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Jetzt geht’s richtig los: Gerüstet für den „Take Off“ der Industrialisierung

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war die Region des späteren Oberhausens bereits einen großen Schritt von der agrarisch geprägten „öden Heide“ in das sich ankündigende Zeitalter der Industrie, die hier noch allein aus der „Hüttengewerkschaft und Handlung Jacobi, Haniel & Huyssen“ bestand, gegangen. Für die Zeitgenossen hatte sich die Welt grundlegend verändert. Schon für die 1830er Jahre hatte der Osterfelder Pfarrer Johann Terlunen festgestellt:

„Wenngleich die Hauptnahrungszweige wie früher noch jetzt der Ackerbau und die Viehzucht sind, so hat sich daneben doch ein gewerblicher Verkehr gebildet, der immer mehr zunimmt und in nur wenigen Landgemeinden seines gleichen haben mag.“

Die Veränderungen

„haben eine Art Zwischenhandel erzeugt, der sich als gewinnreich erwiesen hat. Butter, Eier, Große- und Vizebohnen, Pflaumen, Kirschen, Erdäpfel, Rüben, Wurzeln, Kraut, Roggen, Weizen, Hafer und Buchweizen, Heu und Stroh: alles wird dort nie vergeblich auf die täglichen Märkte gebracht und gut bezahlt.“

Die „fleißigen geschickten Arbeiter“ erhielten einen hohen Tagelohn,

„wodurch auch viel bares Geld in Circulation gebracht wird. Auf den Ackerbau und die Viehzucht wirkte dieser lebhafte Verkehr sich so günstig aus, dass der Ackerwirt, der alles gut zu benutzen weiß, nicht wenig gewinnt.“319

Dominant blieb in Osterfeld noch der Agrarsektor, wie die Chronik der Kirchspiele Bottrop und Osterfeld beweist. Für 1840 zählte sie für Osterfeld 718 Einwohner in 101 Häusern mit weiteren 92 Ställen, Schuppen und Scheunen, aber nur zehn Fabrik- und Mühlengebäude.320

In Sterkrade gab es um diese Zeit bereits größere Veränderungen. Als Wilhelm Lueg 1836 dem Holtener Bürgermeister mitteilte, dass die JHH den Bau einer Arbeiterkolonie plane, beschrieb er das tägliche Leben am Ort:

„[…] denn durch den Verkehr der durch die Hütte hier entstanden ist, haben sich auch eine Menge Krämer, Bäcker, Handwerker aller Art niedergelassen. Der gewöhnliche Markt lässt glauben, Sterkrade sei eine Stadt. […] Ungefähr sind täglich 170 Pferde im Durchschnitt erfordert, die das rohe Material anbringen und die fertigen Waren verfahren. Das viele Geld, was durch die Arbeiter und Fuhrleute in hiesiger Gegend bleibt, ist dieses Etablissement umsomehr eine große Wohltat für dieselbe als der unfruchtbare Boden sonst wenig Leute ernähren könnte.“321

Mitte der 1840er Jahre hatte sich die Überformung der Region durch die Industrie noch verstärkt. Ein „geographisch-geschichtliches Handbuch für die Bewohner der preußischen Rhein-Provinz“ beschrieb 1841 Sterkrade als

„Kirchdorf mit 960 Einw. […] Es wird hier Raseneisenstein gegraben und auf der Hütte St. Antoni und der damit verbundenen Gute-Hoffnungs-Hütte verarbeitet. Diese Metallwerkstätte, welche der Gesellschaft Jakobi, Haniel und Huyssen gehört, ist eine der bedeutendsten in Europa […] Die […] Schmieden und Maschinenwerkstätten der erwähnten Gesellschaft, so wie ihre Schiffswerft […] zu Ruhrort […] liefern die schönsten Rheindampfschiffe und kräftigsten Dampfmaschinen für die Bergwerke und Fabriken.“322

Der amtliche Zeitungsbericht der Bürgermeisterei Holten vom 31. Januar 1842 sagte voraus: „Der Wohlstand von Holten, Biefang, Sterkrade, Königshaardt, Oberhausen und Buschhausen ist größtenteils an das fernere Emporblühen der in Sterkrade und Oberhausen befindlichen Eisenhütten- u. Eisen-Fabrik-Etablissements gebunden.“323

Durch seine Expansion hatte die JHH aber auch die spätere Entwicklung des Raumes maßgeblich vorbestimmt. Mit der Konzentration seiner sich immer weitere ausdehnenden Werksanlagen auf die beiden Gelände in Sterkrade und an der Emscher beeinflusste es die Stadt- und Raumentwicklung der Region deutlich. Sterkrade schien zwischenzeitlich nahezu ein Anhängsel der Werksanlagen zu sein. Bilder und Pläne zeigen die Dominanz des Industrieunternehmens im Raum Sterkrade deutlich. Ähnlich entwickelte sich das Werk an der Emscher. Hier, genau zwischen den drei Orten Oberhausen, Sterkrade und Osterfeld, konnten sich, unterstützt durch die seit 1847 vorbeiführende Eisenbahnlinie, die Anlagen immer weiter ausbreiten. Das Unternehmen verhinderte damit ein räumliches Zusammenwachsen der drei Städte. So lagen Hochofen-, Stahl- und Walzwerke des Unternehmens später im geographischen Zentrum der 1929 gebildeten Stadt. Alle nachfolgenden kommunalen Entscheidungsträger hatten dieses Faktum zu akzeptieren.

Doch diese Entwicklung war 1846 noch nicht vorauszusehen, als der amtliche Bericht der Berliner Gewerbeausstellung lobte, die JHH sei eines der „großartigsten Etablissements in Deutschland“ und werde auf dem Kontinent möglicherweise nur von den Werken von Cockerill in Seraing übertroffen.324 Die Bedeutung des Unternehmens war also mittlerweile nicht nur in seiner näheren Umgebung bekannt. Und auch im Ausland bemerkte man die Leistungen der JHH. Der britische Ökonom Thomas C. Banfield (1800 – 1882), der 1846 das Rheinland bereiste, verfasste 1846/​48 seine zweibändige Studie „Industry of the Rhine“. Darin empfahl er jedem, der ins Rheinland käme, die Werkstätten der JHH zu besuchen, um den hohen Stand des Maschinenbaus in Deutschland kennen zu lernen.325 Die JHH sei eines der größten europäischen Unternehmen. „This house has realized what John Cockerill was unable to do at Liege […]“326 Die Sterkrader Gießerei befände sich „in very young hands.“ Puddler und Walzer seien Fachkräfte häufig aus Frankreich, Belgien und England.

„[…] nearly all the workmen live with their families in the village, which is a little world of itself, or come to their work from places two or three miles distant. Nearly all are little landowners, with at least gardens to their cottages […]“327

Abschließend stellte Banfield fest:

„In our judgement there was little left to desire in the manner in which the work went. It is quietly and as perseveringly performed as in English establishments, although workmen from all nations were collected together.“328

In den Werken von Sterkrade, Oberhausen und Osterfeld war also Mitte des 19. Jahrhunderts das englische Vorbild eingeholt. Aber dies war erst der Anfang der industriellen Entwicklung. Auf die soziale Lage, die Arbeitsbedingungen oder die örtlichen politischen Strukturen ging allerdings keiner der Beobachter ein.

Als 1847 die Köln-Mindener Eisenbahn Oberhausen erreichte, gab es als einziges größeres Unternehmen des späteren Oberhausens, die „Hüttengewerkschaft und Handlung Jacobi, Haniel & Huyssen“. Aber diese war auf den neuerlich folgenden Sprung in der industriellen Entwicklung gut vorbreitet. Man hatte sich Kenntnisse aus dem Ausland angeeignet, eigene Entwicklungen auf den Weg gebracht und sich breit aufgestellt. Mit dem vertikalen Ausbau des Unternehmens von den Rohstoffen bis zum Fertigprodukt, mit dem starken Engagement auf dem Eisenbahnmarkt und mit dem Beginn einer zielgerichteten betrieblichen Sozialpolitik war das Unternehmen für die Zukunft gerüstet.

Magnus Dellwig

Gemeindegründung und Stadtwerdung der Industriestadt Oberhausen

1. Die Bürgermeisterei Oberhausen – eine Gründung für die Industrie

Als im Jahr 1835 zwischen Nürnberg und Fürth Deutschlands erste Eisenbahnstrecke gebaut wurde, begann ein neues Zeitalter. Die Eisenbahn verhalf als Verkehrsmittel und als Nachfrager von Eisen und Stahl für Schienen und Lokomotiven der Industrialisierung in Mitteleuropa zum Durchbruch. Preußens westliche Provinzen Rheinland und Westfalen, jedoch das spätere Ruhrgebiet in aller erster Linie, wurden Schauplatz einer neuen Epoche, die das Leben der Menschen so gravierend verändern sollte, wie es in der Geschichte zuvor wohl nur die Sesshaftwerdung des Menschen bewirkt hatte. Da verwundert es nicht, dass die Historiker beide Vorgänge mit dem Begriff der Revolution belegen: die Neolithische Revolution, die vor rund zehntausend Jahren ihren Anfang nahm, und die Industrielle Revolution, als deren Geburtsstunde die Erfindung einer zum Dauerbetrieb tauglichen Dampfmaschine durch den Briten James Watt im Jahr 1769 gilt.

Im heutigen Nordrhein-Westfalen und im Ruhrgebiet beschleunigten sich die epochalen Veränderungen von Industrialisierung und Städtebildung – als der neuen, beherrschenden Lebensform des Menschen im industriellen Zeitalter – als rheinische Industrielle und Bankiers sowie der preußische Staat Mitte der 1840er Jahre ein beeindruckendes Großprojekt von bislang für die Zeitgenossen unvorstellbarer Dimension wortwörtlich „auf die Schiene setzten“. Es sollte eine Bahnlinie gebaut werden von Köln im Westen, dem Wirtschaftszentrum der Rheinprovinz, über Minden im Nordosten der Provinz Westfalen bis in die Hauptstadt des Königreiches, nach Berlin.

Der Verlauf der Strecke war selbstverständlich umstritten und umkämpft. In jeder Hinsicht wirtschaftlich sollte die Bahn hergestellt und betrieben werden. Das ließ sich zur damaligen Zeit in den Kindertagen der Bahntechnik erreichen, indem unnötige Höhenunterschiede vermieden wurden. Das sparte teure Brückenbauten, aber zugleich erlaubte es bei geringen Steigungen höhere Fahrgeschwindigkeiten. Schließlich galt bereits damals: Zeit ist Geld! Die Rentabilität des Projektes hing jedoch mindestens in gleichem Umfang von der Nachfrage nach Verkehrsleistungen ab, die bestand, oder geweckt werden sollte, um dann vom neuen, recht schnellen Verkehrsmittel befriedigt zu werden. Und da gab es – wie heute in den Zeiten der Betuwe-Linie und europaweiter Logistik-Verflechtungen – als wichtiges Transportgut die Industriewaren, welche vom Hersteller zum Händler und Käufer geschafft werden mussten. Als zweites, ebenso bedeutendes Transportgut galt der Mensch, dem sich in Personenzügen eine neue Mobilitätsdimension erschloss. Es erschien für den rheinischen Bankier oder auch den höheren preußischen Beamten mit einem Mal möglich, in ein bis zwei Tagen mit dem Zug von Köln nach Berlin zu reisen. Hingegen gestaltete sich die Reise mit der (Post-)Kutsche um 1845 noch sehr beschwerlich und lange, drei bis vier Tage wurden in der Regel angesetzt, sofern die Reisenden eine bequeme Übernachtung im Gasthof wählten.

Zu den Pionieren der Eisenbahn im Rheinland zählte der Ruhrorter Unternehmer Franz Haniel, einer der Eigner der Hüttenwerke im Oberhausener Raum. Angeregt vom weltweit ersten, 20 Kilometer langen Eisenbahnprojekt in England 1825, und der Aufsehen erregenden Eröffnung der Bahnstrecke Liverpool – Manchester 1830 entwickelte Haniel seit 1831 das Projekt einer Bahnlinie von den Wattenscheider Kohlefeldern bei Stalleicken nahe der Ruhr über Steele zur Emscher und dann weiter nach Oberhausen und Ruhrort zum Rhein. Sein 1832 eingereichtes Gesuch um eine königliche Konzession wurde 1835 genehmigt, jedoch mit der Verpflichtung zu einem Gemeinschaftsprojekt mit Essener Zechenunternehmern belegt. An vielfältigen Interessengegensätzen scheiterte das Projekt. Davon unbeeindruckt legte Franz Haniel bis 1842 immer neue Eisenbahnpläne auf, bis in jenem Jahr vornehmlich Kölner Unternehmer die Konzession für eine Bahnlinie von Köln am Rhein bis nach Minden an der Weser beantragten. Fortan unterstütze Haniel diese Pläne tatkräftig, reiste als Mitglied einer zwölfköpfigen Delegation und Vertreter der Stadt Ruhrort im Sommer 1842 zum König von Preußen nach Berlin, um für die Bahn, vor allem aber für die Streckenführung durch das Emschertal zu werben. Vor König Wilhelm IV. betonte Haniel die Chancen für die preußische Wirtschaft, die sich aus einer Steigerung der Kohle- und Eisen-Exporte in die Niederlande und nach Süddeutschland ergäben. Ferner erhöhe die Topographie des Bergischen Landes die Kosten um mehr als das Doppelte. Seine geschäftlichen Interessen als Oberhausener Hüttenunternehmer, Essener Bergwerksbesitzer und Ruhrorter Kaufmann erwähnte Haniel geflissentlich nicht. Die Delegation der Bahngesellschaft hatte Erfolg und erreichte die Genehmigung ihres Projektes. Im Mai 1843 teilte Finanzminister von Bodelschwingh mit, die Bahntrasse solle durch das Tal der Emscher führen.

Haniels Ziel als Unternehmer bestand nicht in einer Finanzbeteiligung an der Köln-Mindener Eisenbahngesellschaft. Stattdessen bildete er ein Konsortium aus Ruhrorter Kaufleuten, um eine Zweigbahn von der geplanten Station der Köln-Mindener in Oberhausen nach Ruhrort zum Rhein zu bauen. 1845 hatten die Ruhrorter Erfolg, schlossen mit der Köln-Mindener Bahn einen Vertrag über jenen Anschluss. Damit legten Haniel und seine Geschäftspartner den Grundstock für den Eisenbahnknotenpunkt Oberhausen, noch bevor der erste Zug durch die Lipperheide rollte. Denn in diesem Vertrag und der entsprechenden staatlichen Konzession wurde bestimmt, dass eine bereits geplante Zweigbahn von Essen und Mülheim ebenfalls bei Oberhausen an die Köln-Mindener Eisenbahn angeschlossen werden sollte; sogar die 1856 eröffnete Bahnlinie Oberhausen – Arnheim wurde bereits Mitte der 1840er Jahre projektiert.

Dass die „Köln-Mindener Eisenbahn“, unter diesem Titel erlangte das Projekt seit 1844 Bekanntheit, nicht den kürzeren Weg nach Soest durch das Bergische Land und das Tal der Wupper mit der dort bereits florierenden Textilindustrie um Barmen und Elberfeld nahm, hatte vorrangig zwei Gründe: Zu den von der Topographie verursachten hohen Kosten trat das konsequent verfolgte Interesse zahlreicher rechtsrheinischer Industrieller. Zu diesen zählten die drei Eigentümer des mit über tausend Beschäftigten damals größten Eisen- und Walzwerkes in der Region Ruhrgebiet – des erst 1829 errichteten Walzwerkes Oberhausen der Hüttengewerkschaft Jacoby, Haniel und Huyssen (JHH) am Ufer der Emscher nahe dem Schloss Oberhausen, am nördlichen Rand der Lirich-Lipperner Heide. Hier war der erste Großbetrieb der Eisenindustrie im Ruhrgebiet entstanden, noch bevor die Kruppsche Gussstahlfabrik in Altendorf bei Essen ihren Aufstieg zum größten Industriebetrieb in Deutschland antreten sollte. Die vier Industriellen Franz und Gerhard Haniel, Gottlob Jacobi und Heinrich Huyssen, in Ruhrort und Essen wohnhaft, überzeugten gemeinsam mit vielen weiteren Unternehmern Investoren und Regierung mit dem Argument, hier entstünden Industriegüter, deren Vertrieb bis nach Berlin und zum Rhein und von dort weiter in die Niederlande, der Bahngesellschaft eine verlässliche Auslastung beschere. Gleiche Bedeutung kam dem Massentransport der Kohle zum Rhein zu, da sich die Kapazität der Ruhrschifffahrt nur noch in Maßen steigern ließ. Seit 1843 hatte die JHH im Walzwerk Oberhausen zudem die Massenfertigung von Schienen aufgenommen, so dass ein weiteres, sehr handfestes wirtschaftliches Interesse am zügigen Aufbau des westdeutschen Eisenbahnnetzes hinzu kam. Zudem besaß Haniel in Katernberg die Zeche Zollverein, die ebenfalls an der über Oberhausen geplanten Trasse lag. So verwundert es nicht, dass die JHH zum Ausrichter eines großen Festes wurde, als der erste Zug am 15. Mai 1847 erstmals planmäßig in der Lirich-Lipperner Heide hielt.1


Abb. 1: Erster Bahnhof Oberhausen, 1847

„Die wilde Ruhr kunstvoll und kühn überschritten“

Feierliche Eröffnung eines Teilstücks der Köln-Mindener Eisenbahn zwischen Duisburg und dem Essener Norden. (Zeitungsartikel von 1846)

„Am 13. d. M. wurde die Eisenbahnstrecke von Duisburg bis Haus Berge eröffnet; ein Ereignis woran sich große und freudige Erwartungen knüpfen.

Nur bei der sehr trockenen Witterung im Sommer und Herbst d. J. konnten die großen Anstrengungen der Direktion und der Beamten der Köln-Mindener Eisenbahn es dahin bringen, dass diese Bahnstrecke am 13. d. [M.], also am Geburtstag unserer allverehrten Königin - wenn auch noch nicht dem Verkehr übergeben, so doch mit Lokomotiven befahren wurde.

Die verehrliche Direktion hatte zu der Fest- oder Probefahrt viele Personen von den verschiedenen Verwaltungszweigen und dem Handelsstand aus Düsseldorf, Duisburg, Ruhrort, Mülheim und Essen eingeladen. Dieselbe traf mit ihrer Begleitung morgens gegen 11 Uhr auf dem Bahnhof zu Duisburg ein und wurde sehr festlich empfangen. Gegen 12 Uhr fuhr der Festzug, dem sich der Herr Landrat Devens und andere Herren von Duisburg, Ruhrort, Mülheim und Essen angeschlossen hatten, ab, und erreichte bald die kunstvolle Brücke über [der] Ruhr bei Alstaden.

Die Gesellschaft stieg hier aus und weihte der allverehrten Landesmutter ein jubelndes Lebehoch! An der Altstader Schule wurden die Festgenossen von dem Lehrer und dessen Kinderschar begrüßt. Auf dem Bahnhof in der Lipper Heide schlossen sich dem Zug noch mehrere Gäste an.

Kurz vor Haus Berge erwarteten der Herr Bürgermeister von Borbeck und mehrere Herren von Essen den Zug und brachten der Direktion ein dreimaliges bergmännisches Glückauf. Nachdem diese Herren sich zu dem Zug gesellt hatten, traf man gegen 1 Uhr vor dem Bahnhof zu Haus Berge ein, der bestimmt ist, von vielen Kohlenzechen des Essener Reviers die Kohlen für den Eisenbahntransport aufzunehmen. Bis hier ist die Bahnstrecke erst fahrbar geworden. Bei dem Rückzug stieg die Gesellschaft, an 80 Personen, zu Oberhausen aus, besichtigte die großartigen Eisenwalz- und Hammerwerke der Herren Jacobi, Haniel u. Huyssen und nahm darauf ein von dieser Gewerkschaft angebotenes Frühstück oder Mittagessen ein. Bei dieser Gelegenheit sprach u. a. der Herr Hüttendirektor Lueg von der großen Wichtigkeit der eben befahrenen Bahnstrecke, wie sie die wilde Ruhr kunstvoll und kühn überschritten, die Sümpfe der Lipper Heide nicht gefürchtet hätte, und wie bald über sie hin die Schätze des Essener und Bochumer Kohlen-Reviers dem Rhein zugeführt werden würden. Von dem Bahnhof in der ehemals öden Lipper Heide werde man dann in fliegendem Zug hierhin und dorthin, wie nach Mülheim, Ruhrort, so [auch] nach Köln, Amsterdam, Berlin dringen; [in] einige[n] Jahre[n] werde man nicht mehr denken können, dass jüngst noch so öde Heide hier war. Die Direktion wolle aber auch, wohlüberlegt, den Heidenamen vertilgen und de[n] Bahnhof darin ‚Oberhausen‘ nennen. Der Redner rühmte die Energie und großen Leistungen der Direktion der Köln-Mindener Eisenbahn, welche das große Werk so rasch förderte, und die ganze Gesellschaft stimmte laut und herzlich einem dreimaligen Lebehoch bei.

Hierauf nahm Herr von Wittgenstein, Präsident der Direktion, das Wort, äußerte sich anerkennend und rühmend über die großen zeitgemäßen Fortschritte der Industrie und gedachte dabei der freundlich bewirtenden Gewerkschaft der Herren Jacobi, Haniel u. Huyssen. Herr Hugo Haniel aus Ruhrort dankte im Namen dieser Gewerkschaft, indem er lebhaft die Verdienste der Beamten der Eisenbahn, die an der eröffneten Bahnstrecke so eifrig und kunstgerecht gewirkt hätten, hervorhob.

Das Fest war durch Heiterkeit belebt. Die Bedeutung desselben für unsere ganze Gegend ist nicht zu verkennen; denn wenn auch die erwähnte Bahnstrecke vorläufig nicht dem allgemeinen Verkehr eröffnet werden kann, so steht dies[es] doch bald zu erwarten. Gegen Ende dieses Jahres wird wohl die Strecke von Duisburg bis Dortmund und kurz darauf bis Hamm eröffnet werden. Mit Ende 1847 hofft man schon die ganze Bahn von Köln bis Minden vollendet zu haben, was, wenn man die kurze Bauzeit und die vielen zum Teil sehr bedeutenden Überbrückungen [und] Durchschnitte bedenkt, staunenswert zu nennen ist und jedenfalls gerechte Anerkennung verdient.“

Allgemeine politische Nachrichten, Nr. 93 vom 19. November 1846, Abschrift: Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv Köln 130 - 2003/​73. Zitiert nach Klaus Tenfelde u. Thomas Urban (Hrsg.): Das Ruhrgebiet. Ein historisches Lesebuch, Klartext, Essen 2010, S. 286 f.

Die Geschichte Oberhausens begann 1846 mit der Anlegung der Bahnstation der Köln-Mindener Eisenbahn in der Lirich-Lipperner Heide im Süden der Bauernschaft Lirich. Noch ein Jahr zuvor lagen im späteren Gemeindegebiet außer Höfen und Kotten nur das Walzwerk der JHH und die Mühle des Schlosses Oberhausen. 1850 verkauften die Liricher Heideinteressenten einen kleinen Teil des gemeinschaftlich genutzten Heidegrundes. Nun setzte der Wohnungsbau in größerem Umfang ein und die Bergwerksgesellschaft Concordia teufte ihren ersten Schacht ab.2 Aufgrund der harten Standortfaktoren des Eisenbahnanschlusses, weiten billigen Geländes sowie preisgünstiger Bezugsmöglichkeiten von Kohle seit der Abteufung des Concordia-Schachtes I 1852 siedelten sich die Zinkhütten Vieille Montagne und Grillo sowie das Walzwerk „AG für Eisenindustrie Styrum“ (SEI) zwischen 1853 und 1857 in Bahnhofsnähe an.3

Angesichts der gravierenden Veränderungen im Bahnhofsumfeld und des 1852 abzusehenden Durchbruchs der Industrialisierung am Ort wandten sich am 10. Februar mehrere Gemeinheitsinteressenten der Bauernschaft Lirich an die Königliche Regierung in Düsseldorf. Die Liricher Berechtigten der Lipperheide forderten dazu auf, die „Regierung wolle gnädigst geruhen, einen Sachverständigen […] zur Aufnahme eines Stadtplanes […] auf Kosten der sämtlichen Gemeinheits-Berechtigten ehestens zu beauftragen.“4 Die Unterzeichner hatten bereits die Entstehung einer Siedlung vor Augen, die sich planvoll zur Stadt entwickeln sollte. Sie schlugen als Mittellinie des Stadtplanes einen Weg von der „Oberhausener Chaussee“ (die heutige Mülheimer Straße) zum Bahnhof nur etwa 100 Meter nördlich der Südgrenze Lirichs vor. Eine neue Stadt biete Vorteile:

„Wir und die Bewohner aller dieser genannten Ortschaften [Lirichs, Lipperns, Buschhausens, Alstadens, Styrums, M. D.] sind nach allen Seiten über eine resp. zwei Stunden von den Kirchen entfernt, und bedürfen nur 15 resp. 30 Minuten bis zu dem in Vorschlag gebrachten Locale.“5

Die Gemeinheitsberechtigten Lirichs erklärten ihre Bereitschaft zur Übernahme der Kosten für den angestrebten Stadtbauplan. Dazu veranlasste sie die Erwartung einer Stadt in beruhigender Entfernung zur eigenen bäuerlichen Siedlung. Als Berechtigte der Lipperheide im Umkreis des Bahnhofs verfolgten sie ökonomische Interessen. Für die Entstehung einer Stadt mit öffentlichen Institutionen, die ohne den Stadtbauplan nicht denkbar war, standen hohe Wertsteigerungen des Gemeinheitsgrundbesitzes in Aussicht. Zusätzlich konnten sie von höheren Verkaufserlösen für ihre landwirtschaftlichen Produkte ausgehen, denn ein Stadtbauplan musste zu forciertem Bevölkerungsanstieg führen. Dass die sich Bahn brechende Industrialisierung zum Bevölkerungswachstum beitrug, lehrten bereits die Erfahrungen aus Sterkrade, dem wirtschaftlichen Zentrum der JHH um 1850.6 Die Heideinteressenten argumentierten:

„[…] hier werden sich Wirthe, Bäcker, Kleinhändler, Handwerker, Tagelöhner, Spediteure, Kaufleute, Beamte p. p. bald anbauen. – Wenn aber jeder nach Willkühr bauet, dann wird man später bedauern und tadeln, was man jetzt an vielen Orten vor Augen hat: […] Verwirrung oder Unregelmäßigkeit, was fast immer efektiv nachtheilig ist. Es muß daher jetzt ein Stadtplan entworfen werden, wobei die öffentlichen Gebäude als: Stadthaus, Kirche, Schule, Wohnung für die Kirchen- und Schuldiener mit Gärten dabei so wie ein Marktplatz in der Mitte berücksichtigt und danach die Straßen und übrigen Bauplätze mit kleinen Gärten angelegt werden. Dann hätte man doch in der Zukunft etwas Regelmäßiges hier vor Augen.“7

Wegen der seit 1843 gescheiterten Teilung der Lirich-Lipperner ▶ Gemeinheit8 und der Weigerung des Borbecker Bürgermeisters, die Kosten für den Stadtbauplan umzulegen, lehnte die Regierung die Stadtplanung für Oberhausen 1852 noch ab.9 Es bedurfte eines wirkungsvolleren Anlasses, um 1858 mit Hilfe der Regierung die Gemeindegründung endgültig einzuleiten.

Sozioökonomisch war die Stadtwerdung stark vorangeschritten. 1858 hatten die mittleren Industrieunternehmen des Bahnhofsumfeldes Vieille Montagne mit der Chemiefabrik Rhenania, Grillo und die Styrumer Eisenindustrie den Betrieb aufgenommen. Durch die Eröffnung der Bahnlinie in die Niederlande 1856 nach Arnheim und Amsterdam, die in der Lirich-Lipperner Heide Anschluss an das deutsche Netz erhielt, stieg Oberhausen zum Eisenbahnknotenpunkt des westlichen Ruhrgebiets auf. Ein Postamt und die Eisenhütte der JHH wurden gebaut, Concordia teufte den zweiten Schacht ab und auch die Zeche Roland in Dümpten, dem Oberhausener Bahnhof zwei Kilometer nahe, nahm die Förderung auf. So stieg die Oberhausener Bevölkerung in wenigen Jahren von 1852 bis 1858 von 1000 auf etwa 3000 Menschen an.10 Daraus entsprangen vielfache öffentliche Regelungsbedarfe, von denen die gemeindlichen Polizeifunktionen im Wohnungs- und Gesundheitswesen, die Gewerbepolizei und die öffentliche Sicherheit ins Bewusstsein traten. Ohne Gemeindegründung bestand keine Aussicht auf öffentliche Ordnung an der Bürgermeistereigrenze Borbecks mit Mülheim Land. Strafverdächtige konnten sich der Verfolgung durch den Gemeindegrenzübertritt entziehen und es befand sich kein einziger Sergeant ständig am Ort. Dabei erschien den wenigen örtlichen Vertretern des Bürgertums Polizeiaufsicht aus sozialdisziplinarischen Gründen dringend geboten.11

In dieser Situation wandte sich der Landrat des Kreises Duisburg, Anton Kessler, am 22. Februar 1858 an den Düsseldorfer Regierungspräsidenten. Der Landrat hatte sein Vorgehen mit der JHH-Leitung als eigentlichem Initiator abgestimmt.12 Kessler regte „die Abzweigung der Bauernschaften Lippern und Lirich von der Gemeinde Borbeck und Einverleibung […] als eigene Gemeinde in den Bürgermeistereiverband Mülheim Land“ an.13 Als Grund gab Kessler die völlig ungenügende polizeiliche Kontrolle einer schnell anwachsenden Arbeiterbevölkerung an. So sei das Landratsamt in Erwartung fortschreitender Siedlungsverdichtung zum Entwurf eines „Stadtalignementsplans“ (Straßenplans) geschritten.14

Das weitergehende Ziel der Bürgermeisterei bestimmte der Landrat bereits am 18. April 1858 im Rahmen seines vom Regierungspräsidenten angeforderten Berichtes zur Abgrenzung einer Gemeinde Oberhausen. Mit den Bürgermeistereien Holten, Borbeck und Mülheim Land geführte Verhandlungen zeitigten keinen Erfolg. Landrat Kessler lehnte Borbecks Alternativvorschlag des Verbleibs und der Vergrößerung Lirich-Lipperns bei Borbeck ab und trat für die Beschränkung der neuen Bürgermeisterei auf Lirich und Lippern ein. Schließlich befanden sich der Bahnhof Oberhausen und die ihn umgebende Bebauung unmittelbar an der südlichen Grenze der Lirich-Lipperner Heide zum Landkreis Mülheim. Nach erfolgter Gemeindegründung werde mittelfristig die Zuweisung größerer Teile von Alstaden, Styrum und Dümpten erforderlich, denen an der Abgabe einer Arbeiterbevölkerung von 2.000 Menschen, die ohnehin nur auf die entstandene Ortschaft ausgerichtet seien, gelegen sein werde, da „sie denselben ihrerseits eine gewaltige Armenlast aufbürden, so dass diesen Gemeinden nichts wünschenswerter sein würde, als sie aus ihrem Verbande los zu werden.“15

Fiskalische Motive vermengten sich mit ökonomischen. Die „Armutsbelastung“ sei für Oberhausen wegen der Industrie tragbar. Deren Expansion werde ein Wachstum der Gemeinde hervorrufen, dieses dann Grundwertsteigerungen, aus welchen Steuereinnahmen zu erzielen seien:

„In etlichen Jahren wird dies alles [die geringe Steuerkraft in Lirich und Lippern, M. D.] sich wesentlich anders gestalten. Schon die Feststellung des Bauplanes für die neue Ortschaft Oberhausen, welche sich sehr bald in den erwähnten District hinein erstrecken wird, muss eine bedeutende Vermehrung der Ansiedelungen und Fabrikanlagen zur Folge haben, muss ferner den Werth des Grund und Bodens bedeutend steigern und zu einer allgemeinen Cultivierung desselben führen. […] Auf diese Weise wird die Steuerkraft in wenigen Jahren sehr bedeutend wachsen, so dass […] die Einverleibung des jetzt noch ärmlichen Districts demjenigen Verbande, dem derselbe zugewiesen werden soll, […] auch Vortheile zuführen wird.“16

Kesslers Argumentation zur Gründung der Bürgermeisterei enthielt angesichts des Engagements der JHH einen wirtschaftspolitischen Kontext. Unvermeidlich steigende Steuerlasten sah er infolge industrialisierungsbedingter Urbanisierung voraus. Die Stadtbildung aber enthalte die Möglichkeit zu Steuereinnahmen, womit nur Erträge aus den Grund- und Einkommenssteuern gemeint sein konnten. Somit musste die Industrie ein materielles Interesse an der Gemeindegründung haben, weil sich nur in einer von ihr anstatt von den Eingesessenen dominierten Gemeindevertretung die Chance auf eine partielle Abwälzung steigender öffentlicher Lasten auf das grundbesitzende Bürgertum bot.

Der Einsatz Kesslers für die Gemeindegründung resultierte zudem aus einer finanzpolitischen Erwägung. 1859 stand mit der Bildung des Kreises Essen, dem Borbeck angehören sollte, die Teilung seines Kreises an. Daher eröffnete nur die Schaffung einer selbstständigen Bürgermeisterei die Aussicht, Oberhausen mit seiner steuerkräftigen und entwicklungsfähigen Industrie dem Landkreis Duisburg zu erhalten.17

Während sich Bemühungen um eine einvernehmliche Abgrenzung der Bürgermeisterei Oberhausen, die Teile der Bürgermeisterei Holten am Schloss Oberhausen und aus dem Kreis Mülheim bekommen sollte, bis 1859 erstreckten, fügte sich in den Entscheidungsprozess als neuer Konflikt Ende 1858 die Steuerauseinandersetzung zwischen Borbeck und der JHH ein.18 Am 3. Dezember 1858 meldete die Essener Zeitung „Allgemeine politische Nachrichten“, die Hüttengewerkschaft und Handlung Jacobi, Haniel und Huyssen solle 3.600 Taler „Contribution“ als Steuervorauszahlung für 1859 an die Borbecker Gemeindekasse abführen. Nun wurden zwei Protesteingaben an die Düsseldorfer Regierung gerichtet. Im Schreiben des Bergbauverbandes, das JHH und Vieille Montagne als Betroffene auswies, wurden die Prognosen als zu optimistisch kritisiert. Der proportionale Rückschluss von der Unternehmensgröße auf die Ertragskraft sei unzutreffend. Die Steuervorauszahlungspflicht betrage unvertretbare bis zu 2,5 Prozent des Gewinns.19

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22 декабря 2023
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9783874683265
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