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Ansonsten hatte sie ihm alles gegeben, was er wollte. Sie hatte ihn sogar verwöhnt, so gut, wie es gegangen war. Kinder hätten da bloß gestört.

5. Kapitel

Für den Nachmittag hatte sich Michélle umgezogen, kurzer Rock, tiefer Ausschnitt, BH mit Einblick.

Wenn dieser Hans Biehler sie trotzdem abzuwimmeln versuchte, dann musste er ein sehr schlechtes Gewissen haben, dachte sie.

Er wirkte für einen Neunzigjährigen erstaunlich lebendig. Ohne Stock oder etwas dergleichen, war er an die Tür gekommen, um zu öffnen.

Auch sein Interesse für die Weiblichkeit war noch keineswegs erloschen, wie Michélle befriedigt feststellte. Auf jeden Fall rückte er seine Brille zurecht, bevor er zur Seite trat, um sie einzulassen. Er führte sie auf einen gedeckten Balkon, wo ein Tisch mit zwei Stühlen stand. Also hatte er ab und zu Besuch, schloss Michélle daraus.

Ohne Umstände bot er ihr ein Glas Wein an. Michélle ließ sich nicht zweimal bitten. Während er eine Flasche holte, richtete sie das Aufnahmegerät ein, stellte auf beiden Seiten des Tisches ein Mikrofon auf.

Hans stutzte kurz, als er zurückkam. „Sie wollen mich aufnehmen?“, fragte er.

„Ja, möchte ich gerne! Wenn Sie es erlauben?“, antwortete Michélle mit sanfter Stimme. Ein mehrfacher Augenaufschlag unterstrich die Dringlichkeit ihres Wunsches.

„Nicht, dass mich das stört“, antwortete er vorsichtig. „Es ist nur ungewohnt. Ich glaube, ich klinge komisch auf Band.“

Michélle lächelte ihn an. „Das denkt jeder, der sich zum ersten Mal selbst hört. Es klingt für alle anderen jedoch genauso, wie Sie sonst sprechen, da müssen Sie sich keine Sorgen machen.“

An seinem Gesicht war abzulesen, dass er nicht begeistert war. Er nickte dann aber trotzdem. „Von mir aus“, brummte er dabei.

Michélle war sich sicher, dass sich ihre Aufmachung schon zum ersten Mal bezahlt gemacht hatte.

Nach dem Anstoßen und dem ersten Schluck schaltete sie das Gerät ein. „Sie haben ja sicher von den Knochenfunden im Keller der Brändles gehört, Herr Biehler?“

Er nickte. Michélle deutete auf das Mikro, er beugte sich herunter. „Ja, ich habe davon gehört“, bestätigte er.

Michélle schaltete kurz ab. „Sie können ganz normal antworten. Wenn Sie nahe rangehen, wird es dann beim Abspielen zu laut“, erklärte sie ihm.

„Ist halt ungewohnt. Ich habe es ja gleich gesagt“, brummte er.

„Am besten vergessen Sie einfach, dass das Band läuft“, schlug sie vor.

Er zuckte mit den Schultern, sie fuhr fort. „Kennen Sie das Haus, Herr Biehler?“

„Ja, das kann man so sagen. Ich bin schließlich schon oft daran vorbeigegangen.“

„Waren Sie auch einmal im Haus?“

„Ich glaube nicht oder vielleicht doch einmal. Auf jeden Fall weiß ich nicht, wie es drinnen aussieht, wenn Sie das meinen.“

„Die Brändles kennen Sie, Herr Biehler?“

„Ja, ihn, vom Sehen im Gasthaus. Aber lassen Sie doch bitte den Herrn weg! Sagen Sie einfach Hans, das wird mir sonst peinlich.“

Michélle nickte. „Gerne, Hans. Und die Familie, die früher dort gewohnt hat?“

„Den Ewald? Ja klar, den hat hier jeder gekannt.“

Michélles Miene hellte sich auf. „Herr Wallner war bekannt? In welcher Art?“

„Der bedeutendste Kriegsheld in unserer Gegend. Zweimal verwundet, Eisernes Kreuz, unbeugsam, dem wollte niemand in die Quere kommen.“

„Und seine Frau, die Anette?“

„Ja, die Anne. Sie war eine sehr schöne Frau. Zwei Kinder haben sie gehabt.“

„Wissen Sie die Namen der Kinder auch noch, Hans?“

„Nein, von den Kindern nicht. Es waren, glaube ich, zwei Mädchen.“

„Das ist richtig, Helene und Hildegard.“

Hans genehmigte sich einen guten Schluck, dann nickte er. „Jetzt, wo Sie es sagen.“ Er schien kurz nachzudenken. „Weshalb fragen Sie mich eigentlich, wenn Sie das schon wissen, Frau Steinmann?“

„Weil das leider so ziemlich das Einzige ist, das wir wissen“, gab Michélle zurück.

„Und jetzt denken Sie, dass diese Knochen von den Wallners stammen?“, fragte Hans.

„Ja, das ist das Wahrscheinlichste. Auch wenn die DNA- Analyse noch nicht vorliegt, gehen wir davon aus, dass es sich bei den Toten um eine ganze Familie handelt. Ob es die Wallners gewesen sind, wissen wir erst sicher, wenn wir Vergleichsproben von Verwandten auftreiben können“, erklärte Michélle.

„Auch wenn ich nicht weiß, was das für eine Analyse sein soll, ich denke nicht, dass Sie damit den Namen der Leute herausfinden können, oder?“

„Nein, natürlich nicht!“, bestätigte Michélle. „Nur ob und wie sie verwandt waren. Das heißt, die Kinder mit beiden Erwachsenen, diese jedoch nicht miteinander, dann handelt es sich um eine Familie. Erst wenn wir weitere lebende Verwandte untersuchen können, führt das möglicherweise zu einem Namen. Wissen Sie vielleicht, ob sie Verwandte gehabt haben, Hans.“

„Verwandte?“, überlegte er. „Hier in der Gegend auf jeden Fall nicht, das müsste ich wissen.“

„Schade!“ Michélle zuckte mit den Schultern.

„Wenn ich Ihre Reaktion richtig verstanden habe, Hans, dann sind Sie nicht der gleichen Meinung wie wir?“, fuhr sie fort.

„Ja das ist richtig, Frau Steinmann! Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ewald sich und seine Familie umgebracht hat. Und auch noch so kurz vor Kriegsende. Wir wussten, dass es nicht mehr lange dauert, wozu also?

Sich selbst vielleicht“, schob er nach kurzem Überlegen nach. „Aber die Kinder, auf keinen Fall.“

„Die Spuren lassen nur wenige Rückschlüsse auf die Ereignisse zu“, fuhr Michélle fort. „Offenbar ist eine Handgranate in dem Kellerraum explodiert, worin sie sich aufgehalten haben. Das ist eigentlich schon alles, was sicher ist. Ein Unfall oder ein Blindgänger wäre natürlich möglich. Dagegen spricht jedoch, dass der Eingang des Kellers mit Erde verschüttet wurde. Durch die Explosion kann es nicht geschehen sein, der Abhang hinter dem Haus besteht ja aus festem Sandstein. Offenbar wollte jemand die Leichen verstecken. Das war jedoch in wenigen Stunden bestimmt nicht möglich. Eine solche Menge Erde musste schließlich erst herbeigeschafft werden. Eine etwas weniger aufwendige und auffällige Methode wäre immerhin vorstellbar.“

„Interessiert Sie meine Version?“, wollte er wissen.

„Ja natürlich, Hans, sehr sogar. Sie waren schließlich dabei, sozusagen …“

Er lächelte kurz. „Dabei nicht, aber ich erinnere mich schon. Dass die Wallners plötzlich verschwunden waren, haben wir natürlich gemerkt, das war auch tagelang Thema im Gasthaus. Die Nachbarn haben herumgefragt und einige wilde Spekulationen sind aufgetaucht. Trotzdem war man sich bald einig: Die sind geflohen.“

„Geflohen?“, wiederholte Michélle. „Weshalb denn? Wegen seiner Auszeichnungen? Fürchtete er deshalb die Rache der Alliierten? Es ist doch niemandem etwas passiert, bloß weil er in der Wehrmacht gedient hat.“

„Das wäre schon ein Grund gewesen“, bestätigte Hans. „Dass es so kommen würde, wussten wir ja damals nicht. Man fürchtete die schreckliche Rache der Sieger. Wir haben damit gerechnet, den Rest unseres Lebens als Sklaven zu verbringen, falls man nicht gleich umgebracht wurde.

Trotzdem, wir waren nicht deshalb dieser Auffassung. Ewald war lange an der Front gewesen. Er zweifelte lange nicht am Führer, aber im letzten Kriegsjahr änderte sich das. Er hielt sich für unantastbar und das war er auch lange Zeit. Deshalb wurde er immer deutlicher, was die Nazis anging. Anfangs waren es nur kleine Zeichen. Der Gruß war hier auf dem Land ohnehin nur selten zu sehen, wenn nicht gerade Parteipack oder Uniformierte dabei waren. Ewald grüßte jedoch gar keinen mehr mit erhobenem Arm, was schnell zu Problemen führte.

Als hochdekorierter Frontkämpfer sollte er doch Vorbild sein, wurde er ermahnt. Ihn bloß deshalb abholen, konnten sie natürlich nicht.

Das hat ihm nicht jedoch gereicht. Zuerst nahm er noch Rücksicht auf seine Familie, aber in den letzten Monaten beschimpfte er die Partei laut, auch in der Öffentlichkeit. Er soll den Führer ein elendes Schwein genannt haben. Stellen Sie sich das einmal vor, Frau Steinmann.

Auch wenn es nur noch eine Frage der Zeit war bis zum Ende. Wir hatten viel gehört über die Rache der SS. Die walzten schon mal ein ganzes Dorf nieder, um einen Schädling, wie das damals hieß und auch diejenigen, die ihn nicht angeschwärzt hatten, zu bestrafen.

Deshalb wurde er zuerst nur gebeten, es zu lassen. Weil das nichts half, drohten ihm schließlich die Gemeindeoberen, ihn einzusperren.

Von der Partei im Ort war schon länger nichts mehr zu hören, die waren keine Gefahr mehr. Aber wenn das nach außen dringen sollte, drohte eine Katastrophe.

Deshalb war niemand erstaunt, als Ewald mit seiner Familie plötzlich verschwunden war.

Seine direkten Nachbarn waren schon zu Bekannten gezogen. Niemand wollte in der Nähe sein, wenn plötzlich Gestapo oder sogar eine Einsatzgruppe auftauchen sollte.

Das war auch die Zeit, in der die wichtigsten Parteivertreter nach und nach unsichtbar wurden. Die hatten noch eine Chance auf eine Wohnung, an einem Ort, wo sie niemand kannte.

Der eine oder andere dieser Herrenmenschen hatte allen Grund, die Rache der Zwangsarbeiter oder zum Beispiel, sich auch vor Ewald zu fürchten. Ist also gar nicht so abwegig, dass er vor seiner Flucht noch eine Nazifamilie ausgelöscht hat. Von diesem Keller hat kaum jemand gewusst. Zuerst hat er ihn vermutlich als Versteck für alle Fälle angelegt. Dass es fast fünfzig Jahre gedauert hat, bis er entdeckt wurde, zeigt doch, wie gut er das geplant hatte.“

Michélle sah ihn fragend an.

„Fast alle hatten irgendein vorbereitetes Versteck in dieser Zeit. Darüber wurde auch nicht geredet, damit keiner etwas ausplaudern konnte“, erklärte er.

„Schließlich würde eine solche Tat auch erklären, weshalb er nie mehr zurückgekehrt ist. Es gab später Gerüchte, dass er in Australien gesichtet wurde“, fügte Hans nach einer kurzen Pause an.

Michélle hatte gebannt zugehört. „Wenn ich Sie so erzählen höre, dann gab es doch nicht nur noch Frauen und Kinder im Ort. Waren denn die Männer nicht alle an der Front?“, fragte sie nach.

Hans lächelte. „Natürlich waren nie alle an der Front, jemand musste doch die Industrie am Laufen halten. Als Facharbeiter oder Eisenbahner bekam man schnell den UK-Stempel. Mit guten Beziehungen manchmal auch einfach so.“

Auf ihren fragenden Blick ergänzte er: „UK bedeutete unabkömmlich“.

„Ich habe in der Schule gelernt, dass die Frauen in den Fabriken, die Männer ersetzt haben“, warf Michélle ein.

Hans lächelte erneut. „Ja natürlich haben viele Frauen in den Fabriken gearbeitet. Aber nicht nur sie allein, das ist ein Mythos. Ohne Facharbeiter kann man keine komplizierte Produktion aufrechterhalten. Außerdem konnte man die Frauen doch nicht mit Hunderten von Zwangsarbeitern alleinlassen. Stellen Sie sich das doch einmal einfach vor.“

Michélle nickte. „Das leuchtet mir ein.“

Hans leerte sein Glas. „Sie trinken ja gar nicht, Frau Steinmann. Schmeckt es Ihnen nicht?“

„Doch doch“, wehrte sie ab. „Aber es war so spannend, dass ich es ganz vergessen habe.“ Michélle schaltete das Band ab.

„Ich glaube, das reicht für den Moment, vielen Dank“, sagte sie. „Darf ich wiederkommen, wenn ich neue Fragen habe?“

„Wäre mir ein großes Vergnügen“, antwortete er. „Sie sind jederzeit willkommen, Frau Steinmann.“

Michélle beschloss, mit weiteren Befragungen zu warten, bis die Ergebnisse aller Laboranalysen vorlagen. Nach Verwandten zu suchen, solange nicht klar war, ob es sich überhaupt um die Wallners handeln konnte, ließ sich kaum rechtfertigen. Natürlich musste sie das noch mit Krüger absprechen. Einige Tage würde sie benötigen, um das Gehörte genauer einzuordnen und um einige Details zu verifizieren. Dazu würde sich die Aufnahme vom Gespräch mit Hans als unverzichtbare Grundlage erweisen.

***

Carmela hatte lange nachgedacht. Sie wollte weg. Weg von Debora. Weg bedeutete, ganz zu verschwinden. Viele kleine Zeichen, die an sich belanglos schienen, hatten sich zu einer Gewissheit verdichtet. Debora würde sie umbringen, wenn sie sich von ihr trennen wollte. Als Medizinerin kannte sie bestimmt eine Methode, die nicht nachzuweisen war.

Carmela hatte eigentlich nicht nur ein Problem, wie ihr mittlerweile schmerzlich bewusst geworden war, sondern mindestens zwei. Seit sie mit Debora zusammen lebte, hatte sie auch keine eigene Wohnung mehr. Also wo sollte sie hin?

Irgendwohin, wo sie niemand kannte und wo sie auch Debora nicht wiederfinden konnte. Dazu brauchte sie auch noch etwas Geld, das ihr genauso fehlte.

Inzwischen war ihr jedoch eine Lösung eingefallen. Sich für den Rest des Lebens zu verstecken, kam nicht in Frage. Debora würde sie vermutlich auf der Nordhalbkugel des Globus überall finden können. Im tiefen Süden hätte sie vielleicht eine Chance. Aber so weit weg wollte Carmela dann doch nicht. Außerdem sprach sie außer Deutsch nur ein paar Worte Französisch, das war’s schon.

Wie sollte sie damit in Australien oder Südamerika Fuß fassen?

Debora würde nur in einem Fall nicht nach ihr suchen: wenn sie davon überzeugt war, dass ihre Freundin nicht mehr lebte.

Carmelas Plan schien von Anfang an perfekt. Sie würde eine Entführung vortäuschen. Sie kannte in etwa die Verhältnisse von Debora, die nicht allzu viel Bargeld, aber einige Immobilien geerbt hatte. Innerhalb einer Woche sollte die Frau Doktor eine halbe Million lockermachen können, wenn ihre Liebe so weit reichte, dass sie ihr das wert war.

Außerdem war sie sich ziemlich sicher, dass Debora die Polizei nicht einschalten würde. Die war es gewohnt, ihre Probleme selbst zu lösen. Es würde jedenfalls lange dauern, bevor sie jemanden bitten würde, ihr zu helfen.

Zwei, drei Tage konnte sie sich noch Zeit lassen und die Kranke spielen. Bis dahin mussten einige Kleinigkeiten geregelt sein. Dann würde sie einfach verschwinden. Nur damit, was sie am Leib trug und was dazu noch in ihre Handtasche passte.

Sie begann gleich damit, in einer der Fachzeitschriften, die massenhaft vorhanden waren, nach Textstellen zu suchen, die sich für eine zweckmäßige Botschaft ausschneiden ließen. Es war viel einfacher als gedacht. Schnell hatte sie einige Worte gefunden, die sie sogar als Ganzes verwenden konnte.

So praktisch wie hier in der gemeinsamen Wohnung, würde sie es sonst nirgends haben, um ein Erpressungsschreiben anzufertigen. Hier war alles Nötige vorhanden. Texte, Schere, Kleber und auch Latexhandschuhe. Debora führte schließlich einen vorbildlichen Haushalt.

Den ersten Satz, „wir haben die Lösung für ihre Hautprobleme“, machte den Anfang. „Wir haben“, schnitt sie aus. Carmela musste sie dann doch aus Einzelbuchstaben zusammenschnippeln. „Lösung“, ergab immerhin den ersten Teil von Lösegeld. Für den Betrag verwendete sie eine Zahl aus dem Text: 500.000 Betroffene für irgendeine Allergie. Aus, gebrauchte Spritzen sicher entsorgen, entstand, gebrauchte Noten. Nach zwei Stunden war es geschafft. Als "Beilage" würde sie später noch einen ihrer Piercing-Stecker an das Blatt hängen.

Einen, der Debora bestimmt überzeugen würde. Hatte sie ihn ihr doch als eine besondere Art von Verlobungsring angebracht. Ein sogenanntes Isabella-Piercing mit einem Verschluss, der sich ohne ein bestimmtes Werkzeug nicht öffnen ließ.

Obwohl Debora das Gegenstück genauso trug, war das für Carmela inzwischen zu einem weiteren Indiz geworden, dass sie eigentlich eine Gefangene war. Ein Beutestück, dass Debora nie mehr freiwillig hergeben würde.

Zufällig hatte Carmela, als sie einmal nach einer Nachtcreme in Deboras Schminksachen suchte, dieses bestimmte Werkzeug gesehen, dass Frau Doktor vermutlich für Notfälle zu Hause aufbewahrte.

Der Notfall war jetzt da, dachte Carmela grimmig! Mit dem Schlüssel und einem extra hochvergrößernden Schminkspiegel bewaffnet, machte sie sich ans W

6. Kapitel

Guerin traf sich mit seinem Kollegen aus Basel, Kommissar Kaspar Gruber, in einem Café in Colmar. Sie kannten sich schon seit vielen Jahren. Weil es jeweils Wochen dauerte, bis sich die offiziellen Stellen über eine grenzübergreifende Zusammenarbeit geeinigt hatten, kürzten sie das Verfahren im beidseitigen Interesse einfach ab. Die Berichte wurden dann zu gegebener Zeit erstellt und angepasst. Natürlich besuchte man sich meistens privat. Aber sobald sie über einen grenzüberschreitenden Fall sprachen, wurde das Treffen eigentlich illegal.

Gruber machte sich Notizen. Mit einer französischen Polizeiakte im Gepäck über die Grenze zu fahren, war ihm dann doch zu riskant. Obwohl er selten kontrolliert wurde.

„Stell dir vor“, berichtete Guerin, „ich habe zurzeit zwei völlig unterschiedliche Todesfälle auf dem Tisch, in denen sie eine Rolle spielt. In welcher Art weiß ich zwar noch nicht. Sie könnte eine Psychopatin sein, die manchmal auch nur zum Spaß Leute umbringt. Bei einer ausgebildeten Ärztin dürfte das kaum auffallen, wenn sie es darauf anlegt. Eiskalt genug wäre sie jedenfalls. Der traue ich wirklich vieles zu!“

„Ist schon auffällig“, bestätigte Gruber.

„Und das ist noch nicht alles. Ich habe im Archiv gegraben, sie war tatsächlich schon einmal in einen Fall involviert, unten an der Côte. Ein ganz seltsamer Vorgang. Sie war die einzige Überlebende, zumindest sozusagen, die anderen Personen sind bis heute verschollen.“

„Wirklich?“, fragte Gruber interessiert. „Erzähl!“

„Ist schon ein paar Jahre her. Die damalige Demoiselle Debora, war von ihren Kommilitonen, Yves und Manuela, mit denen sie gerade ihren Abschluss gemacht hatte, zu einer Bootstour eingeladen. Eine nagelneue Segeljacht, Geschenk von Yves Vater, lag in St. Tropez dazu vor Anker.

Yves war ein erfahrener Segler. Bei den Damen war Nele, wie sie vor allem genannt wurde, zumindest schon mit Yves ab und zu auf See gewesen, während es für Debora die allererste Fahrt war.

Ein Tagesausflug war geplant, am Abend wollten sie zurück sein. Am nächsten Tag, eine Funkverbindung kam nie zustande, fand ein Boot der Küstenwache, die ohne Segel treibende Jacht. An Bord fand man nur Debora, die anderen beiden waren verschwunden und das Beiboot fehlte.

Demoiselle Nagel konnte nicht sagen, ob die Jacht mit oder ohne Schlauchboot ausgelaufen war. Sie hatte nicht darauf geachtet. Die Wahrscheinlichkeit, dass Yves es beim Auslaufen vergessen oder zurückgelassen hat, schätzten die Kollegen jedoch gegen null ein. Also ist es wohl zusammen mit dem Pärchen verschwunden.

Sonst fehlte nichts. Papiere, persönliche Geldbörsen, Uhren, Schmuck, alles da. Keinerlei Blut oder Kampfspuren, nichts war beschädigt.

Die knappe Aussage von Debora: Sie hatte nichts mitbekommen. Sie war damit beschäftigt, im Unterdeck das Essen zuzubereiten. Als sie servieren wollte, war keiner mehr da, erscheint mir jetzt im Zusammenhang mit den neuen Vorkommnissen eher dürftig. Tatsache bleibt jedoch, dass sie absolut kein Motiv für ein Verbrechen hatte. Sie hat im Gegenteil die guten Möglichkeiten, in die bessere Gesellschaft zu gelangen, mit dem Verlust ihrer Freunde eingebüßt. Yves Vater hatte schon einige Beziehungen spielen lassen, um ihr einen Job in einer bekannten Schönheitsklinik an der Côte zu verschaffen. Den sie allerdings dann nicht mehr angetreten hat.

Die Kollegen sind zum Schluss gelangt, dass sich die beiden vermutlich mit dem Beiboot soweit von der Jacht entfernt haben, dass ein Zurückschwimmen, besonders für Nele, nicht mehr möglich war. Nachdem sie aus einem unbekannten Grund das Schlauchboot verloren hatten.

Gemäß dieser Version sind sie vermutlich einfach ertrunken.“ Guerin zuckte mit den Schultern. „Das bedeutet jedoch keineswegs, dass Frau Nagel wirklich nichts damit zu tun hatte.“

„Es gab nie neue Erkenntnisse?“, fragte Gruber nach.

„Einige Spekulationen, dass Yves eventuell verschwinden wollte. War aber alles, absolut unhaltbar.“

„Wie gesagt, Eric, ich habe ihren Namen noch nie gehört“, antwortete Gruber. „Zumindest aktuell liegt nichts vor, das wüsste ich ziemlich sicher. Eine offizielle Vernehmung ist natürlich erst nach dem Gesuch deines Landes möglich, das ist dir klar?“

„Selbstverständlich! Aber ein Auge auf sie werfen, kannst du schon vorher. Würde mich nicht wundern, wenn sie bei euch auch schon im Archiv ist“, antwortete Guerin ermunternd.

Gruber nickte. „Ich werde mich darum kümmern und dich entsprechend informieren, so wie immer.“

Damit war der "dienstliche Teil" beendet. Guerin erkundigte sich nach Sonja, der Partnerin Grubers, die er auch schon kennengelernt hatte.

„Ja ja“, antwortete Gruber, „sie hat mich immer noch fest im Griff, zusammen mit meinen Töchtern. So lebe ich schon fast im Matriarchat“, scherzte er.

„Du kannst jederzeit zu mir flüchten, wenn es dir zu viel wird, das weißt du“, antwortete Guerin lächelnd.

„Solange sie mich bloß mit Verwöhnen dazu bringen, ihnen zu geben, was sie haben wollen, ist es noch auszuhalten. Andernfalls komme ich gern auf dich zurück“, antwortete Gruber.

„Und du? Du bist ja jetzt schon fast ein Jahr mit Michélle zusammen. Eine kleine Ewigkeit für deine Verhältnisse“, fragte Gruber zurück.

„So schlimm war es jetzt auch wieder nicht“, wehrte Guerin ab. „Ich hab auch schon mal Eine über ein Jahr gehabt.“

„Ja“, bestätigte Gruber. „Aber sie war nicht die Einzige in dieser Zeit, erinnerst du dich?“

„Woher weißt du das?“, fragte Guerin zurück. „Von mir auf jeden Fall nicht.“

Gruber grinste. „Das wussten so ziemlich alle, außer ihr. Niemand hat erwartet, wenn du mit einer Neuen gesehen wurdest, dass da nichts läuft.“

„Es war aber nicht immer so“, antwortete Guerin. „Manchmal waren es wirklich nur Kolleginnen, da wurde mir vieles unterstellt.“

Gruber zog die Brauen hoch. „Scheint dich richtig erwischt zu haben. Früher warst du doch stolz auf jede neue Eroberung, jetzt zierst du dich, als ob du als lupenreine Braut dastehen möchtest.“

„Zu brav will ich auch nicht scheinen“, erwiderte Guerin. „Trotzdem, wenn die alten Zeiten zum Thema werden sollten, bitte ich dich, das Eine oder Andere eher wegzulassen, wenn Michélle dabei ist!“

Gruber lachte laut auf. „Hast du ihr schon einen Antrag gemacht?“

„Nein, noch nicht, ich weiß im Moment überhaupt nicht, was ich tun soll. Ich will sie nicht wieder verlieren, aber schrecke doch davor zurück. Das hat sowas Endgültiges, verstehst du. Du warst doch schon verheiratet, hast sogar Kinder. Wenn du ehrlich bist, würdest du es wieder tun, wenn du die Wahl nochmal hättest?“

Gruber zuckte mit den Schultern. „Das kann ich dir nicht einfach so beantworten. Die Mädchen zu bekommen, sie groß werden zu sehen, das war wunderbar, auch wenn ich gerne noch einen Sohn dazu gehabt hätte.

Die Streitereien, die Scheidung, das war grässlich, das möchte ich nie wieder erleben. Wenn wir uns nicht darauf geeinigt hätten, das gemeinsame Sorgerecht zu bekommen, ich weiß nicht, was ich gemacht hätte. Trotzdem haben sie und ihre Anwältin mich ausgenommen bis auf die Knochen. Die wussten, dass mir der Kontakt zu den Mädchen mehr wert war als alles, was ich besaß. Also bin ich nicht gerade geeignet, dich zu beraten.“

„Gerade deshalb, würdest du oder nicht?“

Gruber zögerte. „Ja, zum Teufel!

So eine Frage würde ich nicht einmal Sonja beantworten, weshalb dann dir?“, fragte er sich selbst.

„Ich danke dir, Kaspar, das bedeutet mir sehr viel. Würdest du denn, wenn es so weit kommt, mein Trauzeuge sein?“

„Um Gotteswillen, ein Wunder!“, keuchte Gruber. „Eric braucht einen Trauzeugen, und ja, mit dem größten Vergnügen.“

„Abgemacht!“

„Jetzt ist aber Zeit für eine Flasche Wein. Dienst hin oder her“, sagte Gruber und rief nach der Bedienung.

Nachdem sie sich beide schweigend beruhigt angestoßen, den ersten Schluck genommen und die Gläser wieder hingestellt hatten, fragte Gruber: „Wann willst du sie fragen? Warte besser nicht mehr zu lange, das könnte einen falschen Eindruck erwecken. Frauen sind da empfindlich.“

„Eigentlich wollte ich schon ein oder zweimal fragen, aber dann …“

„Dann was?“

„Sie könnte ja auch ablehnen, was soll ich dann machen?“

Gruber lachte laut auf. „Auswandern zum Beispiel.“

Guerin griff nach Grubers Handgelenk. „Ich habe wirklich Angst davor, dass sie nein sagt, das ist kein Spaß.“

Gruber wurde wieder ernst. „Ist sie denn nicht so zu dir, dass du sicher sein kannst?“

Guerin zuckte mit den Schultern. „Wir sind uns so nahe, wie man sich nur sein kann. Ich könnte auch gut mit ihr leben, ohne sie zu heiraten, das ist es nicht. Aber wenn ich sie nicht frage, denke ich die ganze Zeit, ist sie plötzlich weg.

Und wenn sie dann doch nicht will, vermutlich auch.“

„Dann hoffst du darauf, dass sie fragt“, stellte Gruber fest.

Guerin wand sich. „Wäre einfacher, auf jeden Fall. Trotzdem, das möchte ich eigentlich nicht.“

„Es gibt nur eine Lösung, Eric“, stellte Gruber feierlich fest. „Du kaufst heute Nachmittag einen Strauß Rosen, stellst dich vor ihre Tür und wenn sie kommt, dann fragst du!“

Guerin starrte ihn fassungslos an. „Heute? Ist es nicht besser, bis zum Wochenende zu warten. Für die Feier, meine ich.“

Gruber streckte die Hand aus. „Heute oder nie, Eric.“

„Das grenzt schon fast an Erpressung“, schmollte Guerin.

„Nein, das ist nur der Schubs, den du einfach brauchst, also schlag ein!“

Guerin zitterte, als er Grubers Hand ergriff. „Also gut, ich mache es. Einmal muss auch Schluss sein mit der Ungewissheit, da hast du wohl recht!“.

Einen Moment schwiegen sie beide, dann zückte Guerin sein Telefon. „Ich bin ab jetzt bis morgen nicht mehr erreichbar“, sagte er in das Gerät.

Gruber grinste.

„Doch, das geht!“, folgte noch, dann schaltete Guerin ab.

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