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4. Mögliche Höflichkeitsdissonanzen In Anstandsbüchern
Während man für die Rekonstruktion des HöflichkeitsmanagementsHöflichkeitsmanagements in aktuell aufgezeichneten Gesprächen, gerade auch bei unübersehbaren oder sogar thematisierten Dissonanzen,1 seine eigenen kommunikativen Erfahrungen, eventuell auch noch begrenzt historische Erfahrungen aus dem Umgang mit älteren Generationen einsetzen kann, ist man für die Vergangenheit auf schriftlich aufgezeichnete Texte angewiesen, die nur annähernde Sinndeutungen von Mustern erlauben, wenn zusätzliche Informationen, z.B. in Form von eingearbeiteten Interpretationen (vor allem bei literarischen Texten) oder in Form von Musterbüchern, zur Verfügung stehen (Linke 1996, 41ff.). So kommen für solche Rekonstruktionen auch nur wenige Textsorten in Frage: Literarische Texte, wie sie auch hier benutzt wurden, wenn sie sich einem -freilich selektiven und poetisch überformten – Realismus verpflichtet fühlen und daher auf musterhafte Erfahrungen ihrer Zeit in vergleichbaren anderen Texten beziehen lassen; Protokolltexte z.B. von Verhandlungen juristischer oder geschäftlicher Art, die allerdings auch eigenen Gestaltungs- und Selektionsprinzipien folgen;2 Lebenserinnerungen in Form von Tagebüchern oder Autobiographien, bei denen ebenfalls mit subjektiven Verkürzungen oder sogar Umdeutungen des realen Geschehens zu rechnen ist.
Zweifellos am interessantesten, aber nicht unproblematisch3 sind die sog. AnstandsbücherAnstandsbücher, die nicht nur mehr oder weniger begründete Standards höflichen Verhaltens liefern, welche in der einschlägigen Literatur (vgl. auch Krumrey 1984) in verschiedenen Varianten existieren können, sondern die auch anhand von krisenhaften Begegnungen mögliche DissonanzenDissonanzen zwischen verschiedenartigen Agenten (alt vs. jung, Damen vs. Herren, Vorgesetzte vs. Untergebene, Adlige vs. Bürger vs. „einfache Leute“) thematisieren oder sogar Entwicklungstendenzen andeuten. Als exemplarischen Fall möchte ich hier ein Anstands- bzw. „Complimentierbuch“ herausgreifen, das in einschlägigen Bibliothekskatalogen kaum nachzuweisen ist und auch in der umfangreichen Literaturliste von Linke (1996, 329ff.) nicht vorkommt: Der Titel lautet:
Echter / Anstand, guter Ton und feine Sitte, / als / bewährte Wegweiser durch das gesellige Leben; / oder / (zur allgemeinen Verständlichkeit) / Neuestes / Wiener-Complimentirbuch, / für Personen beiderlei Geschlechtes, / die sich in allen Verhältnissen des Umgangs mit ihren Neben- / menschen, wahrhaft angenehm und liebenswürdig zu benehmen wünschen.
Verfasser ist ein gewisser Franz Rittler, das Buch ist im Verlag Mayer und Compagnie, Wien 1834 erschienen.4
Die Intention dieses sich ausdrücklich in der Nachfolge Knigges sehenden Buches (mit 17 Kapiteln auf 276 gez. Seiten) richtet sich, wie es schon der Titel formuliert, vorrangig auf die „positive“ Höflichkeit als Vermögen, durch sein Verhalten einen guten, d.h. angenehmen und liebenswürdigen Eindruck auf andere Menschen zu machen, enthält aber auch reichlich Hinweise, wie man Menschen im geselligen Umgang den nötigen Respekt entgegenbringen oder die Achtung ihrer Persönlichkeit sicherstellen kann. Dementsprechend wird zunächst beschrieben und immer wieder an angeblich selbst erlebten „Scenen“ demonstriert,5 wie man durch Aussehen (Physiognomie), Körperhaltung und Kleidung („Tracht“) [Einleitung], dann durch das Sprachverhalten allgemein (Orientierung an der Standardsprache) und im Besonderen (mündlicher und schriftlicher Vortrag, Briefe) einen guten Eindruck bei anderen Menschen erzeugen kann [1. Abschnitt, Kapitel 1–5]. Der Unterstützung bzw. Sicherung dieses guten Eindrucks dienen dann Regeln zur äußeren Gestaltung bzw. „Belebung“ einer prototypischen gesellschaftlichen Situation, wie einer Abendeinladung; hier kommen dann Fertigkeiten wie das „Tafel-Arrangement“, die Technik des Tranchierens, Verhalten bei Spielen (Kartenspiel, Billard) und die Unterhaltung durch Kunstfertigkeiten zur Sprache [2. Abschnitt, Kapitel 6–10].
Für die hier angesprochene Dissonanzproblematik ist besonders der 3. Abschnitt des Buches [Kap. 11–17] ergiebig, denn nun geht es um den Umgang mit „verschiedenen Menschenklassen im Allgemeinen, in steter Berücksichtigung der mancherlei Verhältnisse“. U.a. werden dabei folgende potentiell krisenhaften Abstimmungen zwischen Beteiligten einschlägiger Interaktionen ins Auge gefasst: das Benehmen gegenüber Frauenzimmern, das heikle Verhalten bei der Applikation von Handküssen, die Auswahl von Menschen, mit denen man sich (nicht) umgeben soll, das problemorientierte Verhalten zwischen Schuldnern und Gläubigern und die Behandlung von Untergebenen.
Generell gründet sich das Idealbild eines Menschen „von echtem Anstand, gutem Ton und feiner Sitte“ auf Geistesbildung und bestimmten Grundtugenden (Bescheidenheit, Freundlichkeit […], Billigkeit […] und Wahrheitsliebe: S. 92ff.) die dann zu einer „gesetzten Denkungsart“ (S. 96) und einem ungezwungenen (natürlichen) Verhalten führen, das dazu befähigt, auch mit dissonantem Verhalten (Abgeschmacktheit, linkisches Wesen, Unverschämtheit) fertig zu werden, ohne die höherwertigen „Vorschriften der Wohlanständigkeit“ aufzugeben.6 In der Praxis des (ständisch gegliederten) Alltags ist jedoch diese harmonistische Konzeptionharmonistische Konzeption durch Rücksichten auf besondere Umstände zu modifizieren (S. 230f.):
Ein artiges und höfliches Betragen wird zwar jeder gesittete Mensch stets gegen einen Andern beobachten; er hat aber auch zugleich, gewisse Rücksichten auf das Alter und den Stand der Person, mit welcher er es zu thun hat und auf die unter ihnen gegenseitig bestehenden Verhältnisse zu nehmen. Aufmerksamer, zuvorkommender und submisser wird er in der Wahl seiner Ausdrücke, sogar in der Haltung des Körpers, gegen einen hohen Vorgesetzten, als gegen Seinesgleichen, vertraute Freunde und gute Bekannte, ganz anders gegen diese, als gegen Unbekannte, oder gegen Niedere und Untergebene seyn.
Zum Exempel:
Weit gegründetere Ansprüche auf Achtung und nachgiebige Bescheidenheit hat das, unter Erfahrungen aller Art, mit Ehren ergraute Haar des Alters, als der, die kostbarsten Wohlgerüche verduftende Lockenkopf einer vorlauten, gern alles meisternden Jugend. – Es gibt sogar gewisse Stände in der bürgerlichen Gesellschaft: z.B. alte Militäre, Seefahrer, Personen in früheren Hofdiensten und im Lehrfache ergraute Philologen, die im Allgemeinen, mit einer ganz eigenen Schmiegsamkeit in ihre Denkungsart und angenommene Lebensweise behandelt seyn müsssen, was bei Letzteren besonders durch jenen, bisweilen von Kindheit an genährten Glauben, an die Infallibität [Untrüglichkeit, D.Ch.] ihrer Kathederweisheit, noch um vieles vermehrt wird.
Modifizierende Anpassungen also ja, aber nicht um jeden Preis: Im Falle krasser Differenzen können Zumutungen an die „Contenance“ durchaus deutlich markiert und energisch abgewehrt werden:
Nicht weniger Vorsicht zur Vermeidung unangenehmer Reibungen, heischt das Benehmen gegen Künstler überhaupt, besonders Schauspieler, gegen abstracte Stubengelehrte und nur von sich selbst anerkannte Schöngeister, ganz vorzüglich aber gegen die Kaste der Recensenten und Kritiker von Profession, die, wie in Falten versteckte Wanzen, überall juckende Blasen beißen und nach Verdienst abgefertigt, noch aus Rache wenigstens – stinken.
Und anderer Stelle wird der Verfasser noch deutlicher:
Welch ein unaussprechlich süßer Genuß muss es für einen sellbständigen, sich seiner Vorzüge bewußten, independenten und edlen Mann seyn, ein solches Klotz [hier: einen ungebildeten Parvenu] durchaus in keinem Falle, nach einem anderen Maßstabe, als dem seines eigenen Benehmens zu behandeln und ihm dadurch den thörichten Irrthum seiner Voraussetzung, mit männlicher Energie radicaliter zu benehmen, ohne dabei die Grenzen des, nie außer Augen zu setzenden Anstandes zu überschreiten (S. 235).
Wen würde es auf dem Hintergrund solcher Reflexionen und Beispiele nicht reizen, literarische Darstellungen wie die Beschreibung des Verlaufs der heterogen zusammengesetzten Abendgesellschaft und ihrer Plaudereien in Fontanes „Frau Jenny Treibel“ (1892) neu zu lesen?
Literatur
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Cherubim, Dieter (1999). Aggressive Höflichkeit. In: Eggers, Eckhard u.a. (Hrsg.) Florilegium Linguisticum. Festschrift für Wolfgang P. Schmid zum 70. Geburtstag. Frankfurt am Main etc.: Peter Lang, 35–54.
Cherubim, Dieter (2009). Höflichkeitsbalancen. Am Material literarischer Dialoge. In: Ehrhardt/Neuland (2009), 97–113.
Cherubim, Dieter (2011). Höflichkeitskonstruktionen. Der Deutschunterricht 2/2011, 2–12.
Cherubim, Dieter (2016). Historische Sprachvariation: Das Werden der Sprache im Sprachgebrauch. Sprachreport 32/3, 24–33.
Ehrhardt, Claus/Neuland, Eva (Hrsg.) (2009). Sprachliche Höflichkeit in interkultureller Kommunikation und im DaF-Unterricht. Frankfurt am Main: Peter Lang.
Gerdes, Joachim (2011). Konzeptionelle Unhöflichkeit – Loben und Kritisieren in der deutschen Jugendsprache. In: Ehrhardt, Claus/Neuland;Eva/Yamashita,Hitoasi (Hrsg.) Sprachliche Höflichkeit zwischen Etikette und kommunikativer Kompetenz. Frankfurt am Main: Peter Lang, 175–188.
Haase, Martin (2004). Die Grammatikalisierung von Höflichkeit. In: Der Deutschunterricht 5/2004, 60–69.
Heringer, Hans-Jürgen (2009). Duzen und Siezen revisited. In: Ehrhardt/Neuland (2009), 61–75.
Krumrey, Volker (1984). Entwicklungsstrukturen von Verhaltenstandarden. Eine soziologische Prozessanalyse auf der Grundlage deutscher Anstands- und Manierenbücher von 1870–1970. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
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Lindorfer, Bettina (2009). Zur europäischen Geschichte des höflichen Sprechens: Von der mittelalterlichen Didaxe zur Stilisierung des höflichen Umgangs in der Renaissance. In: Ehrhardt/Neuland (2009), 27–40.
Linke, Angelika (1996). Sprachkultur und Bürgertum. Zur Mentalitätsgeschichte des 19. Jahrhunderts. Stuttgart, Weimar: Metzler.
Ljungerud, Ivar (1979): Der deutsche Anredestil. Moderna språk 73, 353–379.
Objartel, Georg (2016): Sprache und Lebensform deutscher Studenten im 18. und 19. Jahrhundert. Aufsätze und Dokumente. Berlin, Boston: De Gruyter.
Roeber, Urs/Bernsmeier, Uta (Hrsg.) (2009): Manieren. Geschichten von Anstand und Sitte aus sieben Jahrhunderten […]. Berlin, Heidelberg: Braus.
Zehetner, Ludwig (1985): Das bairische Dialektbuch […]. München: Beck.
Verbale Höflichkeit in der Übersetzung
Literarische Beispiele aus dem 19. Jahrhundert
Heinz-Helmut Lüger
Verbal politeness normally entails certain aspects of relationship handling. A communicative exchange requires not only anticipation of the constellations between the partners involved, but also strategies in order to influence or to make clear the image of the interlocutors. The contribution deals with fundamental functions of face-work and seeks to illustrate this through literary dialogues taken from novels of Theodor Fontane. The analysis focusses, above all, on problems that may arise from translations into French, and offers information on how polite behaviour is influenced by social and cultural factors during the period in question.
1. Theodor Fontane als Sprachvirtuose
Die Übersetzung literarischer Texte erfordert in der Regel mehr als nur eine wortgetreue Übertragung von Ausgangstexten. Dies gilt vor allem dann, wenn sich die gegebenen Äußerungen nicht auf einen reinen Informationstransfer beschränken lassen, sondern auch Merkmale emotionaler Befindlichkeit, sozialer und regionaler Herkunft oder altersmäßiger Gruppenzugehörigkeit aufweisen. Weitere Schwierigkeiten können sich insofern ergeben, als bestimmte sprachstilistische Besonderheiten oder Verweise auf kulturspezifische Realien eine entsprechende Wiedergabe in der Zielsprache erschweren bzw. ausschließen. Übersetzen geht also meist über ein einfaches Umkodieren hinaus, im Falle literarischer Texte dürfte dies sogar die Regel sein. Es kann im wesentlichen nur darum gehen, zwischen ausgangs- und zielsprachlichen Äußerungen jeweils eine Art kommunikativer Gleichwertigkeit herzustellen, und zwar auf der Ebene der betreffenden Texte insgesamt (und nicht auf der Ebene der sprachlichen Mittel). Wichtig ist dabei, das soziale und kulturelle Umfeld, in dem ein Text erstellt wurde, und die Bedingungen, unter denen sprachlich gehandelt wird, von vornherein mitzureflektieren und auf diese Weise eine – wie Coseriu (1981: 43) es schlagwortartig nennt – „Invarianz des Textinhalts“ anzustreben.1
Mit Blick auf Theodor Fontane erhalten diese Bemerkungen zusätzliches Gewicht, da es sich hier um einen Autor handelt, für den die Thematisierung von Sprache und Sprachverhalten eine zentrale Rolle spielt. Dies gilt ebenfalls für seine Romane. Ganz generell dienen sprachliche Verhaltensweisen sowohl der Charakterisierung einzelner Protagonisten als auch der Darstellung und Abgrenzung verschiedener gesellschaftlicher Milieus, als Zeichen für Kultiviertheit, Bildung, Kreativität oder aber als Indiz für Überheblichkeit und peinliche Niveaulosigkeit. Einige Figuren sind mit einer markanten Sensibilität für Sprachliches ausgestattet. Nicht selten werden Handlungsabläufe unterbrochen, um metakommunikativen Kommentaren mit Problematisierungen des sprachlichen Ausdrucks Raum zu geben. Sprache und Stil rücken somit nicht nur in der Figurenrede, sondern ebenso im Erzählertext immer wieder in den Vordergrund.2
Fontane gehört bekanntlich zu den Autoren, die sich um eine starke Annäherung an den alltäglichen Sprachgebrauch bemühen. Dies zeigt sich vor allem in den gesprochenen Passagen der Protagonisten, wo z.B. mit dialektalen Ausdrücken, Registerwechseln oder mit verschiedenen syntaktischen Mitteln ein möglichst realistisches, d.h. zeit-, schicht- und situationsspezifisches Bild vom mündlichen Sprachverhalten erzeugt werden soll. Das Gespräch wird gleichsam, so Preisendanz (1984: 473), zum „beherrschenden Medium der Wirklichkeitsmodellierung“. Trotz eines solchen Bestrebens bleibt jedoch festzuhalten: Die in den Romanen vorgestellte Mündlichkeit ist immer nur eine fingierte bzw. simulierte. Eine auch nur annähernd komplette Wiedergabe alltagsweltlicher Gesprächsstrukturen (etwa mit simultanem Sprechem, Rückmeldepartikeln oder Selbst- und Fremdkorrekturen) würde für literarische Texte als unangemessen gelten; andererseits schafft die zugrundeliegende fiktionale Bezugswelt auch Freiräume für Verbalisierungsmöglichkeiten jenseits zweckrationaler Handlungsbedingungen.
In diesem Rahmen ist nun ebenfalls der Ausdruck sprachlicher Höflichkeit anzusiedeln. Wie bringen die Kommunikationsbeteiligten ihre Beziehung zueinander zum Ausdruck, wie regulieren sie diesbezügliche Veränderungen? In welcher Form wird wechselseitige Respektbezeugung signalisiert? Welche Verfahren kommen in Frage, um Gesichts- oder Imagebedrohungen zu vermeiden oder abzumildern, wie wird auf Gesichtsverletzungen reagiert? Mit welchen Mitteln lassen sich Erwartungen an das Partnerimage bestätigen, wie können Sprecher das Gewähren von Freiraum und Distanz bestätigen oder einschränken?3 Für all diese Fragen und den Einsatz von Höflichkeitsstrategien kommen in den Fontane-Romanen vor allem die folgenden Bereiche in Betracht (vgl. Abb. 1):
Abb. 1: Simulierte Mündlichkeit und Bereiche verbaler Höflichkeit
1 SprechstileMit dem Einsatz dialektaler Elemente und der Kontrastierung zum Hochdeutschen wird nicht nur Lokalkolorit vermittelt; oft handelt es sich auch um ein Verfahren zur Herstellung kommunikativer Nähe, zur Markierung von Schichtzugehörigkeit, von Überlegenheit oder Unterlegenheit. Ebenso kann der Rückgriff auf vorgeprägtes Sprachgut, auf floskelhafte Ausdrücke unter bestimmten Bedingungen einen Imageverlust oder eine soziale Herabstufung zur Folge haben.
2 Dissens-RegulierungEin geradezu privilegiertes Feld höflichkeitsrelevanter Kommunikation stellt die Aushandlung kontroverser Positionen dar; hier ist die Beziehung zwischen den Partnern fast immer mit im Spiel, ein Umstand, der im allgemeinen das Vorkommen abschwächender oder zurückweisender Maßnahmen zum Schutz des positiven Gesichts wahrscheinlich macht. Beispiele für den entgegengesetzten Fall der Selbstdemontage sind seltener.
3 Phraseme, ZitateFontane gilt nicht zuletzt als ein Meister der kreativen Verwendung phraseologischer Ausdrucksmittel: Auf diese Weise lassen sich z.B. bestimmte Romanfiguren – besonders im Falle von Modifikationen oder anspielungsreich in die Rede eingefügter Zitate und geflügelter Worte – leicht als originell, literarisch gebildet und gesellschaftlich hochgestellt charakterisieren.
4 Fremdsprachen-EinsatzAuch das Vorkommen fremdsprachlicher Elemente ist alles andere als zufällig, vielfach ist es ebenfalls ein Signal der Status-Differenzierung. So deutet der Rückgriff auf französische Wortverbindungen in der Regel darauf hin, einen Sprecher als dem Bildungsbürgertum oder dem Adel zugehörig auszuweisen bzw. ihm den elitären Konversationston der Salons zuzuschreiben; dagegen steht das Englische eher für das Aufkommen einer neuen, modernen Zeit.
Alle genannten Merkmale, darauf sei noch hingewiesen, sind in ihrer textuellen Funktion abhängig von der konkreten „Dosierung“ und von ihrer kommunikativen Einbettung. Insofern können sie Höflichkeitseffekte jeweils verstärken oder abschwächen, die Protagonisten aufwerten, als normenkonform präsentieren oder unter Umständen auch der Lächerlichkeit preisgeben.
2. Höflichkeit und Übersetzbarkeit
Wie eingangs bereits angedeutet, beschränkt sich das Bedeutungspotential sprachlicher Äußerungen längst nicht immer nur auf die Ausführung einer einzigen sprachlichen Handlung. Selbst bei vermeintlich unprätentiösen Aussagen schwingen nicht selten Momente der Selbstdarstellung oder Impulse der Beziehungsgestaltung mit. Sandig (1978) spricht in dem Zusammenhang von ‚Zusatzhandlungen‘:
„Zusatzhandlungen können als weitere, aber nicht konstitutive Teile den Sprechhandlungen hinzugefügt werden“. (1978: 84)
Was im einzelnen als Haupt- oder Zusatzhandlung gilt, ist eine Frage der Äußerungsinterpretation. Für Übersetzungen stellen Zusatzhandlungen und ihr Bezug zur übergeordneten Handlung eine besondere Herausforderung dar. Dies sei an einem einfachen, von Knapp-Potthoff (1992: 208) übernommenen Sprachmittlungs-Beispiel illustriert:
1 Ehm, tut mir leid, dass ich da drängen muss. Aber ich brauch’s wirklich ganz dringend.
2 He says it’s urgent.
B reduziert als Sprachmittler die Äußerung von A auf den aus seiner Sicht wesentlichen Punkt, die Betonung der Dringlichkeit einer zuvor formulierten Bitte. Dabei fallen mehrere abschwächende, gesichtsschonende Komponenten unter den Tisch: die Verzögerungspartikel (ehm), die Bedauerns-Bekundung (tut mir leid), der akzeptanzstützende Glaubwürdigkeitsappell (brauch’s wirklich ganz dringend). Als Test zur Unterscheidung von Zusatz- und Haupthandlung kann die Umstellprobe dienen. An die obige Äußerung von A anschließend, wäre paraphrasierbar:
,Der Sprecher A insistiert mit seiner Bitte – und bringt außerdem zum Ausdruck, in welchem Maße er diese als dringend bewertet und inwieweit er den Eingriff in die Handlungsfreiheit des Adressaten bedauert.’
Eine umgekehrte Reihenfolge wäre kaum denkbar, die Bewertung der Bitte und die Signalisierung des Bedauerns sind als Zusatzhandlungen hier eindeutig nachgeordnet.
Bei der Übertragung in eine Zielsprache ergibt sich oft das Problem, Formulierungen finden zu müssen, die nicht nur als als Wiedergabe der Haupthandlung, sondern auch als adäquate Entsprechung der Zusatzhandlung(en) gelten können. Dies ist bekanntlich in vielen Fällen nur schwer oder gar nicht möglich. Dieser Gedanke soll nun anhand literarischer Auszüge weiter vertieft und veranschaulicht werden. Alle Belege sind dabei den Fontane-Romanen Irrungen, Wirrungen (1888) und Frau Jenny Treibel oder „Wo sich Herz zum Herzen find’t“ (1892) entnommen.1 Der folgende Beleg liefert erste Hinweise auf die in dieser Hinsicht möglichen Schwierigkeiten:
(1) | (a) [Frau Nimptsch:] Und nu rücken Sie ’ran hier, liebe Frau Dörr, oder lieber da drüben auf die Hutsche … […] (Irrungen, Wirrungen I, 5) | (b) [madame Nimptsch :] Bon, et maintenant approchez-vous donc, ma chère madame Dörr, ou plutôt non : mettez-vous là-bas sur le tabouret5. […] (Errements et tourments I, 62) |
Ohne Frage handelt es sich in (1) um eine vertrauensvolle Bitte, nämlich um die Einladung an eine Gesprächspartnerin, umstandslos und direkt neben der Sprecherin Platz zu nehmen. Beiden Redebeiträgen kann man also das allgemeine Handlungsmuster Aufforderung zuordnen:
Abb. 2a: Zuschreibung eines gemeinsamen Handlungsmusters
Doch weisen die Äußerungen auch Unterschiede auf. So wird in (1a) eine nähesprachliche Formulierung gewählt, die mit den mündlichen Kurzformen nu, ’ran und dem dialektalen Hutsche (‚kleine Fußbank‘, ‚Schemel‘) ein hohes Maß an Vertrautheit und Informalität signalisiert. Im Vergleich dazu erscheint die französische Version deutlich distanzierter: Es fehlen die Mündlichkeitssignale (allenfalls die Partikel donc könnte man als in diese Richtung gehend auffassen), das direktive « et maintenant approchez-vous » drückt eher Formalität aus als „nu rücken Sie ’ran hier“, die Negation in « ou plutôt non : mettez-vous là-bas » hat im Ausgangstext keine Entsprechung, der Berlinismus Hutsche ist nicht übersetzbar und wird mit dem standardsprachlichen, nicht ganz äquivalenten Lexem tabouret (‚Hocker‘) wiedergegeben und außerdem um eine erklärende Fußnote ergänzt.
Abb. 2b: Zentrales Handlungsmuster und höflichkeitsspezifische Zusatzhandlungen
Es gibt hier also Zusatzhandlungen, die verschiedenen Ebenen zuzuordnen sind (Abb. 2b): Mit der Verwendung des Berlinismus wird z.B. auf der Ebene der Selbstdarstellung eine regionale und soziale Markierung vorgenommen. Darüber hinaus zeigt die Art der Diktion bezüglich der Beziehungsgestaltung ein Bemühen um kommunikative Nähe, wobei der deutsche Ausgangstext dies stärker betont als die französische Übersetzung; letzteres gilt ebenso für die Ebene der Kommunikationsmodalität, wo die etablierte vertraute Informalität in der deutschen Fassung wiederum deutlicher ausfällt. Hinsichtlich der ablaufregulierenden Funktion, der Textorganisation, kann man die zitierte Äußerung als Eröffnung, als Anbahnung eines längeren vertrauten Gesprächs betrachten.
Wie oben skizziert, ist die Art der Herstellung von Informalität und von kommunikativer Nähe sowie insgesamt die Modulierung der direktiven sprachlichen Handlung durch Zusatzhandlungen an dieser Stelle kennzeichnend für die Imagearbeit und für die Signalisierung höflicher Kommunikationsgestaltung. Und in der Hinsicht ergeben sich bei der Übertragung in eine andere Sprache mehr oder weniger zwangsläufig oft Divergenzen (vgl. in Abb. 2b die schattierten Felder, für die in der Übersetzung Reduktionen auftreten). Diese Beobachtung sei im Folgenden anhand weiterer Beispiele präzisiert.