Читать книгу: «Ghosting», страница 2

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Die Outfits ihrer Tänzerinnen und Tänzer sind ebenfalls von Alexander von Traunstein gestaltet. Sie sind Unisex gekleidet, tragen elegante Shirts und lange silberne Halsketten zu schwarzen, taillierten Hosen, die in Stiefeln stecken. Was wunderbar zur Choreografie passt, die von der New Yorker Ballroom-Szene aus den späten Achtzigern inspiriert ist, als man nicht immer genau wusste, ob gerade Männlein oder Weiblein tanzt. Ninja meinte mal: »Irgendwann wird es eh keine Männlein oder Weiblein mehr geben, sondern nur noch Arschlöcher.« Das kam aus irgendeinem Film und machte auch irgendwie Sinn, fand Solana.

Ninja wurde als Kind selbst oft für einen Jungen gehalten, weil sie ihre dunklen Locken immer kurz getragen hatte und für ein Mädchen ziemlich viele Jungsinteressen hat, wie zum Beispiel Kampfsport. Ninja kann besser Jiu-Jitsu als der gesamte Wu-Tang Clan. Die könnte den ganzen Clan verkloppen, da kann RZA noch so viele Kung Fu-Filme drehen. Ninja kann auch andere Kampfsportarten, aber Jiu-Jitsu ist die Königsdisziplin, sagt Ninja immer, die ihren Spitznamen ja nicht von ungefähr hat. Manchmal wird Ninja von den Jungs gehänselt, wegen ihres burschikosen Auftretens, aber dann stellt sie sich den Jungs kurz vor, auf ihre Ninja-Art, und dann wird sie nicht mehr von den Jungs gehänselt. So hat jede aus der alten Brooklyn-Crew ihre Superkräfte.

Ana kann bessere Blunts rollen als der gesamte Wu-Tang Clan. Solana mag Blunts viel lieber als Joints, weil ein Blunt einfach mehr Stil hat. Wobei so ein Blunt ziemlich stark sein kann, und die Blunts, die Ana dreht, sind ziemlich stark. Wenn also das Zeug, das Ana von Moe gekriegt hat, ohnehin stark ist, dann sollte man besser aufpassen. Aber Solana braucht jetzt dringend einen Zug von einem richtig guten Blunt, weil es in ihrem Kopf gerade zugeht wie in einer Nervenheilanstalt. Sie ist völlig fertig, total übernächtigt, emotional überfordert, muss gleich auf die Bühne und jetzt … vibriert auch noch ihr Handy.

Ty

baby, ich vermiss dich

»Fuck«, seufzt Solana, und schleudert das Telefon auf die Ledercouch.

»Ty?«, fragt Ana, und leckt das braune Papier vorsichtig an, ehe sie es sorgfältig zusammenrollt, darauf achtend, dass nichts zerbröselt oder rausfällt. Solana nickt.

»Das hat gerade noch gefehlt, dass der Trottel sich jetzt meldet.«

»Dann schreib ihm das.«

»Was?«

»Dass er ein Trottel ist.«

»Weiß er doch. Hab ich ihm geschrieben. Hab ich ihm auch gesagt. Hilft ja nichts. Geht hier rein, da raus.« Solana deutet erst auf das eine, dann das andere Ohr.

»Und wieso meldet er sich dann noch? Und ausgerechnet jetzt?«

»Keine Ahnung. Weil er halt ein Trottel ist.«

»Ist der nicht gerade selbst auf Tour?«

»Was weiß ich. Interessiert mich auch nicht. Kein Bock, zu antworten.«

»Dann ghoste ihn halt«, grinst Ana und hält ihr den fertigen Blunt entgegen. »Typen gehen eh hier rein, da raus.«

Solana schmeißt sich auf die Couch, schlüpft aus den Schuhen, streckt die Beine aus und steckt sich den Blunt in den Mund. Sie zündet ihn an und nimmt einen tiefen Zug. Sie muss gleich husten.

»Alter, was ist das denn für ein Teufelskraut?«

Solana zieht ein zweites Mal und muss noch mehr husten. Sie hustet sich fast die Lunge aus dem Hals, bis sie keine Luft mehr bekommt.

»Scheiße, brennt das in den Lungen.«

»Ok, Sweetie, wir haben gesagt zweimal ziehen. Gib rüber, den Lolli«, sagt Ana.

»Ist ja gut«, hustet Solana weiter und reicht ihr den Blunt. Ana ist so einiges gewohnt, da sie, wie schon gesagt, den Kiffer-Nobelpreis gewinnen würde, wenn es einen gäbe, aber selbst sie muss jetzt kräftig husten.

»Shit, ist das krass.«

»Ich dachte, die Japaner kiffen nicht, hast du gesagt. Aber wenn die immer so Zeug rauchen, dann fetten Respekt. Das kommt bestimmt aus Fukushima oder so«, keucht Solana, immer noch schnappatmend.

Ana feuchtet zwei Finger mit der Zunge an und macht den Zigarillo aus, ohne sich zu verbrennen.

»Rest rauchen wir echt erst vorm Schlafengehen, das ist ja der Monstershit. Du solltest dich langsam umziehen, Süße«, sagt Ana.

»Jaja. Lass mich noch paar Minuten chillen.«

Ana schaut auf ihr Handy.

»So viel Zeit ist echt nicht mehr. Wir haben superlange gebraucht. Hab das Gefühl, der hat uns einmal durch die halte Stadt gefahren.«

»Jaja.«

»Nix ›Jaja‹, aufstehen jetzt«, sagt Ana, die nun versucht, ihre Freundin mit beiden Händen und voller Kraft von der Couch zu ziehen. Solana kann sich dem Griff aber entwinden, woraufhin Ana in Scherenposition mit nach vorne gestreckten Armen und nach hinten gebeugtem Po für ein paar Sekunden stehen bleibt, ehe die Schwerkraft siegt und sie voll auf ihren Hintern plumpst.

»Aua.«

Solana kriegt den totalen Lachanfall.

»Haha, das sah so geil aus.«

»Aua, das tat echt weh. Ich glaub, ich hab mir den Arsch gebrochen.«

Ana wirft sich mit vollem Gewicht auf Solana und versucht sie, von der Couch zu bugsieren, aber ohne Erfolg, was Solana nur noch mehr lachen lässt, woraufhin Ana anfängt, sie an der Seite zu kitzeln. Solana gibt auf und lässt sich von der Couch fallen.

»Du bist so scheiße«, lacht sie.

»Du bist selber voll scheiße. Zieh dich endlich an«, grinst Ana. »Und wenn du schon stehst, dann schmeiß mal was zu futtern rüber.«

Solana versucht, vom Boden aufzustehen, doch ihre Beine fühlen sich an wie ein platter Fahrradreifen.

»Ich kann nicht aufstehen. Ich krieg das überhaupt nicht mehr hin.«

Sie windet sich auf dem Boden hin und her.

»Das ist überhaupt nicht lustig. Du musst dich umziehen, und … ich hab voll Bock auf Cheetos jetzt.«

»Haha, Cheetos wären so megageil. Wie geil wären Cheetos jetzt bitte?«, lacht Solana.

»Cheetos wären jetzt so das Megageilste, aber haben wir überhaupt nicht aufm Rider stehen, Fuck. Warum eigentlich? Welcher Hirni hat eigentlich den Rider gemacht? Du? Ich meine, wie geil Cheetos jetzt wären.«

»Ich geb dir gleich Hirni, aber warte, gib Handy, ich check mal«, sagt Solana und rudert mit dem rechten Arm in der Luft herum, dabei immer noch auf dem Boden liegend. Sie verfehlt aber das Handy, das Ana ihr entgegenwirft, um ein paar Zentimeter, so dass es ihr ins Gesicht klatscht. Wieder kriegen sie sich beide überhaupt nicht mehr ein.

»Aua, Scheiße, das gibt voll Beule.«

Solana öffnet den Chat mit Ty und drückt auf Antworten.

Solana

baby, vermissen cheetos

Sie drückt auf Senden, rollt sich dann auf den Bauch und hämmert mit der Faust auf den Teppichboden, während ihr vor Lachen die Tränen in die Augen laufen. Sie kann einfach nicht aufhören. Es ist unmöglich.

»Was hast du gemacht?«, kreischt Ana, die sich ihrerseits von der Couch rollt und zu Solana robbt. Sie schnappt sich das Handy, schaut auf das Display und fängt auch an loszuprusten.

»Das kannst du nicht bringen. Der arme Kerl, der bringt sich doch um, der ist eh so sensibel.«

»Ach was, der soll sich nicht so anstellen. Der hat eh schon wieder drei andere gehabt. Jetzt kommt der an und meint, der könnte ein bisschen flennen und alles gut wie immer. Am Arsch kann der mich.«

»Du kannst manchmal voll der Machoarsch sein, weißt du das eigentlich?«, sagt Ana grinsend, aber in doch etwas ernsthafterem Ton jetzt.

»Machoarsch? Fick dich. Ich geb dir gleich Macho auf deinen Arsch«, antwortet Solana und boxt ihre Freundin in die Seite.

»Ist ja gut, ich hab dich ja trotzdem lieb, du blöde Kuh.«

Ana fängt den nächsten Schlag ab und nimmt Solanas Hand in die ihre. Sie drückt ihr einen Kuss auf die Stirn.

»Aber du musst dich jetzt trotzdem anziehen, weil sonst ist alles zu spät und dann gibt es weder Cheetos noch Konzert.«

»Aber wir brauchen doch unbedingt Cheetos«, quengelt Solana, die aber langsam auch wieder etwas klarer im Kopf wird.

»Fuck, hab ich dem gerade echt geschrieben, er soll uns Cheetos bringen?«

»Hast du. Du hast es voll vergeigt«, sagt Ana mit gespielt traurigem Blick und streichelt Solana durch ihr dunkles, langes Haar.

»Oh Mann …«

Sie nimmt das Handy und öffnet erneut den Chat mit Ty. Er hat noch nicht geantwortet.

Solana

Sorry. War ein blöder witz. Sind bisschen bekifft

»Du musst jetzt echt aufstehen und dich anziehen«, sagt Ana.

»Ich kann aber nicht aufstehen und mich anziehen. Kannst du nicht paar Chinesen rufen und die ziehen mich an?«, jammert Solana.

»Ich geb dir gleich Chinesen, du scheißversnobter Latino-Macho. Du stehst jetzt auf, weil – ich als deine persönliche Assistentin befehle es dir!«

»Du befiehlst mir überhaupt nichts. Ich befehle dir jetzt erst mal, mir so ein Fischdings von da vorne in den Mund zu stecken. Weil – du bist meine Assistentin und du musst mir dienen, bis dass der Tod uns scheidet.«

Solana öffnet kokett ihren Mund, immer noch auf dem Rücken liegend und alle viere von sich gestreckt.

»Ich steck dir gleich MEIN Fischdings in den Mund, wenn du nicht sofort aufstehst.«

»Oh Baby, gib mir dein Fischdings«, haucht Solana lasziv und räkelt sich auf dem Teppich. Ana steigt gleich drauf ein.

»Uuuuh, oh Gott, warte, ich besorg es dir. Ich will es dir geben. Sorry, aber ich glaub, ich halte es nicht mehr aus, es kommt mir … es kommt dir gleich voll ins Gesicht«, stöhnt sie mit gespielter Lüsternheit, schleicht sich zum Cateringtisch, grabscht eine der dünnen Sashimi-Scheiben vom Teller, nimmt Solanas Gesicht ins Visier und landet den totalen Volltreffer. Der rohe Fisch bleibt auf Solanas Stirn pappen. Die muss wieder voll lachen, springt jetzt aber mit gerade noch für unmöglich gehaltener Energie auf und jagt Ana im Kreis durch die Garderobe.

»Bitch, ich mach dich so alle, du bist so dermaßen tot, du kannst dich morgen krankschreiben lassen …«

3

Das donnernde Geräusch beim Einfahren der Züge hatte Solana regelmäßig zusammenzucken lassen. Sie konnte einfach nicht verstehen, warum Züge so schnell in den Bahnhof rasen. In New York fuhren die Bahnen mit Lichtgeschwindigkeit und hielten erst in der allerletzten Sekunde kurz vor der Markierung. Solana bekam jedes Mal einen Herzinfarkt.

Auch die Katakomben der Arena erinnern an einen U-Bahnhof, es gibt bloß keine Graffitis oder Werbebilder, alles – die Wände, die Decken, die Böden – erstrahlt in sterilem Weiß, und von oben brummen die Bässe, als würde der L Train in Dauerschleife über ihre Köpfe hinweg rasen.

Die Bässe sind ihr Einsatz. Das Zeichen zum Loslaufen, damit sie rechtzeitig zur ersten Strophe von I started walking auf der Bühne ist.

Ana ist bis zur letzten Sekunde bei ihr. Erst kurz vor der Treppe, die nach oben führt, verabschieden sich die beiden. Ana umarmt sie dann noch einmal, sagt aber nichts, weil das Mikro schon an ist und die ganze Arena sie hören würde. Dann verschwindet Ana in den Katakomben und Solana muss alleine hinauf ins Blitzlicht. Ihre Tänzer und Musiker warten in der Versenkung am hinteren Bereich der Bühne, werden erst zum zweiten Song hochgefahren.

Mittlerweile ist es fast zehn Jahre her, dass sie Ana kennengelernt hatte, und Solana muss immer an den L Train denken, wenn sie mit Ana durch die Katakomben der Arenen läuft und die Bässe über ihnen brummen. Weil ihre ersten Wochen in New York untrennbar mit dem L Train verbunden sind.

Die sieben Stationen von der Jefferson Street bis zur Bedford Avenue waren eine Reise in eine andere Welt. Der Weg zur U-Bahn führte durch den Maria Hernandez Park, über den gepflasterten Platz mit dem Papageienbild auf dem Boden, vorbei an den Skatern, hin zu der Station, die wegen des pastellfarbenen Designs und der altmodischen Mosaikbilder auf den gekachelten Wänden fast ein bisschen berühmt war. Bushwick war damals noch wie aus der Zeit gefallen. Nichts deutete in irgendeiner Weise auf Fortschritt hin. Die Straßen waren grau und die Häuser verfallen. Man hatte Angst, dass einem das Haus auf den Kopf fiel, sobald man eine Tür öffnete. Solana bewohnte ein kleines Zimmer in einer dieser Abrissbuden mit Bad auf dem Flur, Schimmel an den Wänden, Geschrei auf den Gängen …

Williamsburg hingegen war eine ganz andere Welt. Wenn Solana an der Bedford Avenue ausstieg und die kleine Treppe zur Straße hochlief, wähnte sie sich wie in einem Film. Die Menschen bewegten sich viel selbstbewusster. Sie waren komplett von sich überzeugt. Solana arbeitete in einem der vielen Cafés der Gegend, die aber nicht mehr Cafés hießen, sondern Namen wie »Independent Coffee House« trugen.

Die Cafés sahen altmodisch aus, aber nicht verwahrlost altmodisch wie die Häuser in Bushwick, sondern schick altmodisch, mit Vintagemöbeln, geschliffenen Böden aus Holz und Bücherregalen im Retrodesign, die mit Nippes, Kunst und Magazinen dekoriert waren. Die Kundschaft bestand aus jungen Müttern mit Yogamatten und Kreativen mit Bart und Brille, die auf ihre Laptops starrten und, wenn sie denn mal mit einem redeten, erzählten, dass sie gerade ein neues Projekt pitchten. Von der Kreativität sah Solana jedenfalls nie viel.

Sie sah in erster Linie junge Schnösel, die die monatlichen Schecks ihrer reichen Eltern in Fünf-Dollar-Kaffee und Sandwiches investierten. Dafür war der Kaffee echter Kaffee und wurde in großen, altmodischen Tassen aus Porzellan serviert. Solanas Job war es, den Kaffee aus der silbernen, überdimensionierten Maschine, die nach jeder Anwendung aufs Neue gereinigt werden musste, in die überdimensionierten Tassen laufen zu lassen, um sie den jungen Kreativen servieren zu können. Die konnten stundenlang Kaffee trinken. Solana hatte keine Ahnung, ob die überhaupt irgendwas arbeiteten, manche saßen bloß da und starrten doof auf ihre Laptops. Den Kaffee aus der Maschine zu bekommen, war gar nicht so leicht.

Am Kaffeeautomaten hing eine Anleitung, die die notwendigen Arbeitsschritte genauestens illustrierte, von der Aktivierung der Wasserkesselbeheizung über die Reinigung des Dampfrohres bis hin zur ordnungsgemäßen Platzierung des Plätzchens auf dem Unterteller neben der Kaffeetasse. Bei der Kaffeezubereitung durfte dem Personal – ganz wichtig – kein Fehler unterlaufen.

Darauf achtete penibel ihr Chef Phil, ein bärtiger Mittdreißiger mit Flanellhemd und Cap, der sich selbst als gechillten, aber innovativen Geschäftsmann verstand. Doch leider war Phil, wie Solana fand, alles andere als gechillt und konnte einem sogar voll auf den Sack gehen, vor allem, wenn viel los war. So wie an jenem Samstag, an dem sie Ana, Fanta, Ninja und Patricia kennengelernt hatte, viel los war.

Solana hatte eine Bestellung über fünf Milchkaffee, davon zwei mit Sojamilch, zwei veganen Donuts, eine Gemüse-Quiche, ein Putenbrust-Sandwich und einen Humus-Bagel aufgenommen und war jetzt am Kaffeeautomaten zugange, als Phil plötzlich hinter ihr aufzuckte.

»Du, sag mal, der Tisch drei ist ja weg!«

Solana guckte rüber zu Tisch drei. Der Tisch war da, doch die Leute, die da eben noch gesessen hatten, waren tatsächlich weg.

»Hast du die abkassiert?«

»Nein, ich war gerade … die sind weg? Fuck, die sind echt weg«, seufzte Solana.

»Ja, die sind echt weg«, bestätigte Phil in einem Ton, der zwar gechillt wirken, zumindest seiner Vorstellung nach, gleichzeitig aber auch eine gewisse Unzufriedenheit signalisieren sollte.

»Die von Tisch drei sind echt weg. Und du hast die nicht abkassiert. Weißt du, was das ist? Scheiße ist das. Richtige Scheiße ist das«, fügte er hinzu und schaute sie an wie ein Lehrer, der seiner Schülerin gerade mitteilt, dass sie wohl eher nicht versetzt wird.

»Was für Arschlöcher auch. Die sind einfach gegangen. Das kann doch nicht wahr sein«, entgegnete Solana, die versuchte, seinem gechillt strengen Blick auszuweichen, da sie aggressiv wurde, wenn Phil sie so gechillt streng anguckte.

Doch Phil bohrte sogar nach mit seinen glasigen Knopfaugen, die ihm ein bisschen was von einem belämmerten Teddybären verliehen.

»Weißt du, ich schmeiß hier den Laden, ich mach die Buchhaltung, ich muss gucken, dass die Getränkelieferungen … Ich kann mich nicht auch noch darum kümmern, dass die Leute hier bezahlen. Da hast du den Verantwortungshut auf und da erwarte ich schon von dir, dass du das auch auf die Reihe bekommst«, sagte Phil, den Blick immer noch auf sie geheftet, jetzt schon deutlich strenger und weniger gechillt, woraufhin Solana einmal tief Luft holen musste.

Ganz tief Luft holte sie. Weil sie den Job natürlich brauchte, denn ohne Job war man in der Stadt ja verloren. Zwar sollte sie sich in der nächsten Woche endlich mit dem Produzenten treffen, der ihre Demos eindrucksvoll, vor allem aber ihre Stimme sensationell fand, aber das hieß natürlich nicht, dass sie damit auch Geld verdienen würde. Also brauchte sie diesen Job. Was sie auch daran hinderte, Phil den nächsten Kaffee in seine gechillt knopfaugige Visage zu schütten, wie sie es eigentlich so gerne machen wollte.

»Ich hab … ich war hier gerade … ich meine, der Laden ist voll, und ich hab hier …«, versuchte Solana sich zu rechtfertigen, während sie überlegte, warum sie sich eigentlich rechtfertigen musste, denn der Laden war tatsächlich rappelvoll, sie war alleine an der Theke, und wenn diese Arschgeigenschnösel es für nötig hielten, die Zeche zu prellen, während man ihnen mal für drei Sekunden den Rücken zuwandte, dann konnte Williamsburg ihr gehörig den Buckel runterrutschen.

»Ich hab, ich hab«, äffte Phil sie noch nach. »Ich sehe nicht, dass du was hast. Ich sehe nur, dass Tisch drei weg ist, und zwar ohne zu bezahlen«, wiederholte er, die Hände in die Seiten gestemmt, offenbar angepisst, da Solana auch noch Widerworte gab. Sie hätte sich ja einfach in ihr Schicksal fügen können. Sich entschuldigen, und gut wäre gewesen. War es aber nicht. Weil Phil mit seinen in die Seiten gestemmten Händen nicht nur noch belämmerter aussah, sondern offenbar wirklich dachte, er könne Solana vor versammelter Kundschaft die Leviten lesen. Mittlerweile hatten einige der umliegenden Tische sogar ihre Gespräche unterbrochen und starrten gebannt zu ihnen rüber.

»Du brauchst mich nicht so nachzuäffen und dich hier aufzuführen wie ein Scheißlehrer. Der Scheißladen ist scheiß-voll und ich war mit dem Scheißautomaten hier beschäftigt und ich hab keine Augen an meinem Scheißhinterkopf. Deswegen kann ich auch nichts dafür, wenn diese Scheißwichser ihren Scheißkaffee nicht bezahlen«, schimpfte Solana in jetzt doch deutlich anschwellender Lautstärke, ein bisschen über sich selbst erschrocken, woraufhin die vier Mädchen am Tisch vor ihr anfingen, lautstark zu johlen.

»Haha, geil, Baby. Gib es dem Arsch«, krakeelte die mit den Locken, woraufhin die mit den pinken Haaren nachlegte: »Lass dir bloß nichts sagen. Der soll mal selber kellnern, dann kann der auch sein Maul aufreißen.«

»Was … sag mal, wie redest du mit mir? Und wer seid ihr eigentlich? Ihr habt hier überhaupt nichts zu melden«, stammelte Phil, ehe er sich wieder Solana zuwandte. »Was glaubst du eigentlich, wer du bist?«

»Ich hab es jedenfalls nicht nötig, mich von einem Typen wie dir zum Affen machen zu lassen. Dir haben sie wohl ins Gehirn geschissen«, schimpfte Solana und machte sich auf Richtung Küche, ihre Sachen holen, wobei sie Phil sogar ein bisschen anrempelte. Das aber eher unabsichtlich, denn Anrempelei war eigentlich nicht so ihre Art. Der war jetzt völlig perplex. Keine drei Sekunden später tauchte Solana wieder auf, ihre Tasche in der Hand, und verließ wortlos das Café, während Phil ihr entgeistert nachstarrte.

»Dumm gelaufen«, grinste die mit der Brille und fügte noch hinzu: »Hier, wir verziehen uns auch. Keine Angst, wir zahlen auch ordnungsgemäß. War eh das letzte Mal, dass wir hier waren.«

Die Mädchen warfen zwei Scheine auf den Tisch, standen auf und liefen Solana hinterher.

»Hey, warte mal«, rief die mit der Brille draußen auf der Straße zu Solana. »Was war das denn für eine geile Aktion, bitte?«

»Was ein Arsch«, schimpfte Solana, immer noch außer sich vor Wut. »Der ist ja wohl wirklich nicht mehr ganz dicht.«

»Die sind hier alle nicht mehr ganz dicht. Guck dich doch um. Die leben in ihrer kleinen Blase und denken, sie wären die fetten Checker, weil sie auf irgendeinem Blog gelesen haben, dass Williamsburg der heiße Shit ist. Aber sehen aus wie Holzfäller aus Kanada von vor dreißig Jahren mit ihren bescheuerten Trucker-Caps und benehmen sich auch so. Das Viertel ist so am Arsch, das glaubt man gar nicht«, sagte die mit der Brille und den langen braunen Haaren. »Ich bin übrigens Ana. Das sind Fanta, Ninja und Patricia.« Sie hielt ihr die Faust entgegen.

»Ich bin Solana.«

»Was ein Vollspasti, der Typ«, bestätigte die Latina mit den kurzen Haaren.

»Und was macht ihr hier, wenn das Viertel so am Arsch ist?«, fragte Solana.

»Anas Oma wohnt hier, die gehen wir einmal die Woche besuchen«, sagte die Pinke. »Anas Oma ist so cool, ohne Scheiß.«

»Ich bin hier aufgewachsen«, nickte Ana bestätigend, »aber wir sind vor zehn Jahren weggezogen. Meine Oma wohnt aber noch hier. Die meint immer, die geht hier nicht mehr weg, eher müsse man sie raustragen. Die wohnt hier seit über vierzig Jahren.«

»Die kann echt die geilsten Geschichten erzählen. Früher war das Viertel noch ganz anders, da gab es die ganzen Idioten noch nicht. Anas Oma musste mal einen Handtaschenräuber mit dem Radio fangen, kein Witz«, sagte die, die offenbar Fanta hieß.

»Die hat einen Handtaschenräuber mit dem Radio gefangen?«, fragte Solana irritiert. »Wie das denn?«

»Die saß am Fenster und hat Radio gehört und die Leute auf der Straße beobachtet. Da kam ein Hilferuf und da lief ein Typ mit Handtasche lang, der musste unter ihrem Fenster vorbei. Die hat dem das Radio voll auf den Kopf geworfen. Die hat den voll umgeknockt. Der lag auf dem Bürgersteig und das Radio lief noch, musst du dir bildlich vorstellen. Im Radio lief Respect von Aretha Franklin«, grinste Fanta.

»Meine Oma erzählt schon sehr viel. Glaub, die dichtet manchmal auch ein bisschen was dazu. Muss man nicht immer alles glauben«, relativierte Ana.

»Kein Scheiß, ich glaub der das voll. Anas Oma ist voll der Umknocker. Der lag auf der Straße und neben ihm das Radio und da lief Respect, just a little bit, just a little bit. Als die Bullen kamen, sind die aus dem Auto raus, haben den Typen da liegen sehen, das Lied gehört … die haben voll abgetanzt, als die den verhaftet haben«, sagte Fanta. »Ich meine, wie geil, oder? Passte natürlich voll aufs Auge. Respect, just a little bit …«, sang Fanta, woraufhin die anderen einstiegen. »… just a little bit.«

Solana zog ihre linke Augenbraue hoch. Die Mädchen schienen ja echt lustig zu sein. Sie tanzten jetzt auf der Straße, während die Williamsburger Hipster belustigt an ihnen vorbei schlenderten.

»Komm, mach mit, just a little bit, just a little bit …«

Solana musste grinsen.

»Wo kommst du her? Ich meine, du wohnst doch nicht hier, oder?«, fragte Ana schließlich. »Du siehst jedenfalls nicht so aus.«

»Nee, ich wohne oben in Bushwick. Am Maria Hernandez Park«, sagte Solana.

»Ich wohne in der Hart Street. Bei der großen Poststation.«

»Echt? Das ist zwei Blocks von mir«, sagte Solana.

»Dann sind wir ja Nachbarn. Ich hab dich aber noch nie gesehen. Du wärst mir aufgefallen.«

»Ich wär dir aufgefallen?«

»Klar, du bist cool. Cooler Style und so. Kein Scheiß, du bist ein cooler Typ. Lass dich ja nicht von so Holzfällern ansaugen. Der hat überhaupt keinen Style.«

»Cooler Style?« Solana guckte an sich herunter. Sie trug ihre abgewetzte Slim Fit Jeans, an den Knöcheln hochgerollt, dazu ein graues Sweatshirt mit dem Wappen der Detroit Tigers und ihre ausgelatschten Leinenschuhe. Alles in allem hatten ihre Klamotten vielleicht dreißig Dollar gekostet.

»Cooler Style«, nickten Ninja, Fanta und Patricia bestätigend.

»Und wo kommt ihr her?«, fragte Solana die anderen.

»Fanta und ich wohnen in Brownsville. Das ist echt mal abgeranzt. Patricia wohnt hier in der Nähe am Skatepark«, sagte Ninja.

»Ist aber auch megaätzend«, rechtfertigte sich Patricia.

»Und ihr heißt wirklich … Ninja und Fanta? Ihr wollt mich doch verarschen, oder?«

»Nein, Fanta heißt echt Fanta. Ist ein westafrikanischer Name. In Westafrika heißt jede Zweite Fanta«, erklärte Ana.

»Und dabei hasse ich diese Plörre«, schwor Fanta.

Solana guckte noch verdutzter.

»Und … Ninja ist auch ein westafrikanischer Name?«

»Nee, Ninja ist … wegen Kampfsport und so. Ninja ist mein Spitzname. Meine Eltern kommen aus der Dominikanischen Republik.«

»Ninja kann echt gut Jiu-Jitsu. Die hätte deinem Holzfäller voll die Nase gebrochen, wenn der die so angesaugt hätte«, sagte Patricia.

»Auf jeden Fall«, bekräftigte Ninja. »Ich meine, wir können das noch nachholen. Wir boxen den zusammen, bis der seine Mami ruft.«

»Nee, lass mal, ist schon gut.«

»Hast du Bock, was zu rauchen?«, fragte Ana. »Wir wollen zur Waterfront. Fluss rauchen.«

»Den Fluss rauchen?«, fragte Solana irritiert.

Sie hatte ja gehört, dass man einen Eimer rauchen konnte. Aber einen Fluss rauchen? Wie stoned waren die denn?

»Klar, wir rauchen den ganzen scheiß East River weg«, grinste Fanta. »Komm mit.«

»Our blunts are burned, so now it’s your turn, to smoke – smoke me a river, yeah, let’s smoke the river …«, sang Patricia auf die Melodie des Justin Timberlake-Songs, und Solana musste das erste Mal, seit sie vor gut drei Wochen aus Bluefields, Nicaragua, in diesem Moloch angekommen war, so richtig laut lachen.

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9783955756147
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