Читать книгу: «Sternstunde», страница 2

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Doch ganz gleich wer und was die Stimme war, ich war nicht mehr allein. Und das war alles was für mich in diesem Moment zählte.

„Mein Ziel“, wiederholte ich geistesabwesend.

Schluchzend führte ich den Dolch an meine Stirn, schnitt mir schreiend ins Fleisch. Der Schweiß floss an meinen Körper hinunter wie Öl und Blut strömte meine Wangen entlang, mischte sich mit den Tränen, die ich um meine Herkunft vergoss. Benommen fiel ich auf den nassen Boden, umgeben von dem letzten Schnee in diesem Jahr und der Blumen mit den sonderbaren Namen Zaubernuss, die im Winter blühten. Sie starrten auf mich herab und der Wind schüttelte ihre gelben Köpfe. Es waren meine liebsten Blumen, denn selbst der Winter konnte ihnen ihre Schönheit nicht nehmen.

Die Ohnmacht zerrte mich hinab in dunkle Tiefen und dort unten erwartete sie mich. Meine Göttin, die ihre eisigen Arme um mich schloss und mit einem hungrigen Lächeln meinen Atem raubte.

Die Vergangenheit musste ausgelöscht werden.

Als ich aus meiner Ohnmacht erwachte, hielt ich noch immer den Dolch in meiner rechten Hand.

Stöhnend setzte ich mich auf. Meine Stirn brannte, als hätte der Hufschmied heißes Eisen an meine Haut gesetzt, aber noch unerträglicher war die stumpfe Leere in meinem Herzen. Ich erinnerte mich an Ahm Fen, an ihr Lächeln, ihre süßen Worte, aber war es nicht vielmehr ein Traum gewesen? Meine Wunde beantwortete die Frage mit einem klaren Nein, denn etwas war geschehen und Ahm Fen war alles andere als ein Traum.

In dem Moment fiel mir alles wieder ein. Weder Ahm Fen, noch der finstere König, noch der Tot meiner Eltern, meiner geliebten Mutter, waren ein Traum. Es war alles geschehen. Alles! Die Qualen wuchsen ins Unermessliche, und gerade als ich befürchtete meinen Verstand unter der Last der Verzweiflung und Trauer zu verlieren, breitete sich ein Schatten auf meiner Seele aus. Er drückte meinen Atem tief in die Brust, bis ich dachte, daran zu ersticken. Dann, auf der Schwelle des Todes, löste sich der Druck, und ich empfand nichts mehr.

Halte deinen Verstand beisammen. Ohne ihn wird es schwierig, erklang ihre goldene Stimme in der Leere meines Herzens. Deine Göttin wacht über dich. Komm, sieh ihn dir an. Es wird dein erstes Meisterwerk von vielen sein.

Ihre Stimme führte mich zum Leichnam des Soldaten und ein böses Lächeln verzerrte mein Gesicht. Statt der Trauer verspürte ich nun Stärke und Stolz.

Mit Ahm Fen an meiner Seite, wer konnte mich da noch aufhalten?

Im eisigen Wasser, eines nahe gelegenen Baches, nahm ich ein schnelles Bad, versorgte und verband meine Wunde. Ich säuberte den Mantel meiner Tante, den ich nicht mit ihr unter der Erde vergraben konnte. Ich musste die Vergangenheit löschen, aber ich konnte mich nicht von dem Geruch des Mantels trennen. Es war, als hielt ich ein Stück Liebe in den Händen. Sie starb für mich und ich würde Bakta noch einige Zeit mit mir tragen, damit die Nächte nicht zu lang und dunkel wurden.

Außerdem diente der Mantel zusätzlich als Schutz, denn an meiner Stammeskleidung, die ich nicht vollständig ablegen konnte, würden die Soldaten des finsteren Königs mich sofort erkennen. Unter dem Stoff verbarg ich den Dolch des Soldaten, an dem in der Zukunft das Blut unzähliger Opfer haften sollte. So zumindest hatte Ahm Fen es mir versprochen.

Mit Ahm Fen in meinen Gedanken schritt ich den Pfad entlang. Mühsam setzte ich einen Fuß nach dem anderen. Am Abend vernahm ich das Geräusch eines näher kommenden Wagens und in der Ferne erkannte ich Reiter und Pferde, die vor dem Wagen gespannt mit hängenden Köpfen trabten. Es war ein ungewöhnlich großer Wagen, und je weiter die Gefolgschaft sich mir näherte, desto deutlicher vernahm ich einen süßlichen Geruch. Ich versuchte, mich daran zu erinnern, woher ich diesen Geruch kannte. Als ich die erste schwarze Rüstung in der Ferne erblickte, wusste ich wo ich ihn zum ersten Mal vernommen hatte. Es war der Duft des Todes. Schwer nach Erde, süßlich riechender Tod.

Mein Herz hämmerte so hart in meiner Brust, dass die Übelkeit in mir hochstieg. Die Soldaten des finsteren Königs hatten mich entdeckt. Zum Weglaufen war es nun zu spät.

Zehn Soldaten in schimmernder Rüstung, bewaffnet mit Silber glänzenden Schwertern, fuhren an mir vorbei und hielten nach Anweisung des Hauptmannes die Pferde an. Düster blickten zahlreiche Augenpaare auf mich herab. Kühl und unschuldig versuchte ich ihren Blick zu erwidern, doch die blanke Angst stand hinter meinen Augen geschrieben.

„Mädchen, was machst du alleine am Straßenrand?“, neugierig beugte sich der Soldat mit dem goldenen Helm zu mir herunter. Zum ersten Mal in meinem Leben dankte ich meinem kleinen und zierlichen Körper. Die Männer erkannten nicht den Riesen, sondern nur ein Menschenkind in mir.

Erneut dankte ich meinem Vater in Gedanken für seine strenge Erziehung, und dass er darauf bestand, dass ich ihre Sprache erlernte. Das war meine Chance auf Rache.

„Dorfbewohner des Ahm Fen Stammes haben meine Gefährten und mich im Wald angegriffen. Sie stahlen unseren Proviant und töteten meine Freunde. Ich konnte rechtzeitig fliehen, jedoch nicht unverletzt...“, log ich stockend und wies auf meinen Verband, der nass und klebrig an meinem Kopf haftete. „Ich bin müde. Ich habe Hunger und Durst. Überlasst mich meinem Schicksal.“

Mit einem Satz sprang der Hauptmann vom Wagen. Das Gold seines Helms glänzte poliert in der Abendsonne und als er mich unerwartet an den Schultern packte und auf die Füße setzte, unterdrückte ich einen leisen Schrei. Seine Berührungen waren kalt und grob. Sein Atem stank nach Alkohol, altem Fisch und verdorbenen Essen.

„Ahm Fen Bastarde, ja?“, rief er den anderen Soldaten spöttisch zu. Der Dolch legte sich wie von alleine in meine Hand. „Unmöglich, kleines Mädchen. Wir haben letzte Nacht alle getötet. Es hat keiner die Dunkelheit überlebt. Sieh selbst.“

Mit einer Handbewegung gab er mir zu verstehen, in das Innere des Wagens zu blicken. Langsamen Schrittes näherte ich mich der hinteren Seite, strich über das glatte Holz und spürte an meinen nackten Fußsohlen jeden einzelnen Kieselstein. Meine Zähne klapperten aufeinander. Ich biss mir auf die Zunge und schmeckte mein eigenes Blut. Am hinteren Teil des Wagens blieb ich stehen, blickte zum Hauptmann zurück und sah in seinen Augen ein Lächeln. Es war kein liebevolles Lächeln, sondern eines, das nur Albträume und Leid verursachte. Das Herz schlug mir bis zum Hals, als er mit festen Schritten auf mich zu trat und mich ungeduldig hoch hob.

Ich warf nur einen kurzen Blick auf die Fracht. In Panik und wie ein kleines Kind versuchte ich, mich frei zu strampeln, bis der Hauptmann mich fluchend auf den Boden fallen ließ und ich mich würgend am Rand des Pfades übergab. Zitternd rutschte ich auf den Knien, presste die Hände gegen meinen Unterleib. Die misstrauischen Blicke der Soldaten brannten auf meinem Rücken.

Nun ist es vorbei“, dachte ich voller Schrecken. Bebend umklammerte ich meinen Körper. „Alles ist vorbei, das kann ich nicht überleben. Sie werden auch die Letzte des Ahm Fen Stammes vernichten und geschlachtet auf den Wagen werfen.“

Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie die Hand des Hauptmannes zu seinem Schwertknauf wanderte.

Nichts ist verloren, beruhigte die Stimme mein Herz. Sie werden die Wahrheit nicht erkennen. Lass mich für dich sprechen.

„Verzeiht, Hauptmann“, meldete sich ein junger Soldat mit heller Stimme. Seine blonden Locken quollen unter dem schwarzen Helm hervor. „Das Mädchen ist noch fast ein Kind. Der Anblick von Gewalt und Blut erscheint ihr fremd. Bedenkt, was sie vergangene Nacht ertragen haben muss. Sie ist verletzt. Womöglich braucht sie unsere Hilfe.“

Ruckartig wirbelte der Hauptmann herum, duldete keine Zwischenrufe und schlug den jungen Soldaten ohne Vorwarnung zu Boden. Er schlug ihn mit der Faust, trat mit seinen schweren Stiefel in seinen Unterleib und voller Grauen sah ich seinen eigenen Speichel auf seine Rüstung spritzen. Er empfand Freude an Gewalt und mein Magen drehte sich im Kreis, weil ich nicht wusste, wie Ahm Fen mich sicher nach Westen bringen wollte.

Erst, als der Mann sich im eigenen Erbrochenen wälzte und Blut spuckend um Gnade winselte, ließ der Hauptmann von ihm ab. Angewidert versuchte ich, den Berührungen des Mannes zu entfliehen, der mir erneut auf die Beine half und mich einen Moment zu lange festhielt.

„Ist es so?“, fragte er an mich gewandt.

Seine Hände wanderten von meinen Schultern hinauf zu meinem Nacken und meinem roten Haar. Mit einer Hand zog er meinen Kopf grob nach hinten, mit der anderen zeichnete er die Linien meiner Lippen nach. Er betrachtete meine blauen Augen mit geöffnetem Mund.

Ich lag noch nie bei einem Mann, obwohl ich das Alter für eine Verbindung längst überschritten hatte. Die Mädchen aus unserem Dorf vermählten sich nach 14 Wintern und gründeten eine Familie, mit der Verantwortung viele Kinder zu zeugen. Mein Vater duldete keinen Mann an meiner Seite. Er fürchtete sich zu sehr vor der Missgeburt, die ich auf die Welt bringen würde. Es gab trotzdem einen Riesen, dem ich gefiel, aber mehr als ein paar Küsse und Liebeleien unter dem Wintermond kannte ich nicht. Er war tot, so wie alle die ich kannte und somit hatte sich die Sorge um ein Erbe erledigt. In der Gegenwart des Hauptmannes wünschte ich mir nur ein Bad in einer heißen Quelle.

„Der kleine Scheißkerl hat Recht“, gewaltsam zwang er mich, seinen Blick zu erwidern. Mir wurde übel von seinem Geruch. Schweiß, Blut und Unrat hafteten an ihm und ich musste unwillkürlich würgen.

Heule mit dem Wölfen, mein Kind. Ich werde dir helfen.

Von diesem Moment an übernahm Ahm Fen. Ich gewährte ihr den Vortritt und spürte eine dunkle Macht in den Vordergrund rücken. Beklommen sah, hörte und spürte ich, was sie mit meiner Stimme sprach. Ich war immer noch Udy, aber Ahm Fen kontrollierte nun mein Handeln. Auf der einen Seite dankte ich ihr für diese Unterstützung, denn wie sollte ich ohne Erfahrung einen Mann umgarnen und seinen Verstand benebeln? Auf der anderen Seite wurde ich unruhig und ihre Hilfe fühlte sich nicht richtig an.

Gefangen in seiner Umarmung schenkte ich ihm einen anbetungswürdigen Augenaufschlag.

„Hebe mich auf den Wagen“, befahl ich. Niemand erkannte den Unterschied. Niemand wusste, dass meine Göttin anwesend war und den Hauptmann mit ein paar Worten verzauberte. „Bringe mich zu deinem Lager.“

Er gehorchte sofort, hob mich beinahe sanft empor.

Beim Anblick der geschlachteten Körper meiner Brüdern und Schwestern, die mit weit aufgerissenen Augen und Mündern mein Schauspiel stumm verfolgten, weinte ich still im Hintergrund. Das kleine Mädchen und die heranwachsende Frau in mir verschmolzen zu einem verwirrenden Gebilde. Ahm Fen lachte und freute sich über die Dummheit der Männer.

„Warum fahrt Ihr mit toten Ahm Fen Bastarden durch die Gegend? Auf meiner Reise sah ich mehrere Dörfer brennen. Das muss doch eine unglaubliche Last für Euch sein“, Ahm Fen sprach und ich hasste sie dafür. Es war ihr Volk, über das sie sprach. Wie sprach sie über uns? Bastarde? Eine Last? Wütend drängte ich mich nach vorn, aber Ahm Fen schob mich zurück. Knurrend wartete ich auf meine Gelegenheit und versprach mir selbst, solch einen Kontrollverlust nie wieder zu zulassen.

„Wie aufmerksam, hübsches Mädchen, aber sie sind keine Last. Für jeden Bastard zahlt der finstere König mit barer Münze.“

„Der finstere König zahlt für totes Fleisch?“

„Nicht doch. Er zahlt für ihre Geburtsmale. Wir schneiden sie im Lager sauber von der Stirn und den Rest verfüttern wir an die Wölfe. Du musst wissen, die Riesen des Ahm Fen Volkes waren ungeheuer mächtig und man munkelt, dass ihre Male besondere Kräfte innehalten. Unser König ist ganz verrückt danach. Für ihre Male zahlt er besonders gut. Ich fahre fette Beute mit mir herum.“

Er lachte schäbig und während ich all das nicht hören wollte, war es für Ahm Fen eine interessante Information.

„Wir fahren ins Lager. Dort gibt es etwas zu essen und zu trinken für dich, Mädchen.“ Er konnte den Blick nur schwer von mir lösen. Die Gelegenheit, eine Frau in seinem Bett zu wissen, bereitete ihm große Freude.

„Danke. Ich benötige noch einen Platz zum schlafen“, antwortete ich.

Ein hässliches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus und es war nicht schwer zu erraten, welch schmutzigen Gedanken ihn beschäftigten.

„Da kenne ich ein sehr warmes und gemütliches Lager, das nur auf dich gewartet hat.“

Ahm Fen legte gegen all meinen Widerwillen meine Hand auf sein Bein und tastete sich langsam an den Bereichen empor, die nicht von seiner stählernen Rüstung bedeckt waren. Unter dem Leder spürte ich ein warmes Pochen. Als der Hauptmann leise zu stöhnen begann, wusste ich, dass ich seinen Tod besonders genießen würde.

Wir erreichten mit der Dunkelheit das Lager der Soldaten. Kaum waren wir angekommen, gab Ahm Fen die Kontrolle freiwillig auf und ich stieß sie zurück in die Verwundbarkeit meines Herzens. Sie lachte und verspottete mich und ich schwor ihr, dass sie niemals wieder so viel Macht über mich besitzen würde. Ihr Antwort bereitete mir eine Gänsehaut: Wer sagt denn, dass ich deine Erlaubnis benötige?

Wie der Hauptmann es versprochen hatte, brachte man mir Essen und Trinken. Ich nahm die Speisen dankend an, denn seit meiner Flucht hatte ich nichts außer Gras und Beeren gegessen.

Während ich mich unter einem Baum stärkte, beobachtete ich das Treiben der Soldaten, die damit beschäftigt waren, die Leichen vom Wagen zu tragen und im Wald zu verscharren. In der Dunkelheit bemerkte ich glühende Augenpaare, die sich aufgeregt hin und her bewegten. Wölfe, die auf ihre Mahlzeit warteten. Doch bevor die Tiere ihr Fressen erhalten sollten, zog jeder der Soldaten ein Messer hervor, schnitt die Geburtsmale meiner Brüder und Schwestern von der Stirn. Mein Magen drehte sich und eh ich mich versah, würgte ich das Essen wieder hoch.

Das Abschlachten meines Volkes war unverzeihlich, doch ihnen allen den Weg zur ewigen Ruhe zu verwehren, war das denkbar Schlimmste. Wir glaubten daran, dass unsere Seelen und Male direkt miteinander verbunden waren. Sie sind ein Zeichen der Zugehörigkeit, der Stärke und ohne die Male wanderten unsere Seelen nach dem Tod blind und ruhelos in der Zwischenwelt umher, suchend nach Erlösung. Der finstere König vergönnte meinem Volk selbst nach dem Tod keinen Frieden. Er stahl unser Land, unsere Körper und unseren Seelenfrieden.

Der Dolch brannte in meiner Hand, schrie nach Vergeltung und Rache. Es gelüstete mich danach, die Soldaten wie Schweine aufzuschlitzen und gemeinsam mit den Wölfen von ihrem Fleisch zu fressen, doch ich rief mich selbst zur Vernunft zurück. Voreilige Entscheidungen bedeuteten nur meinen Tod, und sterben wollte ich noch nicht. Bakta hatte Recht. Ich musste überleben und den finsteren König stellen. Seine Grausamkeiten mussten ein Ende finden.

Aufgeregt sprang ich auf, aber meine hitzigen Bewegungen zogen die Aufmerksamkeit der Männer auf mich. So setzte ich mich erneut unter den Baum und trank mit vorgeführter Ruhe aus dem Becher, der mir gereicht wurde.

Ahm Fen. Diese Männer müssen sterben. Sie müssen leiden.

Mit angezogenen Beinen beobachtete ich weiterhin die schneidenden Bewegungen der Soldaten, hörte sie vor Anstrengung grunzen und fluchen, und den stetig wachsenden Berg aus Leichen. Vom Fuß aufwärts verspürte ich plötzlich ein Kitzeln und sog die Luft scharf ein, als ich sah, was den Weg zu meinem Knie hinauf fand.

Acht haarige Beine tänzelten auf einer Stelle, sechs glänzende Augen betrachteten mich mit Interesse. Die glühend roten Streifen auf dem Rücken der Spinne warnten vor dem Gift, das sie in sich trug. Mit nur einem Biss vermochte sie mich zu töten. In unserem Dorf hatte es nur einen Krankheitsfall gegeben, hervor gerufen durch einen Spinnenbiss. Ich erinnerte mich deshalb so gut, da der Todeskampf drei Tage andauerte und der Mann drei Tage und Nächte schrie, bis er endlich starb. Es gab kein Heilmittel, denn das Gift dieser seltenen Spinne änderte sich immerzu.

„Ist das deine Antwort, Ahm Fen? Ist das ein Friedensangebot?“, dachte ich und betrachtete die gefährliche Spinne. An Zufälle wollte ich nicht glauben. Das Tier war ein Geschenk des Himmels.

Ihre Berührungen waren federleicht, als sie meinen Arm hinauf kletterte und auf meiner Hand zum Stehen kam. Sechs Augen blickten in meinen Becher. Von ihren spitzen Zähnen tropfte eine gelbe, klebrige Flüssigkeit. Sie kletterte von meinem Arm zurück auf mein Knie und verharrte, als ob sie auf eine Antwort wartete.

„Das ist ein hervorragender Einfall“, sprach ich leise.

Vor dem Zelt des Hauptmannes entdeckte ich ein Fass, aus dem seine Männer lachend ihre Becher füllten.

Ein wirklich hervorragender Einfall.

Auf ihren acht Beinen erreichte die Spinne vor mir die Fässer und vollendete ihr Werk. Ein paar wenige Tropfen ihres Giftes in jedes Fass reichten aus, um die gesamte Truppe elendig verrecken zu lassen. Höchst zufrieden klatschte ich in die Hände. Das war der Tod, den die Männer verdienten.

„Der Wein ist ausgezeichnet“, ertönte eine tiefe Stimme hinter meinen Rücken. Erschrocken hielt ich nach der Spinne Ausschau, doch sie war bereits verschwunden.

Erleichtert drehte ich mich zu dem Hauptmann, der noch immer kein Bad genommen hatte. Er stank nach Schweiß, Urin und etwas, das ich nicht definieren konnte.

Es ist Lust, mein Kind. Er wird es dir sehr einfach machen.

Angewidert rümpfte ich die Nase. Der Gedanke, dass er mich berühren wollte, ließ mich erschauern.

„Hier, nimm“, auffordernd reichte er mir zwei Messingbecher. „Fülle sie und folge mir dann ins Zelt.“

Seiner Aufforderung folgte ich nur zu gern. Während ich die Becher mit Wein füllte, entdeckte ich meine neue Freundin am Rand des Fasses. Die glänzenden Augen beobachteten jede meiner Bewegungen.

„Bleibst du in meiner Nähe?“, flüsterte ich mit belegter Stimme. „Es ist gut, dich in meiner Nähe zu wissen.“

Die Spinne kletterte vom Fass hinauf zur Zeltwand, und ich deutete ihr Verhalten als Zustimmung auf meine Bitte.

Mit dem Wein in der Hand öffnete ich das Zelt. Auf dem Boden lagen Felle, ein einfacher Tisch stand in der Mitte des Raumes, auf dem aufgerollte Karten lagen. Eine Feuerstelle im Boden verströmte eine angenehme Wärme.

Der Hauptmann lag bereits nackt auf einem Lager aus Bärenfellen. Meine Füße wollten mich auf der Stelle wieder hinaus tragen, doch der Anblick seiner schmierigen, nackten Haut und seines schlaff hängenden Penis schockierten mich derart, dass ich mich nicht von der Stelle bewegen konnte.

„Komm her“, befahl er. „Lass mich nicht warten.“

Schwer atmend ging ich ein paar Schritte auf ihn zu, musste aufpassen, dass mir die beiden Becher nicht aus der Hand glitten. Meine Hände waren vor Furcht nass und glitschig. Der Gedanke, dass dieser Mann mein erster Mann sein sollte... Unmöglich.

Oh Himmel, ich konnte meinen Ekel nicht überwinden. Ahm Fen bot mir bereitwillig ihre Hilfe an, aber ich lehnte fröstelnd ab. Der Gedanke, ein Zuschauer meiner selbst zu sein, bereitete mir Unbehagen. Dennoch brauchte ich ihre Hilfe. Konnte sie mir versprechen, eines Tages nicht vollends die Kontrolle über mich zu übernehmen?

Ahm Fen schwieg. Ein Versprechen blieb aus und somit sammelte ich all meinen Mut zusammen und das verkrüppelte Mädchen trat ihm allein gegenüber.

„Bitte“, sprach ich mit rauer Stimme, räusperte mich und reichte ihm Wein.

Er setzte sich auf, begutachtete mich von oben bis unten.

„Zieh dich aus. Ich will deinen Körper sehen.“

Es gab etwas, das ich nicht bedacht hatte: Meine Stammeskleidung unter dem Mantel. Bis jetzt hatte ich sie erfolgreich verborgen, doch meine Glückssträhne endete genau hier. Mit trockenen Hals suchte ich nach einer Erklärung. Was sollte ich tun?

„Was ist?“, fragte er ungeduldig.

Gedanken schossen durch meinen Kopf, wie und wann ich ihn töten sollte. Eher schneide ich ihm sein Gehänge ab, bevor ich mich zu ihm ins Bett lege, war der lauteste Gedanke, der in meinem Kopf kreiste.

„Ich habe eine kleine Bitte“, wiederholte ich die Worte, die Ahm Fen mir leise zuflüsterte. Schüchtern kniete ich vor dem Hauptmann, blickte mit großen Augen zu ihm hinauf und streichelte sein Bein. „Schaut weg.“

„Warum sollte ich?“

Stumm erwiderte ich seinen fragenden Blick, und er fand die Antwort selbst heraus.

„Du bis noch unberührt.“ Allein die Tatsache, eine Jungfrau in seinem Bett zu wissen, verschaffte ihm beinah einen Höhepunkt. „Nichts kann meinen Abend mehr übertreffen. Tod, Wein und eine Jungfrau. Ein Geschenk des Himmels. Lass uns trinken, Mädchen.“

Während der Hauptmann seinen Becher in einem Zug leerte, ließ ich mein Getränk auf dem Tisch stehen und verschwand hinter dem Vorhang, um mich auszukleiden.

Hoffnungsvoll wanderte mein Blick hinauf zur Zeltwand.

Bitte lass mich nicht allein, dachte ich, als ich den Mantel und meine Stammeskleidung ablegte. Mit dem Dolch in der Hand riskierte ich einen Blick hinter den Vorhang. Mit weichen Beinen erreichte der Hauptmann den Tisch, leerte auch meinen Becher. Er sprach zu sich selbst mit lang gezogen Worten. Das Gift begann zu wirken.

„Was dauert das so lange?“

Gerade als er den Satz ausgesprochen hatte, trat ich hinter dem Vorhang hervor und versteckte den Dolch hinter meinen Rücken. Ich schämte mich meiner Nacktheit. Bis jetzt hatte ich mich noch keinen Mann von dieser Seite präsentiert. Bleib ruhig, ermahnte ich mich selbst. Du kannst es tun. Du musst es tun! Mein Herz schlug schnell und der Gedanke an sein Blut erfüllte es mit Leben. Ich dachte an den Fuhrwagen, an meine Brüder und Schwestern. Mein Volk. Ihr Leid kümmerte ihn nicht. Er sah nur die bare Münze. Warum sollte mich sein Schicksal kümmern?

Er ist das Leben nicht wert. Er ist nichts!

Wessen Stimme sprach in meinem Kopf? Ahm Fens, meine eigene? Die Töne verschmolzen ineinander.

Der Hauptmann torkelte unbeholfen zu seinem Lager, stürzte auf halben Weg zu Boden und kroch auf Händen und Knien weiter. Es dauerte mir zu lange, ich trat dem Hauptmann kurz entschlossen so heftig in den Rücken, dass er nach vorne stolperte und auf sein gerötetes Gesicht fiel.

„Höh...“, murmelnd suchte er seine Umgebung ab und erkannte mich kaum, als ich mich grinsend zu ihm hinunter beugte. „Mir geht es nicht gut. Ruf meine Männer.“

„Nein“, antwortete ich kalt. „Es ist Zeit, zu sterben.“

Grunzend versuchte der Hauptmann sich aufzusetzen. Er tastete nach seinem Schwert, das er neben seinem Lager abgelegt hatte, aber ich hielt es bereits in den beiden Händen und schleuderte es gegen die Zeltwand.

„Was... ist? Meine... Männer...?“

Ich stemmte mein Knie an seine Kehle, schnürte ihm den Atem ab. Sein Mund öffnete sich zu einem Schrei, aber da stopfte ich ihm schon Fell ins Maul.

„Mein Name ist Udy Häuptlingstochter.“ Es war an der Zeit sich von dem Mädchen zu verabschieden. „Du hast meine Familie getötet. Du hast ihnen das Wichtigste geraubt. Was du ihnen angetan hast, wirst du nun am eigenen Leib erfahren.“

Als er den Dolch in meiner Hand aufblitzen sah, begann er zu kreischen, aber der Knebel dämpfte sein elendes Gebrüll. Das Gift lähmte seinen Körper, Arme und Beine zuckten kaum merklich und so konnte ich seiner Stirn besondere Aufmerksamkeit schenken. Seine Augen quollen hervor, als ich die Haut von seiner Stirn schälte. Ahm Fen machte es keinen Spaß ein wehrloses Opfer derart zu foltern. Sie schätzte einen guten Kampf, bei dem jeder mit seinem Blut bezahlte, aber ich spuckte auf ihr Gejammer.

Mein Werk beendete ich mit zahlreichen Stichen in seine Brust. Ich stach wieder und wieder zu, bis ich völlig außer Atem von seinem Körper rutschte. Ich hielt den Dolch in meinen verkrampften Händen und schluchzte ein paar Tränen hinunter, als die Anstrengungen von mir wichen.

„Oh Mutter, wenn du mich nur sehen könntest. Würdest du dich für mich schämen?“, dachte ich und Ahm Fen antwortete mit einem Lachen.

Ist es nicht das, was du wolltest? Rache? Hast du seine Angst gerochen? Riechst du seinen Tod? Komm mein Kind, schmecke sein Blut. Koste es für mich.

Angewidert verzog ich die Nase und kleidete mich an. Ihrer Bitte würde ich ganz sicher nicht nachkommen.

Gerade als ich das Zelt verlassen wollte, stürmte ein Soldat in das Zelt. Beim Anblick meines vollbrachten Werkes glotzte er ungläubig auf meine blutigen Hände, sah mir ins Gesicht und schüttelte stotternd den Kopf. Ich erkannte ihn wieder: Es war der junge Mann, der vor dem Wagen vom Hauptmann zusammen geschlagen wurde und er hielt ein besonderes Geschenk für mich in den Händen. Ein schwerer, nasser Lederbeutel, dessen Inhalt ich sofort erkannte.

„Her damit“, zischte ich und zielte mit der blutigen Waffe auf sein Herz. Meine drohende Geste war unnötig, er überließ mir ohne weiteres die Geburtsmale meines Volkes. Gebannt blieb er vor der Leiche stehen, schüttelte noch immer den Kopf. Er konnte nicht glauben, dass sein Anführer tot zu seinen Füßen lag.

Ich beachtete ihn nicht weiter, denn er hatte mir alles gegeben was ich wollte. Sollte er doch um seinen Hauptmann trauern. Als ich nach draußen trat, begriff ich, warum er zuvor schreiend in sein Zelt stürmte: Vor mir lagen alle Soldaten des finsteren Königs auf der Erde, wälzten sich im eigenen Erbrochenen.

„Beim finsteren König, was hast du getan?“

Der junge Soldat folgte mir nach draußen und starrte auf seine Kameraden, die vor Pein ihren eigenen Namen nicht mehr kannten.

„Wage es nicht von deinem elenden König zu sprechen“, antwortete ich, fuhr herum und hielt ihm den blutigen Dolch an die Kehle. Ein Soldat mehr oder weniger, was machte das schon? „Dein König hat mein Volk getötet. Du hast ihm geholfen, seine Befehle ausgeführt. Und wofür?“

„Dann töte mich. Los, schneide mir die Kehle durch“, er schluckte schwer. Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab. „Beende es. So viele Tote. Töte mich und schmeiße mich mit auf den Haufen. Einer mehr oder weniger, was macht das schon?“

Er sprach genau das aus, was ich zuvor dachte. Ahm Fen applaudierte und hoffte auf ein aufregendes Schauspiel. Aber ich konnte es nicht und ließ den Dolch sinken. War er, so wie ich, unfreiwillig in den Krieg geraten? Wenn ja, was sollten wir dann tun? Einfach gehen? Zwei unglückliche Gestalten in einer kalten, beherrschten Welt.

„Nein“, antwortete ich. Aus den Augenwinkeln entdeckte ich meine Freundin, die von der Zeltwand hinab geklettert kam, um sich am Festmahl zu erfreuen. Ihre Anwesenheit beruhigte mich. So klein und doch so gefährlich.

„Nein?“, fragte er und stellte sich an meine Seite. Zusammen sahen wir seinen Kameraden beim Sterben zu, bis auch das letzte Stöhnen verstummte. Ich hörte den schweren Atem des jungen Soldaten. Ein paar Schluchzer hier, ein paar Tränen dort. Dann war es vorbei.

„Einfach nein“, flüsterte ich und kämpfte mit meinen eigenen Tränen und meiner Zerrissenheit. Welch passenden Namen mein Vater doch für mich erwählte.

Noch in derselben Nacht brannten wir das Zelt des Hauptmannes mit all seinem Hab und Gut nieder. Der junge Soldat half mir wortlos und ich nahm seine Hilfe ebenso stumm an. Das Einzige, was ich für mich beanspruchte, war eine Karte des Landes, um mich selbst auf der Reise zurecht zu finden und eines der herrenlosen Pferde.

Während ich vor dem brennenden Zelt stand, drückte ich ein letztes Mal den Beutel an mein Herz, sang ein Gebet für meine Landsleute und warf ihn anschließend ins Feuer. Nun waren ihre Seelen frei und ich fühlte statt Trauer Freude. Freude darüber, einen Weg gefunden zu haben, ihnen eine Weg zu den ewigen Gefilden zu ebnen, der mir versagt sein wird. Es war mein eigenes Verschulden, meine eigene Entscheidung. Ahm Fen sagte nichts und überließ mir diesen Moment ganz für mich allein.

Das Feuer brannte herunter. Ich sattelte das Pferd und erinnerte mich an den ersten Ausritt mit meiner Mutter, wie jung und unbeholfen ich doch war. Sie war stets geduldig und großmütig. Entschuldigte meine Fehler schnell und mit einem Lächeln das sagte: Beim nächsten Mal klappt es besser. Ich war so sehr in meinen schweren Gedanken vertieft, dass ich den jungen Soldaten vergaß, der ebenfalls ein Pferd sattelte und mir erwartungsvoll entgegen blickte.

„Und nun?“, fragte er mit Ruß geschwärzten Gesicht. „Was ist mit uns?“

„Mit uns?“, wiederholte ich mehr als irritiert. „Was soll mit uns sein?“

Er wirkte gekränkt, verloren, und ich verstand nicht warum. Ich hatte ihn verschont. Was wollte er da noch von mir?

„Ich weiß auch nicht... Wohin reitest du? Ich könnte dich ein Stück begleiten“, unbeholfen führte er das Pferd an meine Seite. „Wir sind frei. Wir können überall hin, verstehst du?“

„Frei?“, fragte ich und mein Herz gefror zu Eis.

Ahm Fen lachte in meiner Brust und spottete: Du hättest ihn töten sollen, als du noch die Gelegenheit dazu hattest.

„Ja, frei. Oder glaubst du, wir befinden uns alle freiwillig in diesem Krieg? Na schön, einige Männer gewiss. Der finstere König zahlt gut, aber ich gehöre nicht zu den Menschen, denen Geld wichtiger als das Leben selbst ist. Das viele Blut, die Schreie und Kämpfe. Es reicht. Ich will nach Hause.“

„Halt doch mal dein Maul“, herrschte ich mit funkelnden Augen und nun war der junge Soldat an der Reihe mich unverständlich an zu glotzen. „Von welcher Freiheit sprichst du? Mein Volk wurde vernichtet und unzählige Dörfer werden noch leiden. Solange der finstere König lebt, solange wird es keine Freiheit geben. Es gibt kein uns. Ich sehe dich an und sehe die schwarze Rüstung des Feindes. An deinen Händen klebt das Blut meiner Brüder und Schwestern. Ihr habt mir alles genommen. ALLES!“

Sein Gesicht färbte sich rot. Beschämt blickte er auf seine Rüstung und dann zu mir.

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