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3.2 Der Aufstieg Dantes durch die Himmel

Das irdische Paradies als Narthex bzw. Eingangsbereich des Himmels bereitet auf diesen vor. Geläutert und entsühnt vermag Dante frei von aller Sündenlast emporzuschweben, um mit Beatrice die verschiedenen Sphären des Paradieses zu betrachten – dies am Vorabend des siebten Tages der Jenseitsreise, an dem der Schöpfer selbst nach Vollendung seines Werkes ruhte (Par. I, 43 analog zu Gen 2,2 f.). Im Paradiso ist das durch alle Gesänge wie ein roter Faden sich durchziehende Motiv die Unzulänglichkeit der Darstellungskraft des Dichters angesichts der Mysterialität des Geschauten (er ist ja diesbzgl. als noch nicht Gestorbener ganz auf die ihm – vermittelt durch die Fürsprache der Heiligen – zuteilwerdende Gnade angewiesen, die ihn in einer steten Steigerung schließlich zur unverhüllten Anschauung des Dreieinigen führt).266

Die angesprochene Zunahme der Dante in und als Gnade (Licht267) gewährten Sehkraft, das kontinuierliche Tieferdringen, die Zunahme der visio beatifica gemäß der jeweiligen Himmelssphäre, wird durch die jeweilige Anpassung seines Sehvermögens an dasjenige seiner Begleiterin268 ermöglicht. In den auf das Geheimnis der Dreifaltigkeit gerichteten Augen Beatricens wird er wie im Spiegel (also indirekt-vermittelt)269 diesem selbst teilhaftig. Dieses Grundmotiv der Lichtmetaphysik des Paradiso hebt bereits im irdischen Paradies an270 und wird in Par. I, 1–6 und 46 ff. wie folgt ausgeführt :

»Die Glorie des Bewegers aller Dinge

Dringt durch das Weltall, und von ihr erstrahlen

Mehr oder minder die verschiednen Sphären.

Im Himmel, der das meiste Licht empfangen,

War ich, und ich sah Dinge, die kann keiner

Verkünden, der von dort herniedersteiget. […]

Als ich Beatrice nach der linken Seite

Gewendet sah, das Auge hin zur Sonne ; […]

So folgte ihrem Blick, der durch die Augen

Zu meinem Geist gedrungen, nun der meine ;

Ich schaute mehr als jemals in die Sonne. […]

Beatrice hatte in die ewigen Kreise

Den Blick versenkt ; ich hatte meine Augen

Auf sie geheftet, nicht mehr nach dort oben. […]

Verklärung kann man nicht mit Worten sagen,

Darum muß dem das Gleichnis schon genügen,

Dem Gnade das Erleben vorbehalten.«271

Dantes Aufstieg durch die Himmel erfolgt dementsprechend durch den Licht freisetzenden Anblick Beatricens. Wenn Dante ihr in die geliebten Augen blickt, geben diese die Liebe Gottes (die sie selbst in der visio beatifica empfängt) an ihn weiter und entzünden ihn in seiner Sehnsucht nach mehr. Licht und Liebe stehen somit in einem unmittelbaren Zusammenhang und verdeutlichen das Geschenk der darin zum Ausdruck gebrachten Gnade : »Der Liebende erfährt, dass ihm im geliebten Menschen etwas entgegentritt, welches jeder Proportion der Macht, des Rechtes und Verdienstes entrückt ist. Es gehört der Ordnung des Geschenkes, der reinwaltenden Freiheit, der Gnade an. So weckt der geliebte Mensch die Ahnung von dem, was über jeder irdischen Macht ist, dem Himmlischen […]. Der Lichtcharakter alles Seienden, der schon durch die Schöpfung begründet und dann, nach seiner Verdunkelung durch die Sünde, in der Erlösung erneuert worden ist, wird in der Gnade frei.«272

In Beatrice begegnet Dante dem Himmel, aber diese Gnadenerfahrung ermöglicht letztlich und entscheidend nicht die Mittlerin, sondern der unmittelbare Zielgrund allen Liebesstrebens – Gott selbst in seiner unverhüllten Schau. Beatrice ist nur Wegbegleiterin, sie bereitet Dante auf das Höchstmaß jeglicher Liebeserfahrung vor und tritt selbst schließlich ganz zurück.273

3.3 Die jeweiligen Himmel als Ausdruck der personalen Bestimmtheit des Einzelnen

Die von Dante durchquerten neun Himmel274 (Mond-, Merkur-, Venus-, Sonnen-, Mars-, Jupiter-, Saturn-, Fixstern- und Kristallhimmel) geben die Gradualität der Schau der (dadurch) Beseligten wieder, ein Gedanke, der dem katholischen Eschatologieverständnis durchaus entspricht.275 Die Heiligen, welche im Empyreum (dem höchsten und alle anderen umfassenden Himmel) im Bild einer Rose als Gemeinschaft erscheinen (vgl. Par. XXX, 1 ff.), werden den einzelnen Planetenhimmeln zugeteilt gemäß ihrer individuellen Begnadung und dem damit verbundenen Verdienst.276 In ihnen begegnet auch Dante den jeweiligen Seligen, die damit einer bestimmten Gruppe zugeordnet werden (im Mondhimmel sind diejenigen versammelt, die Gelübde brachen, im Merkurhimmel jene, die nach irdischen Gütern strebten, im Venushimmel die Liebenden (diese drei Himmelssphären bilden wiederum eine Einheit, da in ihnen noch das weltliche Streben zum Ausdruck kommt277), im Sonnenhimmel die Kirchenlehrer, im Marshimmel die Märtyrer, im Jupiterhimmel gerechte Fürsten (diese drei Gruppen gelten als zweite Einheit der von allen irdischen Überschattungen freien und dennoch nicht kontemplativen Seelen – für die vita activa stehend), im Saturnhimmel Kontemplative (für die vita contemplativa stehend). Die Himmel bzw. Sterne nehmen hierbei eine Mittlerfunktion ein ; das göttliche Wirken am Einzelnen ist vermittels des Einflusses der Gestirne spezifiziert bzw. individualisiert, jeder Mensch ist zeitlebens (und damit auch ewig) einem Stern zugeordnet.278 Die Perspektive einer sittlichen Stufenfolge, wie sie in Hölle und Purgatorium augenscheinlich als Einteilungsprinzip grundgelegt ist, findet somit auch in den Gesängen des Paradieses Anwendung. Alle Differenzierung und Stufung umfassend und bedingend ist Gott als der universale Schöpfer auch Lenker und Ziel aller Bewegung zur Vervollkommnung (auf ihn hin als den Erstbewegenden), womit die Weltordnung als in ihm gegründet und auf ihn hinführend gekennzeichnet ist :

»[…] . Es stehen allesamt die Dinge

In einer Ordnung unter sich, und diese

Ist es, durch die das All Gott zu vergleichen.

Hier sehn die hohen Wesen alle Spuren

Der ewigen Kraft, die selber dient zum Ziele,

Zu dem die obige Ordnung ward geschaffen.

Zu dieser Ordnung, wie ich sage, neigen

Nun alle Wesen nach verschiednen Losen,

Und ihrem Ursprung näher oder ferner.

Darum ziehn sie auch nach verschiednen Häfen

Im großen Meer des Seins, und jedes Wesen

Von einem angebornen Trieb getragen. […]

Gewiß, wie oftmals nach dem innern Willen

Der Kunst die Formen sich nicht fügen mögen,

Dieweil die Stoffe keine Antwort geben,

So können auch von diesem Lauf die Wesen

Bisweilen weichen, denn mit solchem Triebe

Sind sie noch fähig, seitwärts abzubiegen.«279

Im Folgenden sollen die einzelnen Himmelssphären in den Blick genommen werden. Beatrice begleitet Dante dabei, um ihn in die Geheimnisse der Himmel und der Vollendung des Menschen einzuweisen.

3.3.1 Das verklärte Scheitern oder der Mondhimmel

Von Beatricens gottschauenden Augen beflügelt (s. o.) wird Dante in den ersten Himmel emporgehoben, den Mondhimmel : Beatrice in suso, ed io in lei guardava.280 Die Bewegung durch die einzelnen Sphären wird auf die im Menschen innewohnende Sehnsucht nach der Gottesschau281 zurückgeführt (desiderium naturale ; la concreata e perpetua sete del deiforme regno)282. In Par. III, 7 ff. begegnet Dante den ersten Seelen des Paradiso, qui rilegate per manco di voto (»sie sind hier, weil sie ihr Gelübde brachen«), perchè fur negletti li nostri vòti, e voti in alcun canto (»weil wir die Gelübde versäumt und irgendwie gebrochen haben«).283 Die Aufforderung Beatricens parla con esse e odi e credi284 gilt für alle Begegnungen mit den gottschauenden Seelen in den (ihren) jeweiligen Himmelssphären als Einladung zu Gespräch und Austausch. Sprechen (Anreden), Hören (das Sichbelehrenlassen)285 und Glauben (dadurch sich immer mehr für Gott bereiten)286 sind die Kennzeichen der Pilgerfahrt Dantes in der ganzen DC (in Infernum und Purgatorium geschieht dies allerdings auf die negative Art der abschreckenden bzw. mahnenden Gegenbeispiele). Entsprechend der hohen Bedeutung, die Dante seiner DC gemäß Purg. XXXII, 104 zuschreibt, und die ihn zur Benennung nur damals allgemein bekannter Persönlichkeiten und großer Gestalten der Geschichte veranlasst, spricht er – als Vertreterin des Mondhimmels – mit Piccarda Donati (die wiederum in Par. III, 118 ff. auf die einer Legende nach – wie sie selbst – aus einem Kloster entführte Kaiserin Konstanze verweist, Gemahlin Kaiser Heinrichs VI. und Mutter Friedrichs II.), einer Klarissin, die von ihrer Familie wider ihren Willen aus dem Kloster (Par. III, 107 : la dolce chiostro) geholt und daraufhin mit Rossalino della Tosa vermählt wurde (Par. III, 46 ff. und 97 ff.).287

Kernfrage dieser Himmelssphäre ist die vermeintliche Inferiorität der Seligen des Mondhimmels gegenüber denen höherer, Gott näherer Sphären. Aufgrund eines (unfreiwilligen) Gelübdebruches (bzw. -versäumnisses) ist ihnen dieses Los (sorte che par giù cotanto ; Par. III, 55) beschieden. Dante erkundigt sich :

»[…] Ihr, die ihr hier glücklich lebet,

Geht euer Wunsch nach einem höhern Orte,

Um mehr zu sehn, euch enger zu befreunden ?«288

Der folgende Monolog Piccardas ist als eine Kurzpredigt über die Selbstbescheidung des in Christus seines Heiles sicheren Erlösten zu verstehen. Die Problematik der Gradualität der Gottesschau der Heiligen lässt sich demnach unschwer auf die Unterschiedlichkeit der Begnadung und Christusnachfolge auf Erden übertragen. Es geht darum, die verschiedenen zur Heiligkeit führenden Wege des Menschen zu Gott in den Blick zu nehmen, ohne einer Beliebigkeit das Wort zu reden, die die persönliche Freiheit und Verantwortlichkeit gegenüber der eigenen Berufung zum Heiligungsdienst der Welt außen vor lässt. Nicht die Frage, welcher Weg der bessere, sondern welcher der jeweils eigene ist, wird dabei zum Hauptkriterium der individuellen Entschiedenheit im Konkreten. Aus gnadentheologischer Perspektive heraus ist alle Wertung unterschiedlicher Nachfolgewege in der DC eine für den Menschen niemals zum Selbstlob verleiten wollende Anerkennung der persönlichen Zuwendung Gottes gegenüber dem Einzelnen. Piccardas Rede richtet sich daher an alle, die sich ob ihrer Religiosität brüsten (vgl. etwa Mk 9,33 ff.) und anderen dementsprechend ihr Seelenheil – wie die Arbeiter in Mt 20 – implizit absprechen wollen, genauso wie an jene, die sich der (vermeintlich) ausgewichenen Nachfolge bezichtigen, an alle also, die sich die Frage nach der eigenen Berufung über Gebühr zu eigen machen :

»Mein Bruder, unser Wille wird gestillet

Durch Kraft der Liebe, sie läßt uns nur wünschen

Das, was wir haben ; andrer Durst entschwindet.

Wenn wir nach einem höhern Ort uns sehnten,

Dann wären nicht in Einklang unsre Wünsche

Mit dessen Willen, der uns hierher sendet.

Das kann in diesen Kreisen nicht geschehen,

Wenn wir hier in der Liebe leben sollen

Und die Natur der Liebe du betrachtest.

Vielmehr ist dieses Seligsein gebunden,

Sich drin zu halten in dem göttlichen Willen,

Damit sich unser aller Wille eine.

So daß es, da wir Stuf um Stufe stehen

In diesem Reich, dem ganzen Reiche recht ist,

Gleichwie dem König, der uns lenkt den Willen.

In seinem Willen finden wir den Frieden,«289

Exkurs : Willensfreiheit und Gnadenwahl in der Divina Commedia

Das ewige Schicksal ist an die Freiheit des Menschen geknüpft. Die Gnade Gottes korrumpiert nicht diese Freiheit und Verantwortlichkeit, sondern baut darauf auf. Die Theologie K. Rahners verdeutlicht diese Zusammenschau von Gnade (bzw. der Liebe Gottes)290 und Freiheit und vermag damit die Aussagen der DC in einen existentiellen Horizont zu rücken und so die eschatologische Vorstellungswelt Dantes für die Gegenwart zu erhellen. Nach Rahner steht der theologische Begriff des Heils für die »Endgültigkeit des wahren Selbstverständnisses und der wahren Selbsttat des Menschen in Freiheit vor Gott durch die Annahme seines eigenen Selbst, so wie es ihm in der Wahl der in Freiheit interpretierten Transzendenz eröffnet und übereignet ist. Die Ewigkeit des Menschen kann nur verstanden werden als die Eigentümlichkeit und Endgültigkeit der sich ausgezeitigt habenden Freiheit.«291 Das eschatologische Heil des Menschen ist dementsprechend an seine individuelle Geschichte gebunden. In die Ewigkeit mit hineingenommen wird somit auch und v. a. die personale Freiheit, in der die einzelnen Lebensentscheidungen erst ihre Würde, aber auch Tragik erhalten. So wie das Leben des einzelnen Menschen von seiner personalen Freiheit wesentlich bestimmt und geprägt wurde, so ist auch die endgültige, da jegliche Zeit freiheitlicher Entscheidungen hinter sich lassende, Ewigkeit Erfahrung der sich darin widerspiegelnden Freiheitsgeschichte.

Dante selbst stellt den Zusammenhang von freiheitlicher Lebensgestaltung und ihrem Niederschlag in der Ewigkeit in jedem Gesang seiner Divina Commedia heraus. Das eigene, in Freiheit und Verantwortung gestaltete Leben entscheidet über das jenseitige Schicksal. Allerdings wird diese Freiheit als eine gerichtete interpretiert : Frei ist der Mensch zu wählen, seine Freiheit erfährt aber in der jeweiligen Ausrichtung ihre Bewertung. Die freiheitliche Entscheidung für ein Gott wohlgefälliges Leben bedarf dabei der Zuwendung Gottes selbst, seiner Gnade. Die jenseitige Bewertung der individuellen Freiheitsgeschichte wird somit letztlich von der Gnade Gottes her qualifiziert.292

Nach Purg. XXX, 109–117 ist eine gewisse Vorbestimmung und Prägung durch die Sterne (ausgehend von Gott selbst vermittels des alles andere bewegenden Kristallhimmels293) ebenso wie die Gnade Gottes im Besonderen die Grundlage der individuellen Entfaltung der Person.294 Die Mittlerschaft des göttlichen Allwirkens durch die Gestirne bzgl. des Einzelschicksals lässt somit neben der personalen Freiheit des Einzelnen (und damit seiner Verantwortlichkeit) auch Raum für die Betonung der Ungeschuldetheit und Unableitbarkeit der göttlichen Gnadenzuwendung an den konkreten Menschen ; weder der Mensch in seiner freiheitlichen Entscheidungsfindung noch die Allmacht Gottes lassen sich von einem undifferenzierten Sternenglauben abhängig machen. 295

An der Gestalt Piccardas stellt sich das abstrakte Problem der Zuordnung von Gnadenwahl, freiem Willen und Mittlerschaft der Gestirne in einem konkreten Einzelschicksal : Ist sie unschuldig am Gelübdebruch, wieso ist sie dann im untersten Himmel, dem am meisten der Erde zugewandten, dem am wenigsten vom göttlichen Licht durchdrungenen ?296 Die Tragik wird v. a. in der Darlegung des Selbstverständnisses der Theologie im vermeintlichen Widerspruch zu einem offenbarungsunabhängigen Gerechtigkeitsempfinden und einer entsprechenden Wertordnung deutlich :

»Wenn unsere Gerechtigkeit ein Unrecht

Im Aug der Menschen (negli occhi dei mortali) scheint, ist das ein Anlaß

Zum Glauben, nicht zu ketzerischem Wahne.«297

Als gelehrte Gottesweisheit gibt Beatrice aufgrund der bedingten, gefallenen Erkenntnisfähigkeit des Menschen298 Auskunft über dieses ihm letztlich undurchdringliche Geheimnis der göttlichen Gnadenwahl und ihrer eschatologischen Gerinnung (ebd., 70–72). Auf Seiten des Menschen ist seine bleibende Willensfreiheit entscheidendes Kriterium bzgl. einer eschatologischen Qualifizierung seines Handelns (Par. IV 73 ff.). Die Seelen im Mondhimmel waren nur indirekt und nachträglich dem Willen ihrer Peiniger fügsam, da sie in ihr Los einwilligten (Gewalt vereint sich mit dem Willen ; vgl. ebd., 107). Die Frage ist demnach, wie stark der Wille des Einzelnen gegenüber der Herausforderung des Gelübdebruches war. Die Unterscheidung in absoluten und relativen Willen299 versucht diese Problematik zu verdeutlichen ; auch ein Festhalten am Gelübde – die Furcht überwindend und dem Tod (dem Martyrium300) ins Auge blickend – wäre möglich gewesen.301 Die Willensfreiheit wird somit zum Zentralthema der Frage nach der Begnadung durch Gott, der (nur mittlerischen, nicht ursprungshaften) Bestimmung durch die Gestirne sowie der Gradualität der Seligen im Himmel (als in Relation zur eigenen Zustimmung, der freiheitlichen Zuwendung zum Zielgrund des Lebens stehend). Äußere Umstände (als weltimmanente Erläuterung der Funktion der Gestirne im damaligen Weltbild bzw. als Natur zu verstehen, da diese ja auf die Gnade Gottes hingeordnet ist und durch diese keineswegs korrumpiert wird) und die besondere Hinwendung Gottes (Gnade) gegenüber dem Einzelnen bilden somit den Rahmen, die Grundlage der eigenen Entscheidungsfreiheit im jeweiligen Handeln. Dieses ist – bei aller nochmaligen Gnadenverwiesenheit der Öffnung für Gottes Wort und der Bereitschaft, es aufnehmend auch umzusetzen – Fundament der augenscheinlichen Einordnung der Seelen in die Bereiche der (ewigen) Verworfenheit (Hölle) und Seligkeit (Himmel) sowie in den Raum der Unabgeschlossenheit selbstläuternder Vorbereitung auf die eigene Vollendung (Purgatorium). Die Betonung der Freiheit des Willens ist damit Fundamentalaussage der DC ; Gott verdammt den Menschen nicht in die Hölle, er übervorteilt ihn aber auch nicht um den Preis seiner Freiheit, indem er ihm, gemäß einer von der Kirche verurteilten Apokatastasisanschauung302, den himmlischen Frieden im Voraus versichert. Vielmehr wird der Herausforderungscharakter des Lebens betont – in seiner ganzen Tragweite und Ernsthaftigkeit.303 Der Mensch vermag sich seine eigene Hölle aufgrund seiner Freiheit selbst zu schaffen304, was allerdings einer Pervertierung dieser Freiheit (von Gott her und auf ihn hin) gleichkommt, jedoch der Preis der stets gefährdeten (da freiheitlichen) Liebesbeziehung ist.305

Die Eschatologie nimmt damit die Hoffnung und Freiheit des Menschen über den Tod hinaus in den Blick ; in der Erwartung auf das zukünftige Heil gilt es, Schicksalsschläge anzunehmen, kurzlebige Erfolge zu relativieren und durch die Ausrichtung auf das Wesentlich-Bleibende an der Welt und am Mitmenschen seinen Dienst zu tun. Der Motivation der Möglichkeit des Gelingens ist die Möglichkeit des Scheiterns unweigerlich als Schwester zur Seite gestellt, was letztlich Grundlage des menschlichen Strebens nach Erfüllung und Geborgenheit ist, wo es gilt, seiner eigenen Berufung nachzukommen :

»Das größte Gut, das Gott in seiner Gnade

Geschaffen hat, und das zu seiner Güte

Am besten paßt, das er am höchsten wertet,

Das ist des Willens Freiheit (volontà la libertate) ja gewesen,

Die den vernunftbegabten Wesen allen,

Nur ihnen, allezeit zuteil geworden. […]

Nehmt es, o Christen, schwerer, euch zu rühren,

Seid nicht wie Federn, die im Winde flattern,

Und glaubt nicht, jedes Wasser könnt’ euch waschen.

Ihr habt die neuen und die alten Schriften,

Und habt den Kirchenhirten (il pastor della Chiesa), der euch führet,

Das sollte euch zu eurem Heil genügen.«306

In dieser für alle drei Lieder307 zentralen Frage der DC nimmt Dante das Motiv der Unzulänglichkeit menschlichen Erkennens wieder auf, um es mit der Orientierungshilfe von Schrift und Lehramt in Verbindung zu bringen. Allerdings greift die Theologie (Beatrice) erst an der Stelle ins Geschehen ein, wo die Vernunft entweder fehlgelaufen ist oder nicht mehr weiter weiß. Die sich selbst unter Schrift und Lehramt/Tradition stellende Theologie baut somit – wie die Gnade auf der Natur – auf dem an sich offenbarungsunabhängigen Erkenntnisstreben des Menschen auf, dieses allerdings stets auch in seine Grenzen verweisend.308

In einem zweiten Fragenkreis greift im Venushimmel (Par. VIII, 94 ff.) Karl Martell309 Dantes Frage nach der Vererbung guter Eigenschaften (oder auch Talente) von Eltern auf ihre Kinder auf (ebd. 93 : com’ esser pùo di dolce seme amaro).310 Er setzt Naturveranlagung, Vererbung und Gesellschaftseinfluss in Verbindung mit Vorsehung und freiem Willen, sodass das Zusammenspiel verschiedener Faktoren die Unvorhersehbarkeit und damit Individualität und personale Verantwortlichkeit jedes Einzelnen ausmacht :

»Das Gute, das das Reich, durch das du wanderst,

Bewegt und sättigt, läßt in diesen großen

Körpern die Vorsehung zur Wirkung werden.

Nicht nur sind vorgesehen die Naturen

In jenem Geist, der aus sich selbst vollkommen,

Nein, auch vereint mit ihrem eignen Heile ;

So daß, was immer dieser Bogen schleudert,

Auch richtig trifft zum vorgesetzten Ende

So wie ein Pfeil, der auf sein Ziel gerichtet.«311

Von Gottes Vorsehung her ist der Mensch in Natur und Begnadung bestimmt, er ist berufen zur Heiligkeit, d. h. aufgefordert (seinen individuellen Möglichkeiten gemäß), ein Leben in Rechtschaffenheit und Gottgefälligkeit zu führen. Sein Scheitern kann daher nicht Gott angelastet werden, der den Menschen in Freiheit erschafft und dessen Schöpfung in Gen 1 als ›gut‹ bzw. nach der Erschaffung des Menschen als ›sehr gut‹ ausgewiesen ist (Gen 1,31). Par. VIII, 116 zeichnet den Menschen auf Erden als Bürger (fosse cive) aus, woraus sich eine notwendige Verschiedenheit der Berufe (Berufungen) ergibt (ebd., 119 : diversi uffici)312, die wiederum auf eine Verschiedenheit (in) der Wurzel zurückgeführt werden (ebd., 122 f.). Nach ebd., 127–130 teilt die Natur (la circular natura) ihre Güter ohne Unterscheidung den Menschen zu ; sie »kennt ihre Künste, doch unterscheidet sie nicht ihre Wohnung.«313 Gottes Vorsehung (ebd., 135 : il proveder divino bzw. Par. IX, 107 f. : il bene, per che il mondo di su quel di giù torna) ist es, die eine vorherbestimmbare Eltern-Kind-Übertragung von Eigenschaften bzw. Neigungen verunmöglicht (Par. VIII, 133–135)314. Im Widerstreit von Natur und Schicksal (fortuna, ebd., 139)315 liegt die Dramaturgie gescheiterter Lebensexistenz :

Natur muß immer, wenn sie sich nicht einig

Mit ihrem Schicksal, so wie jeder Same

Fern von der Heimat, schlechte Früchte tragen.

Und wenn die Welt dort unten achten würde

Wohl auf den Grund, wie die Natur ihn legte,

Und ihr nur folgte, wären gut die Menschen.«316

Dante plädiert demnach für eine individuelle und differenzierte Sichtweise bzgl. der je eigenen Berufung. Er sieht die Berufswahl und eigene Lebensführung als multifaktoriell bedingt ; letztlich und maßgeblich haben sie sich an Gottes Willen zu orientieren. Das Scheitern eines Lebensentwurfes liegt in dieser Perspektive im Nichteinwilligen in die Berufung durch Gott (bzw. in deren Nichtwahrnehmen, Nichtwahrhabenwollen) zugunsten einer in traditionell-kulturellen Formen verlaufenden Vorfestlegung. Einwilligung in Gottes Gabe (»Zu jener Glut, die allem tut Genüge«317) und Aufgabe ist somit Voraussetzung individuellen als auch gemeinschaftlichen Gelingens in Diesseits und Jenseits.318

Ein dritter Fragenkreis dreht sich um die Möglichkeit der Rettung gerechter Ungetaufter (hier Ripheus und Trajan).319 Im XIX. Gesang wendet sich das von den Seligen dieser Himmelssphäre geformte Adlerbild dem Jenseitsreisenden zu, der in diesem Anblick der personifizierten divina guistizia (ebd., 29) seinen großen Zweifel (dubbio ; ebd., 33) äußert und über das Geheimnis der göttlichen Gnadenwahl belehrt wird. Der dreieinige Gott als Urgrund alles von ihm Geschaffenen, als Finalisationspunkt seiner Schöpfung320, ist für den Menschen auf Erden in seiner Selbstoffenbarung gnadenhaft im Glauben zu erfassen und dennoch zeitlebens nicht durchschaubar (was dem Wesen des Glaubens entspricht). Er bleibt seinen Geschöpfen ein Mysterium – v. a. bzgl. des unverdienten Rechtfertigungsgeschehens des Einzelnen. Die Trennung von occolto e manifesto (ebd., 42), die Unterscheidung der Geheimnishaftigkeit des verborgenen Ratschlusses Gottes hinsichtlich des Einzelschicksals einerseits und seiner Manifestation in Offenbarung und kirchlicher Verkündigung andererseits, ist Grundlage jeder Verständnissuche im Bereich des Glaubens und der Theologie. In der Distinktion von mysterialer Letztundurchdringlichkeit des individuellen Erwählungs und Erlösungsvorganges, seiner theoretischen Thematisierung und schließlich existentiellen Einholung (als gläubige Annahme des Gnadengeschehens) liegt die notwendige Voraussetzung einer adäquaten Betrachtung des soteriologischen Handelns Gottes am Menschen. Das Geheimnis der Erwählung verlangt die Selbstbescheidung des Denkens und eine demütige Gottzugewandtheit in Glauben, Hoffen und Lieben als ein personal-freiheitliches Geschehen321, getragen von seiner zuvorkommenden und begleitenden Gnade :

»Und daraus folgt, daß jedes kleinere Wesen

Gering Gefäß nur ist für jenes Gute,

Das endlos ist und nur sich selbst zum Maße.

Darum kann unser Schauen, das notwendig

Nur einer von den Strahlen jenes Geistes,

Von welchem alle Dinge hier durchdrungen,

Schon von Natur niemals so mächtig werden,

Daß nicht sein eigner Ursprung könnt erkennen

Weit über das hinaus, was ihm noch sichtbar. […]

Es gibt kein Licht als das von jenem Himmel,

Der sich nie trübt ; das andre ist nur Dunkel

Und Schatten von dem Fleisch und seinem Gifte.«322

Der Zweifel Dantes, wie ein Christusunkundiger gerechterweise von der ewigen Anschauung Gottes ausgeschlossen werden könne, nimmt ein bedeutendes Thema der gesamten DC erneut auf.323 Die Zusammenschau von Willensfreiheit (des Menschen) und Gnadenwahl (Gottes)324 verdichtet sich in der Frage : Wie sollte Gott den von Christus und der Heilsnotwendigkeit seiner Gnade nichts wissenden Gerechten (»[…] wäre gut sein Tun und Wollen, soweit der menschliche Verstand es siehet, und sündenlos ist er in Wort und Wandel ; doch stirbt er ungetauft und ohne Glauben«325) von seiner Anschauung ausschließen, ihn der Verdammnis, der Finsternis des Limbus aussetzen :

Ov’ è questa giustizia che il condanna ?

Ov’ è la colpa sua, se ei non vrede ? 326

Der Zweifel Dantes ist schwerwiegend und entspricht seiner großen Sehnsucht nach Wahrheitsfindung in der Korrelation von eigener Überzeugung und dem Glauben der Kirche sowie ihrer theologischen Lehre. Die zur Demut im Denken mahnende Antwort des die Gerechtigkeit Gottes symbolisierenden Adlers sucht die Ernsthaftigkeit dieses Zweifels in die Frag-Würdigkeit des göttlichen Ratschlusses zu verlegen, der sich gerade darin als göttlicher, d. h. vom Menschen nicht kalkulierbarer erweist. Der Christ ist sich zeitlebens weder seiner Erwählung zur visio, noch seiner ewigen Verdammnis sicher, und auch andere können ihm sein ewiges Schicksal nicht voraussagen.327 Er weiß sich in seinem tiefsten Inneren niemals im Status der absoluten, unverlierbaren Sicherheit seinem eigenen Heil und ebenso wenig dem der anderen gegenüber ; in seiner Gnadenwahl ist sich allein Gott selbst einsichtig – den Glauben des Menschen ermöglichend, seine Hoffnung erheischend und seine Liebe einfordernd :

»Wer bist denn du, der drüber zu Gerichte

Auf tausend Meilen Ferne sitzen möchte

Mit einem Blick so kurz wie eine Spanne ?

Gewiß, wer mit mir diskutieren möchte,

Der fände Wunder wieviel zu bezweifeln,

Wenn euch die Bibel (la Scittura) nicht gegeben wäre.

O irdische Wesen (terreni animali), o ihr rohen Geister !

Der erste Wille, der für sich schon gut ist,

Verläßt sich selber nie, das höchste Gute.

Das ist gerecht, was mit ihm steht im Einklang.«328

Das Wort der himmlischen Gerechtigkeit bleibt in seiner Unergründlichkeit und Schicksalsschwere stehen :

A questo regno

Non salì mai chi non credette in Cristo

Nè pria nè poi ch’el si chiavasse al legno.329

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9783429062156
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