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Читать книгу: «Mel macht´s anders», страница 2

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Mo. 03.09.12

Ich weiß nicht, ob ich das wirklich für die Nachwelt festhalten sollte, aber ich habe jetzt auch ein Online-Profil. Ein Alter Ego aus Bits und Bytes. Eine virtuelle Identität. Ich zögere deswegen, das hier so offen niederzuschreiben, weil ich eigentlich immer der Meinung war, Online-Partnersuche ist was für karohemdentragende Nerds, Typen, die mit 40 noch bei Mutti wohnen und sonstwelche übriggebliebenen Bedauernswerten. Für alle, die es eben nicht gebacken kriegen, im realen Leben jemanden kennenzulernen.

Schon gut, mir ist bewusst, dass das ein blödes Vorurteil ist, dem ich keine selbst gemachten Erfahrungen entgegensetzen kann. Bis jetzt nicht. Denn gestern habe ich mir auf einer großen deutschen Erotikplattform ein Profil zurechtgebastelt. Ich hätte auch »Partnersuche Online« oder »Akademiker unter sich« wählen können, aber nachdem ich mich da umgesehen hatte, stellte ich fest, dass ich mich so im Moment nicht sehe. Ich suche ja gar nicht. Keine feste Beziehung zumindest. Zu dem Entschluss bin ich wenigstens gekommen. Ich will einfach für den Moment gern Single sein, ein paar Möglichkeiten kennenlernen und mich umsehen, bevor ich wieder in so eine ernste Sache mit Erwartungen und Kompromissen schliddere. Ich bin also nicht auf Partnersuche und auf pseudo-elitäre Vereine, wo man Menschen nach dem Bildungsstand aussortiert, steh ich sowieso schon mal gar nicht. Also keine golfspielenden, kulturinteressierten Rechtsanwälte mit blendend weißen Jacketkronen für mich. Stattdessen habe ich mich auf einer Seite angemeldet, wo es primär um Sexkontakte geht.«Sinnliche Suche«. Ha. ICH. Ich meine, mit 34 bin ich ganz sicher kein unbeschriebenes Blatt mehr. Ich weiß, wie es geht. Denke ich. Dachte ich. Bevor ich angefangen habe, mich auf dieser Seite mal genauer umzuschauen. Seitdem hatte ich das eine oder andere Aha-Erlebnis. Gut, ok, von einigen Dingen hätte ich besser nie erfahren. Es ist schwer, gewisse Bilder wieder aus dem Kopf zu bekommen. Aber andere Dinge … fand ich zumindest interessant genug, um sie meinem Profil als Möglichkeit hinzuzufügen. Ich bin jetzt also die »Waldfee79« und ich möchte meinen Horizont erweitern und suche dafür nette Begegnungen auf freundschaftlicher Basis, vielleicht auch mehr. Blablabla. Wie man das eben so schreibt. Viele Worte und erst mal nichts ausgesagt. Reichte aber vollkommen aus, um mein virtuelles Postfach innerhalb kürzester Zeit überquellen zu lassen. »Sie haben 45 neue Benachrichtigungen.« Hoppla. Ok, die ersten vier waren vom Administrator und hießen mich erst willkommen und wiesen mich dann – mehrfach - darauf hin, dass ich mit einem Premium-Profil ja noch viel mehr Möglichkeiten hätte, mit anderen Usern in Kontakt zu treten. Jaja, vielleicht später. Für den Moment lief es auch so ganz gut. Einundvierzig geöffnete Mails später war ich mir da schon nicht mehr ganz so sicher. Siebenunddreißig dieser Kontaktaufnahmen waren schlicht und einfach unbrauchbar. Geistlose Ein- oder Zweizeiler, zehn Rechtschreibfehler in dem Satz »Hi, wie geht es Dir?«, standardisierte Anfragen ohne Anrede oder Gruß, ungefragt zugeschickte Bilder männlicher Geschlechtsteile, Kontaktwünsche von »Honigbärchen43« mit Bauchansatz und Halbglatze und von »HengstsuchtStute«, der sich in Shorts, Tennissocken und Klettverschlusssandalen irgendwo am Strand von Mallorca ablichten ließ und das Bild mit der Unterschrift »meinereiner« versah.

Ja, vielleicht bin ich ein Snob. Vielleicht fühle ich mich gewissen Menschen intellektuell auf eine Weise überlegen, die ein näheres Kennenlernen von vornherein ausschließt. Ich könnte sagen, das täte mir leid. Tut es aber nicht. Was soll ich mit einer Mail, die aus den beiden Worten »echt nice« besteht? Was soll das sein? Ein deutscher Satz? Ein englischer Satz? Überhaupt ein Satz? Subjekt, Prädikat, Objekt? Fehlanzeige. Erwarten Leute, die so etwas schreiben, darauf eine Antwort? Und wenn ja, was für eine?? You are aber auch nicht schlecht? Fragen über Fragen … Aber hey, immerhin habe ich vier Mails übrig behalten. Das sind vier Männer, deren Profil zumindest nicht ganz und gar abschreckend auf mich wirkte und denen ich sogar zurückschrieb. Einige Mails später stellte sich heraus, dass die Bilder von Thorsten aus Würzburg zehn Jahre alt waren und dass das Alter es nicht unbedingt gut gemeint hatte mit ihm, dass Michael aus Remscheid nur dann Single war, wenn man seine Ehefrau außer Acht ließ (was er regelmäßig tat) und dass Jürgen aus Mühlhausen eigentlich lieber Susanne genannt werden wollte.

Und dann war da noch Tom. Tom hatte offenbar meinen Profiltext gelesen (anscheinend eher die Ausnahme als die Regel im Procedere auf Onlineplattformen) und Tom schrieb ganze Sätze, mit Anrede und Grußformel. Jaja, nennt mich alle spießig, aber das hat ihn schon einmal für mich eingenommen. Dazu kam, dass er einen fiesen kleinen, augenzwinkernden Humor besaß, der meinem nicht ganz unähnlich war. Ich musste mehrmals schmunzeln, als ich seine Mail las. Er hatte kein Bild in seinem Profil und während ich seine Zeilen las, brummelte ich vor mich hin, dass er bei meinem Glück bestimmt aussah wie eine Kreuzung aus Oscar aus der Mülltonne und altersschwachem Grizzlybär. Ich fragte ihn erstmal lieber nicht nach einem Foto. Und er schickte erstmal auch keines. Das machte mich etwas unsicher, aber auch neugierig. Wenn Tom einer dieser durchgeknallten Online-Psychopathen war, dann machte er seinen Job ziemlich gut. Bereits nach wenigen Tagen begann ich, mich auf seine Mails zu freuen. Und mich zu fragen, ob das eine gute oder eine schlechte Entwicklung war. Denn immerhin könnte es so sein, dass Tom gar nicht existiert. Oder aber ganz anderes ist als er in seinen Mails »klingt«. Ich bilde mir eigentlich ein, ein gewisses Gespür für Menschen zu haben, aber wenn man jemanden nur virtuell kennt, dann ist dieses Gespür schwer bis gar nicht anwendbar. Virtuelles Papier ist irre geduldig. Tom könnte ein alter, einsamer Knacker sein, eine Frau oder ein Teenager, der sich einen Jux mit mir macht.

Ich versuche jetzt also, mich verhalten zu freuen. Gleichzeitig überlege ich, was ich Tom bieten will? Soll ich eine Riesenshow machen? So eine Art virtuelle Verkleidung, so ähnlich wie Strähnchen und Plastiknägel? Soll ich mich schicker und begehrenswerter machen, als ich bin und vor allem, als ich mich fühle? Gewicht ein wenig nach unten, Oberweite ein wenig nach oben, und Alter ist ja sowieso relativ … oder? Viele machen das so, das war mir bereits nach wenigen Tagen Mitgliedschaft bei der »Sinnlichen Suche« klar. Alles eine Riesenshow. Nee. Ich glaube, das ist mir viel zu anstrengend. Ich bin da ein eher bequemer Mensch und solche Flunkereien können ganz schön aufwendig werden. Wie alt hatte ich mich jetzt noch gleich gemacht? BH ausstopfen oder nicht? Und wenn er doch dahinter kommt, wie steh ich dann da? Nein danke. Zu stressig. Wozu soll ich mich anders darstellen, als ich wirklich bin? Käme ein Treffen mit Tom je in Frage, dann kämen all meine Ausschmückungen der Wahrheit ohnehin ans Licht und ich sähe aus wie ein unreifes, verunsichertes, Lügen erzählendes Huhn. Käme kein Treffen in Frage und man schreibt sich einfach nur eine Weile nett hin und her, dann ergibt doch dieser ganze Bluff von vornherein keinen Sinn. Ich bleibe also die, die ich bin. Ich werde einfach vorsichtig sein und ihm zunächst nur wenige Details über mich erzählen. Aber das, was ich erzähle, wird die Wahrheit sein. Und warum auch nicht? Tom schrieb mir dazu, er fände es schön, dass ich mich nicht verstellen würde. Ich fragte ihn, woher er das denn wisse und er meinte, er hätte da so eine Ahnung. Aha. Eine Ahnung.

Das meiste, was ich auf dieser Online-Plattform vorfand, interessierte mich ziemlich schnell nicht mehr. Ich las ein wenig im Forum herum, das eine oder andere faszinierte mich auch und machte mich neugierig, aber im Großen und Ganzen wurde meine misanthropische Grundeinstellung durch meinen kleinen Auftritt bei »Sinnliche Suche« mehr als bestätigt. Die meisten Menschen sind einfach wirklich dumm und nervtötend und gerade wenn es um einen rein virtuellen Auftritt geht, geben sie sich auch wirklich keinerlei Mühe, das irgendwie zu verbergen. Geistlos, unhöflich, peinlich. Wieso vergessen Menschen, die sich online austauschen, gern, dass sie es mit anderen Menschen zu tun haben und nicht nur mit einer Maschine? Im Alltag geben sich die meisten Leute zumindest noch einen zivilisierten Anstrich, wahren die wichtigsten Formen und fallen nicht völlig unangenehm auf. Aber online gibt es da ganz offensichtlich keinerlei Hemmungen mehr. Wären da nicht die Mails von Tom gewesen, ich hätte das Experiment Online-Partnersuche recht schnell wieder beendet und mich zu meinen Büchern verkrümelt.

Aber es gibt Tom. Und es gibt Jule, die mein Experiment »Wir suchen uns online einen Kerl« total spannend findet und jeden Tag nachfragt, wer mir denn jetzt wieder geschrieben hätte und wann ich denn nun endlich den ersten Kandidaten treffen würde. Ich gestehe, ich bin da auch ein Stück weit feige. Ich verstecke mich hinter dem Rechner und traue mich nicht so recht hervor. Tom hat mich bisher nicht nach einem Date gefragt und bisher wäre er der einzige, für den ich mich hinter den Tasten hervor in die Realität wagen würde. Aber das habe ich ihm noch nicht gesagt. Er soll ja nicht denken, dass ich es nötig hätte. Hab ich nicht. Und wenn Jule es nicht abwarten kann, soll sie sich selbst ein Profil basteln. So.


So. 09.09.12

Jule ist umgezogen und hat mich zu ihrer Einweihungsparty eingeladen. Natürlich wollte ich nicht gehen, denn Partys – noch dazu welche, auf die ich allein gehen muss und auf denen ich niemanden kenne – stehen auf meiner langen Liste von Dingen, die ich verabscheue, wirklich ganz weit oben. Am schlimmsten ist der Moment, an dem man durch die Tür tritt und alle schauen einen an. Mittelpunkt der Aufmerksamkeit sein steht natürlich auch auf meiner Liste. Ich meine … ich bin eigentlich nicht so eitel. Ich benutze kaum Make-Up, sondern arrangiere mich mit meiner vornehmen Blässe, ich weiß nie, was ich mit meinen Haaren machen soll, also klemme ich sie meist mit irgendeiner Spange an meinem Hinterkopf zusammen, ich bin ein wenig zu dünn und ein wenig zu flachbrüstig, um irgendwie spektakulär daherzukommen und ich mag meine ausgelatschten Chucks und ich mag Pullis, bei denen die Ärmel so lang sind, dass sie bis über die Hände reichen. Jule weiß das alles und hatte deshalb schon am Telefon gesagt »Gib dir etwas Mühe, es kommen ein paar sehr nette Single-Herren.« Bah. Kuppelaktion! Spätestens da wollte ich gar nicht mehr hingehen. Ich würde Schuhe mit Absatz tragen müssen und damit ständig umknicken und irgendein Outfit, an dem ich den ganzen Abend herumzupfen würde, weil ich mich darin nicht wohl fühlte … und so würde ich dann bei Jule in der Tür stehen und alle würden gucken. Die Männer würden einmal kurz schauen, überlegen, dass ich zu langweilig und unscheinbar wirke und sich dann dankenswerterweise wieder anderen Dingen zuwenden. Frauen sind da anders. Die gucken nicht einfach nur, die mustern. Dieses abschätzige Abscannen von Geschlechtsgenossinnen bei öffentlichen Veranstaltungen ist mir ein Gräuel. Wieso käme ich nie auf die Idee, so etwas zu machen? Ich meine, schließlich bin ich auch eine Frau. Aber mit diesen Damen, die im Partyfummel grüppchenweise herumstehen, zwischen den makellos manikürten Fingernägelchen den Stil eines Proseccoglases drehen, aufgesetzt über die nicht komischen Witzeleien der anderen kichern und die Neuankömmlinge mustern, habe ich etwa so viel gemein wie … keine Ahnung, meine Chucks mit einem Paar von Jules Killerstilettos von Jimmy Choo. Ja, Jule ist auch so eine. Oder eigentlich ist sie das zum Glück nicht. Sie ist unglaublich attraktiv. Ich habe sie vor vier Jahren bei so einem Media Meeting Event kennengelernt. Sie ist Resort-Leiterin in einem Verlag und sie war mir in der Runde am Stehtisch sofort aufgefallen. So wie jedem anderen, der an diesem Tisch stand. Blonde Haare, perfekt gesträhnt und gewellt bis fast in die Taille, veilchenblaue Augen, perfekt manikürte Hände, eine Figur mit sinnlichen Kurven, die sie umwerfend in Szene zu setzen wusste. Jule hat alles. Nur nicht die passende Zickenattitüde dazu. Und dafür liebe ich sie. Sie ist sehr entspannt und hat es nicht nötig, andere Stuten wegzubeißen. Sie ist einfach gern Frau und das merkt man ihr auch an. Dabei lacht sie laut und herzhaft wie ein Kerl und wenn sie Champagner trinkt, dann rülpst sie und murmelt danach »’Tschuldigung« und grinst. Wieso sie keinen Mann hat? Es ist mir ein Rätsel. Sie wurde ein paarmal sehr enttäuscht und ich glaube, sie hat einfach beschlossen, dazu so schnell keinem Mann mehr die Gelegenheit zu geben.

Aber zurück zu den Party-Abscannerinnen. Wenn solche Damen mich sehen, dann schauen sie erst einmal in mein Gesicht, dann wandern ihre Blicke von oben nach unten und wieder nach oben. Dann ziehen sie eine Augenbraue in die Höhe und um ihre Lippen spielt ein kleines, mitleidiges Lächeln. Dann weiß ich, jetzt haben sie mich in die Schublade für kleine graue Mäuse gesteckt, die keine Konkurrenz darstellen, und der Moment ist vorbei. Das Ganze dauert vielleicht drei Sekunden, aber ich hasse jede dieser drei Sekunden mit Leidenschaft, weil sie mir a) immer endlos lang vorkommen und weil sie b) immer das Wenige zerstören, was ich an Selbstbewusstsein überhaupt habe. Ich mag mich so, wie ich bin, verdammt noch eins. Und ich würde nicht ums Verrecken mit einer dieser Proseccotussis tauschen wollen. So sehr kann ich mich nicht verstellen und wenn ich mich noch so anstrenge! Ich bin ok so, wie ich bin. Das Gefühl habe ich eigentlich immer. Also, meistens. Oft. Außer halt in diesen drei Sekunden.

Ich bin trotzdem zu Jule. Sie hätte mir sonst wieder wochenlang ihren »Tja, wenn du glaubst, dass dir die gebratenen Tauben einfach so entgegenfliegen, wenn du nur mit aufgesperrtem Mund dastehst … darauf kannst du lange warten. Die moderne Frau von heute erlegt sich ihre Beute selbst«-Vortrag gehalten. Und weil wir zwei echte Freundinnen sind und Tussikonkurrenz und Stutenbissigkeit bei uns zum Glück keine Rolle spielen, hat sie ihre Beute an dem Abend sogar mit mir geteilt bzw. mir ein paar besonders gute Stücke selbstlos vor die Füße gelegt. Also, was sie so für gute Stücke hielt. Sie schien alles eingeladen zu haben, was bei ihr im Verlag arbeitet, männlich und Single war. Aber weder Karsten aus dem Controlling (Karohemd und Nerdbrille) noch Guido aus dem Lektorat (Rollkragenpulli und Seitenscheitel) noch Stefan aus dem Marketing (T-Shirt mit Atari-Logo, Skinny Jeans und bunte Turnschuhe) fanden an diesem Abend unter meinen Augen Gnade. Karsten hatte sich letzte Woche erst von seiner Freundin getrennt, Guido sprach mit mir so ausführlich über zeitgenössische Literatur, dass ich irgendwann das Gähnen kaum noch unterdrücken konnte (und das, obwohl ich Bücher mag … ich mag es nur nicht, wenn jemand bei einem lockeren Kennenlernen sein ganzes angelesenes Wissen über mir ausschüttet und erwartet, dass ich davon beeindruckt bin) und Stefan war so offensichtlich auf einen One-Night-Stand aus, dass es schon wieder unsexy rüberkam.

Ich bin kein Typ für One-Night-Stands. Ich habe mich schon oft gefragt, wieso das so ist. Nicht, dass ich es nie ausprobiert hätte … aber daher weiß ich eben auch, dass ich das Gefühl danach nicht mag. Selbst wenn es von vornherein klar ist, dass es eine einmalige Sache ist und darum keinerlei Erwartungshaltungen im Spiel sind, geht es mir hinterher schlecht. Das liegt nicht daran, dass ich Sex und Gefühl nicht trennen kann oder will. Ich kann schon sehr spontan Lust auf jemanden entwickeln, auch wenn ich ihn gerade erst kennen gelernt habe. Und Sex mit jemand ziemlich Fremdem ist unbestritten etwas besonders Aufregendes. Fremde Hände, die einen auf eine fremde Art anfassen, fremde Küsse, fremder Atem, fremde Haut. Das ist sexy. Absolut.

Der Punkt ist bei mir aber: Wenn ich jemanden sexy genug finde, um ihn in mein Höschen zu lassen, dann finde ich ihn meistens auch sexy genug, um ihn wiedersehen zu wollen. Es sei denn natürlich, die Nummer war vollkommen gruselig, aber das ist mir irgendwie noch nicht passiert. Wenn ich loslege, dann weil ich denjenigen wirklich gut finde. Und das ist dann auch schon der Grund. Denn wenn ich jemanden gut finde, dann kann ich gar nicht anders, als mir mehr zu wünschen als ein wenig horizontalen Tango und dann ein verlegenes »Hm ja, war nett mit dir, man sieht sich …«. Dann will ich den wiedersehen und noch mehr davon haben. Und wenn das dann nicht passiert, habe ich grundsätzlich das Gefühl, mich zu billig hergegeben zu haben. Für etwas, das gar keine Bedeutung hatte. Nur rein-raus, das war’s. Für mich ist Sex aber grundsätzlich mehr als rein-raus, mehr als mechanische Reibung primärer Geschlechtsorgane zum Zwecke der Orgasmusgewinnung. Orgasmusgewinnung kann ich auch ohne Kerl. Mit meinem neuen dänisch-amerikanischen Designerstück geht das ratz-fatz. Eine Werbepause reicht. Aber wenn da ein anderer Mensch beteiligt ist, dann ist das für mich immer auch ein wenig seelisches Nacktmachen. Der sieht, wie ich ohne Kleidung aussehe. Der fühlt, wie sich meine Haut anfühlt. Überall. Der schaut mir in die Augen, während seine Finger und andere Teile von ihm in mir drinstecken und er hört und spürt, wie sich mein Atem und mein Puls beschleunigen. Der ist dabei, wenn ich komme. Herrjeh, so etwas ist ungeheuer intim! Also, für mich. Das mal eben so zu erledigen und dann trennt man sich und sieht sich im Leben nie wieder … das hat bei mir immer einen schalen Beigeschmack gehabt. Ich bin mir immer irgendwie benutzt vorgekommen. Was blödsinnig ist, denn ich hatte es ja immer gewollt und hatte auch immer Spaß dabei und meistens auch einen Orgasmus. Woher also dieses Benutztgefühl? Ich weiß es nicht. Es fühlt sich immer an, als hätte ich im Verhältnis sehr viel mehr von mir weggegeben als ich zurückbekommen hätte.

Und weil das so ist, hat Stefan mit den Skinny Jeans von mir auch einen Korb gekriegt, auch wenn er so eine schicke verwuschelte Frisur hatte, in der ich gern mal meine Finger versenkt hätte. Naja. Man kann nicht alles haben.

Jule meinte am nächsten Tag, ich wäre selbst schuld gewesen, dass da nichts gegangen wäre. Sie hätte wirklich für jeden Geschmack etwas gehabt, aber mir sei ja nicht zu helfen. Nee, ist mir vielleicht auch nicht. Aber ihre Würstchen im Schlafrock vom Buffet, die waren lecker.


Fr. 21.09.12

Tom ist verheiratet. Gestern hat er es mir geschrieben. Also, noch. Noch ist er verheiratet. Seine Frau will die Scheidung. Warum, das hat er mir nicht gesagt. Das erzählt er mir ein anderes Mal, hat er gesagt.

Ehemänner, die in ihrer Ehe nicht glücklich sind, die von ihren Frauen vernachlässigt werden und deshalb die dringend benötigte Zuwendung woanders suchen, sind ein übles Klischee. Deshalb wollte ich eigentlich auch spontan den Mailwechsel abbrechen, als ich das las. Aber ich dachte mir, was soll’s, ich kenne ihn eigentlich gar nicht, also kann er mir nicht weh tun. Mal sehen, was er noch so an Stereotypen raushaut.

Er schrieb, er wäre nie gern treu gewesen und hätte seine Frau mehrmals betrogen. Das wird ja immer besser, schoss es mir durch den Kopf. Na gut, wieso sollte der Typ auch anders sein als andere Typen. Ob Tilo mich auch heimlich betrogen hat? Irgendwie traute ich ihm das nicht zu. Gemein, ich weiß.

Tom sagt, er wisse letztlich nicht, was ihn dazu treibt. Er sagt, er sei irgendwie immer auf der Suche nach etwas. Innerlich. Das hätte nie aufgehört. Auch wenn er nach der Heirat gehofft hatte, es würde aufhören. Er hätte aus Liebe geheiratet und Liebe wäre auch nie das Problem gewesen. Er wäre das Problem gewesen und etwas, das er nicht benennen könne. Und seine Untreue sei auch nicht der Grund, wieso seine Frau die Trennung will. Sie wisse nichts von seinen Affären. Glaubt er, dachte ich bei mir und rollte mit den Augen.

Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ok, wir schreiben uns nur und ich bin nicht sein moralischer Zeigefinger, aber ständig fremd zu gehen …

Ich habe mir schon oft Gedanken gemacht über das Thema Treue. Es ist nicht so, als hätte ich in meinen Beziehungen nie daran gedacht, untreu zu sein … ich war oft unzufrieden, gerade in sexueller Hinsicht. Ich weiß nicht, ob da vielleicht etwas nicht stimmt mit mir … zumindest in der Hinsicht konnte ich Tom gut verstehen. Dieses Gefühl, dass da irgendwie noch mehr sein müsse … auch ich habe das schon oft gehabt. Bei mir hält diese erste Lust auf den neuen Partner, dieser erste Liebesrausch, eine Weile an und dann kommt da sehr schnell Langeweile auf. Fieses Wort, aber trifft leider zu. Einer meiner Exfreunde meinte mal, ich sei frigide und mit mir stimme etwas nicht, ich solle das mal behandeln lassen. Da hatten wir bereits mehrere Monate keinen Sex gehabt, weil meine Lust auf ihn vollkommen eingeschlafen war. Und herrjeh, was hatte ich mir Vorwürfe gemacht. Fast hätte ich ihm die Mär von der frigiden Frau schon abgekauft und mich in Therapie begeben. Aber da lernte ich dann Tilo kennen und hatte plötzlich wieder Lust und alles ging von vorne los.

Aber: Wenn meine Lust auch ein ziemlich flüchtiges Geschöpf ist, so war mir doch nie ernsthaft in den Sinn gekommen, meine Männer anders »abzuarbeiten« als nacheinander. Nicht nebeneinander. Das verträgt sich einfach nicht damit, dass ich – ich erwähnte es ja bereits – schlicht und einfach zu faul zum Lügen bin. Dieser ganze Stress, unter den man sich setzt, wenn man sich Ausreden und Geschichten einfallen lässt und ständig darauf achten muss, dass sie stimmen und sich nichts widerspricht … nein, danke. Im Übrigen glaube ich, dass die Lügerei das ist, was das Fremdgehen wirklich schlimm macht. Ok, man hat dann auch Sex mit einem anderen Menschen als dem Partner. Man teilt sein Intimstes mit jemand anderem als dem, der dachte, er sei der einzige. Das wiegt sicher auch etwas. Aber wirklich verletzend sind doch vielmehr diese ganzen Lügengeschichten drum herum, oder nicht? Am Ende weiß es der halbe Bekanntenkreis und zerreißt sich entsprechend das Maul, nur man selbst erfährt es natürlich zuletzt. Man war dumm genug, zu vertrauen. Das ist es. Dumm, so fühlt man sich. Wie der letzte Idiot, der den Knall nicht gehört hat.

Also sollte man nicht fremdgehen. Und was macht man dann mit der Lust auf andere Menschen? Denn hey, mir kann keiner erzählen, dass er die nicht kennt. Nicht in der ersten Verliebtheitsphase, das ist klar, aber irgendwann schleicht sie sich wieder ein. Ich halte das nebenbei für völlig normal. Dieses Konzept der Monogamie hat in meinen Augen ein perverser Menschenfeind erfunden. Naja, ein Frauenfeind wohl eher. Denn sein wir doch mal ehrlich: Männer sind nie treu gewesen, in keinem Jahrhundert der Menschheitsgeschichte. Männern ist Treue nicht gegeben, sie müssen »ihren Samen streuen«, um mal das abgeschmackteste aller Klischeebilder zu verwenden. Wer nicht fremdgeht, der ist ja schon fast kein ganzer Kerl mehr. Nein, Monogamie war seit jeher etwas, das in allererster Linie das Verhalten der Frau diktiert hat. Eine Frau ging mit der Hochzeit quasi in den Besitz des Mannes über und wie sie sich verhielt, das sagte auch immer etwas über das Ansehen des Mannes aus. Eine gute Frau ließ sich selbstverständlich nur von ihrem Mann beschlafen. Punkt, aus. Dass eine Frau ein eigenständiges Lustempfinden hat, das sie nicht nur an- und ausknipst, wenn ihr Mann sich bequemt, sie zu beglücken, sondern das auch eigene Wünsche und eigene Phantasien beinhaltet, ist eine relativ junge Erkenntnis.

Meine Meinung: Die Monogamie ist eine Utopie. Sie ist eine gesellschaftliche Forderung mit einer langen Geschichte, aber sie entspricht nicht der Natur des Menschen. Weder der des Mannes noch der der Frau.

Und wieso bin ich dann noch nie fremdgegangen, wenn ich so schlau bin? Tja, vielleicht aus Mangel an Gelegenheit? Ich wurde, wie alle braven Mädchen, so erzogen, dass man seine Beziehungen gefälligst nacheinander hat, nicht parallel. Also hielt ich mich daran. Aber eigentlich auch nur, weil ich das mit der Lügerei nicht wollte. Wenn man mit jemandem lebt und man hat eine Vertrauensbasis, dann lügt man sich nicht ins Gesicht. Damit zerstört man mehr, als man je wieder reparieren kann.

Wenn ich allerdings nicht lügen müsste … wenn das Leben ein Ponyhof wäre und ich meinem Partner sagen könnte »Du, bei der Arbeit, da ist dieser neue Kollege, der ist vielleicht uuuuaaaahhh und ich glaube, der findet mich auch ganz sexy, meinste, ich könnte mit dem mal was trinken gehen weil er hat nämlich gefragt …« und mein Partner würde dann sagen »Klar, mach doch. Ich sehe doch an dem Glitzern in deinen Augen, dass dir das gut tun würde. Aber erzähl mir danach, wie es war …« dann weiß ich nicht, ob ich eine solche Gelegenheit nicht tatsächlich auch ergreifen würde.

Und weil ich das über mich weiß, sollte ich vermutlich die Letzte sein, die Tom verurteilt. Dass ich das mit der Lügerei beschissen finde, habe ich ihm geschrieben und – Überraschung – das fand er auch immer ziemlich doof. Aber seine Frau hat da wohl ihre Prinzipien. Sie ist nicht so der Typ, der ihm viel Spaß gewünscht hätte, wenn er ihr erzählt hätte dass er eine andere daten will. Sie ist da eher so der traditionelle Typ. Und ich? Was bin ich?

Ich weiß es nicht. Denn ich habe da durchaus auch noch eine andere Fantasie. Die Fantasie von einem Kerl, der mir nicht alles Gute und einen schönen Abend wünscht, wenn ich das mit dem Arbeitskollegen erzähle, sondern der mich packt und mir in die Augen starrt und mit leiser, ruhiger Stimme sagt: »Mein Baby gehört zu mir.« Haha, nein. Aber der etwas sagt wie: »Dass er dich toll findet, kann ich ja verstehen. Die arme Sau. Aber du gehörst zu mir und ganz sicher fickt dich kein anderer als ich.« Höhlenmensch? Einmal grunzen, die Frau an den Haaren packen und ans Lagerfeuer zerren? Nicht sexy? Doch. Doch sexy. Ich finde es anziehend, wenn ein Mann so seinen Claim abpinkelt. Auf eine Weise, die mein emanzipiertes Selbst zwar mit den Augen rollen lässt, die mir aber trotzdem ein feuchtes Höschen macht. Ich glaube, wenn man es auf die Essenz runterkocht, dann steht und fällt einfach alles damit, ob jemand der oder die Eine ist. Denn wenn man diesen Einen hat, dann teilt man den nicht. Dann geht man kaputt bei dem Gedanken, ein anderer könnte Hand an ihn legen. Aber ok, vielleicht fange ich schon wieder an, in Geschichten und Filmen zu denken. Herrjeh, ich weiß es doch auch nicht. Ich weiß es nicht, weil ich dieses Gefühl noch nie hatte. Verliebt, ja. Jedenfalls dachte ich das. Eine Weile glücklich? Auch das. Aber dieses Gefühl, sich zu verzehren nach jemandem, völlig von innen nach außen gekrempelt zu werden von jemandem, die eigene Welt beginnen und enden zu sehen mit jemandem und vor Lust auf jemanden völlig schwindelig zu sein … nein. Bisher nicht. Vielleicht nie? Vielleicht wartet so etwas nicht auf jeden. Ich wäre bestimmt nicht die Erste, die so jemanden nie trifft in ihrem Leben. Trübsal? Ich? Nie!

399
588,96 ₽
Возрастное ограничение:
18+
Объем:
266 стр. 11 иллюстраций
ISBN:
9783945163139
Издатель:
Правообладатель:
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