen, auch die Textgrenzen zu überschreiten und ganze Diskurse, verstanden als Ansammlung einer Vielzahl von Texten zum gleichen Thema, zu analysieren. Auch diese Betrachtungsweise hat sich die Politolinguistik zunutze gemacht.

Außerdem können die LeserInnen dieses Buches – mit gutem Recht – erwarten, auch etwas über die Geschichte der Politolinguistik, einer noch jungen „Bindestrich-Linguistik“, zu erfahren. Sie hat antike Vorfahren, handwerklich ausgereift ist sie – wenn überhaupt – allerdings erst in den letzten Jahrzehnten.

Damit sind die Grenzen dieser Einführung abgesteckt. Sie kann vieles nur skizzieren, und einiges wird zweifelsohne zu kurz kommen. Dennoch ist das Ziel, den LeserInnen einen ersten Überblick über ein gesellschaftlich relevantes und spannendes Teilgebiet der Linguistik zu geben.

______________

1 Zur langen Geschichte der Nazivergleiche siehe Eitz/Stötzel (2007: 489 ff.).

2 Vgl. dazu Niehr (2011a).

3 Von Weizsäcker (1985).

4 Die Rede ist abgedruckt bei Brodersen (2002: 191–195).

2. Sprache (in) der Politik – Politische Sprache – Politolinguistik

2.1 Sprache und Politik

Politik und Sprache sind eng miteinander verknüpft. Dass dies so ist, wird bereits offensichtlich, wenn man sich typische Tätigkeiten von Politikern anschaut: In der Öffentlichkeit – und das heißt für uns: in den Massenmedien – treten sie z. B. als Parlaments- oder Festredner, Verhandlungspartner oder Wahlkämpfer und Talkshowgäste auf. Wir wissen zudem, dass sie darüber hinaus in nicht-öffentlichen Gremien wie Fraktionssitzungen oder innerparteilichen Zirkeln tagen, um dort mit Fraktions- und Parteikollegen die „große“ politische Ausrichtung oder aber ihre Haltung in einer ganz speziellen Frage abzustimmen. Alle diese Tätigkeiten sind sprachliche Tätigkeiten und können als sprachliches Handeln klassifiziert werden. Betrachtet man Politik als „auf die Durchsetzung bestimmter Ziele bes. im staatlichen Bereich u. auf die Gestaltung des öffentlichen Lebens gerichtetes Handeln von Regierungen, Parlamenten, Parteien, Organisationen o.Ä.“ (Duden 2011: 1353), dann zeigt sich ebenfalls die besondere Bedeutung der Sprache: Die Durchsetzung bestimmter Ziele wie auch die Gestaltung des öffentlichen Lebens setzen – insbesondere in demokratisch verfassten Gesellschaften – manchmal langwierige und komplizierte, stets jedoch diskursive und mithin sprachliche Abstimmungsprozesse voraus. Man kann deshalb mit Girnth (2002: 1) festhalten, dass „Sprache […] nicht nur irgendein Instrument der Politik, sondern überhaupt erst die Bedingung ihrer Möglichkeit [ist]“. Dies bedeutet keineswegs, dass man Sprache und Politik gleichsetzen könnte, es bedeutet aber, dass Politik ohne Sprache nicht denkbar ist: „Kommunikation und Information sind also die Grundkategorien der westlichen Demokratie-Auffassung. Sie ermöglichen jene diskursive Meinungsbildung, auf der demokratische Entscheidungs- und Handlungsvollzüge aufruhen.“ (Jäger 1996: 67) Zur politischen Kommunikation gehört neben der sprachlichen Komponente beispielsweise auch der Einsatz bestimmter politischer Symbole – man denke in diesem Zusammenhang etwa an einen Staatsakt, bei dem eine Hymne gespielt wird, Flaggen in den Nationalfarben zu sehen sind und möglicherweise Orden verliehen und getragen werden (vgl. Girnth 2002: 3).

Ohne näher darauf einzugehen, wie das Verhältnis von Sprache und Politik gewichtet ist, sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass sich die hier vorliegende Einführung in die Politolinguistik als linguistische Einführung versteht, die sich in erster Linie mit Sprache, ihrem Gebrauch und ihren Funktionen (und weniger mit Politik) beschäftigen wird. Sie setzt ein „weites“ Verständnis von Linguistik voraus und macht auch Phänomene wie den Sprachgebrauch in den Massenmedien und den Social Media oder die Struktur von Argumentationen zum Thema, sofern sie für die Analyse politischer Kommunikation von Relevanz sind.


Abb. 1: Staatsakt (picture-alliance/dp/DB Pingel)

2.2 Funktion(en) politischer Sprache

Sprache dient den politisch handelnden und argumentierenden Personen dazu, „im Medium der Öffentlichkeit Zustimmungsbereitschaften zu erzeugen“1. Wenn man politische Sprache in diesem Sinne auffasst, dann wird ihre Verwandtschaft zur Werbesprache deutlich (vgl. Dieckmann 1975: 27). Von besonderer Wichtigkeit ist dabei, dass man sich von der Vorstellung verabschiedet, Sprache diene in erster Linie der Informationsübermittlung.


Abb. 2: Das Organon-Modell von Karl Bühler (1934/1965: 28)

Bereits an dem bekannten Modell sprachlicher Funktionen von Karl Bühler lassen sich verschiedene Grundfunktionen von Sprache ablesen, und für politische Sprache ist die Appellfunktion von besonderer Bedeutung. (Davon unberührt bleibt, dass in politischen Argumentationen immer wieder behauptet wird, die Darstellungsfunktion sei alleiniger oder wichtigster Zweck der Sprache.) Betrachtet man etwa den politischen Sprachgebrauch in Wahlkämpfen, so sieht man recht deutlich, dass die politisch Handelnden sich häufig einer wertenden Sprache bedienen, um den eigenen Standpunkt zu legitimieren, den des Gegners zu delegitimieren oder mindestens abzuwerten:

Politischem Handeln und Sprechen liegen vielfältige Interessen zugrunde, die ihrerseits die Handlungs- und Sprechhandlungsintentionen determinieren. In demokratisch-pluralistischen Systemen ist politische Kommunikation vom Widerstreit der Interessen, Meinungen und Weltanschauungen geprägt, der sich bis in die – großenteils selber konfliktäre – Lexik und deren ideologisch gegensätzliche Verwendung hinein auswirkt. Insofern ist politisches Sprechen notwendigerweise parteilich und bedient sich ideologisch wertender Sprachformen. (Burkhardt 2003a: 120)

Zwar wird diese Funktion politischer Sprache teilweise als „manipulativ“ abgewertet, nichtsdestotrotz kann man kaum umhin, gerade in der Beeinflussung der Rezipienten eine zentrale Funktion von politischer Sprache, von Sprache überhaupt zu sehen. Zumindest ist es wenig realistisch, in der Darstellungs- bzw. Informationsfunktion die Hauptfunktion von Sprache zu sehen. Dieckmann (1975: 26) weist zu Recht darauf hin, „daß dem Menschen, der sich rein auf diese Funktion beschränken wollte, außerhalb wissenschaftlicher Publikationen nicht viel zu reden übrig bliebe“. Für die politische Sprache gilt zudem, dass sie nicht in erster Linie der Wahrheitsfindung verpflichtet ist:

Es geht darum, über die Wünschbarkeit und Verwirklichbarkeit von Vorschlägen und Plänen zu befinden und zu ihrer Durchsetzung Unterstützung zu suchen. Die Sorge, daß Emotionen den Sachverhalt verunklären und das Ergebnis nicht Überzeugung, sondern Verführung sei, ist berechtigt, muß sich aber genauso auf die intellektuellen Mittel beziehen. Auch die Information und die deutende Verarbeitung ist parteiisch. (Dieckmann 1975: 99)

Zu Recht merkt allerdings Kilian (1997: 4 ff.) an, dass es eine unzulässige Verkürzung wäre, politische Sprache bzw. Politik überhaupt auf den Kampf um Machterhalt, auf Manipulation und Propaganda zu reduzieren, mithin der politischen Sprache die Funktion der Darstellung gänzlich abzusprechen. Hilfreich ist hier eine differenzierte Betrachtung des Politik-Begriffs, die zwischen politischem System (polity), politischen Prozessen (politics) und verschiedenen Politikfeldern (policies) unterscheidet (vgl. ebd. sowie Klein 1998a: 194 ff.). Insbesondere für die politischen Prozesse (politics), in denen es um die Durchsetzung von Interessen geht, ist strategischer Sprachgebrauch von zentraler Bedeutung. Dies gilt allerdings weniger für die politische Sprache, die mit dem politischen System (polity) in Verbindung steht. Man denke hier etwa an Texte wie Geschäftsordnungen, Verfassungstexte oder auch den institutionsinternen Fachwortschatz. Auch für die verschiedenen Politikfelder (policies) gilt – wie Kilian (1997: 6) in Anlehnung an Bühler treffend formuliert –, dass politische Sprache „nicht nur eine Ausdrucks- und Appellfunktion, sondern auch eine Darstellungsfunktion [hat].“

In diesem Zusammenhang muss außerdem an die realitätskonstituierende Funktion von Sprache erinnert werden: Einen direkten Zugang zur Realität haben wir nicht, sondern nur vermittels unserer Sprache. Mit den Ausdrücken unserer Sprache bezeichnen wir die Dinge in der Welt. Man darf sich dieses Verhältnis von Dingen in der Welt und Ausdrücken allerdings nicht als eine eindeutige Zuordnung von Dingen und Ausdrücken vorstellen. Vielmehr haben wir – insbesondere bei politischen Sachverhalten – meist Bezeichnungsalternativen zur Verfügung. Sie unterscheiden sich oft durch die ihnen inhärente Wertungskomponente. So mag der eine die Bezeichnung Steueranpassung angemessen finden, während ein anderer Steuererhöhung für die einzig zutreffende Variante hält. Und was der eine für Krieg hält, ist für den anderen eine friedenserhaltende Maßnahme: „Meist machen erst die Nachbar- und Gegenbegriffe die ideologische Sehweise offenbar.“ (Dieckmann 1975: 31)

Eine Entscheidung über die Angemessenheit oder Nicht-Angemessenheit von (ideologisch geprägten) Ausdrücken lässt sich zwar argumentativ begründen, letztlich ist sie aber ein Reflex auf die jeweilige (ideologische) Sicht der Sprecher. Der „Streit um Worte“ – so der berühmte Titel eines Aufsatzes von Lübbe – ist mithin keinesfalls überflüssig, sondern notwendiger Bestandteil einer diskursiven Meinungsbildung und eines kommunikativen Konsenses über die Ausgestaltung unserer politischen Umwelt.

2.3 Der Gegenstandsbereich der Politolinguistik

Bei der Politolinguistik handelt es sich um ein Teilgebiet der Linguistik, um eine sogenannte Bindestrich-Linguistik, deren Gegenstandsbereich einer Abgrenzung bedarf. Intuitiv würde man möglicherweise dazu neigen, als Sprache der Politik das Sprechen (und Schreiben) von Politikern zu betrachten. Dies scheint jedoch bei genauerem Hinsehen wenig plausibel, weil man damit von vornherein weite Teile des öffentlichen Sprachgebrauchs, die man mit guten Gründen als politisch bezeichnen kann, aus dem Untersuchungsbereich ausklammern würde.

Bedenkt man, woher wir unser Wissen über politische Vorgänge haben und wie wir zu unseren politischen Einstellungen kommen, dann wird man dabei die Rolle der Massenmedien nicht vernachlässigen dürfen. Deren Aufgabe besteht ja keineswegs nur darin, ihre Rezipienten zu informieren. Vielmehr gehört auch die Meinungsbildung unbestreitbar zu den Aufgaben der Medien. Massenmedien, die sich als frei und unabhängig verstehen, legen allerdings großen Wert auf die Trennung von Information und Meinungsbildung. Diese Trennung zeigt sich deutlich in den verwendeten Textsorten: Während es die Aufgabe von Nachrichtentexten ist, zu informieren, dienen Kommentare der Meinungsbildung. Inwieweit diese Textsorten immer mehr vermischt werden (und damit auch die Trennung von Information und Meinungsbildung verwischt wird), soll hier nicht weiter diskutiert werden (vgl. Burger 2005: 48 ff., 224 ff.).

Eine Meinungsbildung wird zumindest mittelbar schon allein dadurch in Gang gesetzt, dass die Medien den Menschen weniger vermitteln, was sie denken sollen, dafür umso mehr, worüber sie nachzudenken haben (vgl. Schulz 2011: 221). Dieser Effekt wird in der Kommunikationswissenschaft als Agenda-Setting bezeichnet. Mit diesem Terminus wird der inzwischen zur Alltagsweisheit gewordenen Bemerkung Luhmanns (1995/2009: 9) Rechnung getragen, dass wir das, was wir über unsere Gesellschaft und über die Welt, in der wir leben, wissen, aus den Medien erfahren. Die Medien ihrerseits bestimmen durch die Auswahl der Themen, die sie veröffentlichen, was unsere Aufmerksamkeitsschwelle überschreitet und welche politische Priorität diesen Themen zugeschrieben wird.2 So geht die Kommunikationswissenschaft davon aus, dass allein die Präsenz eines Politikers im Fernsehen ihm Vorteile bei Wahlen verschaffen kann:

Diese Form des Primings gilt auch für politische Urteile und für Urteile über Personen. Je auffälliger daher ein Kandidat im Fernsehen sichtbar ist, desto größer die Chance, dass er in der Vorstellung der Wähler präsent ist und als relevante Alternative für die Wahlentscheidung in Betracht gezogen wird. (Schulz 2011: 257)

Diese kurzen Bemerkungen reichen schon aus, um zu sehen, dass die Politolinguistik sich keinesfalls auf die Sprache der Politiker beschränken kann. Weiterhin ist es von entscheidender Bedeutung, wie man den Ausdruck politisch definieren möchte. Damit hängt letztlich auch zusammen, ob man von Sprache in der Politik oder von Sprache der Politik sprechen möchte (vgl. Dieckmann 2005: 12 f.). Es gibt zahlreiche Definitionen von Politik, die jeweils andere Aspekte betonen. Eine „schlanke“ Definition von Politik bzw. politisch würde beinhalten, dass unter politischem Handeln das Handeln von Individuen oder Gruppen zu verstehen ist, das staatlich oder auf den Staat bezogen ist (vgl. ebd.). Eine solche Definition, die den folgenden Ausführungen zugrunde liegt, schließt beispielsweise das sprachliche Handeln unterschiedlicher Interessenverbände (Lobbyverbände, Kirchen, Gewerkschaften etc.) und Einzelpersonen ein, solange es auf den Staat bezogen ist.3 Insofern können eben auch wir alle jederzeit politisch handeln,

z. B. bei der Abgabe von Wahlzetteln, der Teilnahme an politischen Diskussionen und Demonstrationen oder beim Extremfall der aktiven Durchführung von Revolutionen. Dabei wird natürlich auch und gerade sprachlich gehandelt; nicht zuletzt gilt dies übrigens für Zwischenrufe aus der Zuhörerschaft, etwa bei Podiumsdiskussionen und Talkshows, oder für Sprechchöre bei Kundgebungen […]. (Burkhardt 2003: 118)


Abb. 3: Gegenstandsbereiche der Politolinguistik (Burkhardt 1996: 81)

Eng verbunden mit diesen Überlegungen ist die Frage, ob man vor diesem Hintergrund besser von Sprache in der Politik, von Sprache der Politik oder lediglich von Sprache und Politik4 sprechen sollte. In dieser Einführung wird der Terminus politische Sprache bevorzugt. Er soll verstanden werden als Sprachgebrauch in der Politik und bezieht das Sprechen über Politik (z. B. an bei privaten oder öffentlichen Diskussionen), die politische Mediensprache (z. B. in Talkshows oder Zeitungskommentaren) und die Politiksprache mit ein. Unter Letztere lassen sich die Sprache der Politiker (z. B. im Parlament) und die Sprache in der Politik (z. B. innerhalb einer Partei oder Fraktion) subsumieren (vgl. Burkhardt 1996: 79 ff.).

Die linguistische Erforschung der politischen Sprache soll im Folgenden mit einem Vorschlag Burkhardts (1996: 82) als Politolinguistik bezeichnet werden:

Für die bisher namenlose Disziplin der Sprachwissenschaft, die sich mit der Untersuchung der politischen Sprache im allgemeinen und deren oben genannten Teilbereichen im besonderen beschäftigt, möchte ich die Bezeichnung Politolinguistik vorschlagen.

Die Politolinguistik beschäftigt sich mit politischer Sprache, nicht nur mit dem Sprachgebrauch von Politikern.

2.4 Die Geschichte der Politolinguistik

Bei einer extensiven Auslegung des Terminus politische Sprache könnte man zu der Auffassung gelangen, dass es sich bei der Politolinguistik um eine altehrwürdige Disziplin handelt, die ihren Ausgang von der antiken Rhetorik genommen hat. Die Rhetorik ist – um eine berühmte Definition Quintilians zu bemühen – die ars benedicendi, also die Kunst, gut zu sprechen (vgl. Ottmers 1996: 5). Bemühungen um diese Kunst sind schon lange vor Quintilian bekannt – die berühmteste historische Rhetorik-Anleitung dürfte von Aristoteles (384–322 v.Chr.) stammen (Aristoteles 1999). Man darf diese historischen Rhetoriker (zu nennen sind hier zahlreiche weitere Autoren wie z. B. Plato, Cicero, Augustinus) allerdings nicht mit den modernen populären Rhetorik-Ratgebern unterschiedlichster Qualität verwechseln, die uns allerorten angeboten werden. Während derartige Rhetorik-Ratgeber sich meist auf die „angewandte“ Seite der Rhetorik beschränken und dabei in ganz unterschiedlicher Weise Anleihen bei den klassischen Autoren machen, verstand sich die historische Rhetorik nicht nur als praktische Redekunst, sondern auch als Wissenschaft von der guten Rede (vgl. Ottmers 1996: 6 f.). Die Beschränkung auf mündliche Kommunikation dagegen ist seit der Frühen Neuzeit immer mehr geschwunden. Insofern müsste man die Rhetorik zeitgemäß als ars benedicendi et bene scribendi umschreiben (vgl. ebd.) oder ganz allgemein als „Theorie der wirkungsvollen Kommunikation“ (ebd.: 8). Diese Theorie wiederum darf man sich nicht als „reine“ Theorie vorstellen, die losgelöst von jeglichem Erfahrungswissen operiert. Vielmehr ist das Erfahrungswissen integraler Bestandteil der Rhetorik:

Dabei wurde schon in der Antike nicht verkannt, daß jene außerhalb der Theorie liegenden Komponenten durchaus von Bedeutung sind: Zunächst die Naturbegabung des Redners, also die angeborene Veranlagung (natura), aber auch die praktische Erfahrung (usus), die er als Redner sammelt und die ihm hilft, seine Urteilsfähigkeit (iudicium) zu schulen, also zu entscheiden, was für seine Absichten am wirkungsvollsten und welche Redestrategien erfolgversprechend sind. […] Theoretisches Wissen, Anschaulichkeit anhand von Übungsmaterial und praxisnahe Vorbereitung sind die Grundpfeiler des rhetorischen Studiums, das über die Beherrschung der Regeln zum souveränen, freien Umgang mit den zur Verfügung stehenden Mittel[!] erziehen will. (Ottmers 1996: 8)

Versetzt man sich in die Rolle von Politikern, deren Handeln ja zu weiten Teilen sprachliches Handeln ist, dann wird die Bedeutung der Rhetorik unmittelbar deutlich. Dass Politolinguistik und Rhetorik jedoch keineswegs deckungsgleich sind, obwohl sie teilweise das gleiche sprachliche Material zugrunde legen, wird deutlich, wenn man sich die Zielsetzung der Politolinguistik vor Augen führt. Sie lässt sich insofern zur Angewandten Sprachwissenschaft zählen, als sie sich auf konkretes Sprachhandeln (parole) bezieht, das sie unter verschiedenen Gesichtspunkten analysieren möchte. Der wichtigste Unterschied zwischen Rhetorik und Politolinguistik dürfte darin bestehen, dass die Rhetorik sich als präskriptive Wissenschaft versteht, die eine Anleitung zur wirkungsvollen Kommunikation geben will.

Die Politolinguistik dagegen versteht sich als Teil der deskriptiven Linguistik, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, sprachliche Phänomene zu beschreiben und zu erklären, ohne sie jedoch einer Wertung zu unterziehen.

Die Vermittlung kommunikativer Techniken zur Erzielung bestimmter Wirkungen und die „Lösung von lebens- und gesellschaftspraktischen Problemen in den Bereichen von Sprache und Kommunikation“5 (Knapp u.a. 2007: XX) gehört aber nicht zum traditionellen Themenspektrum der deskriptiven Linguistik.

Versteht man die Politolinguistik in diesem deskriptiven Sinne, dann ist sie eine relativ neue Disziplin der Linguistik, die sich v.a. in Deutschland seit der Nachkriegszeit entwickelt hat.6 Dass sich insbesondere Linguisten in Deutschland für Fragestellungen der Politolinguistik erwärmen konnten, mag in der Tat daran liegen, dass sowohl die Politiker des „Dritten Reichs“ wie auch die der DDR es verstanden hatten, sich die Sprache für ihre Zwecke nutzbar zu machen (vgl. Klein 1998a: 186 f.).

Hinzu kam dann die Erfahrung der deutschen Teilung. Sprachwissenschaftler und -kritiker in Ost- und Westdeutschland gingen in diesem Zusammenhang der Frage nach, ob die deutsche Sprache durch diese Teilung des Landes ebenfalls gespalten werden würde. Im Laufe der Zeit kamen sie zu unterschiedlichen und auch wechselnden Ergebnissen.7 Insgesamt kann man festhalten, dass diese frühen Studien häufig nicht den Standards genügen, die wir heute an eine politolinguistische Studie anlegen würden.8 Dies hängt sicherlich auch damit zusammen, dass solche Standards, verstanden als methodisches Instrumentarium, für diesen Zweig der Linguistik noch nicht entwickelt waren. So muss man festhalten, dass häufig die politischen Einstellungen der Forscher (im Westen z. B. der Antikommunismus) ihre Forschungen beeinflussten. Sie kamen dann beispielsweise zu dem Ergebnis, dass in der DDR eine neue totalitäre Sprachdiktatur, eine Sprache des vierten Reiches (vgl. Klein 1998a: 187) entwickelt würde und die deutsche Sprache somit (wie auch der deutsche Staat) gespalten würde. In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts haben dann aber Sprachwissenschaftler wie Peter von Polenz und Walther Dieckmann die methodischen Defizite solcher Arbeiten aufgezeigt. So merkte Dieckmann bereits im Jahre 1967 an, dass einige dieser frühen Studien zum sprachlichen Ost-West-Problem nicht aufgrund empirischer Untersuchungen zu ihren Ergebnissen kamen. Derartige Arbeiten dienten lediglich dazu, sprachliche Illustrationen dessen bereitzustellen, was die Autoren politisch ohnehin schon zu wissen glaubten (vgl. Dieckmann 1967: 138).

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