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Weltmarkt und innerer Selbstwiderspruch des Kapitalismus

Der Weltmarkt blieb bei der Herausbildung der Nationalökonomien zwar die Sphäre, die Wallerstein als diejenige bezeichnet hat, auf die das Kapital seiner Tendenz nach ausgerichtet sei; eine Auffassung, die Marx schon lange vorher als der Logik des Kapitals entsprechend und als eine unveräußerliche Bedingung seiner Existenz dargestellt hatte:

»Eine Bedingung der auf dem Kapital basierten Produktion ist ... die Produktion eines stets erweiterten Zirkels der Zirkulation ... Die Tendenz den Weltmarkt zu schaffen ist unmittelbar im Begriff des Kapitals selbst gegeben. Jede Grenze erscheint als zu überwindende Schranke. Zunächst jedes Moment der Produktion selbst dem Austausch zu unterwerfen und das Produzieren von unmittelbaren, nicht in den Austausch eingehenden Gebrauchswerten aufzuheben, d.h. eben auf dem Kapital basierte Produktion an die Stelle früherer, von seinem Standpunkt aus naturwüchsiger Produktionsweisen zu setzen. Der Handel erscheint hier nicht mehr als zwischen den selbständigen Produktionen zum Austausch ihres Überflusses vorgehende Funktion, sondern als wesentlich allumfassende Voraussetzung und Moment der Produktion selbst...« (Marx 1974/1857-1858, 311).

Aber mit der Herausbildung von nationalökonomischen Bezugssystemen hatte sich eine neue, andere Form gewissermaßen vor »die Tendenz den Weltmarkt zu schaffen« geschoben. Diese Doppelstruktur von Weltmarkt einerseits und Nationalökonomie/Nationalstaat samt entsprechender Abspaltungsstruktur andererseits kam erst im 19. Jahrhundert zu ihrer vollen Entfaltung. Blieb der Weltmarkt Voraussetzung des Kapitals, so trat er nun dennoch (im Unterschied zu den Anfängen) erst als sekundäre Sphäre der kapitalistischen Akkumulation in Erscheinung, während der nationalökonomisch regulierte Binnenraum mit den darin ausgebildeten Mikrofunktionen zur primären Sphäre wurde. In demselben Maße, wie das Kapital auf seinen eigenen Grundlagen prozessieren konnte, wurde es auch über einen Zeitraum von fast 200 Jahren hinweg (von der zweiten Hälfte des 18. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts) nationalökonomisch zentriert. Der Weltmarkt wirkte nicht mehr unmittelbar, sondern gefiltert durch die nationalökonomisch-nationalstaatliche Struktur und das darin enthaltene informelle, aber auch juristisch kodifizierte Geschlechterverhältnis.

Solange dieses neue Verhältnis von Nationalökonomie und Weltmarkt einigermaßen im Gleichgewicht blieb, schien die kapitalistische Reproduktion und Expansion ihre Selbstwidersprüchlichkeit auch einigermaßen im Zaum halten zu können, um sich zwar auf Kosten der Menschheit, aber durchaus im Sinne des zugrunde liegenden Selbstzwecks der »Verwertung des Werts« (Marx) zu entwickeln. Der Weltmarkt erschien nicht mehr als selbständige Sphäre, als der »fremde Gott« des hereinbrechenden kapitalistischen Prinzips, sondern gewissermaßen domestiziert als Sphäre des Warentauschs zwischen den kapitalistischen »Nationen« und ihren binnenökonomischen Funktionsräumen bzw. diversen Pufferfunktionen.

Aber diese scheinbare Übereinstimmung des Kapitals mit sich selbst täuschte. Denn die innere Dynamik der Kapitalakkumulation mußte ihrer Irrationalität gemäß den Selbstwiderspruch auf höherer Entwicklungsstufe erneut hervortreiben. Die Triebkraft dieser Dynamik war und ist die durch Konkurrenz auf anonymen Märkten vermittelte Tendenz, die Produktivkraft über das Fassungsvermögen der kapitalistischen Gesellschaftsform selber hinauszutreiben, wie Marx nicht müde wurde zu betonen:

»Der innere Widerspruch sucht sich auszugleichen durch Ausdehnung des äußern Feldes der Produktion. Je mehr sich aber die Produktivkraft entwickelt, um so mehr gerät sie in Widerstreit mit der engen Basis, worauf die Konsumtionsverhältnisse beruhen ... Da nicht Befriedigung der Bedürfnisse, sondern Produktion von Profit Zweck des Kapitals, und da es diesen Zweck nur durch Methoden erreicht, die die Produktionsmasse nach der Stufenleiter der Produktion einrichten, nicht umgekehrt, so muss beständig ein Zwiespalt eintreten zwischen den beschränkten Dimensionen der Konsumtion auf kapitalistischer Basis, und einer Produktion, die beständig über diese ihre immanente Schranke hinausstrebt« (Marx 1965/1894, 255, 267).

Der nationalökonomische Bezugsraum wird also umso enger, je mehr die kapitalistische Konkurrenz die Entwicklung der Produktivkräfte vorantreibt: Während die Masse der pro Zeiteinheit ausgestoßenen Produkte immer weiter ansteigt, wird die Konsumtionskraft – die in kapitalistischer Form nur als Kaufkraft in Erscheinung treten kann – gleichzeitig durch Arbeitslosigkeit und Druck auf die Löhne (vermittels der Konkurrenz der Lohnarbeiterinnen und Lohnarbeiter untereinander) eher eingeschnürt oder kann sich jedenfalls nicht in demselben Maß wie die Produktionskraft entwickeln. Damit ist auch die geschlechtliche Abspaltungsstruktur betroffen, da sich ja die als »weiblich« konnotierten Reproduktionsfunktionen teilweise (»Hausarbeit«) in der Konsumtionssphäre abspielen.

Der Konsum ist eben kein einfaches Verschlingen, sondern selber mit nicht in der Form »abstrakter Arbeit«/Geldwertigkeit darzustellenden Reproduktionstätigkeiten verbunden. In der Folge stieg auch die Frauenerwerbstätigkeit im Raum der »abstrakten Arbeit« säkular an; nicht nur wegen des Heißhungers der kapitalistischen Verwertungsmaschine nach neuem Menschenmaterial, sondern auch wegen der Einschnürung der Kaufkraft, was einen Zwang zu familiären Doppel- und Mehrfachverdienern mit sich brachte – auf Kosten der abgespaltenen Reproduktionsfunktionen, letztlich aber auf Kosten der darin strukturell involvierten Frauen (»Doppelbelastung«). Insofern war die kapitalistische Expansion stets mit Momenten der Selbstzerstörung ihrer eigenen Voraussetzungen verbunden; der Widerspruch von Produktivkraftentwicklung und zurückbleibender Kaufkraft konnte nur zeitweilig in der Expansionsbewegung unter verschärftem Druck auf die abspaltungslogische Mikrostruktur aufgefangen werden.

Allerdings haben wir es dabei nicht einfach mit einem Missverhältnis von technischer Produktionskraft und mangelnder Kaufkraft unmittelbar zu tun, sondern dieses Problem ist vermittelt durch die Produktion von Mehrwert, die ja den eigentlichen Zweck der ganzen Produktionsweise bildet. Grob gesagt handelt es sich dabei um einen säkularen Entwertungsprozess: Je höher die Produktivität, desto geringer der Aufwand menschlicher Arbeitsenergie pro Ware, und desto geringer der Wert der einzelnen Ware. Die Maximierung (endlose Akkumulation) von Wert bildet den Selbstzweck des Kapitalverhältnisses, aber durch die Konkurrenz zur Produktivkraftentwicklung gezwungen (um billiger anbieten zu können), höhlen die einzelnen Kapitalien selber den gesellschaftlichen Wert- und damit Warencharakter der Produkte aus.

Zwar kann durch dieselbe Produktivkraftentwicklung über die Verbilligung der Konsumtionsmittel der Wert der Arbeitskraft relativ gesenkt werden und damit von der gesamten Neuwertschöpfung ein relativ größerer Teil auf den erstrebten Mehrwert entfallen (»relativer Mehrwert«); aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Aushöhlung des Wertcharakters überhaupt (Entwertung des Werts) die Steigerung des relativen Mehrwerts überholt und damit auch den Mehrwert gänzlich hinfällig macht. In demselben Maße, wie also die Produktivkraftentwicklung die Entwertung des Werts vorantreibt, erscheinen die produzierten Waren nur mehr als in immer höherem Grade »wertlose« stofflich-technische Dinge, die Produktion als kapitalistische (die ja nur auf dem Wert/Mehrwert beruht) wird eingeschnürt, zurückgefahren und ganz stillgelegt, es entsteht Massenarbeitslosigkeit und verstärkte Konkurrenz unter den Lohnarbeitern und Lohnarbeiterinnen; damit aber geht dann eben auch die gesellschaftliche Kaufkraft zurück.

Was also äußerlich als Missverhältnis von Produktionskraft und Konsumtionskraft via Kaufkraft erscheint, ist durch den inneren Prozess der säkularen Entwertung des Werts bestimmt, in dem sich der kapitalistische Selbstwiderspruch auch als substantieller erweist: nämlich als Widerspruch zwischen der Verwertungslogik der »abstrakten Arbeit« als »Substanz des Kapitals« (Marx) einerseits und ihrem eigenen Konkurrenzmechanismus bzw. dessen Konsequenzen andererseits. Zweck (Mehrwertschöpfung) und einzelkapitalistisches bzw. nationalökonomisches Mittel (Produktivkraftentwicklung) treten in unversöhnlichen Gegensatz.

Zeitweilig hat sich dieser Gegensatz immer wieder in den kapitalistischen Krisen gezeigt, die nur durch immer weitere Expansion des Kapitals wieder aufgefangen und kompensiert werden konnten. Genauer gesagt: Das Moment des relativen Mehrwerts (die relative Vergrößerung des Mehrwerts an der gesamten Neuwertschöpfung) konnte nur im Zuge einer Expansion der kapitalistischen Produktionsweise als solcher, nämlich als immer höherer Kapitaleinsatz und auf immer höherer Stufenleiter der Verwertung vor sich gehen. Auch in diesem Sinne wurde der innere Widerspruch durch äußere Ausdehnung kompensiert, wobei der Weltmarkt eine entscheidende Rolle spielte.

Indem auf die dargestellte Weise eine säkulare Tendenz zur relativen Austrocknung der Binnenmärkte entsteht, wird auf das Kapital ein wachsender Druck ausübt, über die nationalökonomischen Grenzen hinauszugreifen. Die Bedeutung des Weltmarkts muss also zunehmen; sie kann aber nicht beliebig anwachsen, ohne den einmal gewonnenen Funktionsraum der Nationalökonomie wieder grundsätzlich in Frage zu stellen – und damit die Funktionsfähigkeit der kapitalistischen Reproduktion selbst. Das Kapital setzt sich selbst Grenzen, indem es die Grenzen überwindet; eine Paradoxie, die wiederum Marx als erster festgestellt hat:

»Daraus aber, dass das Kapital jede solche Grenze als Schranke setzt und daher ideell darüber hinweg ist, folgt keineswegs, dass es sie real überwunden hat, und da jede solche Schranke seiner Bestimmung widerspricht, bewegt sich seine Produktion in Widersprüchen, die beständig überwunden, aber ebenso beständig gesetzt werden. Noch mehr. Die Universalität, nach der es unaufhaltsam hintreibt, findet Schranken an seiner eignen Natur, die auf einer gewissen Stufe seiner Entwicklung es selbst als die größte Schranke dieser Tendenz werden erkennen lassen und daher zu seiner Aufhebung durch es selbst hintreiben« (Marx 1974/1857-1858, 312 f.).

Im 20. Jahrhundert sollte dieser doppelte Selbstwiderspruch von schrankenloser Produktivkraftentwicklung und durch die Logik des Kapitals selbst beschränkter Mehrwertproduktion und damit Kaufkraft einerseits, von beschränkten nationalökonomischen Funktionsräumen bzw. darin eingelagerter geschlechtlich-abspaltungslogischer Reproduktionsstruktur und universalisierender Tendenz des Weltmarkts andererseits geradezu explodieren. In der ersten Jahrhunderthälfte war diese Explosion eine politische: Die kapitalistischen Nationalstaaten gingen sozusagen mit dem Messer im Maul aufeinander los, um den Widerspruch in imperial erweiterte Funktionsräume unter weiterhin nationaler Kontrolle zu bannen; und dafür war die Welt nicht groß genug.

In der zweiten Jahrhunderthälfte (unter dem Dach der Pax Americana) vollzog sich die zweite und größere Explosion auf höherer Entwicklungsstufe als eine ökonomische: Vorbereitet durch den ungeheuren Akkumulationsschub des »Wirtschaftswunders« der Nachkriegsprosperität seit 1945, begann der doppelte Selbstwiderspruch in der dritten industriellen Revolution der Mikroelektronik seit den 80er Jahren zu kulminieren. Die qualitativ neuen Rationalisierungs- und Automatisierungspotentiale setzten (und setzen weiterhin, denn der Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen) direkt und indirekt eine derartige Masse von Arbeitskraft frei, entwerten den Wert in einem solchen Grade, drücken die Löhne weltweit derart weit herunter und verschärfen die Konkurrenz in einem solchen Ausmaß, dass die binnenökonomische Wertschöpfung und in der Folge die Kaufkraft in einem nie dagewesenen Ausmaß abzuschmelzen beginnen. Konsequenterweise stürzten sich die Kapitalien seit Beginn dieser neuen Qualität von säkularer Entwertung wie in einer Stampede auf den Weltmarkt und erzeugten dabei neue Konkurrenzverhältnisse und neue transnationale Reproduktionsformen, die auf die nationalökonomischen Binnenstrukturen nicht nur zurückschlugen, sondern diese rapide aufzulösen begannen.

Im Lichte dieser Argumentation zeigt sich erst, wie wenig sinnvoll und kontrafaktisch es ist, die mikroelektronische Revolution der Produktivkräfte und die neue Qualität der Globalisierung als isolierte »Faktoren« gegeneinander ausspielen zu wollen. Die Globalisierung des Kapitals geht aus der Zuspitzung des kapitalistischen Selbstwiderspruchs erster Ordnung zwischen Produktivkraftentwicklung einerseits und Mehrwertproduktion/kaufkräftiger Konsumtionsfähigkeit andererseits hervor; und der Prozess, in dem das Kapital vor dieser Zuspitzung gewissermaßen auf die Weltmärkte und in transnationale Strukturen flüchtet, schlägt auf den kapitalistischen Selbstwiderspruch zweiter Ordnung zwischen Nationalökonomie bzw. Nationalstaatlichkeit einerseits und Weltmarkt andererseits zurück und spitzt diesen ebenfalls zu.

Globalisierung ist somit nichts anderes als ein eskalierender Krisenprozess, in dem das Kapital, gestachelt von der mikroelektronischen Revolution, vor seinen eigenen inneren Widersprüchen davonläuft und diese sich dadurch nur umso schärfer entfalten, seine eigene innere Schranke sich ihm nur umso unerbittlicher entgegenstellt. Das Kapital trägt einerseits die Tendenz zum Universalismus in sich, aber nur zu einem abstrakten und auf die Selbstzweckbewegung des Geldes beschränkten Universalismus, der auf diese Weise schäbige und destruktive Züge annimmt.

Und andererseits trägt das Kapital eben deswegen gleichzeitig die Tendenz zum Partikularismus in sich, nämlich zu Nationalökonomie, Nationalstaat und nationalistischen Ideologien, die von Anfang an mit der geschlechtlichen Abspaltungslogik in der gesamten Reproduktionsstruktur verbunden waren; Nation und ein bestimmter Code von Männlichkeit und Weiblichkeit kommen aus derselben Wurzel. Das Kapital hat den Universalismus nur erfunden, um ihn gleichzeitig durch die Erfindung der Nation und durch die Konstitution als modernes Geschlechterverhältnis zu dementieren. Zwischen dieser unhaltbar gewordenen widersprüchlichen Polarität wird das Kapitalverhältnis nun in der dritten industriellen Revolution als gesellschaftliche Reproduktionsform zerrissen.

Wir haben es also nicht nur mit einem logischen oder strukturellen Widerspruch von Nationalökonomie und Weltmarkt sowie einem in diesen Bezugsräumen sich vollziehenden Widerspruch von »abstrakter Arbeit« und Abspaltungsverhältnis zu tun, sondern dieser Widerspruch hat sich auch als ein bestimmter historischer Prozess entfaltet. War die Nationalökonomie ursprünglich ein Produkt des (selber noch unentwickelten) Weltmarkts, so entwickelte sich dieser in der Folge erst zusammen mit den Nationalökonomien und als sekundärer Austausch zwischen diesen, um schließlich am Ende des 20. Jahrhunderts die nationalökonomische Kohärenz wieder zu zersetzen und schubweise aufzulösen. Damit verbunden ist die strukturelle Konstitution, historische Ausformung und schließliche »Verwilderung« (Roswitha Scholz) und Zersetzung des basalen geschlechtlichen Abspaltungsverhältnisses mit seinen durchaus auch ökonomisch-politischen (bzw. in Ökonomie und Politik »unsichtbar« eingefalteten) Reproduktionsfunktionen.

Je mehr es sich aber auf diese Weise globalisiert und damit in einen unregulierten, nicht mehr abgepufferten Raum entzieht, desto mehr zerstört das Kapital seine eigenen national-ökonomischen und sozial-abspaltungslogischen Existenzbedingungen, was nur die Folge davon ist, dass es zusammen mit der im großen Maßstab überflüssig gemachten menschlichen Arbeitskraft seine eigene ökonomische »Substanz« außer Kurs setzt und sich auf seinen eigenen Grundlagen ad absurdum führt. Nur vor diesem Hintergrund sind die Erscheinungen zu erklären, die von der Globalisierungsdebatte bis jetzt so begriffs- und zusammenhanglos wahrgenommen werden.

Das Theorem der komparativen Vorteile

Natürlich hat das herrschende akademische, politische und ideologische Denken nicht das geringste Interesse daran, die zu beobachtenden Erscheinungen der kapitalistischen Globalisierung auf ihren Krisenbegriff zu bringen. Stattdessen greift man theoretisch auf die ältesten Hüte zurück, um eine Verträglichkeit von Globalisierung und nationalökonomischer bzw. sozialökonomischer Struktur zu suggerieren, also die reale Zuspitzung des Selbstwiderspruchs wegzuleugnen und die Weltkrise in lauter »Chancen« umzudefinieren.

Das theoretische Konstrukt, mit dem die wirtschaftswissenschaftliche Zunft dabei unverdrossen hausieren geht, ist das sogenannte »Gesetz der komparativen Kosten« oder der »komparativen Vorteile«. Dieses angebliche Gesetz, aufgestellt von David Ricardo (1772-1823), dem neben Adam Smith bedeutendsten Klassiker der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre, soll die Vorteile der »internationalen Arbeitsteilung« zwischen kapitalistischen Volkswirtschaften beweisen. Es ist daher zugleich ein freihändlerisches Credo gegen nationalökonomische Abschottung, Schutzzollpolitik und staatliche Reglementierung des Außenhandels. Kein Wunder, dass dieses Theorem heute wieder eifrig bemüht wird, scheint es doch nicht nur argumentative Gehhilfen für die selber gedankenlos gewordene theoretische Analyse der kapitalistischen Entwicklung durch die offizielle bürgerliche Wissenschaft zu bieten, sondern auch wunderbar zum neoliberalen ideologischen Weltkonsens zu passen.

Natürlich wird niemand etwas dagegen einzuwenden haben, dass durch die Teilung von Funktionen der Reproduktion Mühe und Aufwand gespart werden, was zur Erleichterung und Verbesserung des Lebens beiträgt. Und bei entwickelten Produktivkräften, also auch Kommunikations- und Verkehrsmitteln, ist ein derartiges Zusammenwirken in der Tat nicht allein auf lokaler und regionaler oder nationaler, sondern auch auf weltgesellschaftlicher Ebene praktisch möglich.

Die liberale Ideologie des Kapitalismus beginnt immer mit zunächst einleuchtend scheinenden, einfachen und durchsichtigen Erwägungen in Bezug auf Bedürfnisse, materielle Güter, menschliche Potentiale usw., in denen sie aber wie ein Trickbetrüger regelmäßig die irrationalen kapitalistischen Voraussetzungen entweder verschweigt oder sie klammheimlich hintenherum einschmuggelt, sodass das wirkliche Resultat ein ganz anderes ist, als es das Räsonnement versprochen hat. Auch Ricardo bemüht in seinem Hauptwerk »Grundsätze der politischen Ökonomie und der Besteuerung« zunächst den gesunden Menschenverstand, um sein Theorem zu begründen:

»Es ist für das Wohl der Menschheit ... wichtig, dass unsere Genüsse durch bessere Arbeitsverteilung erhöht werden sollten, d.h. dadurch, dass ein jedes Land solche Güter erzeugt, für welche es sich infolge seiner Lage, seines Klimas und seiner anderen natürlichen oder künstlichen Vorteile eignet, und dass man sie für die Güter anderer Länder austauscht ... Unter einem System von vollständig freiem Handel widmet natürlicherweise jedes Land sein Kapital und seine Arbeit solchen Verwendungen, die für es am vorteilhaftesten sind. Dieses Verfolgen des individuellen Nutzens ist wunderbar mit der allgemeinen Wohlfahrt der Gesamtheit verbunden. Indem es den Fleiß anregt, die Erfindungsgabe belohnt und am erfolgreichsten die besonderen Kräfte, die von der Natur verliehen sind, ausnutzt, verteilt es die Arbeit am wirksamsten und wirtschaftlichsten; während es durch die Vermehrung der allgemeinen Masse der Produktionen allgemeinen Nutzen verbreitet und die Universalgesellschaft der Nationen der zivilisierten Welt durch ein gemeinsames Band des Interesses und Verkehrs miteinander verbindet. Dieser Grundsatz ist es, welcher bestimmt, dass Wein in Frankreich und Portugal, Getreide in Amerika und Polen angebaut und Metall und andere Waren in England verfertigt werden sollen« (Ricardo 1980/1817, 110 f.).

Das klingt alles nur deswegen gut, weil Ricardo hier gänzlich von kapitalistischen Kategorien und Kriterien abstrahiert und so tut, als hätten wir es gewissermaßen nur mit naturalen Faktoren zu tun. Wäre es so, dann würden allerdings die Menschen in verschiedenen Weltregionen nach gemeinschaftlicher Absprache über die wechselseitigen Bedürfnisse und Möglichkeiten direkt füreinander produzieren, und es gäbe wohl einen weltumspannenden Gütertransport, aber keinen Weltmarkt, keine Konkurrenz und übrigens auch keine Nationalökonomien und Nationalstaaten; ebenso wenig ein geschlechtliches Abspaltungsverhältnis. Unter den Bedingungen von Markt, Konkurrenz und Nationalökonomie als Sphären und Bedingungen der Kapitalverwertung sieht die Sache aber ganz anders aus – und Ricardo selbst argumentiert in Wahrheit unter der Fragestellung, wie die Profitrate zu erhöhen sei!

Profit ist aber nichts anderes als Plusmacherei in der reinen Geldform; eben der kapitalistische Selbstzweck, aus Wert mehr Wert und damit aus Geld mehr Geld zu machen, was auf der Ebene bloß naturaler Produkte ein völliger Widersinn wäre. Bei seiner Erörterung der internationalen ökonomischen Beziehungen tut Ricardo nun plötzlich so, als ginge es gar nicht um den Profit in der Geldform, sondern allein um die naturale, technische Arbeitsteilung. Zwar muss er zugeben, dass sich die Transaktionen vermittelt durch Geld (damals noch in Gestalt von Edelmetall) abspielen; dies Faktum soll jedoch angeblich keinerlei eigenständige Bedeutung haben:

»Da man das Gold und Silber nun einmal zum allgemeinen Maßgut der Zirkulation gewählt hat, werden beide durch den Wettbewerb im Handel in solchen Mengen unter die verschiedenen Länder der Erde verteilt, dass sie sich dem natürlichen Verkehr, welcher eintreten würde, wenn keine derartigen Metalle existierten und der Handel zwischen den Ländern ein bloßer Tauschhandel wäre, von selbst anpassen« (Ricardo 1980/1817, 113).

Ricardo vertritt hier die Auffassung vom »Geldschleier«, wonach das Geld ein bloßer »Schleier« über naturalen Austauschbeziehungen und als bloß vermittelndes Medium bei der ökonomischen Analyse quasi zu vernachlässigen sei. Indem so vom kapitalistischen Charakter der Austauschverhältnisse abgesehen und klammheimlich auf die Ebene einer bloß naturalen Beziehung übergegangen wird, kann die vermeintliche gegenseitige »komparative« Vorteilhaftigkeit selbst bei unterschiedlicher Produktivität abgeleitet werden:

»Hätte Portugal mit anderen Ländern keine Handelsbeziehung, so würde es gezwungen sein, statt einen großen Teil seines Kapitals und seines Fleißes zur Erzeugung von Weinen zu verwenden, mit denen es für seinen eigenen Konsum Tuch- und Metallwaren anderer Länder ersteht, einen Teil dieses Kapitals in der Fabrikation dieser Güter anzulegen, die es wahrscheinlich auf diese Weise in geringerer Qualität und Quantität erhalten würde. Diejenige Weinmenge, welche es im Tausche gegen englisches Tuch hingeben muss, wird nicht durch die betreffenden Arbeitsmengen bestimmt, welche der Produktion jedes dieser Güter gewidmet wird, wie das der Fall wäre, wenn beide Güter in England oder in Portugal erzeugt würden. England kann vielleicht so gestellt sein, dass man zur Tuchfabrikation der Arbeit von 100 Mann auf ein Jahr bedarf; und wenn es versuchte, den Wein zu erzeugen, möchte die Arbeit von 120 Mann für dieselbe Zeit nötig sein. Infolgedessen läge es in Englands eigenem Interesse, Wein zu importieren und durch die Ausfuhr von Tuch zu erstehen. Um den Wein in Portugal zu produzieren, könnte vielleicht die Arbeit von nur 80 Mann im Jahr erforderlich sein, und um das Tuch daselbst zu fabrizieren, die von 90 Mann in derselben Zeit. Daher würde es für Portugal vorteilhaft sein, Wein zu exportieren im Tausche für Tuch. Dieser Tausch könnte sogar stattfinden, obgleich das von Portugal eingeführte Gut dort mit weniger Arbeit als in England produziert werden könnte. Obwohl es das Tuch mit der Arbeit von 90 Mann herstellen könnte, würde es dieses doch aus einem Lande importieren, wo man zu seiner Fabrikation die Arbeit von 100 Mann benötigte, weil es für Portugal vorteilhaft sein würde, sein Kapital zur Produktion von Wein zu verwenden, für welchen es von England mehr Tuch erhalten würde, als es durch Ablenkung eines Teiles seines Kapitals vom Weinbau zur Tuchmanufaktur produzieren könnte. Auf diese Weise würde England das Arbeitsprodukt von 100 Mann für das Arbeitsprodukt von 80 hingeben. Ein solcher Austausch könnte zwischen einzelnen Personen eines und desselben Landes nicht stattfinden. Die Arbeit von 100 Engländern kann nicht für die von 80 gegeben werden; wohl aber kann das Arbeitsprodukt von 100 Engländern für dasjenige von 80 Portugiesen, 60 Russen oder 120 Ostindiern hingegeben werden...« (Ricardo 1980/1817, 112).

Das Argument läuft also darauf hinaus, dass in diesem Fall Portugal mehr Tuch erhalten wird, wenn es sich auf den Weinbau spezialisiert und das Tuch aus England im Austausch gegen Wein importiert, obwohl es selber das Tuch mit weniger Arbeit herstellen könnte, diese aber vom Weinbau abgezogen werden müsste. In Wirklichkeit geht es aber weder um Tuch noch um Wein, sondern einzig um abstrakten Profit in der Geldform, jenseits aller naturalen Bedürfnisse und letztlich gegen diese; und in diesem Kontext stellt sich das Problem der Produktivität bzw. ihrer Unterschiede ganz anders dar. Ricardo ist hier so generös, im theoretischen Beispiel Portugal die höhere Produktivität sowohl bei Wein als auch bei Tuch zu überlassen. In Wirklichkeit verhielt es sich natürlich schon damals genau umgekehrt, denn als Vorreiter der Industrialisierung war England in der Tuchproduktion haushoch überlegen und gerade dabei, die gesamte handwerkliche Textilproduktion in Europa und Übersee (Indien) zu ruinieren. Empirisch stellte sich der Produktivitätsabstand also keineswegs so rosig als fruchtbare internationale Arbeitsteilung mit beiderseitigen »komparativen Vorteilen« dar. Ricardo beeilte sich trotzdem, mit einem anderen Beispiel diese segensreiche Wirkung auch bei einem großen einseitigen Produktivitätsvorsprung zu postulieren:

»Es wird daher einleuchten, dass ein Land, welches sehr bedeutende Vorteile im Maschinenwesen und in der Technik besitzt und deshalb imstande sein kann, gewisse Güter mit viel weniger Arbeit als seine Nachbarn zu erzeugen, gegen solche Güter einen Teil des für seinen Konsum notwendigen Getreides importieren kann, selbst wenn sein Boden fruchtbarer wäre und das Getreide sich mit weniger Arbeit als in dem Lande, woher es importiert wurde, erzeugen ließe. Zwei Menschen können sowohl Schuhe wie Hüte herstellen, und doch ist der eine dem anderen in beiden Beschäftigungen überlegen. Aber in der Herstellung von Hüten kann er seinen Konkurrenten nur um 20 Prozent übertreffen und in der von Schuhen um 33 Prozent. Wird es dann nicht im Interesse beider liegen, dass der Überlegenere sich ausschließlich auf die Schuhmacherei und der darin weniger Geschickte auf die Hutmacherei legen sollte?« (Ricardo 1980/1817, 113).

Also auch für den Fall eines »bedeutenden« Gefälles der Produktivität wieder das Argument, für ein Land (eine Nationalökonomie) sei der arbeitsteilige wechselseitige Austausch zweier verschiedener Waren mit einem anderen Land unter allen Umständen und auch dann von Vorteil, wenn es beide Waren selber produktiver herstellen kann, aber in unterschiedlichem Grad.

Ricardo macht hier nebenbei eine weitere klammheimliche Voraussetzung, indem er die beiden Nationalökonomien idealtypisch als »zwei Menschen« definiert, die als unabhängige Produzenten auftreten, und so tut, als könne man diesen Sachverhalt auf die wirklichen Individuen in diesen Nationalökonomien herunterrechnen – während es sich in Wirklichkeit der Mehrzahl nach um Lohnabhängige handelt, die keineswegs als unabhängige Produzenten in biblischer Manier Wein und Tuch austauschen, sondern ihre Arbeitskraft gegen Geld (Kapital) eintauschen müssen, also bloßes Material des betriebswirtschaftlichen Verwertungsprozesses sind.

Was passiert nun unter den wirklichen Bedingungen des kapitalistischen Verwertungsprozesses beim Warentausch zwischen Nationalökonomien mit unterschiedlicher Produktivität? Selbst wenn die naturale Proportionalität des arbeitsteiligen Gütertauschs auf der abstrakten nationalökonomischen Ebene stimmen würde, heißt das keineswegs, dass sie auch auf der Ebene der abstrakten Wertverhältnisse und der angewendeten Lohnarbeit stimmen muss. Wenn das eine Land die Tuchproduktion einstellt, um sich auf Wein zu spezialisieren, geht dies ja weder innerhalb der eigenen Nationalökonomie noch im Verhältnis zur anderen, Tuch produzierenden, in der Form freiwilliger und alle Beteiligten berücksichtigender Absprachen vor sich, sondern in der Form der blinden Konkurrenz und ihrer Resultate, also in der Form des Ruins der eigenen Tuchproduktion (wie es Ricardos Zeitgenossen real erlebten). Wenn nun eine entsprechende Menge von Kapital in die zusätzliche Weinproduktion fließt, damit der Austausch mit dem Tuch stattfinden kann, heißt dies keineswegs, dass automatisch die in der Tuchproduktion freigesetzten Lohnarbeiter in die Weinproduktion überführt werden, und wenn, dann nicht automatisch zu denselben Bedingungen von Lohn usw. Was also für die nationalökonomischen Austauschverhältnisse postuliert wird, geht an der Lage der wirklichen Individuen vorbei.

Aber auch nationalökonomisch gesehen trifft Ricardos Argument, sobald man von den naturalen auf die Verwertungs-Verhältnisse übergeht, nur dann zu, wenn der Abstand in der Produktivität ein bestimmtes Ausmaß nicht überschreitet und sich auf den Umkreis weniger Waren beschränkt. Stets muss das weniger produktive Land im Austausch mit dem produktiveren relativ mehr Arbeits- und damit Wertmengen (bezogen auf den eigenen Standard) hergeben als es in Gestalt der anderen Ware zurück erhält. Da aber im kapitalistischen Sinne stets der abstrakte Wert das bestimmende Moment ist, das sich in Geldpreisen ausdrückt, heißt das nichts anderes, als dass es beim Tausch dieser Waren ständig relativ teurer einkaufen muss, als es verkaufen kann, was nichts mit der naturalen Menge von Gebrauchsgütern zu tun hat.

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