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Das Erkenntnisinteresse der Vortragsreihe ist also ein genuin historisches. Die Antworten müssen im Raum einer Geschichte der Imagination gesucht werden, in dem Literatur-, Kunst- und Religionshistorie mit der Geschichtswissenschaft ins interdisziplinäre Gespräch kommen. Von den herkömmlichen Motiv- und Stoffgeschichten der Literatur- und Kunstwissenschaftler unterscheidet sie die Frage nach der historischen Funktion; von den unter Historikern bevorzugten Verfahren die Absicht, auch die Hoffnungen, Sehnsüchte, Ängste und das Unbewusste der Menschen als historische Faktoren ernst zu nehmen. Die Überlieferungs- und die Forschungslage wird für diese Fragestellung oft nicht günstig sein; im Allgemeinen verbessern sich diese Voraussetzungen aber mit dem Fortschreiten in der Zeit. Die einzelnen Beiträge suchen sich auf jenen Zeitraum zu konzentrieren, in dem die jeweilige Figur den qualitativen Sprung zu überregionaler, exemplarischer Ausstrahlung gemacht hat. Jeder Band wird die Vorträge zu einer bestimmten Epoche zusammenfassen. So müsste sich im Lauf der Jahre eine aufschlusskräftige Reihe von Epochenphysiognomien ergeben.

Die Beiträge sind konzipiert als „Wintervorträge“ an der Katholischen Universität Eichstätt. Entsprechend der Tradition dieser Reihe wenden sie sich an ein breites Publikum. Dies gilt auch für die Publikation dieser Vorträge. In sieben Etappen – über sieben Wintersemester – soll der Zeitbogen von der Antike bis zum zwanzigsten Jahrhundert abgeschritten werden. Entsprechend sind sieben Bände geplant: zusammengenommen sollen sie einen Längsschnitt durch die Geschichte der europäischen Imagination legen.

SCHLÜSSELFIGUREN DER ANTIKE

Der erste Band gilt der Antike. Sie hat Europa nicht nur mit einem Reservoir mythopoetischer Figuren versorgt, die über zwei Jahrtausende hin immer aufs Neue aktualisiert werden konnten. Sie hat auch, mit der griechischen Philosophie wie mit der patristischen Theologie, jene grundsätzliche Mythen-Kritik in Angriff genommen, in deren Folge und gegen deren Absicht die Figurenbildung der kollektiven Imagination ihre eigenständige und unzerstörbare Macht erwies: So entschieden das Christentum auch die antiken Mythen teils als heidnisch abgedrängt, teils durch allegorische Interpretation ihrem alten Kontext entwendet und assimiliert hat, so wenig gelang es ihm, die mythenbildenden Energien stillzustellen. Dass die altererbten Figuren und Geschichten als „heidnisch“ verdächtigt und verfolgt wurden, ließ am Ende gerade den unerschöpflichen Eigensinn solcher „Mythen“-bildung hervortreten.

Da zu untersuchen ist, kraft welcher Wirkungen Figuren zu Schlüsselfiguren heranwachsen, werden die Gestalten der eigentlichen Mythen ausgeklammert. Deren Entstehung verliert sich in einer frühen Ferne, in die kein forschender Blick dringt; Thomas Mann hat das mit der „Höllenfahrt“ in den „Brunnen der Vergangenheit“, am Anfang seiner Joseph-Romane, sehr schön vor Augen geführt. Die Forschungsprobleme bleiben für die Antike ohnehin auch dann noch immens, wenn man sich auf geschichtswissenschaftlich zugängliche Zeiträume beschränkt. Zwar ist das Aufschießen von Schlüsselfiguren deutlich zu beobachten. Für die genauere Analyse ihrer Wirkung aber bleibt die Quellenlage im besten Fall karg. „Nur mühsam“, so schrieb Georges Duby bei ähnlicher Gelegenheit12 „tastet sich der Historiker auf schwierigem Terrain voran, dessen Grenzen bei jedem Schritt zurückweichen.“ Die Beiträger mussten mancherlei Umwege beschreiten, um der zentralen Frage bis in diese frühe Zeit nachzustellen.

Zu Anfang präsentiert Stefan M. Maul den ersten Übertritt von der Geschichte in den Mythos, zu dem die Wissenschaft zurückreicht. GILGAMESCH ist der Heros des ältesten Epos, das uns schriftlich erhalten blieb. Dazu haben wir auch Spuren von einem historischen Gilgamesch, der um 2750 vor Christus König von Uruk war. Das Epos basiert auf Erzählungen, deren mündliche Tradition wohl weit ins dritte Jahrtausend vor Christus zurückläuft. Zwei schriftliche Fassungen besitzen wir aus dem zweiten Jahrtausend, aus dem sich im übrigen Textzeugen und Übersetzungs-Stücke quer durch den Vorderen Orient finden. Und noch im Babylon des Hellenismus haben die Schüler die Keilschrift auch an Geschichten aus dem Gilgamesch-Epos gelernt. Die Verbreitung des Werkes war also gewaltig. Was war es, das sich derart an die drei Jahrtausende in der Überlieferung erhielt? Zunächst war Gilgamesch ein Gründerheros, wie er vielen Mythen geläufig ist: Ihm werden die Mauern von Uruk zugeschrieben, der ältesten Stadt des Zweistromlandes. Aber er ist auch eine tragische Figur. Als Halbgott will er den eigenen Tod überwinden, scheitert und macht die urmenschliche Erfahrung unentrinnbarer Sterblichkeit. Am Ende muss er sich der Pflicht des Königs beugen: nicht dem eigenen Ich hat seine Sorge zu gelten, sondern der rechten Ordnung der Menschen und dem Dienst für die Götter. Dieses Ineinander aus Urerfahrung der Sterblichkeit und Ethos der Selbstbescheidung wurde dann mit dem Epos weitergereicht durch den Gang der Jahrhunderte.

Zwei Jahrtausende näher steht uns HOMER, und doch wissen wir über ihn fast nichts. Nicht nur dass die antiken Homer-Biographien dem Gegenstand ihrer Darstellung bereits viel zu fernstehen, als dass sich aus ihnen noch glaubwürdige Daten gewinnen ließen; die moderne Forschung zerfällt sogar immer noch über der Frage, ob es Homer als einen großen Dichter überhaupt gegeben habe oder ob die homerischen Dichtungen bloße Kompilationen älterer Einzelepen aus mündlicher Tradition sind. Wie heftig die Philologen darüber allerdings auch streiten, übereinkommen sie doch in ihrer Missachtung der antiken Homer-Viten. Barbara Graziosi will dieser Missachtung entgegenwirken: Zwar kann man aus den Viten nichts über einen „historischen“ Homer erfahren, aber doch vieles über das Bild Homers bei jenem griechischen Publikum, für das er Klassiker, Schullektüre und – quer durch die zahlreichen Städte und Kolonien – ein Garant für die kulturelle Einheit war. Zahlreiche Städte wetteiferten um das Privileg seiner Geburt. Recht verschiedenen Zeiten wurde sein Leben zugeordnet. Die antiken Lebensbilder suchten, entgegen den modernen Erwartungen, diese Divergenzen nicht zu beseitigen, sondern verzeichneten sie getreulich und umfassend: für sie erwies sich Homer gerade darin als ein Autor der ganzen griechischen Welt. In dieselbe Richtung wirkte das Erzählen von Homers Blindheit. Sie distanzierte ihn von jedem konkreten Einzelpublikum und machte ihn, kraft ihrer Übereinstimmung mit seiner Hilfsbedürftigkeit und Armut, zu einem Mann der breiten Volksschichten.

Eine einzigartige Episode aus der Wirkungsgeschichte Homers demonstriert Hans-Joachim Gehrke an ALEXANDER DEM GROSSEN. Wie viele andere junge Griechen und Makedonen hat der junge Alexander Homers Ilias verschlungen und studiert. Aber wie kein anderer hat er das eigene Leben erfolgreich nach dem Muster des homerischen Achilles entworfen. Aus Homer bezog er den heroischen Kodex von Ehre und Freundschaft, aus Homer das agonale Ideal, immer und überall der Erste sein zu wollen. Gehrke zeigt, wie Alexander seinen Zug ins Perserreich durch zahllose symbolische Gesten in die Nachfolge des Krieges um Troja setzt und wie er selbst in entscheidenden Situationen in der Nachfolge des Helden Achilles handelt. Mit dem alle Erwartungen übertreffenden Erfolg des Zuges nach Osten verwandelt sich diese Nachfolge dann zusehends zum Agon. Alexander begibt sich in den Wettstreit mit den mythischen Heroen, und hier nun vor allem mit Herakles, dem Größten der Helden, den der Mythos nach dem Tode in den Kreis der olympischen Götter erhöht. Schon die Zeitgenossen notierten diesen Zug zur Selbst-Mythisierung. Das alles hätte nicht wirklich werden können ohne ein außerordentliches Maß an rationalem Kalkül, militärischer Planung und logistischer Organisation, und es wurde begünstigt durch mancherlei glückliche Umstände. Dass es aber überhaupt denkbar geworden war, das rührte von der ungewöhnlichen Direktheit, mit der Alexander sein Handeln nach dem Maß mythischer Helden zu realisieren vermochte.

Der RAUB DER SABINERINNEN zählt zu den Mythen, die modernes Empfinden an die Ferne und Fremdheit der Antike erinnern können. Von Frauenraub und Vergewaltigung würden neuere Zeiten nicht leicht freiwillig in der eigenen Gründungsgeschichte erzählen. Der Mythos, so Susanne Gödde, spielt historisch vor dem Hintergrund der langwierigen Auseinandersetzungen der Römer mit ihren sabinischen Nachbarn, die letztlich in der Niederwerfung und Integration der Sabiner endeten. Die geschilderte Gewaltanwendung ist aber auch ein Kulturen übergreifendes Muster vieler Gründungsmythen. Bereits die augusteische Zeit fühlte dann das Bedürfnis, die moralisch irritierenden Züge der Geschichte zu entschärfen. Der Frauenraub wurde durch die Macht der Not legitimiert, die Anwendung von Gewalt unter Förmlichkeiten von Recht und Ehrfurcht verborgen. Auch hob man hervor, wie rasch die Geraubten zu vorbildlichen römischen Matronen erwuchsen. Die Pointierung auf Hochzeit und Ehe legte nun aber ein Muster frei, das möglicherweise schon bei der Entstehung des Mythos eine Rolle gespielt hat: in der Tradition griechischer Mythen und Riten erscheint jede Hochzeit als ein erzwungener und erlittener Übergang der Braut von der Herkunftsfamilie ins Haus des Ehemannes. Unter eine noch ganz andere Perspektive rückt Ovid die Geschichte in seiner Liebeskunst: Angst und Flucht erhöhen für den verfolgenden Mann noch die Schönheit der Frau, und der Widerstand steigert die Lust an der Überwindung. So gewinnt derselbe Mythos seine Faszination selbst in zeitlicher Nachbarschaft aus höchst unterschiedlichen Motiven.

CAESARS Größe hat nicht nur seine Zeitgenossen überwältigt, sondern die Erinnerung an seine Figur über zwei Jahrtausende bis heute beherrscht und – abgesehen allenfalls von Alexander und Napoleon – den Ruhm aller anderen großen Feldherrn bei weitem überstrahlt. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Sein Sieg im Bürgerkrieg bereitete die Epoche des römischen Kaiserreichs vor, ja der Titel ‚Kaiser‘ ist aus seinem Namen entstanden. Dass Augustus sich auf ihn berief, flocht Caesar als einen Gründerheros in die Geschichte des Christentums. Aber auch: der klassische Stil seiner Kriegserinnerungen eröffnete für ungezählte Schülergenerationen den Weg in die lateinische Sprache. Hans Jürgen Tschiedel sucht den Grund der einzigartigen Wirkung noch an anderer Stelle: in Caesars Persönlichkeit. Caesar war nicht nur ein überragender Feldherr und ein hinreißender Redner, sondern auch Literat und Dichter, Geschichtsschreiber und Philologe, Astronom und Propagandist von jeweils professionellem Format. Dieses Spektrum der Begabungen verbindet sich mit ungeheurer Energie und Konzentration, Willenskraft und Selbstgewissheit zu einer „Persönlichkeit, die menschliches Maß zu übersteigen scheint.“ Dazu treten enorme Widersprüche des Charakters, von der Rezeption verschärft in Divinisierung wie in Dämonisierung. Alles zusammen ergibt das Bild eines Menschseins, „das die Möglichkeiten irdischer Existenz bis zum Extrem – im Guten wie im Bösen – auslotet, das gleichsam exemplarisch vor Augen stellt, zu was der Mensch fähig ist, was er sein kann.“ Was hier also zum ersten Mal zur Schlüsselfigur der Imagination erhoben wird, ist die ins Grandiose getriebene Komplexität menschlicher Persönlichkeit.

Dominierte in Caesar, aller Ambivalenzen unerachtet, das bewundernswert Große, begann KLEOPATRA ihren Weg durch die europäische Imagination als Figur des fremdartig Anderen. Ihre Geschichte, so Manfred Clauss, wurde von ihren siegreichen römischen Feinden geschrieben. Diese aber wollten den Bürgerkrieg vergessen machen. So verwandelten sie die Schlacht bei Actium in die welthistorische Entscheidung zwischen Rom und dem Orient. Kleopatra wird als „fatale Monstrum“ gezeichnet, als Unheils Dämon, der der römischen Ordnung mit Untergang droht. Die herrschbegierige Frau, umgeben von Eunuchen, steht gegen den zur Herrschaft berufenen Mann, die schöne Verführerin des willenlosen Antonius gegen die Selbstdisziplin des Octavian, das Fremde gegen das Vertraute, der Osten gegen den Westen. Die gräulichen Tiergötter Ägyptens erheben sich gegen die Lichtgestalten der griechisch-römischen Götter. In der römischen Propaganda erwächst Kleopatra rasch zu einem „Traumbild männlicher Obsessionen“. Ihre Geilheit sprengt jede Vorstellung. Ihre Verschwendungssucht kennt keinen Vergleich in der Weltgeschichte. Ihre Grausamkeit lässt sie auf offenem Markt mit ausgesuchten Todesarten experimentieren. Die Männerphantasien von der Hure, die zahllose Freier erst verführt und dann ermordet, konnten auch durch die femmes fatales neuzeitlicher Jahrhunderte nicht mehr überboten werden. Von Kleopatra erzählen sie wenig, von den Römern aber verraten sie mehr, als diese sich träumen ließen.

Als ein „fatale Monstrum“ ist auch NERO in die Erinnerung eingegangen: als Muttermörder, als Christenverfolger, als angeblicher Brandstifter, der im Angesicht des brennenden Rom sein Epos vom brennenden Troja vorgetragen habe. Jürgen Meilitz lenkt die Aufmerksamkeit dagegen auf das Künstlertum des Kaisers. Die antiken Quellen behandeln das Thema mit Vorsicht – nach den aristokratischen Konventionen war offensichtlich hochpeinlich, was hier geschah. Nero scheint über eine beträchtliche künstlerische Begabung verfugt zu haben. Dass er sie als Kaiser offen auslebte, mag zunächst ein jugendlicher Protest gegen das Ethos von Stand und Familie gewesen sein, das derlei strikt in den diskreten Kreis des Privaten verbannte. Manches spricht aber dafür, dass er darin bald auch politische Potentiale erkannte. Der Kaiser, der im öffentlichen Theater als Dichter, Sänger und Schauspieler auftrat, provozierte damit nicht nur den „Anstand“ der Oberschicht, er verbündete sich demonstrativ mit der Unterschicht: ein wichtiger Gewinn an Macht. Dass er dies durch die bewusste mediale Inszenierung eines Selbst-Bildes tat – der Kaiser als Künstler –, brachte freilich seine eigenen Ambivalenzen mit sich. Auf der einen Seite näherte er seine Inszenierungen dem Leben an: seine Maske trug seine eigenen, realistischen Züge; zu den berühmtesten Rollen des Muttermörders Nero gehörte die des Muttermörders Orest. Auf der anderen Seite imitierte er in seinem kaiserlichen Handeln die Kunst: ein Todesurteil etwa ließ er nach dem Drehbuch eines seiner Lieblingsstücke vollstrecken. Am Ende scheint er darüber den Blick für die Realität verloren zu haben. So wurde er gestürzt: das vielleicht bezeichnende Ende einer ungewöhnlichen Episode der Mediengeschichte.

Die Geburt eines Mythos untersucht Pedro Barceló an CONSTANTIN DEM GROSSEN. Die Figur dieses Kaisers gewinnt ihre Schlüsselqualität aus einem einzigen narrativen Kern: Am Vorabend seiner Schlacht um Rom wird ihm in einer Vision das Kreuz Christi als Zeichen des Sieges offenbart. Er unterstellt seine Truppen diesem Zeichen und kann, trotz hoffnungsloser Ausgangslage, den Gegner überwinden. Es ist der entscheidende Schritt auf dem überraschend kurzen Weg des Christentums von einer verfolgten Religion zur Staatsreligion. Nun haben auch frühere Kaiser Visionen gehabt; ja es war ihres Amtes, sich sozusagen als Kommunikationskanal zwischen Göttern und Menschen offenzuhalten. Dem Constantin war zuvor bereits einmal Apollo erschienen. Neu war die außerordentliche Not, in der ihm die christliche Offenbarung widerfuhr. Entsprechend beeindruckt mag er sich gezeigt haben, als das Verheißene eintrat. Neu war auch, dass der aus römischer Sicht randständige, geächtete Christengott einem Kaiser erschien; das mag den Eindruck ebenfalls verstärkt haben. Jedenfalls brauchten die christlichen Priester nur wenige Jahre, um den Kaiser vom streng monotheistischen Anspruch des neuen Gottes zu überzeugen. Dass den Christen diese Wendung ihres Geschicks als ein Wunder erschien, würde einleuchten; es gibt dazu jedoch keine zeitnahen Quellen. Erst viel später werden christliche Ausarbeitungen dieses narrativen Kerns greifbar: in der Legende von Constantins Taufe durch Papst Silvester in der Lateranbasilika und in der Behauptung einer „constantinischen Schenkung“, der zufolge dem Papst die Herrschaft über Rom und das weströmische Reich übertragen worden sei. Als Constantin „der Große“ tritt der Kaiser damit vor die Erinnerung: als der Urheber einer Zeitenwende.

In zeitlicher Nachbarschaft tritt dem Kaiser Constantin der Mönch ANTONIUS gegenüber: dem mächtigen Herrscher des weltlichen Reiches der asketische Heilige in der fernen Wüste. Sein Leben, sowie dessen verkündigende Vergegenwärtigung in der Vita Antonii des Patriarchen Athanasius, hat dem spätantiken Mönchtum das erste, maßstabsetzende Modell gegeben. Mit welcher Macht dieses Modell viele Menschen zur Nachfolge reizte, davon zeugen zeitgenössische Anekdoten ebenso wie eine gewaltige literarische Wirkungsgeschichte. Vielfältig sind die Gründe für jenen Aufschwung des Mönchtums, der Andreas Merkt von einer „Kulturrevolution“ und der „größten Jugendbewegung der Antike“ sprechen lässt. Das Leben des Antonius bot all jenen Mönchen und Nonnen die Schlüsselfigur, der sie bei ihrem Auszug aus der weltlichen Gesellschaft ihrer Gegenwart nachfolgen konnten. In seiner Besitzlosigkeit suchten sie die Freiheit des Christenmenschen, in seiner Askese die irdische Vorwegnahme der himmlischen Harmonie von Körper und Geist, in seiner Heiligkeit ein neues, unblutiges Martyrium. Was immer vom 5. bis zum 7. Jahrhundert an Mönchsviten und Heiligenlegenden geschrieben wurde, folgte dem mythischen Muster des heiligen Antonius. In einer Kirche, welcher der Bund mit dem Kaiser Macht und Reichtum bescherte, hielt das Mönchtum die Erinnerung daran wach, dass das Reich Gottes nicht von dieser Welt ist.

Wohl keine Gestalt der Antike hat die Imagination der folgenden Generationen wie der folgenden Jahrhunderte derart aufgestört wie JESUS CHRISTUS. Allerdings riskiert Missverständnisse, wer Christus unter dem Titel ‚Mythen Europas‘ heranzieht. Nun verwendet die Vortragsreihe „Mythos“ strikt als einen Rezeptionsbegriff. Zur Schlüsselfigur in diesem Sinne wird eine Figur, wie ausgeführt, ausschließlich durch ihre Wirkungskraft auf die kollektive Imagination; ihre historische Faktizität oder Fiktionalität bleibt dabei ganz außer Betracht. Gleichwohl ist von Interesse, dass schon die antike Christenheit große Mühe darauf gewendet hat, die Gestalt Christi kritisch abzusetzen von den Göttern und Heroen jener Religionen, in deren Umfeld und gegen deren Sog Kraft sie sich zu behaupten hatte. Eine führende Rolle wuchs dabei Augustinus zu, dem wohl wirkungsmächtigsten aller Kirchenväter. Er setzte Christus von den mythologischen Gestalten ab durch die Historizität seines menschlichen Erdenlebens und durch seine zwiefache Natur als „ganz Gott“ und „ganz Mensch“. Und er vollzog diese Abgrenzung, indem er – am Leitfaden seiner eigenen, in den Confessiones niedergelegten Erfahrung – die Wirkung Christi auf das Leben des gottsuchenden Menschen herausarbeitete. Unter dem Titel ‚Der Rationalitätsanspruch der Augustinischen Christologie‘ zeichnet Norbert Fischer diese Argumentation nach.

Die meisten der hier versammelten Beiträge wurden im Wintersemester 2002/03 an der Katholischen Universität Eichstätt als Vorträge gehalten. Ein besonderer Dank gilt Frau Barbara Graziosi und Herrn Andreas Merkt, die mit Aufsätzen einsprangen, als Vorträge anderer Referenten nicht publiziert werden konnten. Die Konzeption wie die organisatorische Durchführung des Programms lag in den Händen von Karl Graf Ballestrem, Verena Dolle, Andreas Hartmann, Inge Milfull, Michael Neumann und Christine Strobl. Jürgen Malitz hat uns für den Druck freundlicherweise zahlreiche Bildvorlagen aus der Numismatischen Bilddatenbank Eichstätt überlassen. Für die Finanzierung der Vortragsreihe danken wir vor allem der Sparkasse Eichstätt und dem Katholischen Bildungswerk Eichstätt. Frau Elisabeth Pustet hat sich schon früh für die Drucklegung interessiert und den Weg von den Vorträgen zum Buch so unermüdlich wie einfallsreich begleitet.

Michael Neumann

399
528,49 ₽
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0+
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338 стр. 31 иллюстрация
ISBN:
9783843803830
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