Читать книгу: «Geschichte in Film und Fernsehen», страница 5

Шрифт:

Die dokumentarische Erzählung

Die dokumentarische Erzählung sucht sich je nach Erzählinteresse und erwartetem Publikumszuspruch historische Personen, historische Schauplätze oder historische Ereignisse aus unterschiedlichen Geschichtsepochen als Erzählgegenstände. Die Auswahl treffen meist die für Geschichtssendungen zuständigen [31]FernsehredakteureRedakteur nach vorgegebenen Kriterien (→ Kap. 2.3 und 3.2). Als Tatsachenerzählung hält sich die dokumentarische Erzählung an die historischen Fakten. Der verbale ErzählerVerbaler Erzähler ist darum bemüht, die Erzählung so zu gestalten, dass eine spannende Geschichte entsteht (→ Kap. 3.3). Zugleich muss er streng darauf achten, dass er immer wieder Belege zur Hand hat, die seine Erzählung beglaubigen. Diese Belege müssen als Dokumente explizit kenntlich gemacht werden (verbal oder als Textinserts). Quellen, darunter vor allem alte Fotos und Filme, sind deshalb der audiovisuelle Rohstoff für dokumentarische Geschichtsfilme. Sie führen den heutigen Betrachter bis ins 20. und 19. Jahrhundert zurück, in die Zeit, als die Techniken zur Speicherung der Welt als Bilderwelt alltagstauglich waren. An Tonquellen stehen digitale Aufnahmen, Tonbänder, Schallplatten und einige wenige Wachswalzen zur Verfügung, die bis in die 1880er Jahre zurückreichen. Zeitlich noch weiter zurück führen Gemälde, Fresken, Skulpturen, Baudenkmäler und viele andere sichtbare Dokumente, die unseren Zeithorizont rückwärts in die Neuzeit, das Mittelalter und bis hin zu fernen antiken Welten erweitern. Die Zahl der Dokumente nimmt dabei allerdings immer mehr ab und damit auch die Möglichkeiten der AuthentifizierungAuthentizität, authentisch, Authentifizierung. Praktischerweise unterscheiden wir deshalb zwischen dokumentarischen Erinnerungsfilmen und dokumentarischen HistorienfilmenDokumentarischer Historienfilm. Die ErinnerungsfilmeErinnerungsfilme handeln von der Vergangenheit, die sich noch im Zeithorizont der Zeitgenossen befindet und etwa 80 bis 100 Jahre zurückreicht. Sie wurde erlebt und kann erinnert und erzählt werden. Das ist auch der Grund für die Anwesenheit vieler ZeitzeugenZeitzeugen in zeitgeschichtlichen Dokumentationen (→ Kap. 2.3.1). Die dokumentarischen HistorienfilmeDokumentarischer Historienfilm handeln hingegen von weiter zurückliegenden Epochen, für die es keine ZeitzeugenZeitzeugen mehr gibt, und denen es oftmals an Film-, Foto- und Tondokumenten fehlt. Für diese Epochen sind spezielle ErzählformErzählformen vonnöten, auf die an anderer Stelle genauer einzugehen ist (→ Kap. 2.3.2).

In der folgenden Tabelle sind die wichtigsten Aspekte des Kapitels grafisch zusammengefasst:


[32]Audiovisuelle Geschichte Szenische Erinnerungsfilme Szenische Historienfilme Dokumentarische Erinnerungsfilme Dokumentarische Historienfilme
Erzählte Zeit Innerhalb des Erinnerungshorizonts der Zuschauer Außerhalb des Erinnerungshorizonts der Zuschauer Innerhalb des Erinnerungshorizonts der Zuschauer Außerhalb des Erinnerungshorizonts der Zuschauer
Erzählmodus Unmittelbar darstellend (szenisches Spiel) Unmittelbar darstellend (szenisches Spiel) Mittelbar erzählend und unmittelbar darstellend (Voice-Over + Spielszenen)
Voice-Over oder Textinserts im Vorspann – Szenenbild, Kostüme etc. Voice-Over oder Textinserts im Vorspann – Szenenbild, Kostüme etc. Überreste, ExpertenExperten plus historisch-szenische Rekonstruktionen
Erzählte Welt/tatsächliche Welt Erzählen von möglichen historischen Welten Erzählen von möglichen historischen Welten Erzählen von tatsächlichen historischen Welten Erzählen von tatsächlichen und möglichen historischen Welten

Tab. 1

Szenische und dokumentarische Erinnerungsfilme sowie szenische und dokumentarische Historienfilme und ihre Charakteristika

Weiterführende Literatur

Arnold/Hömberg/Kinnebrock Arnold/Hömberg/Kinnebrock 2010: Klaus Arnold/Walter Hömberg/Susanne Kinnebrock (Hg.), Geschichtsjournalismus: zwischen Information und Inszenierung. Münster 2010.

Bietz 2013: Christoph Bietz, Die Geschichten der Nachrichten: Eine narratologische Analyse telemedialer Wirklichkeitskonstruktion. Trier 2013.

Bösch 2009: Frank Bösch, Der Nationalsozialismus im Dokumentarfilm: Geschichtsschreibung im Fernsehen, 1950–1990. In: Frank Bösch/Constantin Goschler (Hg.), Public History. Öffentliche Darstellungen des Nationalsozialismus jenseits der Geschichtswissenschaft. Frankfurt a.M., New York 2009, 52–76.

Hißnauer/Schmidt 2012: Christian Hißnauer/Bernd Schmidt, Die Geschichte des Fernsehdokumentarismus in der Bundesrepublik Deutschland. Forschungsdefizite und Forschungstrends. Ein Überblick. URL: <http://rundfunkundgeschichte.de/artikel/die-geschichte-des-fernsehdokumentarismus-in-der-bundesrepublik-deutschland-2/> [Zugriff: 10.08.2016].

Hohenberger/Keilbach 2003: Eva Hohenberger/Judith Keilbach (Hg.), Die Gegenwart der Vergangenheit: Dokumentarfilm, Fernsehen und Geschichte. Berlin 2003.

Latour 2015: Jerome Latour, Gespräch mit Szenenbildner Jerome Latour. Zeitreise 1947. URL: <http://www.daserste.de/unterhaltung/film/die-himmelsleiter-sehnsucht-nach-morgen/sendung/jerome-latour-szenenbildner-100.html> [Zugriff: 10.08.2016].

2.2 Geschichte im Kino

In den 1920er Jahren hatte sich das Kino überall in Deutschland etabliert, zunächst in Gaststätten oder anderen Lokalitäten, dann als Lichtspieltheater nach dem architektonischen Vorbild der Stadttheater. Köln hatte im Jahr 1926 40 Kinos, 1939 56 Kinos. In Berlin gab es während der 1920er Jahre durchschnittlich 400 Lichtspielhäuser, davon zwischen 20 und 30 mit über 1000 Sitzplätzen (Saekel 2011, 148). In der Zeit der Weimarer Republik waren es 1919 etwa 3000 und 1928 über 5000 Kinos. Zwei Millionen Menschen gingen täglich im gesamten Deutschen Reich ins Kino, davon allein rund eine Million in der Metropole Berlin. In der Weltwirtschaftskrise 1929–1933 brach das Filmgeschäft ein und [33]die Zahl der Kinos verringerte sich. Im NS-Staat wurden der Spielfilm und das Kino aus politischen Gründen vom Staat stark gefördert. 1938 gab es wieder über 5000 Kinos mit etwa 400 Millionen Besuchern im Jahr (Stahr 2001, 64). Mit dem Untergang des NS-Staates endete zunächst auch die Erfolgsgeschichte des Kinos. Doch 1949 hatten sich allein in Westdeutschland schon wieder über 3300 Kinos etabliert, und deren Zahl verdoppelte sich bis 1959 noch einmal. Die Konkurrenz des Fernsehens führte dann aber zur großen Kino-Krise, die erst in den 1980er Jahren mit neuen Blockbuster-Strategien endete und dem Publikum in den 1990er Jahren die modernen Multiplex-Kinos bescherte. In der DDR gab es Ende 1988 828 stationäre Kinos und mehr als doppelt so viele mobile Einrichtungen in Klub- und Kulturhäusern, in denen insgesamt täglich ca. 190000 Besucher gezählt wurden.

Kinowahrnehmung – Filmwahrnehmung

Das Licht, die Lichtreklame, die Außen- und Innenbeleuchtung und dann natürlich das Licht- und Schattenspiel auf der Leinwand gaben dem Kino von Anfang an seine unverwechselbare Aura als Raum der Lichtkünste. Doch das Kino war auch ein ganz profaner öffentlicher Ort, an dem wildfremde Menschen zusammenkamen, um sich gemeinsam unterhalten zu lassen. Das Kino stand deshalb unter staatlicher Aufsicht und musste sich an feuer-, sitten- und ordnungspolizeiliche Regeln halten. Audiovisuelle Erzählungen im öffentlichen Raum machen das Kino von Anfang an zu einem Ort des Gemeinschaftserlebnisses und den Film zu einer kollektiven Erzählung. Die Medienwissenschaft hat für diese filmische Erzählkonstellation (im Anschluss an den französischen Diskursanalytiker Michel Foucault) den Begriff „DispositivDispositiv“ eingeführt. Das DispositivDispositiv beschreibt, wie eine technische Apparatur in einer konkreten Lebenssituation von verschiedenen Personen genutzt wird und wie sich diese Nutzung prozessual, d.h. in ihrem Verlauf mit einem Anfang und einem Ende darstellt. Aufs Wesentliche verkürzt lässt sich das heutige KinodispositivDispositiv in etwa so beschreiben: feste Platzierung der Zuschauer in einem dunklen Saal vor einer großen Leinwand, auf die laufende Bilder projiziert werden. Diese stammen von einem Apparat, der (für die Zuschauer unsichtbar) hinter ihren Köpfen installiert ist. Zu dieser visuellen Ebene kommt auf der auditiven Ebene die Surround-Beschallung der Zuschauer durch Lautsprecher an der Front und den Wänden des Kinosaals, sie setzt sich aus Geräuschen, Musik und menschlichen Stimmen zusammen. Die audiovisuelle Darbietung hat die Struktur einer Erzählung mit einer nicht genau definierten, aber auf wenige Stunden begrenzten Erzählzeit. Die Zuschauer sehen dabei die Welt durch das Auge der Kamera. Sie erleben einen permanenten Wechsel der Räume und Perspektiven, sind „einem sich bewegenden Raum ausgesetzt, der ihrem Eingriff prinzipiell entzogen ist“. Die Zeit wird erfahrbar als Folge der [34]Unterschiede, die beim Wechsel der Räume und Perspektiven wahrgenommen werden. Die Zeit wird ‚verräumlicht‘, der Raum wird dynamisiert (Seel 2013, 87). Kino ist somit für das Publikum eine Art ‚Raumfahrt‘ mit unbekanntem Ziel.

Geschichtswelten im Kino

Das Kino ist ein Ort der Imagination und Phantasie. Hier lässt das Publikum die tatsächliche Lebenswelt des Alltags für eine Weile hinter sich und taucht in andere, mögliche oder fantastische Welten ein. An der Seite der Protagonisten nimmt es Teil an deren Konflikten, ihren Ängsten, ihren Hoffnungen und Kämpfen, wobei es meist darum geht, eine private oder öffentliche Welt, die aus den Fugen geraten ist, zu reparieren oder diese Herausforderung auf komische oder tragische Weise zu bestehen. Das gilt auch für den Geschichtsfilm. Handlungsorte können hier unbekannte, geheimnisvolle Schauplätze unserer gegenwärtigen irdischen Welt sein, an denen sich vergangene Lebenswelten erhalten haben oder von Wissenschaftlern wieder erschaffen wurden, wie zum Beispiel „Jurassic Park“ (USA 1993) oder „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“ (USA 2008). Oder es sind Orte einer vergangenen Welt, in denen sich unglaubliche Dinge ereignen, wie zum Beispiel in „King Kong“ (NZ/USA 2005) oder „Die Zeitmaschine“ (USA 2002). Oft sind es zukünftige Welten, in denen Menschen Dinge entdecken, die sie zurück in unsere heutige Gegenwart führen, wie etwa in „2022. Die überleben wollen“ (USA 1973) oder „Die Tribute von Panem“ (USA 2012). Oder es sind satirische oder fantastische Welten wie bei „Nachts im Museum“ (USA/Canada 2006) oder „Fluch der Karibik“ (USA 2003), in denen die Vergangenheit überraschend lebendig wird oder sich als bisher nicht bekannte Vergangenheit zeigt. Von welcher Vergangenheit aber auch immer in diesen zuletzt genannten Filmen im Einzelnen erzählt wird, es handelt sich in keinem Fall um mögliche historische Vergangenheiten, sondern um satirisch überspitzte, und um fantastische Welten mit ihren eigenen Gesetzen von Logik und Kausalität, in die das Publikum entführt wird. Von diesen unmöglichen Welten wird, auch wenn sie viele Zuschauer immer wieder begeistern, im Folgenden nicht weiter die Rede sein. Wir werden uns auf die möglichen historischen Welten konzentrieren.

Geschichtsfilme und Publikum

Der szenische Geschichtsfilm im Kino, der heutzutage meist auch im Fernsehen läuft, zeigt historische Lebenswelten, und er lässt die Menschen dieser Lebenswelten in der Alltagssprache des Publikums sprechen. Diese Sprache kann jeder Kinobesucher verstehen. Das macht das Kino bzw. den Spielfilm zum Massenmedium. Von Anfang an sind Kinofilme grundsätzlich für alle da und werden deshalb massenkompatibel erzählt. Das hat nicht zuletzt ökonomische Gründe: „Ich möchte eben von einem Hauptschulabschlusspublikum bis hin zum Professor [35]alle erreichen“, sagte Nico Hofmann, der Produzent des Kriegsfilms „Unsere Mütter, unsere Väter“ (Fernsehfassung ZDF 2013, Kinofassung USA 2014) im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (18. März 2013). Wer möglichst hohe Zuschauerzahlen erreichen möchte, der sucht brisante Themen der kollektiven Erinnerung und erzählt sie so, dass er auf ein hohes Maß an Zustimmung stößt. Massenattraktive Filme sind deshalb tendenziell immer auch Konsensfilme, die den Publikumsgeschmack treffen und Mehrheitsmeinungen bestätigen oder sogar verstärken (→ Kap. 2.2.2). Planen lässt sich das aber nur begrenzt. Die Filmemacher können zwar an der Quote bzw. den Einspielergebnissen ihren Erfolg messen. Sie wissen aber nicht, wie ihre Filme vom Publikum rezipiert werden. Sie stehen damit nicht allein. Was das Publikum am Ende aus Geschichtsfilmen mitnimmt, kann selbst die Medienwirkungsforschung bis heute nicht ermitteln (Lindner 2007, 223). Es fehlen Kenntnisse sowohl über „Analogien zwischen filmischem Werk und allgemeiner Mentalität“, als auch über die „Prozesse der Verarbeitung […] der einzelnen Filme durch die Zuschauer im Dunkel des Kinosaals und in der Alltäglichkeit ihrer Lebenspraxis“ (Schenk 1994, 73). Soviel ist immerhin klar: Das Publikum im Kinosaal konstruiert in einem aktiven individuellen Wahrnehmungs- und Verständnisprozess aus dem tatsächlich ablaufenden filmischen Geschehen unterschiedliche Erzählungen von diesem Kinoereignis. Diese Publikumserzählungen enthalten sowohl kollektive Gemeinsamkeiten als auch individuelle Besonderheiten, abhängig von der jeweiligen Disposition der einzelnen Zuschauer. Die Gemeinsamkeiten und Besonderheiten stoßen auf Zustimmung oder Kritik, regen zum Weitererzählen und zum Diskurs an. Dabei kann es zu heftigen, nicht selten auch handgreiflichen Auseinandersetzungen kommen. Als 1930 in Deutschland der Film „Im Westen nichts Neues“ (USA 1930) nach dem gleichnamigen Roman von Erich Maria Remarque anlief, besetzte die SA der NSDAP die Kinos in den großen Städten und verhinderte die Aufführung. Sie sah in dem pazifistischen Film über den Ersten Weltkrieg einen Angriff auf die ‚deutsche Soldatenehre‘. Außerdem empfand sie es als Provokation, dass dem Film das Buch des in nationalistischen Kreisen verfemten Schriftstellers Erich Maria Remarque zugrunde lag, der Film in den USA gedreht und von einem jüdischen Regisseur inszeniert worden war.

HistorienfilmeHistorienfilme und ErinnerungsfilmeErinnerungsfilme

Die besonderen Ereignisse, die im Gedächtnis der Menschen (und Massenmedien) haften bleiben und zu lebensweltlichen Erinnerungen werden, wandern im Zeithorizont der Menschen mit. Nach etwa 80 bis 100 Jahren verlassen sie den Zeithorizont der nachwachsenden Generationen. Aus den lebendigen Erinnerungen der Zeitgenossen wird Geschichte. Filme, deren Themen sich in diesen 80 bis 100 Jahren bewegen, an die sich die älteste Generation bzw. die erste Enkelgeneration [36]noch erinnern, nennen wir im folgenden ErinnerungsfilmeErinnerungsfilme. Filme, die jenseits dieses Erinnerungshorizonts liegen, nennen wir HistorienfilmeHistorienfilme. Diese Unterscheidung halten wir deshalb für sinnvoll, weil die Erinnerungsfilme in der Regel Bestandteil von gesellschaftlichen ErinnerungsdiskursenErinnerungsdiskurs sind. Der kollektive Erinnerungsprozess ist noch nicht abgeschlossen, es wird gesellschaftlich noch um ‚Objektivität‘ und ‚Relevanz‘ der erinnerten Ereignisse gerungen (Beispiele: Wende-Diskussion, Stasi-Debatte etc.). Die HistorienfilmeHistorienfilme zeigen demgegenüber ferne Lebenswelten, die nicht mehr direkt mit zeitgenössischen Lebensgeschichten verbunden sind und deshalb auch nichts zur autobiografischen Selbstvergewisserung der Zuschauer beitragen können. Die Anknüpfungsangebote, die filmische Erzählungen dem Publikum machen, sind beim Historienfilm andere als beim szenischen Erinnerungsfilm. Beim Historienfilm knüpft das Publikum an Erzählinhalte an, die es bereits aus der Literatur oder anderen Filmen kennt und für sich als wichtig und erzählenswert markiert hat. Dabei verbindet sich meist das Interesse an fernen, ‚exotischen‘ Landschaften, die Faszination von als ‚fremd‘ wahrgenommenen Lebenswelten und das Vergnügen an abenteuerlichen Ereignissen. Die Unterscheidung von ErinnerungsfilmeErinnerungsfilmen und HistorienfilmeHistorienfilmen hat also rein pragmatische Gründe, sie entspricht der von Historikern vorgenommenen Unterscheidung von Zeitgeschichte und Geschichte, die ebenfalls verdeutlicht, dass Zeitgeschichte, begleitet durch erlebte, erinnerte und in Erinnerungsdiskursen verhandelte Geschichte, sich nach dem Ende subjektiver Zeitzeugenschaft in Historie verwandelt. Auf beide Erinnerungs-Aggregate, auf die noch formbaren, im kollektiven Gedächtnis aufbewahrten, erinnerten Ereignisse und auf die bereits geformten, zum Bestand der Geschichte zählenden historischen Ereignisse greifen die audiovisuellen Vergangenheitserzähler zu. Die Unterschiede, die sich dabei bei der Gestaltung und Rezeption ergeben, werden wir in den folgenden Kapiteln zu klären versuchen (→ Kap. 2.2.1 und 2.2.2).

Faktuales und Fiktionales ErzählenFiktionales Erzählen

Nahezu alle szenischen Geschichtsfilme legen großen Wert auf AuthentizitätAuthentizität, authentisch, Authentifizierung (→ Kap. 2.2.1) und beachten beim Erzählen das Prinzip der Kausalität. Insofern erzählen sie alle von teils tatsächlichen, teils möglichen historischen Welten. Der erzählerische Rahmen ist dadurch eingeengt, aber er lässt noch immer mehr oder weniger große erzählerische Freiheiten. Wie groß sie im Einzelnen sind, hängt davon ab, ob der Erzähler eine Geschichte mehr faktual oder mehr fiktional erzählen will. Wenn man Geschichtsfilme daraufhin untersucht, wie sie in ihren Erzählungen mit den faktischen Grundlagen von historischen Ereignissen umgehen – nämlich der Tatsächlichkeit von Zeit, Ort, Personen und Handlungsablauf – dann findet man die ganze Bandbreite zwischen fiktionalen und faktualen Erzählweisen vor.

[37]Faktuales ErzählenFaktuales Erzählen ist ein Erzählen auf der Grundlage von Tatsachen, ohne dass diese Tatsachen als solche explizit ausgewiesen werden müssten. Bei historischen Erzählungen ist der Erzähler darum bemüht, seine Erzählung eng an historische Ereignisse anzulehnen, dem Film gehen also aufwendige RecherchenRecherche, Rechercheur voraus. Faktuales ErzählenFaktuales Erzählen ist ein Erzählen möglichst dicht entlang der tatsächlichen historischen Ereignisse unter Beachtung der belegbaren Charakterzüge und Handlungen historischer Personen (Alexander, Luther etc.). Ein Beispiel für faktuales Erzählen im szenischen HistorienfilmSzenischer Historienfilm ist „1492 – Die Eroberung des Paradieses“ (USA/E 1992). Der Spielfilm erzählt von der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus. Der Protagonist und zahlreiche weiter Akteure sind historische Personen, einige weitere sind erfunden, agieren aber so, dass sie als historisch mögliche Personen wahrgenommen werden. Dem Film gingen umfassende historische RecherchenRecherche, Rechercheur voraus (Schauplätze, Kleidung, Ernährung, Verhaltensweisen, etc., in der erzählten Zeit) und es wurden nicht nur zahlreiche Quellen, sondern auch die umfangreiche Sekundärliteratur studiert. Der Film war also von vorneherein als faktualer Spielfilm konzipiert. Das zeigt sich bei der filmischen Umsetzung: die Personenkonstellation und die Handlungsabläufe sind weitgehend korrekt, Raum und Zeit wirken authentisch (Menninger 2010, passim). Eine vergleichbare dokumentarische Herangehensweise beim Spielfilm zeigen auch Filme wie „Der Untergang“ von Oliver Hirschbiegel (D 2004), „Alexander“ von Oliver Stone (F/USA/GB/D/NL 2004) oder „Rommel“ von Ulrich Stein (D 2012). Das faktuale Erzählen liegt seit der Jahrtausendwende im Trend; mittlerweile kann sich jeder Zuschauer über Wikipedia schnellstens darüber informieren, wieviel Wahrheit und wieviel Dichtung im historischen Film steckt. Filme mit historischen Personen schränken die Erzählfreiheit deutlich ein, weil auch die Konflikte und Handlungsabläufe stimmen müssen.


Abb. 2 Ulrich Tukur als „Rommel“ in dem gleichnamigen Fernsehfilm der ARD (2012).

Fiktionales ErzählenFiktionales Erzählen findet in Geschichtsfilmen dann statt, wenn die Lebenswelt einer bestimmten historischen Epoche im Film zwar authentischAuthentizität, authentisch, Authentifizierung konstruiert wird, die Ereignisse und Personen aber frei erfunden sind. Es entstehen hier mögliche historische Welten ohne historisches Personal. Fiktionales ErzählenFiktionales Erzählen [38]gibt dem Regisseur mehr Gestaltungsfreiheit. Die meisten szenischen Geschichtsfilme erfinden fiktive Personen, weil Charaktere, Konflikte und Ereignisse nach den dramaturgischen Vorstellungen des Regisseurs ohne Rücksicht auf historische Tatsachen gestaltet werden können. Das wird in vielen Textvorspännen auch ausdrücklich eingeräumt. Fiktionales ErzählenFiktionales Erzählen befreit Autor und Regisseur von der Beachtung des PersönlichkeitsrechtPersönlichkeitsrechts und von Nutzungs- und UrheberrechtUrheberrechten bei Personen der Zeitgeschichte und der von ihnen vorhandenen fotografischen oder filmischen Dokumente.

Spielfilme beruhen auf DrehbüchernDrehbuch, die meist Adaptionen von Romanen, Novellen oder Kurzgeschichten sind. Diese haben sich in der Regel bereits bei einem großen Publikum bewährt. Auf der Basis einer erfolgreichen literarischen Vorlage fällt es den Filmproduzenten naturgemäß leichter, die Risiken der szenischen Verfilmung eines historischen Stoffes einzugehen. Denn die audiovisuelle authentischeAuthentizität, authentisch, Authentifizierung Darstellung vergangener Lebenswelten verursacht Kosten in oft zwei- bis dreistelliger Millionenhöhe. Anders als die Geschichtsdokumentationen können die szenischen Geschichtsfilme keine visuellen Lücken lassen, wenn ihnen die visuellen Quellen fehlen, sie müssen sie kreativ mit inszenierten Bildern füllen. Und sie können und wollen auch kein Archivmaterial benutzen, weil das die Illusion der Gegenwartserzählung stören würde; sie wollen alles aus einer Hand und in einheitlichem ‚Look‘ neu drehen, damit die konstruierte mögliche Vergangenheitswelt vom Publikum als ‚echte‘, ‚authentische‘ Lebenswelt wahrgenommen wird. Diese Erzählweise ist schon immer die des Kinofilms gewesen. Ihr geht es nicht zuerst um Information und Aktualität, sondern um Imagination und Phantasie.

1 343,56 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
388 стр. 15 иллюстраций
ISBN:
9783846346617
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают