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Agency und ihr soziologischer Ursprung

Der Ansatz von Agency als Handlungsbefähigung von Individuen in größeren sozialen Systemen findet bei Alfred Schütz, Max Weber oder Talcott Parsons, bei Pierre Bourdieu, Anthony Giddens oder Michel Foucault Beachtung. Er stellt ein zentrales Moment in der soziologischen Handlungstheorie dar. In weitgehender Übereinstimmung lässt sich Agency dabei als die grundlegende Befähigung beschreiben, Handlungen auszuüben, während der Prozess der Handlung selbst (»action«) sich davon unterscheidet. Agency ist hier deswegen so zentral, da sie als das Moment betrachtet wird, durch das Individuen gesellschaftliche Transformationsprozesse anstoßen können. Doch trotz ihrer zentralen Stellung gilt Agency als eine »Blackbox«, da die konkreten Prozesse zwar theoretisch beschrieben, aber empirisch wenig untersucht worden sind.

Das dargestellte Spannungsfeld zwischen Aktivitäten und Handlungsmacht der Nutzer auf der einen und der strukturellen Macht der Medien auf der anderen Seite schließt an die Agency-Structure-Debatte der Soziologie an: Die Systemtheorien sind an der übergeordneten Gesellschaftsstruktur interessiert und wenden entsprechend eine Makroperspektive an. Doch lassen sich auch handlungstheoretische Konzepte ausmachen, die sich eher als Meso- bzw. Mikroperspektive beschreiben lassen und in denen das menschliche, soziale Handeln und damit auch die Kommunikationsprozesse im Fokus der Betrachtungen stehen. Lässt sich diese Aufteilung noch in der frühen Soziologie nachvollziehen, kann genau das Zusammenspiel von Struktur und Agency als das zentrale Anliegen der modernen soziologischen Forschung betrachtet werden. Der Ansatz von Anthony Giddens und seine »Strukturationstheorie« (Giddens 1984) stehen dabei exemplarisch für eine Reihe soziologisch-praxeologischer Ansätze, die erklären, wie sich das reziproke Gefüge von strukturierender Gesellschaft und individuellem Handeln ausgestaltet (siehe z.B. Bourdieu und Habitus, Foucault und Power/ Knowledge, Joas und Kreativität des Handelns). Von soziologischem Interesse ist es, herauszufinden, »how any habitus or structure can produce actions that fundamentally change it« (Ahearn 2001, S. 119) – wie also Strukturen Handlungen bedingen können, die das Potenzial haben, eben jene Strukturen zu verändern. Ohne Agency, so die grundlegende Annahme, sind weder Handeln selbst noch gesellschaftliche Transformationsprozesse möglich.

Der Agency-Ansatz in der Medienkommunikation

Der Agency-Ansatz in der Medienkommunikation begreift Medienhandeln konsequent als Form des sozialen, kommunikativen Handelns und wendet dies auf Medienumgebungen an. Dies betrifft sowohl die Kommunikation zwischen Medienprodukten und deren Rezipientinnen (z. B. Film und Fernsehsendungen) als auch die Kommunikation zwischen Menschen mittels Medien (z. B. soziale Medien wie Facebook). Der Ansatz ist dabei konsequent rezipientenorientiert, d. h., er vermutet keine Abhängigkeit der Agency von bestimmten Medien und deren Medialität, sondern betrachtet Agency als grundsätzlich vorhanden – allerdings moduliert durch bestimmte mediale und textuelle Strukturen und bestimmte Dispositionen der Rezipienten (vgl. Eichner 2014, S. 229). Diese Perspektive – ausgehend von den Rezipientinnen und Rezipienten und deren Agency – ist insofern bedeutsam, als dass sie auch eine irrtümliche Aktiv-Passiv-Dichotomie verhindert: In einer medienzentrierten Sichtweise entstanden beispielsweise Ansätze, welche die Möglichkeiten des Internets und die damit verbundene Transformation von Zuschauern in User, Produser und Co-Kreatoren und deren vermeintlich demokratisierendes Potenzial feierten und das Fernsehen als passives Medium abstempelten (zur näheren Erläuterung vgl. van Dijck 2009, S. 43). Wird Medienhandeln jedoch im oben beschriebenen Sinn als grundsätzlich agentischer Prozess konzeptualisiert, ist evident, dass Medienkommunikation immer aktives, sinnstiftendes und potenziell transformatives Handeln ist.

Am deutlichsten kommt der Bezug zur Agency in den Cultural Studies unter Rückgriff auf praxeologische Ansätze der Soziologie zum Tragen: Bereits in den späten 1970er-Jahren entwarf Stuart Hall in seinem Encoding/Decoding-Modell das Konzept der drei Lesestrategien, welches die Rezipientenaktivitäten radikaler fasste als der damalige dominante Nutzenansatz. Hall erkennt mit seinem Modell an, dass Rezipientinnen nicht automatisch der strukturellen Macht der Medien unterworfen sind, sondern kreative und soziale Ermächtigungsstrategien anwenden (vgl. Hall 1980). Sein Ansatz kann als maßgeblich für den folgenden paradigmatischen Wechsel vom Transmissionsmodell hin zum Bedeutungsmodell gesehen werden. Noch deutlicher auf die Handlungsbefähigung der Rezipienten bezogen gestaltete sich die Argumentation von Fiske (2009/1987), der – unter Rückgriff auf Barthes writerly und readerly texts – die Polysemie von Texten betont. Nicht der Text oder das Publikum sind in seinem Ansatz entscheidend, sondern dass sich Bedeutung im Akt der Rezeption überhaupt erst konstituiert (→ Winter, S. 86 ff.). In den 1990er-Jahren wurde Fiskes Ansatz insbesondere durch die aufkommenden Fan Studies (vgl. Jenkins 1992; Bacon-Smith 1992) aufgegriffen und seitdem vielfach weiterentwickelt (siehe z.B. Baym 2000; Hills 2002). Ein zentraler Argumentationsstrang bezieht sich dabei auf Michel de Certeaus Konzept des Poaching, verstanden als kreative und imaginative Textarbeit, in der Versatzstücke anderer Medien sowie Versatzstücke des eigenen Selbst in den jeweiligen Text integriert werden. Dieser wird in Folge unkontrollierbar, da er nicht nur im Sinne des Encoding/Decoding-Modells unterschiedlich interpretiert, sondern grundsätzlich verändert wird.

In Zeiten konvergierender Medienumgebungen, entgrenzter Medientexte und produzierender Mediennutzerinnen hat die Beschäftigung mit der Medien-Agency aktuelle Relevanz gewonnen und gerät jüngst verstärkt in das Blickfeld der Kommunikations- und Medienwissenschaft sowie der Mediensoziologie (siehe z.B. Couldry 2004; Eichner 2014; Evans 2011; van Dijck 2009). Die Ansätze konzeptualisieren Medienhandeln in Anlehnung an soziologische und praxeologische Handlungstheorien und tragen so zur Präzisierung des Rezeptionsaktivitätskonzepts (»audience activities«) bei. Couldry spricht in diesem Zusammenhang von media practices und betont damit die Rolle, die mediale Praktiken in einem hierarchischen Geflecht aus sozialen Alltagspraxen einnehmen – »the media practices’ role in the ordering of social life« (Couldry 2004, S. 128). Abweichend davon lässt sich Medienhandeln als umfassender Prozess begreifen, als Doing Media, der den vielschichtigen, der Rezeption vor- und nachgelagerten Aktivitäten sowie der zunehmenden multiplen und teils gleichzeitigen Mediennutzung Rechnung trägt. Eine weitere Richtung, durch die sowohl die Terminologie der Agency selbst als auch deren soziologische Wurzeln Beachtung finden, ist die Technoscience mit Ansätzen wie die der Actor-Network-Theory (Latour 2007), dem Konzept der Distributed Agency (vgl. Rammert/Schulz-Schaeffer 2002) oder dem Ansatz der Akteursfiktion (Werle 2002). Diese Ansätze beschäftigen sich mit unterschiedlichen Resultaten zu der Frage, wie und ob Technologien und Objekte in verschiedenen kommunikativen Settings zu Agenten, ausgestattet mit Agency, werden können.

Agency, Textualität und Affordance
Filmische Informationsverarbeitung und Agency

Um die »Blackbox« der Agency aufzubrechen und Handlung und Agency auch als erfahrbaren Moment beschreiben zu können, müssen die konkreteren Prozesse der Medienrezeption betrachtet werden. Einen fruchtbaren Ansatz für die Mikroprozesse der Rezeption liefert die Schema- und Skript-Theorie, die sich mit kognitiven Wahrnehmungsprozessen beschäftigt (siehe z.B. Fiske/Taylor 1984). Diesem Ansatz folgend ist Wahrnehmung schemageleitete Informationsverarbeitung, während derer Stimuli zu Wissenskategorien gebündelt werden. Mit dem Ansatz lässt sich erklären, wie Menschen in der Lage sind, aus der Fülle auf sie einstürmender Informationen durch Informationsreduktion Sinn zu generieren. Die Informationsverarbeitung geschieht dabei zugleich in Bottom-up-Prozessen – der Herausbildung neuer Schemata – und Top-down-Prozessen – der konzeptgeleiteten Einordnung in bereits existierende Schemata. In den Kommunikationswissenschaften – insbesondere in Verbindung mit Framing-Ansätzen – wurde das Modell vielfach herangezogen und weiterentwickelt, aber auch aufgrund seines inhärenten Reduktionismus kritisiert (vgl. dazu zusammenfassend Müller 2016, S. 68).

In der kognitiven Filmtheorie wurde die Schema- und Skript-Theorie ausführlich bei Bordwell (1989) für die Rezeption von Filmen operationalisiert. So bilden die ästhetischen, narrativen und dramaturgischen Gestaltungsmittel filmische Cues (Hinweise), auf deren Grundlage die Zuschauerinnen und Zuschauer Hypothesen bilden, die sich im weiteren Verlauf der Rezeption bestätigen oder auf Grundlage neuer Informationen verworfen und neu angepasst werden. Medienkommunikation stellt dabei in der Regel keine gänzlich neue Situation dar, sondern beruht auf früheren Seh- sowie auf lebensweltlichen Erfahrungen, die sich bereits zu Schemata verfestigt haben (ebd., S. 144 ff.). Je konventionalisierter ein Hinweis ist, desto leichter lassen sich die entsprechenden Schemata aufrufen. Das Prinzip der Schemata ist insofern basal, als dass es nicht nur erklärt, wie man die Komplexität eines medialen Stimulus reduziert, sondern die Welt an sich, um überhaupt interpretations- und handlungsfähig zu bleiben. Schemata sind somit verkörperlichte Prototypen, die typische Situationen speichern. Medienprodukte können aber auch neue Ereignisse einführen oder »Leerstellen« enthalten (Iser 1994, S. 236). Leerstellen sind unklare Hinweise oder Auslassungen, die potenziell offen sind für unterschiedliche Interpretationen. Genresignale, Cues und Leerstellen bilden so eine Appellstruktur, welche die Rezipienten adressiert, zur Kommunikation auffordert und so ein Aktionsangebot darstellt. Ein Verständnis von der jeweiligen Textualität – sei es eine narrative, spielerische oder informierende Organisationsform – ist damit die Voraussetzung, um den kommunikativen Prozess zwischen Rezipientinnen und Medientexten zu erfassen.

Neben einem grundsätzlichen Verständnis der Interpretationsleistung oder der interpretativen Agency (Couldry 2013, S. 14), wie es insbesondere die Cultural Studies unter Rückgriff auf die Semiotik hervorgehoben haben, sind für das Medienerleben die oben dargestellten Mikroprozesse bedeutsam. Denn Handlung und Handlungsbefähigung beruhen nicht zuletzt auf Denken, Verstehen und Kommunizieren. Hypothesenbildung und deren Abgleich mit der medialen Darstellung im narrativen Film – aber auch bei alltäglichen Ereignissen – sind also Prozesse, die handlungsbefähigende Elemente beinhalten können. Es hängt jedoch von der konkreten Struktur des Medientextes ab, inwieweit er das Spiel mit der Hypothesenbildung als strukturierendes Element derart in den Vordergrund stellt, dass es bewusst erlebbar wird. Erst dann wird Agency zur erfahrbaren Form des Medienerlebens. Ein klassisches Beispiel hierfür ist der Suspense-Film, in dem mit der Informationskontrolle und Zuschauerwissen gespielt wird (Ohler/ Nieding 2001, S. 134). Wuss bezeichnet dies als passive Kontrolle (»passive control«: Wuss 2009, S. 165), eine Konstellation, in der die Zuschauer zwar einen dargestellten Konflikt nicht wirklich ändern oder lösen können, aber eine Form der Kontrolle erlangen, die auf Prognosen, Vorausschau und Antizipation beruht.

Partizipatorische Strukturen im Fernsehen

Medienhandeln beinhaltet also verschiedene Formen des Wirksamwerdens. Interpretative Aktivitäten gehören ebenso dazu wie kognitiv-informationsverarbeitende Aktivitäten. Im Alltagsgebrauch wird Handeln jedoch hauptsächlich mit physischen, verkörperlichten Aktivitäten gleichgesetzt. Interaktivität, mit der haptischen Bedienung von Steuerungselementen gleichgesetzt, gilt deswegen im allgemeinen Verständnis als aktive, als kognitiv-interpretierende oder kommunizierende Handlungen. So wird beispielsweise das lineare Fernsehen oftmals als nicht interaktives Medium ohne Feedbackstruktur dargestellt. Aus handlungstheoretischer Perspektive ist diese Argumentation jedoch nicht haltbar, denn die Rezipientinnen müssen im oben erläuterten Sinn auf vielfältige Weise aktiv werden, um sich eine Fernsehsendung zu erschließen. Doch weist die überkommene Aktiv-Passiv-Dichotomie auf einen durchaus relevanten Punkt hin: Haptische Aktivitäten ergänzen auch hier die vielfältigen kognitiven (und emotionalen) Aktivitäten. Bereits seit seinen Anfängen experimentierte das Fernsehen mit verschiedenen Formen der interaktiven Publikumseinbindung. In Westdeutschland wurde 1964 mit Der goldene Schuss das erste interaktive Fernsehprogramm vorgestellt, bei dem die Zuschauer anrufen konnten und per Zuruf eine auf einer Kamera befestigte Armbrust steuerten. Mit Einführung der TED-Technologie (1979) übernahmen zahlreiche TV-Shows das Prinzip der Zuschauerpartizipation in die Struktur ihrer Sendung. Eines der erfolgreichsten Showformate der letzten Jahre, Ich bin ein Star – Holt mich hier raus! (RTL, seit 2004), bindet die Zuschauerinnen und Zuschauer mittels permanenter Ansprache durch das Moderatorenteam als strukturellen Bestandteil des TV-Textes ein und ermöglicht ihnen zugleich, über zahlreiche mediale Kanäle wie Twitter oder Facebook auf verschiedene Weise zu partizipieren (vgl. Eichner 2014, S. 201 ff.). Auch narrative TV-Formate bemühen sich mitunter um mehr Zuschauerpartizipation, so beispielsweise der Tatort Plus (2012, 2013 und 2014), in dem das Publikum selbst in ein Begleitspiel eingebunden online ermitteln konnte, oder die transmediale ARTE-Produktion About Kate (2013), in der die Zuschauer die Möglichkeit hatten, über soziale Medien mit der fiktiven Figur Kontakt aufzunehmen.

Das Fernsehen lässt sein Publikum also auf verschiedenen Ebenen eingreifen – beispielsweise durch Televoting, die Einbindung von sozialen Medien oder auch durch Mitspielen auf der Website. Konvergierende, computerbasierte Technologien und Infrastrukturen ermöglichen direkte Rückkopplungskanäle, welche die traditionelle Einteilung in lineare, nicht interaktive Medien wie Film und Fernsehen auf der einen Seite und nicht lineare, interaktive Medien wie Videospiele und Internet auf der anderen Seite auflösen. Schließlich stellt sich in Zeiten konvergierender Medien die grundsätzliche Frage nach einem neuen Verständnis von Medienkommunikation, das nicht mehr vom Medium oder vom Medientext aus denkt, sondern die sozial eingebetteten Medienaktivitäten der Nutzerinnen und Nutzer, die Doing Media, als Ausgangspunkt nimmt (vgl. ebd., S. 100).

Handeln im Computerspiel

Das Medium, in dem die haptischen Aktivitäten programmatisch in den Vordergrund treten, ist das Computerspiel. Die Agency oder Selbstwirksamkeit der Spielenden, die das Spiel auf verschiedenste Weise beeinflussen und dessen Verlauf graduell mitbestimmen können, ist seit dem Aufkommen der Game Studies eines ihrer zentralen Anliegen. In den deutschsprachigen medienpädagogischen und medienpsychologischen Game Studies wird Agency in der Regel als Selbstwirksamkeit erforscht (siehe z. B. Klimmt 2006; von Salisch/Kristen/Oppl 2007; Trepte/ Reinecke 2010). Insbesondere die Faszination von Kindern im Kontrollerleben wird hier als eines der zentralen Momente verhandelt (siehe z. B. Fritz 2003).

Janet H. Murray (1997) prägte als eine der ersten Forscherinnen das Konzept der Agency als Form des Computerspielerlebens. Aufbauend auf Laurels Arbeit über Human-Computer Interaction (Laurel 1993) definiert Murray Agency zusammen mit Immersion und Transformation als elementare Charakteristika des Spielerlebens: Agency ist die »satisfying power to take meaningful action and see the results of our decisions and choices« (Murray 1997, S. 126). Da durch die spezifische Feedback-Loop-Struktur eines Computerspiels die (haptische) Eingabe der Spielerinnen und Spieler direkt in eine sichtbare Veränderung des Bildschirms übersetzt wird, können die eigenen Handlungsentscheidungen unmittelbar nachvollzogen werden. Computerspielumgebungen sind demnach ein ideales (aber nicht singuläres) Umfeld, um das Gefühl der Selbstwirksamkeit bzw. Agency entstehen zu lassen. Murrays Ansatz hat noch weiterführende Implikationen: Zunächst ist Agency als Form des Erlebens, als »aesthetic pleasure« konzeptualisiert (ebd., S. 128), welches durch bestimmte textuelle Strukturen bedingt ist. Darüber hinaus weist Agency drei verschiedene Ausprägungen auf: die Modifikation der Umgebung, die Navigation durch den Raum und die absichtliche Fehlinterpretation einer virtuellen Umgebung (ebd., S. 129 ff.), also eine Um-Interpretierung.

Murrays und Laurels Pionierarbeit hat eine Vielzahl von Folgearbeiten zu Agency und Computerspielen angestoßen, die jedoch nur selten über eine oberflächliche Beschreibung des Phänomens hinausgehen. Die überwiegende Mehrheit der Ansätze erkennt zudem nicht das medienübergreifende Potenzial und enthält keine Verortung des jeweiligen Ansatzes in handlungstheoretischen und kommunikationswissenschaftlichen Theorien. Ansätze, die das Konzept in einiger Tiefe behandeln, finden sich z. B. bei Carr u. a. (2004), Jørgensen (2003), Mateas (2004), Pearce (2002), Tanenbaum/ Tanenbaum (2010) oder Wardrip-Fruin u.a. (2009). In Anlehnung an psychologische Konzepte der Agency (z. B. Bandura 2001) kristallisiert sich auch in den Game Studies die Notwendigkeit heraus, Agency als differenziertes Erleben zu betrachten, das sich auf individueller Ebene beispielsweise durch das Lösen von Problemen (Jørgensen 2003; Mateas 2004; Wardrip-Fruin u. a. 2009), auf kollektiver Ebene durch gemeinsames Spielen (Pearce 2002) und auf einer kreativen Ebene z. B. durch die Erstellung von Fan Art (Schott 2008) abspielt. Für die Textebene zeigt sich, dass die Affordance, der Aufforderungscharakter eines Textes, als wichtiges Element für die Entstehung von Agency einbezogen werden muss (Wardrip-Fruin u.a. 2009, S. 3). Um die Spielende im Spiel zu aktivieren, muss das Material, d. h. die mediale Gestaltung, ihnen verdeutlichen, was sie konkret im Spiel machen können.

Den unterschiedlichen Ansätzen ist gemein, dass zwischen einer arbiträren Interaktivität (Tastenbedienung) und einer nachhaltigen Form der Einflussnahme, der Agency, unterschieden wird. Es wird also zwischen verkörperlichten Handlungen unterschieden, die für die Bedeutungsebene des Spiels relevant sind (Agency), und solchen, die lediglich das Spiel in seiner Materialität erhalten (haptische Interaktivität).

Agency im Medienerleben

Das Beispiel der Computerspiele verdeutlicht, dass unterschiedliche Medien und Medientexte unterschiedliche Formen der Agency ermöglichen. Die verschiedenen Formen des Handelns lassen sich dabei als Taktiken beschreiben, die situational bedingt sind. In der Medienkommunikation bilden, neben der allgemeinen umgebenden sozialen Situation, die jeweilige Textualität, Medialität und Affordance-Struktur den situativen Rahmen und stellen einen Aufforderungscharakter an die Rezeption dar. So muss ein Computerspiel gespielt werden, der Film im Kino hingegen fordert in der Regel zu keiner haptischen Interaktion auf. Wird eine Handlungstaktik im Akt der Rezeption dominant, wird Agency für die Nutzerinnen und Nutzer ästhetisch erlebbar.

Diese spezifischen Taktiken der Medien-Agency können als Interaktivität, Partizipation, passive Kontrolle, allgemeine Medienkompetenz oder als diverse Fan-Aktivitäten auftreten – und dies auf individueller, kreativer und kollektiver Ebene. Kreative Agency kann sich beispielsweise als de Certeaus kreative und imaginative Textarbeit äußern oder lässt sich im Produzieren von Fan Art erfahren und ist dem eigentlichen Medienrezeptionsprozess damit oft zeitlich nachgelagert. Kollektive Agency ergibt sich in kollaborativen Medienumgebungen, wie es insbesondere soziale Medienkontexte erlauben, aber auch die spezifische Erfahrung des gemeinsamen Fan-Seins und der gemeinsam erlebten Fan-Aktivitäten.

Im Rezeptionsprozess unmittelbar erfahrbar sind die Taktiken der individuellen Agency. Bei narrativen Formaten wird Agency als Medienerleben beispielsweise dann dominant, wenn die Narration im Sinn der Hypothesenbildung und -abgleichung Erfolg hat. Ein stark konventionalisierter Genrefilm wie Selbst ist die Braut (Anne Fletcher, 2009) legt eine deutliche Übereinstimmung von Top-down- und Bottom-up-Prozessen in der Hypothesenbildung nahe und ermöglicht seinen Zuschauern so ein hohes Maß an passiver Kontrolle. Diese Taktiken können als interpretative Agency bzw. als Mastering Narration (Eichner 2014, S. 164) bezeichnet werden. Kognitive Aktivitäten und Interpretationsleistungen der Rezipientinnen sind im Medienrezeptionsprozess als »audience activities« zwar prinzipiell vorhanden, doch geht es im Erleben von Agency um jene spezifische Text-Rezipienten-Konstellation, die das kognitive Spiel als strukturierendes Textprinzip und Aufforderungs-Struktur in den Vordergrund stellt.

Eine andere Form der Agency-Taktik besteht in der Möglichkeit, eine bedeutsame Wahl zu treffen. Erlaubt ein Showformat die Benennung eines Kandidaten via Televoting oder wird eine subjektiv einflussreiche Entscheidung in einem Computerspiel getroffen, lässt sich dies als Mastering Choice erfassen (ebd., S. 167). Eine Wahl zu haben, setzt dabei immer eine Form von Kontingenz voraus. Anthony Giddens (1984) bezeichnet dies als den Zustand des »could have acted differently«, welchen er als einen Grundpfeiler menschlicher Handlungsbefähigung und Agency betrachtet.

Auch die Orientierung im Raum ist für das Rezeptionserleben audiovisueller Medien wesentlich. In grafischen Computerspielen wird am deutlichsten, wie erfolgreiches räumliches Navigieren zum dominanten Modus werden kann. Murray (1997) sieht die »spatial navigation« (ebd., S. 129) als eine Form von Agency-Erfahrung, die typisch für digitale Umgebungen und prinzipiell positiv besetzt ist. Auch narrative Medien, wie beispielsweise der Film Lola rennt (Tom Tykwer, 1998), »triggern« mit einem spezifischen räumlich-zeitlichen Organisationsprinzip Taktiken der Agency, die als Mastering Space zusammengefasst werden können (Eichner 2014, S. 171).

Die Taktik, in der Agency im Medienhandeln offensichtlich wird, ist die interaktive Nutzung von Medien mittels eines Interfaces, die Mastering Action (ebd., S. 169). In diesem Zusammenhang wurde Agency in den Game Studies als zentrale Form des Medienerlebens bereits oben beschrieben. Die erfahrene Selbstwirksamkeit ist hier besonders spürbar, weil sich das eigene Medienhandeln, also kognitive und verkörperlichte Handlungen, unmittelbar auf dem Bildschirm manifestiert. In zunehmend konvergenten Medienumgebungen ist diese Form der Medien-Agency jedoch nicht auf Computerspiele beschränkt. Erstens, da Medieninhalte auch trans- und crossmedial auftreten können, und zweitens, weil auch lineare Fernsehformate Strategien bereithalten, die verkörperlichte Handlungen (z. B. das Benutzen eines Smartphones zum Televoting) auf dem Bildschirm visualisieren können (wenn z. B. in einer Publikumsabstimmung einer Talentshow der Balken zugunsten des favorisierten Kandidaten ansteigt).

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9783846386477
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