Читать книгу: «Tödliche Wollust», страница 2

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Kapitel 3

Clairé Beauvais erregte einiges Aufsehen, als sie durch die Halle des Hotels schritt. Ein eleganter Hut verdeckte ihr schwarzes Haar, ein extravagantes schwarzes Kleid ihre schlanke, wohlproportionierte Figur und ein unverbindliches Lächeln ihre Gedanken.

Vinson Chambers zeigte sich überrascht. Bei einer Frau, die dem Escortgewerbe nachging, war er eigentlich auf mehr Enthüllungen vorbereitet gewesen – kurzer Rock, offenherziger Ausschnitt, viel Bein und Busen und so.

»Sind Sie der Mann, der mich sprechen möchte?«, erkundigte sie sich kühl.

Chambers nickte bejahend. »Bitte nehmen Sie Platz, Miss Beauvais. Das, was ich Ihnen zu sagen habe, lässt sich nicht in einem Satz zusammenfassen.«

»Ich weiß noch gar nicht, ob ich mich überhaupt für das interessiere, was Sie mir sagen wollen«, entgegnete Clairé mit einem sphinxhaften Lächeln.

»Wenn Sie sich nicht dafür interessieren würden, wären Sie wohl kaum gekommen.« Chambers Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Also los! Setzen Sie sich endlich!« Er schob ihr einen Stuhl zurecht. »Ich bin der Mörder ihrer Tänzerin! Und die ist nur gestorben, um mir die richtige Ausgangsbasis für dieses Gespräch zu verschaffen. Sehen Sie: Ich spaße nicht!«

Clairé setzte sich. Sie war blass geworden. Ihr unverbindliches Lächeln war wie weggewischt. Sie war jetzt ausschließlich eine junge Frau mit katzenhaften Augen, perlweißen Zähnen und anmutigen Bewegungen voller Charme, aber sachlich und eisig bis ans Herz. »Um mir das zu zeigen, hätten Sie sie nicht töten müssen!«, kam es ihr frostig über die Lippen. »Was wollen Sie?!«

»Das Tagebuch von Savannah Campbell.«

»Da sind Sie bei mir an der falschen Adresse.«

»Meine Informationen besagen aber das Gegenteil«, knurrte er gefährlich und verzog sein pockennarbiges Gesicht zu einem widerlichen Grinsen. »Wenn Sie sich allerdings nicht freiwillig davon trennen, können Sie es meinetwegen mit in die Hölle nehmen!«

Der Getränkekellner kam vorbei, und Clairé winkte ihn heran. »Einen Martini, bitte!«

»Haben der Gentleman auch einen Wunsch?«, erkundigte sich der Kellner, ein großer Mann mit länglichem Gesicht, langem Hals und hängenden Schultern.

»Bringen Sie mir einen Whisky.«

Clairé wartete, bis der Kellner wieder verschwunden war. »Haben Sie Savannah ebenfalls auf dem Gewissen?«

Chambers lächelte. »Wollen Sie mich aushorchen? … Aber warum soll ich es Ihnen nicht sagen. Ich habe es nicht nötig, mich mit fremden Federn zu schmücken. Nein, dieser Mord geht auf ein anderes Konto.«

Die Servicekraft servierte die bestellten Drinks.

Chambers betrachtete die goldbraune Flüssigkeit in seinem Glas, die ihn freundlich anglitzerte, und leerte es in einem Zug. Wenig später begann Clairés Gesicht vor seinen Augen zu tanzen. Er fühlte, wie eine unbestimmte Übelkeit in ihm hochkroch. Vom Alkohol konnte es nicht kommen, denn er war diesbezüglich andere Mengen gewohnt. Dennoch kam es vom Whisky, vielmehr von dem, was man ihm beigemixt hatte, und was weder dorthin, noch in seinen Magen gehörte. Immer mehr sackte er in seinem Sessel zusammen. Er bekam noch mit, dass sie sich über ihn beugte und etwas sagte, verstand es aber nicht. Dabei dröhnte ihm ihre Stimme in den Ohren, dass er um die Haltbarkeit seiner Trommelfelle fürchtete. Er spürte nicht, dass sein Kopf auf den Tisch sackte, und auch nicht, dass sein Glas klirrend umkippte, über die Marmorplatte rollte und herunterfiel – dessen Aufprall der zentimeterdicke Teppich vollends verschluckte. Kristalle von leuchtender Farbenpracht erschienen vor seinen Augen. Er schrie.

Plötzlich war der Kellner mit dem langen Hals wieder da und griff ihm unter die Achseln, während ein Kollege half und die Beine packte. Dann trugen sie den aufs Kreuz gelegten Killer zum Lift.

Als es aufwärts ging, wurde Chambers schlecht. Er ahnte nicht, dass Clairé Beauvais diese Aktion gegen ein fürstliches Entgelt mit dem Kellner abgesprochen hatte.

*

Das Schlafzimmer, in dem Vinson Chambers wieder zu sich kam, war mit Velours und kostbaren Teppichen ausgelegt. An der Wand hing ein Ölgemälde von Helen Davison Bradley, das einen abgeschnittenen Schweinekopf zeigte. Vielleicht eine Anspielung auf die kahlköpfigen und schmerbäuchigen Spesenritter, die es sich sonst hier gemütlich machten, nachdem sie ihre hoffnungslos verfetteten Organismen etwas Bewegung und ihren nicht immer ganz astreinen Fantasien neue Nahrung verschafft hatten.

Ein Wandschränkchen nach Art des Schreiners Chippendale war reichlich mit kostbaren Porzellanfiguren versehen. Und auch sonst hat Chambers nicht das Gefühl, bei armen Leuten gelandet zu sein. Die Fensterfront übers Eck, schräg über die Themse, bot mit ihren fünf Yards Glas einen wundervollen Ausblick auf Londons City. Hier ließ es sich aushalten.

Chambers ließ sich auf das Bett zurückfallen und kniff die schmerzenden Augen zusammen. Seine tastende Hand berührte etwas Weiches, Warmes. Sein Interesse war geweckt und er ließ seine Hand weiterwandern. Auf einem Busen blieb sie liegen. Hoch angesetzte pralle Brüste mit neckischen Brustwarzen. Chambers schaute zur Seite, und seine Hand zuckte augenblicklich zurück.

Clairé Beauvais sah im Tod ebenso schön und unnahbar aus wie im Leben. Ihr Mund war halb geschlossen, die Augen weit aufgerissen und leblos, starr zur Decke gerichtet. Da war kein Messereinstich, kein Einschussloch und auch kein Blut. Aber die hässlichen Würgemale an ihrem Hals ließen keinen Zweifel daran aufkommen, woran sie gestorben war.

Chambers kroch rückwärts aus dem Bett. In seinem Kopf dröhnte es. Kalter Schweiß lief ihm über die Stirn. Die Wirkung der Droge, die man ihm verpasst hatte, hielt immer noch an. Mühsam schleppte er sich zum Bad.

Chromblitzende Wohlstandssauberkeit empfing ihn, vom Boden bis zur Decke. Dazu kam ein riesiger Spiegel über dem Waschbecken. Die Hexenküche der modernen Frau, mit allen kosmetischen Hilfsmitteln, die ein weibliches Wesen braucht, um auch nach einer durchliebten Nacht noch halbwegs begehrenswert auszusehen.

Chambers hielt seinen Kopf unter das kalte Wasser. Ihm war, als habe er einen heftigen Schlag ins Genick bekommen. Aber dann wurde es langsam besser. Er trocknete sich das Gesicht ab. Dabei musterte er sein pockennarbiges Konterfei im Spiegel. Schön war er sich eigentlich nie vorgekommen, aber was er nun sah, erschreckte ihn regelrecht. Er wirkte wie der schwarze Mann, den man unartigen Kindern als Schreckgespenst in ihre unschuldigen Träume suggerierte. Ringe unter den Augen, Mitternachtsblick, eingefallene Wangen und einen herben Zug um den Mund, der den Verdacht, dass er jemals über einen unanständigen Witz gelacht haben könnte, erst gar nicht aufkommen ließ.

Er wankte ins Schlafzimmer zurück. Nirgends gab es etwas zu trinken. Zielsicher lenkte er seine tapsigen Schritte in die Küche. Im Kühlschrank fand er eine Flasche Gin. Den rührte er normalerweise nie an, nicht einmal, wenn er am Verdursten war – doch diesmal machte er eine Ausnahme.

Während er aus der Flasche trank, blickte er aus dem Fenster. Er sah eine Eisenbahnlinie, Schiffe auf der Themse, Lagerplätze, Schuppen und Hinterhöfe. Das was man von einer Metropole wie London erwartete. Das brachte ihn wieder zu sich. Er setzte die Flasche ab und ließ sich auf den Hocker fallen. Verdammte Scheiße, dachte er bei sich und fühlte sich auch danach.

Nach einer Weile stand er auf und schleppte sich ins Schlafzimmer zurück. Die nackte Frau lag tot auf dem Bett. Und dann fiel ihm alles wieder ein: der Kellner, der Whisky und die Fahrt im Lift. Nur die Stelle, an der er Clairé getötet hatte, fehlte ihm. Denn dass er den Mord begangen hatte, stand für ihn zweifelsfrei fest.

Plötzlich ließ ihn ein Geräusch an der Tür herumwirbeln. Er wollte nach seiner Waffe greifen, aber sie befand sich nicht dort, wo sie hingehörte.

»Wenn Sie Ihre Pistole suchen, die habe ich!«, bemerkte der Mann, der lässig am Türrahmen des Schlafzimmers lehnte und hielt sie ihm entgegen, wobei die Mündung direkt auf den Bauch des Killers deutete und der Zeigefinger auf dem Abzug lag.

Auf Chambers machte es nicht den Eindruck als würde es sich um einen Zufall handeln.

»Ich bin Detective Chief Inspector Whitehead. Hier ist mein Ausweis.« Er klappte ein Ledermäppchen auf, zeigte ihn ihm und steckte es anschließend wieder ein. »Ich verhafte Sie wegen Mordes! Alles, was Sie von nun an sagen, kann bei der Verhandlung gegen Sie verwendet werden. Selbstverständlich haben Sie das Recht, die Aussage zu verweigern.« Er gab den beiden Beamten, die hinter ihm auftauchten, ein Zeichen. »Nehmen Sie ihn fest!«

Widerstandslos ließ es Chambers geschehen, dass man ihm Handschellen anlegte und abführte. Er machte einen völlig gebrochenen Eindruck. Der Gedanke, dass er quasi nur zum Privatvergnügen gemordet hatte, also ohne auch nur einen Penny daran zu verdienen, machte ihn fix und fertig. Zu seinen Geschäftsprinzipien hatte es stets gehört, Arbeit und Vergnügen peinlich genau voneinander zu trennen.

*

Wäre er auch nur eine Viertelminute länger im Zimmer geblieben, hätte es ihm vor Schreck vermutlich die Sprache verschlagen, denn die Tote räkelte sich plötzlich auf dem Bett. »Ich dachte schon, Sie kämen gar nicht mehr, Chief Inspector«, knurrte sie vorwurfsvoll.

Wie gebannt starrte Whitehead auf Clairés wundervollen Busen, der keinerlei Stütze eines Büstenhalters bedurfte.

Clairé griff sich an die Augen und nahm die Kontaktlinsen heraus, die sie eingesetzt hatte. Anschließend wischte sie sich die Würgemale vom Hals. »Sie sehen, was man mit maskenbildnerischem Geschick alles fertig bringen kann … Aber jetzt werde ich mir wohl besser etwas überziehen, sonst fallen Ihnen noch die Augen aus dem Kopf.« Sie lachte und griff nach dem Morgenmantel – sehr zu Whiteheads Enttäuschung, der den Anblick ihrer atemberaubenden Figur gern noch länger genossen hätte.

***


Kapitel 4

Die Sonne knallte unbarmherzig durch das weit geöffnete Fenster im vierunddreißigsten Stock des ›Carrara Towers‹, auch ›250 City Road‹ genannt, nähe des ›Regents Canal‹.

Ragnar Lundquist wälzte sich unruhig auf seinem Bett hin und her. Vergeblich versuchte er ein halbwegs schattiges Plätzchen für seinen Kopf zu finden. Aber wo er ihn auch hinlegte, die Sonne war bereits da. Er stöhnte im Halbschlaf, leckte sich über seine trockenen Lippen, als hätte er Durst, und beschloss, langsam wach zu werden, bevor er endgültig in seinem eigenen Saft zu schmoren begann.

Er rollte sich aus dem Bett, wankte bis zur Tür und verschwand im Badezimmer. Als ihn der eiskalte Wasserstrahl der Dusche traf, krümmte der nicht gerade alltägliche Kater des jungen Mannes in der Seelenkombüse zwischen Hinterkopf und Magen erschrocken den Rücken und jaulte laut auf, als hätte man ihm auf den Schwanz getreten. Aber er blieb hart, sich selbst und seinem Kater gegenüber. Grauer Whiskynebel raus, weißer Energiewellen rein!, lautete die Devise, und es klappte tatsächlich. Ragnars Kopfhaut kribbelte, und das darunterliegende Hirn begann sich schwerfällig zu regen. Versuchsweise begann er langsam mal hierhin und mal dorthin zu denken – und seine grauen Gehirnzellen parierten wie gutdressierte Ehemänner. Dann endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, wagte er es schließlich, an die vergangene Nacht zu denken.

Er hatte mit einem vielversprechenden Flirt begonnen. Daphne hieß der hoffnungsvolle Nachwuchs, dem die Amateureigenschaften noch nicht verloren gegangen waren, und schon nach zehn Minuten hatte Ragnar gewusst, dass mit ihr der Rest des Abends und die Stunden danach gesichert waren.

Und dann war Garrett Simmons mit seinem völlig idiotischen Vorschlag dahergekommen: »Lass' uns auf Russisch trinken!«

Der ›Trick‹ beim Russischen war, dass nicht im Sitzen sondern Stehen getrunken wurde. Gewonnen hatte derjenige, der sich zum Schluss noch auf den Beinen halten konnte. Ragnar hatte zwar bis zum Schluss gestanden, sich anschließend aber heimtragen lassen müssen – und Daphne war ihm durch die Lappen gegangen.

Die Türglocke schlug an, schrill und durchdringend. Augenblicklich vollführte Ragnars Kleinhirn erschrocken einen doppelten Salto rückwärts, und der gleichzeitig aufjaulende Kater brachte seinen Organismus endgültig durcheinander. Aber der Rest seines Verstandes, der das Weiterleben ernsthaft in Erwägung zog, entschloss sich dazu, die Tür zu öffnen.

Im Flur stand, langbeinig, kurzberockt und mit schwarzen Haaren bis weit über die Schultern, die Augenweide eines weiblichen Wesens.

Ragnar starrte auf die enganliegende Bluse der faszinierenden Erscheinung und bekam akute Atemnot. Nur unter Aufbringen all seiner geistigen Kräfte schafft er es seinen Blick von den Wölbungen zu lösen und seinen Mund zu schließen. »Ach, du bist es«, stieß er enttäuscht hervor, als er das Gesicht der Frau als Clairé Beauvais identifizierte. »Komm' rein!«

Ragnar streckte sich, wobei sein Bademantel auseinander klaffte und seine breite, leicht behaarte Brust freigab. Er lächelte jungenhaft und schaute Clairé aus unbekümmert frechen Augen aus.

Er war Ende Zwanzig, über sechs Fuß groß, breitschultrig und hatte blonde Haare. Er verbreitete Wärme und Sympathie. Aber so, wie er nun dastand, mit traurigen Augen, was auch dem Alkoholkonsum geschuldet war, hatte er reichlich Ähnlichkeit mit einem Bernhardiner.

»›Fatso‹ hatte Besuch vom ›Chancellor of the Exchequer‹. Der Schatzkanzler Hammond hat ein Problem, mit dem er nicht allein fertig wird«, ließ Clairé ihn wissen, wobei ein spöttisches Lächeln um ihre Mundwinkel spielte. »Aber ich sehe schon: Du brauchst erst einmal etwas gegen deinen Rausch. Na, da komme ich ja genau richtig, wo ich doch Expertin in Sachen Katerfrühstück bin, nicht wahr?!« Sie schritt mit wiegenden Hüften auf die Küche zu, verschwand darin und rief Ragnar nach ungefähr zwei Minuten zu sich.

Das rohe Eigelb, das ihn dick gesalzen und gepfeffert aus einer Höllenbrühe von Worcestersoße, Zitronen- und Tomatensaft und Sesamöl aus einem Glas zum Übelwerden anstarrte, war eines der Meisterwerke aus Clairés persönlicher Apotheke.

»So eine ›Prärieauster‹ ist der perfekte Drink nach einer durchzechten Nacht, mein Bester. Ein wahres Wundermittel gegen einen Kater«, bemerkte Clairé und reichte ihm den Göttertrank mit einem vor tiefempfundenem Mitleid triefenden Blick aus ihren geheimnisvollen fast schwarzen Augen.

»Da wird einem klar, warum dich bislang kein Mann geheiratet hat: Du bist echt die reinste Giftmischerin«, erwiderte Ragnar prustend und erreichte gerade noch rechtzeitig den kleinsten Raum seiner Wohnung. Anschließend fühlte er sich aber in der Tat besser. Sie ist doch die Größte, dachte er bei sich. »Wo ist eigentlich Garrett?«, erkundigte er sich und bekam langsam wieder Lust am Leben.

»Den habe ich bereits in Marsch gesetzt. Ihm ging es übrigens ebenso schlecht wie dir«, schmunzelte Clairé. »Ihr müsst gestern Abend ordentlich einen gehoben haben.«

Ragnar nickte vorsichtig. »Selbstlos wie wir sind, opfern wir uns für das Wohl der britischen Spirituosenindustrie auf … Aber glaub' nur nicht, dass uns das jemand danken würde!«

*

Eine Stunde später fuhren sie nach ›Llantrisant‹, einer Stadt in der Grafschaft ›Rhondda‹ in Wales, wo sich seit 1975 Sitz und Prägestätte der ›Royal Mint‹ befand.

Clairé saß am Steuer ihres ›Jaguar F-Type‹, während Ragnar wie ein Häuflein Elend neben ihr hockte. In diesem Moment sah man den beiden wirklich nicht an, dass sie sich – zusammen mit Garrett Simmons – erst vor wenigen Wochen mit der Londoner Unterwelt und Mafia angelegt hatten. Vor über einem Jahr war sie von Leonard Edwards, den sie wegen seiner enormen Körperfülle nur ›Fatso‹ nannte, als freie Mitarbeiterin für den ›MI5‹ angeheuert, weil sie bei geheimen Recherchen, sei es auf politisch-militärischem, gesellschaftlich-diplomatischem oder auch nur kriminellen Gebiet größere Erfolgsaussichten hatte, als andere seiner Mitarbeiter.

*

Im Zimmer von Horace Garside, dem Chef der ›Royal Mint‹, saßen bereits vier Männer, als sie zur angesetzten Besprechung hinzukamen. Der schlanke Drahtige mit den roten Haaren war Glen Underwood. Der kleine Gedrungene Brian McLaughlin wurde auch ›Professor‹ genannt. Die beiden waren die absoluten Stars unter den Detektiven zur Aufklärung von Delikten der Falschmünzerei. Außerdem war da noch Garrett Simmons, ein kleiner, dicklicher Mann mit Glatze, der immer so bekümmert aus dem Anzug sah wie ein deprimierter Dackel, dem der letzte Knochen gestohlen worden ist.

Hinter dem Schreibtisch thronte Horace Garside. Er hatte gerade die Hände aufgestützt und stemmte sich hoch. Mit einer schnellen Bewegung griff er nach seinen beiden Krücken und bewegte sich auf einen Aktenschrank zu, der links von ihm stand. Wo Garsides rechtes Bein hätte sein müssen, war nur noch ein aufgekrempeltes Hosenbein. Den Inhalt hatte er nach einem Unfall auf einem Operationstisch lassen müssen. Aber auch dieser Schicksalsschlag hatte seinem sprichwörtlichen Optimismus keinen Dämpfer verpassen können. Garside holte eine Akte aus dem Schrank, warf sie auf den Schreibtisch und setzte sich wieder. »Es gibt Arbeit für Sie, Gentlemen«, begann er ohne Vorrede. »Ich muss dazu allerdings ein wenig ausholen.« Er sah die Anwesenden mit unverhohlener Besorgnis nachdenklich an. »Ihnen dürfte bekannt sein, dass Adolf Hitler gegen Ende des Zweiten Weltkrieges exzellente Geldfälscher im Lager Sachsenhausen für sich arbeiten ließ. Am 20. Februar 1945 wurde das sogenannte ›Unternehmen Bernhard‹ vom SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt ins KZ-Außenlager Schlier, einem Kommando des KZ Mauthausen verlegt, … Maschinen, Werkzeuge und das inzwischen sehr erfahrene Personal an Fälschern. Doch die Aktion konnte nicht mehr realisiert werden, denn am 6. Mai 1945 erfolgte deren Befreiung durch US-Truppen. Ein gewisser Adolf Burger berichtete den Befreiern von dem Staatsgeheimnis, dessen Zeugen allesamt der Tod erwartete. Allerdings schenkte man ihm keinen rechten Glauben.« Er machte eine kurze Pause und musterte die gespannten Gesichter vor ihm. »Das änderte sich erst 1959, als Taucher auf dem Grund des Toplitzsees im Salzkammergut Kisten mit Pfundnoten und Fälscherwerkzeugen fanden. Die Noten, die Burger und seine Leidensgenossen hergestellt hatten, waren teilweise so gut, dass nicht einmal Kassierer der ›Bank of England‹ sie von echten Noten unterscheiden konnten. Deshalb tauschten wir schon damals die Fünf-Pfund-Note, den am häufigsten gefälschten Geldschein, gegen eine neue Serie aus. Burger sagte auch aus, dass fast alles aus der Fälscherwerkstatt nach Südamerika verbracht worden ist und eine jüngere Fälschergeneration ausgebildet wurde. Und in der letzten Zeit verdichten sich die Gerüchte, wonach eine militante Untergrund-Organisation einen dieser ›Lehrlinge‹ in Argentinien aufgetrieben und in Großbritannien eingeschleust haben soll.«

»Dieser Adolf Burger muss doch inzwischen steinalt sein«, warf Garrett ein.

»Burger selbst wurde neunundneunzig Jahre alt und verstarb vor zwei Jahren«, erwiderte Garside abwinkend. »Der Mann, um den es geht, ist unseren Informationen nach zweiundsechzig Jahre alt. Er heißt Wilhelm Kellermann, und es existiert lediglich ein Jugendbild, das ihn am Strand von ›Balneario el Cóndor‹ zeigt. Unsere Spezialisten haben versucht, ein Phantombild anzufertigen, um zumindest ungefähr herauszufinden, wie er heute aussehen könnte. Aber …« Er zuckte mit den Achseln. »Selbstverständlich kann er auch ganz anders aussehen. Doch zurück zu dem Gerücht, dass der Mann sich in England befinden soll. Man hat ihn natürlich nicht eingeschleust, damit er auf seine alten Tage eine ›Sightseeing-Tour‹ durch unser schönes Land macht. Ziel dieser Aktion ist es, dem Empire und seinem internationalen Finanzzentrum die Machtbasis zu entziehen. Die bewusste Untergrund-Organisation will das britische Pfund an den weltweiten Devisenmärkten durch eine Schwemme an Falschgeld ins Bodenlose stürzen lassen. Was dann folgt, können Sie sich wahrscheinlich noch nicht einmal in Ihren düstersten Albträumen ausmalen. Das totale Chaos würde über uns hereinbrechen und die ganze Welt in seinem Strudel mit sich reißen. Und Sie …« Er blickte Clairé, Ragnar und Garrett nun offen an. »Sie haben die ehrenvolle Aufgabe, das Königreich vor dieser Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes zu bewahren!«

»Warum ausgerechnet wir?«, hakte Garrett nach einer kurzen Pause vorwurfsvoll nach. »Wir sind doch nur blutige Amateure. Meiner Meinung nach wäre es besser, einen so ungeheuer wichtigen Auftrag an ein Heer von Profis zu übertragen! Da würde ich mich als Mensch und Steuerzahler bedeutend wohler fühlen.«

Horace Garside blickte ihn verkniffen an. »Mir wäre bei dem Gedanken auch wesentlich wohler. Denn im Vertrauen gesagt: Ich finde Amateure zum Kotzen! Das Dumme ist nur, dass Ihre aparte Kollegin in diesem Fall bereits bis zum Hals drinsteckt. Deshalb habe ich mich auch breitschlagen lassen, Ihnen den Fall zu übertragen, wobei Sie und Ihr Kollege sich quasi als kostenlose Dreingabe verstehen sollten. Ich denke mir, wenn einer immer ein bisschen auf den anderen aufpasst, dürfte so leicht nichts schiefgehen.«

»Wieso stecke ich schon mittendrin?«, erkundigte Clairé sich würdevoll, wobei ihr deutlich anzumerken war, dass ihr Garsides Bemerkung, er fände Amateure zum Kotzen, nicht einen Deut gefiel. Für sie stand fest, dass sie zu gegebener Zeit darauf zurückkommen würde.

»Sie hatten doch eine Freundin namens Savannah Campbell, nicht wahr?«

Clairé nickte. »Sie wurde ermordet.«

»Richtig«, bestätigte Garside völlig überflüssiger Weise, »und ich kann Ihnen auch sagen, weshalb! Miss Campbell hatte durch einen Liebhaber zufällig von dem großen Coup erfahren, den die Fälscher vorbereiten. Und sie hatte sofort erkannt, was dieses Wissen wert war. Sie wurde allerdings umgebracht, ehe sie ihr Wissen in klingende Münze umsetzen konnte. Aber sie hat für den Fall ihres plötzlichen Todes vorgesorgt und ihrem Tagebuch die Geheimnisse anvertraut, die vielen lichtscheuen Typen in diesem Land Millionenbeträge wert wären.«

»Schon wieder ein Tagebuch«, seufzte Clairé, im Hinblick auf ihren letzten Fall, was ihr Garsides fragenden Blick einbrachte.

»Und wo ist dieses geheimnisvolle Buch jetzt?«, wollte Ragnar wissen und nahm ihr die Antwort ab.

Horace Garside zuckte wieder einmal die Achseln. »Keine Ahnung. Aber die Gangster gehen davon aus, dass Miss Beauvais das Tagebuch besitzt. Und solange sie das glauben, ist sie als Köder unbezahlbar für uns. Die Kerle müssen Kontakt mit ihr aufnehmen, wenn sie verhindern wollen, dass es in falsche Hände gerät. Bei dieser Gelegenheit werden wir den Burschen eine Falle stellen. Mr. Underwood und Mr. McLaughlin werden zur Stelle sein, wenn es soweit ist.«

Ein spöttisches Lächeln umspielte Clairés Mundwinkel. »Und wo waren die beiden Herren gestern Abend, als die Bande erstmals Kontakt mit mir aufgenommen hat? Immerhin haben die Kerle einen Killer geschickt, der, nur um mir zu zeigen, wie verdammt ernst sie es meinen, eine Freundin von mir getötet!«

***

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