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flüsterte er.

6

Gift

Früh begann das Training mit Gabriel. Still und reglos saß sie im Schneidersitz neben dem glimmenden Stein.

»Aua«, rief sie aus. Gabriel versetzte ihr zum wiederholten Male, mit einem Holzstab einen Hieb auf den Kopf.

»Konzentrier dich, du musst spüren, wann ich zum Schlag aushole!«, wies er sie an.

Auf ihrem Kopf bildete sich bereits eine kleine Beule die ihr Kopfschmerzen bereitete.

»Au verdammt«, schrie sie.

»Ich glaube es nicht, jetzt hast du mich dabei sogar angesehen und nicht reagiert«, stieß er entnervt hervor.

»Wo ist Manakel?«, wunderte sie sich.

»Unterwegs. Er kommt später wieder und wir beide sollen trainieren. Was du aber offensichtlich nicht zu tun gedenkst«, stellte er fest.

»Doch, aber das ist albern. Wie soll es mir helfen einem Stock auszuweichen, den ich nicht mal sehe?«, entgegnete sie.

»Die größten Gefahren lauern dort, wo man sie nicht sehen kann!«, konterte Gabriel und hob den Stab erneut.

Drei weitere Male sauste der Stock auf ihren Kopf hinab, bis sie von dem immer wiederkehrenden Schmerz so zornig wurde, dass ihre Hand zu glühen begann.

Sie hob die Hand über ihren Kopf in genau dem Moment, als sie beinahe ein viertes Mal getroffen worden wäre. Mitten in der Bewegung blieb Gabriel stehen und konnte den Stab nicht länger halten, da er immer heißer wurde und schließlich in Flammen aufging. Einen Augenblick stand er nur sprachlos da und schaute auf die Aschereste des Trainingsstabs.

»Nicht ganz das, was ich erwartet habe, aber gut, Mission erfolgreich«, löste er sich aus seiner Erstarrung. »Wie hast du das gemacht?«, legte er nach.

Der Zorn kroch langsam wieder aus ihr heraus, als sie seinen anerkennenden Blick registrierte. »Was gemacht? Kannst du das etwa nicht?« Gabriel wechselte seinen Blick von der Asche zu ihr.

»Ähm nicht direkt. Ich muss zumindest einen Blitz direkt, darauf zu schleudern. Du hast es quasi in meiner Hand verbrennen lassen. Eigentlich dachte ich, du weichst dem Stab nur aus«, sprach er mit weit aufgerissenen Augen. In seinen leuchtend grünen Augen erkannte sie den zu Staub zerfallenen Stab und bemerkte seine Verwunderung. Es entging ihr nicht, dass er so etwas noch nie gesehen hatte.

Gabriel verschwand kurz darauf und kam mit einem neuen Stab zurück. »Mach das noch mal!«, forderte er sie auf.

Wieder konzentrierte sie sich auf den Stab, nichts tat sich. Gabriel wartete eine gute Minute lang und ließ ihn auf ihren Kopf niedersausen. Diesmal glühte ihre Hand nicht und dennoch bemerkte sie die leichte Druckveränderung der Luft und wich im letzten Moment, bevor er sie treffen konnte, aus. Dumpf schlug er um Haaresbreite neben ihrem Körper auf dem sandigen Fels auf. Noch während der Stab vom Aufschlag schwingend in der Luft tanzte, zog sie ihr rechtes Bein an, um es einen Sekundenbruchteil später gegen die Mitte des Stocks zu schlagen. Klirrend landete der Stab auf der Felswand und fiel zu Boden.

Gabriel gratulierte ihr und forderte sie auf, die Übung ein paar weitere Male zu wiederholen. Das Training ging jeweils mit demselben Ergebnis zu Ende. Zufrieden musterte Gabriel seine Schülerin.

»Aus dir kann ja doch noch was werden!«, rang er sich ein Kompliment ab.

Sie trainierten weitere Blindübungen, wie Umkreisen des Gegners und ihn genau zu lokalisieren. Oder mit verbundenen Augen den Raum abtasten. Am besten beherrschte sie die Schildübungen. Mit Kraft der Gedanken und ihren Blitzen schuf sie nahezu undurchdringliche Schilde. Traf etwas darauf, prallte es knisternd ab.

Gegen Abend kehrte Manakel, mit einem großen Sack auf dem Rücken, zurück. Da hat aber jemand schlechte Laune.

Grimmig sah er zu ihr, schnappte sich den Stab, der am glimmenden Stein lag, und schlug ihr mit voller Wucht auf die Kniescheibe. Kreischend schlug Olivia auf dem sandigen Boden auf, ein spitzer Stein bohrte sich in ihren Rücken, doch das bemerkte sie kaum. Der Schmerz der zerschmetterten Kniescheibe schwoll immer weiter an.

Gabriel lief dazu und starrte fassungslos den wild gewordenen Engel an.

Blitze formten sich in ihren Händen. Aus ihrer rechten Hand schoss ein grell blauer Blitz direkt in Manakels linke Schulter. Ruckartig schleuderte er zurück und bildete einen Schild um sich. Der Blitz aus Olivias linker Hand zerbarst daran wie Eis auf Beton.

»Was hast du getan?«, schrie der junge Nephilim.

»Du dummes Kind!«, schrie der Engel zu Olivia. »Dein Freund ist ein Angemon, die Brut aus Licht und Schatten.«

Er warf das Bündel hart auf den Boden, aus dem Sack erklang ein stöhnendes Geräusch.

Was ist da drin?

Der Schmerz in ihrem Bein raubte ihr fast die Besinnung. Manakel bäumte sich vor ihr auf und lud einen Blitz in seine Hand. Gleichzeitig streckten Olivia und Gabriel ihre Fäuste entgegen und stießen den Engel mit einem gewaltigen gebündelten Blitz zu Boden. Orientierungslos schaute Manakel die beiden an. Sein Blick war kurz wieder klar und friedlich und doch begann er, langsam wieder finster zu werden.

»Schnell!«, rief Gabriel.

Instinktiv hob sie beide Hände und schoss grünliche Funken auf Manakel. Gabriel tat es ihr gleich und so verstärkte sich ihr Schildregen über dem Engel, der nun darin gefangen war.

Hastig legte Gabriel seine Hand auf ihr Knie und sprach Worte, einer längst vergangenen Zivilisation. Der Schmerz ließ nach und die zersplitterten Knochenstücke fügten sich wieder zusammen. Es wirkte auf sie, als würden Maden unter ihrer Haut kriechen. Zumindest war die Heilung schmerzlos.

»Was ist nur in ihn gefahren?«, fragte sie ihn.

»Ich glaube er ist vergiftet worden. Du erinnerst dich an den Sandgeist?« Olivia nickte zur Bestätigung. »Ich denke, der Geist hat ihm im Kampf ein Gift verabreicht, dass ihn Wahnvorstellungen haben lässt«, erklärte er.

Leidgeplagt ließ sie ihren Blick schweifen und entdeckte das Bündel, das leicht zuckend am Boden lag. »Was ist da drin?«

Gabriel öffnete den Sack und Olivias Herz hörte auf zu schlagen. Vor ihr lag blutüberströmt und übel zugerichtet Gino. Schwer atmend und mit schwachem Puls öffnete er die Augen.

»Oliv …«, wisperte er.

Was in aller Welt hat er dir angetan?, formte sich die Fassungslosigkeit in ihren Gedanken.

»Tu was!«, schnauzte sie voller Angst Gabriel an.

Wieder sprach und sang er in alten Sprachen, doch im Gegensatz zu ihr heilten seine Wunden noch nicht. Enttäuscht sah sie zu Gabriel auf.

»Er ist ein Mensch, da hilft der Zauber zwar auch, aber es dauert länger, bis er wirkt«, rechtfertigte er sich.

»Kannst du ihm auch helfen?«, sie deutete auf Manakel.

»Ich kann es versuchen, aber es wird ihn nicht heilen. Er braucht den Glanz des Lichtes und den gibt es bekannterweise nur in der Engelswelt. Doch sobald er sich dort blicken lässt, werden sie ihn vernichten«, erklärte er bedrückt.

Vor dem Engel kniete er nieder wie ein Mönch beim Beten. Murmelnd kamen die geheimnisvollen Worte über seine Lippen. Das Ritual dauerte viel länger als bei Olivia und Gino. Völlig erschöpft brach Gabriel zusammen, die Finsternis in Manakels Augen wurde schwächer und auch er verfiel wie der Nephilim in einen tiefen Schlaf. Es war das erste Mal überhaupt, dass Olivia den Engel wirklich schlafen gesehen hatte.

»Oliv wo sind wir hier? Und was ist passiert?«, waren Ginos erste Worte, als er viele Stunden später erwachte. Seine Wunden waren zu einem großen Teil verheilt, doch es würde noch einen vollen Tag dauern, bis er wieder vollständig genesen war.

»Woran kannst du dich erinnern?«, schaute sie ihn sorgenvoll an.

»An den da …«, er zeigte mit dem Finger auf Manakel. »… er war bei dir zu Hause. Als er mich durch das Fenster gesehen hat, ist er durchgedreht und hat angefangen, auf mich einzuprügeln. Der Typ ist vollkommen gestört. Wer ist das und wo sind wir hier?«

Behutsam erzählte sie ihm, was die letzten Tage alles passiert war, auch die Dinge, die sie ihm schon gesagt hatte. Ungläubig schaute er sie an.

»Du glaubst mir nicht?«, spottete sie.

»Ich seh jedenfalls keine Engel oder Flügel hier.«

Olivia erinnerte sich daran, was Manakel ihr sagte, als er davon sprach, dass Menschen ihre wahre Gestalt nie sehen könnten. Aber er sagte auch, dass wenn sie es wirklich will, einem Menschen kurz ihre Flügel zeigen könne. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich.

Flügel zeigt euch, sprach sie gedanklich.

»Wow sie sind so …«, er rang nach den richtigen Worten.

»So wunderschön?«, beendete sie seinen Satz, auch wenn sie selbst die volle Pracht noch nicht gesehen hatte.

Erschöpft schlief Gino wieder ein. Gerade rechtzeitig, um nicht zu bemerken, dass Manakel erwacht war. Die Augen des einstigen Engels waren ausdruckslos und seine Gesichtszüge wirkten resigniert. Die Finsternis in seinem Blick war Reumütigkeit gewichen. Er sah nicht gut aus, selbst seine Flügel strahlten kein bisschen mehr. Sie hingen dunkelgrau an seinem Rücken herunter.

Gewöhnlich dauerte es viele Jahrzehnte bis Jahrhunderte, bis die Flügel der verstoßenen Engel pechschwarz wurden. Doch durch das Gift des Sandgeistes geschah dies nun innerhalb weniger Stunden.

»Du musst ihn zurückbringen. Und dich von mir fernhalten!«, hallten seine Worte voller Traurigkeit in ihren Ohren.

»Wir werden dich heilen!«, versprach Olivia ihm.

Ihr lief eine Träne die Wange hinab. Sie konnte sich selbst nicht erklären, warum ihr das Schicksal des Engels so nah ging. Schließlich kannte sie ihn kaum und verletzt hatte er sie auch, sogar aus ihrem alten Leben hatte er sie gerissen. Eigentlich sollte sie kein Mitleid haben, sagte sie sich immer wieder selbst und doch konnte sie den kümmerlichen Anblick des einstigen Geschöpfs des Lichts nur schwer ertragen.

Am späten Abend war es Zeit, sich von Gino zu verabschieden. Gabriel hatte sich bereit erklärt, ihn sicher in die Stadt zu bringen und ihm dort die Erinnerung zu nehmen. Gino verweigerte sich heftig gegen das Auslöschen der Erinnerung. Erst auf das Argument, dass er sicherer sei, wenn er von all dem nichts wisse, lenkte er ein.

»Alles Gute noch nachträglich zu deinem Geburtstag! Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder! Pass auf dich auf! Ich liebe Dich«, waren seine letzten Worte an sie. Er küsste sie und ließ die sichtlich erstaunte Olivia zurück, als er mit Gabriel durch das Portal verschwand. Was war das denn? Er liebt mich?

Dank der Überwachungssteine konnte sie alles genau verfolgen. Als Gabriel seine Aufgabe erledigt hatte und ihm für den Zeitraum den er ihm nahm, eine falsche Erinnerung gab, wechselte Olivia zu dem Stein mit Tante Heather. Manakel hatte, als er in ihrer Wohnung war, und noch bevor er Gino entdeckte, den Stein dort hinterlassen. Sie war dabei die Wohnung zu putzen und Eintopf zu kochen. Es war ein einfaches Gericht, das es häufig gab, da es billig aus Essensresten gekocht werden konnte.

Gabriels Zauber entfaltete seine volle Wirkung auf Manakel. Seine Schwingen waren wieder wunderschön und fast vollständig gleißend hell. Wie lange der Zustand anhalten würde, vermochte niemand vorherzusehen, doch in einem waren sich die drei einig - lange würde es nicht halten. Manakel kommentierte es mit einer Mischung aus Galgenhumor und praktischem Nutzen.

»So bleibst du immer voll konzentriert und wirst dich nie zu sicher fühlen! Das kann nur von Vorteil für deine Mission sein!«

Natürlich wusste sie, dass er recht hatte, sie hätte nicht darauf vertrauen dürfen, dass ihr in der Höhle nichts passieren könnte. Diesen Fehler würde sie nicht wiederholen, schwor sie sich.

»Hier das solltest du lesen, während dein Lehrer unterwegs ist!« Vor ihr stellte er eine große Kiste mit

Pergamentrollen ab. Jeweils zu einem Dutzend zusammengebunden. »Aus ihnen wirst du das Wichtigste über unsere Welt lernen können«, schmunzelte er und ging wieder.

Unter den Schriften fand Olivia auch eine Rolle verziert mit unterschiedlichen Zeichen und Symbolen. Sie war kleiner als die anderen und ließ sich einfach in ein kleines Quadrat falten. Sie sah sich um, und steckte das Dokument klammheimlich in ihre Hosentasche.

Anders als in der Menschenwelt gelehrt, gibt es keine wirkliche Hierarchie unter den Engeln, abgesehen vom obersten Engel Seraphiel und den oberen Engelschören, zu denen auch die Erzengel gehören. Alle anderen unterliegen keiner weiteren Rangordnung. Throne und Cherubim haben zwar eine größere Macht und Stärke als die Erzengel, dennoch befehligen sie niemanden. Gebannt starrte sie auf die Pergamente, die vielen Namen, die Kriege die Engel untereinander führten und die Engelschöpfungslehre. Nur wenig kannte Olivia von den Religionen ihrer einstigen Menschenwelt, da sie weder gläubig erzogen wurde noch sich groß dafür interessierte. Doch einiges hatte sie in der Schule gelernt.

»Die Menschen ordnen lieber alles in eine Pyramiden Struktur. Aber wie das mit den Religionen ihrer Welt so üblich ist, dienen sie überwiegend nur sich selbst. Nur selten spricht Gott angeblich zu einem von ihnen. Und die, zu denen er vermeintlich spricht, sind meist in keiner Religion wiederzufinden. Seraphiel hat Luzifer gestürzt und ihn in ein Verlies gesperrt. Geschützt von den euch bekannten neun Höllenkreisen, die dafür sorgen sollen, dass er nicht zurückkommen kann. Luzifer wollte verhindern, das Seraphiel einen Krieg gegen Gott führt, er verlor und mit ihm fielen viele Anhänger. Dein Vater und ich interessierten uns vor dem Krieg gegen Gott nicht dafür. Wir wissen ja nicht mal, ob Gott nicht nur ein Mythos ist. Gott haben wir nie gehört oder gesehen, also spielte es keine Rolle, ob wir gegen ihn oder für ihn sein sollten. Engel außer den Obersten würden in seinem Glanz, ja sogar bei einem leisen Flüstern von ihm sofort verbrennen. Aber ich habe noch nie von einem Engel gehört, der es tatsächlich versucht hätte«, führte er aus, als er wieder zu ihr kam.

Blasphemie unter den Engeln. Interessant, dachte sie sich.

»Wie seid ihr zwischen die Fronten geraten?«, wollte sie wissen.

»Im Krieg fast gar nicht, wir haben uns da überwiegend raus gehalten. Aber als dein Vater deine Mutter gesehen hatte, verliebte er sich in sie. Zumindest glaubte er das. Ich denke ja noch immer, dass wir Engel keine Liebe empfinden können.« Er klopfte sich auf den Schenkel. »Wie dem auch sei, er verbrachte sehr viel Zeit mit Christine und das missfiel den Engelschören. Also forderten sie ihn auf, sich von den Menschen fernzuhalten. Das war der Beginn seines Widerstandes. Mit dem Blut eines

Babys hätte er sich von den Flügeln befreien und sterblich werden können. Guck nicht so, dem Baby wäre nichts passiert, man braucht nicht viel davon«, beschwichtigte er, als er Olivias blassen und angewiderten Gesichtsausdruck bemerkte.

»Dann aber bist du in Christine herangewachsen und die Chöre wurden misstrauisch und nahmen ihn fest. Er hatte das Babyblut bereits bei sich und damit war sein Schicksal besiegelt. Deine Mutter brachte dich auf die Welt und verschleierte deine Geburt um zwei volle Jahre. Die Engel glaubten, dass es sich bei dir nur um ein Menschenkind handeln würde und ließen euch in Ruhe«, fuhr er fort.

»Warum hast du mir das nicht schon längst erzählt?«, fragte sie ihn.

»Wie soll man so ein Gespräch denn beginnen? Pass mal auf Kind, es ist alles anders, als du denkst und nebenbei, du bist zwei ganze Jahre älter als du glaubst!«, schnaubte er. »Es fällt mir wirklich nicht leicht, dir das alles zu erzählen.«

7

Training

Gabriel zog sein Hemd aus, das von der anstrengenden Reise zurück in die Höhle vollkommen verschwitzt war. Olivia schielte leicht zu ihm herüber und umspielte in ihren Gedanken schon seine gestählte Brust. Kopfschüttelnd wand sie sich nur widerwillig ab.

Wie kann ich nur? Er hatte mich schließlich verraten.

Sie konzentrierte sich wieder auf eine Schriftrolle vor sich. Magisch veränderten sich die Zeichen in eine für sie verständliche Sprache. Dieses Pergament handelte vom Glanz Gottes. Wie Engel sich in seinem Glanz heimisch fühlen, und wie sie durch das Licht von allen Wunden geheilt werden können.

Eine Zeile hatte es ihr aber besonders angetan. An jedem heiligen Ort der Menschenwelt, der von einem Altar gesäumt wird, strahlt der Glanz des Herrn herab. Sowohl Engel als auch Menschen können sich gemeinsam an seinem Schein erfreuen, wiederholte sie in ihren Gedanken.

»Na Frau Studentin«, trat er neben sie.

»Ich hab hier was gefunden.« Sie hob die Schriftrolle an und deutete mit ihrem Finger auf die Stelle mit den heiligen Orten.

»Und?«, fragte Gabriel.

»Verstehst du denn nicht? Heilige Orte! Eine

Kirche!«, erläuterte sie ihren Gedankensprung.

»Da gibt es nur ein Problem. Kirchen und all die anderen Orte werden von Engeln bewacht. Macht er oder wir auch nur einen Schritt in die Kirche werden sie uns vernichten. Wir müssen hoffen, dass mein Zauber eine Weile hält«, zerschlug er ihre Hoffnung.

Resigniert ließ sie ihren Kopf hängen und wollte sich gerade wieder auf das Studium der Schriften konzentrieren, als Gabriel ihren Kopf anhob. Vorsichtig schob er seine Hand unter ihr Kinn, warm und sanft fühlte sich seine Berührung für sie an. Mit seiner Wange streifte er zärtlich ihre.

»Lust zu fliegen?«, flüsterte er ihr ins Ohr.

Schmetterlinge flogen durch ihren Bauch, zumindest glaubte sie das zu spüren. Das Kribbeln wurde stärker. Eindeutig fühlte sie sich zu Gabriel hingezogen. Beim Anblick seines Körpers, den kräftigen Schultern, den starken Muskeln und den kleinen Bartstoppeln, schmachtete sie dahin. Schuldgefühle durchbrach ihre Schwärmerei. Gino hatte ihr erst vor Kurzem seine Liebe gestanden. Schnell band sie ihre Haare zu einem französisch geflochtenen Zopf, der ihr noch mehr das Antlitz einer Kämpferin verlieh.

Vor der Höhle erstreckte sich ein Tal und weiter dahinter konnte man die Wüste des Limbus erkennen. Sie standen an einer Klippe, die 250 Meter in die Tiefe reichte. Das Licht der Sonne war schwach wie an einem frühen Sommerabend, wenn die Sonne langsam orangerot untergeht. Weiter unten konnte sie den grünbräunlichen Boden sehen, der von Moos bewachsen war.

Scheiße ist das hoch! Eine weiche Landung wird das sicher nicht, strich es durch ihre Gedanken.

Ihre Knie begannen zu zittern, als sie sich dem Rand der Klippe näherte. Vor sich sah sie das Bild ihrer Mutter und hielt es innerlich für einen Moment fest, bis das Bild von Gino vor ihr inneres Auge trat. Wie er sie ansah, als er schüchtern zart seine Lippen auf ihre drückte. Sie hatte ihn noch nie so schüchtern erlebt und es schien einen Moment lang so, als würde er mit diesem einen Kuss einen lang gehegten Traum vollenden.

»Breite sie aus!«, als er das sagte, strich er ihr ganz sanft über die noch angelegten Schwingen.

Blitzschnell entfalteten sie sich auf ihre imposante Größe. Die goldenen Schlieren in ihren silbrigen Flügeln schimmerten im orangenen Schein der Sonne, wie Feuer über Stahl.

Gabriel versetzte ihr einen Tritt. Schreiend stolperte sie über den Rand der Klippe und stürzte hinab. Wie ein Stein raste sie auf den Boden zu, sie glaubte schon sterben zu müssen, als sich der Wind in ihren Flügeln verfing und ihren Sturz bremste.

Mit neuer Hoffnung auf ein Überleben drückte sie die Schwingen durch und konnte den Widerstand erhöhen. Sie fiel nicht mehr, sie glitt am Himmel. Doch bevor sie ihren ersten Flug ganz allein genießen konnte, verließen sie die Kräfte und die Flügel gaben nach. Taumelnd raste sie wieder auf die spitzen Felsen zu.

Das wars!, glaubte sie schon ihren letzten Gedanken zu fassen. Vor Angst hielt sie ihre Arme abwehrend und schützend zugleich, vor ihr Gesicht. Und sah, so Gabriel nicht, der neben ihr im Sturzflug angerauscht kam. Kurz bevor sie dem sicheren Tod nahe, auf dem harten Boden aufschlagen konnte, packte sie der Nephilim und zog sie mit sich nach oben.

»Du konzentrierst dich nicht. Hör auf an deinen Loverboy zu denken und flieg!«, schimpfte er, dabei verschränkte er die Arme wie ein bockiges kleines Kind, dass seine Süßigkeiten nicht bekam. Es fehlte nur noch, dass er seinen Fuß fest auf den Boden stampfte, um seiner Entschlossenheit mehr Ausdruck zu verleihen. Sie grinste, als sie sich den kleinen Gabriel vorstellte. Finster sah er sie an.

»Eifersüchtig?«, konterte sie seinen Blick.

Hart schlug er ihr auf den Rücken und wieder stolperte sie über den Rand der Klippe. Das Bild Ginos zeriss in ihren Gedanken. Sie wollte schreien, stattdessen biss sie sich auf die Unterlippe, bis Blut hervorquoll, und breitete ihr Schwingen aus.

Schlagartig wurde ihr freier Fall abgefangen und sie glitt in der Luft wie eine Feder, die durch die Luft schwebt. Ihr erster richtiger Flügelschlag drückte die Luft unter ihr zusammen und sie gewann an Höhe. Sie fühlte sich frei und unglaublich glücklich. Kurz darauf versagten ihre Schwingen wie beim ersten Flug und sie donnerte unaufhaltsam dem Boden entgegen. Diesmal gab es keinen Gabriel, der sie im letzten Moment vor einem schmerzhaften Aufschlag bewahren konnte, denn er stand noch oben an der Klippe und beobachtete ihre Flugversuche.

Kurz bevor sie aufprallte, aktivierte sie ihre letzten Kraftreserven und drückte die Flügel ein letztes Mal voll durch. Das genügte, um sie abzufangen und weit weniger schnell im Dreck landen zu lassen. Mit dem Kopf voran bekam sie eine Ladung Erde in den Mund. Wild hustend spuckte sie, um den sandigen Boden aus ihrem Hals zu bekommen. Endlich kam auch Gabriel zu ihr herunter. Mit einem spöttischen Grinsen im Gesicht schien er ihre Bruchlandung zu genießen.

Zu ihren »Zauberstunden« mit Manakel ging sie genervt und mit schmerzenden Gelenken. Der Aufprall fügte ihr einige blaue Flecken zu. Sie wusste, dass diese bis zum nächsten Tag nichts weiter als eine blasse Erinnerung sein würden, doch für den Moment taten sie ihr einfach nur weh.

»Du kannst deine Kraft bündeln, wenn du die Blitze in deinen Händen zu einem Ball formst«, lehrte er sie und demonstrierte es ihr.

Sie schloss die Augen und besann sich auf ihre Hand, doch nichts tat sich. »Denk an etwas, das dich zornig macht«, wies er sie an.

Sie durchforstete ihre Erinnerungen und hatte plötzlich eines der letzten Bilder ihrer Mutter vor sich. Sie stritten sich und doch lächelte ihre Mutter. Zorn stieg in ihr auf. Wie konnte sie nur zulassen, in den letzten Stunden ihrer Mutter, mit ihr zu streiten? Lange machte sie sich Vorwürfe, ob ihre Mutter durch ihren Streit einen Herzinfarkt bekam. Doch sie war erst 10 und hatte keine Ahnung, dass sie sie bald verlieren würde. Der Zorn wurde stärker und die blauen Blitze formten sich in ihrer Hand. Ganz so wie es ihr der Engel vormachte, ließ auch sie die Blitze in ihre Finger gleiten und ließ sie darin tanzen. Sie richtete ihre Fingerspitzen zur Handfläche diese formten sich zu einem blau zuckenden Ball. Olivia hob die Hand und hielt sie direkt vor ihr Gesicht. Sie sah die Blitze und hörte sie zucken.

»Fang!«, rief Manakel und warf einen Stein. Der blaue Schein in ihrer Hand erlosch und sie fing mit der anderen Hand den Stein auf.

»Du lässt dich zu leicht ablenken. Halte die Konzentration!«, forderte er.

Sie umschloss den Stein fester und warf ihn zurück zum Engel, doch bevor er ihn traf, prallte er an einer

unsichtbaren Barriere ab.

Ein Geistesblitz durchzog ihre Stirn. »Kannst du dich auch unsichtbar machen?«, wollte sie wissen.

»Natürlich oder wie oft hast du mich in den letzten Jahren gesehen?«, antwortete er überheblich.

Sie rief Gabriel dazu und präsentierte ihren Plan. »Wenn wir uns unsichtbar machen können, dann können wir an dem Engel der Kirche vorbei und Manakel kann das Licht empfangen«, verkündete sie ihre Idee.

»Da gibt es ein klitzekleines Problemchen«, erwiderte Gabriel.

»Wenn wir einen Fuß auf diesen Boden setzen, werden sie uns sehen, egal ob ein Unsichtbarkeitsschild über uns liegt oder nicht!«, führte er weiter aus.

Kurz überlegte sie und schweifte in ihren Gedanken zu ihren Flugstunden mit Gabriel zurück, da ihr Knöchel, auf den sie sich gesetzt hatte, gerade zu schmerzen begann. Dann fiel ihr der Moment ein, als sie aufgestanden war und den Dreck aus dem Mund gespuckt hatte. »Du sagst, wenn wir den Boden betreten. Also werden wir ihn nicht betreten …«, sie kam nicht dazu, weiterzusprechen.

»Reinfliegen können wir auch nicht!«, unterbrach sie Gabriel.

»Nein nicht fliegen! Wir streuen unheilige Erde auf die Stufen und laufen auf ihr. So berühren wir den heiligen Boden nicht und Manakel kann das Licht

empfangen!«, vollendete sie ihren Plan.

Die Argumente flogen nur durch die Luft, doch es zeichnete sich ab, dass Olivias Idee grundsätzlich möglich war. Die Ausführung bedurfte nur der genauen Planung und ein paar kleinere Details, um als idiotensicherer Plan durchzugehen. Als Ziel einigten sich die Drei auf die St. Stephan in Olivias Wohnviertel.

Bevor sie aufbrachen, um die Gegend auszukundschaften, befahl Manakel, dass sie ihr Training, insbesondere ihr Flugtraining abschließen sollte.

Drei Tage trainierte sie mit Gabriel 16 Stunden täglich. Eine besonders gute Fliegerin wurde sie in dieser Zeit zwar nicht, ihre Bruchlandungen gewannen aber an Klasse. Sie erinnerte sich an eine Zeit kurz nach dem Tod ihrer Mutter. Von morgens bis abends ging sie schwimmen. Ihre Tante Heather witzelte, dass ihr irgendwann einmal Schwimmhäute wachsen würden. Olivia war es egal, sie konnte so ihre Tränen verbergen ohne das jemand Verdacht schöpfen konnte und ihr lästige Fragen um ihren Gemütszustand stellen würde.

Bei ihren »Zauberstunden« machte sie mehr Fortschritte, Manakel zeigte ihr, wie sie einen starken Schutzschild errichten konnte und wie sie ihre Kräfte in Objekten bündelte. Der einstige Engel überreichte ihr hierfür ein Tanto, er war dem Engelsschwert ähnlich, nur kürzer. Hoch konzentriert sammelte sie rotgelbe Blitze in die Klinge. Züngelnd zuckten sie an der Metalloberfläche.

Das Messer wurde mit magischer Hilfe stärker als ein Lichtschwert aus den Science-Fiction-Filmen mit den Jedis. Der Vergleich kam ihr, weil ihr Tanto genauso hell schien. Selbst mit dem Protagonisten Luke konnte sie sich identifizieren, ohne Eltern aufgewachsen und sich dann inmitten einer Ausbildung zu einem Krieger wiederfindend.

Olivia zog mehrere Runen in einem Kreis angeordnet auf den Boden. Die Drei stellten sich hinein und sie vollendete den Kreis mit einem Pentagram im Inneren. »Damit sind wir in der Menschenwelt vorerst vollkommen getarnt. Nicht einmal Engel werden uns erkennen können«, flüsterte Manakel leise. Wäre er ein Mensch, so könnte man Stolz in seinem Gesicht ablesen. Doch er war einst ein Engel und Stolz nur etwas für Halbwesen und Menschen. Daher war es nur Zufriedenheit, die sich in seinem Lächeln spiegelte, dass seine Schülerin bei den Zeichen und Symbolen gut aufgepasst hatte.

Fliederfarben stieg ein Schleier vom Rand des Kreises auf und schloss sich über ihnen zu einer Kuppel. Kurz verharrte der Dunst über ihnen und senkte sich dann auf sie hinab. Kichernd schaute Olivia zu ihren Begleitern, die nun für einen Moment rosa leuchteten. Der Nebel löste sich auf und auch Olivia konnte die Flügel von Manakel und Gabriel nicht mehr erkennen. Alle Drei wirkten nun wie gewöhnliche Menschen. Als ob sie sich vergewissern musste, dass ihre Schwingen noch nach wie vor da waren, ließ sie ihre Flügel kurz durch die Luft peitschen. Der Wind, den sie verursachte, schob eine Haarlocke vor Manakels Gesicht an.

»Lasst uns spionieren!«, feixte Gabriel und trat auf das Portal in der kleineren Höhle zu.

Der einstige Engel aktivierte es und wie beim letzten Mal, entstand eine silbrige spiegelnde Fläche in einem großen Oval. Manakel und Gabriel stießen als Erste hindurch.

Olivia verharrte einen Moment lang. Fasziniert streckte sie erst einen Finger und dann die ganze Hand hindurch. Hastig zog sie sie wieder zurück, als sie die Kälte spürte, die sich um ihre Haut legte. Einmal tief durchatmend lief sie hindurch und spürte den Frost, der sich auf ihr ausbreitete. Eiskristalle umhüllten sie von Kopf bis Fuß.

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