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Zweites Kapitel

Bei Tageslicht öffnet und weitet sich die Farm, die furchterregenden Schatten fliehen aus den feuchten Bäumen, das Pony in seiner Box erwacht, die Kälbchen im Kälberstall rappeln sich hoch. Ich stehe, den Emaillekrug in der Hand, an der Regentonne im Hof, besänftigt von dem unerwarteten Schleier aus Sonnenlicht, der über allem liegt. Sie strahlt schon Wärme aus, die Maisonne. Selbst die Ritzen zwischen den Pflastersteinen sind mit Sonne ausgefüllt, und das Wasser in der Tonne bildet einen veränderlichen Spiegel.

Ich spüre, wie die Wärme in die Fasern meiner Bluse dringt, eine leichte Hitze für eine Frau von leichter Hitze. Meine Knochen und ihre müden Sehnen und Bänder sind dankbar. Ich hebe das Gesicht zum Licht, einmal mehr erstaunt, welche Freuden einem auf dieser Erde vergönnt sind.

Die ganze Nacht lag ich neben der schlafenden Sarah, bin selbst immer mal wieder eingeschlafen, habe, um sie nicht zu wecken, versucht, mich nicht umzudrehen und keinen Laut von mir zu geben, und war trotz der Ankunft der Kinder recht bedrückt. Wieder fürchtete ich um ihre Sicherheit, fürchtete, wir seien nicht in der Lage, auf sie aufzupassen, und fast verfluchte ich ihren Vater, dass er sie zurückgelassen hatte. Nachtgedanken, verscheucht von einer jugendlichen Sonne.

Ich tauche den Krug durch die Schicht brauner Blätter – sie sind aus der Dachrinne gefallen, die Billy Kerr hätte säubern sollen –, und das Regenwasser strömt hinein. Mit der richtigen Handbewegung kann man den Krug jetzt so aus dem Wasser heben, dass er keinen Unrat enthält, ein kleiner morgendlicher Triumph. Sarah kommt mit der großen Schüssel voller Körner aus der Küche und schließt die Halbtür hinter sich. Sie nimmt eine Faustvoll und ruft nach den Hennen im Stall, die sich noch nicht geregt haben. Vielleicht tut sie das, um sie in Aufregung zu versetzen.

»Putt-putt-putt, putt-putt-putt.«

»Sarah, Liebes, du hast dich ja noch gar nicht gewaschen.«

»Mach ich gleich, Annie.«

»Du hast die Ärmel deiner Bluse zugeknöpft und dir nicht mal die Handgelenke gewaschen.«

»Genauso wenig wie du.«

»Aber ich hab die Ärmel vorsichtshalber hochgekrempelt.«

»Die Hühner haben Hunger.«

Sie öffnet den hölzernen Riegel und zieht mühsam die alte Tür zum Hühnerstall auf. Noch so etwas, das repariert werden muss, denn die Tür schleift über den Boden, und von unten frisst sich die Nässe hinein. Billy Kerr mal wieder. Aber eigentlich ist Billy Kerr nicht bei uns angestellt, sondern bei den Dunnes in Feddin, meinen drei Cousinen, deren Hof weiter unten im Tal liegt. Wir hätten gern jemanden, der die ganze Zeit für uns arbeitet, aber den können wir uns nicht leisten. So unzuverlässig, wie er ist, würde ich Billy Kerr ohnehin nicht den üblichen Lohn zahlen.

Verwirrt und aufgebracht stürzt der Hahn aus dem Stall und marschiert im Hof auf und ab, fast rennt er. Trotzdem sieht der arme Kerl wie ein Mädchen in einem rostbraunen Tutu aus, wie eine Ballerina. Und nun folgt ihm langsam die Damenwelt, noch ein bisschen angeschlagen von der Dunkelheit des Stalls, nicht ganz so sicher, nicht ganz so eifrig. Man könnte meinen, sie lieben Sarah, so wie sie sich, kaum haben sie sie erblickt, um sie scharen. Aus dem Handgelenk, dem Handgelenk, das sie nicht gewaschen hat, wirft sie ihnen die Körner hin, und als diese auf die Steine prallen und hochspringen wie Hagelkörner, picken die Hennen sie mit den Schnäbeln auf. Ihren glasigen Augen nach zu schließen haben sie die ganze Zeit Sorge, nicht genug zu bekommen, um ihre Mägen zu füllen.

»Zurück, zurück, zurück!«, ruft Sarah, was sie in letzter Zeit immer tut, weil ihre Augen nachlassen und sie Angst hat, auf die Hühner zu treten.

»Warum tust du das?«, hatte ich sie wenige Wochen zuvor gefragt.

»Weil ich sie nicht sehen kann«, gab sie zur Antwort.

»Du musst nach Dublin zum Augenarzt«, sagte ich.

»Den könnte ich auch nicht sehen«, erwiderte sie lachend.

»Wir müssen einen Termin machen«, sagte ich. »Das wäre das Klügste.«

»Im Augenblick muss ich so zurechtkommen«, sagte sie. »Ein Arzt ist eine kostspielige Angelegenheit.«

Und seither scheint sie tatsächlich einigermaßen zurechtzukommen. Sie entwickelt Strategien, andere Sehweisen vielleicht. Ich verstehe sie nicht immer. Nachts zieht sie sich die Decke übers Gesicht, und so schläft sie dann. Wenn ich nachts nicht schlafen kann und wach im Bett liege, weil ich gegen jede Vernunft spät noch Tee getrunken habe, höre ich sie unter der Decke murren und schimpfen. Manchmal wirft sie sich so abrupt von einer Seite auf die andere, als wäre sie ein Soldat im Gefecht.

Welche Schwierigkeiten sie tagsüber auch haben mag: wenn sie schläft, scheint sie ziemlich gut zu sehen.

Langsam bahnt sie sich einen Weg durch die hungrige Hühnerschar und streut die feuchten Körner aus. Wenn sie sie ins Sonnenlicht wirft, leuchten sie hell. Ihre große Faust schleudert Blitze aus Körnern. Ihre Beine, wohlgeformt wie die schlanken Säulen des Gerichtsgebäudes in Baltinglass, schreiten voran.

»Wenn du fertig bist«, sage ich, »komm rein und wasch dir die Handgelenke wie eine anständige Frau.«

Ich trete ins Haus, schließe die Halbtür hinter mir, falls die Hennen mir folgen wollen, und gehe durch die Küche in unser Schlafzimmer. Dort gieße ich das Regenwasser in die Waschschüssel.

Dieses Wasser kann man nicht trinken. Aber wenn ich die hohlen Hände eintauche, eine Handvoll Wasser schöpfe und mir ins Gesicht klatsche, scheint es sogar unter meiner Haut zu prickeln. Dann sehe ich für einen winzigen Augenblick Dinge vor mir – sommerliche Dinge, Krähen, die krakeelend aus den Bäumen auffliegen, Blätter, die in der gleißenden Sonne aufflammen. Dann wieder das Zimmer, das schlichte Zimmer mit den Holzdielen, unser einziger Teppich die Kühle, die auf dem Boden liegt und durch die Sohlen in meine derben Schuhe zu dringen scheint.

Die beiden Murmeltiere müssen geweckt werden. Ich stehle mich in ihr Zimmer, damit ich heimlich einen Blick auf sie werfen kann, solange sie noch schlafen.

Das kleine Mädchen liegt jetzt ganz friedlich da. Liegt auf dem Bett, als gleite sie über irgendeine unsichtbare Oberfläche, als würde sie eislaufen, ein Bein vor das andere gesetzt, die Zehen gestreckt.

Der Junge hat sich nicht gerippelt und gerührt, könnte man meinen, stocksteif liegt er zwischen den gestärkten Laken, alle noch ganz glatt. Sein kleiner Kopf ruht in der Kissenmulde wie ein Ei auf weichem Erdboden. Eigentlich brauche ich sein Bett heute Abend gar nicht zu machen, brauche nur die Laken nach hinten zu schlagen, um die tönerne Wärmflasche hervorzuholen. Bei dem Anblick muss ich fast lachen.

»Hoch mit euch«, flüstere ich und trommele mit den Fingern gegen die kleinen Körper, nicht um sie zu kitzeln, sondern um sie zu wecken. »Zeit, aufzustehen. Die Hennen sind bereits gefüttert. Hoch mit euch«, sage ich, »es ist schon fast halb sieben.«

Plötzlich schlägt das kleine Mädchen die Augen auf und schaut mich an. Vielleicht ist sie schon wach gewesen und hat die Augen geschlossen gehalten, um mich zu necken.

»Halb sieben«, sagt sie. »Tante Anne, kein Mensch steht um halb sieben auf.«

»Du hast wohl schon vergessen, wie’s auf dem Land zugeht«, sage ich. »Wenn unsere Arbeit nicht bis zehn getan ist, ist der Tag vergeudet.«

»Haben wir denn so viel Arbeit?«

»Nur, mir und Sarah zuzusehen und darauf zu achten, dass Shep nicht euern Toast frisst.«

»Für Toast steh ich um halb sieben auf.«

»Ich auch«, sagt der Junge und sieht mich an aus braunen Augen, rund wie Münzen.

»Hast du schön geträumt?«, frage ich ihn.

»Ja«, sagt er. »Ich habe wunderbar geträumt.«

»Und wovon hast du in der Nacht geträumt?«

»Ich hab geträumt, dass unser Daddy uns Huckepack nimmt, uns beide, und wir lachen wie die Affen.«

»Wo hast du denn Affen jemals lachen sehen?«

»Im Zoo«, sagt er ganz ernsthaft. Er balanciert schon auf der Bettkante und zittert ein wenig.

Sie setzen sich an den provisorischen Tisch am Kamin; mit einer langen eisernen Gabel halte ich ihre Brotscheiben über das Torffeuer, und schon bald haben die Flammen sie zartbraun geröstet.

»Na also«, sagt das Mädchen. »Hörst du das?«

»Was?«, fragt der Junge.

»Ich hab dir doch gesagt, dass die Grille immer noch in der Wand hockt.«

Sie spitzen angestrengt die Ohren, um ihr zu lauschen, und natürlich singt ihnen die Grille ein Lied.

»Ich hätte gedacht, dass sie lieber draußen in den Feldern singt und nicht hier drinnen bei uns«, sagt der Junge.

»Sollte man meinen«, sage ich. »Aber bei Grillen weiß man nie.«

»Mag ich das Geräusch überhaupt? Ich weiß nicht«, sagt der Junge. »Ist eine Grille so was wie ’ne Schlange, oder wie sieht sie aus?«

»Ein kleines Ding mit gefalteten Flügeln.«

»Wie ein Engel«, sagt der Junge.

»Nun ja, dann wohl wie ein Engel in der Wand.«

Gleich darauf klappert der Riegel, und Billy Kerr steckt den Kopf zur Tür herein. Es ist sehr früh für ihn, außerdem haben wir ihm keine Nachricht zukommen lassen, dass er heraufkommen soll.

»Ah, da bist du ja, Annie«, sagt er. »Wo steckt denn Sarah um diese Zeit?«

Da bist du ja, Annie, wo steckt denn Sarah? Ich weiß nicht, warum, aber bei ihm bin ich immer misstrauisch. Er ist fünfundvierzig, und sein Äußeres geht mich eigentlich nichts an. Aber ich mag es nicht, wie er obenherum aussieht, das zottelige rote Haar und die schwarzen Stoppeln am Kinn. Ich mag seine kleine Statur nicht, und ein Kesselflicker würde sich zweimal überlegen, ob er die Sachen anziehen soll, die Billy trägt. Natürlich handelt es sich um Arbeitskleidung, und ich sollte nicht so streng sein. Aber es ist das ganze Auftreten dieses Mannes, dieses Selbstvertrauen, wo er doch kaum unter Beweis gestellt hat, dass ihm zu trauen ist. Auch wenn er seine Mütze abgenommen hat, ist es so, als hätte er sich die Mühe nicht gemacht. Jedenfalls winkt er mir mit seiner Mütze zu, als wolle er sie nach dem langen Marsch den Feldweg von Feddin herauf nur auslüften, als wolle er in unserer warmen Küche nur den Schweiß darin trocknen lassen.

»Wenn du sie nicht im Hof getroffen hast, weiß ich auch nicht, wo sie steckt. Fang bloß nicht an, hier herumzuschleichen. Es ist noch früh am Morgen, sie hat sich nicht mal gewaschen.«

»Ich seh sie nicht«, sagt er und schaut noch einmal hinter sich auf den Hof. »Nein, ich seh sie nicht.« Eine halbe Minute lang lungert er da herum und zeigt uns das struppige Haar auf seinem Hinterkopf.

Die Kinder sind still geworden, wie immer, wenn sie einen Menschen nicht kennen, und blicken ihn unverwandt an, starr wie zwei Spatenblätter. Schließlich dreht er sich wieder um und scheint die Kinder zum ersten Mal wahrzunehmen.

»Wer sind die Mädchen?«, fragt er.

»Das sind nicht beides Mädchen. Es sind die Kinder meines Neffen.«

»Ach ja. Der Junge ist aber noch nicht besonders kräftig! Wie alt ist er, vier?«

Der kleine Junge hebt neugierig den Blick.

»Er ist fast fünf«, sage ich, wie ein Verteidiger im Gerichtssaal.

»Paar Tage auf Besuch?«, fragt er leichthin.

Ich bin nicht geneigt, ihm irgendwelche Informationen zu geben, so harmlos sie sein mögen. In dieser Gegend weiß ohnehin bald jeder Bescheid. Aber Informationen sind eine Art großzügiger Geste, und ihm gegenüber bin ich knauserig. Also sage ich gar nichts, aber das ganz ungezwungen, um ihn nicht zu beleidigen, ihm allerdings auch keine Genugtuung zu verschaffen.

»Na, wie auch immer«, sagt er. »Schön, euch kennenzulernen.«

Er lungert weiter herum. Seine Fähigkeit, irgendwo herumzulungern, ist grenzenlos. Ich habe ihn mit einer Schaufel in der Hand herumlungern sehen, als er eigentlich einen Graben hätte ausheben sollen und das Feld hinter ihm schon meterweit unter Wasser stand.

Plötzlich fällt mir auf, dass sein Blick zu dem schwarzen Kessel gewandert ist, der über der Hitze des Torffeuers klappert. Ich konzentriere mich darauf, nicht in dieselbe Richtung zu schauen, sonst könnte man mir später, unten im Dorf, wo er sich über mein Temperament zweifellos lustig machen wird, Unhöflichkeit nachsagen.

Jeder weiß, dass mein Großvater dort einst der Gutsverwalter war, ein hochgewachsener und hochmütiger Mann, den Leute wie Billy Kerr nie direkt anzusprechen gewagt hätten, und wenn doch, hätte er sie keiner Antwort gewürdigt. Aber diese Tage sind vergangen und für immer verloren, wie die alten Eichenwälder Irlands, die vor langer Zeit von gierigen Händlern gerodet wurden.

Es gibt ein paar Leute, die sich auf ihre Weise an diese Dinge erinnern. Ihnen gefällt, dass ich auf Sarahs Barmherzigkeit angewiesen bin, wenn es denn so ist. Ihnen gefällt es, eine Frau zu sehen, die nur die Freundlichkeit einer Cousine vor der Anstalt der Grafschaft bewahrt, eine Frau, deren Vorfahren einstmals die Könige von Kelsha waren. Arme Annie Dunne, sagen sie vermutlich, wenn sie freundlich gesinnt sind. Sind sie es nicht, wird ihnen etwas anderes einfallen. Nun ja, damals waren wir wer, heute bin ich ein Nichts, als würde solche Herrlichkeit von einer Handvoll Asche aufgewogen. Unsere glorreiche Zeit, bevor diese verrückten Banditen, de Valera und seine Truppe, beschlossen, in einem einzigen finsteren Rausch von Blut und Mord alles umzustürzen. Vor all den Kriegen, Umbrüchen, Aufständen und Unruhen, vor dreißig langen Jahren, vor all diesen Dingen, die meinem Vater den Verstand raubten. Denn mein Vater war ein einfacher Polizist in aufrührerischer Zeit, und das hat ihm eindeutig den Rest gegeben.

Ach, Billy Kerr weiß das alles, wenn er auch sonst nichts weiß, wie er so inmitten des hellen Lichts, das die Tür einlässt, gekonnt herumlungert.

»Was gibt’s, Billy Kerr?«, fragt Sarah, als sie hinter ihm in die Tür tritt, so dass er sich von der Schwelle wegbewegen muss. Zu meiner Überraschung ändert sich sein Verhalten. Zu ihr ist er überaus freundlich, fast schon unterwürfig.

»Wie geht’s dir, Sarah?«, fragt er.

»Wie den meisten Leuten beim ersten Tageslicht, ich raffe mich auf und mache mich an die Arbeit.«

»Natürlich.«

»Dein Waschwasser ist im Schlafzimmer, Sarah«, sage ich.

»Danke, Annie«, sagt sie in betont freundlichem Ton. »Mach die untere Tür zu, Billy Kerr, sonst lässt du die Hühner rein.«

Wie er vor ihr kriecht. Ich bin beunruhigt. Ich glaube, ich war schon immer beunruhigt, wenn ein Mann zu uns ins Haus kam. Vielleicht liegt’s an meinem Charakter, oder an meiner Geschichte. Im Dublin Castle klopfte ständig das halbe Regiment an die Tür meines Vaters, um meine kleine Schwester Dolly zu sehen, und bei Gott, ich konnte nie genug davon bekommen, sie wegzuschicken. Mit einem Soldaten hätte ich sie niemals ausgehen lassen. Und was die jungen Polizisten betraf, die dem gleichen Glück nachjagten, mit denen machte ich noch kürzeren Prozess, denn ich hatte meinem Vater gut zwanzig Jahre zugehört und wusste, was sie im Monat nach Hause brachten. Ihnen öffnete ich nicht mal richtig die Tür. Und Dolly warf mir Eifersucht vor, doch selbst wenn es Eifersucht war, machte das keinen wirklichen Unterschied. Sie musste beschützt werden. Maud war fast verrückt vor Sorge – als würde bloße Sorge ausreichen, um ein solches Problem aus der Welt zu schaffen.

»Wozu bist du raufgekommen?«, frage ich ihn, während sein Blick sich an Sarah heftet, die in unserem Schlafzimmer verschwindet und dabei die vom Hühnerfutter verschmutzten Blusenärmel aufrollt. An diesen Ärmeln werden wir am Waschtag ordentlich herumrubbeln müssen, dann wird sie ihre Gleichgültigkeit bereuen.

»Häh?«, sagt er, als wäre das genug Englisch für mich.

»Bist du mit irgendeiner Arbeit nicht fertig geworden, oder was? Ich kann mich nicht daran erinnern, dich herbestellt zu haben, wenn ich das so sagen darf, ohne dich zu kränken.«

»Mich herbestellt zu haben?«, wiederholt er lächelnd, ohne sich die Mühe zu machen, seinen Hohn auszuformulieren.

»Nun, wir haben Unmengen Arbeit«, sage ich.

»Unten hab ich selbst genug Arbeit«, sagt er. »Aber ich hatte Lust, raufzukommen und euch zu besuchen.«

»Uns zu besuchen? Das soll ein Besuch sein? Morgens um sieben an einem ganz gewöhnlichen Wochentag? Wenn wir die Ställe ausmisten, die Kühe melken und Wasser holen müssen?«

»Winnie Dunne unten hat gemeint, das wär schon in Ordnung. Dass ihr mich vielleicht gebrauchen könnt. Einen Zaun reparieren oder was Schweres schleppen. So was in der Art.«

»Bist du auf Schillinge aus? Ich hab nicht mal ’n halben Penny im Haus, solange ich nicht in Kiltegan meine Eier verkauft habe.«

»Ich brauche deine Schillinge nicht, Annie Dunne«, sagt er und lacht.

Jetzt bin ich leicht verwirrt, verstört. Es ist ungehörig, einem Tagelöhner gegenüber von Geld zu sprechen. Ich weiß auch nicht, warum ich mich zu einer so törichten Bemerkung habe hinreißen lassen. Ich bin wütend auf mich selbst. Aber ich weiß nicht, was der Mann will. Seine Unverfrorenheit ist irritierend.

Jetzt kommt Sarah wieder aus dem Zimmer, blitzsauber und wie aus dem Ei gepellt. Ihre schönen weißen Haare hat sie zu einem Knoten aufgesteckt. Normalerweise hängen sie an ihren Wangen herab wie rankender Efeu. Sie hat die alte braune Haarnadel benutzt, die meine Mutter zurückgelassen hat. Während ihrer letzten Krankheit hatte meine Mutter damit ihr kraftloses Haar zusammengehalten. Als sie starb, fand ich die Nadel auf ihrem Nachttisch, und zur Erinnerung habe ich sie behalten.

Sarah geht zu dem brodelnden Kessel und erlöst ihn aus seiner Aufregung, indem sie den Schwenkarm wegdreht. Sie spült die Teekanne mit einem Schwapp heißen Wassers aus, gibt dann vier Löffelvoll Tee hinein und gießt ihn, so schnell sie kann, mit überreichlich Wasser auf. Vier Löffelvoll verheißen nichts Gutes. Ein Löffel für jede von uns und einer für die Kanne. Die Kinder sind an Tee nicht interessiert. Normalerweise würde sie also nur drei Löffelvoll hineintun.

All das ermutigt Billy Kerr, näher heranzutreten und Sarah ein breites Lächeln zu schenken, was diese wahrscheinlich nicht weiter beachtet. Er kann so gut zählen wie ich, in unserer Kindheit sind wir alle auf dieselbe Schule gegangen, er allerdings bestimmt zehn Jahre nach uns, vermutlich noch länger. Er nickt, als habe jemand etwas gesagt, dem er zustimmt. Aber es hat niemand gesprochen. Sarah stellt drei blau-weiße Tassen auf den Tisch und daneben die Teekanne, die Schale mit den Zuckerstücken und den Krug Milch. Das diffuse Licht weidet sich an den Brüchen in der Glasur dieser armseligen Gegenstände. Sarah hebt das Gesicht und fragt ohne jeden Anflug von Freude oder Traurigkeit oder irgendetwas dazwischen:

»Einen Tee gegen den Durst?«

»Gern«, sagt Billy Kerr und tritt näher.

Ich gehe hinüber, nehme den kleinen Jungen beim Arm und führe ihn vom Tisch weg. Solange ich zu verwirrt bin, um klar zu denken, kann ich keinen Tee trinken.

»Ich geh den Eimer auffüllen«, sage ich so neutral wie ein Diplomat.

»Oh, willst du deinen Tee nicht trinken?«, fragt Sarah aufrichtig erstaunt.

»Stülp den Teewärmer drüber, Sarah, Liebes.«

»Gut, Annie«, sagt sie.

Ich ertappe mich dabei, wie ich Billy Kerr zunicke. Es ist schwer, einen Raum ohne wenigstens ein Kopfnicken zu verlassen, aber lieber hätte ich es vermieden.

»Gut«, sagt er, was immer er damit meint. Vielleicht ist es ja nur ein Echo auf das, was Sarah gesagt hat. »Auf Wiedersehen, kleiner Fratz«, sagt er zu dem Jungen, als der an ihm vorübergeht oder vielmehr von mir mitgezerrt wird. Meine Niederlage ist mir dank der Röte, die in meine Wangen steigt, nur zu deutlich anzusehen.

Ich gehe hinaus auf den Hof und ziehe den Zweifel hinter mir her wie ein Komet seinen feurigen Schweif.

Drittes Kapitel

Ich stehe so reglos im Hof wie eine Kuh mit ihrem Kalb bei drückender Sommerhitze. Der Eimer in meiner Hand gibt leise quietschende Geräusche von sich.

Was ist das für ein Altwerden, wenn selbst der Motor, der unsere Verzweiflung und unsere Hoffnung im Gleichgewicht hält, anfängt, uns im Stich zu lassen?

Sie ist alt, Sarah Cullen, o ja, genau wie ich. Geboren in den letzten Zuckungen des vergangenen Jahrhunderts, im Winter 1898. Ich kam zwei Jahre später zur Welt, zufälligerweise der gleiche Altersunterschied wie bei den Kindern.

Sie war ein wunderschönes kleines Mädchen, mit zerzaustem weizenblondem Haar. Nichts bekümmerte sie, stets war sie guter Dinge.

Zwischen damals und heute ist nur ein Hauch von Zeit vergangen, scheint mir. Die Uhr des Herzens schlägt anders als die auf dem Kaminsims.

Ach, ich danke Gott für Sarah Cullen. So viele Jahre habe ich nun schon mit ihr verbracht, seit Matthew mich in Dublin aus dem Haus gejagt hat. Ein Verbrechen, das ich ihm ewig vorwerfen werde. Sich auf eine andere Frau einzulassen, wo meine Schwester Maud gerade mal zwei Jahre unter der Erde lag. Für kurze Zeit hatte ich die Hoffnung, er wäre damit zufrieden, dass ihm eine Frau den Haushalt führt, nun, da die arme Maud von uns gegangen war. Aber das war nicht der Fall. Er wollte wieder heiraten und war an seiner Schwägerin mit ihrem verkrümmten Rücken offenbar nicht interessiert. Als Maud noch lebte, sagte er immer scherzhaft: »Annie, du trägst ja den Mond auf dem Rücken«, ein netter Spruch. Aber ich glaube nicht, dass er ihm noch wie der Mond vorkam, als er sich mit dem Gedanken trug, ein zweites Mal zu heiraten. Sei’s drum. Es ist eine schlimme, vielleicht sogar eine schmutzige Geschichte. Es war eine schreckliche Zeit, und Sarah Cullen nahm mich auf.

Was mich in den letzten Jahren gequält hat, war die Angst, meine letzte Zuflucht in dieser Welt zu verlieren, die linke Seite von Sarahs Bett und dieses kleine Gehöft. Nur ein paar von den Hennen habe ich mitgebracht, diese Rhode Island Reds, die im Hof umherstolzieren, was fast zum Lachen ist, und die Kraft meines Körpers. Mein jetziges Vermögen besteht nur aus der Kraft, die mir geblieben ist, und aus der Erfahrung, die ich mit den täglichen Verrichtungen habe, mit dem Stall, der Milchkammer, dem Misthaufen, dem Brunnen, dem Kaminfeuer. Wäre das alles nicht, ich hätte keinen Wert mehr.

Die Anstalt ist ein grausiger Ort. Dorthin kommen die Obdachlosen und die Notleidenden, die verwelkten Mädchen und die alten Junggesellen, die der Regen am Ende um den Verstand gebracht hat. Das weiß ich, weil ich es mit eigenen Augen gesehen habe. Es ist schrecklich für mich, dass mein armer Vater dort gestorben ist, ganz allein und wirr im Kopf.

Der Regen von Wicklow trägt den Irrsinn in sich wie eine Krankheit, wie ein Fieber.

Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf, während ich wie festgenagelt mit dem Jungen im Hof stehe. Den Eimer habe ich in der Hand, aber ich kann mich nicht fortbewegen.

Auf der anderen Seite unserer Grundstücksgrenze, die von einem Feldweg markiert wird, sehe ich die gebeugte Gestalt Mary Callans, die vom Brunnen zurückkehrt.

Sie ist eine wahre Meisterin, wenn es darum geht, Schlamm und Zweige vom Boden eines Brunnens aufzuwirbeln. Es ist eine Strafe, sich einen Brunnen mit ihr teilen zu müssen, so wie wir das tun. Früher hieß es, mit dem ersten Wasser am Morgen schöpfe man das Glück des Brunnens in seinen Eimer. Mary Callan ist sicher alt genug, um daran zu glauben, denn sie muss schon in ihren Neunzigern sein. Sie hat ein Feld und eine Milchkuh und ein Haus, das nur aus einem Raum besteht, und jetzt hat sie das Glück dieses Tages in ihrem randvollen Eimer. Es wird mindestens eine Stunde dauern, bis sich der Unrat wieder gesetzt hat.

Manchmal geht sie auch direkt mit ihrem alten geschwärzten Kessel zum Brunnen und füllt ihn. Was eine richtige Schmiere auf dem Wasser hinterlässt. Ein Gefäß, das über dem Feuer hängt, bekommt man nicht wirklich sauber, und ich bin sicher, dass sie es gar nicht erst versucht. Sie ist eine böse, altmodische Frau.

Aber das ist nicht das Einzige, was mich aufhält. Ich fühle mich wie eine Frau, die ihre Handschuhe im Bus vergessen hat, schöne weiche Lederhandschuhe im Bus aus Dublin, und es nicht gleich merkt, ihren Verlust aber schon deutlich spürt. Was mich aufhält, ist, dass ich Sarah mit Billy Kerr allein gelassen habe.

Der Junge sieht mich verwundert an.

»Kind, wir müssen wieder reingehen.«

Und so gehe ich wieder hinein, den Jungen noch an der Hand, trete aus dem angenehmen Sonnenlicht in die Küche mit ihren vielen Schatten. Das kleine Mädchen hat sich schon davongemacht.

Sarah steht mit dem Rücken zum Torffeuer und wärmt sich die langen Knochen, Billy Kerr sitzt lässig und wie selbstverständlich auf einer der Steinbänke neben dem Kamin. Keiner von beiden spricht. Es herrscht jene Art Schweigen, wie die Leute auf dem Land es in Jahrhunderten beim Teetrinken kultiviert haben. In diesem Schweigen kann vieles zur Sprache kommen, es ist gefährlich.

»Was gibt’s, Annie?«, fragt Sarah.

»Ich kann gerade kein Wasser holen. Mary Callan ist mir zuvorgekommen. Das ist der Preis, den man fürs Trödeln zahlt«, sage ich mit einem Kopfnicken in Sarahs Richtung. »Und dann noch ihre Kuh«, sage ich, aber Billy Kerr unterbricht mich mit einem erstaunten Blick.

»Was ist mit ihrer Kuh?«, fragt Sarah.

»Was, Annie Dunne?«, fragt Billy Kerr skeptisch.

»Blut in der Milch«, antworte ich bestimmt. »Die gehört von Rechts wegen geschlachtet.«

»Meinst du wirklich, Annie Dunne?«, fragt er. »Das ist ein bisschen unchristlich. Die Kuh ist alles, was sie besitzt. Sie braucht sie zum Leben.«

»Sie ist eine schmutzige alte Frau, die im Dreck haust, das ist die Wahrheit«, sage ich und ärgere mich sofort über den Zorn, der in mir aufgestiegen ist. Mein Vater sagte immer, manche Leute verwechseln Freundlichkeit mit Dummheit. Nicht, dass das bei mir zu befürchten wäre. Aber es gibt eine andere Art von Dummheit, die Dummheit einer zornigen Frau.

»Du wunderst dich vielleicht, dass ich mich für sie einsetze«, sagt Billy Kerr. »Ich kenne sie kaum, das stimmt, auch wenn sie schon mein ganzes Leben lang auf der anderen Seite von eurem Feldweg lebt. Ihre Kuh kenne ich auch nicht besonders gut, hab sie nur aus der Ferne gesehen. Aber sie ist nun mal die Cousine meiner Mutter und eine anständige, vernünftige Frau. Bei uns nennen wir sie Nanny Callan.«

»Blut in der Milch«, sage ich noch einmal, aber nicht weil ich Spaß daran hätte, sondern nur, weil ich so dumm gewesen war, selbst das Gespräch anzufangen. »Ich fürchte mich davor, was sie im Brunnen zurücklässt. Sie hat nur den einen Eimer, das weiß ich, zum Melken und zum Wasserholen.«

»Ich bin mir sicher, dass Mary Callan mehr als nur den einen Eimer hat«, sagt Billy Kerr. »Verkaufen die Kesselflicker sie nicht für zwei Pence an den Haustüren? Jedenfalls ist sie meine Cousine. Das sollte Grund genug für dich sein, nicht mehr über sie herzuziehen.«

»Hier ist doch jeder mit jedem verwandt«, sage ich aufgebracht, mehr über mich selbst als über ihn. Was geht mich seine verdammte Verwandtschaft an? Nichts.

»Er könnte sogar mit dir verwandt sein, Annie«, sagt Sarah in einem vernünftigen, arglosen Ton, an dem nichts Gespieltes ist.

»Hoffentlich nicht allzu eng, bei dem, was er vorhat!«

»Was meinst du damit, Annie?«, fragt sie, und ein Schleier der Furcht legt sich über ihr offenes, unschuldsvolles Gesicht.

»Er weiß genau, was ich meine.«

»Tu ich nicht«, sagt er auf eine Art, die jeden Richter überzeugen würde.

»Tut er wohl«, sage ich.

Aber sicher bin ich mir nicht. Und Sarah sieht mich nicht an. Sie kann nichts dafür. Sie ist in eine Träumerei versunken. Das ist ein Trick von ihr, ihre Art – ich weiß auch nicht, vielleicht, mich zu ertragen. Gott steh mir bei! Typisch Billy Kerr, einen so durcheinanderzubringen. Ich muss ihn irgendwie aus dem Haus bekommen. Oh, wie er es genießt, mich auf die Palme zu bringen.

»Mary Callan hat mit zwei Pence oder mit irgendwelchen Eimern von Kesselflickern nichts am Hut«, sprudele ich hervor wie ein undichter Wasserhahn. Die höfliche Verachtung in meiner Stimme würde selbst einer Löwin die Kraft rauben. »In ihrem Haus gab’s nie Geld, so viel steht fest. Ihre Vorfahren waren Pachthäusler. Das kleine Haus mit dem einen Raum besteht nur aus Lehmwänden. Die Hungersnöte des letzten Jahrhunderts haben ihr die Familie genommen. 1872, man erinnert sich noch gut daran, als viele hier den Hungertod starben, hat es fast ihre ganze Verwandtschaft erwischt, sieben oder acht, die hier in der Gegend wohnten. Nur sie und ihr Vater blieben übrig. Damals war sie ein kleines Ding von fünfzehn Jahren. Angeblich ist sie jetzt hundertzwei.«

Was rede ich da? Das reinste Gänsegeschnatter.

»Annie Dunne«, sagt Billy Kerr. »Eigentlich hast du richtig Humor.«

»Nachher fahren wir runter nach Kiltegan«, sage ich zu Sarah. »Halt dich ein bisschen ran.«

»›Die Hungersnöte des letzten Jahrhunderts‹«, sagt Billy Kerr, »sehr witzig! Den Ausdruck bekommt man heutzutage nicht mehr oft zu hören.«

»Ich muss hinaus, das Pony anschirren«, sage ich und muss fast weinen – meiner eigenen Dummheit wegen.

»Das übernehme ich und spann es vor den Wagen«, sagt Billy Kerr, plötzlich ganz artig, was mir ungelegen kommt.

»Bitte nicht«, sage ich.

»Ganz wie du willst. Wäre schön, wenn ihr mich mitnehmen könntet«, sagt er mit derselben gespielten Höflichkeit. »Im Pub liegt ein Paket für eine meiner Frauen, das mit dem Bus aus Dublin gekommen ist.«

Eine meiner Frauen. Er ist doch nichts als der Sklave der Dunnes in Feddin. Wenn Lizzie Dunne das gehört hätte. Eine meiner Frauen. Natürlich könnte man seine Worte ganz unterschiedlich auslegen, darauf kann er sich hinausreden. Oh, seiner Cleverness bin ich nicht gewachsen. Ganz wie du willst. Er bringt mich zur Weißglut. Ich werde es auf keinen Fall dulden, dass er in unserem alten Wagen den vornehmen Herrn spielt.

»Du wirst schon so runtergehen müssen, wie du raufgekommen bist«, sage ich so gleichgültig wie möglich, »es wird ’ne ganze Weile dauern, bis wir so weit sind.«

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Дата выхода на Литрес:
25 мая 2021
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9783958299412
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