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ELENA

Als ich am Mittwoch von der Arbeit nach Hause kam, war meine Stimmung schlecht. Mein Vater war schon vorgegangen und hatte mich noch gebeten, Reis einzukaufen, da wir mit Grace und Luke fünf Leute sein würden und nicht nur drei.

Mein Vater war genauso schlecht gelaunt wie ich, doch weder er noch ich trauten uns, über die Revolution zu diskutieren. Ich wartete jeden Tag darauf, von irgendjemandem zu hören, dass etwas passiert war. Jemand war spurlos verschwunden, jemand war verhaftet worden, jemand hatte sich verletzt … Doch nichts passierte.

Ich begann mich zu fragen, ob meine Mutter recht hatte. Vielleicht war meine Angst ja umsonst und diese neue Gruppierung würde uns am Ende befreien. Vielleicht würde ich eines Tages zur Tür hinausgehen und alle würden auf der Straße tanzen und die Freiheit feiern. Ich versuchte die Bilder, die stattdessen in meinem Kopf herumgeisterten, zu vertreiben und mich auf diese Hoffnung zu konzentrieren, die meine Mutter offenbar hatte.

Als ich gedankenverloren durch unsere schäbige Haustür trat, war ich nicht darauf vorbereitet, ein freudiges »Hallo, Elena!« zu hören.

Eine Sekunde später fiel mir Grace um den Hals und ich hatte Schwierigkeiten, mein Gleichgewicht wiederzufinden. »Grace!«, krächzte ich. »Ich krieg keine Luft.«

»Oh!« Lachend ließ sie mich los. »Wie geht’s dir? Ich und Luke sind gerade erst angekommen.« Sie nahm mir den Reis ab und platzierte ihn auf dem Ofen, während ich Luke begrüßte.

»Mehr oder weniger gut. Danke der Nachfrage. Aber erzähl! Wieso seid ihr jetzt schon da? Ich dachte, ihr kommt nicht vor Freitag?«

»Das dachten wir auch«, meinte Luke.

»Bis wir erfahren haben, dass der Arzt endlich ein billigeres Röntgengerät besorgt hat. Es hat zwar schlechte Qualität …«

»Echt schlecht. Da sieht man gar nichts, wenn man keine drei Doktortitel hat«, warf Luke ein.

Grace warf ihm neckisch einen wütenden Blick zu und fuhr dann fort: »Also, schlechte Qualität. Jedenfalls hat er ein Röntgen gemacht und er hat gesagt, dass keine Gefahr besteht, wenn er sich nicht überanstrengt.«

»Das ist ja super, Schatz!«, meinte meine Mutter.

Sie klang so fröhlich wie seit Monaten nicht mehr und auch meine schlechte Laune war verflogen. Ich liebte Grace und Luke dafür, dass sie früher gekommen waren. Ich war mir nicht sicher, wie lange ich hier noch durchgehalten hätte, ohne durchzudrehen.

»Gibt’s bei euch irgendetwas Neues?«, fragte Grace.

»Nicht wirklich. Ich habe immer noch keinen Freund, obwohl ich ja jetzt in dem Alter bin«, antwortete ich sarkastisch. Grace und Luke lachten. Die Augen meiner Mutter blitzten.

»Nein, eigentlich nicht. Ihr seid die größte Neuigkeit. Die Fließbänder in der Fabrik laufen noch in die gleiche Richtung. Der Brunnen hat noch Wasser. Der Reishändler Reis.« Mein Vater zuckte mit den Schultern.

Grace und Luke grinsten.

»Gibt es bei euch sonst noch was Neues?«, fragte meine Mutter wieder.

»Nichts Weltbewegendes«, antwortete Luke.

»Wir haben einen neuen Arbeitgeber.« Grace zuckte mit den Schultern. »Er hat unsere Fabrik übernommen, scheint aber nichts ändern zu wollen. Es läuft also alles gleich. Man darf nur nicht vergessen, ihn mit dem richtigen Nachnamen anzusprechen.«

Luke lachte. »Das ist mir wirklich letztens passiert. Das ‚Herr Zync‘ war schon fast draußen, als ich mich gefangen hab und doch noch umgeschwungen bin auf … Warte, wie heißt er jetzt nochmal?«

Wir lachten. Grace verdrehte die Augen. »Herr Walters.«

Luke nickte gewichtig. Grace verdrehte noch einmal die Augen. Dann nahm sie seine Hand.

»Sollen wir irgendwo helfen?«, fragte sie und lächelte. Sie war immer so verdammt hilfsbereit.

»Genau, ich kann Holz hacken oder so«, fügte Luke hinzu. Sie ergänzten sich natürlich wie immer perfekt.

»Das wäre toll. Und Grace, du kannst mir im Haushalt helfen. Dann kann El ja mal waschen.«

Brrr. Das Wasser würde eiskalt sein. Und wenn man nur ein T-Shirt und nur eine Hose hat, dann muss man sie logischerweise ausziehen, um sie zu waschen. Und nachher nass wieder anziehen. Ich seufzte. Außerdem durften wir nur eine bestimmte Menge an Wasser benutzen, daher wuschen wir alle Kleider in demselben Bottich.

»Ist okay.« Ich wollte mir Grace zum Vorbild nehmen. Vielleicht würde das ja etwas nützen. Mein Vater und meine Mutter gaben mir ihre Sachen und wickelten sich in Decken. Ich setzte mich mit einem Wasserkübel hinters Haus.

Ich hatte zwar wieder einmal viel Zeit zum Nachdenken, aber da ich nicht an irgendetwas Negatives denken wollte, war mir diese Pause weit weniger recht als das Holzhacken. Außerdem fror ich. War es kälter geworden? Vermutlich nicht, aber es kam mir so vor.

LEANDER

Ich erwachte mit dem Gefühl, dass irgendetwas ganz fürchterlich schief gegangen war. Ich fühlte mich so … anders. Sollte das so sein?

Dann erinnerte ich mich wieder. Unsterblichkeit. Ich versuchte, mich an die letzten paar Stunden zu erinnern, aber das Letzte, das ich noch wusste, war, wie Maria sich über mich gebeugt und gesagt hatte: »Mach einfach die Augen zu. Vertrau mir.« Ich hatte zwar die große Spritze in ihrer Hand kritisch beäugt, aber dann hatte ich an meinen disziplinierten Vater gedacht und die Zähne zusammengebissen. Meine Lider schlossen sich und dann … nichts. Ich wusste es nicht mehr. Hoffentlich war alles gut gegangen.

Ich atmete tief durch, wobei ich bemerkte, wie anders das klang. Ich konnte hören und spüren, wie die Luft meinen Hals hinauf und hinunter strömte. Dann öffnete ich meine Augen.

Ich lag in einem anderen Zimmer. Vermutlich hatte Maria mich die Wendeltreppe hinaufgetragen, denn links von mir erstreckte sich eine Glasfront. Ich lag in einem bequemen Bett und Maria saß am anderen Ende des Raumes. Wieder sagte sie nichts. Sie sah mir einfach nur zu. Ich blinzelte noch einmal. Alles war so … detailreich. Es war kein großer Unterschied, aber ich konnte sehen, wie sich die Lichtstrahlen an den Glasscheiben brachen. Wie sich Marias Brust beim Atmen hob und senkte. Ich konnte im Holzboden ganz neue Muster entdecken.

Die Lampe, die genauso aussah wie die im Zimmer darunter, schien einzelne Lichtstrahlen zu werfen und nicht nur einen Lichtkegel. Maria blinzelte. Ich konnte aus fünf Metern Entfernung hören, wie sie Luft holte.

»Guten Nachmittag«, sagte sie leise. Ich konnte sie ganz klar hören. Intuitiv merkte ich mir, an welchen Stellen ihre Stimme nach oben ging und an welchen nach unten. Maria lächelte und legte den Kopf schräg.

Ohne darüber nachzudenken, analysierte ich den Winkel zwischen ihrem Kopf, ihren Schultern und ihren Mundwinkeln.

Dann stand sie auf und zog die hauchdünnen Vorhänge auf. Meine Augen beobachteten jeden ihrer Schritte. Ich analysierte, wie sie ihre Füße abrollte. Wie sie ihr Gewicht verteilte. Doch dann sah ich hinaus und alles war vergessen.

Ich konnte jedes Blatt auf dem Baum vor dem Fenster sehen. Ich konnte auf die nächsten 500 Meter jede Baumart bestimmen. Ich konnte abschätzen, auf wie viel Meter Seehöhe die Hügel lagen. Ich konnte trotz der unterschiedlichen Entfernungen ganz klar sagen, welcher Baum der höchste im ganzen Wald war. Es war eine Kiefer, vielleicht siebzig Jahre alt. Ich wusste, welcher Berg der höchste war. Ich konnte sehen, wie die Sonnenstrahlen, die von der Hauswand reflektiert wurden, in den Wald zurückfielen. Es war nur eine Andeutung. Eine hellere Stelle, aber das genügte meinen scharfen Augen.

Ich sah zu Maria. Sie hatte sich wieder in den Couchsessel gesetzt. Ich hatte das nicht aktiv bemerkt, aber es überraschte mich auch nicht. Vermutlich hatte mein Unterbewusstsein registriert, dass sie sich hingesetzt hatte.

»Es ist viel zu verarbeiten. Ich weiß. Lass dir ruhig Zeit.«

Ich nickte und passte mich dabei automatisch ihrem für mich jetzt zu langsamen Tempo an. »Ist … Ist alles gut gegangen?«

Sie sah kurz zu Boden. Ich hörte, wie mir die Luft im Hals steckenblieb.

»Es gab eine kleine Komplikation. Aber es scheint alles zu stimmen. Deine Vitalwerte sind normal. Aber ich werde dich nachher noch einmal untersuchen müssen.« Sie rang sich ein Lächeln ab. Ich sah, wie künstlich es wirkte. »Du wirst wohl noch etwas hierbleiben müssen.« Diesmal wirkte ihr Lächeln echter. Ich war trotzdem nicht beruhigt. Ich sah aus dem Fenster.

»Es tut mir leid«, murmelte sie. Ich drehte mich zu ihr um. Wieder hatte sie den Kopf gesenkt. Ich hörte, wie sie ganz bewusst tief Luft holte.

»Was ist passiert?«, fragte ich.

Sie schluckte und sah auf. Sie machte eine müde Geste mit der Hand. »Die Technik hatte einen Ausfall. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Ich hatte Glück, dass ich es rechtzeitig bemerkt habe. Wenn nicht …« Sie sprach nicht weiter, doch schließlich murmelte sie so leise, dass ich es vor ein paar Stunden sicher nicht einmal bemerkt hätte: »Das wäre unschön gewesen.«

Sie sah wieder zu Boden. Ich schwieg. Diesmal war die Stille schwer wie Blei. Ich schluckte noch einmal. Wenn etwas nicht in Ordnung wäre … Ich wollte gar nicht daran denken. Ich dachte daran, dass sich vorher alles so schrecklich falsch angefühlt hatte.

Ich hörte etwas, das wie ein Schluchzen klang. Ich sah Maria an. Sie hatte ihr Gesicht in die Hände gelegt. Ich wartete ein paar Minuten, doch langsam bekam sie sich wieder in den Griff.

»Hey, es ist ja nicht deine Schuld. Ich hatte Glück, dass du da warst.«

Sie sagte nichts, doch ihr Atem normalisierte sich.

»Wenn du so weit bist, dann würde ich gerne ein paar Tests durchführen.«

Ich nickte und schlug die Decke zurück. Ich ging die Wendeltreppe hinunter und Maria folgte mir. Ich erkannte am Klang, dass es Holzstufen waren. Komisch, früher hätte ich meine jetzt so leisen Schritte auf keinen Fall gehört. Ich schüttelte den Kopf.

Konzentration, mahnte ich mich. Dann setzte ich mich auf den Sessel. Um mich herum erschienen holografische Bildschirme und zeigten meinen Herzschlag, meinen Atemrhythmus und alle möglichen anderen Vitalzeichen.

Maria warf einen schnellen Blick auf die Bildschirme, ihre Augen scannten jeden einzelnen und blieben schließlich an mir hängen. Sie lächelte unsicher.

»Sieht alles ganz gut aus.«

»Siehst du?«, sagte ich, obwohl auch mir eine Last von den Schultern fiel.

»Ich hatte es mir ohnehin gedacht, aber …« Sie beendete ihren Satz nicht. »Na ja … So, fangen wir an. Wir wollen alle Möglichkeiten ausschließen.«

Mein Herzschlag beschleunigte sich. Ich konnte es auf dem Bildschirm sehen. Ich atmete tief durch. Er normalisierte sich wieder. Trotzdem fühlte ich mich nervöser als zuvor.

»Also …«, fing Maria an, »halte bitte den Atem an.«

Neben ihrer Hand schwebte ein holografisches Tablet, das eine Stoppuhr zeigte.

Mein Atem setzte aus.

ELENA

Meine Mutter, mein Vater, Grace, Luke und ich saßen beim Abendessen. Ich hatte fast den ganzen Morgen mit dem Waschen der Wäsche verbracht und war dann um acht in die Fabrik gegangen. Wenigstens war ich jetzt erst mal für eine Zeit vom Wäschewaschen befreit. Für mindestens drei Tage. Ich seufzte.

Das Abendessen war alles andere als normal. Wenn wir nur zu dritt waren, dann sprachen wir normalerweise nicht. Doch Grace und Luke lachten und scherzten und mein Vater stieg schnell ein. Auch ich und meine Mutter mussten lachen, als Luke das Gesicht verzog und mit verstellter Stimme einen Witz erzählte. Ich grinste. Luke hätte jeden Witz erzählen können. Seine Stimme war großartig und sein Gesicht war so unglaublich lustig.

Meine Mutter klopfte ihm scherzhaft auf den Kopf. Sie war immer angespannt, wenn Grace und Luke zu Besuch waren, aber heute wirkte sie fröhlicher als sonst. Vielleicht war sie ja endlich über die Heirat ihrer Tochter hinweggekommen.

»Also wirklich, Luke!«

Wir lachten, als Luke ein übertrieben enttäuschtes und verletztes Gesicht aufsetzte und mit weinerlicher Stimme »Aber, Mama!« rief.

Ich konnte mich kaum noch halten vor Lachen. Wenn Luke ein Adeliger gewesen wäre, dann hätte er damit bestimmt Geld verdienen können.

Schließlich verzog sich sogar Lukes Gesicht zu einem Lächeln und am Ende lachte er genauso los wie wir anderen auch.

Ich sah, wie meine Mutter sich unauffällig wegdrehte. In der Hütte war es dunkel, doch ich glaubte, etwas auf ihrer Wange glitzern zu sehen. Offenbar war sie doch noch nicht so weit. Ich fragte mich, ob ich sie auch eines Tages zum Weinen bringen würde, wenn ich auszog. Ich hatte ja noch Zeit, dachte ich, bezweifelte aber gleichzeitig, dass meine Mutter in den nächsten Jahren plötzlich ihre Meinung ändern würde. Heirat bedeutete schließlich Ausziehen und Ausziehen bedeutete weniger Geld und Essen für alle.

Da fing Grace plötzlich an zu summen und Luke spielte uns einen Sketch zu Graces Musik vor. Ich vergaß meine Sorgen, als ich das Lächeln meiner Mutter sah, und entspannte mich. Ich hatte seit Ewigkeiten nicht mehr so gelacht.

Als die Dunkelheit hereinbrach, zog Grace eine Kerze aus ihrem Sack. In ihrem Schein saßen wir noch lange zusammen. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals so lange aufgeblieben zu sein. Als die Kerze schließlich heruntergebrannt war, sah man bereits den ersten hellen Schimmer am Horizont.

Wir legten uns schlafen, obwohl ich mir sicher war, dass ich viel zu wenig Schlaf bekommen würde.

Am nächsten Morgen jedoch hörte ich meine Mutter früh in der Küche rumoren, aber ich schlief aufgrund meiner Müdigkeit wieder ein.

Kurz darauf erwachte ich panisch. Ich musste doch Wasser holen, Reis kaufen und in die Fabrik! Ich riss meine Decke so schnell zurück, dass sie meinen Vater im Gesicht traf. Er drehte sich im Schlaf um. Wieso schlief er noch? Wieso hatte meine Mutter uns nicht schon lange geweckt?

Hellwach warf ich mich in mein Gewand und eilte hinaus an den Ofen. Meine Mutter stand seelenruhig davor und murmelte vor sich hin. Sie kochte Reis. Ein Kübel mit Wasser stand bereits in der Ecke und der Tisch war gedeckt. Von draußen kamen Sonnenstrahlen herein. Es musste schon total spät sein!

Da bemerkte meine Mutter mich. »Oh, Morgen, El! Ich wollte dich noch etwas schlafen lassen.« Ihr Tonfall war entspannt, ihre Miene heller, als ich es gewohnt war.

»Wo kommt das Wasser her?«, fragte ich verwirrt. Träumte ich? Ich zwickte mich in den Arm. Es tat weh. Ich rieb mir die wunde Stelle und ärgerte mich über mich selbst.

»Oh, Morgen, Schwester!« Ich blickte auf. Grace streckte den Kopf zur Tür herein. »Luke und ich waren nicht ganz untätig, wo wir euch doch gestern den Schlaf geraubt haben.« Sie lächelte.

»Wie spät ist es?«, fragte ich verblüfft.

Grace zeigte auf die große, schmutzige und vor allem sehr laute Uhr, die in der Ecke auf einem alten Schemel stand. Sie zeigte fünf vor sieben. Ich musste normalerweise um acht in der Fabrik sein und verließ daher zehn Minuten vor acht das Haus.

»Wann bist du aufgestanden?«, fragte ich Grace ungläubig.

Sie lachte über meinen Gesichtsausdruck. »Halb fünf.«

»Aber wir sind doch erst um vier schlafen gegangen!«, rief ich entsetzt. »Warum habt ihr mich nicht geweckt?!«

»Immer mit der Ruhe, Schwesterherz!« Grace zwinkerte mir zu und ich hörte, wie Luke von draußen rief: »Schatz, wo bleibst du?«

Meine Schwester verdrehte die Augen und entschuldigte sich. »Luke kann auch wirklich nichts allein. Sogar zum Dachdecken braucht er Hilfe.« Gespielt verzweifelt warf sie die Hände in die Luft und verschwand dann aus der Türöffnung. Ich hörte noch, wie sie Luke zurief: »Was hast du denn schon wieder angestellt, nicht eine Minute kann man dich alleine lassen! Also wirklich! Sooooo geht das!« Sie lachten beide.

Ich drehte mich zu meiner Mutter um. »Was machen sie?« Sie lächelte. »Die beiden sind so lieb und decken die Hütte mit neuen Planen ab.«

»Und was soll ich tun?«

»In etwa zehn Minuten gibt es Essen. Du kannst den Fußboden aufwaschen.«

Ich holte einen alten Fetzen aus der Ecke und machte mich an die Arbeit. Die ganze Zeit über hörte ich Luke und Grace draußen scherzhaft streiten. Manchmal lachte ich sogar mit. Ich konnte nicht anders.

Ich merkte jedoch, dass meine Mutter nicht mitlachte. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass ihre Finger weiß waren, weil sie den Kochlöffel so fest gepackt hatte. Ihre Stirn war in Falten gelegt und sie biss sich auf die Lippe. Das Lachen blieb mir im Hals stecken.

LEANDER

So, das war es dann erst einmal«, bemerkte Maria. »Und?«, fragte ich und versuchte, nicht ungehalten zu klingen. Sie hatte den ganzen Tag Tests an mir durchgeführt und mir immer noch kein Ergebnis mitgeteilt.

Sie schien zwar entspannt zu sein, aber die Entspannung konnte sie mir auch nur vorspielen. Bei Unsterblichen wusste man nie. Und jetzt war ich einer von ihnen. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Das hing vermutlich vom Ergebnis der Tests ab.

»Die Dosis, die ich dir – unabsichtlich – verabreicht habe, war ein bisschen höher als normal. Allerdings noch innerhalb des akzeptablen Bereichs. Du wirst vielleicht ein paar Schwierigkeiten haben, dich an das neue Leben zu gewöhnen. Es ist möglich, dass deine Begabungen entweder stärker ausgeprägt sein werden oder früher auftreten. Vielleicht auch beides.«

Ich musste das erst einmal verdauen. Ich fragte mich, was als »stärker ausgeprägte Begabung« galt. Ich dachte kurz an Laserstrahlen und schüttelte dann unmerklich den Kopf über mich selbst.

»Das ist doch gut, oder?«, fragte ich Maria.

Diesmal wirkte ihr Lächeln echt, und als sie antwortete, schien jede Anspannung verschwunden zu sein: »Wir hatten großes Glück. Aber du hast recht, laut diesen Messwerten bist du völlig gesund.«

Ich setzte mich langsam auf, wobei es mir schwerfiel, mich an Marias Geschwindigkeit anzupassen. Ich hatte noch nie erlebt, dass sich ein Unsterblicher oder eine Unsterbliche schneller als normal bewegt hätte. Nur langsamer. Komisch. Ich fühlte mich, als könnte ich dieselbe Bewegung auch doppelt so schnell machen.

Als ich schließlich auf den Füßen stand, ging ich zu Maria hinüber und schlang ihr meine Arme um den Hals. Ich hatte kurz Angst, dass sie diese untypische Geste missverstehen würde, da mir ihr kurzes Zögern nicht entging, doch dann lachte sie und erwiderte die Umarmung.

Als wir uns schließlich losließen, bedankte ich mich sofort bei ihr.

Sie winkte ab: »Ich weiß nicht, warum die Technik ausgefallen ist. Das System gilt als unfehlbar … Allerdings war die Titanic ja auch nicht so unsinkbar wie behauptet.« Sie lachte. Ich stimmte ein.

»Trotzdem. Du hast vermutlich mein Leben gerettet.«

»So extrem würde ich es nicht formulieren, aber wie auch immer, das ist ja mein Beruf.«

Nach einer kurzen Pause ging sie schließlich zu den holografischen Bildschirmen hinüber und verschob sie. Ich sah, wie sie die Einstellungen öffnete.

Ich trat neben sie und nahm meinerseits einen Bildschirm in Augenschein. Er schwebte auf konstanter Höhe in der Luft und schien normal zu funktionieren. Ich tippte ihn an.

Auf einmal wurde alles schwarz. Die Deckenlampe flackerte ein paar Mal und ging dann wieder an. Ich sah mich um. Maria stand wie versteinert da und starrte die Bildschirme an. Sie waren allesamt schwarz, meiner ebenfalls. Innerhalb des Hologramms zuckten Blitze. Auch Maria hatte sie gesehen. Sie warf mir einen vielsagenden Blick zu.

Ich starrte geschockt auf meine Fingerspitzen. War ich das gewesen? War es meine Begabung, Stromausfälle herbeizuführen oder war das ein Zufall gewesen?

Maria machte ihren Mund auf, schloss ihn wieder, räusperte sich und sagte dann mit wiedergewonnener Stimme: »Ich glaube, ich weiß jetzt, was zu dem Technikausfall geführt hat. Ich habe eine deiner Begabungen entdeckt.«

Als wollten sie das unterstreichen, gingen die Bildschirme wieder an. Meiner blieb schwarz, mit zuckenden Blitzen darin. Ich streckte meine Hand danach aus und sah dann Maria fragend an.

Sie nickte. Ich berührte sanft den Bildschirm. So vorsichtig ich konnte, strich ich darüber. Nichts. Die Blitze schienen mir nichts auszumachen. Die anderen Bildschirme blieben – ebenso wie das Licht – aufgedreht, doch dieser blieb schwarz.

Vorsichtig zog ich meine Hand wieder zurück. Maria schwieg. Schließlich sagte sie: »Ich weiß nicht, ob der noch zu retten ist, aber wenn du noch einmal etwas in die Luft jagst, wäre es mir lieber, wenn du das draußen tätest.« Ihr Gesicht war eine Maske.

»Kommt so etwas öfter vor?«, flüsterte ich.

Sie antwortete auch etwas leiser, flüsterte aber nicht. »Technische Begabungen sind durchaus nicht selten. Ich habe aber noch kein so starkes, destruktives Talent erlebt.« Schließlich setzte sie hinzu: »Komm, ich möchte etwas versuchen.« Sie verschwand zur Tür hinaus, und als ich meinen Körper wieder unter Kontrolle hatte, folgte ich ihr mit zitternden Knien. Sie kam gerade aus einem anderen Zimmer. In der Hand hielt sie alt aussehendes technisches Equipment. Eine Kamera mit Stativ, einen Computer, etliche Kabel und diverse, für mich unidentifizierbare Elektrogeräte.

Ich zog eine Augenbraue hoch.

»Ich will wissen, was passiert, wenn du wirklich versuchst, absichtlich etwas zu zerstören.«

Ich blieb wie angewurzelt stehen. War ihr die Vorführung im Zimmer nicht genug gewesen?

»Was, wenn ich jemanden verletze?« Meine Stimme war blank.

»Ich werde beiseite gehen«, sagte sie unbeeindruckt. Ich erinnerte mich daran, dass sie mir erzählt hatte, dass sie in schwierigen Situationen nur selten den Kopf verlor.

Sie hielt mir wortlos die Tür nach draußen auf. Ich setzte meine Beine in Bewegung und ging vor ihr nach draußen.

Vor der Tür waren meine Sorgen für eine Sekunde völlig vergessen. Alles war so … scharf. Ich spürte jeden Windhauch, während die Kälte überhaupt nicht so schlimm schien. Ich konnte die Temperatur problemlos bestimmen, ich fühlte sie auf der Haut, doch sie war nicht richtig unangenehm. Sie stellte für meinen Körper keine Gefahr mehr dar.

Zum Glück war Merlin nicht zu sehen, ich wollte ihn nicht auch noch kaputt machen. Ich fragte mich abwesend, was er wohl machte.

Hinter mir fiel die Tür ins Schloss. Maria ging an mir vorbei hinaus auf den leeren Parkplatz. Dort baute sie das technische Equipment auf.

Ich stand daneben und fühlte mich unnütz. Ich hätte ihr ja geholfen, wenn ich nicht Angst gehabt hätte, alles in die Luft zu jagen, während Maria danebenstand.

Als sie fertig war, trat sie zurück und deutete mir mit einer Handbewegung, dass ich anfangen sollte.

In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Ich wollte Maria nicht verletzen. Kühler Kopf hin oder her – sollte sie nicht noch einen Schritt zurücktreten?

»Mach schon«, flüsterte sie.

Unsicher hielt ich meine Hand an die Geräte. Nichts.

»Du sollst nicht versuchen, nichts kaputt zu machen, sondern alles. Lass deinen Gefühlen freien Lauf. Lass deine Energie durch das System jagen.«

Ich sah sie an und machte deutlich, dass ich ihren Geisteszustand für fragwürdig hielt, doch dann berührte ich wieder den Bildschirm eines alten Computers.

Diesmal schickte ich in Gedanken meine Energie aus und bekam sofort eine Rückmeldung. Ich konnte jedes Kabel, jeden Draht, jede Platine und jeden Speicher spüren. Ich versuchte, wütend zu werden. Es fiel mir nicht schwer. Musste ausgerechnet ich ein Talent haben, das mein Leben gefährdete? Und Marias? Ich bündelte meine Wut und schrie auf.

In diesem Moment jagte ein Stromstoß durch die Kabel. Funken stoben auf, ein Kabel fing Feuer und ein Miniblitz schlug durch das Kamerastativ in den Boden ein, wo er einen schwarzen, rauchenden Fleck hinterließ.

Maria war stocksteif wie eine Statue, aber unverletzt. Ich jedoch war außer mir vor Wut.

Die Anspannung der letzten paar Stunden machte sich nun bemerkbar. Ich hatte fast mein Leben verloren, die Geräte im Haus ausgeschaltet, den Parkplatz angezündet und einen Blitz hervorgerufen. Und Maria stand einfach daneben! Als wäre das hier ein gelungenes Experiment!

Ich hatte kein einziges Gerät berührt, aber ein Blitz schoss aus meiner Hand und setzte die noch nicht brennenden Geräte in Brand. Ich hörte es knallen und knacken, als mehrere Maschinen explodierten. Wieder schlug ein Blitz aus dem Stativ in den Boden ein. Diesmal schmolz die Glas-Holz-Mischung am Boden zu einer Lache.

Sekunden später stand ich inmitten einer brennenden Elektroschrotthalde.

Diesmal sah auch Maria verschreckt aus und trat einen Schritt zurück. Meine Wut verrauchte und ich fragte mich leicht nervös, wie ich aus den Flammen wieder herauskommen sollte. Unverletzt, wenn möglich.

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