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Eine Grossfamilie im Wallis

Kindheit in einfachen Verhältnissen

Zwei Frauen spielen in Augusta Thelers Leben eine wichtige Rolle: ihre Mutter Julie Theler und ihre Grossmutter Anna Heynen, geboren 1895 als Anna Schmid. Anna Heynen war lange Jahre die Dorfhebamme von Ausserberg im Kanton Wallis gewesen. Bei Wind und Wetter eilte sie in ihren Kleidern, die an eine Tracht erinnerten, und nur mit ledernen Halbschuhen an den Füssen zu Frauen, die in den Wehen lagen und auf ihre Hilfe warteten. Strassen und Autos wie heute gab es damals noch nicht. So marschierte Anna Heynen mit ihrem Hebammenkoffer viele Kilometer allein durch die dunkle Nacht. Die Entbehrungen, welche die Grossmutter auf sich nahm, und die Kraft, die sie in die Ausübung ihres Berufs steckte, müssen immens gewesen sein. Als Hebamme ist die Grossmutter, die 1981 gestorben ist, für Augusta Theler ein grosses Vorbild geworden – davon später mehr.

Zu ihrer Mutter Julie Theler pflegt Augusta Theler eine enge Beziehung. Der Vater, Lukas Theler, ist 2008 gestorben. Julie Theler hat Jahrgang 1926 und lebt in ihrem eigenen Universum. Sie ist dement, doch lichte Augenblicke, in denen sie ganz in der Gegenwart ist und sich mit einer starken Präsenz am Gespräch beteiligt, sind nicht etwa rar. Immer wieder, manchmal ganz unerwartet, blitzt der Schalk aus ihren Augen, die voller Licht und Lebensfreude sind.

Julie Theler lebt im Briger Stadtteil Glis im Haus, das sie 1958 mit ihrem Mann gekauft hatte und in das sie damals mit den ältesten drei Kindern gezogen waren. Sieben weitere Kinder sollten folgen. Lukas Theler hatte eine neue Anstellung als Schlosser und Schmied im Zeughaus von Brig-Glis gefunden. Im Zeughaus reparierte er Werkzeug fürs Militär. Für den Kauf des bescheidenen Häuschens an der Zenhäusernstrasse mussten sich Augusta Thelers Eltern in Schulden stürzen. Viel Geld, um zu sparen, war nicht vorhanden, und je grösser die Familie wurde, desto schmaler wurde das Haushaltsbudget. Vor dem Umzug nach Brig-Glis hatten Julie und Lukas Theler ihr Heimatdorf Ausserberg nie für längere Zeit verlassen.

Augusta Theler und ihre neun Geschwister sind also in diesem kleinen, in die Jahre gekommenen Einfamilienhaus aufgewachsen; in dem Haus mit dem Giebeldach und der Rampe zur Garage, mit dem Weg durch den Vorgarten und der Treppe, die hinauf zum Eingang führt. Das Häuschen wirkt in dem bis auf den letzten Meter überbauten Quartier wie eine Insel in einem Meer von wahr gewordenen Architektenträumen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Lässt man den Blick in die Ferne schweifen, sieht man hohe Berge mit ewigem Schnee, die sich steil in den blauen Himmel erheben. Der Garten von Familie Theler ist ein romantisches Plätzchen, und er ist perfekt gepflegt. Da und dort spriessen ein paar Blumen, und man sieht, dass die kleine Grasfläche regelmässig geschnitten wird.

In der Küche stehen eine massive Eckbank aus Holz und ein paar Stühle um den Esstisch. Allerdings sass früher nicht oft die ganze zwölfköpfige Familie am Tisch. Es seien selten alle zehn Kinder gleichzeitig zu Hause gewesen, erklärt Augusta Theler. Kari, der älteste Sohn mit Jahrgang 1954, war bereits 15 Jahre alt, als 1969 die Jüngste, Hildi, zur Welt kam. Wenn trotzdem einmal alle da waren und es eng wurde, verbannte man Nesthäkchen Hildi vom Tisch. Augusta Theler erzählt, wie die Mutter den Küchenschrank mit dem Pfannenauszug öffnete und die Kochtöpfe neben den Kochherd räumte. Hildis Teller stellte sie auf den Schubladenauszug und platzierte einen Stuhl davor, sodass das Mädchen seine Suppe dort auslöffeln konnte. Beschwert habe sich die kleinste Schwester nie.

«Meine Mutter war eine Weltmeisterin im Improvisieren», erinnert sich Augusta Theler. Die Eltern mussten die Schulden vom Hauskauf abzahlen, sodass Julie Theler auch am Essen sparte. Fleisch gab es in der Familie immer, weil die Männer auf die Jagd gingen. Die grosse Tiefkühltruhe steht jetzt noch in der Garage. Zudem bewirtschaftete Julie Theler zwei Gärten: einen hinter dem Haus an der Zenhäusernstrasse, einen zweiten weiter unten in der Ortschaft, eine Viertelstunde Fussmarsch entfernt. Oft nahm die Mutter die Kinder mit. Diese Spaziergänge hat Augusta Theler als Höhepunkte in Erinnerung. «Wir fühlten uns, als würden wir eine Reise unternehmen.» Im Garten, wo es einen kleinen Teich hatte, gab es für die Kinder ständig neue Sachen zu entdecken. «Wir spielten am Wasser und fingen Kaulquappen, die wir in Konfitüregläsern mit nach Hause nahmen.»

Als Kinder hätten sie die meiste Zeit im Freien verbracht, sagt Augusta Theler. Hinter dem Haus spielten sie mit den Nachbarskindern, kletterten auf Bäume und bauten Hütten aus alten Militärdecken. Im Haus war nur wenig Platz. Neben der Küche und einer Stube im Erdgeschoss sind im oberen Stockwerk vier Zimmer. Eines davon ist nur eine kleine Kammer: wenig Raum für zehn Kinder und zwei Erwachsene. Zeitweise schliefen die Kinder zu dritt in einem Zimmer. «Wir hatten eine einfache, aber wunderschöne Kindheit», fasst Augusta Theler zusammen und fügt an, sie seien streng erzogen worden. «Am Sonntag gingen wir immer in die Messe, wo wir mäuschenstill sein mussten und uns nicht bewegen durften. Die Eltern legten Wert darauf, dass wir die Leute auf der Strasse freundlich grüssten und ihnen in die Augen schauten, wenn wir ihnen die Hand gaben.» Das Leben in der Grossfamilie habe sie geprägt, sagt Augusta Theler. Als Kind mit neun Geschwistern habe sie sich meist den anderen angepasst. «Wenn ich mich durchsetzen wollte, konnte ich aber ein Trotzkopf sein.» Viel Erfolg habe sie mit diesem Verhalten jedoch nicht gehabt. «Unsere Eltern haben uns beigebracht, dass es nichts bringt, wenn jeder nur für sich schaut.» Diese Einstellung habe sie übernommen. Egoismus sei ihr zuwider, und sie ertrage es fast nicht, wenn jemand falsch oder ungerecht sei.

In den Ferien war an eine Reise ans Meer nicht zu denken, zu knapp war das Geld. Fast alle Kinder der Familie Theler arbeiteten, sobald sie alt genug waren, einige Sommer in einem einfachen Berghotel auf der Almagelleralp. Während die Mädchen die Zimmer putzten und hungrigen Wanderern Mahlzeiten servierten, brachten die Buben Lebensmittel und andere Waren mit Maultieren auf die Alp. Als Jugendliche lagen die Geschwister am Abend auf den warmen Steinen und schauten zu, wie die Sonne hinter den Berggipfeln verschwand. Anschliessend spielte man ein paar Musikkassetten ab und tanzte. Manchmal fand sich unter den Gästen, zu denen stets einige Bergführer gehörten, auch einer, der Handorgel oder Mundharmonika spielen konnte. Das Geld, das die Kinder während der Ferien auf der Almagelleralp verdienten, behielten sie nicht etwa für sich. Sie gaben den Eltern den Verdienst ab, wenn der Sommer vorüber war.

Eine Ahnung von der grossen, weiten Welt bekamen die zehn Kinder durch einen Cousin des Vaters. Er war Mönch im Kapuzinerkloster in Brig-Glis und begab sich mit einem Mitbruder auf Missionsreisen. In Tansania schlossen sich die beiden einmal einer Safari an. Fasziniert erzählt Augusta Theler von den Dia-Abenden, welche die Klosterbrüder nach ihrer Rückkehr im Haus an der Zenhäusernstrasse veranstalteten. Dafür hängte man ein weisses Leintuch an die Wand, über das alsbald Elefanten und Leoparden zu ziehen schienen. Kiloweise schleppten die zwei Mönche Dias an, und sie vermochten die Kinderschar damit zu begeistern: Die Dia-Abende waren für alle ein grosses Vergnügen, das die Familie, die finanziell nicht auf Rosen gebettet war, keinen Rappen kostete.

Augusta Theler erinnert sich, dass die Mutter nachts, wenn die Kinder schon schliefen, oft wach blieb und nähte. Aus alten, an einzelnen Stellen abgenutzten Erwachsenenkleidern seien in diesen einsamen nächtlichen Stunden kleine Röcke oder Hosen für die Kinder entstanden. Der Vater, ein geselliger Mann, habe einen grossen Freundeskreis gehabt. «Da er handwerklich sehr begabt war, bat ihn ständig jemand, etwas zu flicken», erzählt Augusta Theler. «Manchmal brachte er mitten in der Nacht Besuch nach Hause, was aber nie ein Problem war. Weil sich das Elternschlafzimmer direkt über der Küche befand, wurde die Mutter wach und ging nach unten, um Kaffee zu kochen.» Ihre Eltern, erzählt Augusta Theler, seien ein starkes Paar gewesen; zwei Menschen, die miteinander durch dick und dünn gingen. Zu einem Arbeitskollegen, der sich einmal über die Kinderzulagen mokierte, die Vater Theler erhielt, sagte er einmal mit leiser Anspielung: «Ich habe zehn Kinder, aber mir reicht eine Frau.»

Augusta Thelers Vater hatte bereits als Kind erfahren, was es heisst, kein Geld zu haben. Sein eigener Vater war bei der Chemiefabrik Lonza in Visp tätig gewesen, wo er einen Unfall erlitt, durch den er arbeitsunfähig wurde. Man erzählte sich, dass der Grossvater kein Geld von der Versicherung bekommen habe, sodass er sich im «Konsum» in Ausserberg verschuldet habe. Um die Familie zu ernähren, wilderte der Grossvater das ganze Jahr über. Der Wildhüter liess ihn gewähren, weil allgemein bekannt war, dass die Familie Hunger litt. Lukas Theler hatte demnach als Kind echte Armut erlebt. Umso mehr schien er es als Familienvater zu geniessen, wenn er Frau und Kinder mit seinen beschränkten Mitteln verwöhnen konnte. Den Zahltag im Zeughaus liess er sich immer auf die Hand auszahlen, erzählt Augusta Thelers Schwester Olga: «Als Erstes ging er in die Beiz und dann in die Metzgerei, wo er Sauschwänzchen, Wädli oder frisch geschnittenes Euter kaufte. Anschliessend besorgte er im Laden schwarze Schokolade, Erdnüsse und ein Pfünderli Weissbrot, eine Büchse in Tomaten eingelegte Sardellen und gedörrte Feigen. Je nachdem, wie lange sein Aufenthalt in der Beiz gedauert hatte, kamen diese Köstlichkeiten früher oder später zu Hause auf den Tisch.» Die Eltern und die Kinder versammelten sich am Küchentisch und schnabulierten, egal, ob sie die Zähne vorher schon geputzt hatten.

Sonntags, nach der Messe, brachte der Vater jeweils zwölf Crèmeschnitten nach Hause, und das traditionelle Sonntagsmahl bestand aus zwei Poulets und Bratkartoffeln. Auch sonst wurden bei Familie Theler zu bestimmten Anlässen oder Festivitäten besondere Esswaren aufgetischt. Augusta Thelers Schwester Olga, mit Jahrgang 1957 die Drittälteste, erlebte sieben Mal, wie die Mutter schwanger war und ein Kind zur Welt brachte. Die meisten Kinder, darunter Augusta im Jahr 1965, gebar die Mutter zu Hause in Brig-Glis. «Wenn die Mutter geboren hatte, gab es immer Gschwellti mit Käse und Cervelats», erzählt Olga. Und wie erfuhren die Kinder jeweils, dass Julie Theler wieder schwanger und ein neues Geschwister unterwegs war? «Die ganze Familie versammelte sich im Schlafzimmer der Eltern. Dann wurde gebetet, damit mit dem Kind alles gut kommt. Das genügte, damit wir Bescheid wussten.» Die jüngste Schwester, Hildi, übernachtete nach ihrer Geburt aus Platzgründen im «Graben» im Ehebett der Eltern. Dass dies der Grund war, weshalb die Mutter danach kein weiteres Mal schwanger wurde, ist nur eine Vermutung. Fragt man Julie Theler nach solchen Dingen, lächelt sie verschmitzt und sagt, sie könne sich nicht erinnern.

Zum Leben der zwölfköpfigen Familie in Brig-Glis gehörten stets auch Tiere. Da waren einerseits die Haustiere der Kinder wie Tauben, Katzen, Hamster, Meerschweinchen oder Kaninchen. Letztere wurden vom Vater regelmässig geschlachtet und kamen auf den Tisch. Anderseits sind die Thelers seit Generationen leidenschaftliche Jäger. Jedes Jahr im Herbst verwandelt sich das Häuschen der Familie heute noch ins Basislager der Jagdbegeisterten, die noch vor dem Morgengrauen losziehen. Zwei Wochen lang herrscht fast ununterbrochen, Tag und Nacht, Betrieb. In der Garage werden die erbeuteten Gämsen, Rehe oder Hirsche ausgenommen und halbiert, anschliessend lässt man sie im Erdkeller abhängen. Die Tradition wird von den Kindern und Kindeskindern fortgeführt.

Die Wochen der Jagd fordern Augusta Theler einiges ab. Sie kocht für die Jäger, die sich nach Stunden der Pirsch hungrig und durstig an den Küchentisch setzen. Und sie betreut ihre demente Mutter, die in dieser Zeit besonders fordernd sein kann, weil sie die Jägerszenen an früher erinnern. Sie will dann anpacken, ist unruhig und sucht Beschäftigung, und hin und wieder läuft sie auch weg. Jetzt ist nicht mehr Augusta Theler das trotzige Kind. Nun ist Julie Theler die Trotzige. Dennoch empfindet es die Tochter als Privileg, ihrer Mutter im hohen Alter so nahe zu sein und diesen Weg bis zum Schluss mit ihr gehen zu dürfen. Um sie zu beruhigen, erfindet Augusta Theler Geschichten, taucht mit ihr ein in die Vergangenheit, packt sie ins Auto, fährt mit ihr nach Ausserberg und lässt die Erinnerungen an früher nochmals lebendig werden.

Julie Theler spricht mit grosser Bewunderung von ihrer Mutter Anna Heynen. «Meine Mutter war Hebamme», wird die demente Frau nicht müde zu betonen, und sie wiederholt auch immer wieder, dass sie streng gearbeitet hatte, im Haus und auf dem Feld. Als Augusta Theler ihrer Mutter eine Radiosendung über Hebammen vorspielt, die sie auf ihren Computer geladen hat, möchte Julie Theler sich die Sendung immer und immer wieder anhören. Noch Tage später verlangt sie, ihre Mutter müsse die Sendung unbedingt auch zu hören bekommen. Die alte Frau, die doch selbst Hebamme war, sei bestimmt interessiert an dem Gesagten.

Dem Vergessen, das die Demenz mit sich bringt, lassen sich auch positive Seiten abgewinnen. Julie Theler durchlebt noch einmal ihre Vergangenheit und scheint dabei nur das Schöne wahrzunehmen.

Stürmische Schul- und Lehrjahre

Augusta Theler war ein eigensinniges Kind, das schon früh wusste, was es wollte, und auch bereit war, dafür zu kämpfen. Sie eiferte ihrer Grossmutter Anna Heynen nach, wollte Hebamme werden wie sie. Nach der sechsten Primarschulklasse reichten ihre Noten für die Realschule. Schon im ersten Jahr war für sie jedoch klar, dass sie das nächste Schuljahr unbedingt in die Sekundarschule wechseln wollte. Denn sie war sich bewusst, dass sie nur so ihren Berufstraum würde realisieren können.

Doch nach der Sekundarschule traute sie sich die Ausbildung an der Hebammenschule noch nicht zu. Zu gross war damals ihre Angst, intellektuell nicht zu genügen; zu gross war ihr Respekt – auch vor dem, was ihre Grossmutter Anna Heynen ihr vorgelebt hatte. Augusta Theler absolvierte deshalb zuerst eine Lehre als Arztgehilfin, was der heutigen Ausbildung zur Medizinischen Praxisassistentin entspricht. Um die Ausbildung an einer Privatschule in Bern bezahlen zu können, war sie auf ein Darlehen der Eltern angewiesen, das sie mit schlechtem Gewissen annahm und zurückbezahlte, so rasch es ging. Nach einem Jahr Schule kehrte sie ins Wallis zurück und beendete die Ausbildung mit einem eineinhalbjährigen Praktikum bei einem Internisten. Ein gutes Jahr später wechselte sie in eine Gruppenpraxis mit zwei Ärzten in Gstaad.

Die folgende Zeit war neben dieser Arbeit in Gstaad geprägt von der schweren Erkrankung ihrer besten Freundin, bei der Knochenkrebs diagnostiziert worden war. Die Ärzte rieten kurz nach dem Befund der Krankheit, ein Bein zu amputieren. Doch die Amputation konnte zunächst abgewendet werden. Die Freundin kam ins Kinderspital Basel, wo sie sich mehreren Chemotherapien unterziehen musste. Immer, wenn es ihre Gesundheit zuliess, kehrte sie ins Wallis zurück.

«Durch die Krankheit wurde alles noch intensiver. Wir kosteten die Zeit aus und dachten nicht darüber nach, was andere Leute über uns sagten.» Augusta Theler erlebte mit ihrer Freundin eine Achterbahn der Gefühle. Es gab Zeiten voller Hoffnung, in denen sich der Kampf zu lohnen schien, dann wieder gab es erschütternde Nachrichten. Die Ärzte entdeckten Metastasen, und das Bein musste schliesslich doch amputiert werden. Augusta Theler setzte sich dafür ein, dass die Freundin eine gute Therapie erhalten sollte. Doch es kam anders. Ihre beste Freundin starb, noch nicht ganz 20-jährig, zu Hause bei ihren Eltern.

«Es war das erste Mal, dass mich der Tod so direkt berührte», sagt Augusta Theler. «Die Krankheit und der Tod meiner besten Freundin waren für mich ein intensives Erlebnis, das mich mit grosser Trauer erfüllte. Als sie gestorben war, blieb in mir eine Leere zurück. Ich stand vor der schwer begreifbaren Tatsache, dass meine Freundin – ein junger, lebensfroher Mensch wie ich – gegangen war.» Es war eine Geschichte voller Hoffnung, Glück, Enttäuschung und Trauer, die sie tief erschütterte.

Nach dem Tod der besten Freundin verliess Augusta Theler die Gruppenpraxis in Gstaad und kehrte zurück ins Wallis, nach Visp. Dort fand sie bei einem Gynäkologen, der aus Afrika stammte, eine neue Anstellung. Er hatte gerade seine erste eigene Praxis eröffnet. Da der Arzt nicht Auto fahren konnte, chauffierte ihn Augusta Theler tagsüber in ihrem roten VW-Käfer ins Spital, wenn eine Geburt bevorstand. In der Nacht übernahm seine Frau diese Aufgabe. «Die Patientinnen rannten uns die Hütte ein», erinnert sich Augusta Theler. «Ein schwarzer Gynäkologe im katholischen Wallis; das war etwas Besonderes. Er war beliebt, weil er so anders war.» Dabei sei er ein schüchterner, zurückhaltender Mensch gewesen. «Die Patientinnen kamen mit ihren Geschichten auch oft direkt zu mir, etwa wenn sie die Pille vergessen hatten oder ein Malheur mit einem Kondom passiert war. Viele Unsicherheiten konnte ich schon am Telefon klären. Ich wurde für die Frauen zu einer Vertrauensperson.» In dieser Zeit flammte in ihr erneut der Wunsch auf, Hebamme zu werden. Sie hatte das Gefühl, sich beruflich in einer Einbahnstrasse zu befinden. Sie wollte mehr Verantwortung übernehmen, ihr Wissen erweitern und mehr erleben.

Augusta Theler vertraute sich ihrem Chef an, der positiv reagierte, ihr gleichzeitig aber auch klarmachte, dass er ihren Weggang bedauern würde. Sie meldete sich an der Hebammenschule in Bern an, doch schon das erste Gespräch erlebte sie als derart einschüchternd, dass sie von ihrem Plan wieder absah. Etwas später zog sie mit ihrem damaligen Freund nach Bern und arbeitete während einiger Jahre in einer Gruppenpraxis für zwei Internisten. Als sie 30 war, trennte sie sich von ihrem Jugendfreund. Sie kündigte ihre Stelle und fuhr nach Cambridge, wo sie eine Englischschule besuchte. Danach kehrte sie ins Wallis zurück, wohnte eine kurze Zeit wieder bei den Eltern, war aber unschlüssig, wie es weitergehen sollte. Da tat sich eine Chance auf, als ihr eine Stelle in einer Arztpraxis in Bern angeboten wurde. Sie sagte zu.

Die Praxis gehörte ihrem jetzigen Partner Martin Weber, mit dem sie seit Ende 1996 zusammen ist. Als Augusta Theler den Allgemein- und Tropenarzt kennenlernte, befand er sich in einer schwierigen Lebensphase. Seine Frau war schwer krank, und die beiden Kinder waren im Primarschulalter. Martin Weber war während der Bewerbungsphase für die Anstellung einer neuen Arztgehilfin präsent. Dann aber zog er sich für ein Jahr aus der Praxis zurück, um für seine Kinder und seine Frau da zu sein. Seine Frau verlor den Kampf gegen die Krankheit und starb. Da der Arzt mit seiner Familie in einer Wohnung über der Praxis lebte, ging er während dieser Zeit im Haus ein und aus. Augusta Theler und er begannen, zusammen Sport zu treiben, und so wuchs langsam das gegenseitige Vertrauen. Sie war fasziniert von Martin Weber, der 17 Jahre älter ist als sie und weit herumgekommen ist. Als junger Mann hatte er sein Medizinstudium unterbrochen, um mit einem Kollegen die Welt zu bereisen. Sein Ziel, als Arzt auch im Ausland zu arbeiten und humanitäre Einsätze zu leisten, hatte er über Jahre hartnäckig verfolgt und schliesslich erreicht – ähnlich wie Augusta Theler, die sich in den Kopf gesetzt hatte, Hebamme zu werden.

Der Altersunterschied war zwischen ihnen nur ein Thema, als sie die Kinderfrage diskutierten. Für ihn, der bereits einen Sohn und eine Tochter hatte, als sie sich kennenlernten, war klar, dass er wegen einer Unterbindung keine weiteren Kinder haben würde. Augusta Theler hätte sich eigene Kinder gewünscht. Ihr war aber bewusst, dass ihr diese Beziehung andere Perspektiven und Möglichkeiten bieten würde, und sie setzte Prioritäten. Schon früh empfand sie es als Geschenk, diesen Mann kennengelernt zu haben, der ihr einen Zugang zu spannenden, ihr noch unbekannten Welten öffnete. «Unser Leben entwickelte sich innerhalb kurzer Zeit so turbulent, abwechslungsreich und glücklich, dass ich es nie bereut habe, diesen Weg eingeschlagen zu haben», sagt sie. Martin Weber ermunterte sie, einen neuen Anlauf zu nehmen und sich noch einmal an der Hebammenschule zu bewerben. 1998 begann sie in Bern mit der Ausbildung.

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