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Patientenrechte/​Rechte Sterbender

Zum Thema Patientenrechte finden Interessierte im Internet sehr viele Informationen. Da fast alle Menschen irgendwann in ihrem Leben Patienten sind, sollten sie auch über ihre Rechte Bescheid wissen. In Österreich wurden diese Rechte 1999 in einer Patientencharta zusammengefasst, die der Sicherstellung der Patientenrechte dient. Krankenanstalten sind gesetzlich verpflichtet, die Rechte der Patienten zu beachten und ihnen die Wahrung ihrer Rechte zu ermöglichen. Landeskrankenanstaltengesetze bilden dafür die gesetzliche Grundlage. Patientenrechte schützen und unterstützen den Patienten im Verlauf einer Behandlung in allen Einrichtungen des Gesundheitswesens.

Die wichtigsten Patientenrechte sind: das Recht auf Selbstbestimmung, das Recht auf Information, das Recht auf Behandlung und Pflege, das Recht auf Achtung der Würde und Integrität und das Recht auf Unterstützung durch die Patientenanwaltschaft. Für den Bereich des Sozialwesens, z. B. für Pflegeheime, sind ähnliche Rechte geregelt und werden Heimbewohnerrechte genannt. Patientenanwaltschaften gibt es in allen Bundesländern. Diese Einrichtungen wurden zur Sicherung der Rechte und Interessen von Patienten geschaffen. Patientenanwaltschaften informieren über Patientenrechte, vermitteln bei Streitfällen, klären Mängel und Missstände auf und unterstützen bei der außergerichtlichen Schadensbereinigung nach Behandlungsfehlern.22

Die Patientenrechte in Wiener Krankenanstalten sind in § 17a des Wiener Krankenanstaltengesetzes festgelegt. Die wichtigsten Patientenrechte sind:

  Recht auf rücksichtsvolle Behandlung

  Recht auf ausreichende Wahrung der Privatsphäre, auch in Mehrbetträumen

  Recht auf Vertraulichkeit

  Recht auf fachgerechte und möglichst schmerzarme Behandlung und Pflege

  Recht auf Aufklärung und umfassende Information über Behandlungsmöglichkeiten und Risken

  Recht auf Zustimmung zur Behandlung oder Verweigerung der Behandlung

  Recht auf Einsicht in die Krankengeschichte beziehungsweise auf Ausfertigung einer Kopie

  Recht des Patienten oder einer Vertrauensperson auf medizinische Informationen durch eine oder einen zur selbständigen Berufsausübung berechtigten Ärztin oder Arzt in möglichst verständlicher und schonungsvoller Art

  Recht auf ausreichende Besuchs- und Kontaktmöglichkeiten mit der Außenwelt

  Recht auf Kontakt mit Vertrauenspersonen auch außerhalb der Besuchszeiten im Fall nachhaltiger Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Patienten

  Recht der zur stationären Versorgung aufgenommenen Kinder auf eine möglichst kindergerechte Ausstattung der Krankenräume

  Recht auf religiöse Betreuung und psychische Unterstützung

  Recht auf vorzeitige Entlassung

  Recht auf Ausstellung eines Patientenbriefes

  Recht auf Einbringung von Anregungen und Beschwerden

  Recht auf Sterbebegleitung

 Recht auf würdevolles Sterben und Kontakt mit Vertrauenspersonen.23

Sterbende haben das Recht auf Aufklärung über ihre Erkrankung, auf umfassende medizinische, pflegerische, psychologische und seelsorgerische Betreuung, das Recht auf Mitbestimmung bei medizinischen Behandlungen bzw. deren Abbruch und das Recht auf Bestimmung über den eigenen Körper nach Eintritt des Todes.24

Die zwölf Rechte Sterbender

  Das Recht, als lebender Mensch behandelt zu werden und sich ein Gefühl der Hoffnung zu bewahren, egal, wie subjektiv diese Hoffnung auch sein mag.

  Das Recht, Gedanken und Gefühle zum Thema Tod auf seine Weise zum Ausdruck zu bringen.

  Das Recht, an allen die eigene Pflege betreffenden Entscheidungen teilzuhaben.

  Das Recht, von mitfühlenden, sensiblen und kompetenten Menschen gepflegt zu werden, die sich bemühen, die Bedürfnisse der/​s Kranken zu verstehen.

  Das Recht, den Prozess des Todes zu verstehen und auf alle Fragen ehrliche und vollständige Antworten zu bekommen.

  Das Recht, Trost in geistigen Dingen zu suchen.

  Das Recht, körperlich schmerzfrei zu sein.

  Das Recht der Kinder, am Tod teilzuhaben.

  Das Recht zu sterben.

  Das Recht, friedlich und in Würde zu sterben.

  Das Recht, nicht einsam zu sterben.

  Das Recht, zu erwarten, dass die Unantastbarkeit des Körpers nach dem Tod respektiert wird. 25

Bedürfnisse am Ende des Lebens

Univ.-Doz. Mag. Dr. Franz Schmatz, Psychotherapeut, Lebens- und Sozialberater, Professor an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Krems/​Wien, hat zahlreiche Publikationen, darunter 22 Bücher und Broschüren, geschrieben. Er hält Vorträge im gesamten deutschsprachigen Raum. In seinem Buch „Zeit zu leben, Lebenskostbarkeiten aus 25 Jahren Lebens- und Sterbebegleitung“ beschreibt er folgende Vielfalt:

Wahre Vielfalt

Sterbende:

Die einen wollen allein gehen – die anderen gemeinsam.

Die einen beten – die anderen nicht.

Die einen sind geduldig – die anderen nicht.

Die einen glauben an gar nichts – die anderen glauben an irgendetwas.

Die einen erwarten die Auferstehung – die anderen die Reinkarnation.

Die einen wollen bald sterben – die anderen noch lange nicht.

Die einen lassen sich fallen – die anderen richten sich auf.

Die einen behaupten sich – die anderen lassen sich alles gefallen.

Die einen schaffen Ordnung – die anderen bleiben im Chaos.

Die einen hassen ihr Leben – die anderen lieben es.

Die einen hadern mit dem Schicksal – die anderen fügen sich ihm.

Die einen bleiben stumm – die anderen sind unüberhörbar.

Die einen verzichten auf alles – die anderen genießen bis zum Schluss.

Die einen sind aggressiv – die anderen depressiv.

Die einen hoffen – die anderen sind verzweifelt.

Die einen werden immer verkrampfter – die anderen immer gelöster.

Die einen weinen – die anderen unterdrücken es.

Die einen hoffen – die anderen resignieren.

Die einen halten fest – die anderen lassen los.

Und die meisten pendeln zwischen dem einen und dem anderen hin und her. Es geht nicht um die Frage, ob das eine gut und das andere schlecht ist. Wichtig ist, in einer individuellen Originalität zur Lebensfülle zu finden. 26

Als ich diesen Text zum ersten Mal las, war ich tief berührt und auch beeindruckt. Diese „wahre Vielfalt“, das kann ich bestätigen, erlebt man tatsächlich als Begleiter sterbender Menschen.

In Lehrbüchern für Palliativmedizin bzw. Palliativpflege finden sich unter anderen folgende Auflistungen von Bedürfnissen in der letzten Lebensphase:

 erträglicher körperlicher Zustand: gute Symptomkontrolle

 mitfühlende seelisch-emotionale Begleitung: Liebe, Hoffnung, Beistand im Sterben

 mentale Bearbeitung der Situation, der Lebensgeschichte: Wahrhaftigkeit

 Besprechung metaphysischer Fragen: Spiritualität

 Ordnen von Beziehungen, „letzten Dingen“: Familie, Freunde, Soziales27

 das Bedürfnis nach Wertschätzung und Respekt

 das Bedürfnis nach Autonomie und Entscheidungsfähigkeit

 das Bedürfnis nach Sicherheit

 das Bedürfnis nach Zugehörigkeit28

Ratschläge eines Sterbenden

Donnerstag, 8. 12. 2005, 20.10 Uhr

Lass mich in den letzten Stunden meines Lebens nicht allein. Bleibe bei mir, wenn mich Zorn, Angst, Traurigkeit und Verzweiflung heimsuchen und hilf mir zum Frieden zu gelangen. Denke nicht, wenn du ratlos an meinem Bette sitzt, dass ich tot sei. Ich höre alles was du sagst, auch wenn meine Augen gebrochen scheinen. Das richtige wäre mir etwas zu sagen, das es mir nicht schwerer, sondern leichter macht mich zu trennen. So vieles, fast alles, ist mir jetzt nicht mehr wichtig. Ich höre, obwohl ich schweigen muss und nun auch schweigen will. Halte meine Hand. Ich will es mit der Hand sagen. Wisch mir den Schweiß von der Stirn. Streiche mir die Decke glatt. Wenn nur noch Zeichen sprechen können so lass sie sprechen. Dann wird auch das Wort zum Zeichen. Und ich wünsche mir, dass du beten kannst. Klage nicht an, es gibt keinen Grund. Sage Dank. Du sollst von mir wissen, dass ich der Auferstehung näher bin als du selbst. Lass mein Sterben deinen Gewinn sein. Lebe dein Leben fortan etwas bewusster. Es wird schöner, reifer und tiefer, inniger und freundlicher sein als es je zuvor war, vor meiner letzten Stunde, die meine erste ist. 29

Die Bedürfnisse älterer Menschen am Lebensende

Im „Lehrbuch Palliative Care“ wird darauf hingewiesen, dass alte Menschen eindeutig besondere Bedürfnisse haben, weil ihre Probleme anders und oft komplexer sind als die jüngerer Menschen. Aus qualitativen Interviews konnten folgende Kernthemen identifiziert werden:

  das Bedürfnis nach Schmerz- und Symptomkontrolle

  das Bedürfnis, über den Tod zu sprechen

  das Bedürfnis nach angemessener Aufklärung

  das Bedürfnis, das Ausmaß der medizinischen Interventionen mitzubestimmen

  das Bedürfnis nach Begleitung im Sterben

  das Bedürfnis, Sterbezeit und Sterberaum zu gestalten oder an der Gestaltung teilzuhaben. 30

Physische und psychische Beschwerden sterbender Menschen

Sterbende Menschen können an verschiedenen, teilweise sehr quälenden Symptomen, leiden. Häufige Beschwerden sind: · Schmerz

 Schwäche

 Appetitlosigkeit

 Obstipation, Übelkeit, Erbrechen

 Schluckbeschwerden, schmerzender Mund

 Atemnot

 Husten

 Schlafstörungen

 Verwirrtheit31

Schmerz ist nicht gleich Schmerz

Nimmt man von der vorangegangenen Aufzählung das Wort Schmerz heraus, um es näher zu betrachten, ergibt sich beim Nachschlagen in der relevanten Literatur, dass es viele Arten von Schmerz gibt, wobei stets zu bedenken ist, dass jeder Schmerz subjektiv empfunden wird. Es wird unterschieden zwischen akuten und chronischen Schmerzen. Man weiß heute, dass es eine Schmerzschwelle, ein Schmerzgedächtnis und eine unterschiedlich hohe Schmerztoleranz gibt und auch, dass Schmerz nicht nur den Körper betreffen kann. Bei physischen Schmerzen unterscheidet man je nach Ausgangspunkt zwischen somatischen (den Körper betreffenden), viszeralen (von den Eingeweiden ausgehenden) und neurogenen (von den Nerven ausgehenden) Schmerzen. Bei „nicht-körperlichen“ Schmerzen findet man die Unterteilung in psychischen, sozialen, kulturellen und spirituellen Schmerz.

Manchmal ist nur eine der genannten Schmerzdimensionen betroffen, aber oft tauchen die verschiedenen Schmerzen gleichzeitig auf, wirken aufeinander ein und bedingen dadurch die Intensität des empfundenen Schmerzes. Schmerzen sind lebensnotwendige Alarmgeber zum Selbstschutz des Organismus. Obwohl Schmerz ein allgegenwärtiges Phänomen ist, entzieht es sich einfachen und eindeutigen Definitionen. Er lässt sich zunächst, rein psychologisch, als Sinneswahrnehmung beschreiben, als Wahrnehmung, dass der Körper Schaden nimmt oder zu nehmen droht. Schmerz ist aber nicht nur eine reine Sinneswahrnehmung, hinzu treten emotionale und bewertende Elemente, die den Schmerz z. B. als bedrohlich oder quälend, bedeutend oder nebensächlich einordnen und den Umgang mit ihm bestimmen. Schmerz ist ein psycho-physisches Erlebnis, in das persönliche Schmerzerfahrungen und der soziale, ökonomische und kulturelle Hintergrund einfließen. Daher ist Schmerz ein individuelles Ereignis, das nur bedingt mitteilbar ist. Außerdem zeigt die klinische Erfahrung, dass Schmerzen auch ohne (drohende) Gewebeschädigung auftreten können. Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potentieller (möglicher) Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird. (Definition der Internationalen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes).32

Gibt es einen Schmerz, ein Problem, das stärker im Zentrum der Frage nach der eigenen Existenz steht als das Sterbenmüssen? Gibt es eine Schmerztherapie, eine Befreiung, eine Lösung für das Sterbenmüssen – angesichts des Todes? Und kann deshalb das Wissen oder Ahnen um das Sterben nicht viele der vorher verfügbaren Bewältigungsmöglichkeiten rauben oder angesichts der physischen Realität von Krankheit, Schwäche, Verstümmelung und Müdigkeit entmachten? 33

Total Pain

Jeder Schmerz ist eine subjektive Wahrnehmung, ein unterschiedlich erlebtes Gefühl, das aus verschiedenen Ebenen und Dimensionen besteht, die sich summieren und gegenseitig beeinflussen im Sinne des „totalen Schmerzes“ – Total Pain.34

Total Pain umfasst das Abschiednehmen des schwer kranken und sterbenden Menschen von seiner Umwelt, seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und seiner eigenen, bisher erlebten Personalität. Dies kann zu heftigen Gefühlsreaktionen führen, die nicht im Rahmen einer herkömmlichen Schmerzbehandlung und/​oder Psychotherapie anzugehen ist. 35

In Hospizen und auf Palliativstationen ist die Linderung der teilweise enorm belastenden körperlichen Beschwerden ein wesentlicher Bestandteil der Betreuung der sterbenden Menschen. Jede Maßnahme wird auf ihre Notwendigkeit geprüft, um die Kranken nicht unnötig zu belasten. Ebenso erfolgt die Pflege individuell, sie richtet sich also stets nach den Bedürfnissen der Patienten.

Manchmal werden Schmerzen so bedeutend, dass sie das ganze Leben des Kranken bestimmen. 36

In meinem privaten und beruflichen Umfeld mache ich immer wieder die Erfahrung, dass Schmerzen das Verhalten von Menschen stark beeinflussen und verändern können. Dies ist bestimmt eine Beobachtung, die jeder Mensch an sich selbst und in seinem Umfeld machen kann. Ich selbst benehme mich schon anders, wenn mich kleine, lästige „Wehwehchen“ plagen. Als ich einmal viele Monate lang ernsthaft krank war, war ich manchmal wütend, manchmal traurig, oft sehr müde und meist zog ich mich zurück und wollte in Ruhe gelassen werden. Diese Gefühlsschwankungen und den Rückzug konnte ich auch schon bei vielen meiner Patienten beobachten.

Univ.-Doz. Franz Schmatz schreibt in einem seiner Bücher zum Thema „Menschen mit Schmerzen“ folgendes: Menschen mit Schmerzen sind unangenehm. Weil sie ihre Umgebung herausfordern und unsicher werden lassen, landen sie oft in der Vereinsamung. Auch der schmerzerfüllte Mensch selber gerät in eine sonderbare Rolle: es schwinden Konzentration, Leistungskraft, Interesse und Stärke und alles erscheint ungewohnt, belastend, kraftlos und resignativ. Oft stellen sich Wut auf den eigenen Körper, Neid auf die Gesunden und ohnmächtige Peinlichkeit ein. Da Menschen mit Schmerzen mit ihrer neuen Situation noch überhaupt nicht umgehen können und es auch die Umgebenden nicht schaffen, entstehen oft Distanz, Rückzug, Isolation und Abwehrhaltungen. Es ist ein Zeichen von Hoffnung, dass die Schmerzbekämpfung nach langem Zögern auch bei uns besser und effektiver wird. Aber ebenso wichtig, ja voraussetzend ist es notwendig, Menschen in ihrem Schmerz, mit ihrem Schmerzerleben ernst zu nehmen und sie in der durch den Schmerz geänderten Situation abzuholen. Niemand hat das Recht, anderen den Schmerz abzusprechen, Schmerzen zu bagatellisieren oder auszureden. Der sich selbst fremd und der Umgebung unangenehm gewordene leidende Mensch braucht es, in der eigenen Not wahrgenommen zu werden. Das gilt nicht nur für Sterbende, sondern in allen Phasen und Situationen des Lebens.37

Neben all den möglichen körperlichen Beeinträchtigungen können sterbende Menschen auch unter großem psychischen Leidensdruck stehen. Als Begleiterin unheilbar kranker, sterbender Menschen konnte ich häufig das Gefühlschaos miterleben, das viele Patienten quält. Dem Tode nahe Menschen leiden beispielsweise an:

 vielfältigen Ängsten

 Depression

 Verzweiflung, Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit

 Hilflosigkeit; dem Gefühl, plötzlich von anderen abhängig zu sein

 dem Gefühl, alles und alle zu verlieren

 dem Gefühl, keine Zukunft mehr zu haben

 Zorn, Wut, Aggression

 ungelösten Konflikten aus der Vergangenheit

 Sorgen um die Familie, die zurückgelassen wird

 finanziellen Sorgen.

Angst vor dem Sterben?

Den nahenden Tod vor Augen empfinden wohl viele oder gar die meisten Menschen zunächst einmal Angst: Angst vor Schmerzen, langem Leiden, Siechtum, großen Verlusten, vor dem Alleinsein, vor dem Sterben, aber auch vor dem Tod bzw. dem, was uns nach dem Sterben erwartet. Wenn man sich die vielfältigen möglichen Ängste vor Augen führt, kann man besser verstehen, was es für einen Menschen bedeutet, sterbenskrank zu sein. Es lohnt sich, darüber nachzudenken.

Menschen, bei denen Krebs oder eine andere lebensbedrohliche Krankheit diagnostiziert wird, unterliegen erheblichen Stimmungsschwankungen. Sie empfinden oft Angst oder Zorn, sie neigen zu Selbstmitleid und leiden unter dem Gefühl, keinerlei Macht mehr über ihr Leben zu haben. Sie sind erschrocken über das emotionale Auf und Ab. 38

Eine beängstigende Diagnose oder das ungünstige Ergebnis einer Untersuchung kann den Betroffenen in seiner ganzen Existenz erschüttern, und bei jeder neuen Untersuchung können sich im Unterbewusstsein oder Hintergrund Gedanken an den Tod melden. Wenn hier von der „Existentiellen Dimension“ die Rede ist, dann meint dies die Betroffenheit des Daseins als Mensch überhaupt, die Erfahrung, dass das Selbst ungesichert und in seinem Dasein begrenzt und vom Tod bedroht ist.39

Im Lauf der vergangenen Jahre habe ich mich selbst und auch viele andere Menschen gefragt, wie sie am liebsten sterben möchten. Hier einige der Antworten: „Bei klarem Verstand“, „Hauptsache ohne Schmerzen“, „Ohne jemandem zur Last zu fallen“, „In meiner gewohnten Umgebung“, „Im Beisein meiner Angehörigen“, „Lieber etwas früher, als alt und krank“, „Einschlafen und nicht mehr aufwachen“, „Einfach tot umfallen“, „Nur nicht lang dahinsiechen“.

Am meisten fürchten wir uns wohl davor, eine lange Leidenszeit vor dem Tod erdulden zu müssen. Solange jemand gesund und mobil ist, wird die Auseinandersetzung mit dem Sterben, vor allem dem eigenen Sterben, nach meinen Erfahrungen oft verdrängt. Sterben, Tod und Trauer sollten aber ihren Platz dort haben, wo sie hingehören, nämlich im Leben.

Aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten der modernen Medizin ist unsere Lebenserwartung angestiegen und es wächst die Gruppe jener Patienten, die länger zwischen Leben und Tod schwebt. Die Zahl der chronisch Kranken steigt, die häufig über viele Jahre hinweg pflegebedürftig sind. Die moderne Intensivmedizin entwickelt immer mehr Möglichkeiten, Leben zu verlängern. Die „Hochleistungsmedizin“ wird manchmal auch, nicht nur von mir selbst, wie ich aus Gesprächen mit vielen Menschen weiß, als bedrohlich wahrgenommen. Besonders die Vorstellung, gegen den eigenen Willen durch künstlich lebenserhaltende Maßnahmen am Sterben gehindert zu werden, kann Unbehagen wecken, obwohl viele Patienten dem Einsatz der modernen Intensivmedizin in einer lebensbedrohlichen Situation ihr Leben verdanken und durch sie ihre Gesundheit wieder erlangten.

Ist eine Krankheit erst einmal identifiziert und mit einem Namen belegt, wird sie automatisch zum Gegenstand einer Behandlung mit dem Ziel, sie möglichst in den Griff zu bekommen. 40

Die Menschheit verdankt der medizinischen Wissenschaft, dass zwischen reversiblen (also heilbaren) und irreversiblen pathologischen Prozessen unterschieden werden kann. Außerdem entwickelt die moderne Medizin ständig neue Therapien und Medikamente, so dass die Waage immer mehr zugunsten eines längeren Lebens ausschlägt. Leider hat die Medizin uns auch in der irrigen Haltung bestärkt, die Gewissheit unseres Sterbens zu leugnen.41

Die verbesserten Möglichkeiten der Medizin: Die Fortschritte und die Technisierung der medizinischen Wissenschaft haben dazu geführt, dass wir in einem vorher unbekannten Ausmaß in die Sterbeprozesse eingreifen können. Die Apparate-, Intensiv- und Transplantationsmedizin vermag vielen Menschen zu einem neuen lebenswerten Leben zu verhelfen, aber sie vermag auch, Menschen über lange Zeiträume am Leben zu erhalten. Das ist die Kehrseite des Ganzen: die unsägliche Verlängerung des Sterbens und das Schüren der Erwartungshaltung von Patienten und Angehörigen, dass alles repariert und geheilt werden kann. Es bleibt fraglich, ob wir alles, was machbar ist, auch einsetzen müssen.42

Wovor könnten sich schwerkranke Menschen im Angesicht des Sterbens ängstigen? Zu dem kleinen, auf den ersten Blick so unscheinbar erscheinenden Wort Angst, kann man sich einiges überlegen. Es gibt viele Möglichkeiten:

 Angst vor den physischen Folgen der fortschreitenden Krankheit (z. B. Immobilität, Schmerzen, Schwäche, Verlust der Unabhängigkeit)

 Angst vor den psychischen Folgen der fortschreitenden Krankheit (z. B. Zusammenbruch, physische Entgleisung, geistige Unzurechnungsfähigkeit)

 Angst vor dem Sterben (z. B. Verlust der Zukunft, existentielle Angst)

 Angst vor Therapien und Therapiefolgen (z. B. große Operationen, Verlust eines Organs, Verlust des Körperbildes, Nebenwirkungen)

 Ängste, die das unmittelbare soziale Umfeld betreffen (z. B. Verlust geliebter Personen, Verlust der eigenen Rolle, Verlust sexueller Attraktivität, zur Belastung für die Familie werden)

 Angst vor sozialer Isolierung, Angst vor Verarmung, Verlust von Beruf und sozialem Status.43

Welche Ängste können hinter dem Satz „Ich habe solche Angst, Herr Doktor!“ stecken? Ist es die Angst vor dem Verlust der Autonomie, der Lebensqualität, vor Rückfällen, verstümmelnden Eingriffen, Schmerz, Atemnot, passiver Auslieferung, dem Verlassenwerden und der Trennung, vor Neid und Eifersucht auf Gesunde, dem eigenen Schatten, einer Gerichtsbarkeit nach dem Tode?44

Ängste in der Terminalphase, nach einer eventuell lange schon gelebten Erkrankung beziehen sich meist auf die Sterbesituation selbst. Dabei sind häufig Wesensveränderungen zu beobachten, z. B. Verwirrtheit, Aggressivität, Delirium, Zeitverlust, aber auch Abwendung, versagende Stimme oder ein „leerer Blick“, in denen einerseits, wie es manchmal scheint, die intensive Begegnung mit der persönlichen Bilanz des Lebens zum Ausdruck kommt, die in unterschiedlichen Träumen, Gefühlen und Visionen „erlebt“ wird, und andererseits auch die besondere Auseinandersetzung mit der Ungewissheit im Angesicht des nahen Todes zum Ausdruck kommt.45

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Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
23 декабря 2023
Объем:
264 стр. 8 иллюстраций
ISBN:
9783990401521
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