Читать книгу: «Qualitative Medienforschung», страница 9

Шрифт:

Fazit

Die neueren Medienentwicklungen zeigen, dass der Mensch in der medialen Kommunikation nicht nur immer weiter in den Hintergrund tritt. Vielmehr lässt sich eine Verschränkung von Big Data und Post- bzw. Transhumanismus (vgl. Sanders 2016) konstatieren, die mit einer Immaterialisierung der Zeichen von den Körpern begann. Wer redet, redet zu anwesenden Personen. Mit der Schrift löst sich nicht nur der zeitliche und räumliche Konnex auf – auch der Adressat (insbesondere der der Massenmedien) wird zu einem unbestimmten, gedachten Publikum, das durch das Medium erst hergestellt wird. Und wenn in den Computernetzen Daten erzeugt, übertragen und gespeichert werden, bleiben die menschlichen Sinne bei der Decodierung der Medien außen vor, weil sie nicht formatkompatibel sind. Die Daten zirkulieren nicht-materiell (im Sinne des Datentransports) und gesteuert von Algorithmen, die für die menschlichen Mediennutzer in der Regel nicht durchschaubar, geschweige denn beherrschbar sind. Das Verhältnis von Mensch und Medien wird offensichtlich zunehmend komplexer.

Literatur

Baacke, D. (1994): Die Medien. In: Lenzen, Dieter (Hrsg.): Erziehungswissenschaft. Ein Grundkurs. Reinbek, S. 314–339.

Baacke, Dieter (Hrsg.) (1973): Mediendidaktische Modelle: Fernsehen. München.

Baacke, Dieter (1997): Massenmedien. In: Hüther, Jürgen/Schorb, Bernd/Brehm-Klotz, Christiane (Hrsg.): Grundbegriffe der Medienpädagogik. Ein Wörterbuch für Studium und Praxis. München, S. 205–209.

Baltes, Martin/Böhler, Fritz/Höltschl, Rainer/Reuss, Jürgen (Hrsg.) (1997): Medien verstehen. Der McLuhan-Reader. Mannheim.

Bentele, Günter/Beck, Klaus (1994): Information – Kommunikation – Massenkommunikation. In: Jarren, Otfried (Hrsg.): Medien und Journalismus 1. Opladen, S. 18–50.

Bolz, Norbert 1993: Am Ende der Gutenberg-Galaxis. Die neuen Kommunikationsverhältnisse. München.

Burkart, Roland (2002): Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder, 4. Auflage. Wien u. a.

Coy, Wolfgang (1994): Aus der Vorgeschichte des Mediums Computer. In: Bolz, Norbert/Kittler, Friedrich, A./ Tholen, Christoph (Hrsg.): Computer als Medium. München.

Faßler, Manfred (2000): State of Art der Forschungen im Bereich der Medien- und Kommunikationssoziologie. Soviel Medien waren nie. Quo vadis Mediensoziologie und Kommunikationssoziologie? (1). URL://www.cyberpoiesis.net/d_1th_index1.html [18.8.2004].

Faulstich, Werner (1991): Medientheorien. Einführung und Überblick. Göttingen.

Flechtner, Hans-Joachim (1966): Grundbegriffe der Kybernetik. Stuttgart.

Grampp, Sven (2006): »McLuhmann. Niklas Luhmanns Systemtheorie und die Realität der Medien«. In: MEDIENwissenschaft, 2006, 3, S. 260–276.

Halbach, Wulf, R./Faßler, Manfred (1998): Einleitung in eine Mediengeschichte. In: Dies. (Hrsg.): Geschichte der Medien. München, S. 17–53.

Hiebel, Hans H./Hiebler, Heinz/Kogler, Karl/Walisch, Herwig (1999): Große Medienchronik. München.

Hiegemann, Susanne/Swoboda, Wolfgang H. (Hrsg.) (1994): Handbuch der Medienpädagogik. Theorieansätze – Traditionen – Praxisfelder – Forschungsperspektiven. Opladen.

Höflich, Joachim R. (1994): Der Computer als »interaktives Massenmedium«. Zum Beitrag des Uses and Gratifications-Approach bei der Untersuchung computer-vermittelter Kommunikation. In: Publizistik, 39. Jg., H. 4, S. 389–408.

Höflich, Joachim R. (1995): Vom dispersen Publikum zu »elektronischen Gemeinschaften«. Plädoyer für einen erweiterten kommunikationswissenschaftlichen Blickwinkel. In: Rundfunk und Fernsehen, 43. Jg., H. 4, S. 518–537.

Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W. (1969) (orig. 1944): Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug. In: Dies.: Dialektik der Aufklärung. Frankfurt a. M., S. 108–150.

Hörning, Karl H. (1989): Vom Umgang mit den Dingen – eine techniksoziologische Zuspitzung. In: Weingarten, Rüdiger (Hrsg.): Die Verkabelung der Sprache: Grenzen der Technisierung der Kommunikation. Frankfurt.

Kausch, Michael (1988): Kulturindustrie und Populärkultur. Kritische Theorie der Massenmedien. Frankfurt.

Kittler, Friedrich A. (1989): Die künstliche Intelligenz des Weltkriegs: Alan Turing. In: Kittler, F.A./Tholen, Georg Christoph (Hrsg.): Arsenale der Seele. München.

Kittler, Friedrich A. (1993): Geschichte der Kommunikationsmedien. In: Huber, Jörg/Müller, Alois Martin (Hrsg.): Raum und Verfahren. Interventionen 2. Basel/Frankfurt, S. 169–188.

Kloock, Daniela/Spahr, Angela (Hrsg.) (2000): Medientheorien. Eine Einführung. München.

Kubicek, Herbert/Schmid, Ulrich (1996): Alltagsorientierte Informationssysteme als Medieninnovation. Konzeptionelle Überlegungen zur Erklärung der Schwierigkeiten, »Neue Medien« und »Multimedia« zu etablieren. URL://www.fgtk.informatik.uni-bremen.de/website/deutsch/downloads/Medieninnovation/Medieninnovation_fn.html [18.8.2004].

Kubicek, Herbert/Schmid, Ulrich/Wagner, Heiderose (1997): Bürgerinformation durch neue Medien? Opladen.

Kübler, Hans-Dieter (2003): Kommunikation und Medien. Eine Einführung. Münster.

Ludes, Peter (1998): Einführung in die Medienwissenschaft. Entwicklungen und Theorien. Berlin.

Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme. Grundrisse einer allgemeinen Theorie. Frankfurt.

Luhmann, Niklas (1995): Wie ist Bewußtsein an Kommunikation beteiligt? In: Ders.: Soziologische Aufklärung 6: Die Soziologie und der Mensch. Opladen, S. 37–54.

Luhmann, Niklas (1996): Die Realität der Massenmedien. Opladen.

Maletzke, Gerhard (Hrsg.) (1963): Psychologie der Massenkommunikation. Theorie und Systematik. Hamburg.

McLuhan, Marshall (1968; amerik. OA 1964): Die magischen Kanäle. »Understanding Media«, Düsseldorf/ Wien, S. 71 f.

Meder, Norbert (1995): Multimedia oder McLuhan in neuem Licht. In: GMK-Rundbrief Nr. 37/38, S. 8–18.

Neubauer, Wolfgang/Tulodziecki, Gerhard (1979): Medienpädagogik mit ihren Aspekten: Medienkunde, Mediendidaktik, Medienerziehung, Medienforschung. In: Hagemann, Wilhelm u.a. (Hrsg.): Medienpädagogik. Köln.

Prokop, Dieter (2000): Der Medien-Kapitalismus. Das Lexikon der neuen kritischen Medienforschung. Hamburg.

Prokop, Dieter (2001): Der Kampf um die Medien. Das Geschichtsbuch der neuen kritischen Medienforschung. Hamburg.

Pross, Harry (1972): Medienforschung. Darmstadt.

Rammert, Werner (1993): Materiell – Immateriell – Medial: Die verschlungenen Bande zwischen Technik und Alltagsleben. In: Ders.: Technik aus soziologischer Perspektive. Opladen, S. 291–308.

Sanders, Olaf (2016): Zur Transformation von Körperbildern durch Posthumanismus und Big Data am Beispiel der Filme Her und Transcendence. In: Dallmann, Christine/ Hartung, Anja/ Vollbrecht, Ralf (Hrsg.): Körpergeschichten. Baden-Baden (im Erscheinen).

Saxer, Ulrich (1975): Das Buch in der Medienkonkurrenz. In: Göpfert, Herbert G./Meyer, Ruth/Muth, Ludwig/Rüegg, Walter (Hrsg.): Lesen und Schreiben. Frankfurt, S. 206–245.

Saxer, Ulrich (1998): Mediengesellschaft. Verständnisse und Missverständnisse. In: Sarcinelli, Ulrich (Hrsg.): Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft. Beiträge zur politischen Kommunikationskultur. Opladen, S. 52–73.

Schanze, Helmut (1976): Zum Begriff des Mediums. In: Knoll, Joachim H./Hüther, Jürgen (Hrsg.): Medienpädagogik. München, S. 25–36.

Schill, Wolfgang/Tulodziecki, Gerhard/Wagner, Wolf-Rüdiger (Hrsg.) (1992): Medienpädagogisches Handeln in der Schule. Ein Handbuch. Opladen.

Schmidt, Siegfried J./Zurstiege, Guido (2000): Orientierung Kommunikationswissenschaft. Reinbek.

Schulz, Winfried (1974): Bedeutungsvermittlung durch Massenkommunikation. Grundgedanken zu einer analytischen Theorie der Medien. In: Publizistik, 19. Jg., H. 2, S. 148–164.

Shannon, Claude E./Weaver, Warren (1949): The Mathematical Theory of Communication. Urbana.

Vollbrecht, Ralf (2001): Einführung in die Medienpädagogik. Weinheim/Basel.

Weibel, Peter (1990): Vom Verschwinden der Ferne: Telekommunikation und Kunst. In: Decker, Edith/Weibel, Peter (Hrsg.): Vom Verschwinden der Ferne. Köln, S. 19–77.

Wokittel, Horst (1994): Medienbegriff und Medienbewertungen in der pädagogischen Theoriegeschichte. In: Hiegemann, Susanne/Swoboda, Wolfgang H. (Hrsg.): Handbuch der Medienpädagogik. Theorieansätze – Traditionen – Praxisfelder – Forschungsperspektiven. Opladen, S. 25–36.

2.1 Theoretischer Hintergrund qualitativer Medienforschung

Wissenssoziologische Verfahren der Bildinterpretation
JO REICHERTZ

Der Artikel gibt zunächst einen Überblick über die methodischen und theoretischen Prämissen der hermeneutischen Wissenssoziologie, um dann die wichtigen Elemente des methodischen Vorgehens zu erläutern. Anhand der Interpretation eines Fotos (Homepage der österreichischen Beraterfirma Neuwaldegg) wird abschließend nicht nur gezeigt, wie eine solche Analyse im Einzelnen vonstattengeht, sondern auch, welche Gewinne sich erzielen lassen, wenn man dieses Verfahren für zeitdiagnostische Fragestellungen nutzt.

Methodisch-methodologische Einordnung

Die hermeneutische Wissenssoziologie, anfangs auch »Sozialwissenschaftliche Hermeneutik« genannt, ist eine wissenssoziologisch arbeitende und hermeneutisch die Daten analysierende Forschungsperspektive innerhalb der qualitativen/ rekonstruktiven Sozialforschung. Sie hat zum Ziel, die gesellschaftliche Bedeutung jeder Form von Interaktion (sprachlicher wie nichtsprachlicher) und aller Arten von Handlungsprodukten (Fotos, Filme, Denkmäler, Bauten etc.) zu (re) konstruieren (Soeffner 1989, Schröer 1994, Hitzler/Reichertz/Schröer 1999, Reichertz/Englert 2011). Die hermeneutische Wissenssoziologie hat sich in der aktuellen Form zum einen durch die Kritik an der »Metaphysik der Strukturen« der objektiven Hermeneutik, zum anderen durch die Auseinandersetzung mit der sozialphänomenologischen Forschungstradition (Berger/Luckmann 1977) herausgebildet und verortet sich in den letzten Jahren zunehmend als Teil eines kommunikativen Konstruktivismus (Reichertz 2009, Keller/Knoblauch/Reichertz 2012). Methodisch verbindet sie bei der Bildinterpretation Sequenzanalyse (→ Korte, S. 432 ff.) und Grounded Theory (Strauss 1991; → Lampert, S. 596 ff.).

Prämissen einer wissenssoziologischen Interpretation von Bildern
Bild und Bildtext

Bilder aller Art sind in gewisser Weise optische Sinfonien. Denn beim Betrachten von stehenden und bewegten Bildern (und natürlich auch bei technisch erzeugten Grafiken) trifft eine Vielzahl von Tönen gleichzeitig beim Betrachter ein. Insofern ist das Ansehen eines Fotos nur ein besonderer Fall visueller Wahrnehmung, und diese löst (ähnlich wie die Wahrnehmung von Gerüchen, Berührung, Wärme etc.) direkte Körperreaktionen aus, ohne dass die Wahrnehmung in einen Text umgewandelt werden muss. Bilder deuten kann man jedoch nur, soll zumindest eine gewisse Nachvollziehbarkeit und damit eine Überprüfbarkeit geschaffen werden, wenn man den Wahrnehmungsprozess einerseits systematisiert und andererseits den mit der Bildbetrachtung in Gang gesetzten Prozess der Sinnzuschreibung fixiert. Protokolliert man also die Wahrnehmung des Bildes, produziert man erst einmal einen Text. Und dieser Text hat notwendigerweise immer eine andere Ordnung als das Bild und deshalb auch immer eine andere Wirkung.

Ein Bild und der Protokolltext des wahrnehmenden Zugriffs auf dieses Bild unterscheiden sich strukturell. Zwar sind sowohl Bild als auch Text fixiert und damit der analytischen Arbeit beliebiger Rezipienten immer wieder verfügbar, Bild und Text sind also nicht so unaufhebbar flüchtig wie das Leben in der Welt, doch bleibt das Bild eine Sinfonie und der Text eine Reihe von sequenziell geordneten, nach den Regeln der Grammatik, Semantik und Pragmatik einer Gesellschaft ausgewählten Wörtern. Der Text zerstört unwiederbringlich die Gleichzeitigkeit des Eindrucks und schafft eine neue Ordnung des Nacheinanders, des sequenziellen Geordnetseins.

Auch wenn man einräumt, dass Bilder zeichenhaft sind, also mit den allgemeinen Regeln der gesellschaftlichen Bedeutungskonstitution arbeiten, können nur ausgemachte Optimisten unterstellen, die Bildbedeutung ließe sich identisch auf einen Bildtext abbilden. Deshalb gibt es für die Analyse von Bildern nicht nur ein Problem der Beschreibbarkeit, sondern es ist zudem zentral (siehe vor allem Müller/Raab/Soeffner 2014, auch Reichertz 2014).

Die (hermeneutische) Interpretation von Fotos (und Filmen) hat in Deutschland nach einem zögerlichen Beginn in den 1990er Jahren (Oevermann 1979, 1983, Englisch 1991; Haupert 1992; Loer 1992, Reichertz 1992, 1994, 2000) in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung erlebt – weshalb manche von einem pictorial turn sprechen (Schade/Wenk 2011). Eine Fülle von Bildinterpretationsverfahren haben sich im deutschsprachigen Raum entwickelt: Einen guten Überblick über die Entwicklung und die einzelnen Verfahren findet sich in Netzwerk Bildphilosophie 2014. Zudem macht eine Reihe von Sammelbänden das Vorgehen und die Reichweite der einzelnen Verfahren sichtbar: Marotzki & Niesyto 2012, Lucht/Schmidt/Tuma 2013, Kauppert/Leser 2014, Przyborski/Haller 2014 und Eberle 2016. Konsens herrscht darüber, dass die Interpretation und Transkription von stehenden Bildern sich kategorial von der Interpretation und Transkription laufender Bilder unterscheidet (Corsten/Krug/Moritz 2010). Elaborierte qualitative und sozialwissenschaftliche Methoden und Methodologien zur Bildinterpretation sind bislang vor allem von der Rekonstruktiven Sozialforschung (Bohnsack 2001, 2005, 2009, Bohnsack/Michel/Przyborski 2015), der objektiven Hermeneutik (Oevermann 2014, Loer 1992, 1996, 2010, Wienke 2001, Kraimer 2014) und der hermeneutischen Wissenssoziologie (Soeffner 2000, Kurt 2008, Raab 2008, Reichertz 2000, 2010; Reichertz/Englert 2011, Reichertz/ Wilz 2016), die figurative Hermeneutik (Müller 2012) und der Segmentanalyse (Breckner 2010) vorgelegt worden.

Bild und Bildbedeutung

Bilder bedeuten etwas. Allerdings bedeuten sie nicht immer dasselbe. Die Bedeutung eines Bildes hängt nämlich davon ab, welche Frage man an das Bild stellt. Geht es (so eine Frage) um die Ermittlung der Intention des oder der Produzenten des Bildes, also um das, was einzelne Macher bewusst mit der Gestaltung eines Bildes erreichen wollten? Oder soll angezielt werden, die notwendigerweise singuläre und subjektive Zuschreibung von Bedeutung im Moment der Rezeption zu ermitteln, also das zu bestimmen, was im Augenblick der Aneignung im Bewusstsein des Rezipienten geschieht? Oder will man gar – dem Programm der Cultural Studies folgend (vgl. hierzu Bromley u. a. 1999 und Hall 1999; eine interessante, nicht nur von den Cultural Studies inspirierte Einführung in die Filmanalyse liegt mit Mikos 2015 vor) – den kommunikativen und interaktiven Umgang mit Bildern, also deren Aneignung und weitere Verwendung?

Die ersten beiden, im Kern subjektiven und von der individuellen und sozialen Biographie geformten Bedeutungsvorstellungen sind soziologisch von geringem Belang und zudem nicht zugänglich. Deshalb fallen sie hier als Zielpunkte der Analyse aus. Auch soll hier unter Bildanalyse nicht die Suche nach der dritten Bedeutung verstanden werden, also dem sozialen Umgang mit Bildern und der in der kommunikativen Aneignung erschaffenen Bedeutung, die durchaus soziologisch relevant und mittels Ethnographien prinzipiell ermittelbar ist. Weil diese Art der Bedeutungsermittlung ihre Daten außerhalb des Bildes sucht, gehört sie nicht mehr zur Bildanalyse. Insgesamt bleibt hier die Abnehmerseite eines Bildes, also die Ermittlung der Aneignung von Bedeutung in konkreten Kommunikationssituationen, außen vor.

Die wissenssoziologische Bildanalyse im engen Sinne fragt nun nach der in Bildern aller Art eingelassenen gesellschaftlichen Bedeutung.

Zur Methode einer hermeneutischen Wissenssoziologie
Gezeigte Handlung versus Handlung des Zeigens

Das hier vorgestellte Datenanalyseverfahren ist die hermeneutische Wissenssoziologie (allgemein hierzu Hitzler/Reichertz/Schröer 1999; Soeffner 1989 und Schröer 1994). Die hermeneutische Wissenssoziologie soll sinnstrukturierte Produkte menschlichen Handelns auf ihre Handlungsbedeutung hin auslegen und ist als solche in der Lage, sowohl Texte als auch Bilder, Grafiken und Fotos jeder Art auszulegen.

Die hermeneutische Wissenssoziologie interpretiert dabei ausschließlich Handlungen, also auch Sprech- und Darstellungshandlungen. Bei der Analyse von Bildern, (digitalisierten) Fotos, Filmen und Grafiken ergibt sich allerdings die Frage, welches Handeln überhaupt Gegenstand der Untersuchung sein soll. Hier gilt ganz allgemein – und dies im Anschluss an Peters 1980 und Opl 1990 –, zwischen der gezeigten Handlung (also der im Bild gezeigten Handlung) und der Handlung des Zeigens (also der mit dem Bild gezeigten) zu unterscheiden1 (ausführlich hierzu Reichertz/Englert 2011). Mit Ersterem wird das Geschehen bezeichnet, das mithilfe des Bildes aufgezeichnet und somit gezeigt wird, mit Letzterem der Akt der Aufzeichnung, also des Zeigens durch die Gestaltung des Bildes (plus die Gestaltung des von dem Bild Aufgezeichneten). Bild meint hier nicht nur ein Foto, sondern ganz allgemein einen Apparat des Aufzeichnens, Fixierens mit einer darin eingelassenen spezifischen Selektivität.

Zur Handlung des mit der Bildgestaltung Zeigens gehört also vor allem (1) die Wahl des Ortes zur Inszenierung einer Handlung vor der Kamera, (2) die Wahl der Kulissen und des sozialen Settings, (3) die Auswahl und Gestaltung des Bildausschnitts, (4) die Art und das Tempo der Schnittfolge, (5) die Kommentierung des Abgebildeten durch Filter, eingeblendete Grafiken, Texte, Töne oder Musik, (6) die Auswahl und Ausrüstung des Aufzeichnungsgeräts (Kamera) und (7) die Gestaltung der Filmkopie (Format, Qualität).

Alle Handlungen greifen in der Regel auf kulturell erarbeitete Muster und Rahmen (ikonographische Topoi) zurück, weshalb die Handlung des Zeigens sich immer auch auf andere, zeitlich frühere Handlungen des Zeigens bezieht. Da die (impliziten oder expliziten) Entscheidungen über die wesentlichen Elemente der Bildgestaltung zeitlich der Handlung im Bild meist vorangehen bzw. diese dominieren, bildet die Bildgestaltungshandlung den für die (alltägliche und wissenschaftliche) Interpretation dominanten Handlungsrahmen, in dem die Handlung im Bild unauflöslich eingebunden ist.

Allerdings findet sich oft für die Bildgestaltungshandlung bei näherer Betrachtung kein einzelner personaler Akteur, da z. B. im Falle eines Filmes der Regisseur in der Regel nicht für alle Kamerahandlungen zuständig ist. Meist sind (z. B. beim Film) an der Kamerahandlung auch Kameraleute, Maskenbildner, Tontechniker, Kulissenschieber, Ausleuchter, Kabelträger, Kreative, Text- und Songschreiber, betriebseigene Medienforscher u. v. a. m. beteiligt. Das durch Professionsstandards angeleitete Zusammenspiel all dieser Funktionen bringt schlussendlich das zustande, was als Film gesendet wird oder als Bild, Grafik, Werbeanzeige oder Homepage veröffentlicht wird. Wird im Weiteren von dem Autor der Bildgestaltung gesprochen, dann ist immer ein korporierter Akteur (= Summe aller Handlungslogiken, die an der Aufnahme und Gestaltung eines Bildes mitwirken – siehe Reichertz 2016) gemeint.

Stets kommentiert und interpretiert der korporierte Akteur durch die Handlung der Bildgestaltung die Handlung im Bild. Auch der Versuch, mit der Bild-Darstellung nur das wiederzugeben, was den abgebildeten Dingen (scheinbar von Natur aus) anhaftet, ist ein Kommentar, allerdings ein anderer als der, wenn die Kamera z. B. durch Schärfentiefe, Verzerrungen etc. auf sich selbst weist. Im ersten Fall versucht der korporierte Akteur sein Tun und die Bedeutung seiner Handlungslogik zu leugnen bzw. zu vertuschen, im zweiten Fall schiebt er sich zwischen Abgebildetem und Betrachter und bringt sich damit selbst ins Gespräch.

Aus diesem Grunde geht es bei der Analyse von Bilddaten nicht allein um die Rekonstruktion der Bedeutung des gezeigten Geschehens. Bildanalyse kann und darf sich nie auf die Bild-inhaltsanalyse bzw. auf die Analyse der vor der Kamera gesprochenen Worte beschränken, da die Kamerahandlung stets konstitutiver Bestandteil des Films ist. Sie hat sich durch eine Fülle nonverbaler Zeichen in den Film eingeschrieben, sie hat im Film einen bedeutsamen Abdruck hinterlassen. In jeder bildlichen Darstellung von Handlungen finden sich also immer zwei Komplexe von Zeichen: zum einen die Zeichen, welche auf die Regeln der abgebildeten Handlungen, zum anderen die, welche auf die Regeln der Handlung der Abbildung verweisen.

3 840,52 ₽
Жанры и теги
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
1354 стр. 75 иллюстраций
ISBN:
9783846386477
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают