Читать книгу: «Ideas, Concerns and Expectations (ICE) in der Arzt-Patienten-Kommunikation», страница 4

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Was ist an dieser Sichtweise problematisch? Würde das Modell zwischenmenschliche Kommunikation korrekt abbilden, müssten wir in der Lage sein, Informationen verlustfrei übertragen zu können. Das Gegenteil ist der Fall: Missverständnisse, die dadurch entstehen, dass der andere etwas nicht so versteht, wie wir es meinen, sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel beim Kommunizieren. Auch sind unsere Gedanken, die wir sprachlich verpacken und durch die Bildung von Lauten verschicken wollen, nicht in dem Maße gegenständlich wie ein Buch, ein Pullover oder ein Paar Socken. Dazu ein Beispiel: Der Satz „Dieser Baum ist schön“ ist auf den ersten Blick eine schriftlich fixierte (Kodierung) Sachaussage, die ich mit der Absicht hervorbringe, die Information in den Kopf eines Lesers zu transportieren, der diesen Satz gerade liest. Aber kann mir das überhaupt gelingen? Das Problem beginnt bereits auf der lexikalischen Ebene, wenn es um die Bedeutung der Wörter dieser, Baum, ist und schön geht. Zwar kann ein Leser, der des Deutschen mächtig ist und über das notwendige Regelwissen verfügt, nachvollziehen, dass es sich bei dieser um ein Demonstrativpronomen, bei Baum um ein Nomen, bei schön um ein Adjektiv und bei ist um ein Hilfsverb handelt. Auch lassen sich lexikalische Bedeutungen näherungsweise konstruieren, beispielswiese über semantische Merkmale. So ist die Bedeutung des Wortes Baum durch Merkmale wie lebendig, aus Holz, trägt Blätter oder Nadeln u.v.m. bestimmbar. Jedoch ist weder klar, welcher Baum mit dieser gemeint ist, noch ist selbstverständlich, dass es sich beispielsweise um einen Eichenbaum handelt (es könnte auch ein Bonsai-Baum gemeint sein). Eine Eiche und ein Bonsai sind zwei doch deutlich unterschiedliche Entitäten, sprachlich werden sie aber beide mit demselben Ausdruck repräsentiert. Missverständnisse entstehen also, weil es keine intersubjektiven Allgemeinvorstellungen gibt. In der Folge lassen sich auch vermeintlich klare Sachinformationen nicht verlustfrei vom Kopf des Sprechers in den Kopf des Hörers transportieren.

Das Sender-Empfänger-Modell offenbart hier eine Schwäche, die es prinzipiell untauglich zur Erklärung und Beschreibung menschlicher Kommunikation werden lässt. Zudem entspricht der reine Austausch von Sachinformationen nicht hinreichend dem Kommunikationsbedürfnis von Menschen. Vielmehr verfolgen wir beim Kommunizieren oftmals ganz individuelle Ziele, die wir mit individuellen sprachlichen Mitteln erreichen wollen. Wir wollen überzeugen, überreden, uns erklären, Emotionen zeigen und vieles andere mehr.

In der kommunikativen Wirklichkeit, die über Modelle prinzipiell nur äußerst schematisch und damit nie hinreichend abgebildet werden kann, ist der sachliche Informationsaustausch nur ein Kommunikationsziel unter vielen, die wir im alltäglichen Miteinander verfolgen.

Unsere kommunikativen Strategien erschöpfen sich bei weitem nicht in Informationsakquise und -vermittlung. Außerdem verfügen wir über ein äußerst vielfältiges sprachliches Repertoire, das uns befähigt, beispielsweise etwas anderes zu meinen als wir sagen. Dem Sender-Empfänger-Modell zufolge sind Stilmittel wie Ironie, Metaphern (sprachliche Bilder) oder indirekte Sprechakte (z.B. indirekte Aufforderungen) nicht möglich, denn der Informationsgehalt solcher Äußerungen lässt sich nicht aus der übermittelten Information ableiten. Stattdessen wird in sehr vielen Fällen menschlicher Kommunikation ein pragmatisches Schlussverfahren bemüht, um vom Gesagten auf das Gemeinte schließen zu können. Dieses Schlussverfahren kann man als Interpretieren beschreiben. Der Prozess des wechselseitigen Interpretierens ist eine Art soziales Gesellschaftsspiel:

Der kommunikative Gehalt eines Gesprächs oder einer einzelnen Äußerung in einem Gespräch wandert nicht vom Sprecher zum Hörer, er entsteht vielmehr im Raum dazwischen. Er ist in erster Linie dieser Zwischenraum. Und so erfolgt auch die Kommunikation zwischen Arzt und Patient im Raum zwischen beiden Akteuren und nicht etwa durch den ,Austausch’ von Informationen vom einen zum anderen.14

Interpretation als Verfahren ist funktional bestimmt: Menschen wollen, wenn sie kommunizieren, zahlreiche Ziele erreichen. Der Austausch von Information ist dabei nur eines der Ziele, die Sprecher und Hörer verfolgen können. Gerade in der Arzt-Patient-Kommunikation spielen oft psychosoziale Faktoren (Gefühle, Ängste, Vorstellungen und Erwartungen)15 eine sehr viel stärkere Rolle und treten neben objektive Informationen. In Kapitel 2.2.2 werde ich darlegen, dass zwischen Patienten und Ärzten eine Asymmetrie festzustellen ist, die sich auch in unterschiedlichen Informationsinteressen nachweisen lässt. Auch in der Alltagskommunikation sind Faktoren wie Überzeugen, Beeindrucken, zum Nachdenken bringen, Erheitern, Loben oder Beleidigen u.v.m. weit häufiger gesprächsbestimmend als der reine Austausch von Informationen. Der Linguist Rudi Keller schlussfolgert daher: „Kommunikation ist nicht die Lösung eines Transportproblems, sondern eines Beeinflussungsproblems“16. Konkret bedeutet dies: „Allgemein gesagt, heißt also kommunizieren: etwas tun in der Absicht, dass der Adressat etwas Bestimmtes erkennen möge, und dass er außerdem merken möge, dass er ihm eben dies zu erkennen geben will“17. Durch kommunikative Handlungen versuchen Menschen, ihre Interessen (spezielle Intentionen) durchzusetzen. Kommunikation ist somit der Versuch, der Realisierung inhalts- und/oder situationsbezogener Interessen. Kommunikation gilt dann als erfolgreich, wenn die „konkret erwarteten Folgen tatsächlich eintreten“18. Dabei ist das konstante Ziel von Kommunikation die wechselseitige Verständigung über einen bestimmten Sachverhalt (also im Wesentlichen das Verstehen des Gesagten). Zudem gibt es spezielle Interessen, die darüber hinausgehen. Solche speziellen Interessen sind handlungsleitend, sie lassen Kommunikation überhaupt erst entstehen. Auf ihrer Folie werden variable Ziele verfolgt, die man als Interessensrealisierungen charakterisieren kann. Während das konstante Ziel mithilfe sprachlichen Wissens erreicht werden kann, dienen kommunikative Strategien dem Erreichen variabler Ziele – und letztlich dem Verständnis.19

Das Erreichen des konstanten Ziels ist die Voraussetzung für das Erreichen des variablen Ziels und damit eine notwendige Bedingung im Kommunikationsprozess, jedoch im Gesamtprozess allein nicht hinreichend.

Dass es sich bei dieser Art des Kommunizierens um ein riskantes Unterfangen handelt, erkennt man in der Anfälligkeit für Missverständnisse (die in Arzt-Patient-Gesprächen folgenreich sein können). Jede Interpretation sprachlicher und nichtsprachlicher Zeichen erfolgt prinzipiell auf der Folie sprachlichen Wissens, Weltwissens und Kontextwissens. Zu verstehen, was ein anderer meint, erfordert die Kompetenz, gewissermaßen auch hinter das Gesagte zu blicken. Dazu gehört auch, zu beurteilen, in welchem Rahmen das Gesagte geäußert wird, welche Rolle der Sprecher einnimmt und wem er gegenübersteht. Besonders in Situationen, in denen Sprecher und Hörer nicht auf Augenhöhe kommunizieren, bleiben viele Informationen (wie Ängste oder Erwartungen) oft unausgesprochen.

Diese Erkenntnis ist für die im Rahmen dieser Arbeit besprochene Thematik von besonderer Bedeutung. Ärzte müssen nämlich zum einen in der Lage sein, ihre eigenen kommunikativen Handlungen so zu gestalten, dass Patienten möglichst wenig Interpretationsspielraum haben (klare und verständliche Sprache trägt beispielsweise dazu bei). Sie müssen darüber hinaus aber – und das ist m.E. deutlich schwieriger – aus den Gesprächsbeiträgen ihrer Patienten deren kommunikative Ziele herausdeuten. Ohne die Kenntnis der Patientenperspektive auf das Krankheitsbild, die entscheidend durch die Parameter ideas, concerns und expectations bestimmt ist, kann über das Gespräch keine vertrauensvolle Beziehung hergestellt werden. Mit Blick auf Kellers Definition von Kommunikation als Mittel der Beeinflussung lässt sich sagen:

Kommunikation scheitert immer dann, wenn das beabsichtigte Beeinflussungsziel nicht erreicht wird. Insbesondere, wenn der Partner nicht erkennt, wozu man ihn bringen möchte, kommt es regelmäßig zum Scheitern von Kommunikationshandlungen, woraus sich Fehl- und Missverständnisse ergeben können.20

Da Ärzte als Experten aufgrund der unter 2.2.1 noch näher zu bestimmenden institutionellen Rahmenbedingungen entscheidend für das Gelingen der Kommunikation verantwortlich sind, ist die Kenntnis dieser gerade kurz skizzierten allgemeinen und der im Folgenden zu umreißenden speziellen Grundsätze, Merkmale und Regeln zwischenmenschlicher Kommunikation von entscheidender Wichtigkeit.21

Kommunikation ist in der Arzt-Patient-Interaktion ein gesteuerter Prozess und erfordert eine hohe Reflexionsfähigkeit aufseiten des Arztes, zu der insbesondere die Kenntnis der Patientenperspektive, die im ICE-Modell ihren Kristallisationspunkt findet, entscheidend dazugehört.

Bevor in Kapitel 3 das Augenmerk auf dieses Modell gelenkt wird, soll nachfolgend näher auf die kommunikativen Besonderheiten der Gesprächsinteraktion zwischen Ärzten und Patienten eingegangen werden.22 Auch wenn die Frage möglicherweise banal klingt, so ist sie doch (und gerade wegen des besonderen Stellenwerts innerhalb der Arzt-Patient-Kommunikation) wichtig und bedarf der Klärung: Was ist eigentlich ein Gespräch?

2.1.1 Was ist ein Gespräch?

Gespräche sind geordnete Abfolgen (Wechsel) einzelner Kommunikationsakte und sprachlicher Handlungen von Individuen im Prozess sozialer Interaktion.1 In diesem Prozess besetzt das Gespräch die Position einer „Grundeinheit sprachlicher Kommunikation“2. Der hohe Stellenwert des Gesprächs innerhalb der Kommunikation – die auch andere Realisierungsmöglichkeiten kennt – ergibt sich aus der menschlichen Fähigkeit, mithilfe von Sprache intentionale und finale Handlungen vollziehen zu können. Mit anderen Worten:

Sprachfähigkeit ist eine wesentliche Bedingung für Kommunikationsfähigkeit. Wir können kommunizieren, weil wir eine Sprache haben (und nicht etwa umgekehrt).

Dem Gespräch fällt dabei auch unter anthropozentrischen Gesichtspunkten eine tragende Rolle zu:

Wenn der Mensch durch seine Sprachfähigkeit erst zum Menschen wird, dann bedeutet diese Sprachfähigkeit zugleich, daß der Mensch mit anderen Menschen in ein Gemeinsames und das heißt: in ein Gespräch eintreten kann. Die Kategorie Gespräch muß somit als grundlegend für jede Form menschlicher Gesellschaft angesehen werden.3

Der Rahmen, in dem das Gespräch aufgespannt wird, ist der Dialog. Das Wesen des Dialogischen, also der dem Dialog zugrunde liegende Dualismus (zwei Gesprächspartner in Interaktion) ist bereits im Wort Gespräch selbst angelegt. Henne und Rehbock weisen darauf hin, dass auf der morphologischen Ebene der Bildung des Wortes Gespräch dieser, dem Dialog immanente Dualismus sichtbar wird, indem „durch das kollektivierende Präfix ge- die Gemeinsamkeit der anredenden und erwidernden Gesprächspartner bezeichnet [wird]“4. Auch unter philosophischen Gesichtspunkten lässt sich dieser Dualismus beschreiben. Zu den Grundkategorien menschlichen Sprachhandelns, Anrede und Erwiderung, heißt es bei Wilhelm von Humboldt: „Es liegt […] in dem ursprünglichen Wesen der Sprache ein unabänderlicher Dualismus, und die Möglichkeit des Sprechens selbst wird durch Anrede und Erwiederung [sic!] bedingt“5. Es ergibt sich daraus ein bis heute gültiger dialogischer Sprachbegriff, der das Gespräch in das Zentrum des Sprachhandelns rückt.

Der Dualismus findet auch in den Gedanken des Sprachtheoretikers Karl Bühlers seinen Ausdruck: „Wir folgen einem aus intimer Kenntnis der Dinge oft ausgesprochenen, aber niemals methodisch restlos fruktifizierten Satz, wenn wir den Ursprung der Semantik nicht beim Individuum, sondern bei der Gemeinschaft suchen“6. Auch der kanadische Soziologe Erving Goffman akzentuiert den dialogischen Sprachbegriff, wenn er von einem grundsätzlichen Paar-Charakter von Sprache spricht: „Whenever persons talk there are very likely to be questions and answers“7. In der späteren Erweiterung seiner Überlegungen geht Goffman davon aus, dass nicht nur Fragen und Antworten einen solchen Paar-Charakter aufweisen. Er schlägt vor, vielmehr von Darlegung und Erwiderung auszugehen, was prinzipiell Humboldts Kategorien Anrede und Erwiderung entspricht.8 Jedoch sind die Humboldt’schen Begriffe – wie auch Henne und Rehbock bemerken – aus kommunikativ-pragmatischer Perspektive als Oberbegriff für alle möglichen Gesprächspaare eher geeignet, weil sie als weiter gefasste, universale Kategorien den Zugriff auf den Gegenstand erleichtern.9

Mit Blick auf funktionale Aspekte und auf pragmatische Gesprächssituierungen (v.a. unterschiedliche Gesprächstypen) muss einschränkend erwähnt werden, dass die w. o. konstatierte Gemeinsamkeit der Beteiligten im Gesprächshandeln nur bedingt zutreffend ist. Sie gilt nur für freie Gespräche unter Gleichberechtigten, die in der kommunikativen Wirklichkeit zwar sicher vorkommen, jedoch beileibe nicht als Normalfall des Kommunizierens gelten dürfen. Besonders für institutionalisierte Gespräche lässt sich feststellen, dass in bestimmten Situationen weder die Themeninitiierung und -akzeptierung noch das gegenseitige Akzeptieren eines Rechtfertigungsverlangens wechselseitig sind. Mit einem Blick auf die kommunikative Wirklichkeit bei Arzt-Patient-Gesprächen ist diese Einschränkung sicher zutreffend, handelt es sich ja um Gespräche, die zwar interpersonal dyadisch sind, jedoch oft direktive Handlungsdimensionen aufweisen, die sich aus einem asymmetrischen, komplementären Verhältnis der Gesprächspartner ergeben. Insbesondere die Themeninitiierung und -akzeptierung sind nicht wechselseitig. Auch ergeben sich Schieflagen, was das Rechtfertigungsverlangen angeht: Patienten befinden sich deutlich stärker in der Rolle, ihr Handeln rechtfertigen zu müssen oder wollen als es umgekehrt der Fall wäre. Lediglich der Rollenwechsel Sprecher-Hörer (turn-taking) findet in allen Gesprächsformen, i.d.R. auch in Arzt-Patient-Gesprächen, wechselseitig statt.10 Damit tritt v.a. unter sprachkommunikativen Gesichtspunkten ein gesprächskonstituierendes Merkmal deutlich ins Licht und lässt die anderen Merkmale ein Stück weit hinter sich: die Wechselbeziehung zwischen Sprecher und Hörer. Für jedes Gespräch gilt: „Das Gemeinsame im Wechsel muß in jedem Gespräch von den Gesprächspartnern zumindest unterstellt werden“11.

Gespräche dienen – ganz allgemein formuliert – dazu, im Prozess der sozialen Interaktion Struktur und Ordnung herzustellen, die notwendig sind, um die eigenen Gedanken, Ziele und Erwartungen für einen anderen nachvollziehbar zu machen und zugleich dessen Gedanken, Ziele und Erwartungen verstehen zu können.12 In Gesprächen kumulieren soziale Ordnungen, interaktive Techniken und finale Einzelhandlungen zu einer kommunikativen Einheit.

In der linguistischen Forschungstradition haben sich mit der Ethnomethodologischen Gesprächsanalyse und später mit der Diskursanalyse zwei Disziplinen herausgebildet, die sich mit Fragen der internen Strukturiertheit sozialer Ereignisse im Allgemeinen, mit den darin wiederkehrenden Mustern, und im Besonderen mit den strukturellen Eigenschaften in der Organisation von Gesprächen beschäftigen. In der neueren Forschung geraten insbesondere Fragen der sequenziellen Organisation von Gesprächen (Sprecherwechsel, Paarsequenzen etc.) in den Blick. Einfach ausgedrückt geht es um die Frage: Wer spricht wann, wie zu wem und wie strukturieren die Beteiligten ihre Gesprächsbeiträge?

Wenn Ärzte mit Patienten sprechen, stehen aufgrund der institutionellen Rahmung des Gesprächs drei wesentliche, gesprächskonstituierende Elemente bereits fest: Thema, Informationsinteressen und Rollenverteilungen13. In besonderem Maße gilt das für klassische Anamnesegespräche, bei denen zudem die Gesprächsstruktur (Frage-Antwort-Sequenzen) bereits stark vorgegeben und bisweilen standardisiert ist.

Gespräche involvieren im Wesentlichen vier Strukturelemente, die im Zusammenspiel den Gesprächstyp festlegen. Im Einzelnen sind das

 Gesprächszweck,

 Institutioneller Rahmen,

 Situativer Rahmen und die

 Gesprächsrollen.

Dabei bestehen zwischen einzelnen Elementen Wechselwirkungen. So ist der Gesprächszweck in der Arzt-Patient-Kommunikation (Beratung, Hilfeersuchen) eng mit dem institutionellen Rahmen (Arztpraxis oder Klinik) verwoben. Zugleich gibt es Überlagerungen des institutionellen Rahmens mit dem situativen Rahmen: Ort, Dauer des Gesprächs und dessen Zeitpunkt sowie die besonderen Umstände der Situation (etwa die Notwendigkeit einer Terminvereinbarung oder das Warten auf das Gespräch) sind durch den institutionellen Rahmen, in dem diese Gespräche stattfinden, determiniert. Dasselbe gilt für die Ausgestaltung und Verteilung der Gesprächsrollen mit ihren rollentypischen Verpflichtungen. Im institutionellen Gefüge ist insbesondere die Konstellation der gesprächsübergreifenden Personen-Rollen über das Verhältnis ExperteLaie sowie über Statusrollen und bisweilen Altersunterschiede festgelegt. Zudem sind die Gesprächsrollen auch durch eine besondere Beziehungskonstellation gekennzeichnet, da sich Arzt und Patient in aller Regel fremd oder zumindest nicht näher bekannt sind. Dieses starre Gefüge aufzubrechen, ist Ziel aller Bemühungen um eine Stärkung der Patientenrolle und der damit verbundenen Berücksichtigung patientenseitiger Interessen. Mit dieser Stärkung ist – da sich weder der Gesprächszweck noch der institutionelle oder der situative Rahmen ändern lassen – eine Veränderung der Gesprächsprozeduren sowie der Beziehungsgestaltung im Gespräch (Ent-Ritualisierung der bisherigen Gesprächshandlungen) notwendig, die arztseitig durch die Exploration der Patientenperspektive (ideas, concerns & expectations) erreicht werden kann.

In diesem Zusammenhang kann auch ein intensiverer Blick auf den Aspekt der Beziehung und die komplexen kommunikativen Handlungen im Gespräch, die Beziehungsrelevanz aufweisen, erhellend sein. Ein solcher Blick kann helfen, den gesprächsübergreifenden Gesamtzusammenhang der Beziehung für die Arzt-Patient-Interaktion insgesamt in den Mittelpunkt zu rücken – und den Stellenwert des Gesprächs in diesem Gesamtzusammenhang stärker zu konturieren. Dies ist auch deswegen wichtig, weil durch die Betrachtung sozialer Phänomene und Konzepte – zu denen Beziehungen zählen – auf der Gesprächsebene perspektivische Differenzen (unterschiedliche Perspektivierungen von Arzt und Patient) und Asymmetrien deutlich ins Licht treten, die in einem Gesamtkontext an der Bildung gesprächsübergreifender Konzepte (z.B. Beziehung, Vertrauen) maßgeblich beteiligt sind. Das Gespräch formt insofern einen eigenen Wirkungsraum aus, als dass innerhalb der Prozeduren Beziehungsrelevanzen (z.B. durch Fremd- und Selbstbilder) hergestellt und sichtbar gemacht werden. So sind Selbst- und Fremdbilder, die durch das Gespräch akzentuiert werden, immer beziehungsrelevante Größen.

Dem Gespräch fällt in der Beziehungsrelevanz eine besondere Rolle zu. So stellt Susanne Poro fest, dass „Beziehung nicht gleich dem Gespräch ist, sondern daß im Gespräch Handlungen vollzogen werden, die für das übergeordnete Konzept der Beziehung relevant, konstitutiv sein können bzw. sind“14. So verstanden sind Gesprächshandlungen immer zugleich beziehungsrelevante kommunikative Handlungen. Beziehung stellt sich dar als „gesprächsübergreifendes soziales Konzept, das sich neben anderen Möglichkeiten auch im Gespräch realisiert“15. Für die Arzt-Patient-Kommunikation ist eine Festlegung fundamental, weil sie sowohl soziale und institutionelle Rahmen als auch situative Kontexte berücksichtigt und zugleich das Potenzial der Veränderung dieser Interaktionsrahmen hervorhebt: „Beziehung [ist] ein inter- und intrapsychisches Phänomen auf der Basis sozialer Rollenverteilung, das sich durch Dynamik auszeichnet“16. Beziehungsrelevante kommunikative Handlungen sind also im Kern dynamisch. Diese Sichtweise evoziert, dass Gesprächshandeln (als eine mögliche Realisationsform von Kommunikation) Beziehungen verändern und (im besten Fall) stabilisieren kann. Beziehungsrelevante sprachliche Handlungen im Gespräch, die sich u.a. in der Exploration des ICE-Modells, in Unterbrechungen oder in der Verteilung von Redeanteilen nachweisen lassen, stehen für die Linguistik im Fokus. Jedoch sind diese beziehungsrelevanten Handlungen nicht gleichzusetzen mit Beziehung als übergeordnetes Konzept: „Beziehung ist nicht identisch mit Gespräch oder Interaktion“17. Richtig ist: „Beziehung kann sich im Gespräch konstituieren, darüber hinaus jedoch auch in nonverbaler Interaktion, in bewußter Nicht-Interaktion und in vorgegebenen sozialen bzw. institutionellen sowie situativen Rollenverteilungen“18.

In der nachfolgenden Abbildung, die aus der Studie von Poro zur Beziehungsrelevanz in der beruflichen Kommunikation entnommen und leicht modifiziert ist, zeigt sich, dass Beziehungsrelevanz als gemeinsame Schnittmenge zwischen übersituativer Beziehung und aktuellem Gesprächsgeschehen aufgefaßt werden kann.


Abb. 1: Beziehungsrelevanz in Arzt-Patient-Beziehungen (modifiziert nach Poro 1999:50)

Besonders starre Gesprächsprozeduren und -modi (standardisierte Sequenzen) lassen sich in Anamnesegesprächen finden. Aber auch offene Gesprächsformen innerhalb der Arzt-Patient-Kommunikation sind in einen institutionellen Rahmen eingespannt, auch für sie gelten Ordnungsprinzipien, von denen nur selten abgewichen wird. In erster Linie liegen die Gründe für die weitgehende Geschlossenheit auch vermeintlich offener Gespräche in der w. u. ausführlicher beschriebenen Rollenasymmetrie zwischen Ärzten und Patienten. Dasselbe gilt für Verkaufsgespräche oder Vorstellungsgespräche. In Alltagsgesprächen hingegen entfalten sich diese Elemente oft erst im Gesprächsverlauf. Im Dialog werden Themen und Rollen im Prozess jeweils aktualisiert. Dennoch gibt es allgemeine Ordnungsprinzipien, denen Sprecher und Hörer unbewusst folgen. Dass beispielsweise Unterbrechungen nicht nur unhöflich sind, sondern zudem das Kommunikationsziel gefährden, gehört zu unserem angelernten Prozesswissen.

Verwoben mit sprachlichen Wissensbeständen können wir Gespräche führen, die einer inneren Logik folgen. Diese innere Logik wirkt im Kommunikationsprozess stabilisierend. Intuitiv kennen und befolgen wir die Spielregeln, die für Gespräche gelten. Wir kennen Höflichkeitsformen, wissen, wie Gespräche abzulaufen haben (geordnet, indem erst der eine spricht und dann der andere) und wissen auch, welche Erwartungen in Gesprächen an uns gestellt werden (z.B. Zuhören und auf das Gesagte reagieren, eigene Gesprächsbeiträge geordnet hervorbringen, nicht lügen etc.). Verstöße gegen die ungeschriebenen Gesetze des Kommunizierens werden von den Beteiligten nicht nur erkannt, sie werden auch geahndet. Jemand, der beispielsweise in einem Vorstellungsgespräch ohne Begrüßung den Raum betritt, sein Gegenüber ständig unterbricht, sich selbst Rederechte einräumt, die ihm nicht zugewiesen wurden (turn-taking) oder auf die gestellten Fragen mit Gegenfragen antwortet, wird wohl kaum Chancen auf eine Anstellung haben. Die Art und Weise, wie sich Gesprächspartner kommunikativ verhalten, wie sie beispielsweise ihre Gesprächsbeiträge zu denen ihrer Gesprächspartner in Beziehung setzen (Sprecherwechsel etc.), zeigt auf, „wie sie die sich entwickelnden Aktivitäten verstehen, wie sie den vorangegangenen ,Turn‘ und die entsprechenden Erwartungen der Partner interpretieren und welche Erwartungen sie selbst in Bezug auf den nächsten ,Turn’ haben“19.

Die Spielregeln, die wir im kommunikativen Miteinander gelernt und verinnerlicht haben, entsprechen allgemeinen Basisregeln:

Derartige Basisregeln beinhalten die Bedingungen der Möglichkeit von Kommunikation. Kern dieser Bedingungen ist die Bewältigung der grundsätzlichen Unvergleichbarkeit der beteiligten Selbstidentitäten, die Vagheit der ausgetauschten Symbolgesten, die mangelnde Angleichung ihrer wechselseitigen Interpretation.20

Die Gesprächsbeteiligten müssen in der Gesprächspraxis wechselseitige Idealisierungen vornehmen, die Schütz als Herstellung einer Kongruenz der Relevanzsysteme beschreibt.21 Solche Idealisierungen gelten mithin als wesentliche Prozeduren in Gesprächen. Wechselseitige Idealisierungen garantieren das Gemeinsame innerhalb der Gesprächskommunikation: den Wechsel. Dasselbe gilt für die von Herbert Paul Grice entwickelten Ansprüche an die in der Kommunikation erzeugten Äußerungen, die sich in Form von Konversationsmaximen beschreiben lassen: „Voraussetzung dafür, daß Gesprächspartner in ein Gespräch und damit in eine Verständigung eintreten, ist die wechselseitige Akzeptierung dessen, was Grice […] als ,kooperatives Prinzip‘ bezeichnet hat“22. Ausgehend von der Idee, dass beim Kommunizieren prinzipiell das Kooperationsprinzip gilt, nach dem alle Beteiligten sich kooperativ verhalten, also kommunizieren wollen, und dabei rationalen Prinzipien des Kommunizierens folgen, entwirft Grice Regeln des Kommunizierens, die er als Konversationsmaximen bezeichnet.23 Nach diesen Regeln sollte ein Sprecher seinen Redebeitrag im Gespräch grundsätzlich gestalten:24

1 Maxime der QuantitätMache deinen Beitrag (für deinen Gesprächszweck) so informativ wie nötig.Mache deinen Beitrag nicht informativer als nötig.

2 Maxime der QualitätVersuche, deinen Beitrag so zu machen, dass er wahr ist.Sage nichts, das du für falsch hältst.Sage nichts, wofür dir angemessene Gründe fehlen (was du nicht weißt).

3 Maxime der RelationSei relevant (rede nicht um den heißen Brei herum).

4 Maxime der ModalitätSei klar und deutlich.Vermeide Unverständlichkeit.Vermeide Mehrdeutigkeiten.Sei kurz (vermeide unnötige Weitschweifigkeit).Der Reihe nach (strukturiere deinen Gesprächsbeitrag).

Insbesondere die Maximen der Modalität zahlen auf die sequenzielle Ordnung im Gespräch ein. Verstöße gegen Konversationsmaximen werden mithilfe des w. o. in Kapitel 2.1 beschriebenen pragmatischen Schlussverfahrens als konversationelle Implikaturen aufgelöst. Der Prozess des Interpretierens, der für Kommunikation im Allgemeinen wesentlich ist, findet im Gespräch in diesem pragmatischen Schlussverfahren seinen Fluchtpunkt. Außerdem wird in den Grice’schen Überlegungen eines der (auch für die linguistische Konversationsanalyse) zentralen Prinzipien der Gesprächsordnung erkennbar bzw. es lässt sich daraus ableiten:

Sofern sich […] Gesprächspartner auf der Basis des kooperativen Prinzips in ein Gespräch einlassen, ist für jedermann einsichtig, daß die Initiierung und Akzeptierung des Gesprächsschrittwechsels oder einfacher: des Sprecherwechsels […] zu den grundlegenden Verpflichtungen der Gesprächspartner gehört.25

Die Frage nach der konkreten Ausgestaltung von Prozeduren in Gesprächen ist Gegenstand der linguistischen Gesprächsforschung. In Gesprächsanalysen stehen auf der einen Seite die kommunikativ-pragmatisch bedeutsamen Gesprächskategorien und deren Subkategorien im Mittelpunkt. Nach Henne/Rehbock lassen sich die folgenden zehn Kategorien unterscheiden:26

1 Gesprächsgattungen (natürliche vs. fiktive/fiktionale bzw. inszenierte Gespräche)

2 Situationeller Kontext (Raum-Zeit-Verhältnis)

3 Konstellation der Gesprächspartner

4 Grad der Öffentlichkeit

5 Soziales Verhältnis der Gesprächspartner

6 Handlungsdimensionen im Gespräch

7 Bekanntheitsgrad der Gesprächspartner

8 Grad der Vorbereitetheit der Gesprächspartner

9 Themafixiertheit des Gesprächs

10 Verhältnis von Kommunikation und nichtsprachlichen Handlungen

Auf der anderen Seite interessiert sich die Gesprächsforschung für Phänomene wie Turns, Hörerrückmeldungen bzw. -signale, Sprechakte, Gesprächsschritt-Regelungen (turn-taking, Pausen, Unterbrechungen etc.), Sequenzen als Ordnungen auf mittlerer Ebene und Gesprächsphasen als Ordnungen auf der Makroebene, Gesprächsmuster und Schemakomponenten (Gesprächsteile), Gesprächskonstellationen (Zweck, Rahmen und Rollen), Prozeduren und Modi sowie deren Markierungen, Beziehungsgestaltungen und Themensteuerungen (z.B. Korrekturen, Reformulierungen oder Wiederaufnahmen).27 Nicht alle gerade genannten Aspekte sind für die Untersuchung der Arzt-Patient-Kommunikation gleichermaßen von Bedeutung. Für die Modellierung eines Gesprächsmodells etwa spielen Fragen der Ordnung auf der Makroebene (Phasen) eine wichtige Rolle.28

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