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Kapitel 8

Nachdem ich eine Ewigkeit wach gelegen hatte, fiel ich anschließend in einen dermaßen festen Schlaf, dass ich Nick nicht kommen hörte. Erst gegen 6.30 Uhr erwachte ich das erste Mal und bemerkte ihn schlafend neben mir. Leise schlüpfte ich aus dem Bett und schlich auf Zehenspitzen ins angrenzende Badezimmer. Kaum hatte ich meine Hände abgetrocknet, bohrte sich Peppers Schnauze durch den Türspalt. Er hatte mich gehört und schob sich nun durch die Tür, um mich schwanzwedelnd zu begrüßen. Dabei schlug er mit seiner Rute rhythmisch gegen den Türrahmen.

»Leise, Pepper, du weckst Herrchen auf!«, flüsterte ich und bugsierte ihn von der Tür weg.

»Der ist bereits wach«, erklang plötzlich Nicks Stimme hinter mir.

»Oh, tut mir leid, wir wollten dich nicht wecken.«

»Guten Morgen, Sweety! Ist nicht schlimm, ich konnte sowieso nicht mehr schlafen.«

Er gab mir einen Kuss und legte seine Arme um mich. Ich genoss die wohlige Wärme, die von ihm ausging, und drückte mich eng an seinen starken Körper.

»Das muss gestern spät geworden sein. Ich habe dich nicht kommen hören, obwohl ich ewig nicht einschlafen konnte.«

»Es war nach 2 Uhr. Christopher und du habt geschlafen wie die Murmeltiere, als ich kam. Ich wurde nur von Pepper begrüßt«, bemerkte er mit einem Grinsen.

»Das Feuer und die vielen Menschen waren aufregend für Christopher, er war zwischendurch sogar auf Brittas Arm eingeschlafen. Soll ich uns ein schönes Frühstück machen?«

»Nichts lieber als das.«

Kurze Zeit später saßen wir in der Küche an dem großen Esstisch. Vor mir stand ein Becher mit dampfendem Tee, während Nick bereits die zweite Tasse Kaffee trank.

»Seid ihr gestern in irgendeiner Weise weitergekommen?«, wollte ich von Nick wissen, während ich meinen Toast mit selbst gemachter Brombeermarmelade bestrich.

»Bei der Toten handelt es sich um die Notärztin, Bente Johannsen. Sie wohnt in Westerland und hat zwei Kinder.«

»Schrecklich! Wie hat die Familie die Nachricht aufgenommen? Haben sie eine Vorstellung, warum ihr jemand das angetan haben könnte?«

»Nein. Sowohl ihre Mutter als auch ihr Lebenspartner haben keine Erklärung für die Tat. Schwierigkeiten oder Ärger wollen beide nicht bemerkt haben«, berichtete Nick mit einem Schulterzucken.

»Vielleicht hat sie absichtlich keinem etwas davon erzählt, weil sie niemanden beunruhigen wollte«, zog ich in Betracht.

»Möglich.« Nick biss von seinem Toast ab.

»Konnte Doktor Luhrmaier Näheres zu den Todesumständen sagen? Gibt es Spuren, die Hinweise auf den Täter geben?«

Nick hielt mitten im Kauen inne. Dann schluckte er und lachte. »Du klingst beinahe wie Staatsanwalt Achtermann!«

»Entschuldige, ich wollte dich nicht löchern, ich bin nur neugierig.«

»Das ist verständlich, schließlich hast du die Tote gefunden. Laut Doktor Luhrmaier handelt es sich zweifelsfrei um ein Gewaltverbrechen. Der Frau wurde die Kehle durchgeschnitten, auf mehr wollte er sich allerdings ohne nähere Obduktion nicht festlegen.«

»Warum war Luhrmaier eigentlich vor Ort, und woher kennt er diese Ellen?«, hakte ich nach und nahm einen Schluck Tee, der mittlerweile soweit abgekühlt war, dass ich nicht Gefahr lief, mir die Lippen zu verbrennen. Die Verletzung an meiner Hand tat nach wie vor weh.

»Er will in vier Wochen am Syltlauf teilnehmen und sich im Vorfeld mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut machen. Die beiden haben sich über eine Marathonplattform im Internet kennengelernt. Mehr Informationen konnte Uwe ihm nicht entlocken.«

»Glaubst du, dahinter steckt mehr als sportliches Interesse?«

Ein Schmunzeln lag auf Nicks Gesicht. »Ist da etwa jemand neugierig?«

»Nein, nur wissbegierig«, hielt ich dagegen. Dann sah ich zu der Uhr über der Küchentür. »Es ist Zeit für Christopher aufzustehen. Ich werde mal nach ihm sehen«, beschloss ich.

»Mach das. Ich drehe derweil eine Runde mit Pepper und fahre anschließend ins Büro. Da wartet eine Menge Arbeit auf uns.«

Kapitel 9

»Es tut Ihnen leid? Ist das alles, was Sie dazu zu sagen haben?« Er wanderte wutschnaubend vor ihrem Schreibtisch auf und ab.

»Bitte beruhigen Sie sich, Herr Spötter. Ich kann verstehen, dass Sie über den Ausgang des Verfahrens enttäuscht sind, aber am Ende entscheidet nun mal der Richter. Wir können selbstverständlich gegen das Urteil in Revision gehen, wenn das Ihr ausdrücklicher Wunsch ist«, schlug sie vor und hoffte, ihren Gegenüber mit dieser Aussicht zu besänftigen – jedenfalls für den Moment. Doch ihr Plan schien nicht aufzugehen. Auf ihren Vorschlag hin warf er ihr einen zornigen Blick zu.

»Wir gehen nirgendwo hin!«, schnaubte er, wobei er das erste Wort besonders betonte.

Die Anwältin konnte erkennen, wie er vor Wut die Zähne aufeinanderbiss und seine Kiefermuskeln dabei deutlich hervortraten. Kurzzeitig bekam sie Angst, und ihr Blick heftete sich an die oberste Schreibtischschublade, in der ein Pfefferspray für alle Fälle griffbereit deponiert war. In der Vergangenheit hatte sie aufgebrachte Mandanten stets mit Worten und gesundem Menschenverstand beruhigen können, sodass es bislang glücklicherweise nie zum Einsatz gekommen war.

»Sie haben mir zugesichert, dass ich schadlos aus der Sache herauskomme, Frau Seiler! Durch dieses Urteil bin ich finanziell endgültig ruiniert. Das habe ich allein Ihrer Unfähigkeit zu verdanken!«, schnaubte Martin Spötter und fuchtelte beim Sprechen wild mit den Armen.

»Sie wissen genauso gut wie ich, dass das nicht meine Schuld ist. Hätten Sie von Beginn an mit offenen Karten gespielt, hätte ich die Verteidigung vollkommen anders aufbauen können«, konterte sie verärgert. Einerseits war es unklug, sich mit ihrem Mandanten in seiner momentan hochemotionalen Lage auf ein Streitgespräch einzulassen, darüber war sie sich durchaus im Klaren, andererseits wollte sie diese Schuldzuweisung nicht ohne Weiteres auf sich sitzen lassen. Objektiv betrachtet, konnte Spötter sich glücklich schätzen, keine Freiheitsstrafe kassiert zu haben, doch diesen Gedanken behielt sie vorläufig lieber für sich.

»Das ist interessant. Versuchen Sie etwa, mir den schwarzen Peter zuzuschieben? Das wird ja immer besser! Ich bezahle Sie, damit Sie sich für meine Interessen einsetzen. Wissen Sie was?« Plötzlich kam er ihr bedrohlich nah und stützte sich mit beiden Händen direkt vor ihr auf der Schreibtischplatte ab. Der Geruch seines Aftershaves kitzelte ihr derart heftig in der Nase, dass sie nur mit Mühe ein Niesen unterdrücken konnte. Intuitiv lehnte sie sich in ihrem Stuhl ein Stück zurück. »Von Ihnen lasse ich mich nicht verarschen. Wir sind noch nicht fertig, Frau Seiler!«, zischte er. Sein Gesicht befand sich unmittelbar vor ihrem, sodass sie die kleinen bernsteinfarbenen Sprenkel in seinen Augen deutlich erkennen konnte.

»Herr Spötter …«, schlug sie einen versöhnlichen Ton an, doch er fiel ihr augenblicklich ins Wort.

»Die Sache wird Ihnen noch leidtun, sehr leid sogar.« Er richtete sich auf, holte tief Luft und schnappte sich seine Jacke, die er über der Sessellehne abgelegt hatte. Ohne sie eines letzten Blickes zu würdigen, riss er die Bürotür auf.

»Soll ich das als Drohung auffassen?«, rief sie ihm hinterher.

»Ist mir scheißegal, wie Sie das auffassen!«, blaffte er im Hinausgehen zurück und versetzte dem Garderobenständer neben der Tür zum Abschied einen wütenden Tritt.

Dann war er aus ihrem Blickfeld verschwunden. Sie konnte das lautstarke Zuschlagen der Tür zum Treppenhaus hören, bevor es für einen kurzen Moment mucksmäuschenstill wurde. Einzig das gleichmäßige Ticken des Sekundenzeigers der Wanduhr, der unbeeindruckt seine Runden drehte, durchbrach die Stille.

Svenja war zusammengezuckt, als die Tür ins Schloss krachte. Irritiert steckte sie den Kopf aus der Tür und lugte in den Flur. Niemand war zu sehen. Schulterzuckend wandte sie sich ihrer Arbeit zu. Sie stand in der kleinen Teeküche und war dabei, Quark und Naturjoghurt in einer Schale zu vermischen. Dann nahm sie das Vorratsglas mit Nüssen und Haferflocken aus dem Regal und gab eine Handvoll über die Quarkmischung, wie sie es seit Wochen täglich tat. Anschließend öffnete sie die durchsichtige Plastikschale mit Blaubeeren, deren lange Reise von Chile bis nach Sylt exakt an dieser Stelle endete, und hielt sie unter fließendes Wasser, bevor sie sie mit einem Küchenkrepp behutsam abtupfte. Mittlerweile war diese Tätigkeit zu einem morgendlichen Ritual geworden und hatte beinahe meditative Züge angenommen. Als die kleinen blauen Kugeln in die Schale kullerten, fasste Svenja den Entschluss, ihrer Chefin den Vorschlag zu unterbreiten, künftig lieber auf heimisch produzierte Tiefkühlware zurückzugreifen, denn frische Blaubeeren im Februar gingen in Anbetracht der weltweiten Klimaerwärmung – vom horrenden Preis ganz zu schweigen – gar nicht, sagte sie sich. Plötzlich stach ihr eine Beere ins Auge, die noch ein Stück grünen Stängel besaß. Behutsam sortierte sie sie mit spitzen Fingern aus, trennte sie vom Stielansatz und ließ sie blitzschnell in ihrem Mund verschwinden.

»Hm, schmeckt nach nichts«, murmelte sie enttäuscht und fühlte sich gleichzeitig in ihrem Entschluss bestärkt. Mit der Schale und einem Kaffeebecher in der Hand marschierte die junge Frau zum Büro ihrer Chefin.

»Moin, Boss! Was sollte dieser Krach eben?«

»Guten Morgen, Svenja! Wie oft soll ich Ihnen noch sagen, dass Sie mich nicht ›Boss‹ nennen sollen.«

»Verstanden. Warum eigentlich nicht?«

»Weil … ach, ich möchte es nicht. Sie sind früh dran heute, ich habe Sie gar nicht kommen hören«, stellte die Anwältin fest.

»Ich war mega leise, weil Sie Besuch hatten. Was wollte der Typ eigentlich um diese Zeit in der Kanzlei? Mann, war der sauer!« Sie schüttelte ihre Hand, als hätte sie sich verbrannt.

»Sagen wir mal, unser Mandant war mit dem Ausgang seines Verfahrens nicht in allen Punkten einverstanden.« Ellen Seiler war bemüht, in Gegenwart ihrer Auszubildenden entspannt zu wirken, obwohl sie der Auftritt Martin Spötters mehr aufgewühlt hatte, als sie bereit war zuzugeben.

»Nach dem Urteil geht ihm der Arsch richtig auf Grundeis. Würde mir auch, wenn meine Kohle weg wäre. Echt krasser Auftritt.« Sie grinste breit.

»Svenja, bitte arbeiten Sie an Ihrer Ausdrucksweise!«

»Sorry, ich geb’ mir Mühe«, entschuldigte sich die junge Frau und stellte die Tasse sowie die Schale auf dem Schreibtisch ihrer Chefin ab. »Bitte sehr, Ihr Kaffee und das Müsli, Frau Seiler. Oder hätten Sie lieber einen Beruhigungstee? Sie sehen aus, als könnten sie dringend einen vertragen. Ich mach einen, kein Ding«, bot sie an und spielte an ihrem langen Ohrring herum.

»Danke für das Angebot, aber den hätte Herr Spötter nötiger gebraucht«, erwiderte die Anwältin mit einem Lachen und griff nach der Tasse. »Hoppla, der ist aber stark!«, bemerkte sie, nachdem sie den ersten Schluck getrunken hatte.

»Ich dachte, nach dem gestrigen Abend brauchen Sie vielleicht einen starken Kaffee. Wie ist das Date mit Ihrem Doktor denn gelaufen?«, erkundigte sich die junge Frau neugierig und ließ sich in einen der beiden Ledersessel fallen.

»Erstens ist es nicht mein Doktor und zweitens war das kein Date«, stellte Ellen klar. Svenja zog eine Augenbraue, in der ein kleiner silberner Ring steckte, hoch. »Doktor Luhrmaier und ich interessieren uns beide leidenschaftlich für den Laufsport. Josef, ich meine Herr Doktor Luhrmaier, will dieses Jahr das erste Mal beim Syltlauf mitmachen, und ich habe ihm lediglich ein paar Tipps zu den örtlichen Besonderheiten gegeben. Mehr nicht«, betonte die Anwältin sachlich.

»Schon klar«, klang Svenja wenig überzeugt.

»Glauben Sie, was Sie wollen. Im Übrigen bin ich niemandem gegenüber Rechenschaft schuldig, mit wem ich mich treffe.« Noch im selben Moment taten ihr ihre schroffen Worte leid, schließlich konnte Svenja nichts für ihren Unmut. Doch die junge Frau ließ sich nicht von ihrer schlechten Laune abschrecken.

»Meinetwegen müssen Sie nicht die toughe Anwältin raushängen lassen. Kommen Sie schon! Ein klitzekleines Bisschen können Sie mir doch verraten. Wie ist er denn so, Ihr neuer Freund?«, ließ sich Svenja nicht abwimmeln und ignorierte den fassungslosen Blick ihrer Vorgesetzten, der in Anbetracht dieser Hartnäckigkeit die Worte fehlten.

»Sie geben vermutlich nie auf?«

»Richtig erkannt.« Die junge Frau verschränkte siegesbewusst die Arme vor der Brust und legte grinsend den Kopf schief.

»Josef, also Herr Doktor Luhrmaier, ist ein äußerst kultivierter Mann, und uns verbinden viele gemeinsame Interessen«, begann Ellen Seiler und ärgerte sich im selben Moment, dass sie sich letztendlich hatte weichkochen lassen. Ihr Privatleben ging niemanden etwas an, an vorderster Stelle ihre Auszubildende. Trotz allem ließ sie die Beharrlichkeit, die die junge Frau an den Tag legte, insgeheim schmunzeln. Menschen, die unbeirrt ihr Ziel verfolgten, konnte sie an ihrer Seite durchaus gebrauchen.

»Josef?« Svenja rollte mit den Augen und zog skeptisch den rechten Mundwinkel nach oben. »Was ist das denn für ein spießiger Name! Wenn der Typ so verstaubt ist, wie sein Name klingt, dann gute Nacht!«

»Ich darf doch sehr bitten«, konterte Ellen Seiler entrüstet.

»Sorry, Boss, war nicht persönlich gemeint«, gab die Auszubildende daraufhin kleinlaut zurück.

»Das hoffe ich. Damit ist unser Gespräch zu dem Thema ohnehin beendet.«

»Och nö, das ist total unfair! Sie haben gar nichts richtig erzählt«, protestierte Svenja und setzte einen beleidigten Schmollmund auf.

»Ich bin überzeugt, auf Ihrem Schreibtisch wartet genügend Arbeit, die dringend erledigt werden muss. Schließlich bezahle ich Sie nicht für Plauderstündchen. Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt?«, erklärte Ellen Seiler mit strenger Miene. Normalerweise missfiel ihr diese Art, mit Angestellten umzugehen, doch im Fall ihrer Auszubildenden blieb ihr nichts anderes übrig, als sie auf diese Weise in die Schranken zu weisen. In den allermeisten Fällen hielt der Erfolg nicht lange an.

»Sie sind aber echt empfindlich heute Morgen«, bemerkte Svenja, erhob sich von ihrer Sitzgelegenheit und rückte ihren äußerst kurzen Rock in die richtige Position.

»Gestern beim Biikebrennen hat es einen Todesfall gegeben«, berichtete Ellen Seiler unerwartet und nestelte an dem Kragen ihrer Bluse.

»Echt jetzt?«

»Würde ich über solch ernste Angelegenheit Scherze machen?«

»Nee, das ist ja krass.«

»Svenja, können Sie sich bitte dieses blöde ›krass‹ abgewöhnen? Wenigstens während der Zeit in der Kanzlei«, forderte Ellen Seiler die junge Frau auf, auch wenn es vermutlich vergeblich war.

»Verstanden, ich passe in Zukunft auf. Was ist denn nun gestern passiert?«

»Eine Frau ist ums Leben gekommen, mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen. Herr Doktor Luhrmaier ist Rechtsmediziner und offiziell mit dem Fall betraut. So, und jetzt machen Sie sich bitte an Ihre Arbeit, der Terminkalender platzt aus allen Nähten. Gleich kommt das Ehepaar Gronert, da benötige ich vorher einige Kopien«, stellte Ellen Seiler mit Blick in ihren Terminplaner fest.

»Ein Mordfall? Hier auf Sylt?« Svenjas Augen leuchteten vor Aufregung.

»Von Mord hat niemand gesprochen«, wiegelte die Anwältin ab und bereute, das Thema überhaupt erwähnt zu haben.

»Das ist echt krass! Dann schnippelt Ihr Freund also an Toten rum? Für mich wäre das nichts.« Sie verzog angewidert das Gesicht.

»Haben Sie mich verstanden? Ich benötige die Kopien, gleich!«

»Geht klar, Boss!« Svenja tippte sich an die Stirn, als wolle sie salutieren, drehte sich auf dem Absatz um und verließ im Stechschritt das Zimmer. Ellen konnte ihr bloß mit einem Kopfschütteln nachsehen.

Kapitel 10

»Moin, Nick! Entschuldige, dass ich spät dran bin. Bist du schon lange hier?« Uwe schlurfte zu seinem Schreibtisch, nachdem er seine dicke Winterjacke an den Garderobenständer gehängt hatte.

»Ungefähr seit einer Stunde. Ich war früh wach, außerdem liegt ein gewaltiger Berg Arbeit vor uns. Was macht dein Rücken?«

»Erinnere mich nicht.« Uwe winkte ab. »Gibt es etwas Neues im Fall Bente Johannsen?«

»Bislang nicht. Doktor Luhrmaier ist mit dem ersten Zug aufs Festland gefahren, um die Obduktion selbst durchzuführen. Urlaub hin oder her.«

»Dachte ich mir, emsig wie eine Biene, der Mann«, murmelte Uwe, während er ein mit Wurst belegtes Brötchen aus einer Bäckertüte zog und vor sich auf einen Teller drapierte. Das seitlich herausschauende Salatblatt wanderte direkt in den Mülleimer. Der kräftige Wurstgeruch verbreitete sich in Windeseile im gesamten Raum.

»Was hältst du von ihrem Lebensgefährten, Alex Vechter? Ich lasse gerade sein Alibi überprüfen.« Nick stand auf und stellte das Fenster auf Kipp.

»Hegst du Zweifel an seiner Aussage? Auf mich wirkte er gestern ehrlich betroffen«, bekräftigte Uwe und biss genussvoll in sein Frühstücksbrötchen.

»Wir werden sehen. Ich habe vorhin die Düsseldorfer Kollegen gebeten, dem Ehemann, Erik Johannsen, einen Besuch abzustatten.«

»Das ist gut. Was wissen wir über ihn?«

»Er arbeitet in einem renommierten Architekturbüro in Düsseldorf als Architekt. Er ist ziemlich erfolgreich, hat mehrere internationale Auszeichnungen erhalten und ist auf seinem Gebiet äußerst gefragt. Dazu habe ich in den Medien einschlägige Berichte gefunden. Erkennungsdienstlich liegt nichts gegen ihn vor, habe ich auch nicht erwartet. Zurzeit lebt er mit einer Frau namens … warte, ich habe es gleich.« Er überflog auf der Suche nach dem Namen seine Notizen. »Gloria Brandtner zusammen. Sie ist Inhaberin einer Unternehmensberatung in Köln. Mehr ließ sich in der Kürze der Zeit nicht herausfinden«, fasste Nick die Ergebnisse seiner morgendlichen Recherchearbeit zusammen.

»Gute Arbeit, Nick, bin gespannt, was die Kollegen aus Nordrhein-Westfalen zu berichten haben.« Uwe quälte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht aus seinem Stuhl, wobei er sich mit beiden Händen auf der Schreibtischplatte abstützte.

»Uwe, das kann man sich ja nicht länger mit ansehen. Du musst unbedingt zu einem Arzt und dir helfen lassen.«

»Halb so wild, wenn ich erst in Schwung gekommen bin, geht es wieder. Ich will mir bloß einen Kaffee holen«, erwiderte Uwe mit vor Schmerzen zusammengebissenen Zähnen.

»Sag doch was, ich bringe dir einen.« Nick stand auf und ging zu ihrer neuesten Errungenschaft, einem modernen Kaffeevollautomaten, den ihnen Staatsanwalt Matthias Achtermann vor Kurzem geschenkt und somit ein Versprechen eingelöst hatte, als hinter ihm plötzlich ein lauter Schmerzensschrei ertönte. Erschrocken drehte er sich um und erblickte Uwe, dessen massiger Oberkörper quer über der Tischplatte lag, die Stirn auf der Tastatur seines Computers.

»Uwe!« Nick eilte seinem Freund zu Hilfe.

»Verdammt, tut das weh!«, jammerte dieser, der nicht in der Lage war, sich aus eigener Kraft aus seiner misslichen Lage zu befreien.

»Warte, ich helfe dir hoch!«

»Ah!«, schrie Uwe auf, als Nick ihm vorsichtig unter die Achseln griff, um ihn hochzuziehen.

»Ich rufe sofort einen Rettungswagen, ob du willst oder nicht«, entschied Nick und wählte umgehend die Notrufnummer.

»Die sollen sich bitte beeilen«, presste der Gepeinigte schweißgebadet und mit hochrotem Kopf hervor.

Kapitel 11

Er zog ein letztes Mal an seiner Zigarette, stieß den Rauch genüsslich aus und ließ die Kippe neben sich auf den Bürgersteig fallen, wo er sie austrat und mit der Fußspitze auf die Straße kickte. Die Hände tief in den Taschen seiner Winterjacke verborgen, überquerte er die Straße. Er betrat das Grundstück seines alten Freundes Lorenz Peters in der Breslauer Straße im Süden Westerlands und klingelte an der Tür.

»Hey, Sönke! Da bist du!« Lorenz umarmte seinen Freund zur Begrüßung. »Komm rein oder willst du vor der Tür Wurzeln schlagen?«

Nur zögerlich folgte Sönke Brodsen der Aufforderung seines Freundes und betrat die wärmende Behausung.

»Ich koche uns einen Kaffee, und dann erzählst du, wie es dir ergangen ist. Warum hast du dich nicht eher gemeldet, ich hätte dich abgeholt.« Er gab einige Löffel Kaffeepulver in den Filter der Maschine und schaltete sie ein. »Setz dich!« Er nickte mit dem Kopf zu der Eckbank in der Küche.

In der Mitte des Küchentisches stand eine silberne Schale, in der sich kunstvoll zu einer Art Pyramide aufgetürmt ungefähr ein Dutzend Orangen befand. Sönke nahm Platz und rieb die Handflächen gegeneinander, mehr aus Nervosität als vor Kälte.

»Ordentlich kalt heute, was? Schade, Birte ist kurz weggefahren, du hast sie knapp verpasst. Sie hätte sich bestimmt gefreut, dich wiederzusehen«, begann Lorenz um Lockerheit bemüht ein Gespräch und stellte zwei Keramikbecher auf den Tisch, von denen an einem eine Stelle am Henkel abgeplatzt war.

»Schon gut, Lorenz. Du weißt ebenso wie ich, dass Birte alles andere als erfreut wäre, mich anzutreffen. Schon gar nicht in eurem Haus. Ich habe wegen Totschlags im Gefängnis gesessen, wer möchte schon gerne einen Straftäter in den eigenen vier Wänden beherbergen«, gab Sönke unverblümt zurück. Dass er absichtlich gewartet hatte, bis Lorenz’ Frau das Haus verlassen hatte, um ihr nicht über den Weg zu laufen, verschwieg er geflissentlich. In der Küche war es sehr warm, daher schob er die Ärmel seines Pullovers hoch, sodass ein Stück eines Tattoos zum Vorschein trat.

»Oh, das hattest du früher nicht, oder?«

»Heute ist alles anders als früher, Lorenz.«

Lorenz füllte schweigend den frischen Kaffee in die Becher.

»Ich wusste nicht, dass du entlassen wurdest, sonst hätte ich dich abgeholt.«

»Den genauen Termin haben sie mir erst kürzlich mitgeteilt.« Sönke trank einen Schluck.

»Was hast du jetzt vor?«

Sönke zuckte die Achseln. »Ich werde mir eine Arbeit und eine Wohnung suchen.«

»Auf Sylt?«

»Spricht etwas dagegen?«, erwiderte er und sah seinem Gegenüber dabei fest in die Augen.

»Na ja, ich hatte gedacht, du seist froh, alles hinter dir lassen zu können und irgendwo ein neues Leben anzufangen.«

»Du meinst, weil es für diverse Leute auf der Insel bequemer wäre, wenn ich nicht zurückkehre?« Sein Freund setzte zu einer Antwort an, schwieg jedoch. »Ich bin unschuldig, Lorenz, und das weißt du genauso gut wie ich. Ich will, dass diejenigen zur Rechenschaft gezogen werden, die mir das angetan haben. Kannst du das verstehen?«

»Natürlich verstehe ich das. Ich glaube nur, du solltest die Vergangenheit ruhen lassen.«

»Sicher. Ich dachte, du bist mein Freund?«

»Das bin ich auch. Gerade deshalb bitte ich dich, keine unüberlegten Aktionen vorzunehmen. Du könntest es bitter bereuen. Sieh lieber nach vorne und vergiss das alles.«

»Vergessen, wenn das so einfach wäre. Ich werde nichts unternehmen, was mir schaden könnte«, erwiderte Sönke und setzte den Kaffeebecher abermals an die Lippen.

»Hoffentlich. Wo wirst du wohnen? Wenn du nicht weißt, wo du unterkommen sollst, kannst du gern unser Gästezimmer nutzen, bis du etwas Passendes gefunden hast.«

Ehe Sönke auf das Angebot seines Freundes eingehen konnte, ertönte eine Frauenstimme. »Ich bin’s, Liebling, habe was vergessen.«

Eilig näherten sich Schritte. Dann erschien eine Frau in einem Winterparka und einem dicken Wollschal um den Hals im Türrahmen. »Irgendwann …« Beim Anblick des Besuchers verstummte sie augenblicklich und starrte ihn an.

»Schneckchen, wir haben Besuch«, erklärte Lorenz überflüssigerweise.

»Das sehe ich selbst. Ich möchte, dass du augenblicklich unser Haus verlässt«, wandte sie sich an Sönke, ohne den Blick von ihm zu nehmen. Der Angesprochene erhob sich auf der Stelle und griff nach seiner Jacke.

»Halt!«, entgegnete Lorenz scharf. »So nicht, Birte! Das ist ebenso mein Haus. Sönke, setz’ dich wieder!«

»Na schön, wenn das so ist, dann gehe ich eben. Die Wahl liegt ganz bei dir«, schleuderte sie ihrem Mann wütend entgegen und stapfte wutentbrannt aus dem Raum.

»Birte, bitte sei nicht kindisch!«, rief Lorenz ihr hinterher, doch da krachte die schwere Haustür bereits mit lautem Knall ins Schloss. Er seufzte.

»Ich glaube, es ist besser, wenn ich gehe. Ich möchte nicht, dass meinetwegen der Haussegen schief hängt.«

»Birte beruhigt sich sicher bald. Sie ist sehr impulsiv und hat nicht damit gerechnet, dich nach der langen Zeit plötzlich anzutreffen«, versuchte Lorenz, das Verhalten seiner Frau zu entschuldigen.

»Danke für den Kaffee und das großzügige Angebot«, sagte Sönke, als er sich draußen vor der Haustür von seinem Freund verabschiedete.

»Gern. Melde dich, wenn du Hilfe brauchst oder auch einfach so. Vielleicht trinken wir mal ein Bier zusammen.«

»Vielleicht«, gab Sönke zurück und war im Begriff, sich umzudrehen.

»Warte!« Lorenz lief zurück ins Haus und kam gleich darauf mit einem Schlüssel zurück, dessen Anhänger einen silbernen Anker zierte. »Hier!«

»Was soll ich damit?«, fragte Sönke und zog die Stirn kraus.

»Das ist der Schlüssel zu meinem Gartenhaus in Hörnum. Du kannst dort wohnen, bis du eine feste Bleibe gefunden hast.«

»Ich dachte, du hättest die olle Bude längst verkauft, weil Birte sie nie leiden mochte?«, erwiderte Sönke erstaunt und nahm den Schlüssel an sich.

»Glücklicherweise kann ich das eine oder andere immer noch selbst bestimmen. Ende letzten Jahres habe ich das Häuschen komplett renoviert. Dusche und Heizung funktionieren ganz wunderbar. Ich habe auch eine kleine Küche eingebaut«, verkündete Lorenz mit einem gewissen Stolz in der Stimme und zwinkerte seinem Freund aufmunternd zu.

»Danke, Lorenz.«

Da Uwe in der Nordseeklinik lag, musste sich Nick ohne die Unterstützung seines Chefs dem Fall Johannsen annehmen. Soeben hatte er die Rückmeldung der Düsseldorfer Kollegen erhalten, als das Telefon abermals klingelte und Staatsanwalt Matthias Achtermann sich nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen erkundigte.

»Ich grüße Sie, Herr Scarren! Wie ist die Lage? Haben Sie nähere Erkenntnisse zur toten … Wie hieß die Frau gleich?«

»Bente Johannsen. Moin, Herr Staatsanwalt«, half Nick dem Gedächtnis des Staatsanwaltes auf die Sprünge.

»Richtig, Johannsen. Hat sich die Rechtsmedizin in der Zwischenzeit bei Ihnen gemeldet?«, fragte er als Nächstes.

»Bislang wurden uns keine Ergebnisse mitgeteilt«, gab Nick wahrheitsgemäß Auskunft.

»Sie gehen dennoch nach wie vor von einem Tötungsdelikt aus, sehe ich das richtig?«

»Das ist korrekt. Der Frau wurde die Kehle durchgeschnitten, woran sie aller Wahrscheinlichkeit nach verblutet ist. Das war jedenfalls Doktor Luhrmaiers erster Eindruck, als er sich die Tote vor Ort angesehen hat«, bestätigte Nick.

»Dann wird das seine Richtigkeit haben, denn unser allseits geschätzter Doktor täuscht sich in der Regel nie. Gibt es erste Ansatzpunkte, wer als Täter infrage kommen könnte?«, hakte er nach.

»Wir stehen erst am Anfang der Ermittlungen. Eben habe ich mit den Kollegen aus Düsseldorf telefoniert, die mit dem dort lebenden Ehemann der Toten gesprochen haben.«

»Interessant. Der Ehemann lebt nicht auf Sylt? Dann handelt es sich vermutlich nicht um eine klassische Beziehungstat? Das hätte ich als Erstes in Betracht gezogen«, brachte der Staatsanwalt seine Verwunderung zum Ausdruck.

»Das Paar lebt seit einer geraumen Weile getrennt voneinander. Die Beziehung der beiden wird nach Aussage der Mutter des Opfers als freundschaftlich bezeichnet.«

»Der Klassiker. Erst schlagen sie sich beinahe die Köpfe ein, aber anschließend herrscht pure Harmonie. Was sagen die Kollegen, hat der Noch-Ehemann ein glaubhaftes Alibi?«

»Nach eigener Aussage hatte er vor drei Tagen das letzte Mal telefonischen Kontakt mit dem Opfer. Zum Todeszeitpunkt hat er sich nach eigenen Angaben in Düsseldorf aufgehalten. Die Kollegen haben seine Aussage dahingehend überprüft und bestätigt«, führte Nick weiter aus und ließ währenddessen einen Kugelschreiber durch die Finger wandern.

»Dann hat er ein wasserdichtes Alibi und scheidet folglich als Täter aus. Schade, es hätte gern einfach sein dürfen. Gibt es weitere Personen aus dem direkten Umfeld der Toten, die ein mögliches Motiv haben könnten?«, ließ der Staatsanwalt nicht locker.

»Da wäre Alex Vechter, der Lebensgefährte von Frau Johannsen. Er arbeitet als Koch in einem Restaurant in Westerland und gibt an, zur Tatzeit dort gewesen zu sein.«

»Sein Alibi haben Sie sicherlich ebenfalls überprüft, nehme ich an«, fiel ihm Achtermann ungeduldig ins Wort.

»Ich wollte mich gerade auf den Weg dorthin machen, um mir einen persönlichen Eindruck zu verschaffen«, erwiderte Nick, auf den der Staatsanwalt an diesem Tag einen ungewöhnlich nervösen Eindruck machte.

»Sehr schön, dann höre ich umgehend von Ihnen, sobald Neuigkeiten vorliegen.«

»Natürlich, Herr Achtermann.«

»Grüßen Sie bitte Ihren Kollegen Wilmsen!«

»Werde ich ausrichten, er befindet sich zurzeit …«, setzte Nick an, doch der Staatsanwalt hatte aufgelegt, und so blieben seine Worte ungehört. Im Anschluss an das Telefonat machte er sich auf den Weg zu dem Restaurant, um Alex Vechters Alibi zu überprüfen.

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22 декабря 2023
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9783839269886
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