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Im Schlamm gelandet

Schmierig, fett und doch sympathisch war Jogo, der Kamerad beim Militärdienst dort oben im Norden des Landes an der Grenze, den sie, die drei Freunde, Alexandru, Tomi und Janos, bekehren sollten. Er war Zeuge Jehovas, und das passte nicht ins Schema des Regimes.

»Das ist doch Aberglaube, oder? Wir müssen ihn davon abbringen. Ihr helft doch mit, oder? Nehmt ihn mit, wenn ihr in die Stadt geht, er soll mit euch ein Bier trinken und vielleicht könnt ihr für ihn ein Mädchen finden, oder? Dann wird er merken, dass das wahre Leben mit Saufen und Ficken besser ist als das mit strengen Regeln der Zeugen Jehovas, oder? Jungs, unterschreibt hier, dass ihr euch um ihn kümmert und wir übernehmen die Kosten. Soviel ihr wollt.« Sie unterschrieben. Sie unterschrieben alle, einer nach dem anderen und wurden zu IMs, ohne es zu wissen, sie rutschten in diesen Schlamm, in den sie die Machtkrake hineingezogen hatte, ohne dass sie es merkten. Sie warfen sich gegenseitig kaum Blicke zu. Sie waren plötzlich Rädchen in einem System, das sie verabscheuten.

Jogo kam mit ihnen, er musste nicht saufen, er musste auch nicht mit irgendeinem Mädchen ins Bett gehen. Die Berichte jedoch waren voller Bierkrüge und Orgien, Jogo freute sich mit jedem neuen Mädchen und bald fing er an, selbständig danach zu suchen. »Mission accomplished«, dachten sie, die drei Freunde, Alexandru, Tomi und Janos. Sie sprachen nie wieder miteinander darüber, was sie in den nächsten Jahren wegen dieser Unterschrift zu erleiden hatten, wie oft sie von Oberst Soundso besucht wurden. Einmal war er klein und trocken, dann groß und äußerst zuvorkommend, und jedes Mal mussten sie reden und reden, ohne wirklich etwas zu sagen. Ständig mit der Kralle im Nacken. Wann würde die »Staatsnacht« zuschlagen, wann würde sie sie erschlagen?

Der Lieblingsgast

Ein einziger Tag verging, ohne dass das Telefon klingelte. Es klingelte aber an der Tür. Es war Mias und Victors Lieblingsgast, versteht sich: Oberst Pascu von der Securitate. In Zivil versteht sich. Ein breites Lächeln im Gesicht, wie immer, sagte Mia später. Dieses Lächeln, das Mia und Victor Eiswasser durch die Venen fließen lies und sie zu einem gequälten Lächeln zwang, wie das der Puppen im Puppentheater, denen ein Grinsen ins Gesicht gemalt wird, und die sich kaum anders bewegen können, als der Puppentheaterspieler ihnen erlaubt. Oberst Pascu begleitete Mia und Victor seit Anna und Alexandru das Land verlassen hatten, er besuchte sie treu jede Woche, brachte mal Kuchen mit, mal amerikanische Zigaretten, mal Kaffeebohnen. Kleine Aufmerksamkeiten. Er wollte nichts von Mia oder Victor erfahren, er fragte nur ab und zu, wie zufällig, wie es den Kindern gehe, ob sie dort eine Wohnung und Freunde gefunden hätten, so wie ein guter, treuer Freund eben fragt.

An diesem Tag wollte er auch mit Alexandru sprechen, plaudern über dies und jenes, nichts Wichtiges, nur plaudern. Am Ende seines Besuches, als Alexandru ihn zur Tür begleitete, sagte er kurz und sehr deutlich, obgleich er fast flüsterte:

»Ich erwarte Sie um 16 Uhr im Hotel Continental, Zimmer 101.«

»Wieso?«

»Ich möchte ein Gespräch mit Ihnen führen, über wichtige Sachen.«

»Aber …« Er hatte Alexandru schon den Rücken zugekehrt und ging schnell die paar Meter bis zum Tor. Vor dem Haus wartete ein schwarzer Wagen mit Chauffeur in Uniform, versteht sich.

Ein Kloß in Alexandrus Hals. Was sollte er tun, sollte er Anna und den anderen etwas davon erzählen? Er sagte nichts. Sie sollten es besser nicht wissen. Sollte er die Einladung annehmen? Sie hatte wie ein Befehl geklungen, gezischt zwischen den gelblichen Zähnen des Oberst Pascu, wie eine drohende Geste, Zeigefinger und Mittelfinger von links nach rechts in einer kurzen, raschen Bewegung in Höhe des Adamsapfels. An wen gerichtet? Waren auch Mia und Victor in Gefahr? Alexandru wollte die beiden nicht in eine bedrohliche Lage bringen. Seine Entschlossenheit, die er bis dahin gezeigt hatte, war gebrochen. Er entschied sich, dorthin zu gehen.

Um Viertel vor vier wolle er ein wenig spazieren gehen, sagte er, ein paar Fotos in der Altstadt schießen, nichts anderes, nicht länger als eine Stunde.

Die Tür des Zimmers 101 ging sofort auf, als er kurz anklopfte. Oberst Pascu war nicht allein da. In einem der drei bequemen Sessel um einen kleinen runden Tisch saß eine blonde Frau, gutaussehend, diskret geschminkt, kurzer schwarzer Rock, ein Chemisier, gelb, nicht zu tief aufgeknöpft, Stöckelschuhe, schwarz. Lächeln, kalt. Wie gefroren, in Eis gemeißelt.

»Genossin Oprea, unsere Mitarbeiterin.« Cognac wurde ihm angeboten, nein danke, ich trinke keinen Cognac. Dann aber Kaffee, ja, danke, und Oberst Pascu verschwand, um den Kaffee zu holen.

Wie geht es Ihnen, wie ist das Leben so im Westen, haben Sie sich schon eingelebt? Sie stand auf, kam etwas näher, blieb hinter Alexandrus Sessel stehen, stützte sich auf Alexandrus Sessellehne und bot ihm mit der rechten Hand eine Kent Zigarette an, in einer Geste, als würde sie Alexandru von hinten umarmen. Keine Berührung. Das Feuer kam aus einem schweren silbernen Feuerzeug von der Seite. Sie setzte sich dabei auf die breite Armlehne seines Sessels und bückte sich ein wenig zu ihm hinunter. Er konnte sehen, dass das Chemisier ein Loch tiefer aufgeknöpft wurde. Er konnte jetzt deutlich ihr Parfüm riechen, es kam direkt aus ihrem Dekolleté. Wie gedrängt in die Ecke eines Boxringes in einem Kampf, den er unmöglich gewinnen konnte, versuchte er sich heraus zu winden.

»Wissen Sie, ich mag diese Art nicht, ich bin verheiratet.« Mit der Antwort kam auch eine weiche Hand um Alexandrus Hals.

»Ach, komm, wir wollen doch nur ein paar schöne Momente miteinander verbringen, es wäre bei dir nicht das erste Mal, das weiß ich.«

Die einzige Möglichkeit, aus ihrer Umklammerung zu fliehen, war aufzustehen und durch das Zimmer zu gehen wie der Löwe im Käfig des Zoos im Jungen Wald, machtlos und schwach, so schwach, dass er nicht einmal brüllen konnte.

»Was wollen Sie von mir wissen?«

Bei dieser Frage setzte sich die Frau und griff unter den kleinen Tisch, als würde sie dort etwas suchen. Es dauerte nicht lange, bis Oberst Pascu erschien, drei Tassen Kaffee auf einem Tablett, das er auf den Tisch stellte. Die Mienen der beiden waren nicht mehr weich und schmeichelnd, sie wurden ernst, und das drohende Zischen, das Alexandru kannte, begleitete die Fragen, die jetzt eine nach der anderen kamen, herausgeschossen wie aus einer Schnellschusswaffe.

»Was wissen Sie über Theo, wo lebt er, was tut er, was wissen Sie über Andrei, wo lebt er, was tut er, was wissen Sie über Mile? Alles gute Freunde von Ihnen, denen Sie geholfen haben zu fliehen. Sie können uns doch nicht sagen, dass Sie nichts über sie wissen. Es ist zu wenig, was Sie uns da erzählen, Sie müssen doch wissen, dass Mile inzwischen beim Radio Freies Europa arbeitet und dass Theo …«

Alexandru wurde es schwindelig von den vielen in seine Ohren geratterten Fragen, er wusste tatsächlich nicht mehr, und die beiden hörten nicht auf, ihm Einzelheiten über seine Freunde zu erzählen. Sie wussten viel mehr als er, was konnte er noch ergänzen?

Wie aus heiterem Himmel hörten die Fragen nach anderthalb Stunden auf, als hätte es wie in der Schule am Ende des Unterrichts geklingelt.

»Auf Wiedersehen, wir hören noch voneinander.« Und wieder das freundliche Lächeln der beiden.

Der große Fluss

Er hatte sich den ganzen Tag und fast die ganze Nacht über um nichts anderes gekümmert als um das Lenkrad und die Pedale des neuen Autos, das er fuhr, so schnell er konnte, so weit er konnte. Sie waren zeitig von Thessaloniki aufgebrochen zu einer Route, die sie noch nicht gefahren waren – quer über Bulgarien, staubig und grau, nichts in Erinnerung geblieben –, um so früh wie möglich an die Grenze zu kommen, um die Donau zu überqueren und dann auf eine andere Luft zu hoffen.

Der Grenzposten. Für einen Moment hatten sie den Eindruck mitten in einem Western zu sein, fast hörten sie Spiel mir das Lied vom Tod. Die Luft schwer und klebrig. Wie gefilmt durch einen milchigen Filter. Hitze, die dadurch sichtbar wird. Die paar Grenzsoldaten, verschwitzt, rauchend und um sich spuckend, bewegten sich langsam wie die Pistoleros vor einer Schießerei in einem Western, wo dann sehr schnell der eine oder der andere tot umfiel.

Keiner schien sie und ihr Auto zu bemerken, obwohl es keinen anderen Wagen da gab. Sollten sie es wagen, aus dem Auto auszusteigen und sich erkundigen, warum sie nicht ihre Pässe kontrollierten? Nein, du darfst sie nicht provozieren, sie könnten ja heftig reagieren, sie könnten uns vielleicht daran hindern, die Grenze zu passieren. Einen Grund würden sie schon finden.

Fast eine Stunde, sie wurden aber nicht ungeduldig, im Gegenteil, sie übten sich im Warten, höflich grinsend, als wäre das ihre eigentliche Aufgabe, dort an einem gottverlassenen Grenzübergang zu warten, bis einer der Grenzsoldaten, die ersten drei oder vier Knöpfe der Uniform offen, eine kleine gelbe Birne mit rosarotem Fruchtfleisch im Mund, zu ihnen schlendern würde.

»Ihre Dokumente!« Die Stimme klang wie ein eiskalter Wasserstrahl. Sie wussten, was folgen würde.

»Alles raus, das Kind auch!« Keine Widerrede. Ob sie das Olivenöl, die Kühltasche mit dem vielen Schweinefleisch, es waren acht Kilo, die zehn Kilo Mehl und die zehn Kilo Zucker wieder mitnehmen würden? Oder waren auch diese der Zoll zum Überqueren des legendären Flusses?

»Ja, wissen Sie, das alles ist für unsere Eltern, sie sind Rentner, denen geht es nicht so ...«

»Ja, ja, gut, gut«, der eiskalte Wasserstrahl im Nacken, wie eine scharfe Axt.

»Packen Sie nur alles aus, der Wagen muss leer werden.« Interessierte sie eigentlich nicht, was wir alles aus dem Wagen ausgepackten? Sie warfen kaum einen Blick darauf. Inzwischen waren es drei Grenzsoldaten, die den Wagen mit Unterbodenspiegeln inspizierten, die Polster der Sitze wurden fast rausgerissen.

»Motorhaube auf! Öffnen Sie den Luftfilter!«

Er hatte keine Ahnung, wo der Luftfilter war, er wusste aber, dass er keine Schraubenzieher dabeihatte, sie hätten ihm bei einer Panne sowieso nicht geholfen.

»Wie, keine Schraubenzieher?« Das Gesicht des Grenzsoldaten nahm menschliche Züge an, er stand da wie ein Schüler, der an der Tafel eine Übung lösen sollte, die er überhaupt nicht verstand. Er versuchte schnell wieder den eiskalten Ton zu finden.

»Wissen Sie, ich könnte die Produktion dieses Wagens sofort stoppen.« Da war Alexandru derjenige, der an der Tafel stand, verblüfft, nicht wissend, was er sagen sollte, ob er überhaupt etwas bemerken sollte.

»Diesem Wagen fehlt die vorschriftsmäßige Öffnung im Unterboden! Die Produktion wird gestoppt.« Alexandru verstand von diesen Worten nichts. Die Produktion dieses neuen Modells im riesengroßen Werk irgendwo bei Paris, zweieinhalbtausend Kilometer von diesem nach Schweiß und faulem Obst stinkenden Ort stoppen lassen? Sein Gesichtsausdruck gab dem Soldaten, oder war es ein Offizier, die Gewissheit, dass er sein Ziel erreicht hatte. Alexandru musste erkennen, wie wichtig dieser kleine Ort war, wie einflussreich Grenzsoldaten an einem rumänischen Grenzposten an dem großen Fluss sein konnten. Vor allem in dieser Zeit, in der der große und übermächtige Conducator sowieso überall auf der Welt eine entscheidende Rolle in der internationalen Politik spielte. Das hatte Alexandru vergessen, er hatte in den letzten vier Jahren, seit er das Land verlassen hatte, nichts mehr über den Titan der Karpaten gehört, nichts mehr hören wollen.

Im Bauch der blinden Kuh

Nach fünf Stunden durften sie die Grenze passieren. Es war schon Nacht, sie wollten Geld wechseln, alle Wechselbuden waren bereits geschlossen, oder man konnte sie gar nicht sehen in der tiefen Dunkelheit dieser Nacht, in der man kein einziges Licht sehen konnte.

Sie fuhren weiter, sie waren sich nicht sicher, ob sie der Straße folgten oder ob sie auf steinhartem Acker fuhren. Waren die Nächte immer so dunkel gewesen, als sie noch in diesem Land gelebt hatten? Sie hatten das Gefühl, als befänden sie sich im Bauch einer blinden Kuh auf einer holprigen Straße, voller Schlaglöcher, die man nicht meiden konnte, und als drängen sie tiefer und tiefer in den Bauch dieser blinden Kuh. Immer stärker befiel sie das Gefühl, dass dieser Weg nirgendwohin führen konnte, so wie sie damals dachten, dass ihr Leben in einem dunklen Tunnel verlaufen würde, in dem es ab und zu kleine Lichter gab, Glühwürmchen in ihrem Leben. Sie wollten aber kein Würmchen sein, sie wollten raus aus diesem Käfig. Alexandru war aber überzeugt, dass er sein Leben lang nicht aus diesem Land fliehen könnte, dass er nie das Land von Voltaire und Diderot, dessen Sprache er studiert hatte und liebte, dass er nie das Globe Theatre, von dem er oft beim Lesen von Shakespeares Stücken geträumt hatte, jemals besuchen würde. Er hatte sich manchmal gefragt, ob diese Namen, diese Bilder – Tour Eiffel, Buckingham Palace, New York City –, ob sie überhaupt als ein Turm, oder ein Schloss oder eine riesige Stadt existierten, oder ob sie nur Erfindungen eines Regimes waren, die den Eindruck erwecken sollten, dass es auch etwas anderes gebe als die Lüge und den Staub und die Dunkelheit, in der sie lebten. Aber warum sollten sie das?

Schmetterlinge

Durch die schmutzige Windschutzscheibe entdeckten sie plötzlich einen leuchtenden Schmetterling mitten auf der Landstraße, die nach Bukarest führte.

Ziemlich groß für einen Schmetterling! Und plötzlich streckt dieser riesige Schmetterling einen schwarz-weiß gestreiften Rüssel aus, bewegt ihn von unten nach oben und zurück. Langsamer fahren, noch langsamer! Der Schmetterling hat einen langen dunklen Schwanz, nein, es sieht aus als hätte er Füße, er hat Füße, er trägt sogar eine Mütze mit einem goldenen Stern auf der Stirn.

Ein Polizist mit einer leuchtenden über der blauen Uniform gestülpten Weste. Anhalten. Das Fenster auf der Fahrerseite geht langsam runter, er dreht an dem Hebel so vorsichtig, als wäre es verboten das Fenster schnell zu öffnen. Der Polizist, ein sehr junger Mann in seiner zu weiten Uniform, ein Kind, das jetzt Mann spielt. Mann in blauer Uniform mit einem schwarz-weiß gestreiften Knüppel in der Hand. Seine Bewegungen sind schleichend wie die eines Tieres, das seine Beute mit seinen Augen lähmt, bevor es zuschlägt. Er nähert sich, sieht sich den Wagen von allen Seiten sehr aufmerksam an. Ein souverän gespielter Kennerblick, der jedes Detail analysieren und katalogisieren kann. Ob sie rumänisch verstünden, fragt er in einem Ton, als stünde er in einem Verhörsaal vor einem gemeinen Verbrecher, der jetzt zum Geständnis gezwungen wird.

»Welches Zeichen haben wir hier am Kontrollposten?«

Alexandru entschuldigt sich, er habe nichts sehen können in dieser Dunkelheit. Sie sollten es besser wissen, sie verbringen schließlich ihre Zeit hier am Kontrollposten.

»Dokumente!«

Mit den Reisepässen von Anna und Alexandru in der Hand bewegt er sich mit seinen schleichenden, sicheren Bewegungen, wie in Zeitlupe gedreht, zur Front des Wagens. Er schaut sehr genau auf das Nummernschild, vergleicht die Daten mit denen im Reisepass angeblich eingetragenen Daten, einen Pass nach dem anderen. Er hat die Lektion gut gelernt, in den rumänischen Pässen wird das Kennzeichen in den Reisepass, wenn man überhaupt zu den Glücklichen gehört, die einen bekommen können, eingetragen. In den deutschen Pässen nicht.

»Hier am Kontrollposten darf man nur 30 km/h fahren. Sie sind viel zu schnell gefahren.«

Alexandru hätte gar nicht so schnell fahren können auf dieser holprigen Straße, wo man gar nicht wissen konnte, ob man noch tatsächlich auf der Straße war oder auf dem trockenen Acker, geschüttelt und gerüttelt, damit man sich sicher an die Straßen der Kindheit erinnert. Die Straßen, die so oft nirgends hinführten, wo man über alle Pfützen von Stein zu Stein springen musste, wenn man seine Schuhe und sein Gewissen sauber halten wollte.

Nein, er sei nicht schnell gefahren, man solle lieber die Straßen reparieren, als sich darum kümmern, ob Ausländer wüssten, welches Zeichen hier am Kontrollposten, mitten in der Nacht, aufgestellt sei.

Der Mann mit der zu weiten Uniform, sein Gesicht kann man kaum sehen – nur zwei Wieselaugen, die vergeblich versuchen, Angst in die Venen der Gefangenen zu spritzen –, ist ein Praktikant. Hinter ihm ein Polizeioffizier. Ein kurzes Zeichen, lass sie weiterfahren.

Der Praktikant kann das nicht stehen lassen, sie einfach so weiter fahren zu lassen. Er wirft mit einer lässig entschlossenen Handbewegung die Pässe unter die Fahrertür – in den Dreck mit euren ausländischen Pässen. Alexandru muss aussteigen, bückt sich, geht in die Knie, sammelt die schmutzigen ausländischen Pässe unter dem Auto auf. Der Moment ist eine Explosion von Schimpfwörtern, Anna ist fast lauter als der brüllende Motor des Wagens, der jetzt wie ein Formel 1 Wagen startet mit quietschenden Reifen auf der staubigen Straße. Jetzt werde ich schnell fahren. Zum Trotz.

Die Reise geht weiter durch die dunkle Nacht. Dunkel wie im Bauch einer schwarzen Kuh, keine Laternen, keine Sterne, nur die Scheinwerfer, die zwei Löcher in den schwarzen Stoff bohren. Auf einmal Straßenbahnschienen und am Rande der Straße eine Gestalt.

»Entschuldigung, ist es noch weit bis Bukarest?« »Sie sind in Bu… Bu… Bukarest!«, antwortet eine betrunkene Stimme.

Soll das die Hauptstadt sein? Sie können es nicht glauben, das Auto rollt weiter, langsam entlang der pechschwarzen Straße. Tatsächlich, links und rechts reihen sich Kolosse, eckig, grau, dunkel, kein beleuchtetes Fenster, nicht eines. Und so geht es bis an das andere Ende der Stadt, ans Ende der Hauptstadt dieses mythischen Landes des sagenumwobenen Titans der Karpaten.

Zeichen am Kontrollposten

Ein Rüssel, weiß gestreift, die leuchtenden Flügel eines Schmetterlings und die Frage, die gleiche Frage, diesmal im Sprechchor:

»Welches Zeichen haben wir hier am Kontrollposten?«

Ja, er wisse, dass das Schild eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h vorschreibe, er wisse aber auch, dass er nicht einmal 20 fahren konnte, die Straße, die vielen Löcher, wie Bombenkrater, hätten das nicht erlaubt. Der Polizist lächelt, sie können es nicht begreifen, wieso er das tut. Er verlangt keine Papiere, er schaut sich das Nummernschild nicht an, er sagt nur:

»Fahren Sie weiter, aber bitte nicht schnell!«, und salutiert.

Das Fenster bleibt offen, Alexandru sitzt da mit offenem Mund, weiß nicht, was er sagen soll, fährt nicht weiter. Eine Ewigkeit, eine ewige halbe Minute, und der Wagen beginnt sich zögerlich zu bewegen. Wird er nicht doch laut »Halt!« schreien, oder gibt es nach zwanzig Metern noch einen Schmetterling, der diese Aufgabe erledigt? Sie dürfen tatsächlich weiterfahren. Ihre Herzen pochen laut, sie atmen schnell, oberflächlich. Was passiert jetzt, etwas muss doch passieren? Der Wagen rollt langsam über die holprige Straße, das Licht der Scheinwerfer zittert eine Zeit lang mit. Sie haben sich alle beruhigt, die Straße wird glatt, wird breiter, Alexandru kann jetzt schneller fahren, sie sind auf der Autobahn. Die einzige Autobahn des Landes, einhundertachtzig Kilometer lang. Keiner von ihnen spricht, man hört nur den Motor des Wagens schnurren, eine Katze auf dem sicheren Sprung ins Ziel. Bald haben sie es geschafft.

Plötzlich fangen sie alle laut an zu lachen. Es ist tatsächlich möglich, dass es auch auf der Autobahn Schmetterlinge gibt.

Ein Kontrollposten mitten auf der Autobahn und ein junger Polizist, der eine bekannte Frage stellt:

»Welches Zeichen haben wir hier am Kontrollposten?«

»Hier darf man nur 30 km/h fahren, ich bin einhundertsechzig gefahren! Es ist ein Uhr nachts und wir möchten endlich ans Ziel kommen.«

Der junge Polizist blickt Alexandru erstaunt an, fängt sich aber schnell.

»Mit solchen Leuten wie Ihnen kann ich mich sehr gut unterhalten, Sie gefallen mir. Sie sind ehrlich und das ist, was zählt! Sagen Sie, woher kommen Sie?«

Alexandru dreht sich nach hinten, greift in die Tasche auf der Rückbank und holt eine Packung Karelia heraus und drückt sie dem Polizisten in die Hand. Dieser schaut sich die Packung an und schaut dann Alexandru an, ohne etwas zu sagen, er schaut ihn einfach nur an, und Alexandru erinnert sich an diesen Blick, der sagt: Glaubst du, dass ich mich mit so viel zufriedengebe? Alexandru dreht sich erneut um, greift in die Tasche und holt eine zweite Packung von den Zigaretten, die er in Griechenland gekauft hat, und reicht sie dem Polizisten. Das Spiel der Blicke wiederholt sich, nach der dritten Packung drückt Alexandru aufs Gaspedal.

Im Rückspiegel sieht man den jungen Polizisten regungslos, mit offenem Mund dastehen, mitten auf der einhundertachtzig Kilometer langen Autobahn, der Stolz der Bevölkerung und des Auserwählten, des ersten Sohnes des Landes.

Er fährt schnell, er will aus diesem Alptraum mit Schmetterlingen und gestreiften Rüsseln heraus, am liebsten würde er schweißnass und zitternd aus diesem bösen Traum in seinem Bett erwachen.

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9783750225732
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