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„Steffi, hör auf damit. Das ist doch völlig übertrieben!“

Aber sie lässt sich nicht aufhalten. „Das kann sich entzünden“, sagt sie. Früher, als Kinder, hätten wir so eine blutige Macke als „Loch im Kopp“ bezeichnet. Das war so ziemlich das Schlimmste, was einem Achtjährigen passieren konnte. „Der Alex hat ’n Loch im Kopp!“ Mit solchen Sensationsmeldungen wurde man dann von der ganzen Kinderbande zuhause bei den entsetzten Eltern blutüberströmt abgeliefert.

Ich lasse es also geschehen, muss schon wieder lächeln und freue mich, dass ich so eine fürsorgliche, liebe Frau habe.

Während sie mich also sehr professionell und gewissenhaft verarztet, entdecke ich dafür bei ihr eine erstaunliche Menge Mücken- oder sogar Bremsenstiche. Ihr ganzer Arm ist voller roter, teilweise von ihr schon aufgekratzter, dicker Hügel. Einer sitzt direkt neben der Blutblase am Daumen, der ziemlich gefährlich aussieht. Die Schwellung hat die Hand bereits unappetitlich verformt und sieht gar nicht gut aus. Da spielt ihr verbeulter Arm schon fast keine Rolle mehr.

Und dann entdecke ich noch etwas sehr Interessantes an ihr.

„Oh, da sitzt eine Zecke“, stelle ich mit Erschrecken aber auch so was wie dem begeisterten Interesse eines Insektologen fest. „Da in der Armbeuge, siehst du? Der kleine schwarze Punkt da. Das ist eine Zecke. Die hat sich da festgebissen. Am liebsten gehen sie in Armbeugen oder Achselhöhlen. Sie suchen die Wär­me, weißt du. Das dauert jetzt ein paar Tage und dann ist sie groß wie ein Sahnebonbon, weil sie sich …“

Doch Steffi ist schon aufgestanden und zieht sich die Regenjacke an.

Der Arzt in der Notaufnahme des Mescheder Krankenhauses kann uns aber weitgehend beruhigen. Das an der Hand war sicher eine Hornisse – Steffi reißt bei dieser Insektenbenennung die Augen auf und droht fast vom Behandlungsstuhl zu kippen.

„Nicht schlimm“, sagt der Arzt aber, und die Zecke ist auch schnell entfernt. Und ob das jetzt mit dem Zeckenbiss tatsächlich zu einer Borreliose, so mit Hirnhautentzündung, Herz- oder Gehirnbefall und Nervenlähmungen führt, das kann man erst in ein paar Tagen oder auch Wochen sagen. Dabei lächelt der Herr Doktor uns beruhigend an und macht uns noch ein wenig Mut.

Abends wagen wir noch dann mal einen gemeinsamen Blick durch die fest verschlossene Terrassentür und den prasselnden Regen in unseren finsteren Dschungel, an dem sich bis jetzt eigentlich noch nichts sichtbar verändert hat, und ein Gefühl der Machtlosigkeit überkommt uns. Schaffen wir es wirklich nicht, der grünen Hölle Herr zu werden. Wird das Grün uns letztlich erledigen? Kommt der Wald näher?

Macbeth?

„Schürmann!“, sage ich mit entschlossenem Blick in den Garten.

„Was?“, fragt Steffi, die mit ihrem dicken Verband an der Hand und den düsteren Prophezeiungen einer möglicherweise sehr ungesunden Zukunft sowieso keine Rosenschere mehr führen könnte. Vielleicht nie mehr.

„Wir rufen Schürmann an, den Gärtner.“

Steffi nickt geradezu dankbar.

Die Männer sind ziemlich früh am Morgen schon da, werfen lachend ihre Zigarettenkippen in unsere Hortensien, als sie aus dem Lieferwagen der Gärtnerei Schürmann aussteigen und klopfen sich gegenseitig krachend auf die Schultern. Sie scheinen uns gar nicht zu bemerken, sind aber voller Tatendrang und guter Dinge. So sieht es jedenfalls aus. Sie machen einen recht munteren Eindruck. Solche Männer brauchen wir. D-MAX.

Herr Schürmann, der Anführer dieser wilden Horde, nähert sich uns, kann uns leider wegen unserer Verletzungen nicht die Hände schütteln und nickt uns daher einfach möglichst vertrauenerweckend zu.

„Moang!“, sagt er mit tiefer, brummiger Stimme, zieht an seiner Zigarette und wartet anscheinend auf einen Plan. „Wat sommwe machen?“

Steffi wird das Briefing übernehmen. Das haben wir so besprochen. Sie hat ja schließlich auch mit der ganzen Sache angefangen. Ich werde in diese strategische Planung nur im Notfall eingreifen, wenn zum Beispiel die Idee aufkommen sollte, den Rasen umzuackern und Kartoffeln anzupflanzen und damit die Stellmöglichkeiten für unsere Liegestühle dramatisch zu minimieren, oder so was. Das käme nicht in Frage.

„Herr Schürmann“, beginnt Steffi also feierlich, „Sie sehen ja selbst. Hier müsste alles mal ein bisschen …“

Schürmann nickt. Er sieht selbst. Totale Verwilderung.

Er schickt seinen grünen Kennerblick über den Regenwald und dann sieht er wieder uns an. Er sagt noch nichts, aber ich spüre, dass er sich fragt, wie man denn hier überhaupt noch leben kann. Es ist der Blick eines Mannes vom Putztrupp, der vor dem Chaos einer vermüllten Messie-Wohnung steht.

„Wissen Sie, Herr Schürmann“, fährt Steffi fort, „wir hätten es gerne ein wenig luftiger, vielleicht hier und da ein paar Zweige ab, diesen Busch da, eventuell auch den Baum etwas einkürzen, er nimmt uns ein wenig das Licht, da dieser Ast und da diese Ranken …“

Schürmann nickt ernst und wirft jetzt auch entschlossen seine Zigarette weg - in einen wild austreibenden, ehemals ballrunden Buxbaum. Er hat verstanden. Voll und ganz.

„Aas klar!“

„Wollen Sie Kaffee?“, fragte Steffi dann in die Runde und ein allgemeines zufriedenes Brummen und Kopfnicken geht durch die tatendurstigen Männer. Ja, warum nicht? Fangen wir doch erst mal mit einer kleinen Kaffeepause an.

„Jou! Wa?“

Steffi lächelt also verständnisvoll und geht dann rein, um Kaffee für alle zu machen. Sicherlich wird sie auch noch Plätzchen und Kekse auftreiben, um es den Männern so schön wie möglich zu machen. Schließlich weiß sie wie ich, um die Härte dieses Berufes.

Als Steffi verschwunden ist, bekomme ich nur noch mit, wie Schürmann mit wuchtigen, breitbeinigen Schritten zu seinen Männern stampft, immer wieder in die Runde unseres Gartens zeigt. Mal hierhin, mal dorthin, mal auf diesen Busch, mal auf jenen Baum und die Befehle „Ab!“, „Ab!, „Wech!“, „Raus!“ ausgibt. Die Männer nicken stumm. Auch sie haben verstanden.

Nach der Kaffeepause mit Gebäck soll es dann losgehen.

„Dann wommwema!“, sagt einer der rauen Burschen.

„Dann wommwema!“, das ja eigentlich „Dann wollen wir mal!“ heißt (das Verb loslegen oder ähnlich wird hier still ergänzt), kommt ja aus der Sauerländischen Sprachfamilie der Aufforderungsformeln. Genauer gesagt aus der Dreiergruppe „Wommwema - Sommwema? - Lasswema!“. Wobei Wommwema der positiv aktivierende und sogar gute Laune verbreitende Startschuss eines bereits feststehenden Vorhabens darstellt. Sommwema? meint im Grunde das Gleiche, ist aber, leicht ironisch, als Frage formuliert. Natürlich geht es jetzt los, aber man tut so, als gebe es da noch eine Entscheidungsmöglichkeit für die lieben Kollegen. Und Lasswema! ist eindeutig die stärks­te Formel dieser Gruppe, weil man sie einsetzen muss, wenn eventuell die Befürchtung besteht, dass einige der Mitarbeiter noch abspringen könnten. Und dat geht ja nich! De Aabeit muss ja gemacht werd’n.

Ja, so geht Sauerländisch.

Der Lieferwagen wird also ausgeladen - Wommwema hat gereicht - und wird dann mit zweien der Männer noch mal weggeschickt.

„Un drückt auffe Tube, ihr Heiopeis!“

Der verbliebene Rest der Männer beginnt schon mal, die eindrucksvollen und vielzähligen Gerätschaften in Stellung zu bringen. Toll. Das sind Maschinen!

Ich habe mir einen gemütlichen Platz hinter der Terrassentür gesucht und meinen Sessel da hin geschoben, um alles beobachten und kontrollieren zu können. Max holt sich den zweiten Sessel und setzt sich neben mich. Das könnte besser werden als D-MAX.

Es regnet heute tatsächlich nicht. Ein schöner Tag, um ein wenig im Garten zu arbeiten.

Die Schlacht beginnt mit einer Kettensäge. Wrooouuum! Ein tolles Geräusch, das uns beiden sehr imponiert. Ich sollte bei meinem nächsten Baumarktbesuch unbedingt mal auf die Angebote im Kettensägensegment achten. Das gefällt mir. Das ist ja schon mal etwas ganz anderes, als meine mickrige elektrische Heckenschere, die ja auch schon ein wenig Kahlschlag anrichten konnte. Aber mit solch einer Mördersäge … Ich hoffe, ich habe die Elek­trische auch wieder gut weggepackt, dass keiner dieser Männer sie irgendwo entdeckt und darüber herzlich lachen kann.

Der Busch, denn ich vorgestern schon fast niedergerungen hatte, hat als erster verspielt. Wrooouuum! Wrooouuum! Alles ab. Der verbliebene Wurzelstumpf wird mit ein, zwei wuchtigen Spatentritten ausgegraben, und wir haben an dieser Stelle schon eine Menge Platz gewonnen. Ich sehe den Weg nach draußen, die Freiheit. Auch Max zeigt sich beeindruckt. Ein tolles Schauspiel. Dann kommt der nächste Busch.

Steffi gesellt sich jetzt, aufgeschreckt durch die ungewohnten beängstigenden Geräusche zu uns, steht jetzt neben meinem Sessel und hält sich die Hände vor den Mund.

„Was machen die denn da?“, fragt sie entsetzt und will sofort rauslaufen, um den Männern Einhalt zu gebieten.

„Lass die doch mal, Steffi. Die wissen schon, was sie tun. Das sind schließlich Fachkräfte. Und du hast ihnen doch eindeutig gesagt, was gemacht werden soll, oder? Exaktes Briefing, wie ich dich kenne.“

Steffi ist etwas verunsichert und wirkt eingeschüchtert.

„Sieh doch mal, Steffi, da, wo vorgestern noch dieser Busch war, ist jetzt freie Sicht nach draußen. Das ist doch schon mal sehr schön. Wir werden wieder atmen können, neue Aussichten haben, ein neues Leben anfangen.“

Sie zuckt zusammen, als gerade eine zweite Kettensäge anspringt und einer der Männer auf einer langen Leiter sich an einem besonders dicken Ast der Eiche zu schaffen macht. Er balanciert ganz oben auf dem wackeligen Ding und hält sich noch nicht einmal fest.

„Pass bloß auf, du Tuppes da oben!“ und „Schnauze!“, ruft man sich fröhlich zu. Ja, so macht die Arbeit Spaß.

Max zeigt voller Begeisterung auf diesen todesmutigen Mann im Baum. Steffi jedoch scheint noch nicht so recht an eine Verbesserung ihrer Lebensqualität durch marodierende, wilde Männer zu glauben. Der Ast fällt krachend auf den Rasen, den ich auch mal wieder mähen müsste.

„Siehst du Steffi? Licht! Luft! Das wolltest du doch.“

Sie zieht sich nachdenklich in die Küche zurück.

Dann kommt ein Lastwagen der Firma Schürmann, der einen Hubwagen zieht. Er muss leider durch die Ecke mit den Forsythien fahren, weil er sonst nicht aufs Gelände kommt. Na gut. Der gewaltige Schredder steht noch auf der Ladefläche und ein kleiner Bagger rollt gerade herunter. Toll. Wat ‘n Apparillo!, wie der Sauerländer sagen würde. Was die alles haben! Ich hole mir jetzt auch einen Kaffee, bringe Max eine Cola Zero mit und wir sind gespannt, wie es weitergeht.

Mit dem Hubwagen, der tiefe Spuren im Rasen hinterlässt und ein paar Terrassenplatten platzen lässt, ist es ganz einfach, die obersten Äste der alten Eiche zu erreichen und mühelos abzusägen. Auch sie landen krachend auf dem Rest des Rasens, der sich langsam in eine Art Kraterlandschaft verwandelt. Vielleicht muss ich ihn nie wieder mähen. Einer der Männer sieht sich den soeben abgesägten Stumpf an und schüttelt den Kopf. Was mag das zu bedeuten haben? Die anderen aber haben ihren Spaß und Schürmann brüllt Befehle über den Schlachtenlärm.

„Haut wech, die Scheiße!“

Steffi wagt noch einen letzten scheuen Blick aus der Küche, weil sie das Krachen, Stechen, Hauen und Gebrülle nicht mehr überhören kann, und sie tut mir wirklich leid.

„Steffi, Max“, sage ich und erhebe mich aus dem Sessel, „lasst uns mal einen schönen langen Spaziergang machen. Hmm? Was haltet ihr davon?“

Max hält nichts davon und will auf jeden Fall bleiben, aber Steffi nickt still. Wir ziehen uns also ein paar wetterfeste Sachen an und gehen los, ohne uns noch ein einziges Mal umzudrehen. Das Krachen, Heulen, Brüllen, Kreischen und Ächzen lassen wir einfach hinter uns.

Der Wald hat was. Ja, das habe ich immer gesagt, es ist wunderschön in so einem Wald. Dieser Wald, der recht nah an unserem Haus wächst, ist fast ein richtiger Urwald. Hier wird nicht viel gemacht. Eigentlich nichts. Ein schmaler, verträumter Weg führt uns an abgebrochenen Ästen und umgestürzten Bäumen vorbei in eine Zauberwelt aus Grün und Braun. Vögel singen, und andere krächzen, es raschelt im Gebüsch und sogar zwei Rehe können wir zwischen den Bäumen flüchten sehen. Hier kommt die Seele wieder ins Gleichgewicht. Das ist Natur, wie wir sie lieben. Ja!

Auch Steffi ist schon nach kurzer Zeit einigermaßen erholt und wirkt schon viel gefasster. Wir gehen noch ein, zwei Kilometer weiter, bis sie dann doch wieder etwas unruhig wird und sagt: „Lass uns mal wieder zurückgehen, Alex, sonst reißen die auch noch das Haus ab.“

Aber sie kann schon wieder lächeln. Also wollen wir doch mal nachsehen, wie weit die Männer sind.

Als wir unsere Besitzung erreichen, hat das Wüten und Morden aufgehört, es ist relativ still und nur der riesengroße Häcksler tut seine vernichtende Arbeit. Die Männer stopfen lachend und rauchend Äste und Gehölz in ihn hinein, und oben heraus kommt feines Sägemehl, das direkt auf die Ladefläche des Lasters befördert wird.

Wir sehen uns ungläubig um, und wenn wir nicht unser Haus, Herrn Schürmann und auch Max wiedererkennen würden, der jetzt hier mitten unter den harten Männern steht und mit ihnen lacht, aber zum Glück nicht raucht, dann würden wir denken, wir sind hier auf der falschen Baustelle.

Das ist nicht mehr unser Garten.

Der Rasen ist völlig verschwunden, er ist nur noch ein schlammbrauner Acker, weil man ihn mit einem Vertikutierer völlig umgewühlt hat.

„Damit dat Moos rauskommt, un datter wieder atmen kann, ja?“, sagt Herr Schürmann dazu.

Ah so. Das Moos. Aas klar. Die Kirschlorbeerbüsche sind gar nicht mehr vorhanden.

„Die wuchern ja nur alles zu. Dat blöde Kraut. Bringt ja nix.“

Zwei Fichten fehlen, keine Spur mehr irgendwelcher Blumen, … und die dicke Eiche ist gefallen.

„War innen total verfault. Totaler Schrott!“, sagt Herr Schürmann dazu. „Die wär Ihn‘n spätestens in eim‘ Jahr aufs Haus gefallen.“

Ah ja. Na, dann: weg damit! Danke auch.

Und der kleine Bagger hat ein recht tiefes nierenförmiges Loch mitten in unseren Garten gegraben, das sich schon langsam mit etwas Grundwasser füllt.

„War nur sonne Idee von mir, ja“, sagt Schürmann, „bin ja auch Gartengestalter, ja? Könnte doch ‘n schöner Teich werd‘n, woll. So ’ne größere Pfütze. Da stehder doch alle drauf, oder? Die Leute sin verrückt nach Teiche.“

Ja, ja, stimmt. Gute Idee eigentlich.

„Könn ’we aber auch wieder zuschütt’n, den Tümpel, wenn Se woll‘n.“

Ich weiß es nicht. Teich?

Steffi und ich sehen uns an und können noch immer nicht begreifen, wie an einem halben Tag sich im Leben so viel verändern kann.

Steffi hat, glaube ich, ein paar Tränen in den Augen - das kann aber auch vom Sägemehl kommen - und scheint zutiefst zu bereuen. Alles.

Als Schürmann bemerkt, dass unsere Stimmung momentan alles andere als euphorisch oder sogar voller Dankbarkeit ist, wie er es vielleicht erwartet hätte, sagt er nur: „Ach, dat sieht im Moment alles bisken wild aus, aber spätestens in eim‘ Jahr is‘ alles widder so wie vorhär. Glaum Se mir.“

Alles so wie vorher. Ja, dann hat es sich doch gelohnt.

Vielen Dank, Herr Schürmann!

Dritte Sauerländer Weisheit:

Is‘ dat Grüne ers‘ ma‘ hin

macht der Garten wenig Sinn

Das vierte Abenteuer
Ofenrohr Set

Jetzt reicht’s, Alex, Max! Das ist nicht mehr lustig", zischt Steffi durch fast geschlossene Lippen und reißt die ganze schöne Buch­­­staben­for­mation, die den Kaminsims der Familie Knipp­schild seit einigen Tagen verschönert, mit einem gewaltigen Wisch und viel echter Wut her­unter. Max erschrickt sich und sieht sie reichlich entsetzt an. So hat er seine liebe Mutter selten erlebt.

Ein "O" landet direkt vor meinen Füßen, rollt und eiert noch einmal kurz um mei­nen rechten Fuß herum und bleibt dann ver­schüchtert vor dem dicken Zeh liegen. Steffi scheint also wirklich wütend zu sein. Aber so richtig. Dabei haben wir doch nur …

„Das war’s! Ich hab keine Lust mehr! Dann macht doch den ganzen Mist alleine! Ich bin raus!“, stellt sie abschließend und laut schnau­bend fest.

Was war?

Also, es war so: Steffi hat vor einigen Tagen diese elfenbeinfar­be­nen, kunstvoll verzierten Aufstellbuchstaben auf un­serem Kaminsims liebevoll hinterein­andergereiht, und so, in der richtigen Reihenfolge, verkünden sie Max, mir und unseren gelegentlichen Besu­chern "FROHE OSTERN!" Denn das soll ja in ein paar Wo­chen schon stattfinden. So weit so gut. Kann man nichts gegen haben.

Es machte sich sehr gut auf unserem Kaminsims. Auch das muss man sagen. Ja, ja, es hat mir schon irgendwie gefallen, obwohl ich selbst niemals auf die Idee gekommen wäre, so etwas da auf­zu­bauen. Aber so sind die Frauen eben. Verspielt, verträumt, phantasievoll, liebenswert … und dekorationswütig.

Nein.

Das kann man so nicht sagen, und ich bin froh, dass Steffi das jetzt auch nicht mitbekommen hat. Nein, nein, so war es ja nicht gemeint, aber sie dekoriert halt nun mal gerne. Und natürlich sieht es auch immer schön aus. Ja klar. Auch wenn man manchmal et­was Tischdekoration zur Seite schieben muss, um sein Essen ein­nehmen zu können oder die Zeitung am Tisch zu lesen. Dabei muss man aber immer sehr behutsam vorgehen, weil Steffi sich eben was da­bei denkt, so wie sie die Dinge aufstellt. Da darf man nicht einfach was verrücken.

Selbst in unserem Garten hat sie schon sehr schöne Arrangements zustande gebracht. Richtige Szenen baut sie da aus Gartentischchen, Stühlen, vielleicht ein paar Hühnern aus Beton, einigen eisernen, geschmiedeten Lanzen, die man einfach senkrecht in die unschuldige Erde rammt und die oben dann schon mal ein nettes Ornament oder sogar eine eiserne fran­zösische Königslilie tragen. Alles vielleicht umrahmt von ein paar riesigen barocken Plastikzapfen, die wie verrostetes Schwermetall aussehen - und vielleicht noch einen schmiedeeisernen Vogelkäfig und eine marokkanische Lampe dazu. Fertig. Das hat was. Das sieht toll aus. Natürlich.

Es wirkt fast wie ein Szenenbild eines englischen Films. Gleich wer­den zwei ältere, gut gekleidete Herrschaften ins Bild kommen, der Regisseur ruft “Action!” und sie werden auf den Stühlen Platz nehmen, Tee trinken und über das Wetter, den schönen Garten oder den Mord reden, der soeben in diesem schrecklichen Hause passiert ist. Ja, Steffi hat eine Menge Phantasie und Ideen. Ideen, auf die ich niemals kommen würde. Aber schön.

Ich meine, wie oft stehen wir in der Gemüseecke bei Edeka und sie sieht mich an und fragt “Kohlrabi?”, und ich kann nur hilflos mit den Schultern zucken. Meine Phantasie reicht einfach nicht aus, um etwas damit anzufangen. Kohlrabi?! Was macht man damit? Am Ende essen. Klar. Also warum nicht Kohlrabi? Nur: Auch auf diese Idee wäre ich nie gekommen. Aber so ist das eben. Der eine hat die Ideen und der andere wundert sich.

Wenn man Steffi heimlich beobachtet, stellt man schnell fest, dass sie beim Szenenbau, Dekorieren und Schmücken meistens nach dem sel­ben Handlungsmuster vorgeht. Sie stellt hier was hin oder dort, tritt einen Schritt zurück, um es mit leicht schrägem Kopf zu betrachten und dann wieder woan­ders hinzustellen, wo es sich einfach besser macht.

Also, ich rede zum Beispiel von Kerzen samt verchromten und manchmal auch chic rostigen Ständern, Vasen samt Blumen, barocken Porzellanengeln, Windlichtern und noch mal Kerzen mit anderen Ständern – vielleicht diesmal aus Holz. Ich rede von Symbolen und Figuren je nach Jah­res­zeit, also Kugeln, Sternen und scheuen Rehen zu Weihnachten, auch schon mal einem goldenen Hirsch aus gegossenem glänzendem Leichtmetall, oder auch nur ein Hirschgeweih aus edlem Plastik. Wird immer sehr gerne genom­men. Pilze, Vögel, Zapfen und Dolden … und immer wieder Engel und Kerzen … samt Ständern … oder eben Hasen.

Zu Ostern. Klar. Hasen!

Und so findet man auch jetzt im ganzen Haus, manchmal gut versteckt wie die späteren Ostereier, oft auch ganz offensichtlich an herausragender Stelle angebracht, den einen oder anderen österlichen Hinweis, um das tolle Fest so stimmungsvoll wie möglich anzukündigen und an­gemessen zu beglei­ten. Ostern ist ja schließ­lich eine große Sache, da ist ja der arme Herr Jesus überraschen­derweise … naja, Sie kennen ja die Ge­schichte.

Ostern. Ja gut. Ich bin dabei.

Und warum jetzt Eier?, frag ich mich da gerade. Wie war das noch mit den Eiern? Ich muss zugeben, ich hab momentan keine Ahnung. Da müsste ich doch glatt mal nachsehen ... Oder nein, nicht gleich googeln, man muss auch mal wieder selber denken … und da fällt es mir auch wieder ein. Es hat mit neuem Leben und Fruchtbarkeit zu tun. Genau, so war’s. Das Ei ist das Symbol dafür. Hat der Hase jetzt auch damit zu tun? Fruchtbarkeit? Der alte Rammler? Könnte sein. Ich muss doch mal nachsehen. Alles kann man ja nicht wissen. Und wahrscheinlich wissen das Millionen andere auch nicht.

Und dieser Osterhase versteckt dann die Eier, die die Kinder suchen müssen. Eine ziemlich hanebüchene, verworrene Ge­schichte. Wer sich das alles ausgedacht hat!

Aber egal. Ostern ist ja immer ganz schön, es gibt was Tolles zu essen, meistens gibt’s auch Besuch und oft sogar recht gutes Wetter. Ein paarmal haben wir Max allerdings auch mit Regencape und Gummistiefeln rausge­schickt, um die verdammten Eier zu suchen, die Steffi und ich vorher überall im Garten ebenfalls mit Gummistiefeln und wetterfester Kleidung ausgelegt hatten.

“Steffi, können wir bei dem Wetter nicht mal drauf verzichten. Der arme Junge!” Ich muss aber zugeben, dass eher ich einfach keine Lust auf dieses nasse Theater hatte.

Doch Steffi brauchte dann nie etwas zu sagen, ihr Blick genügte.

Ostern ohne Eiersuchen! Also wirklich! Steffi ist da sehr traditionell und konservativ, und das ist ja auch gut so. Einer muss ja schließ­lich die alten Bräuche pflegen. Bei mir geriete so was wahrscheinlich einfach in Vergessenheit, und Ostern wäre, wenn ich überhaupt daran gedacht hätte, ein trauriges Fest ohne Eier, ohne Besuch, ohne Essen - aber mit Regen.

Und damit es dazu gar nicht erst kommt, hängt meine liebe Frau schon viele Wochen vorher überall bunte Eier an Fenster- und Türgriffe, dass man we­der das Haus betreten noch verlassen kann, ohne ein Ei an der Hand zu haben. Manchmal fällt auch schon mal eins runter. Tja, was will man machen?

Sie schlägt hier und da - in meiner Abwesenheit natürlich – klei­ne Nägel­chen ein, wo sich keine praktischen Griffe oder Auf­hän­gemöglichkeiten befinden, um auch da ein paar Eier anzubrin­gen. Auch eine Men­ge goldene, glänzende oder porzellane Osterhäs­chen überraschen einen immer wieder auf Fensterbänken, Bei­stell­tisch­chen oder auf Ablageflächen, die bisher nie bemerkt oder be­nutzt wor­den sind. Jedenfalls nicht von mir. Über­all hoppelt und eiert es al­so dann schon mindestens vier Wochen vor Ostern. Und alle Dekomöglichkeiten werden voll ausgenutzt.

So auch der Kaminsims. Der ist praktisch der Altar von Steffis Dekorationskünsten. Da wird das Schönste und Wichtigste geop­fert – manchmal auch der häusliche Frieden.

Und in diesem Jahr ist es wie jedes Jahr diese bedeu­tungs­volle Buchstabenkombination, die wir so - am Wochenende den ganzen Tag und auf jeden Fall abends vor dem Fernseher während der Tagesschau oder dem Tatort - bewundern und lesen dürfen. “FROHE OSTERN!”

Nun sind natürlich frei aufstellbare und beliebig kombinierbare Buchstaben für mich, einen Mann der Worte, eine recht reizvolle Herausforderung. Schließlich bin ich Chef­redakteur einer kleinen, aber nicht ganz unwichtigen Sauerländer Zeitung. Da sind Buch­staben und Worte praktisch mein Leben. Mein täglich Brot. Ich ringe den ganzen Tag damit, sie in die richtigen Reihenfolgen zu bringen, damit sie Sinn ergeben und für die Leser meiner Zeitung auch noch einen gewissen Informationswert haben. Man kann eine Menge mit Buch­staben machen.

Also habe ich vor ein paar Tagen einfach mal ein erstes Anagramm versucht - ich konnte einfach nicht anders - und aus "FROHE OSTERN" wurde im Handumdrehen "FROHER OSTEN", als Steffi gerade mal nicht im Wohnzimmer war. Das war einfach und schon ganz nett, aber noch nichts Besonderes. Es handelte sich ja nur um einen einzigen umge­stellten Buchstaben, der aber dem Ganzen etwas radikal Neues, Anderes gab. Die Bot­schaft hatte sich grundsätzlich verändert, aber es war ja noch immer eine frohe Botschaft.

Und es hat erstaunlicherweise ziemlich lange gedauert, bis über­haupt ein Mitglied meiner kleinen Familie diese winzige Korrektur bemerkt hatte. Diese Zeit des Wartens hat etwas Spannendes, Geheimnisvolles, Aufregendes.

Max war der erste. Als er es entdeckt hatte, sah er mich recht hinterhältig grinsend an, sagte aber nichts und kniff mir dafür verschwörerisch ein Auge. “Nicht schlecht, du alter Anarchist”, sollte das wohl heißen, oder so. Er fand’s anschei­nend gut. Klar, er ist vierzehn und immer noch ver­dammt albern. Natürlich haben wir dann gemeinsam voller Spannung gewar­tet, bis Steffi diese fast nicht sichtbare Veränderung be­merken würde. Max war sogar bereit, sich dafür mit mir die Tages­schau anzu­sehen.

Es war dann mittendrin in der Tagesschau, der Ätna hatte gera­de wieder mal Feuer gespuckt und Steffi hat nur ganz leise ge­knurrt, vielleicht auch sogar noch etwas gezwungen gelächelt, dann aber ohne weitere Bemerkungen ihre fröhliche Oster­bot­­­­schaft ein­fach wieder neu aufgestellt. Max und ich haben uns voller gehei­mer Freude angesehen, waren aber etwas enttäuscht. Da müsste noch mehr kommen. Buchstäblich und auch reaktionsmäßig.

Doch das Spiel war damit eröffnet. Jetzt könnte es interessant werden, dachte ich so und grübelte über neue Anagramme. Doch am nächsten Tag war dann in der Redaktion eine Menge los. Der Milchpreis sollte wieder sinken und ein neuer Radweg neben der Bundesstraße war vom Rat abgelehnt und auf der Leckeder Haupt­straße war ein Loch entdeckt worden, so dass ich kaum Zeit hatte, intensiv und dem Ereignis angemessen über ein neues Anagramm für unseren Kaminsims nachzudenken.

Als ich dann abends müde und erschöpft aufs Sofa sackte, sah ich, dass Max wohl schon kreativ tätig war. Seine frohe Bot­schaft am diesem Abend lautete "HOEREN FROST". Mmh. Gar nicht so schlecht, dachte ich so, als ich mit leicht schräg gehaltenem Kopf sein Werk betrachtete. Ja, ich fand’s ganz gut.

Steffi nicht. Zum Knurren kam diesmal auch ein böser Blick und: Elfenbeinbuch­staben wieder zurück auf Null. “FROHE OSTERN!”, verdammt noch mal! Ich war‘s nicht, Steffi!

Aber ich hatte schon etwas Neues, eine plötzliche Idee, die ich mir aber für den nächsten Tag aufheben wollte. Nicht zu schnell alles verschießen. Bis Ostern sind ja schließlich noch ein paar schöne Tage. Den ganzen nächsten Tag über freute ich mich auf "HERREN FOTOS". Das war richtig gut, das müsste auch Max zugeben.

Es hielt aber nur etwa eine Viertelstunde. Beim Wetterbericht, als ich aus der Küche mit einem schönen Glas Wein zu­rückkam, war die fröhliche Osterbotschaft schon wieder rekonstruiert wor­den. Steffi sprach nicht einmal darüber und sah mich auch nicht mehr an. Eine ganze Weile. Ich hätte also da schon merken müs­sen, dass es ernst wurde.

Schon einen Tag später aber hatte Max wieder buchstäblich etwas sehr Schönes gebastelt. Ich weiß ja nicht, wie lange er darü­ber nach­ge­dacht hat und ich hoffe auch, dass seine schuli­schen Leistungen nicht darunter leiden werden, aber er hatte etwas rich­tig Gutes.

"FERNOST OHRE" hieß sein Tageswerk und wir war­teten gespannt auf Steffis Reaktion. Wieder sah sich Max mit mir gemeinsam die langweilige Tages­schau an und musste dann auch noch die Hälfte eines kulturell sehr anspruchsvollen fran­zösi­schen Films auf Arte ertragen, bis Steffi es endlich sah. Fünfund­vierzig Minuten! Sie sprach den ganzen Abend nicht mehr mit uns. Also mit mir. Max war nach der Entdeckung seiner buch­stabigen Schöpfung einfach grinsend nach oben verschwunden.

Am nächsten Tag war ich wieder dran und erfand "OHNE REST ORF". Das war zwar nicht so richtig gut, muss ich zugeben, hielt aber einen ganzen Sams­­tagnach­mittag. Dafür erfand Max am nächsten Tag etwas besonders Überraschendes aus dem ländlichen, sauerländischen Bereich, worüber ich mich sehr wunderte. Wir durften einen ganzen Abend über „ERNTE SO FROH“ gibbeln, ohne das Steffi es gemerkt hätte. Auch “OH ROTER SENF“ hielt fast zwei Stunden bis in die Tagesthemen hinein.

Und bis eben stand da noch "OFENROHR SET", mein Meisterstück. Und da ist sie einfach durchgedreht.

"Das war’s! Ich bin raus!", sagt sie jetzt also, nachdem sie meine letzte wun­derbare Buchstabenidee wütend zerstört hat, würdigt weder mich, noch Max und schon gar nicht den Buch­staben­salat zu unseren Füßen eines einzigen Blickes und verschwindet in einer gewaltigen Rauchwolke, die ein wenig nach Schwefel riecht, wie ich meine, stampfend und mit einem für Steffi sehr untypischen tieffrequentigen Brummen auf der Treppe nach oben.

"Aber Steffi, wir haben doch nur …", rufe ich ihr hinterher. Doch sie ist schon weg.

Max und ich sehen uns erschrocken und recht beeindruckt an. Wir wollten zwar mehr Reaktion im Allgemeinen, ja, das stimmt schon, aber mit so einem spektakulären Abgang unserer Steffi haben wir jetzt nicht gerechnet. Es war doch alles nur Spaß! Scheinbar aber ein Spaß, den unsere Steffi nicht verstehen will. Irgendwie haben wir es wohl zu weit getrieben und sie ziemlich verärgert. Und das wollten wir doch nicht. Nein, auf keinen Fall!

Seufzend sinke ich auf meinen Stuhl und starre leer und blöde auf die Platte des dunklen Eicheness­tisches, der auch mal wieder lackiert werden müsste. Ich fummle ein paar Lose Klarlackteichen ab und zerreibe sie zwischen meinen Fingern. Der Film, der gerade begonnen hat und den Abend so richtig gemütlich gemacht hätte, interessiert mich nicht mehr. Es gilt jetzt, eine Ehe zu kitten.

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